Die vier edlen Wahrheiten
Buddha lehrte die vier edlen Wahrheiten: die vier Tatsachen, die von Aryas, den sogenannten „Edlen“, als wahr gesehen werden. Wir alle begegnen wahren Leiden oder Problemen. Sie haben einen wahren Ursprung oder eine wahre Ursache. Jedoch gibt es eine wahre Beendigung dieser Leiden, so dass sie niemals wieder auftreten. Dies wird herbeigeführt, indem wir in unserem geistigen Kontinuum Arten von wahrem Pfadgeist bzw. wahre Pfade entwickeln, die zu ihrer Beendigung führen.
Wahre Leiden
Es gibt drei Arten wahren Leidens:
-
Das Leiden des Leidens bezieht sich auf unsere gewöhnlichen Erfahrungen von Gefühlen des Unglücklichseins. Diese können entweder unsere Erfahrungen von Objekten eines der fünf physischen Sinne, einschließlich der körperlichen Empfindung von Schmerz begleiten, oder auch rein geistige Erscheinungen.
-
Das Leiden der Veränderung bezieht sich auf unsere gewöhnlichen Erfahrungen von Glücksgefühlen. Diese können entsprechend auch entweder unsere Erfahrungen von Objekten eines der fünf physischen Sinne oder rein geistige Erscheinungen begleiten. Das Problem solchen Glücks ist, dass es rasch vergeht, niemals zufriedenstellt und durch Unzufriedensein ersetzt wird.
-
Das alles durchdringende Leiden ist die Basis, die all unsere Erfahrungen der ersten beiden Arten des Leidens beeinflusst, hervorbringt und aufrechterhält. Dies bezieht sich auf unsere Erfahrung der befleckten Aggregate unseres Köpers und Geistes, die durch die Kraft von karmischen Impulsen und störenden Emotionen und Geisteshaltungen hervorgebracht wurden. Gegenwärtig sind unsere Aggregate nach wie vor mit diesen störenden Emotionen und karmischen Kräften verbunden. Aufgrund dessen produzieren unsere befleckten Aggregate weitere befleckte Aggregate.
Wahre Ursprünge des Leidens
Die wahren Ursprünge oder Ursachen unseres alles durchdringenden Leidens sind unsere störenden Emotionen und Geisteshaltungen, sowie unser Karma. Nach dem Schema der zwölf Glieder abhängigen Entstehens, beziehen sich die wahren Ursprünge auf das erste und zweite Glied: Unwissenheit oder Ignoranz und beeinflussende karmische Impulse, sowie auch auf die achten, neunten und zehnten Glieder: Begierde, eine herbeiführende störende Emotion oder Geisteshaltung, sowie weitere Existenz.
„Weitere Existenz“ bezieht sich auf einen karmischen Impuls, der von einer aktivierten karmischen Hinterlassenschaft herrührt, die eine weitere Existenz herbeiführt. Die weitere Existenz, die diese karmischen Impulse herbeiführen, sind die Existenz im Bardobereich (Zwischenzustand), die Existenz bei der Geburt, die Existenz vor dem Tode und die Todes-Existenz. Diese vier Stufen der Existenz schließen alle drei Arten des wahren Leidens mit ein. Die vier Arten von Existenz können auch zu Tod, Bardo und Wiedergeburt zusammengefasst werden.
Wahre Beendigungen
Eine wahre Beendigung von Tod, Bardo und Wiedergeburt ist eine Beendigung, in der diese drei – Tod, Bardo und Wiedergeburt – nie wieder auftreten. Unsere Geisteskontinua, die ohne Anfang und ohne Ende sind, gehen auch weiter, wenn wir eine wahre Beendigung erlangt haben. Sie setzen sich fort, jedoch nicht mehr unter der Kraft von störenden Emotionen und Karma, und sie sind nicht länger mit ihnen assoziiert oder vermischt. Die Geisteskontinua von Arhats (befreiten Wesen) weisen eine wahre Beendigung der emotionalen Schleier auf, die Befreiung verhindern, während die geistigen Kontinua von Buddhas zusätzlich wahre Beendigungen der kognitiven Schleier, welche die Allwissenheit verhindern, aufweisen. Das allwissende Bewusstsein eines Buddhas ist der subtilste Geist des klaren Lichts dieses Buddha, während die erleuchtenden physischen Körper eines Buddha aus dessen subtilstem Energie-Wind entstammen.
Arten von wahrem Pfadgeist
Die Geisteszustände, die wahre Beendigungen herbeiführen, sind solche mit unbegrifflicher Wahrnehmung der Leerheit. Diese sind Arten von wahrem Pfadgeist. Um die Erlangung einer wahren Beendigung der emotionalen Schleier herbeizuführen, muss diese unbegriffliche Wahrnehmung der Leerheit mit dem Geist der Entsagung verbunden sein, also mit dem Entschluss, frei zu sein. Um die Erlangung einer wahren Beendigung von kognitiven Schleiern herbeizuführen, muss sie zusätzlich mit der Bodhichitta-Absicht verbunden sein.
Unbegriffliche Wahrnehmung der Leerheit und ein Netzwerk an tiefem Gewahrsein (Ansammlung von Weisheit), welches sie aufbaut, sind die herbeiführenden Ursachen für die Erlangung des allwissenden Bewusstseins eines Buddha. Eine Bodhichitta-Absicht und das Netzwerk von positiver Kraft (Ansammlung von Verdienst), das sie aufbaut, sind die herbeiführenden Ursachen für die Erlangung der erleuchtenden physischen Körper eines Buddha.
Mit der Praxis des Tantra im Allgemeinen schaffen wir Ursachen für die Erlangung des erleuchteten Bewusstseins und den physischen Körper eines Buddha, welche entsprechend näher dran sind an den resultierenden Zuständen, welche wir zu erlangen streben. Wir führen dies mit einem Prozess der Visualisierung von uns selbst in der Form von einer Buddha-Gestalt (Yidam) durch, die in den Kontext eines Verständnisses der Leerheit eingebettet ist.
Mit der Praxis der höchsten Tantraklasse, dem Anuttarayoga-Tantra, arbeiten wir darauf hin, Zugang zu unserem subtilsten Geist des klaren Lichts und seinem begleitenden subtilsten Energie-Wind zu bekommen, und so mit deren Hilfe eine originalgetreue Abbildung des erleuchtenden Geistes und physischen Körper eines Buddha zu erzeugen. Dies machen wir, um unser Geisteskontinuum für immer davon zu befreien und reinigen, die wahren Leiden des gewöhnlichen Todes, des Bardo und der Wiedergeburt zu erfahren.
Welche Methoden im Buddhismus zur Beseitigung von Problemen und ihren Ursachen angewendet werden
Im Allgemeinen gibt es viele Methoden, die man im Buddhismus anwendet, um uns von Problemen zu befreien. Im Folgenden wollen wir sieben dieser Methoden näher untersuchen.
Sich in Selbstkontrolle üben
Wenn störende Emotionen oder störende Geisteshaltungen entstehen und karmische Tendenzen zur Reifung gelangen, sodass wir uns danach fühlen, diese Emotionen auszuleben, ist die erste Stufe, um Probleme zu vermeiden, zu „verweilen wie ein Holzklotz“ – so wie es Shantideva empfohlen hat. Das bedeutet, wir machen Gebrauch von unserer Wachsamkeit, um uns gewahr zu werden, dass eine störende Emotion in uns entstanden ist; dann wenden wir die Kraft der Vergegenwärtigung an, um uns an die leidhaften Konsequenzen zu erinnern, die daraus folgen werden, wenn wir diese negativen Emotionen ausleben. Wir wenden zudem ethische Selbstdisziplin an, um uns selbst davon abzuhalten, diese negativen Emotionen auszuleben. Obwohl uns diese Methode, mit dieser potenziell gefährlichen Situation umzugehen, nicht von den wahren Ursprüngen unserer Probleme befreit – uns letztendlich also nicht von unseren störenden Emotionen und Geisteshaltungen, und auch nicht von den karmischen Tendenzen, sie auszuleben, befreit – hindert sie uns nichtsdestotrotz daran, dass wir die wahren Ursachen unserer Probleme noch zusätzlich verstärken.
Anwendung von Gegenmitteln
Wenn wir uns in Selbstkontrolle üben, eine störende Emotion nicht auszuleben, wenn diese in uns entsteht, so wirkt diese Selbstkontrolle der störenden Emotion nicht wirklich entgegen. Um der störende Emotion wirklich etwas entgegenzusetzen, müssen wir sie in direkterer Weise angehen. Die erste Methode dafür ist, ein Gegenmittel anzuwenden. Ein Beispiel hierfür ist, die Meditation über die Hässlichkeit (beispielsweise des Körpers, den wir begehren) durchzuführen, um so unsere Anhaftung zu überwinden. Ein weiteres Beispiel eines Gegenmittel ist die Meditation über Liebe um unserem Ärger entgegenzuwirken. Wenn wir starker sexuelle Anziehung gegenüber jemandem empfinden, stellen wir uns das Körperinnere (dieser Person) vor, so als wenn wir die Haut abschälen würden. Bei Wut auf Personen, die uns auf die Nerven gehen, rufen wir uns zu Bewusstsein, dass sie sich so verhalten, weil sie selbst unglücklich sind und etwas sie stört. Dann wünschen wir ihnen mit Liebe, dass sie glücklich sein mögen und die Ursachen für ihr Glück erfahren mögen. Wir gehen selbst dann so vor, wenn unsere Liebe aus dem Eigeninteresse heraus entstanden ist, dass uns diese Menschen nun nicht weite auf die Nerven gehen mögen. Diese Methode ist jedoch bloß vorläufig. Sie befreit uns nicht in der Weise von den störenden Emotionen, dass sie nie wieder auftreten werden.
Negative Umstände zu positiven wandeln
Eine andere Methode ist es, in einer schwierigen Situation unsere Geisteshaltung zu ändern und negative Umstände in positive umzuwandeln. Wenn wir zum Beispiel Schwierigkeiten erfahren, sehen wir unser Leiden als Verringerung unserer vergangenen negativen karmischen Potentiale an, anstatt über das Leiden, das wir erleben, aufgebracht und verärgert zu sein. Wir denken: „Es ist gut, dass ich leide. Weil meine negativen karmischen Potenziale jetzt heranreifen, werde ich davon gereinigt, später in diesem Leben etwas weitaus Schlimmeres ertragen zu müssen oder in einer schlechteren künftigen Lebensform wiedergeboren zu werden.“
Wenn wir überdies Probleme erfahren, stellen wir uns vor, all das Leiden von anderen Lebewesen, die von ähnlichen Problemen heimgesucht werden, auf uns zu nehmen. Wenn wir beispielsweise Hepatitis haben, so denken wir „durch meine Hepatitis, mögen die Leiden aller anderen, die jetzt gleichfalls unter Hepatitis leiden, von ihnen weichen zu mir kommen, und möge das negative karmische Potenzial von jedwedem in Zukunft Hepatitis zu bekommen, jetzt bei mir heranreifen. Möge in dieser Weise niemand jemals mehr unter Hepatitis zu leiden haben.“
Diese Methode, unsere Geisteshaltung zu verändern und negative Umstände in positive umzuwandeln, ist tatsächlich ein sehr effizienter Weg, mit Leiden umzugehen. Es handelt sich jedoch wiederum nur um eine vorläufige Methode zur Beseitigung unserer Probleme und ihrer wahren Ursprünge.
Einen zur störenden Emotion exakt gegenteiligen Geisteszustand entwickeln, der diese ausschließt
Eine dritte Methode, die im Buddhismus angewendet wird, ist es, einem Objekt gegenüber einen exakt gegenteiligen Geisteszustand zu entwickeln, anstelle der störenden Emotion, die wir zuvor empfanden und die uns viele Probleme bereitet hat. Einen exakt gegenteiligen Geisteszustand zu entwickeln ist ein effektives Gegenmittel, da wir nicht zwei sich gegenseitig ausschließende Möglichkeiten, ein Objekt wahrzunehmen in unserer geistigen Wahrnehmung gleichzeitig haben können. Unser Bewusstsein kann dasselbe Objekt nicht zur gleichen Zeit auf zweifache, sich widersprechende, sich gegenseitig ausschließende Art aufnehmen. Wenn der entgegengesetzte Geisteszustand durch Logik gestützt ist, während der sich gegenseitig ausschließende andere Geisteszustand durch ein falsches Verständnis erzeugt wurde, dann wird – sofern es uns möglich ist, stets auf diesen entgegengesetzten Geisteszustand fokussiert zu bleiben, sein exaktes Gegenteil niemals wieder entstehen.
Beispielsweise schließen sich das Greifen nach einer wahrhaft erwiesenen Existenz und die Erkenntnis der Leerheit, also die völlige Abwesenheit einer wahrhaft erwiesenen Existenz, gegenseitig aus. Wenn ich zum Beispiel diese Uhr betrachte und die Zeit, die sie angibt, so kann ich nicht auf dieses Objekt mit demselben Geist in zweifacher, entgegengesetzter Weise schauen. Ich kann die Uhr nicht so betrachten, dass sie sowohl ein wahrhaft erwiesenes „fünf vor zwölf“ zeigt, als auch, dass es nichts derartiges gibt, wie wahrhaft erwiesene „fünf vor zwölf“. Das sind zwei sich gegenseitig ausschließende Betrachtungsweisen in Bezug auf das Objekt, das ich sehe. Wenn ich die Zeit als ein wahrhaft erwiesenes „Ding“ betrachte, gerate ich in Panik, dass ich nicht mehr genügend Zeit habe, diesen Vortrag abzuschließen. Wenn ich die Zeit hingegen mit dem Verständnis betrachte, dass es nichts derartiges gibt, wie eine wahrhaft erwiesene Zeit, beispielsweise als eine Zeit, zu der ein Vortrag beendet sein muss, so werde ich gelassener reagieren.
Es ist diese Art der Methode, die der Buddhismus im Allgemeinen heranzieht, um die wahre Beendigung der wahren Probleme und ihrer wahren Ursachen zu bewirken, sobald wir den tiefsten wahren Ursprung all unserer Probleme als unsere Unwissenheit der Leerheit identifizieren.
Störende Emotionen in die zugrundeliegende konventionelle Natur des Geistes auflösen
Wenn störende Emotionen entstehen, so bietet die Mahamudra-Meditation eine Anzahl von Methoden an, um sie in die zugrundeliegende konventionelle Natur des Geistes aufzulösen. Im Buddhismus bezieht sich „Geist“ auf die geistige Aktivität von bloßer Klarheit und Gewahrsein. Das bedeutet, dass „Geist“ beschrieben wird als die geistige Aktivität des Hervorbringens von Erscheinungen, die geistigen Hologrammen ähneln, und als die geistige Aktivität, mit der wir uns kognitiv mit diesen Erscheinungen befassen. Bei diesen zwei Aspekten der geistigen Aktivität handelt es sich um zwei Darstellungsweisen ein und derselben Aktivität; diese beiden Aktivitäten finden nicht aufeinanderfolgend statt. Darüber hinaus findet allein nur diese geistige Aktivität statt, ohne von einer Person oder Entität namens „Geist“ hervorgebracht oder beobachtet zu werden, die von dieser (Aktivität) getrennt wäre.
In der Mahamudra-Meditation der Gelug-Kagyü-Tradition verschieben wir den Fokus unserer Aufmerksamkeit weg vom Inhalt der Sinneswahrnehmung oder der geistigen Wahrnehmung, die von störenden Emotionen begleitet wird, und wir fokussieren uns stattdessen auf die (bloße) konventionelle Natur der geistigen Aktivität, die auftritt. Die geistige Aktivität bringt nicht allein eine kognitive Erscheinung des Objekts dieser störenden Wahrnehmung hervor und ist kognitiv mit ihr befasst – sie tut dasselbe auch mit der störenden Emotion. Und das ist auch alles, was geschieht. Ändern wir den Fokus unserer Aufmerksamkeit auf diese Weise, so entfernt man die emotionale Energie, welche die störende Emotion antreibt und aufrechterhält, und bringt sie zur Ruhe.
Die Methode der Karma-Kagyü und Drugpa-Kagyü-Mahamudra-Meditation beruht darauf, den Geist auf natürliche Weise zur Ruhe kommen zu lassen, sobald eine störende Emotion entsteht, anstelle bei der Art der Wahrnehmung, die sie enthält, zu verweilen und sie zu analysieren. Wenn die störende geistige Aktivität und jeglicher begrifflicher Gedanke natürlich abklingt, so ist der Geist, gleich einem Vogel, der von einem Schiff in der Mitte des Ozeans in die Freiheit entlassen wurde, automatisch in seinem ursprünglichen reinen Zustand von Klarheit und Gewahrsein, in dem er seit jeher immer war.
Störende Emotionen in das zugrundeliegende tiefe Gewahrsein auflösen
Eine weitere Methode, die in der Mahamudra- und Dzogchen-Meditation genutzt wird, ist, die fünf Hauptarten störender Emotionen in die fünf ihnen entsprechenden Arten tiefen Gewahrseins (tib. ye-shes) aufzulösen, die ihnen zugrunde liegen. Jede Art von tiefem Gewahrsein trägt die grundlegende Struktur ihrer entsprechenden störenden Emotion bei, während die begleitende Unwissenheit den störenden Aspekt ausbildet.
Bei sehnsüchtigem Verlangen beispielsweise fokussiert sich unsere Wahrnehmung von etwas auf ein spezifisches Objekt, betrachtet es als etwas „ganz besonderes“ und übertreibt dabei seine guten Qualitäten. Diesem sehnsüchtigen Verlangen zugrundeliegend ist ein individualisierendes tiefes Gewahrsein, welches das Objekt als bloßes individuelles Element, verschieden von allen anderen, unterscheidet. Um das zugrundeliegende tiefe Gewahrsein zu erkennen, können wir entweder die Struktur der störenden Emotion analysieren oder die geistige Aktivität ganz natürlich zur Ruhe kommen lassen, damit sie ihr zugrundeliegendes tiefes Gewahrsein enthüllt.
Meditation in Analogie
Eine siebte Methode, die im Buddhismus benutzt wird, um uns selbst von Problemen zu befreien, ist die Meditation in Analogie zu dem, wovon wir uns befreien wollen, und in Analogie zu jenem, was wir erlangen wollen. Dies ist die Methode, die ganz allgemein im Tantra benutzt wird, insbesondere im Anuttarayoga-Tantra. Sie wird in Verbindung mit der Meditation über Leerheit und Bodhichitta durchgeführt.
Die grundlegende Methode dabei ist, dass wir uns wie ein getarnter Geheimagent verhalten und das imitieren, was wir zerstören wollen. Serkong Rinpoche liebte es, dieses Bild zu verwenden. Wie ein getarnter Geheimagent gehen wir bis in die tiefsten Ebenen unseres Geistes hinab, um die natürliche Tendenz unseres Geistes auszukundschaften, und zu schauen, wie unser Geist das hervorbringt, was uns im Leben widerfährt. Wir finden den entscheidenden Schwachpunkt des ganzen Mechanismus heraus, dann sabotieren wir die Mechanik, sodass diese aufhört weiterhin das hervorzubringen, was wir beseitigen wollen. In gewissem Sinne stellen wir die Mechanik auf den Kopf, sodass sie anstelle von dem, was wir nicht erfahren wollen, das hervorbringt, was wir erlangen möchten. Es ist vergleichbar mit einem mentalen Judo. Dies ist also die Methode, die wir im Anuttarayoga-Tantra anwenden.
Wir sprechen stets über eine Basis, die es zu reinigen gilt, einen Pfad, auf dem wir die Reinigung durchführen und dem Resultat der Reinigung: Grundlage, Pfad und Resultat. In unserem Fall hier sind alle drei in Analogie zueinander: die Basis, die wir reinigen möchten, der Pfadgeist, mit dem wir die Reinigung ausführen, wie auch das Resultat der Reinigung. Indem wir diese drei in Analogie haben, können wir den Pfad wie einen Geheimagenten benutzen um die Basis zu reinigen und die Resultate hervorzubringen.
Die Methode wird dann klarer werden, wenn wir uns das spezifische Beispiel des unkontrollierbar sich wiederholenden (Kreislaufs) von Tod, Bardo und Wiedergeburt als Basis, die wir reinigen möchten, ansehen. Wie wir gesehen haben, sind Tod, Bardo und Wiedergeburt eine andere Art und Weise, um die edle Wahrheit des Leidens darzustellen – das alles durchdringende Leiden, befleckte Aggregate zu besitzen. Durch Anuttarayoga-Tantra-Praxis zielen wir darauf ab, uns von der Erfahrung von Tod, Bardo und Wiedergeburt unter dem Einfluss von Karma, sowie uns von unserem Erleben von störenden Emotionen und Geisteshaltungen zu befreien, indem wir uns wie ein Geheimagent in verdeckter Mission verhalten.
Die Bedeutungen von Reinigung
Wir wollen zunächst die verschiedenen möglichen Bedeutungen erörtern, was es heißen könnte, Tod, Bardo und Wiedergeburt zu reinigen. Es gibt einige Möglichkeiten, wie wir dies verstehen können, die sich nicht auf die Methode, die im Anuttarayoga-Tantra benutzt wird, anwenden lassen:
- Wenn wir davon sprechen, Tod, Bardo und Wiedergeburt zu reinigen, so geschieht dies nicht in dem Sinne, dass wir Verunreinigungen von etwas entfernen wie bei der Reinigung von flüchtigen Schleiern. Wir besitzen keine immerwährende Kontinuität von Tod, Bardo und Wiedergeburt in der Art einer immerwährenden Kontinuität des geistigen Kontinuums, und wir arbeiten auch nicht daran, diese immerwährende Kontinuität frei von den Verunreinigungen zu bekommen, sodass wir einen angenehmen Tod, Bardo und Wiedergeburt ohne Verunreinigungen erleben können. Diese Art von Reinigung ist hier nicht gemeint.
- Es ist keine Reinigung oder Säuberung im Sinne von einem Beseitigen von Hindernissen von Tod, Bardo und Wiedergeburt, so wie wir schädigende Geister oder störende Eigenschaften von Blumen vertreiben, die uns zum Niesen bringen. In der tantrischen Sadhana-Praxis vertreiben wir solche hindernden Kräfte – beispielsweise von Opfergaben, die wir darbringen wollen – indem wir uns vorstellen, dass zornvolle Gestalten aus unserem Herzen heraus emanieren, die diese hinderlichen Kräfte vertreiben. Auf diese Art und Weise reinigen wir Gaben. Wir bereinigen sie von störenden Eigenschaften, so dass sie in einer reinen Form genossen werden können. Hier aber arbeiten wir nicht daran, Hindernisse zu vertreiben, damit wir Tod, Bardo und Wiedergeburt in einer reineren Weise oder ohne Verwirrung erfahren können.
- Es ist keine Reinigung in dem Sinne, später auftretende Momente in der Kontinuität von Tod, Bardo und Wiedergeburt zu verbessern. Beispielsweise sprechen wir von der Entwicklung von Liebe, also dem Wunsch, dass allen Lebewesen Glück und die Ursachen von Glück zuteil werden. Zu Beginn mag unsere Liebe nur auf unsere Lieben, Nahestehenden ausgerichtet sein und mit Anhaftung vermischt. Aber durch unseren Fortschritt auf dem spirituellen Pfad, reinigen wir diese Liebe, sodass sie sich gleichermaßen auf alle Lebewesen ausdehnt – zu Freunden, Fremden und ebenso auch zu unseren Feinden. Diese Liebe ist verbunden mit einer gleichmütigen Geisteshaltung gegenüber allen Lebewesen. In diesem Sinne „reinigen“ wir Liebe, damit sie besser und echter wird. Hier aber versuchen wir nicht, die Kontinuität von Tod, Bardo und Wiedergeburt zu verbessern, beispielsweise dadurch, dass wir eine angenehme Form der Wiedergeburt erlangen. Auch diese Art der Reinigung ist hier nicht gemeint.
- Es ist auch keine Reinigung in dem Sinne, dass wir den später noch zu erfahrenden Augenblicken im Rahmen der Kontinuität von Tod, Bardo und Wiedergeburt eine andere Qualität geben, also die zukünftige Qualität der Erfahrung umwandeln, so wie wenn wir zum Beispiel, anstatt eine Mahlzeit mit Anhaftung zu uns zu nehmen, uns vorstellen, dass wir selbst eine Buddha-Gestalt sind und die Speisen, die man uns in unserer Vorstellung als Gaben dargebracht hat, in reiner Weise ohne Verwirrung genießen. Auch diese Art der Reinigung ist hier nicht gemeint. Wir streben nicht danach, auch weiterhin zu sterben, den Bardo zu durchlaufen und wiedergeboren zu werden, und wir streben nicht danach, anstelle von einer gewöhnlichen Person als eine Art von reiner Gottheit wiedergeboren zu werden, die dann in angenehmer Weise in einer Art Paradies verstirbt und wiedergeboren wird, und dort nicht viel Leid und Verwirrung erlebt. Wir sprechen hier also auch nicht von dieser Art der Reinigung.
- Es handelt sich vielmehr um eine fünfte Art der Reinigung, eine fünfte Möglichkeit – und zwar Reinigung im Sinne einer Beendigung der Kontinuität eines sich unkontrollierbar wiederholenden Kreislaufs von Tod, Bardo und Wiedergeburt. Durch die Beendigung der Kontinuität des sich unkontrollierbar wiederholenden Kreislaufs wird seine wahre Ursache eliminiert. Wir möchten, dass der Daseinskreislauf aufhört, sich fortzusetzen und in Folge niemals wieder auftreten wird. Wir möchten den sich unkontrollierbar wiederholenden Kreislauf von Tod, Bardo und Wiedergeburt weder verbessern, noch Verunreinigungen von ihm entfernen, auch keine Hindernisse von ihm beseitigen. Wir möchten den sich unkontrollierbar wiederholenden Kreislaufs von Tod, Bardo und Wiedergeburt für immer beenden und in diesem Sinne reinigen. Mit anderen Worten, wir arbeiten nicht daran, „Tod, Bardo und Wiedergeburt zu reinigen“, sondern stattdessen daran „uns selbst von Tod, Bardo und Wiedergeburt zu reinigen“.
Methoden, uns von etwas zu reinigen, das wir loswerden möchten
Es gibt verschiedene Wege, uns von dem zu reinigen, was wir loswerden möchten. Im Buddhismus gibt es zahlreiche Methoden, mit denen wir die Kontinuität von Phänomenen beenden können. Es ist daher hilfreich, eine Idee von den verschiedenartigen Ansätzen zu bekommen, die verwendet werden.
-
Wir versuchen nicht, die Kontinuität von Tod, Bardo und Wiedergeburt zu beenden, indem wir bloß die Samen für diese Kontinuität vernichten, so wie wir es beispielsweise in der Vajrasattva-Reinigungspraxis tun, um uns von negativen karmischen Potenzialen oder „karmischen Samen“ zu befreien. Durch die Vajrasattva-Reinigungspraxis befreien wir uns davon, das Heranreifen der negativen karmischen Potentiale erfahren zu müssen, indem wir ihre „Samen“ verbrennen, so dass die Umstände für ihre Reifung gar nicht mehr entstehen können. Zur Erinnerung: Allein die unbegriffliche Wahrnehmung der Leerheit kann diese Samen vollständig beseitigen. Das Vajrasattva-Mantra „versengt“ diese Samen lediglich, sodass die Umstände für ihre Reifung nicht mehr entstehen, obwohl die Samen selbst noch immer vorhanden sind. Deshalb arbeiten wir im Anuttarayoga-Tantra nicht bloß daran, die Samen für Tod, Bardo und Wiedergeburt zu versengen, sodass die Umstände für ihr Auftreten nicht weiter entstehen, sondern wir möchten vielmehr die Wurzeln der Ursachen allesamt ausreißen und uns dadurch reinigen, dass wir Tod, Bardo und Wiedergeburt für immer eliminieren.
-
Wir gehen auch nicht direkt gegen Tod, Bardo und Wiedergeburt an. Wir verwenden keine Gegenmittel gegen Tod, Bardo und Wiedergeburt, wie etwa eine Art von Elixier für Unsterblichkeit. Einige Menschen könnten sich solch ein Elixier als eine Möglichkeit ausmalen, Tod, Bardo und Wiedergeburt loszuwerden. Eine solche gegenteilige Kraft wäre vergleichbar mit der Anwendung von Liebe als Gegenmittel gegen den Hass.
-
Auch benutzen wir nicht die exakten Gegenteilen von Tod, Bardo und Wiedergeburt, um diese zu beenden – so wie wir die unbegriffliche Wahrnehmung der Leerheit als Gegenmittel verwenden, um uns für immer vom Greifen nach wahrhaft erwiesener Existenz zu befreien. Wir meditieren als Methode nicht über etwas, was das exakte Gegenteil von Tod, Bardo und Wiedergeburt ist, um uns von ihnen zu reinigen und sie zu Ende zu bringen.
Stattdessen arbeiten wir daran, die Kontinuität von Tod, Bardo und Wiedergeburt durch die Meditation mit verschiedenen Arten von Pfadgeist aufzubrechen, die den dreien ähnlich sind. Spezifischer erzeugen wir Arten von Pfadgeist, die durch eine Imitation von Tod, Bardo und Wiedergeburt in der Lage sind, uns an den gewöhnlich vorhandenen Blockaden vorbeizuführen, um zu ihrem Herz bzw. Zur Grundlage dieser drei zu gelangen. Diese Arten von Pfadgeist setzen dann an dem Mechanismus an, der Tod, Bardo und Wiedergeburt zugrunde liegt und sie hervorbringt, und diese Arten von Pfadbewusstsein entwurzeln vom Fundament dieses Mechanismus ausgehend auch die Ursachen, die Tod, Bardo und Wiedergeburt endlos fortsetzen. Gleichzeitig wirken diese Arten von Pfadbewusstsein als Ursachen dafür, andere Faktoren innerhalb dieses Grundlage zu ersetzen, sodass derselbe Mechanismus, der Tod, Bardo und Wiedergeburt hervorbrachte, nun stattdessen das allwissende Bewusstsein eines Buddha vorbringt – samt den zwei unterschiedlich subtilen erleuchtenden physischen Körper, mit denen ein Buddha erscheint.
Erklärung der Anuttarayoga-Methode in struktureller Form
Strukturell betrachtet haben wir es hier mit einer Basis und einem Resultat zu tun, die in Analogie zueinander stehen. Wenn wir die Basis „eins“ nennen und das Resultat „zwei“, so entstehen diese beiden aus derselben Grundlage. Zusätzlich verwenden wir einen Pfadgeist der Praxis, der analog zu eins und zwei ist, und der uns dazu befähigt, zu dieser gemeinsamen Grundlage vorzudringen. Wenn dieser Pfadgeist hinunter zu dieser Grundlage gelangt, so erfüllt er dort eine zweifache Funktion: Er wirkt als Gegenmittel, der die Ursachen in dieser Grundlage beseitigt, die bislang Nummer eins (also die Basis) hervorbrachten. Mit anderen Worten, er zerstört die Fähigkeit der Basis, Nummer eins, jemals nochmals etwas hervorzubringen, was sie normalerweise stets gemacht hat. Gleichzeitig hierzu wirkt der Pfadgeist als Ursache dafür, dass die Grundlage stattdessen Nummer zwei erzeugt.
Die Basis, Nummer eins, ist Tod, Bardo und Wiedergeburt. Das Resultat, Nummer zwei, ist der allwissende Geist eines Buddha und die zwei unterschiedlich subtilen erleuchtenden physischen Körper eines Buddha. Das allwissende Bewusstsein eines Buddha wird als Dharmakaya bezeichnet, also als ein „alles umfassender Körper“. Die zahllosen physischen Formen, in denen ein Buddha erscheint sind von zwei Arten: Sambhogakaya und Nirmanakaya.
Sambhogakaya, der subtilere dieser beiden, ist ein „Körper, der vollständigen Gebrauch macht“ – spezifisch, ein Netzwerk von physischen Formen, das vollständigen Gebrauch von den Mahayana-Lehren macht.
-
Nach der Darstellung in den Sutren sind dies subtile erleuchtende Formen, die immer über den vollständigen Satz von Haupt- und Nebenmerkmalen eines Buddha verfügen, stets das Mahayana lehren, auch immer ausschließlich zu einer Zuhörerschaft von Bodhisattva-Aryas, durchwegs in reinen Ländern der Buddhafelder, sowie immer bis zum Ende der letzten samsarischen Existenz leben.
-
Nach dem allgemeinen Anuttarayoga-Tantra ist der Sambhogakaya ein Körper der erleuchtenden Sprache eines Buddha, die in einem gewissen Sinn auch ein Körper der subtilen physischen Formen ist, nämlich der Form der Klänge, mit denen sich ein Buddha ausdrückt.
Die gröbere Form dieser beiden ist ein Nirmanakaya, ein Ausstrahlungskörper. Diese Ausstrahlungskörper umfassen Emanationen des Sambhogakaya in gröberen erleuchtenden Formen, sodass gewöhnliche Personen mit dem Karma ihnen zu begegnen, in der Lage sind, Unterweisungen von ihnen zu erhalten.
Die Grundlage, die sowohl die Basis, Nummer eins, wie auch das Resultat, Nummer zwei, hervorbringt, ist der subtilste Geist des klaren Lichts und der subtilste Energie-Wind, der damit untrennbar verbunden ist. Diese Grundlage ist ein individuelles, immerwährendes Kontinuum ohne Anfang und ohne Ende.
Basis und Resultat sind im folgenden Sinn analog zueinander: der Tod tritt ein, wenn alle gröberen Ebenen von Geist und Energie-Winden sich in diese Grundlage auflösen. Das Bardo ereignet sich, wenn sich das geistige Kontinuum fortsetzt, aber jetzt aus dieser Grundlage eine subtile Form manifestiert, die nur spezifische Wesen mit außersinnlicher Wahrnehmungsgabe sehen können. Mit der Wiedergeburt schließlich nimmt das geistige Kontinuum eine noch gröbere Form an, die auch für gewöhnliche Wesen sichtbar ist.
Gleichermaßen lösen sich mit der Erlangung eines Dharmakaya auch alle gröberen Ebenen von Geist und Energie-Winden in diese Grundlage auf, die subtilste Ebene von Geist und Energie-Wind. Sambhogakaya ist eine subtile Manifestation eines „Körpers der Formen“, die aus dieser Grundlage heraus entstehen, und ein Nirmanakaya ein „Körpers gröberer Emanationen“ dieser subtilen Formen.
Im Falle von Bardo und Wiedergeburt treten jedoch die gröberen „verunreinigten“ Ebenen von Geist und Energie-Winden aus dieser subtilsten Ebene hervor und bilden den Geist und die physischen Körper dieser zwei samsarischen Zustände. Im Kontrast dazu befinden sich die erleuchtenden physischen Erscheinungen von Sambhogakaya und Nirmanakaya immer noch auf dieser subtilsten Ebene von Geist und Energie-Wind, ebenso wie auch der Dharmakaya. Die Strukturen, wie diese Erfahrungen des Trios Nummer eins und des Trios Nummer zwei zustande kommen, sind jedoch dieselben: Die Struktur besteht darin, dass unser Geisteskontinuum hinunter auf die subtilste Grundlage geht und sich dann in einer subtilen und gröberen Form manifestiert.
Der Pfadgeist, den wir für die Reinigung der Grundlage in dem Sinne verwenden, dass wir die Grundlage dazu bringen, die Hervorbringung von Nummer eins zu beenden und dafür Nummer zwei an seiner statt zu erzeugen, folgt ebenso derselben Struktur. Es werden auch Praktiken benutzt, die das Geisteskontinuum hinunter auf die subtilste Grundlage bringen und dann daraus eine subtile und gröbere Form manifestiert. Dieser Pfadgeist benötigt zwei Stufen der Praxis: zuerst die Erzeugungsstufe, dann die Vollendungsstufe.
-
Mit der Praxis der Erzeugungsstufen arbeiten wir auf begrifflicher Ebene, und zwar mit unseren Vorstellungen. Wir stellen uns dabei vor, dass die gröberen Ebenen von Bewusstsein und Energie-Winden sich auflösen und wir auf die subtilste Ebene des klaren Lichts zugreifen. Des weiteren stellen wir uns dann vor, dass wir von neuem als eine subtile Form entstehen, beispielsweise in Form einer Keimsilbe, und schließlich erstehen wir in gröberer Form, in Form einer Buddha-Gestalt, eines Yidam.
-
Mit der Praxis der Vollendungsstufe arbeiten wir mit dem subtilsten Energiesystem, sodass wir die gröberen Ebenen von Geist und Energie-Wind tatsächlich auflösen und auch real auf die subtilste Grundlage des klaren Lichts zugreifen. Wir erzeugen dann aus dieser Grundlage heraus die subtilen Formen, die in einigen Anuttarayoga-Systemen als „Illusionskörper“ bezeichnet werden. Aus diesen wiederum erzeugen wir gröbere Formen, die man „Emanationskörper des Pfades“ nennt.
Die Erzeugungsstufenpraxis schafft die (notwendigen) Ursachen dafür, dass wir in der Lage sind, die Methoden der Vollendungsstufe erfolgreich anzuwenden. Diese Methoden der Vollendungsstufe wiederum sind die tatsächlich herbeiführenden Ursachen zur Verwirklichung der resultierenden drei erleuchtenden Körper eines Buddha – unserer Nummer zwei. Darüber hinaus werden beide Praktiken mit einem Bewusstsein ausgeführt, dass sowohl eine gültige Erkenntnis der Leerheit besitzt, wie auch eine mühelos hervorgebrachte Bodhichitta-Motivation.
Zusammenfassung
Im folgenden wollen wir alles bisher gesagte anhand eines Beispiels zusammenfassen und noch ein paar Details hinzufügen. Auch wenn nicht alles in unserem Beispiel völlig korrekt sein mag, so ist es vielleicht dennoch hilfreich für das Verständnis, wie die Reinigungsmethoden im Annuttarayoga-Tantra funktionieren.
Stellen wir uns ein Haus mit zwei Räumen vor, Raum eins und Raum zwei. Diese beiden Räume haben einen gemeinsamen Keller. Raum eins ist eine Gefängniszelle, Raum zwei ein Palastraum eines Buddha. Jeder dieser Räume ist mit dem Keller über einen eigenen Aufzug verbunden. Die Stromversorgung für beide Aufzüge kommt aus dem Keller, aber im Moment ist sie ausschließlich an Aufzug eins angeschlossen, dem Aufzug zur Gefängniszelle. Aus diesem Grund funktioniert nur Aufzug eins – Aufzug zwei ist außer Betrieb. Wir sind Gefangene in der Zelle ( – zusammen mit vielen Mitgefangenen in jeweils einzelnen Zellen und mit eigenen Aufzügen). Alle hundert Jahre steigen wir in den Aufzug zum Kellergeschoß, wo wir neu eingekleidet werden und dann wieder in unsere Zelle hinauffahren. So ist der gewöhnliche Ablauf in diesem Gefängnis.
Unsere Zielsetzung ist es nun, das elektrische System des Hauses so zu sabotieren, dass wir die Stromversorgung zu Aufzug eins kappen und stattdessen Aufzug zwei damit versorgen. Wenn wir unsere Mission erfolgreich durchführen, so wird der Aufzug zu Raum eins außer Betrieb gesetzt und der Aufzug zu Raum zwei in Gang kommen. Wir können ihn dann benutzen, um in die Palastraum zu gelangen und dort zu leben. Um unsere Mission erfolgreich durchführen zu können, müssen wir ins Kellergeschoß gelangen. Obwohl wir alle hundert Jahre auf normalem Wege dorthin geführt werden, können wir nicht solange warten. Unser Elend im Gefängnis ist entsetzlich, aber noch weitaus unerträglicher ist das Leiden der zahllosen anderen Gefangenen, die jeweils in ihren eigenen Zellen eingesperrt sind.
Um von unserer Gefängniszelle aus ins Kellergeschoss hinein einzubrechen, müssen wir den Gebräuchen der beiden Räume des Hauses folgen: Wir müssen mithilfe des Aufzuges dorthin gelangen. Um das tun zu können und an den Wachen vorbeizukommen, benötigen wir eine uns tarnende Verkleidung. Jemand aus der Palastraum des Hauses kommt uns zu Hilfe. Unser Helfer kommt uns besuchen, gibt uns heimlich eine Palastuniform und erklärt uns, wie wir eigenständig zum Kellergeschoss gelangen können: wenn wir vorgeben, jemand aus dem Palastraum zu sein, können wir die Wachen täuschen, den Aufzug in unserer Zelle betätigen und den Keller erreichen.
Wir folgen also diesen Instruktionen. Zunächst üben wir in unserer Vorstellung, wie wir in den Keller gelangen, unsere geheime Operation durchführen, die elektrische Versorgung vertauschen und dann mit dem Aufzug zwei in den Palastraum hinauffahren können. Wenn wir in der Lage sind, uns jeden Handgriff dieser ganzen Operation perfekt im Geist vorzustellen und wenn wir uns ausreichend darin geübt haben, sind wir in der Lage, uns dann tatsächlich Zutritt zum Aufzug in unserer Zelle zu verschaffen und ihn dafür zu benutzen, Richtung Keller zu fahren. Nach vielen Versuchen, den Aufzug bis ganz hinunter zu bringen, bevor er wieder umkehrt, gelingt es uns schließlich, tatsächlich bis ganz zum Kellergeschoss zu kommen. Dort trennen wir die Stromzufuhr des Aufzugs zur Gefängniszelle und schließen sie an den Aufzug zum Palastraum an. Haben wir das bewerkstelligt, so nehmen wir Aufzug zwei bis hinauf in den Palastraum und verhelfen von dort aus allen anderen Gefangenen zur Flucht.
In dieser ausführlicheren Analogie, ist die Gefängniszelle das Samsara. Das Kellergeschoss ist die subtilste Ebene unseres Geisteskontinuum – unser Geist des klaren Lichtes und der subtilste Energie-Wind. Die Wachen sind unsere emotionalen und kognitiven Schleier. Den Aufzug von der Gefängniszelle hinunter zum Keller zu nehmen geschieht mit dem Tod. Im Aufzug dann wieder zurück zur Zelle zu fahren beschreibt die Bardo-Existenz und dann wieder zurück in die Gefängniszelle zukommen, beschreibt die Wiedergeburt.
Der Palastraum ist der erleuchtende Zustand eines Buddha. Wenn wir den Aufzug zum Palast bestiegen haben und er sich noch im Kellergeschoss befindet, dann entspricht das dem Dharmakaya. Im Aufzug auf dem Weg zum Palastraum zu sein, dem Sambhogakaya und im Palastraum selbst zu sein, dem Nirmanakaya. Dieser Teil der Analogie ist nicht exakt, da Dharmakaya, Sambhogakaya und Nirmanakaya in Wirklichkeit gleichzeitig stattfinden, nicht nacheinander. Was aber analog ist, ist dass die Erscheinungen der drei erleuchtenden Körper eines Buddha drei Ebenen von Subtilität besitzen.
Der Besucher, der uns im Palastraum aufsucht, ist unser tantrischer Meister. Die Übergabe des Tarngewandes ist das Erteilen einer tantrischen Ermächtigung. Die Tarnkleidung ist die einer Buddha-Gestalt. Die Verkleidung anzuziehen und die Operation in unserer Vorstellung durchzugehen entspricht der Vorstellungsstufen, während der wir uns in dieser Buddha-Gestalt visualisieren. Den Aufzug dann tatsächlich zu nehmen, und nach und nach dazu in der Lage zu sein, bis hinab zum Kellergeschoss zu gelangen, während wir unsere Verkleidung tragen, entspricht der Praxis der Vollendungsstufe.
Die Stromversorgung zum Aufzug unserer Gefängniszelle wird von unserem Greifen nach wahrhaft erwiesener Existenz aufrecht erhalten. Was die Stromversorgung zum Aufzug unserer Gefängniszelle trennt und den Strom dann umleitet, sodass der Strom stattdessen zum Aufzug zum Palastraum führt, ist die unbegriffliche Wahrnehmung der Leerheit. Dass wir schließlich zum Palastraum eines Buddha gelangen, entspricht dem Erlangen der Erleuchtung.
Dies ist die Vorgehensweise, die wir im Anuttarayoga-Tantra verwenden, um uns davon zu reinigen, die wahren Leiden von sich unkontrollierbar wiederholendem Tod, Bardo und Wiedergeburt zu erfahren.