Andere wertzuschätzen gibt dem Leben eine Bedeutung

Einleitung

In unserem Wochenendseminar werden wir uns mit der Zuflucht befassen. In allen buddhistischen Texten können wir sehen, dass die Zuflucht stets als der grundlegendste Aspekt des buddhistischen Pfades beschrieben wird. Und im Grunde ist sie das Eingangstor zum Buddhismus. Die Zuflucht definiert eine Art Wendepunkt: Interessieren wir uns nur für den Buddhismus und stöbern ein wenig darin herum oder verpflichten wir uns dem buddhistischen Pfad? Jede buddhistische Praxis beginnt damit, die Zuflucht erneut zu bekräftigen und daher muss sie eine Bedeutung haben.

Die Zuflucht ist viel mehr, als nur zu sagen: „Ich nehme Zuflucht in Buddha, Dharma und Sangha.“ Sie repräsentiert etwas so Grundlegendes in uns, das eine große Änderung in unserem Leben bewirkt. Aus diesem Grund ist es wirklich wichtig zu verstehen, was es heißt, täglich Zuflucht zu nehmen. 

In diesem Seminar würde ich gerne eine Reihe von Kontemplationen durchgehen, in denen wir den Blick nach innen richten und versuchen zu verstehen, was die Zuflucht tatsächlich für unser persönliches Leben bedeuten könnte. Das heißt, dass wir uns mit einer ganzen Anzahl von Punkten befassen werden und bei jedem werden wir für einige Minuten innehalten, um tatsächlich darüber nachzudenken und darauf einzugehen. Das gilt übrigens für alles im Buddhismus: Wir sollten uns Zeit nehmen und überlegen, ob es für uns einen Sinn ergibt und irgendeine Bedeutung hat. Denn wenn es keinen Sinn ergibt, warum sollten wir dann dort weitermachen? 

Die Weise, wie wir an uns arbeiten, muss schrittweise erfolgen, und wenn der erste Schritt ziemlich unsicher oder wackelig ist, werden wir mit allen darauf folgenden Schritten keinen festen Halt haben – und die Zuflucht ist der grundlegendste Teil des gesamten Pfades.

Über die Bedeutung nachdenken

Als erstes möchte ich, dass wir untersuchen, ob unser Leben eine Bedeutung hat. Wir gehen also in uns und fragen uns: „Hat mein Leben irgendeine Bedeutung? Wo führt es hin? Was mache ich aus meinem Leben?“ Können wir in unserem Leben keine wirkliche Bedeutung oder keinen rechten Sinn finden, müssen wir uns fragen: „Ist es möglich, einen Sinn im Leben zu finden?“ Um diese fundamentale Frage geht es bei der Zuflucht. Nehmt euch also einige Minuten Zeit, um darüber nachzudenken und dies für euch selbst zu untersuchen. „Hat mein Leben einen Sinn? Was mache ich aus meinem Leben und erfüllt es mich?“

[Meditation] 

Sich selbst auf diese Weise zu untersuchen ist ziemlich ernüchternd, wie wir vielleicht gerade erfahren haben. Die Fragen sind nicht gerade angenehm und nicht etwas, wonach wir für gewöhnlich in uns suchen. Beginnen wir erst einmal, etwas tiefer zu schauen, so sind dies ausgesprochen wichtige Fragen. Oft entdecken wir, dass wir mit der Weise, wie unser Leben verläuft, ganz grundsätzlich unzufrieden sind. Es scheint keinen wirklichen Sinn und keine klare Richtung zu geben. Und natürlich verlieren wir an Selbstwertgefühl, wenn wir merken, dass unser Leben in keine bedeutende Richtung geht. Unsere Einstellung ist dann, dass es ja eigentlich egal ist, und so neigen wir dazu, eine Richtung einzuschlagen, die uns von den Medien oder der Werbung angeboten wird und der die Massen folgen. Wir machen einfach mit, verdienen viel Geld, versuchen eine hohe Position zu ergattern oder einen tollen Partner zu finden, mit dem wir dann leben. Aber irgendwie erfüllt uns nichts von alledem. 

Es muss doch im Leben mehr geben, als beispielsweise einfach nur viel Geld zu verdienen. Es gibt jede Menge sehr reicher Leute, die trotz all ihrem Geld vollkommen unglücklich sind. Seine Heiligkeit der Dalai Lama spricht immer davon, dass das Ziel des Lebens darin besteht, glücklich zu werden. Wir müssen also herausfinden, was uns dauerhaftes Glück beschert. Dabei ist es notwendig, Glücklichsein von Vergnügen oder Spaß zu unterscheiden. Wird es uns wirklich zufriedenstellen, ständig nur nach Vergnügen und Spaß zu trachten, noch einen schönen Film zu finden, den wir uns ansehen, oder noch ein Lied, das wir uns anhören könnten? Glück bedeutet nicht wirklich Vergnügen, Spaß oder Unterhaltung. 

Über Glück nachdenken

Glück ist ein Geisteszustand, von dem wir uns nicht mehr trennen wollen, wenn wir ihn erfahren. Am liebsten wäre es uns, wenn es immer so weitergehen würde. Dieser Zustand ist nicht abhängig von irgendeinem Sinnesobjekt, das wir erfahren. Wir könnten zu einer Veranstaltung gehen und glücklich oder aber vollkommen unglücklich sein; das Glück hängt also nicht von der Veranstaltung selbst ab, nicht wahr? So gibt es zum Beispiel auch Dinge, die manche Menschen tun und bei denen sie viel Spaß haben, die wir jedoch völlig albern finden. 

Wenn wir nach einem Gefühl des Glücklichseins suchen, dann geht es uns um etwas, das viel fundamentaler und beständiger ist, und bei dem wir hoffen, jederzeit darüber verfügen zu können. Auf einer wirklich grundlegenden Ebene ist dieses Glücklichsein auf ein Gefühl der Verbundenheit zurückzuführen – eine Verbundenheit mit anderen, denn schließlich sind wir soziale Wesen. Fühlen wir diese tiefe Verbindung zu anderen, gibt uns das ein Gefühl von Selbstwert und Bedeutung. Denkt bitte darüber nach und versucht, einen Unterschied darin zu sehen, glücklich zu sein oder nur Vergnügen und Spaß zu haben. 

[Meditation] 

Hier versuchen wir Folgendes miteinander zu vergleichen: das Gefühl, das wir haben, wenn wir auf eine Party gehen, uns einen schönen Film ansehen oder ein schönes Lied hören – und das Gefühl, das wir haben, wenn wir eine enge Verbundenheit mit jemandem oder mit anderen spüren. Welches von beiden ist zufriedenstellender? Welches Gefühl dauert länger an und welches Gefühl gibt uns mehr Kraft, um mit unserem Leben zurechtzukommen? Der Unterschied ist doch recht groß, ob wir nur einen schönen Film sehen, ein tolles Lied hören oder eine Verbundenheit zu einem geliebten Menschen spüren, nicht wahr? 

Was ist das Gegenteil dieses Gefühls der Verbundenheit mit anderen? Es ist die Selbstbezogenheit, mit der wir nur an uns selbst denken. Sie drückt sich so aus, dass wir ziemlich engstirnig werden und uns von anderen absondern. Das führt dann dazu, sich allein und isoliert zu fühlen, und das ist ein ziemlich unglücklicher Geisteszustand. Je mehr wir an an uns selbst denken, desto mehr sind wir in unseren eigenen Sorgen gefangen. Ist unser Herz hingegen offen gegenüber anderen, macht uns das glücklicher. 

Das allgemeine Ziel ist natürlich, nicht nur uns selbst sondern andere glücklich zu machen und das füllt dann auch unser Herz mit einem Gefühl des Glücklichseins. Es ist eine Art Nebeneffekt. Haben wir beispielsweise ein kleines Kind und geben ihm etwas, das es wirklich mag, freuen auch wir uns darüber. Oder wenn wir etwas Schönes für jemanden tun, gibt das auch uns ein gutes Gefühl. 

Dieses Gefühl entsteht durch eine Art Fürsorge für andere, durch ein Gefühl des Glücklichseins. Sich um andere zu kümmern, nette Dinge zu tun, etwas für jemanden zu kochen oder auch nur jemandem ein Lächeln zu schenken gibt uns ein gutes Gefühl. Machen wir jemanden durch eine kleine Sache glücklich, auch wenn es nur ein paar Münzen sind, die wir einem Bettler auf der Straße geben, gibt uns das ein Selbstwertgefühl. Wir bewirken etwas in dem Leben einer Person, auch wenn es sich nur um eine kleine Sache handelt. Diese kleinen freundschaftlichen Gesten tragen dazu bei, Fürsorge für andere zu entwickeln, Freundschaften aufzubauen und eine Art der Verbundenheit zu schaffen. 

Über Verbundenheit nachdenken

Dieses Gefühl der Verbundenheit zu haben, das Selbstwertgefühl etwas für jemanden tun zu können, auch wenn es etwas ganz Kleines ist, verleiht uns emotionalen Halt, durch den wir uns besser fühlen. Es wird eine ganz grundlegende Ebene des Glücklichseins geschaffen – nichts Dramatisches, sondern etwas sehr Beständiges. Ich glaube, mit „emotionalem Halt“ kann man es ziemlich gut beschreiben. Darüber können wir nachdenken. Ergibt das, logisch betrachtet und aus der Sichtweise unserer eigenen Erfahrung einen Sinn? Wenn es einen Sinn ergibt, fragen wir uns, ob es etwas ist, was wir wollen. Wenn ja, schulen wir uns darin – was wir in der Meditation tun – und schaffen damit eine neue Denkweise; nämlich dass diese grundlegende Verbundenheit mit anderen durch unsere Fürsorge ihnen gegenüber wirklich nützlich und sinnvoll ist.

Kleine Freundschaftsdienste führen zu freundschaftlichen Beziehungen und Freundschaft führt zu emotionalem Halt. Selbstsüchtig gegenüber anderen zu sein, isoliert uns von ihnen; sie wollen dann nichts mit uns zu tun haben und so bleiben wir völlig allein. Führt euch bitte diesen Kontrast vor Augen und fragt euch, ob diese Bemühung lohnenswert ist und ob dieses Gefühl des Haltes etwas ist, das wir gern haben würden. Und wenn wir über dieses Gefühl bereits in gewissem Maße verfügen, würden wir es dann gern weiterentwickeln?

Ich denke es ist recht interessant, dieses ganze Facebook-Phänomen zu untersuchen. Ich weiß nicht, wie viele von euch auf Facebook sind, aber ich bin mir sicher, dass wir alle viele Leute kennen, die dieses Portal nutzen. Das eigentliche Phänomen, um das es dort geht, ist das Posten von Dingen und das Warten darauf, wie viele „Likes“ man bekommt. Was steckt dahinter? Warum warten wir auf diese „Likes“? 

Ich nehme an, wir hoffen eine Beziehung zu anderen aufzubauen. Das ist die ganze Idee von sozialen Medien, nicht wahr? Wenn wir jedoch ein Bild von einer Katze oder etwas Ähnliches auf Facebook posten und dann auf „Likes“ warten, wer wird dann unserer Meinung nach von diesem „Like“ einen Nutzen ziehen? Sind wir es oder die anderen? Warum kümmern wir uns überhaupt darum, wie viele „Likes“ wir bekommen? Wenn wir dann nicht so viele bekommen, sind wir wirklich enttäuscht; es macht uns unglücklich. Außerdem ist da diese Sorge, mit der wir alle paar Minuten auf unserem Handy nachsehen, ob wir schon mehr „Likes“ bekommen haben. Auf diese Weise bauen wir keine Beziehungen zu anderen Menschen auf, denn das eigentliche Anliegen besteht darin, wie viele Leute uns wegen diesem Bild von unserer Katze mögen. Geht es uns dabei wirklich darum, etwas zu tun, was sie glücklich macht? 

[Meditation] 

Das ist ein interessanter Gedanke, mit dem wir analysieren, warum wir diese Dinge posten. Ich denke das zeigt, dass hinter diesem Verhalten ein starker Drang steckt, mit anderen verbunden zu sein, und aus diesem Grund sind wir in den sozialen Medien unterwegs. Irgendwie funktioniert es jedoch nicht, uns wirklich auf zufriedenstellende Weise mit anderen zu verbinden, da es uns im Grunde darum geht, wie viele Menschen uns mögen. 

Weil wir egozentrisch sind und nur an uns denken, laufen wir Gefahr keine richtige Beziehung zu anderen aufbauen zu können. Denkt einen Moment darüber nach, besonders wenn ihr diese Erfahrung auf Facebook oder anderen sozialen Medien gemacht habt. Mit welcher Motivation benutzt ihr sie? Wie erfolgreich seid ihr, diese Motivation der Verbundenheit mit anderen zu erfüllen? Wenn es nicht funktioniert, warum ist das so? Warum sind wir besorgt darüber, wie viele „Likes“ wir bekommen? Warum sehen wir alle fünf Minuten auf unsere Smartphones?

Suchen wir wirklich nach einem Gefühl der Verbundenheit mit anderen – einer wahren Verbindung und nicht nur nach etwas Unbefriedigendem – sowie nach einem emotionalen Halt und Glück, stellt sich die Frage, wie wir dies erlangen können. Es ist notwendig, unseren Geist und unser Herz zu öffnen, an andere zu denken und uns wirklich um ihr Glück und Wohlergehen zu sorgen, anstatt nur darum, ob sie uns mögen. Um dies zu tun, müssen wir an uns selbst arbeiten und unsere Selbstbezogenheit und Selbstsucht überwinden. Das Schwierige ist, einen Weg zu finden, nicht auf selbstbezogene Weise an unserer Selbstbezogenheit zu arbeiten. 

Es kann so einengend sein zu denken: „Ich bin so schlecht, ich muss an mir selbst arbeiten, weil ich so selbstsüchtig bin“ und so weiter, aber trotz allem öffnen wir uns überhaupt nicht. Daran müssen wir arbeiten: eine grundlegende Offenheit gegenüber anderen zu entwickeln. Auf einer ganz wesentlichen Ebene ist das die Art der Richtung, die in unserem Leben am nützlichsten wäre. Sie würde unserem Leben einen Sinn geben. Daran zu arbeiten, offener gegenüber anderen zu sein und die durch unsere Beschäftigung mit dem „Ich“ selbst verschuldete Isolation zu überwinden, würde unserem Leben einen Sinn geben, sowie emotionalen Halt und ein grundlegendes Gefühl des Glücklichseins. Das ist es, worum es im Wesentlichen bei der Zuflucht geht – unserem Leben eine sichere und positive Ausrichtung zu geben, und unser Leben grundsätzlich glücklicher und sinnvoller zu machen, indem wir anderen von Nutzen sind, an uns selbst arbeiten und versuchen, dies umzusetzen.

Die Buddhas und großen Meister haben herausgefunden und uns gelehrt, wie man dies umsetzen kann – sie haben den Weg beruhend auf dem Verständnis gezeigt, dass diese Verbundenheit etwas ist, das wir selbst erreichen können und wozu wir auch in der Lage sind – es ist nichts Unmögliches. Es zu erreichen erfordert lediglich eine starke Motivation, die uns die Energie verleiht, an uns selbst zu arbeiten und tatsächlich geeigneten Methoden zu folgen. Denkt einmal darüber nach.

[Meditation] 

Über die Zuflucht nachdenken 

Zuflucht heißt im Wesentlichen in eine Richtung zu gehen, die uns hilft, Schwierigkeiten zu vermeiden. Aus diesem Grund hat sie so eine fundamentale Rolle im Buddhismus. Anstatt unser Leben ins Nirgendwo oder in eine negative Richtung zu lenken, arbeiten wir daran, ihm eine positive Richtung zu verleihen. Das gibt unserem Leben dann eine Bedeutung und einen Sinn. Je mehr wir daran arbeiten, in diese Richtung zu gehen, desto verbundener werden wir uns mit anderen fühlen; die Zuflucht gibt uns emotionalen Halt durch jene, die den Pfad vor uns gegangen sind, sowie durch die Verbundenheit mit anderen. Ohne diesen Halt würde in all den fortgeschritten Praktiken, denen wir uns zuwenden, etwas fehlen. Die Zuflucht verleiht uns Kraft, eine Basis und Stabilität auf dem gesamten buddhistischen Pfad. Denkt bitte darüber nach.

[Meditation] 

Betrachten wir die Zuflucht eingehender, könnten wir natürlich einen Blick auf die 32 wichtigsten Zeichen des Körpers eines Buddhas werfen, sowie auf die 64 Qualitäten der Rede und die umfangreiche Liste der Eigenschaften des Geistes eines Buddhas. Wir könnten all die Eigenschaften des Dharma und die Qualitäten der Sangha lernen und ständig rezitieren: „Ich nehme Zuflucht in Buddha, Dharma und Sangha“, während wir zur gleichen Zeit eine Million Niederwerfungen machen. Am Ende würde es jedoch keinen bedeutenden Unterschied in unserem Leben machen. Natürlich hätte es eine Auswirkung – zumindest was die Disziplin angeht –, aber ohne die grundlegende Idee der Zuflucht zu verstehen, und was sie unserem Leben gibt, ist es schwer, ihre Bedeutung zu erkennen. Letztendlich scheint alles irgendwie irrelevant zu sein.

Verstehen wir jedoch, worum es bei der Zuflucht geht – den Sinn, die Funktion und den Nutzen – werden wir in der Lage sein, all die Qualitäten eines Buddhas mit ganz anderen Augen zu sehen. Worum handelt es sich beispielsweise bei diesen 32 großen und 80 kleineren Merkmalen eines Buddhas? Streben wir wirklich an, Ohrläppchen zu haben, die bis hinab zu unseren Schultern reichen? Wird das unserem Leben einen Sinn und eine Bedeutung geben? Nein, nicht wirklich. Natürlich könnten wir eine Scheibe in unser Ohr stecken und es bis zu den Schultern ausdehnen, aber was damit? Wir beginnen zu erkennen, dass das Bild eines Buddhas im Grunde infografisch ist.

Eine Infografik ist eine Art bildliche Darstellung, in der man von all den verschiedenen Merkmalen eine Information bekommt. Studieren wir diese unterschiedlichen Merkmale, die körperlichen Merkmale eines Buddhas, so hat jedes von ihnen eine Ursache. Sie werden sogar als hinweisende Merkmale bezeichnet, was eine wörtliche Übersetzung ist, da sie einen Hinweis auf ihre Ursache liefern. Anstatt uns darauf zu konzentrieren, wie lang die Ohren des Buddhas sind, geht es uns darum, worauf es sich bezieht; es ist also eine Darstellung der Ursache dafür. Was musste der Buddha tun, um Buddha zu werden? Diese langen Ohrläppchen sind also lediglich eine infografische Darstellung in Bezug darauf.

Auch tantrische Gottheiten sind Infografiken. Sechs Arme repräsentieren die sechs Paramitas und die vier Arme von Chenrezig die vier unermesslichen Geisteshaltungen. Sie alle sind infografische Darstellungen. Wir richten uns auf die Infografik, um uns an all die Dinge zu erinnern, die sie repräsentiert. Beim Buddha geht es im Wesentlichen darum, sich darauf zu fokussieren, was die Ursachen dafür sind, so zu werden. Diese 32 und 80 Merkmale repräsentieren eine umfangreiche Liste von Dingen, die ein Buddha oder jemand tut, um diese Verbundenheit mit anderen zu spüren, um Selbstbezogenheit zu überwinden und andere glücklich zu machen. Es ist eine beachtliche Liste all der Möglichkeiten, dies zu tun, was dann darin resultiert, Buddhaschaft zu erlangen. Im Wesentlichen wird dadurch die Richtung angezeigt, in die wir gehen wollen.

Dann beginnen wir eine Wertschätzung dafür zu haben, wie ausgefeilt der Buddhismus ist, dass er vor zweieinhalbtausend Jahren Infografiken entwickelt hat.

All diese Details in Bezug auf die Zuflucht können wir lernen und studieren; wir können uns die Listen zu eigen machen. Sie ergeben jedoch nur einen Sinn, wenn wir verstehen, worum es bei der Zuflucht eigentlich geht, was sie bezweckt, wie sie funktioniert und was sie in unserem Leben bewirkt.

Nehmt euch einen Moment Zeit, dies einwirken zu lassen und dann können wir uns den Fragen zuwenden. Morgen werden wir einen Blick auf die Dinge werfen, die uns davon abhalten, in diese Richtung zu gehen, und woran wir arbeiten müssen. Denn wenn wir verstehen, was uns davon abhält diese Richtung in unserem Leben einzuschlagen, können wir die Motivation entwickeln dies zu überwinden und schließlich die Vorteile dieser Ausrichtung nutzen.

Die Motivation geht in beide Richtungen: „Dies hält mich davon ab, diese Verbundenheit zu spüren und glücklich im Leben zu werden“ und „das möchte ich erreichen. Ich will dies vermeiden und das erreichen.“ Dann gibt es eine Liste der notwendigen Emotionen, wie Furcht, Vertrauen und Mitgefühl, um diese Richtung in unserem Leben einzuschlagen. Die Zuflucht muss eine Bedeutung haben. Wir sollten nicht einfach nur denken: „Ich habe Angst in die Hölle zu kommen. Lieber Buddha, bitte rette mich.“  Dies alles ist ausgesprochen ausgefeilt und wirklich praktisch. Ob wir nun an andere Leben und zukünftige Wiedergeburten glauben, spielt keine Rolle. Die Zuflucht ist überaus hilfreich. Wir sollten in unserem Studium des Buddhismus stets tiefer gehen und uns fragen: „Wie kann ich all das tatsächlich im Leben, in meinem täglichen Leben, anwenden?“ Entdecken wir diese Bedeutung, sind wir mit ganzem Herzen dabei. Ansonsten ist es lediglich ein Hobby, dem wir nur aus Spaß oder zur Abwechslung nachgehen. Wir denken: „Oh, wie interessant“, und das war es dann, oder vielleicht: „wie langweilig“ und geben es auf. Lasst dies für einen Augenblick einwirken. Das war im Wesentlichen eine Vorschau darauf, wohin wir in diesem Wochenendseminar gehen werden. Ich werde euch keine Listen vorlegen, denn die könnt ihr auf meiner Webseite oder anderswo nachschlagen.

[Meditation] 

Fragen 

Sie haben den Grund für die Zufluchtnahme von der Sichtweise der Person mit der höchsten Kapazität oder Fähigkeit beschrieben. Im ersten Band des Lam-rim wird sie für die Person mit der niedrigsten Ebene oder der mittleren Ebene der Motivation als Furcht dargelegt. Im ersten Fall als Furcht davor, keine bessere Wiedergeburt zu bekommen und im zweiten Fall als Furcht vor Samsara. Bedeutet dies also, dass diese Zwei weniger wichtig oder bedeutsam sind, als die Letzte?

Nein, all diese Ebenen der Motivation sind von Bedeutung. Im Laufe des Wochenendes werden wir darauf eingehen, was Furcht wirklich bedeutet, aber sie alle sind notwendig. Mitgefühl liegt dem gesamten buddhistischen Pfad zugrunde, also allen Ebenen der Motivation, des Mitgefühls und dem Wunsch glücklich zu sein. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, wollen wir auf der anfänglichen Ebene störendes Verhalten vermeiden, weil es zu schlechteren Wiedergeburten führt, und das heißt Abstand davon zu nehmen andere zu verletzen und sich somit um andere zu sorgen.

Auf der mittleren Ebene wollen wir unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburten, also Samsara, überwinden. Das wird durch unsere störenden Emotionen, wie Wut, Anhaftung und so weiter, verhindert. Um andere durch unseren Ärger oder unsere Anhaftung nicht zu verletzen, arbeiten wir daran, diese Emotionen zu überwinden. Manchmal empfinden wir Wut gegenüber anderen oder sehnsüchtiges Verlangen. Betrachten wir den Theravada-Pfad, der im Grunde diese mittlere Ebene ist, so wird dort besonders viel Wert auf die vier Unermesslichen gelegt: Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut, um unsere störenden Emotionen zu überwinden. Auf der fortgeschrittenen Ebene geht es ganz klar um liebevolles Mitgefühl gegenüber anderen und um die Fähigkeit, ihnen nützen zu können. Auf den ersten beiden Ebenen wollen wir vermeiden, andere durch unsere Handlungen der Wut zu verletzen und auf der dritten Ebene wollen wir ihnen tatsächlich helfen. Mitgefühl ist also auf dem gesamten Pfad zu finden und ich meine, es ist wirklich wichtig das hervorzuheben.

Als es darum ging, diese Verbundenheit mit anderen zu entwickeln, sagten Sie, dass wir auf diesem Weg Gefühle wie Furcht und Mitgefühl haben werden. Ist es möglich, gleichzeitig Mitgefühl und Furcht zu erfahren?

Ja, aber darüber werden wir an diesem Wochenende noch reden. Momentan kann ich sagen, dass es drei grundlegende Gründe für uns gibt, diese Richtung in unserem Leben einzuschlagen. Aus Angst, jedoch im positiven Sinne, wollen wir vermeiden, andere zu verletzen und uns selbst dadurch unglücklich zu machen, dass wir sie verletzen, wütend auf sie werden oder sie ignorieren. Mitgefühl ist der Wunsch, andere mögen frei von Leiden sein. Wir wollen also, dass sie frei von ihren Leiden sind und wollen andere nicht verletzen – davor haben wir Angst. Das passt sehr gut zusammen. Wir sind äußerst vorsichtig, weil wir andere nicht verletzen wollen, denn wir möchten nicht, dass sie leiden. Letztlich sind wir zuversichtlich, dass es eine Möglichkeit gibt zu vermeiden, durch das Verletzen anderer ein Problem für uns selbst zu schaffen. Diese drei hängen zusammen, die drei Motivationen: Furcht, Vertrauen und Mitgefühl.

Wie ihr seht, besteht das Vertrauen, das wir haben, wenn wir tatsächlich Zuflucht in den Dharma nehmen, darin, dass die buddhistischen Lehren einen Sinn ergeben. Es handelt sich jedoch um eine Vermutung – wir nehmen an, dass die Lehren sinnvoll sind. Beginnen wir mit der Annahme, dass es sich bei manchen Lehren um völligen Unsinn handelt, ergeben sie keinen Sinn und wir werden sie nie ergründen. Wir nehmen also an, dass die sinnvoll sind und versuchen dann, die Lehren zu verstehen. Das ist eine wichtige Konsequenz der Zufluchtnahme in den Dharma.

In diesem Leben nehmen wir Zuflucht und diese Zuflucht ist etwas in unserem Geistesstrom. Werden wir uns an diese Zuflucht in unserem nächsten Leben erinnern oder eine Art Neigung oder Gefühl dafür haben, was wir dann im nächsten Leben weiterentwickeln können?

Nun, die meisten von uns wissen nicht einmal, was sie gestern getan haben, ganz zu schweigen davon, was in früheren Leben geschehen ist. Hier geht es jedoch um etwas, das man in der Medizin grundsätzlich als Neuroplastizität bezeichnet. Das Gehirn verfügt, beruhend auf bestimmten Gewohnheiten, über gewisse neuronale Pfade. Wenn beispielsweise etwas passiert und wir rechtsseitig gelähmt sind, kann unser Gehirn sich gewissermaßen neu orientieren, damit wir dann mit der linken Hand Dinge tun können, die wir vorher mit rechts getan haben. Das Gehirn ist in diesem Sinne plastisch; es kann sich verändern. Das gleiche gilt für den Geist, unsere geistige Aktivität. Neuroplastizität bezieht sich auf eine physische Ebene des Gehirns, aber wir können auch von einer erfahrungsbezogenen Ebene des Geistes sprechen. 

In ähnlicher Weise sind wir in der Lage, neue Gewohnheiten zu schaffen. Es ist alles eine Sache der Übung und im Buddhismus reden wir davon, neue Tendenzen, Potenziale und Gewohnheiten anzulegen. In zukünftigen Leben wird diese Tendenz noch immer vorhanden sein, je nachdem, wie ausgeprägt sie und alle anderen Tendenzen und karmischen Potenziale sind. In den Texten werden sie genau genommen als Zuschreibungsphänomene auf der Grundlage unseres geistigen Kontinuums bezeichnet – als Dinge, die weder Formen physischer Phänomene sind, noch Weisen, sich etwas gewahr zu sein, die gewissermaßen an eine Basis gebunden sind und getrennt von dieser Basis weder existieren noch erkannt werden können. Wir würden sie als unbewusst einstufen und es müssen bestimmte Umstände vorhanden sein, damit diese Tendenz eine erkennbare bewusste Sache hervorbringen kann. Vielleicht haben wir die Tendenz, gern Eis zu essen, aber wenn wir keinen Hunger haben oder es gerade kein Eis gibt, tritt sie nicht in Erscheinung. Sie tritt nur hervor, wenn wir gerade Appetit darauf haben. 

Werden wir als eine Kakerlake oder als ein Huhn wiedergeboren, mögen die Umstände nicht gegeben sein, damit die Tendenz, in eine positive Richtung zu gehen, hervortreten kann; aber die Tendenz ist trotzdem da. Die Umstände, wie eine weitere kostbare menschliche Wiedergeburt, müssen vorhanden sein, damit sie sich manifestieren kann. Es hängt davon ab, wie stark diese Tendenz ist. Man kann es damit vergleichen, zu versuchen, einige Male mit der anderen Hand zu schreiben. Diese Tendenz wäre dann nicht sehr stark und wir müssten wirklich viel üben. Genauso verhält es sich mit unserer Denkweise. Wir entwickeln diese nützliche Gewohnheit nicht nur, indem wir uns in unserem Meditationsraum hinsetzen und meditieren. Es ist wirklich wichtig zu erkennen, dass wir sie auch aufbauen, indem wir diese Dinge im Leben, und nicht nur passiv beim Üben, anwenden. 

Entsteht das Gefühl des Glücklichseins stets als ein Nebeneffekt, wenn wir anderen helfen, oder können wir auch Glück erlangen, wenn wir anderen unsere Hilfe auf bedachte Weise zukommen lassen? 

Beim Glücklichsein gibt es natürlich viele Ebenen. Etwas für andere zu tun, damit sie uns mögen, macht uns vielleicht ein wenig glücklich, aber es beschert uns kein anhaltendes Glück, weil wir uns nie sicher fühlen und denken: „Vielleicht mag er oder sie mich nicht wirklich.“ Es gibt viele Quellen und zahlreiche verschiedene Arten des Glücklichseins. Durch Shamatha bekommen wir zum Beispiel einen glücklichen und beflügelten Geisteszustand. Nun, das hilft niemandem wirklich weiter, wenn wir ihn nicht dafür nutzen, anderen hilfreich zu sein. Es gibt also viele verschiedene Arten des Glücks, aber worum es hier geht und wovon der Dalai Lama spricht, ist eine ganz grundlegende Ebene, die für jeden erreichbar ist. Ob wir Meditation praktizieren oder dem Buddhismus folgen – jeder hat durch die Praxis der grundlegenden menschlichen Werte der säkularen Ethik Zugang dazu. 

Das ist etwas, was wir erforschen können, wenn wir etwas tun, um anderen zu helfen. Übertreiben wir es mit unserer Hilfsbereitschaft, geben wir beispielsweise jemandem unseren Rat, obwohl ihn der andere gar nicht haben will oder braucht. Dann sagt er: „Lass mich in Ruhe, ich habe dich nicht gefragt!“ Oder wir haben eine Tochter, die schon verheiratet ist, und wir sagen ihr, wie sie ihren Haushalt zu führen hat und ihre Kinder erziehen soll − wo ist da die Quelle von Glück? 

Unsere Motivation macht uns glücklich, aber wenn wir sie dann tatsächlich umsetzen wollen, vermischt sie sich zuweilen mit einem Gefühl des Gebrauchtwerdens. Wir wollen uns hilfreich fühlen und wollen nicht unbedingt herausfinden und geben, was andere brauchen. Anfangs fühlen wir uns jedoch glücklich, dass wir etwas tun wollen, und die Ebene des Glücklichseins ist da; sie ist jedoch recht klein und gibt uns keinen emotionalen Halt. Ich muss sagen, dass dies eine der größten Gefahren ist, wenn wir versuchen einem Bodhisattva-Pfad zu folgen − häufig wollen wir in Situationen hilfreich sein, wo die Menschen unsere Hilfe gar nicht wollen. Hier benötigen wir unterscheidendes Gewahrsein und Weisheit − zu wissen, wann wir unsere Hilfe anbieten, und wann wir einfach diese Motivation haben, helfen zu wollen, aber wissen, dass wir nichts sagen müssen. Das ist jedoch äußerst schwierig. Wir bieten unsere ungewollte Hilfe an, weil wir selbstbezogen sind und ständig nur an uns denken, wie wir hilfreich sein wollen. 

Lasst uns hier enden. Ich fühle mich in dieser Hinsicht selbst schuldig; deswegen muss ich lachen. Lasst uns mit einer Widmung enden. Möge alles Verständnis und alle positive Kraft, die aus dieser Diskussion entstanden sind, sich immer weiter vertiefen und als Ursache dafür dienen, dass alle ihre Selbstbezogenheit überwinden. Im „Geistestraining in sieben Punkten“ heißt es, alle Schuld einem zu geben: der selbstbezogenen Geisteshaltung. Möge also jeder in der Lage sein, seine Selbstbezogenheit zu überwinden, sich anderen zu öffnen und dadurch eine sichere Ausrichtung im Leben finden, um schließlich Erleuchtung zum Wohle aller zu erlangen.

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