Rückblick
In unserem ersten Teil hatten wir eine grundlegende Einleitung zu dem Thema. Wir haben gesehen, dass es im Buddhismus bei der Zuflucht nicht um einen passiven Akt geht, mit dem wir uns einer höheren Macht zuwenden, die uns beschützen soll, sondern vielmehr um Maßnahmen, die unsere eigenen Leiden und Schwierigkeiten verhindern. Mit anderen Worten nehmen wir eine positive und sichere Ausrichtung in unserem Leben, und arbeiten an uns selbst, um die verschiedenen Fehler und Schwierigkeiten im Leben zu überwinden und zu vermeiden. Wenn wir an uns selbst arbeiten, gibt das unserem Leben einen Sinn, weil wir anstreben, uns selbst und andere glücklicher zu machen. Außerdem haben wir uns angesehen, was es bedeutet glücklicher zu sein, und haben erkannt, dass es dabei nicht um mehr Spaß, mehr Unterhaltung oder mehr Vergnügen geht, denn das Glück, welches wir dadurch erlangen, hält nie an. Es ist nie genug und wir wollen immer noch mehr davon.
Viel sinnvoller wäre es hingegen, eine Art grundlegende, fundamentale Ebene des Glücklichseins zu haben. Rein biologisch betrachtet ist diese stabilere Ebene des Glücklichseins auf den emotionalen Halt zurückzuführen, den wir bekommen, wenn wir uns verbinden und mit anderen verbunden fühlen, weil wir ja soziale Wesen sind.
Wir haben untersucht, dass wir uns isoliert und einsam fühlen, wenn wir uns verschließen, uns nur um uns selbst kümmern und eine selbstbezogene Einstellung haben. Das macht uns und alle anderen unglücklich. Ich denke, wir alle sind uns darüber bewusst. Ich glaube fast jeder kommt irgendwann zu diesem Punkt, an dem er denkt: „Ich Armer, niemand hat mich lieb“, was ziemlich unangenehm ist. Sind wir aber anderen gegenüber offen, denken an sie, kümmern uns um sie und helfen ihnen mit kleinen Freundschaftsdiensten, fühlen wir uns viel stabiler, getragen und glücklich – nicht auf dramatische, sondern eher auf eine ruhige und förderliche Art und Weise. Im Englischen (und auch im Deutschen) unterscheiden wir, warm- oder kaltherzig zu sein. Warmherzig ist man, wenn man liebevoll, offen und ganz grundsätzlich ein glücklicher Mensch ist. Ist man hingegen kaltherzig, verschließt man sich, ist kalt, und dann will niemand etwas mit einem zu tun haben.
Geistestraining kontemplieren
Wie es in einem der großen buddhistischen Schriften, dem „Geistestraining in sieben Punkten“, heißt, sollten wir all die Schuld für unsere Probleme einem geben – nämlich unserer selbstbezogenen Geisteshaltung, der Selbstbezogenheit, mit der wir nur an uns selbst denken. An anderer Stelle heißt es im gleichen Text, dass unsere buddhistische Praxis erfolgreich ist, wenn wir mit ihr zu dem Punkt kommen, diese Selbstbezogenheit, mit der wir uns lediglich um das eigene Wohl kümmern, zu überwinden. In dieser Präsentation der Zuflucht, die wir an diesem Wochenende durchgehen, nähern wir uns dem Ganzen durch das „Geistestraining in sieben Punkten“ und werfen einen Blick darauf, wie man es auf die grundlegendste Lehre des Buddhismus, die Zuflucht, anwenden kann. Ich denke, dies gibt der Zuflucht eine viel größere Bedeutung und damit meine ich, dass sie für uns mehr Sinn bekommt und tatsächlich etwas ist, mit dem wir etwas anfangen können. Tatsächlich sehen wir, dass die Zuflucht die gesamte Grundlage des buddhistischen Pfades bildet.
Der erste Schritt, den wir in Bezug auf die Zuflucht – nicht nur theoretisch, sondern in einem alltäglichen Sinn – machen müssen, besteht darin den Tag damit zu beginnen, unserem Leben eine Richtung zu geben und diese zu bestärken. Damit bekräftigen wir zunächst die Bedeutung der Zuflucht, also warum wir sie nehmen wollen. Am Morgen beginnen wir mit der Absicht, wenden uns dann unserer Dharma-Praxis zu und schließlich kommt die Widmung. Dieses Bekräftigen einer Ausrichtung kommt noch vor der Absicht – sie führt uns zu dieser Absicht. Wir wollen nicht, dass heute ein sinnloser Tag ist, der nirgendwohin führt und völlig unbefriedigend ist, denn das ist nicht gerade erfüllend.
Viel besser wäre es hingegen, unserem Leben eine Bedeutung zu geben und heute etwas Bedeutsames zu tun. Wie ich gestern schon sagte, stärkt es unser Selbstwertgefühl, wenn wir merken, dass wir in der Welt zumindest etwas Kleines bewirken können, und wenn wir nur eine Person etwas glücklicher machen. Dieses Gefühl des Selbstwertes ist wirklich ausschlaggebend, was unsere grundlegende Ebene des Glücklichseins im Leben betrifft. Das ist die Richtung, die wir unserem Leben geben wollen, und daher fassen wir die Absicht, in diese Richtung zu gehen und es zu versuchen. Wie bereits gesagt, ist das die grundlegendste Ebene der Zuflucht. Wenn wir wollen, können wir das dann immer mehr verfeinern, was es bedeutet, diese Richtung einzuschlagen, aber zunächst geht es darum, diese allgemeine Richtung zu gehen.
Sagen wir lediglich: „Die Ausrichtung ist Buddha, Dharma und Sangha“ und sind wir einfach nur in der Lage, all ihre Qualitäten aufzuzählen, hat dies für unser gewöhnliches Leben keinerlei Bedeutung. Es ist notwendig zu verstehen, was hinter dieser ganz grundlegenden Ausrichtung steckt. Außerdem habe ich darüber gesprochen, dass der physische Körper eines Buddhas mit all den Eigenschaften eine Infografik ist. Wenn wir ihn betrachten, können wir einen Hinweis darauf bekommen, was die Ursache eines jeden Merkmals war, nämlich andere wertzuschätzen, auf 32 verschiedene Weisen. Das ist es, was die Infografik andeutet. Die Qualitäten der Rede Buddhas bestehen beispielsweise darin, dass jeder, in jeder Sprache, verstehen kann, was Buddha sagt. Liegen uns andere am Herzen, wollen wir gern mit ihnen kommunizieren – und zwar auf eine Weise, die sie verstehen können. Das ist der ganze Sinn, die ganze Idee, hinter diesen Eigenschaften der Rede. Es ist etwas, das wir anstreben können.
Auch die Qualitäten des Geistes, jeden verstehen zu können – die Probleme und Bedürfnisse, sowie die Möglichkeiten, anderen zu helfen – ist etwas, das wir tatsächlich anstreben und versuchen können; auch auf der grundlegendsten Ebene, auf der wir uns zunächst um sie kümmern, ihnen dann zuhören, was sie zu sagen haben und ein Gespür dafür entwickeln, was mit ihnen los ist. Wir sollten nicht einfach nur denken: „Wenn er oder sie doch endlich aufhören würde zu reden und mich in Ruhe lassen würde, damit ich mich weiter meiner Facebook-Seite zuwenden kann“ oder ähnliches.
Wollen wir uns beispielsweise in einer überfüllten Metro einfach zurückziehen und uns mit unserem Telefon befassen oder Musik hören? Oder betrachten wir es als eine Möglichkeit, uns mit all diesen Menschen verbunden zu fühlen? Wann denken wir eigentlich so? Wie viele Menschen genießen es denn, mit einer überfüllten Metro zu fahren? Oder wenn wir in so einem klassischen Stau hier in Moskau stecken: Wie sehr denken wir dann an all die anderen Leute, die ebenfalls feststecken? In der Regel sind wir ihnen gegenüber ziemlich negativ eingestellt.
Darum geht es bei der Praxis des Geistestrainings – diese herausfordernden und schwierigen Situationen in positive Umstände zu verwandeln, in denen wir tatsächlich Interesse für das Wohlergehen anderer entwickeln können. Wir verstehen, dass niemand im Stau stecken will, und dass wir alle das gleiche Problem haben. Im Wesentlichen erkennen wir, dass wir nicht die Einzigen sind, die feststecken. Der Stau oder die überfüllte Metro sind wunderbare Gelegenheiten, um an Mitgefühl zu arbeiten – Mitgefühl für alle, die sich in der gleichen Situation befinden. Indem wir Tonglen praktizieren und die Frustration aller anderen durch Mitgefühl, Verständnis und Offenheit auf uns nehmen, wünschen wir uns, dass alle auf diese Weise an Mitgefühl arbeiten können und stellen uns vor, ihnen diese Praxis weiterzugeben. Indem wir das tun, wandeln wir die ganze Situation um; darum geht es, wenn wir unserem Leben eine sichere Ausrichtung geben – nicht nur darum zu denken: „Lieber Buddha, bitte erlöse mich von diesem Stau!“ Die Zuflucht gibt unserem Leben also eine Bedeutung.
Beginnen wir unseren Morgen mit Gedanken, wie: „Oh nein, jetzt werde ich wieder zwei Stunden im Stau stecken, um zur Arbeit zu kommen – welche Qual“ oder: „Ich Armer“, fühlen wir uns elend. Denken wir jedoch: „Jetzt habe ich wieder zwei Stunden auf meinem Weg zur Arbeit, um mich in Mitgefühl zu üben, an mir selbst zu arbeiten und herauszufinden, ob ich damit wirklich umgehen kann, ohne mich aufzuregen.“ Das verleiht unserem Leben einen ganz anderen Beigeschmack, nicht wahr? Das ist also damit gemeint, morgens, nachdem wir aufgewacht sind, eine Absicht zu fassen und Zuflucht zu nehmen. Es geht nicht darum, einfach nur ganz mechanisch ein paar Niederwerfungen zu machen und Verse zu rezitieren.
Diese Verbundenheit mit anderen dahingehend zu entwickeln, sie wertzuschätzen und ihnen zu helfen, liegt all dem zugrunde, was ich gerade gesagt habe. Zudem sollten wir uns wirklich damit befassen, was wir überwinden müssen, um dies tun zu können, um diese Verbundenheit zu haben und sie gegenüber anderen zu empfinden. Was hält uns davon ab? Das wäre dann der nächste Schritt.
Natürlich gibt es im Buddhismus eine ganze Liste von Dingen, die uns davon abhalten, aber bevor wir sie durchgehen, denke ich, dass es hilfreich ist, nach Innen zu gehen und zu versuchen herauszufinden, was uns davon abhält, diese Verbundenheit und Offenheit gegenüber anderen zu fühlen. Suchen wir die Schuld in den anderen und denken: „Niemand liebt mich und das ist alles ihre Schuld!“ Oder was steckt sonst hinter diesen Gefühlen? Vielleicht meinen wir: „Ich bin so toll, aber niemand kann das würdigen“.
Es ist nicht gerade angenehm, diese Einstellung zu untersuchen, mit der wir meinen: „Niemand versteht mich. Ich bin so allein und niemand kann das nachvollziehen.“ Was ist das für eine Denkweise? Macht sie uns glücklich oder unglücklich?
Das Beispiel, an das ich gerade denken muss und mich zum Lachen bringt, ist die Situation, in der wir mit jemandem, vielleicht einem Freund, zusammen sind: geht es uns nur darum, ihm über unsere eigenen Probleme zu erzählen, oder wollen wir auch wissen, wie es ihm geht? Ich habe solche Freunde, die nie fragen, wie es mir geht, sondern sofort eine lange Geschichte darüber anfangen, welche Schwierigkeiten sie während der Woche hatten. Wir könnten uns auf beiden Seiten befinden – entweder auf der Seite, auf der wir nur über uns selbst reden wollen und uns nicht um die andere Person kümmern, oder auf der anderen Seite, auf der wir merken, dass diese Person mir all ihre Problem darlegt und wir denken: „Jetzt hör doch endlich auf, ich wollte auch etwas über mich sagen!“ Die Selbstbezogenheit gibt es hier also auf beiden Seiten, was es zu einem ziemlich unangenehmen Austausch macht.
[Meditation]
Wie dem auch sei, es ist hilfreich, die verschiedenen Faktoren durchzugehen, die uns davon abhalten, uns mit anderen verbunden zu fühlen und ganz allgemein glücklich zu sein, wie es im Stufenpfad des Lam-rim präsentiert wird. Lam-rim ist diesbezüglich wirklich wunderbar. Sehen wir uns also diese Ursachen eine nach der anderen an.
Der Grund, warum wir uns nicht mit anderen verbunden fühlen, liegt darin, dass uns der erste Gefühlszustand, die erste Komponente des Gefühlszustandes fehlt, die wir entwickeln müssen, um diese Richtung in unserem Leben einzuschlagen, nämlich Furcht! Furcht heißt, bestürzt darüber zu sein, dass wir uns mit unserer Selbstbezogenheit nur um unser eigenes Wohl kümmern und uns damit nur noch unglücklicher machen. Wir sind entsetzt darüber. Es ist nicht so, dass wir Angst davor hätten, aber wir denken, dass es einfach furchtbar ist, was wir tun und wollen dem ein Ende setzen.
Hindernis 1: Schädliches Verhalten
Das erste Hindernis besteht darin, schädlich zu handeln. Worauf bezieht sich das? Es bezieht sich darauf, unehrlich gegenüber anderen zu sein, sie zu täuschen, zu schikanieren, oder auf andere Weise zu schädigen. Es geht darum, an ihnen zu hängen und zu sagen: „Verlass mich nicht! Warum hast du nicht angerufen? Warum liebst du mich nicht?“, oder sie zu ignorieren und völlig unsensibel ihnen gegenüber zu sein. Das sind alles schädliche Verhaltensweisen, mit denen wir ganz gewiss keine Freundschaften aufbauen. Menschen mögen uns nicht, wenn wir unehrlich sind, sie anlügen, schikanieren, oder sie nur zum Vergnügen benutzen, sie ausbeuten und uns fragen, was wir von ihnen bekommen können.
Das sind Dinge, die wir in unseren persönlichen Beziehungen beobachten sollten. Wir untersuchen uns selbst, wie wir uns in dieser oder jener Beziehung verhalten und ob wir die Person nur für unsere Zwecke oder für unseren Spaß nutzen. Vielleicht fragen wir uns auch, was der andere für uns tun kann. Hält uns das wirklich davon ab, uns mit ihm auf positive Weise verbunden zu fühlen? Helfen wir ihm auf diese Weise und macht es uns glücklich, diese Art der Beziehungen zu anderen zu haben?
Solch ein schädliches Verhalten ist etwas, das es zu untersuchen gilt. Merken wir, dass wir mit vielen Leuten auf eine Weise umgehen, die nur zu noch mehr Isolation und schlechten Beziehungen führt, sind wir bestürzt über unser Verhalten, und sagen uns: „Ich will so etwas nicht tun! Das ist selbstzerstörerisch. Es ist nicht nur für die andere Person unangenehm, sondern auch schlecht für mich!“ Besonders wenn wir uns in einer Position befinden, in der Menschen für uns arbeiten, sollten wir uns fragen, ob wir sie nur benutzen. Sehen wir sie nur als die Funktion, die sie erfüllen, oder sehen wir sie als menschliche Wesen? Lasst uns also untersuchen, ob wir schädlich handeln. Wir müssen es nicht, wie im Lam-rim, bis zur Spitze treiben und überprüfen, ob wir herumgehen und Menschen töten. Dies ist eine allgemeine Kategorie. Hinter diesem Prinzip steckt, dass wir all die Varianten untersuchen, wie wir andere auf die eine oder andere Weise verletzen. Es geht hierbei nicht nur um das Töten von Mücken.
[Meditation]
Hindernis 2: Störende Emotionen
Das nächste, was wir untersuchen, sind unsere störenden Emotionen, wie auf andere Menschen wütend zu werden, sehnsüchtiges Verlangen ihnen gegenüber zu haben, an ihnen zu hängen oder naiv in Bezug auf ihre Gefühle zu sein. Sind wir naiv, was die Auswirkung unseres Verhaltens ihnen gegenüber betrifft? Haben wir Angst, dass sie uns nicht mögen oder uns vielleicht ablehnen? Wir schauen nach, ob wir diese störenden Emotionen in unseren Beziehungen zu anderen haben und ob sie uns davon abhalten, ihnen wirklich zu helfen und mit ihnen auf positive Weise verbunden zu sein. Ärgern wir uns ständig über sie und verlieren wir unsere Geduld? Oder haften wir an ihnen und fragen uns, was sie für uns tun können? Macht uns das glücklich, diese störenden Geisteszustände gegenüber diversen Menschen in unserem Leben zu haben, oder zerstören sie unsere Beziehungen zu anderen Menschen? Das untersuchen wir, und wenn es so ist, sind wir bestürzt über die Tatsache, dass es sich weiter fortsetzt. Es ist etwas, an dem wir gerne arbeiten und das wir gern überwinden würden, denn es isoliert uns und zerstört unsere Beziehungen.
[Meditation]
Hindernis 3: Auf zwanghafte Weise konstruktiv handeln
Als nächstes geht es darum, auf zwanghafte Weise konstruktiv zu handeln. Das umfasst, sich zu sehr um andere zu kümmern, ständig zu versuchen ihnen zu helfen, auch wenn sie unsere Hilfe gar nicht wollen oder brauchen, ihnen ungefragt Ratschläge zu geben und unsere Meinung kundzutun, und sie ständig zu korrigieren, auch wenn es unpassend ist, nur weil sie etwas nicht so tun, wie wir es für richtig halten oder normalerweise machen. Wir korrigieren sie ständig und meinen, es wäre hilfreich, aber im Grunde nehmen sie es uns übel. Im Wesentlichen geht es darum, sich ständig um die anderen Sorgen zu machen. Das sind zwanghafte, konstruktive Weisen des Umgangs mit anderen.
Wir untersuchen uns also selbst und fragen uns: „Hält uns das wirklich ab, mit ihnen auf positive Weise verbunden zu sein und ihnen zu helfen? Macht es uns glücklich?“ Das Problem ist nicht, sich um sie zu kümmern, sondern es auf aufdringliche Weise zu tun. Dieses Syndrom wird ganz deutlich, wenn wir Kinder im Teenager-Alter haben. Vielleicht haben wir auch ein Büro oder arbeiten mit anderen in einem Büro, und versuchen ständig sie zu zwingen, Dinge so zu tun, wie wir es für richtig halten, anstatt sie auf ihre Weise arbeiten zu lassen, was wahrscheinlich genauso gut und effizient ist. In Büros passiert so etwas häufiger.
Wenn wir merken, dass wir mit anderen − vielleicht nicht mit allen, aber mit einer bedeutenden Anzahl von Menschen − so umgehen, ist das etwas, das uns von anderen isoliert. Es verhindert eine gute Verbindung mit anderen. Wir denken also: „Ich bin entsetzt darüber und will dieses Verhalten unbedingt überwinden. Ich möchte gern einen Weg einschlagen, der mich aus dieser Verhaltensweise herausführt.“
[Meditation]
Hindernis 4: Störende Geisteshaltungen
Der Lam-rim ist wirklich wunderbar, denn hier kann man Schritt für Schritt all diese Dinge finden, die so selbstzerstörerisch sind. Als nächstes geht es darum, unsere störenden Geisteshaltungen, die sich um die Beschäftigung mit dem Ich drehen, zu erforschen. Einige Stadien liegen unserem schädlichen Verhalten zugrunde und andere unserem zwanghaften konstruktiven Verhalten. Destruktive Syndrome sind: selbstsüchtig zu sein, ständig zu meinen: „alles sollte nach meinen Vorstellungen laufen, ich bekomme immer was ich haben will, ich bin der/die Wichtigste, ich sollte immer ganz vorn stehen, ich habe immer recht.“ Oder es könnte auch das Gegenteil davon sein: „Ich bin ein Nichtsnutz; was ist, wenn sie mich nicht mögen?“ Mit alldem fokussieren wir uns ausschließlich auf uns, und was zwanghafte konstruktive Syndrome betrifft, geht es um die Mentalität des Perfektionisten, mit der wir meinen: „ich muss perfekt sein“ und „was für mich das Beste ist und was ich mag, ist auch das beste für dich.“ Dies sind alles Beispiele dieser störenden Geisteshaltung der Selbstbezogenheit, mit der wir denken: „Alles dreht sich um mich, um das, was ich mag, was ich denke und was ich möchte.“
Wenn wir wirklich beginnen, unsere Denkweise zu untersuchen, ist es schon erstaunlich, wie oft diese Art von Gedanken auftauchen, mit der Stimme in unserem Kopf, die sagt: „Ich will es nicht so, wie du es machst, sondern ganz anders“ und: „Warum bist du nicht so, wie ich mir das vorstelle?“ Dazu gab es sogar eine Studie, die oft von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama erwähnt wird. In ihr ging es darum, dass die Menschen, in deren Gedanken oder Wortschatz am häufigsten der Begriff „Ich“ vorkommt, die größten Herzprobleme, wie Bluthochdruck und ähnliches, haben. Wir untersuchen also wieder uns selbst und fragen uns: „Hält mich diese störende Geisteshaltung davon ab, mit anderen auf positive Weise verbunden zu sein und ihnen wirklich zu helfen? Macht es mich glücklich?“ Und wiederum sind wir bestürzt darüber. Je mehr wir uns darauf konzentrieren, über uns selbst nachzudenken, desto schlechter geht es uns im Grunde.
[Meditation]
Hindernis 5: Unkontrollierbare Rückfälle
Diese Syndrome wiederholen sich in der einen oder anderen Form, bei jeder Begegnung und in jeder Beziehung, die wir eingehen. Die Syndrome der störenden Emotionen, des schädlichen Verhaltens, des zwanghaften konstruktiven Verhaltens und der Beschäftigung mit dem Ich treten einfach unkontrollierbar immer wieder auf. Das ist Samsara. Wir haben keine Kontrolle darüber. Diese Dinge kommen einfach immer wieder hoch, in jedem Aufeinandertreffen und in jeder Situation. Das ist wirklich erschreckend. Jede neue Beziehung oder Verbindung, die wir mit jemandem eingehen, wird durch diese Syndrome durcheinandergebracht. Wir wollen das nicht, aber es geschieht trotzdem und wir können es nicht kontrollieren. Soll das so weitergehen oder ist es so furchtbar, dass wir es endlich überwinden wollen?
Das untersuchen wir wieder bei uns selbst: „Habe ich durch die Tatsache, dass diese Emotionen und Verhaltensweisen sich unkontrollierbar wiederholen, eine bessere oder schlechtere Verbindung mit anderen? Macht es mich glücklich? Ist es ein Muster, das ich gern überwinden würde?“
[Meditation]
Hindernis 6: Nicht wissen, wie man anderen helfen soll
Das letzte Hindernis ist, wirklich nicht zu wissen, wie wir anderen helfen sollen. Wir können all die Ursachen und Bedingungen nicht verstehen, die zu der momentanen Verhaltensweise anderer führen, und haben keine Ahnung, was die langfristigen Auswirkungen dessen sein werden, was wir sagen oder versuchen zu tun, wenn wir ihnen helfen wollen. Ganz klar wird das bei der Erziehung von Kindern, denn wir wissen wirklich nicht, was das Beste für sie sein wird. Vielleicht haben wir unsere eigenen Vorstellungen, aber genau wissen tun wir es nicht. Was immer wir auch versuchen zu tun, wir wissen nicht, welche Auswirkungen es haben wird – das ist schon ziemlich schlimm, oder? Außerdem wissen wir nicht, wie wir unseren Freunden oder unseren betagten Eltern helfen können. Was wäre das Beste für sie? Wir haben wirklich keine Ahnung, obwohl wir es gern wissen würden. Denkt einmal über all das nach.
[Meditation]
Abschließende Gedanken
Das sind zusammengefasst die Hindernisse, die Dinge, die uns davon abhalten, mit anderen auf eine positive, sinnvolle und konstruktive Weise wirklich verbunden zu sein. Wir handeln ihnen gegenüber destruktiv. Wir haben störende Emotionen und werden beispielsweise wütend auf sie. Wir versuchen ihnen auf zwanghafte Weise zu helfen, auch wenn sie unsere Hilfe gar nicht wollen und bedrängen sie. Wir versuchen perfekt zu sein. Wir sind selbstbezogen und denken: „Was ich mag, musst du auch mögen; was für mich gut ist, muss auch gut für dich sein.“ Oder: „Es sollte immer so gemacht werden, wie ich mir das vorstelle.“ All diese Syndrome wiederholen sich ständig und wir scheinen keine Kontrolle über sie zu haben. Und sogar wenn wir versuchen anderen zu helfen, wissen wir nicht wirklich, was das Beste für sie ist. Wenn wir über all das nachdenken, wie es so schön im Lam-rim für uns beschrieben wird, bestürzt uns das – es ist etwas, das wir wirklich vermeiden wollen. Sprechen wir über die Zuflucht, geht es nicht nur darum, diese Untersuchung auf der Lam-rim-Ebene durchzuführen. Vielmehr ist sie auf dem gesamten Weg maßgeblich.
Da der gesamte Pfad auf der Zuflucht beruht, sollten wir uns nicht nur darauf beschränken zu denken: „Buddha, bitte rette mich, denn ich habe Angst davor, in die Hölle zu kommen.“ Das ist eine ziemlich begrenzte Betrachtungsweise dieser ganzen Thematik der Zuflucht. Wir sehen uns all diese Muster in uns selbst an und sind bestürzt – darum geht es, wenn davon die Rede ist, „Furcht“ zu entwickeln. Wir wollen nicht, dass sich diese störenden Emotionen und Verhaltensweisen weiter fortsetzen. Stattdessen wollen wir unserem Leben eine Richtung geben, die uns helfen wird, das zu verhindern. In diesem Sinne ist es eine Zuflucht, denn sie schützt uns davor, zu leiden.
Denkt daran: die Zuflucht muss, wie jedes andere Thema im Dharma in unserem persönlichen Leben eine Bedeutung haben, damit sie einen Sinn für uns ergibt. Wenn sie keine Bedeutung für uns hat oder wir ihre Bedeutung nicht erkennen, handelt es sich bestenfalls für eine interessante Information und im schlimmsten Fall ist es einfach nur langweilig.
Eine kleine Widmung: Möge alles Verständnis, das aus dieser Diskussion entstanden ist, sich immer weiter vertiefen und als Ursache dafür wirken, wirklich Zuflucht zu nehmen und zum Wohle aller Wesen Erleuchtung zu erlangen.