Die Möglichkeit in eine sichere Richtung zu gehen

Resultate erzielen, die gegenwärtig noch nicht stattgefunden haben 

In unserer letzten Sitzung habe ich erwähnt, dass es die kausale oder resultierende Zuflucht oder sichere Ausrichtung gibt. Bei der kausalen Zuflucht betrachten wir als sichere Ausrichtung, die wir einschlagen, die wahren Beendigungen und den wahren Pfadgeist, welche die Buddhas und Aryas erlangt haben. Sich auf sie zu konzentrieren dient für uns als Ursache dafür, sie selbst zu erlangen. Die resultierende Zuflucht bezieht sich auf die wahren Beendigungen und den wahren Pfadgeist, welche wir selbst als Resultat unserer Praxis erlangen werden.

Es ist notwendig zu verstehen, wie wir uns auf unser zukünftiges Erlangen fokussieren. Was bedeutet es eigentlich dies zu tun? Was wir tun, ist, etwas Mögliches anzustreben, das noch nicht stattgefunden hat. Es geht nicht darum, sich auf etwas Unmögliches zu richten, was nie stattfinden könnte. Außerdem ist es etwas anderes, eine Sache anzustreben, die nicht existiert, oder etwas anzustreben, das noch nicht stattgefunden hat. Diese Unterscheidung wird im Buddhismus gemacht, aber sie ist etwas subtil. 

Was existiert, wird als etwas definiert, das gültig erkannt werden kann. Gibt es ein Gestern? Nun, wir können daran denken und uns daran erinnern, aber gestern findet nicht mehr statt. Doch nur weil es momentan nicht stattfindet, heißt dies nicht, gestern würde es nicht geben oder hätte es nie gegeben. 

Was ist mit dem Morgen? Gibt es so etwas wie ein Morgen? Existiert es? Nun, wir können Pläne dafür machen, aber morgen hat noch nicht stattgefunden. Ja, es gibt so etwas wie ein Morgen; es existiert, aber es findet einfach noch nicht statt. Es kommt jedoch nicht aus dem Nichts, sondern wird sich aus dem Heute ergeben. Denkt bitte einmal darüber nach.

[Meditation] 

Wir bereiten uns in unserer buddhistischen Praxis fortwährend auf Dinge vor, die noch nicht stattgefunden haben, so wie unser Altern, unseren Tod und so weiter. Obwohl diese Dinge momentan nicht stattfinden, werden sie früher oder später eintreten. Was beispielsweise Bodhichitta betrifft, so streben wir damit unsere noch nicht stattfindende Erleuchtung an. Mit der resultierenden Zuflucht geht es hier um die noch nicht stattfindenden wahren Beendigungen und den wahren Pfadgeist, die wir erreichen können. Sie zu erlangen beginnt damit, ein Arya zu werden und setzt sich bis hin zum Erlangen der Buddhaschaft fort. Diese noch nicht stattfindenden wahren Beendigungen und den wahren Pfadgeist auf dem Weg eines Arya, die wir noch nicht erreicht haben, anzustreben, bereitet uns darauf vor, uns mit Bodhichitta auf unsere noch nicht stattfindende Erleuchtung auszurichten. Es ist wie in der Universität, in der wir zu Beginn anstreben, all die noch nicht stattfindenden Kurse zum Erreichen unseres noch nicht stattfindenden Abschlusses zu bestehen. Keines dieser Dinge hat bereits stattgefunden, aber wir steuern diese Richtung an – diese noch nicht stattfindenden Ebenen und das noch nicht stattfindende Endziel.

Indem wir das tun, streben wir etwas Existierendes an, denn diese Ebenen und das Resultat sind gewissermaßen ein gültiges Ziel, so, wie wir uns auch auf ein Morgen richten können, obwohl es noch nicht stattgefunden hat. Indem wir also die sichere Ausrichtung der Zuflucht in unserem Leben einschlagen, streben wir nicht etwas an, das es nicht gibt, was nicht möglich ist oder nicht irgendwann stattfinden könnte. Es ist möglich, allerdings nicht zwangsläufig, dass die noch nicht stattfindenden wahren Beendigungen und der wahre Pfadgeist zu gegenwärtig stattfindenden in unserem geistigen Kontinuum führen werden, sobald alle notwendigen Bedingungen dafür vollständig sind.

Wie wissen wir überhaupt, ob es ein Morgen geben wird? Worauf beruht es? Das Morgen beruht auf dem Heute. Das Heute hat das Potenzial ein Morgen hervorzubringen, wenn die Bedingung dafür gegeben ist und die Uhr Mitternacht schlägt. Das noch nicht stattfindende Morgen ist dann das, was wir im Buddhismus als „Zuschreibungsphänomen“ auf der Grundlage dieses Potenzials bezeichnen. Ein Zuschreibungsphänomen ist buchstäblich etwas, das an eine Grundlage gebunden ist und unabhängig von dieser Grundlage weder existieren noch erkannt werden kann. Das noch nicht stattfindende Morgen kann getrennt von dem Potenzial des Heute, ein gegenwärtig stattfindendes Morgen herbeizuführen, weder existieren noch erkannt werden. Einfacher ausgedrückt kann es ohne ein Heute kein Morgen geben und mit einer vollständigen Drehung der Erde kann das Heute ein Morgen hervorbringen. Denkt darüber nach.

[Meditation]     

Was das geistige Kontinuum betrifft, so gibt es dort eine Abfolge dessen, was wir gestern erfahren haben, was wir heute erfahren und was wir morgen erfahren werden. Beruhend darauf, was wir heute erfahren, gibt es Potenziale dafür, was wir morgen erfahren könnten. Beruhend darauf, heute zum Beispiel ein Kapitel in einem Buch zu lesen und die Absicht zu haben, morgen weiterzulesen und das Buch zu beenden, sind unser noch nicht stattfindendes Lesen des restlichen Kapitels und unser Beenden des Buches Zuschreibungsphänomene unseres Potenzials, dies zu tun. Natürlich muss es viele förderliche Bedingungen geben, damit unser gegenwärtig stattfindendes Lesen des restlichen Buches in Erscheinung treten kann. 

So wie sich das Morgen nicht im Heute befindet und nur darauf wartet, dass die Uhr Mitternacht schlägt, um herauszukommen, befindet sich auch das, was wir morgen erfahren werden, nicht innerhalb dessen, was wir heute erleben. Die Analogie ist nicht ganz stimmig, denn die einzige Bedingung für das gegenwärtig stattfindende Morgen besteht darin, dass die Erde sich weiter dreht. Diesbezüglich herrscht keine große Ungewissheit, wohingegen es viel weniger gewiss ist, was wir morgen erleben werden, denn wir könnten beispielsweise heute Nacht sterben. Sind die Umstände jedoch zuträglich, können wir die noch nicht stattfindenden Dinge verwirklichen, für die wir heute das Potenzial und die Absicht haben, sie zu erreichen.  

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