Ebene von Buddha, Dharma und Sangha
Bis jetzt haben wir in unserer Darstellung die allgemein Struktur unserer Meditation über die Zuflucht, des Einschlagens einer sicheren Ausrichtung in unserem Leben, betrachtet. Nun können wir auf die Details eingehen, also wo diese Richtung hinführt. Sie ist durch Buddha, Dharma und Sangha – die Drei Seltenen und Kostbaren Juwelen – gekennzeichnet, und für jeden dieser drei gibt es eine tiefste Ebene, eine offensichtliche Ebene, also jene, die wir sehen oder hören können, und schließlich eine Ebene, die ihn repräsentiert. Es ist wichtig, diese drei verschiedenen Ebenen zu unterscheiden.
Die tiefsten Ebenen eines jeden dieser drei beziehen sich alle auf die dritte und vierte edle Wahrheit – nämlich die wahre Beendigung und den wahren Pfadgeist – jedoch von etwas unterschiedlichen Sichtweisen. Sie sind die tiefsten Ebenen dessen, was wir anstreben; mit anderen Worten ist ihr Erreichen die Richtung, in die wir gehen wollen. Wenn wir sie erreichen, wird uns das befähigen, jegliche Schwierigkeiten oder Probleme, entweder in uns selbst oder im Umgang mit anderen, zu vermeiden.
Die tiefste Ebene des Buddha-Juwels sind die wahren Beendigungen und der wahre Pfadgeist im geistigen Kontinuum eines Buddha. Alle guten Eigenschaften des Geistes eines Buddha sind die Resultate dieser zwei. Lernen wir daher die guten Eigenschaften eines Buddha-Geistes und vertrauen uns deshalb einem Buddha an und folgen seinen Methoden, um uns von allen Leiden und dessen Ursachen zu befreien, vertrauen wir uns genau genommen den wahren Beendigungen und dem Pfadgeist im geistigen Kontinuum eines Buddhas an.
Sprechen wir von den vier edlen Wahrheiten, geht es im Allgemeinen um Dinge, die in einem individuellen geistigen Kontinuum stattfinden und innerhalb des Geistes erfahren werden; es geht nicht um etwas Abstraktes. Die ersten zwei edlen Wahrheiten, wahres Leiden und die wahren Ursprünge des Leidens, sind Dinge, die wir alle erfahren. Wir wollen jedoch eine wahre Beendigung dieser Dinge erfahren, also völlig frei von Leiden und den Ursachen des Leidens werden. Wo findet diese wahre Beendigung statt? Sie findet auch in einem geistigen Kontinuum statt, welches von Natur aus frei von wahren Leiden und dessen wahren Ursachen ist. Die wahre Beendigung dessen bedeutet, dass sie sich nicht mehr im geistigen Kontinuum befinden und somit nicht mehr erfahren werden.
Aber wie führen wir solch eine wahre Beendigung herbei? Wir tun es mit einer nichtkonzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit, die ebenfalls mit dem Geist stattfindet. Bei dieser nichtkonzeptuellen Wahrnehmung geht es um einen „wahren Pfad“, also anders ausgedrückt um eine Wahrnehmung, die nirgendwohin, außer zu wahren Beendigungen, führt. Aus diesem Grund bezeichne ich sie als „Pfadgeist“. Ein wahrer Pfadgeist ist jedoch nicht nur die nichtkonzeptuelle Wahrnehmung, die zu wahren Beendigungen führt, sondern auch die Art der Wahrnehmung, die als Resultat des Erreichens wahrer Beendigungen erlangt wird.
Das sind dann die vier edlen Wahrheiten – wahres Leiden, wahre Ursprünge des Leidens, wahre Beendigungen und der wahre Pfadgeist, und sie alle finden in einem geistigen Kontinuum statt.
Um zur Überzeugung zu gelangen, diese wahren Beendigungen und den wahren Pfadgeist selbst erreichen zu können, ist es notwendig, Beispiele jener zu betrachten, die sie erreicht haben; wir vertrauen uns ihren Anweisungen an und gehen dann in die Richtung, die sie uns vorgeben. Die tiefste Ebene der Drei Juwelen sind dann diese drei Beendigungen und der wahre Pfadgeist im geistigen Kontinuum jener, die sie erreicht haben.
Die Buddhas sind jene, die eine vollständigen Satz aller wahren Beendigungen und aller Arten des wahren Pfadgeistes in ihrem geistigen Kontinuum aufweisen. Die Aryas und Arhats sind jene, die einige, jedoch nicht alle, in ihrem geistigen Kontinuum aufweisen können. Das tiefste Buddha-Juwel sind somit diese wahren Beendigungen und der wahre Pfadgeist im geistigen Kontinuum der Buddhas; und laut einer schriftlichen Quelle sind sowohl das tiefste Dharma- als auch das tiefste Sangha-Juwel die wahren Beendigungen und der wahre Pfadgeist im geistigen Kontinuum aller Aryas, welche die Arhats und Buddhas umfassen. Lasst das einen Moment einwirken.
[Meditation]
Tiefste, offensichtliche und repräsentative Ebenen der Drei Juwelen
Die vollständigen Sätze aller wahren Beendigungen und aller Arten des wahren Pfadgeistes im geistigen Kontinuum eines Buddhas – mit anderen Worten: das tiefste Buddha-Juwel – ist im Grunde das Dharmakaya eines Buddhas, ein Alles umfassender Körper. Ein Dharmakaya hat zwei Aspekte. Ein Dharmakaya des tiefen Gewahrseins eines Buddhas – ein Jnana-Dharmakaya – bezieht sich auf den wahren Pfadgeist im Kontinuum des allwissenden Geistes eines Buddhas; und ein Wesensnatur-Dharmakaya eines Buddhas – ein Svabhavakaya – bezieht sich auf die wahren Beendigungen im allwissenden Geist eines Buddhas. Etwas ausführlicher gesagt, ist ein Svabhavakaya die doppelte Reinheit eines Buddha-Geistes, der getrennt von den flüchtigen Makeln störender Emotionen und von Natur aus getrennt von den Makeln selbst begründeter Existenz ist. Diese natürliche Reinheit ist die Leerheit des allwissenden Geistes eines Buddhas. Ein Dharmakaya ist dann die dritte und vierte edle Wahrheit im Geist eines Buddhas.
Das offensichtliche Buddha-Juwel ist das, was wir sehen können; also die Formkörper eines Buddhas. Sie umfassen Sambhogakayas, welche sich auf Körper beziehen, die vollen Gebrauch von den Mahayana-Lehren machen, sowie Nirmanakayas, welche Ausstrahlungen von Sambhogakayas sind. Die zweiunddreißig hervorragenden Zeichen und achtzig vorbildlichen Merkmale der Sambhogakaya-Körper und Höchsten Nirmanakaya-Buddhas weisen auf die konstruktiven Handlungen hin, die ein Buddha in vorangegangenen Leben ausgeführt hat und die zur Erlangung solch eines Körpers führten. Auf diese Weise zeigen diese Zeichen und Merkmale ebenfalls die Richtung an, die wir einschlagen wollen. Wir können uns daher der Führung dieser Formkörper anvertrauen.
Was das Buddha-Juwel repräsentiert, sind die Bilder und Statuen eines Buddhas. Es ist wichtig zu verstehen, dass sie lediglich Repräsentationen sind und wir sie nicht verehren oder ähnliches. Wir zeigen ihnen jedoch Respekt, weil sie etwas repräsentieren, was wir respektieren.
Das tiefste Dharma-Juwel ist wiederum die dritte und vierte edle Wahrheit, aber nun nicht nur jene im allwissenden geistigen Kontinuum eines Buddhas, sondern vielmehr alle, die im geistigen Kontinuum aller Aryas, sowohl der Laien als auch der Ordinierten, erscheinen. „Alle Aryas“ umfasst all jene mit zumindest einigen Arten des wahren Pfadgeistes und wahren Beendigungen in ihrem geistigen Kontinuum, angefangen mit jenen, die einen sehenden Pfadgeist, den so genannten „Pfad des Sehens“, erreicht und unvollständige Sätze der beiden erlangt haben, bis einschließlich den Buddhas, welche vollständige Sätze der beiden erlangt haben.
Das offensichtliche Dharma-Juwel, welches sich darauf bezieht, was wir hören, sind die tatsächlichen Lehren – die Lehren Buddhas, die in die zwölf schriftlichen Kategorien eingestuft werden. Wir vertrauen uns ihnen an, um tatsächliche Anweisungen zu bekommen. Was sie repräsentiert, sind Dharma-Bücher und Texte, welche das offensichtliche Dharma-Juwel beinhalten. Ihnen zeigen wir ebenfalls Respekt.
Wie bereits erwähnt, ist das tiefste Sangha-Juwel das gleiche, wie das tiefste Dharma-Juwel, die dritte und vierte edle Wahrheit im geistigen Kontinuum aller Aryas. Das offensichtliche Sangha-Juwel, also das, was wir sehen können, bezieht sich auf die tatsächlichen Personen, die Aryas sind. Es gibt Menschen, die ein Beispiel sind und uns auf diese Weise die Richtung zeigen können, in die wir gehen sollen. Es ist schwierig einen Bezug zu einem Buddha herzustellen, aber durch das Beispiel von Aryas können wir lernen, wie man schrittweise Buddhaschaft erlangen kann.
Die Sangha repräsentiert eine Gruppe von vier oder mehr voll-ordinierten Mönchen oder Nonnen. Sie müssen nicht alle der gleichen Gruppe angehören – aber es sollten vier sein, um eine Gemeinschaft zu bilden. Auch wenn es sich nicht um besonders gute Mönche oder Nonnen handelt, ist die Tatsache, dass sie das Familienleben aufgegeben haben, wichtig. Sie widmen sich diesem Pfad und das zeigt uns, dass es Schritte gibt, um dieses Ziel zu erreichen. Es legt zudem den Schluss nahe, dass es, zumindest in der Theorie, Menschen gibt, die darauf hinarbeiten. Folglich sind alle Mönche und Nonnen angemessene Objekte des Respekts.
Um es noch einmal zu wiederholen: es gibt für jedes der Drei Juwelen tiefste, offensichtliche und repräsentative Ebenen. Die tiefsten Ebenen sind die wahren Beendigungen und der wahre Pfadgeist, entweder im allwissenden geistigen Kontinuum eines Buddhas, wie im Fall des Buddha-Juwels, oder im geistigen Kontinuum eines Arya, bis einschließlich dem eines Buddhas, im Fall der Dharma- und Sangha-Juwelen. Die Juwelen der offensichtlichen Ebene, die wir tatsächlich sehen oder hören können, sind die Formkörper eines Buddhas, die eigentlichen Lehren und die Gemeinschaft der Personen, die Aryas geworden sind. Die repräsentativen Juwelen, die wir in unserem Haus oder unserer Nähe haben, sind die Bilder oder Statuen des Buddha, die eigentlichen Dharma-Texte und die voll-ordinierten Mönche und Nonnen. Sie erinnern uns an den Pfad und an das, was wir anstreben, die tiefsten Juwelen.
Jene, welche die tiefsten Juwelen erreicht haben, können uns den Weg weisen; wir streben jedoch in unserem eigenen geistigen Kontinuum selbst das an, was sie erreicht haben. Wir streben nicht nach dem, was sich in ihrem geistigen Kontinuum befindet, da wir nur etwas erreichen können, was in unserem eigenen geistigen Kontinuum ist. Darüber haben wir bis jetzt gesprochen – die Beendigung dieser verschiedenen Ursachen von Problemen und die Beendigung der Probleme, die sie hervorrufen: destruktives Verhalten, störende Emotionen, zwanghaftes positives Verhalten oder das Anbieten unserer Hilfe, wenn sie nicht benötigt wird und so weiter. Auch wollen wir eine wahre Beendigung des Nichtwissens in Bezug darauf, wie wir anderen helfen können. Uns geht es um das Verständnis, die Disziplin, die Konzentration, die Liebe, das Mitgefühl und all diese Dinge, welche all diesen Unruhestiftern ein Ende setzen werden. Alles, worüber wir gesprochen haben, ging in die Richtung der dritten und vierten edlen Wahrheiten und das Beseitigen der ersten und zweiten edlen Wahrheiten. Darum geht es im Buddhismus und alles findet im Geist, in unserem Geist, statt. Lasst das einen Moment einwirken.
[Meditation]
Unterschiede zwischen tiefsten Buddha-, Dharma- und Sangha-Juwelen
Die Frage, die sich natürlich stellt, ist: Was sind die Unterschiede zwischen den tiefsten Buddha-, Dharma- und Sangha-Juwelen? Warum geht es bei allen so ziemlich um dasselbe, die dritte und vierte edle Wahrheit, als tiefstes Juwel für alle drei?
Die Antwort darauf finden wir an einem überraschenden Ort: im Lama Chöpa – der Guru Puja – im Abschnitt der Tsog-Opferung. Wenn wir Buddha, Dharma und Sangha Opfergaben darbringen, sind die Buddhas laut dem Text die Quelle der tatsächlichen Errungenschaften, der Dharma die Quelle der Inspiration und der Sangha die Quelle des erleuchtenden Einflusses oder der erleuchtenden Aktivität, da wir diese Dinge jeweils von den Buddhas, dem Dharma oder dem Sangha erbitten. Der Sangha wird dort von den Dakinis und Dharma-Schützern repräsentiert.
Was bedeutet all das? An sich ist es recht hilfreich einmal darüber nachzudenken. Die Buddhas haben die wahren Beendigungen und den wahren Pfadgeist, nach denen wir streben, tatsächlich vollkommen erlangt. Tatsächliche Errungenschaften werden auf Sanskrit Siddhi genannt. Das tiefste Dharma-Juwel, die wahren Beendigungen und der wahre Pfadgeist aller Aryas, sind alle Quellen der Inspiration. Der Begriff, der hier benutzt wird, „adhisthana“ im Sanskrit, „chinlab“ im Tibetischen, wird oft als „Segnungen“ übersetzt, aber ich denke, das Wort „Inspiration“ kommt der Bedeutung etwas näher, denn es handelt sich um etwas, das uns Auftrieb gibt. Die wahren Beendigungen und der wahre Pfadgeist aller Aryas, welche das tiefste Sangha-Juwel ausmachen, sind Quellen des erleuchtenden Einflusses. Sie beeinflussen uns, in deren Richtung zu gehen.
Auf der Ebene der offensichtlichen Juwelen haben die Beispiele der Aryas ebenfalls einen erleuchtenden Einfluss auf uns, daran zu arbeiten, in die von ihnen vorgezeigte Richtung zu gehen, wie sie es getan haben. Die Dharma-Lehren inspirieren uns den Lehren zu folgen. Die Formkörper der Buddhas zeigen uns den Weg, um diese tatsächlichen Errungenschaften zu erlangen.
Wer und was wird uns dabei helfen, wenn wir es einmal von einem anderen Standpunkt aus betrachten? Buddha Shakyamuni in seinem Aspekt als Formkörper, die tatsächlichen Lehren, die er gibt, und der Arya-Sangha, der auf dem Pfad bereits fortgeschritten ist – also die Drei Juwelen der offensichtlichen Ebene.
Was wird uns dabei helfen, uns dieser drei Juwelen bewusst zu bleiben? Die Repräsentationen, die wir von ihnen haben: Bilder und Statuen von Buddha, Dharma-Bücher, sowie Mönche und Nonnen. Sie helfen uns, indem sie uns daran erinnern, in ihre sichere Richtung zu gehen. Indem wir ihnen Respekt zeigen, respektieren wir auch das, was wir in unserem eigenen Leben versuchen zu erreichen.
Des Weiteren entwickeln wir, wenn wir sie respektieren, auch Respekt gegenüber uns selbst, da wir ebenfalls versuchen, dies zu erreichen. Der wichtige Faktor ist Respekt, die guten Eigenschaften in etwas zu erkennen, sie zu bewundern und diese Qualitäten selbst erlangen zu wollen. Aus diesem Grund habe ich über das Selbstwertgefühl gesprochen. Sind wir in der Lage, jemanden nur durch einen kleinen Akt der Güte zum Lächeln zu bringen, können wir einen positiven Unterschied bewirken. Diese positive Handlung verleiht uns Selbstwertgefühl, was dann zu Selbstachtung führt.
Hier möchte ich noch einen weiteren Punkt hinzufügen: die kausale Zuflucht bezieht sich auf jene wahren Beendigungen und den wahren Pfadgeist, die im Geist der Buddhas und Aryas erfolgt sind, während sich die resultierende Zuflucht darauf bezieht, was wir selbst in unserem eigenen geistigen Kontinuum erreichen wollen.
Versuchen wir all das einwirken zu lassen.
[Meditation]
Fragen
Auf der geistigen Ebene verstehe ich, dass wir die Kapazität haben, mit Furcht und Depression umzugehen, aber tief im Innern glaube ich nicht daran. Wie kann ich dieses Verständnis, diese Zuversicht tief in mir entwickeln?
Das ist eine sehr gute Frage. Wie kommen wir von einem intellektuellen Verständnis zu einem tatsächlichen emotionalen Verständnis, das eine Veränderung in uns bewirkt? Denn wir brauchen beides: eine intellektuelle und eine emotionale Komponente in Bezug auf unser Verständnis Diese zwei Komponenten sind wie Weisheit und Mitgefühl, und alle Dharma-Texte sind sich darin einig, dass wir sie beide zusammen benötigen. Es ist also notwendig, dies ernst zu nehmen. Über diese beiden zu verfügen, ist nicht nur für die Zuflucht, sondern für alles innerhalb des Dharmas wichtig.
Die Antwort, die normalerweise im Dharma dazu gegeben wird, ist, dass wir jede Menge Verdienst ansammeln müssen. Dann gilt es sich zu fragen: „Nun, was bedeutet das?“ Heißt das, einfach nur genug Punkte mit unserem guten Verhalten zu sammeln, um es sich zu verdienen? Das heißt es gewiss nicht. Eine bessere Übersetzung für „Verdienst“ ist „positive Kraft“. Es ist so, als würden wir eine Batterie aufladen. Ist sie ausreichend aufgeladen, funktioniert eine Batterie gut; ebenso ist es mit unserem Geist, der mit genügend positiver Kraft gut funktioniert, um die Überzeugung eines intellektuellen und emotionalen Verständnisses des Dharma zu bekommen.
Wie sammeln wir nun diese so genannten „Verdienste“ an? Wir sammeln sie beispielsweise an, indem wir uns in Mitgefühl üben. Meditation über Liebe, Mitgefühl und ein Interesse für das Wohlergehen anderer baut diese positive Kraft auf. Eine besondere Weise sie zu entwickeln besteht in den Meditationen über die vier Unermesslichen – unermessliche Liebe, unermessliches Mitgefühl, unermessliche Freude und unermesslicher Gleichmut. Zu Beginn fast jeder Praxis gibt es diese Meditation über Zuflucht, Bodhicitta und die vier Unermesslichen. Mit diesen vier meditieren wir: „Mögen alle glücklich sein; mögen sie alle frei von Leiden sein. Mögen sie nie von der Freude getrennt sein; und mögen sie alle den Gleichmut haben, frei von Anhaftung und Ablehnung zu sein, die diese Dinge blockieren.“
Was bewirkt diese Meditation? Sie öffnet unsere Herzen und unseren Geist mit positiven Emotionen. Wenden wir uns dann mit diesem Geisteszustand einem komplexen Thema im Dharma zu, sind wir offener und eher in der Lage, es zu verstehen. Es gibt einen großen Unterschied, ob wir etwas Schwieriges mit einem verschlossenen Geist angehen, mit dem wir ständig nur an uns denken und daran, es nicht zu verstehen oder es verstehen zu müssen, oder ob wir uns etwas mit Herz und Geist nähern, die wir zuvor mit den vier Unermesslichen geöffnet haben. Das ist ein riesiger Unterschied!
Versucht also bitte diese Meditationen auszuführen und zu sehen, ob es einen Unterschied macht. Dann können wir verstehen, warum es die Meditation über die vier Unermesslichen zu Beginn einer jeden Praxis und eines jeden Studiums gibt. Sie baut positive Kraft auf und öffnet unseren Geist und unser Herz, damit wir alles verstehen können und unser Verständnis eine emotionale Auswirkung haben wird.
Ich habe mehrere Fragen. Erstens: Wie findet man in Konfliktsituationen die richtige Balance zwischen dem Mitgefühl gegenüber anderen und sich selbst? Zweitens: Verstehe ich es richtig, dass hier der Schlüsselpunkt in Konflikten darin besteht, nicht wütend zu sein, es jedoch trotz allem möglich ist, unsere Grenzen und Interessen zu wahren? Und noch ein anderer Punkt in Bezug darauf: Wenn man den anderen nicht korrigiert, wird man selbst wütend, aber wenn man es tut, wird der andere vielleicht wütend, was wir versuchen in uns zu bekämpfen, oder?
Hier ein konkretes Beispiel: Ich habe einen Sohn, der ein Jugendlicher ist und noch zur Schule geht. Jeden Tag, bevor ich zur Arbeit gehe, bereite ich zwei Mahlzeiten für uns zu: eine für ihn und eine für mich. Da ich später nach Hause komme als er, isst er einfach beide Mahlzeiten und das passiert ständig. Soll ich ihm das sagen und darauf bestehen, dass er nur eine Mahlzeit für sich nimmt? Denn wenn ich es tue, wird er störende Emotionen deswegen haben.
Wir können ganz allgemein darüber sprechen oder uns auf dieses konkrete Beispiel beziehen. In diesem konkreten Beispiel hat dein Sohn beide Mahlzeiten gegessen, was ein Hinweis darauf ist, dass er entweder großen Hunger hat oder ziemlich gierig ist. Wenn er großen Hunger hat, sollte man einfach eine größere Mahlzeit zubereiten. Ist er jedoch einfach nur gierig, sollten beide Mahlzeiten getrennt werden: also eine Portion für ihn, die ausreichend für ihn ist, und eine andere, die man versteckt. Vielleicht kann man sie irgendwo hinstellen, wo er nicht hinkommt oder sie einfrieren und dann wieder auftauen, wenn man nach Hause kommt. Im Grunde gilt es, eine einfache und praktische Lösung zu finden.
Also geschickte Mittel anwenden?
Ja, genau, geschickte Mittel anwenden. In der Regel ist es jedoch so, dass wir, bevor wir geschickte Mittel mit Mitgefühl anwenden können, zunächst gegenüber uns selbst Mitgefühl entwickeln müssen. Das nennt man „Entsagung“ – die Entschlossenheit, frei von den eigenen Problemen zu sein. Das basiert darauf, dies auch auf andere anwenden zu können und uns zu wünschen, sie mögen ebenfalls frei von Problemen sein. Auf diese Weise entwickeln wir für gewöhnlich Mitgefühl. Meinen wir, dass wir es nicht verdienen glücklich zu sein, warum sollten andere dann verdienen glücklich zu sein? Haben wir erst einmal solch eine korrekte mitfühlende Motivation, können wir geschickte Mittel anwenden ohne wütend zu werden.
Es gab auch die Frage bezüglich einer Konfliktsituation. Wenn es solche Situationen gibt, in denen wir eine Meinung haben und die andere Person eine andere Meinung hat, die sehr verschieden von unserer ist, kann es zu einem Konflikt oder Streit kommen. Eine Möglichkeit, einen Konflikt zu lösen – eine Strategie, die nicht funktioniert – besteht im Allgemeinen darin, defensiv zu werden und unsere Position zu verteidigen. Das führt unweigerlich dazu, die andere Person anzugreifen, was sie dann defensiv macht. Das hilft uns nicht, sondern führt nur zu einem echten Streit. Die Taktik, die empfohlen wird und oft funktioniert, besteht darin, die andere Person zu bitten, ihren völlig anderen Lösungsansatz darzulegen. Vielleicht hat sie ja recht! Wir versuchen herauszufinden, was hinter ihrer Denkweise und Position steckt. In gewisser Weise öffnen wir uns, anstatt uns zu verschließen und in die Defensive zu gehen.
Wenn wir uns öffnen um herauszufinden, was ihre Position ist und warum sie so denkt, können wir dann, wenn wir immer noch das Gefühl haben, unsere Meinung sei besser, in aller Ruhe unsere Denkweise erklären. Wir sagen nicht einfach: „Ich habe recht und du nicht.“
Das funktioniert jedoch nicht immer, denn die andere Person muss offen dafür sein, selbst Erklärungen zu geben und auch andere anzunehmen. Sie könnte ebenfalls ziemlich engstirnig sein und sagen: „Du kannst das nicht verstehen“ oder „Ich denke nun einmal so.“ Das ist dann eine ziemlich schwierige Situation. Es funktioniert also nicht immer. Die andere Person muss ebenfalls kooperieren. Mit der Methode, die ich empfohlen habe, können wir zumindest Ruhe bewahren und das ist ein Anfang.