Anhaftung: Behandeln von störenden Emotionen

Anhaftung, eine störende Emotion, mit der wir an jemandem hängen, bewirkt, dass wir unseren inneren Frieden und die Selbstbeherrschung verlieren. Wir übertreiben damit die guten Eigenschaften von jemandem, zum Beispiel sein Aussehen, und machen die Person zu einem Objekt; wir klammern uns an sie und wollen nicht von ihr lassen. Doch mithilfe verschiedener Meditationsmethoden können wir unsere Anhaftung überwinden und eine gesunde Beziehung zu diesen Menschen entwickeln.

An der Wurzel unserer störenden Emotionen und Einstellungen mangelndes Gewahrsein liegt. Das ist ihre tiefere Ursache. Mangelndes Gewahrsein kann in Bezug auf Ursache und Wirkung – die Auswirkungen unseres Verhaltens – bestehen oder auch in Bezug auf die Realität. Mangelndes Gewahrsein hinsichtlich Ursache und Wirkung von Verhalten wird im allgemeinen für destruktives Handeln verantwortlich gemacht, also dafür, dass man etwas Falsches tut. Mangelndes Gewahrsein in Bezug auf die Realität bzw. auf Situationen kann jedoch jeder Art von samsarischem Verhalten zugrunde liegen, sowohl konstruktiven als auch destruktivem Verhalten. Wenn wir wissen möchten, auf welche Weise mangelndes Gewahrsein unseren störenden Emotionen und Einstellungen zugrunde liegt, ist es erforderlich, das mangelnde Gewahrsein in Bezug auf die Realität und Situationen genauer zu betrachten.

Das Wort „Realität“ ist auch so ein seltsames Wort, das eine Menge unterschiedlicher Bedeutungen beinhalten kann. In diesem Zusammenhang hier wird für gewöhnlich das Wort „Wahrheit“ verwendet; man spricht von „der Wahrheit über etwas“. Es gibt zwei Wahrheiten über alles, nämlich die relative, auch „konventionelle“ oder oberflächliche Wahrheit genannt: Sie bezieht sich darauf, was etwas zu sein scheint; und die tiefste Wahrheit bezieht sich darauf, wie etwas existiert. Es ist nicht so, dass die eine Wahrheit „wahrer“ als die andere wäre, wie es der Ausdruck „verschiedene Ebenen der Wahrheit“ nahelegen könnte. Beide sind wahr. Ich verwende für die Letztere dieser beiden Wahrheiten nicht gern den Ausdruck „absolute Wahrheit“, denn „absolut“ klingt so, als wäre sie wahrer als die andere; deswegen ziehe ich den Ausdruck „tiefste Wahrheit“ bzw. „zutiefst wahr“ vor. Die beiden Wahrheiten sind also einfach die oberflächliche Wahrheit – das, was etwas zu sein scheint – und die tiefste Wahrheit darüber, nämlich auf welche Weise es existiert.

Was ist Anhaftung?

Lassen Sie uns nun die beiden Wahrheiten im Hinblick auf die störenden Emotionen betrachten; dann wird die Bedeutung vielleicht etwas klarer. Was ist Anhaftung bzw. sehnsüchtiges Verlangen? Es handelt sich um einen störenden Geisteszustand, der die positiven Qualitäten von etwas übertreibt und hauptsächlich in zwei Varianten auftritt: Sehnsüchtiges Verlangen richtet sich auf etwas, das wir nicht haben, und geht mit dem Gefühl einher: „Das muss ich haben!“ Anhaftung bezieht sich auf etwas, das wir haben, und ist mit dem Gefühl verbunden: „Das will ich nicht hergeben.“ Beides beruht auf einer Übertreibung der positiven Qualitäten von etwas bzw. dessen, was wir für seine positiven Qualitäten halten. Eine dritte Variante ist Gier; sie bezieht sich auf etwas, das wir haben und von dem wir, nie zufriedengestellt, immer mehr haben wollen.

Bei allen diesen Varianten sind wir uns der eigentlichen Realität nicht bewusst: der Realität, was das betreffende Objekt wirklich ist. Mit anderen Worten: Wir sehen nur die positiven Qualitäten oder die Vorteile von etwas, doch wir übertreiben sie und fügen sogar noch Qualitäten hinzu, die gar nicht vorhanden sind. Normalerweise geht das damit einher, dass wir die Unzulänglichkeiten oder negativen Aspekte herunterspielen oder sogar völlig ignorieren. Wir sind uns also dessen nicht gewahr, was die tatsächlichen Vorzüge und Schwächen von etwas sind. Dieses „etwas“ kann z.B. eine Person sein, die wir kennen und überaus anziehend und wunderbar finden, oder auch ein Objekt wie z.B. Eiskrem.

Nehmen wir an, wir haben sehnsüchtiges Verlangen nach jemandem und hängen an dieser Person. Wir übertreiben z.B., wie gut sie aussieht oder was auch immer die Qualität sein mag, die wir so anziehend finden. Wir übersteigern die Sicht, dass sie das schönste Wesen sei, das wir je gesehen haben usw., und wir ignorieren ihre Unzulänglichkeiten – etwa, dass sie auch ziemlich nörgeln kann, seltsame Essgewohnheiten hat und schnarcht. Daran wollen wir aber nicht denken. Nun, möglicherweise sieht sie relativ gut aus und uns gefällt ihr Aussehen. Das soll nicht bestritten werden, doch was das sehnsüchtige Verlangen und die Anhaftung hervorruft, ist die Übertreibung dieser Eigenschaft, verbunden damit, dass wir die Unzulänglichkeiten dieser Person herabspielen oder ignorieren. Solch ein Geisteszustand führt früher oder später zu Problemen, denn die Vernarrtheit wird irgendwann nachlassen. Dann kann unsere Liebe und unsere Anhaftung leicht in Überdruss und Ärger umschlagen, die wir gegen die Person richten, wenn allmählich ihre Unzulänglichkeiten mehr in den Vordergrund rücken.

Ärger und Abscheu sind genau das Gegenteil davon. Wir übertreiben die negativen Qualitäten, die Mängel von jemandem oder etwas und ignorieren die guten Eigenschaften. Wir machen zum Beispiel einen großen Wirbel um die Tatsache, dass jemand sein Zimmer nicht aufräumt, unordentlich ist, sich nicht genügend am Abwasch beteiligt und dergleichen. Wir bauschen etwas auf, übertreiben es unverhältnismäßig, regen uns auf und werden wütend. Gleichzeitig neigen wir dazu, die guten Eigenschaften aus dem Blick zu verlieren oder zu ignorieren, etwa dass diese Person sehr freundlich ist, dass sie verantwortungsbewusst und ausgeglichen ist usw. Das Einzige, was im Vordergrund steht, ist: „Ich kann es nicht ausstehen, dass ihre dreckigen Socken auf dem Fußboden herumliegen.“ Darum werden wir wütend.

Die tiefste Wahrheit

Wie anhand dieser Beispielen deutlich wird, liegt hinter der Anhaftung bzw. dem Ärger das mangelnde Gewahrsein in Bezug auf die relative oberflächliche Wahrheit über jemanden, nämlich hinsichtlich seiner positiven und negativen Eigenschaften, seiner Stärken und Schwächen. Entweder wissen wir zu wenig davon oder wir ignorieren sie oder wir übertreiben sie oder wir verstehen sie falsch. Doch unserer Anhaftung und unserem Ärger liegt, auf einer tieferen Ebene, auch unser fehlendes Gewahrsein in Bezug auf die tiefste Wahrheit zugrunde, nämlich darüber, wie etwas existiert.

Über dieses Thema kann man sehr komplexe und tiefgründige Diskussionen führen, aber im Rahmen dieses Abendvortrags mag es ausreichen, sich auf einer einfacheren Ebene damit zu befassen. Uns scheint, die andere Person würde als eine Art Entität, wie mit einer dicken festen Linie umrissen, dort draußen existieren. Es scheint, als wäre sie sozusagen von Plastik umhüllt oder so etwas Ähnliches, befände sich dergestalt dort vor uns und würde genau so existieren, wie sie erscheint, feststehend wie auf einem Foto. Aufgrund dieser irrigen Vorstellung fassen wir sie als feststehende Entität auf, die allein von sich aus existiert, unabhängig von Ursachen, Umständen, Einflüssen usw., und beständig ist, ohne sich zu verändern. Das ist eine sehr verwirrte Auffassung, denn in Wirklichkeit ist sowohl ihre Stimmung als auch ihr Körper als auch ihr gefühlsmäßiger Zustand in ständiger Veränderung. Es gibt dort nichts Feststehendes, so, als wäre es in Plastik eingeschweißt, dauerhaft und für immer.

Beruhend darauf, dass wir unser Gegenüber fälschlich als feststehende, dauerhafter Entität auffassen, meinen wir z.B.: „Du bist immer so; immer lässt du deine Socken auf dem Fußboden liegen!“ Diese Fehlannahme und unser mangelndes Gewahrsein entspricht nicht der Realität und bildet die Grundlage für unsere Übertreibung der negativen Eigenschaften dieses „Dinges“, das sich dort auf der anderen Seite des Bettes befindet und uns auf die Nerven geht. Mangelndes Gewahrsein in Bezug darauf, wie etwas existiert, kann uns auch veranlassen, die guten Eigenschaften einer Person zu übertreiben und als etwas anscheinend feststehendes Wunderbares anzusehen. Diese Verwirrung bewirkt den unbezwingbaren Drang, die Person zu berühren. Wir können kaum die Hände von ihr lassen, weil wir sie so anziehend finden. Wir hängen so sehr an ihr, dass wir sie gar nicht loslassen und ihr ihre Ruhe lassen wollen.

Wenn wir die beiden Aspekte mangelnden Gewahrseins beseitigen können, die in unserer Auffassung bestehen, dass jemand feststehend und dauerhaft wäre, dann würden die störenden Emotionen nicht auftreten. Wie würden erkennen, dass die Person sich ständig ändert, Umwandlungen unterworfen ist und keineswegs eine Art festes Ding in einer Plastikhülle. Wenn wir das wissen, denken wir nicht, dass dieses wie in Plastik eingehüllte Ding dort drüben mit einer dauerhaften Reihe guter Eigenschaften ausgestattet ist, die wir übertreiben oder vielleicht sogar erfunden haben. Wir wären offen dafür, ihre tatsächlichen guten und schlechten Eigenschaften zu erkennen, und wüssten, dass jeder positive und negative Aspekte hat. Wir würden diese weder übertreiben noch leugnen. Auf dieser Grundlage können wir auf eine erwachsene, freundliche und liebevolle Weise miteinander umgehen, die von Toleranz, Geduld, Verständnis usw. geprägt ist. Wir würden uns weder an diese Person klammern noch uns über sie ärgern.

Anhaftung und Ärger in Bezug auf Maschinen

Genau das Gleiche gilt auch für Gerätschaften wie z.B. einen Kassettenrecorder. Was steckt dahinter, wenn wir daran hängen oder uns darüber ärgern? Zunächst einmal die Neigung, dass wir ein großes festes Ding daraus machen, z.B. betonen, dass wir eine Menge Geld dafür ausgegeben haben, und da steht das Ding nun, mit einer dicken festen Umrandung. Dann übertreiben wir möglicherweise seine guten Eigenschaften. „Man kann sich ganz darauf verlassen, dass er alle Vorträge zuverlässig aufzeichnet“; und so machen wir uns davon abhängig. Wir hören kaum noch richtig zu oder machen uns Notizen, weil wir davon ausgehen, dass das Aufnahmegerät unfehlbar und dauerhaft funktioniert. Wenn das nicht der Fall ist, werden wir sehr ärgerlich. Aber es ist nur eine Maschine. Sie besteht aus Teilen, die Teile nutzen sich ab, und nichts hält ewig. Es stimmt, sie kann gute Aufnahmen machen, aber manchmal funktioniert sie nicht. Es handelt sich bloß um eine Maschine – die Batterien können leer sein usw. Wenn wir das wissen, machen wir keinen Aufstand darum, wenn es passiert, dass die Batterien leer sind. Wir sind umsichtig, bevor wir das Gerät benutzen, versuchen sicherzustellen, dass es richtig funktioniert, dass die Batterien aufgeladen sind usw. Aber wenn es aus irgendwelchen Gründen vorkommt, dass es nicht funktioniert, regen wir uns nicht auf. Und wir machen uns weiterhin Notizen; wir machen uns nicht vollkommen abhängig von dem Aufnahmegerät.

Es ist recht erstaunlich, dass man gegenüber einer Maschine wie einem Kassettenrecorder solche störenden Emotionen entwickeln kann, und heutzutage insbesondere gegenüber Computern. Wir werden äußerst ärgerlich, wenn das Ding nicht tut, was wir von ihm verlangen. Wir denken, es hätte seinen eigenen Willen. Ich bitte Sie – das ist doch lächerlich. Wir meinen: „Es muss funktionieren, dafür ist es doch da, man sollte doch wohl annehmen können, dass es perfekt arbeitet.“ Aber es handelt sich nur um eine Maschine, die aus Teilen besteht und von Menschen hergestellt wurde, die Fehler machen und Dinge nicht auf vollkommene Weise erzeugen können. Das heißt jedoch nicht, dass wir keinen Computer oder Kassettenrecorder mehr benutzen. Wir verwenden ihn, weil er sehr nützlich sein kann, aber wir hängen nicht daran, dass er perfekt funktioniert, und wir ärgern uns nicht, wenn er nicht tut, was wir wollen. Auf diese Weise haben wir ihm gegenüber eine ausgeglichene, gesunde Einstellung. Das ist nicht einfach, vor allem, wenn das Gerät teuer war.

Eine vorläufige Methode, um mit Begierde und Anhaftung umzugehen

Im Buddhismus werden zwei Arten von Methoden angewendet, um mit unseren störenden Emotionen umzugehen. Es gibt einstweilige, vorläufige Methoden, die uns dazu verhelfen, die relative Wahrheit über etwas korrekt zu erkennen; und überdies gibt es letztliche bzw. zutiefst wirksame Methoden, die darin bestehen, die tiefste Wahrheit über etwas zu verstehen, worauf sich die störende Emotion richtet. Die zutiefst wirksame Methoden erfordern eine Menge Studium und Überlegung, und da die einstweiligen, vorläufigen Methoden leichter zu verstehen und anzuwenden sind, üben wir uns zunächst in deren Anwendung. Schauen wir uns einige Beispiele solcher vorläufigen Methoden an.

Darüber nachdenken, was sich innerhalb des Körpers befindet

Wenn wir sehnsüchtiges Verlangen nach jemandem haben und sehr an ihm hängen, insbesondere wenn wir ganz vernarrt in ihn sind und die schönen Eigenschaften seines Körpers übertreiben, oder auch wenn wir sehr an unserem eigenen Körper hängen, dann meditieren wir als Gegenmaßnahme über die so genannten hässlichen Eigenschaften des Körpers. Das Wort „hässlich“ stößt uns etwas ab; es ist kein Wort, dass wir gern hören. Ich denke, wir können hier auch ohne das Wort „hässlich“ auskommen und auch ohne das Wort „schmutzig“ das in diesem Zusammenhang ebenfalls oft genannt wird. Beides hat in unserer heutigen Gesellschaft, in der ein niedriges Selbstwertgefühl vorherrschend ist, einen ungünstigen Beiklang. Lassen Sie uns stattdessen den menschlichen Körper – unseren eigenen oder den von jemand anderem – einfach genauer betrachten, und zwar unter dem Gesichtspunkt dessen, worüber wir gesprochen haben: der relativen Wahrheit darüber, was etwas ist.

Wir können dafür die Analogie eines Pakets verwenden. Ein Paket ist verpackt; nehmen wir an, es sei ein Geschenk, das außen in Geschenkpapier gewickelt ist. Und es gibt auch einen Inhalt: das, was sich darin befindet. Ähnlich ist auch unser Körper oder der Körper von jemand anderem äußerlich von Haut umhüllt, und das ist normalerweise das einzige, was wir sehen. Die Haut gleicht der schönen Verpackung. Genauso, wie ein Geschenkpaket in feines, teures Papier mit hübschen Bändchen verpackt sein kann, kann auch der Körper in schicke, teure Kleidung gehüllt sein, damit er attraktiver aussieht. Doch auch die Kleider sind bloß Verpackung. Um zusätzliche Aufmerksamkeit auf ein Produkt im Laden zu lenken, geben sich die Hersteller große Mühe bei der Gestaltung der Verpackung, in der es angeboten wird, und ergänzen sie mit auffälliger Werbung. Ähnlich versuchen Menschen oft, die Hülle, ihre Haut, durch Make-up attraktiver aussehen zu lassen, und verwenden viel Mühe auf einen besonderen Haarschnitt, exquisites Parfum oder noch auffälligere Attribute wie kunstvolle Tätowierungen, Piercings usw.

Aber ein Paket besteht nicht nur aus der Verpackung, sondern auch aus dem Inhalt. Innerhalb der Körperumhüllung befinden sich Knochen, Muskeln, Organe usw. Wenn der Mageninhalt nach außen dringt, handelt es sich um Erbrochenes. Innerhalb des Körpers befinden sich Exkremente, in der Blase Urin, und in den Venen und Arterien fließt Blut. Das ist Realität; es ist die Wahrheit darüber, was sich innerhalb der Hülle von Haut befindet. Das können wir nicht abstreiten. Und selbst wenn wir den Mageninhalt, den Speichel, den Nasenschleim und die Exkremente, den Urin und das Blut aus dem Inneren entfernen und nur die Haut selbst betrachten, so wäre auch sie nicht gerade das, was wir lieben, nicht wahr? Realität ist, dass der geliebte Mensch das gesamte Paket ist. Wir wollen nicht nur seine Haut, ausgestopft mit Baumwolle oder so etwas, wie in einem Museum für Naturgeschichte. Wir wollen die lebendige Person, und das alles gehört zur Realität dessen, was innerhalb der Hülle vorhanden ist, ob es uns nun gefällt oder nicht.

Nun wird es interessant. Was finden wir schön und was finden wir hässlich? Was empfinden wir als rein und was als schmutzig? Manche Menschen finden Haut sehr schön und ein Skelett hässlich. Aber was ist hässlich an einem Skelett? Es ist einfach nur ein Skelett. Wenn wir im Krankenhaus eine Operation beobachten würden und dabei sehen, was innerhalb des Körpers ist – was ist daran hässlich oder abstoßend? Es hat mit unserer Einstellung zu tun, nicht wahr? Für die Chirurgen, die die Operation durchführen, ist es weder hässlich noch abstoßend – es ist eben einfach das, was innerhalb des Körpers vorhanden ist.

Vermeiden, gute Eigenschaften, z.B. Schönheit, zu übertreiben

Entscheidend ist, die guten Eigenschaften nicht zu übertreiben. Auch gute Eigenschaften sind relativ und subjektiv. Jemanden, den ich sehr schön finde, finden Sie vielleicht alles andere als schön. Und jemanden, den ich hässlich finde, finden Sie vielleicht schön. So etwas ist vollkommen subjektiv. Wenn wir die Haut eines Menschen und die Gestalt des Körpers anziehend finden, ist er für uns schön; dagegen ist nichts einzuwenden. Worum es geht, ist die Übertreibung. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass es uns Vergnügen bereitet, diesen Menschen zu sehen. Sein Aussehen gefällt uns; es freut uns, ihn zu sehen. Was Unruhe stiftet, ist unsere Übertreibung, und dann haben wir das Gefühl, dass wir seinen Körper ständig berühren müssen, ihn jedesmal umarmen müssen, wenn wir ihn sehen, ihn ständig in der Nähe haben wollen. Das ist das Problem. Wenn jemand anders diesen Menschen mit Begehren anblickt, regen wir uns auf: „Dieser Mensch gehört zu mir, sein Körper gehört mir.“ All das wühlt uns emotional auf.

Wenn wir die Eigenschaften der Verpackung – des Äußeren eines Menschen – erheblich übertreiben, ist es sehr hilfreich, diesen Körper etwa so wie bei einer Röntgenuntersuchung zu betrachten und sich das Skelett dieser Person vorzustellen. Das ist nicht so schwierig, denn wir wissen ja, wie ein Skelett aussieht. Die Vorstellung muss nicht perfekt sein; wir sind hier nicht im Anatomie-Unterricht, aber wir können uns z.B. unter der Gesichts- und Kopfhaut den Schädel vorstellen. Das wirkt bereits etwas ernüchternd. Oder wenn wir jemandem den Bauch streicheln und meinen, er wäre wundervoll, können wir versuchen, uns in den Sinn zu rufen, was wir da streicheln, wenn wir vier oder fünf Zentimeter unter die Haut greifen würden. Das heißt nicht, dass wir uns dann abgestoßen fühlen müssten. Es geht nur darum, dass wir keine große Sache aus dem Genuss machen, den wir aus der Liebkosung eines anderen Körpers beziehen. Die Anwendung solcher Methoden verschafft uns mehr emotionales Gleichgewicht.

Die Methodik zum Abbau von sehnsüchtigem Verlangen und Anhaftung

Das alles sind nur vorläufige Methoden; sie befreien uns nicht von sehnsüchtigem Verlangen und Anhaftung. Aber einstweilen mildern sie die störenden Emotionen, wenn diese in bestimmten Situationen überhand nehmen. Um uns tatsächlich davon zu befreien, müssen wir wirklich verstehen, auf welche Weise eine Person eigentlich existiert, und müssen davon absehen, die Person zu einem feststehenden Ding zu machen. Doch diese Vorgehensweise ist sehr schwierig und anspruchsvoll. Deshalb wenden wir zuerst die zeitweiligen, vorläufigen Methoden an. Um dazu in der Lage zu sein, ist ein dreistufiger Prozess erforderlich, der aus Zuhören, Nachdenken und Meditieren besteht.

Die Methode hören und darüber nachdenken

Zunächst einmal müssen wir hören, worin die Methode besteht. Wenn wir sehr an jemandem hängen, weil wir seinen Körper und sein Aussehen überaus anziehend finden, besteht die Methode darin, uns auch bewusst zu machen, was sich unterhalb der Haut befindet, z.B. das Skelett und der Mageninhalt. Nachdem wir von dieser Methode gehört haben, ist es erforderlich, darüber nachzudenken, um sie zu verstehen und die Überzeugung zu gewinnen, dass wir weniger aufgewühlt von sehnsüchtigem Verlangen wären und uns nicht so an die Person klammern würden, wenn wir uns nicht nur der Hülle, sondern auch ihres Inhalts bewusst wären. Wir hätten dann weniger Probleme mit dieser Person und weniger Probleme in unserem Gefühlshaushalt.

Die vier Grundsätze anwenden

Um über die Punkte, die wir gehört haben, nachzudenken, ist es nötig, sie unter dem Gesichtspunkt der so genannten „vier Grundsätze“ zu untersuchen. Dabei handelt es sich um vier Hilfsmittel dafür, zu einer Überzeugung zu gelangen.

Der Grundsatz der Erhärtung durch Begründungen

Mit dem ersten Grundsatz untersuchen wir die Lehren darauf hin, ob sie plausibel und logisch sind. Im obigen Beispiel ist es recht offensichtlich, dass Menschen nicht nur aus Haut bestehen. Das brauchen wir eigentlich nicht zu beweisen. Aber wenn wir diesen Punkt mit Logik untermauern wollen, können wir natürlich feststellen, dass eine leere Hauthülle nicht aufrecht stehen könnte, wenn sich nicht ein Skelett darin befinden würde. Daraus, dass jemand etwas isst, ergibt sich, dass anschließend etwas in seinem Magen und den Gedärmen vorhanden sein muss. Es ist also völlig logisch, dass der Körper einer Person nicht bloß aus Haut besteht, sondern sich darin auch etwas befindet.

Der Grundsatz der Funktionalität

Als Nächstes untersuchen wir, wie eine bestimmte Lehre wirkt, um das beabsichtigte Ergebnis hervorzubringen. Wenn wir uns z.B. gleichermaßen dessen bewusst sind, was sich außerhalb und innerhalb des Körpers einer Person befindet, wird dieses Verständnis dazu führen, dass wir nicht den einen Aspekt übertreiben und den anderen ignorieren.

Wir können auch Folgendes untersuchen: Wenn jemand wirklich so schön und attraktiv ist, warum finden wir dann nur seine Hülle so schön? Müssen wir dann nicht auch seinen Mageninhalt schön finden? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Uns beider Aspekte des Körpers bewusst zu sein, des äußeren wie des inneren, muss uns nicht davon abhalten, das Äußere schön zu finden oder uns an dieser Schönheit zu erfreuen. Es rückte nur den Genuss in die richtige Perspektive. Gut, der Körper dieses Menschen mag äußerlich schön sein, aber er enthält auch die Innereien, und so ist es bei jedem.

Interessant ist: Wenn wir uns mit diesen Punkten befassen, darüber nachdenken und versuchen, diese Überzeugung zu entwickeln, passiert es oft, dass wir sie nicht wahrhaben wollen. Wir haben einen emotionalen Widerstand dagegen, daran zu denken, was im Magen und im Darm der betreffenden Person vorhanden ist. Es ist interessant, das zu beobachten. Wesentlich ist jedoch, dass dies die Realität ist: Es ist die Wahrheit. Die Tibeter lieben drastische bildhafte Darstellungen; sie sagen: Wenn man einen großen Haufen Exkremente nehmen würde und daraus eine großartige Statue eines nackten Körpers formen und hautfarben anmalen würde, wäre es, ganz egal wie schön man das macht, immer noch ein Stück Dreck.

Die Funktionsweise dieses Verständnisses besteht also darin, dass es, wenn wir uns sowohl des Äußeren als auch des Inneren eines Körpers gewahr sind, dahingehend wirkt, das sehnsüchtige Verlangen und die Anhaftung an diesen Körper zu verringern. Die Wirkung beruht darauf, dass wir nicht einen Aspekt leugnen und den anderen übertreiben. Dieses Verständnis ist nicht mit der betörenden Vernarrtheit zu vereinbaren, die uns so aufwühlt. Es ist jedoch mit einer stabilen, langfristigen Beziehung zu jemandem vereinbar und mit einer Haltung aufrichtiger Liebe und Geduld gegenüber dem Alterungsprozess des Körpers. Wenn man dessen gegenwärtige Schönheit übertrieben wichtig nimmt, kann es sein, dass man sich, sobald er älter oder krank wird und seine Schönheit verliert, nach jemand anderem umsieht, den wir attraktiver finden. Doch wenn wir die Realität erkennen und akzeptieren, dass sich sowohl Äußeres als auch Inneres gleichermaßen verändern werden, ist diese Einsicht durchaus damit vereinbar, eine stabile, liebevolle Beziehung zu dieser Person zu haben.

Der Grundsatz der Natur der Dinge

Wie kann es sein, dass Menschen äußerlich hübsch sind und im Innern des Körpers Knochen, Exkremente usw. haben? Das ist die Natur der Dinge; wir sind lebendige Wesen und das sind nun einmal die Komponenten, aus denen unser Körper besteht. Wir haben keine andere Wahl als zu akzeptieren, dass dies die Realität ist. So sieht die Art und Weise aus, wie der Körper funktioniert.

Der Grundsatz der Abhängigkeit

Schließlich untersuchen wir noch, wovon das Entstehen des Geisteszustandes mit diesem Verständnis abhängt, damit wir ihn entwickeln können. Zunächst einmal brauchen wir eine gewisse Selbstbeherrschung. Wenn wir die betreffende Person sehen, müssen wir den zwanghaften Drang unter Kontrolle bringen, sie mit unseren Händen überall am Körper zu berühren. Wir brauchen diese Selbstbeherrschung, um einen Schritt zurückzutreten, nach innen zu schauen und zu analysieren, was abläuft. Diese Selbstbeherrschung wird es uns ermöglichen, tiefer zu blicken und klarer zu sehen.

Außerdem brauchen wir die Bereitschaft und Aufgeschlossenheit, diese Einsicht zu entwickeln und nicht zu fürchten, dass wir dadurch so von dieser Person so abgeschreckt werden, dass wir nicht mehr mit ihr umgehen können. Die richtige Anwendung dieser Methode hängt von all diesen Faktoren ab. Wenn wir das im Voraus verstehen, wissen wir, welche Voraussetzungen erforderlich sind.

Meditation

Nachdem wir diesen Denkprozess durchlaufen haben – also die Lehre verstanden haben und überzeugt sind, dass sie von Nutzen ist und wir diesen Geisteszustand entwickeln wollen – widmen wir uns der so genannten Meditation darüber. Meditation ist eine Methode, um eine Lehre, die wir verstanden haben und von der wir überzeugt sind, in unser Leben zu integrieren. Das tun wir, indem wir diese Vorgehensweise als förderliche Gewohnheit entwickeln, und zwar dadurch, dass wir wiederholt so denken und handeln, wie es der Anleitung entspricht.

Das ist ein zweifacher Prozess. Zuerst üben wir uns in unterscheidender Meditation – manchmal auch „analytische Meditation“ genannt. In einer geschützten Situation, d.h. allein und in Ruhe, ohne die betreffende Person direkt vor uns zu haben, befassen wir uns mit jemandem, an dem wir sehr hängen, z.B. mit hartnäckigem Begehren, das sich an seinem Aussehen festmacht. Wir betrachten dazu ein Foto dieser Person oder denken einfach nur an sie, und dann forschen wir nach und überlegen: Ja, sie hat ein Skelett. Ja, sie hat etwas im Magen. Wir stellen uns vor, ihr Körper sei transparent, und indem wir uns unter ihrer Haut das Skelett, den Mageninhalt usw. vorstellen, versuchen wir, ihren Körper so zu betrachten, dass wir uns gewahr sind, was darin enthalten ist. So prägen wir uns ein, dass diese Sicht der Wahrheit entspricht. Es ist etwa so, als hätten wir einen Röntgenblick, aber ohne dabei die äußere Erscheinung der Person aus dem Blick zu verlieren, die in der Tat hübsch sein kann. Das Innere ihres Körpers zu betrachten macht die konventionelle Schönheit seines Äußeren nicht ungültig.

Nach einer Phase dieser unterscheidenden Meditation, während derer unsere geistige Energie in gewisser Weise nach außen auf das Objekt gerichtet ist, das im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit steht, nämlich den Körper dieser Person, wechseln wir zu einer stabilisierenden Meditation. In dieser zweiten Phase richtet sich unsere geistige Energie mehr nach innen, während wir versuchen, das, was wir aktiv mit unterscheidender Wahrnehmung erkannt haben, in uns einsinken zu lassen. Wir versuchen, wirklich das Gefühl zu verspüren: „Ja, das ist Realität; das ist die Wahrheit darüber, wie der Körper dieser Person außen und innen beschaffen ist. Ja, so ist es.“ Wenn wir die Person ausschließlich mit ihrem Körper identifiziert haben, rufen wir uns ins Gedächtnis, dass sie auch ein Bewusstsein, Gefühle usw. hat. Doch das ist ein anderes Meditationsthema.

Die Methode im täglichen Leben anwenden

Nachdem wir eine gewisse Vertrautheit damit entwickelt haben, auf diese Weise mit sehnsüchtigem Verlangen und Anhaftung umzugehen, und es uns zur Gewohnheit gemacht haben, beginnen wir, diese Methode tatsächlich in Situationen des täglichen Lebens anzuwenden. Wir bringen sie zur Anwendung, wenn wir sie brauchen, also wenn ein starkes Gefühl von Anhaftung oder sehnsüchtigem Verlangen auftritt. Wir untersuchen unsere Motive und erkennen beispielsweise, dass wir diese Person nicht nur berühren wollen, weil sie gerade Trost braucht oder eine Massage zur Muskelentspannung oder irgendetwas dergleichen, sondern dass wir das Gefühl haben, wir müssten sie berühren, weil wir das sehnlichst wünschen. Zu diesem Zeitpunkt setzen wir dann die Methode ein, ihren Körper so zu betrachten, wie wir es in der Meditation geübt haben. Wir erkennen mit unterscheidender Wahrnehmung, dass sie in ihrem Körper ein Skelett, Mageninhalt usw. hat, dass das die Art und Weise ist, wie sie wirklich beschaffen ist, und versuchen, diese Tatsache nicht nur zu erkennen, sondern auch gefühlsmäßig zu spüren.

Als Ergebnis erfahren wir, dass unser Geist klarer wird und besser erkennen kann, was in dieser Situation angemessen ist und was nicht. Allerdings wenden wir damit immer noch eine vorläufige, provisorische Methode an. Auch wenn wir immer noch das Gefühl haben, dass wir die Person berühren wollen, ihre Hand halten möchten usw., erkennen wir, dass wir das im Grunde tun, um uns ein gutes Gefühl zu verschaffen. Es ist nicht so, dass diese Person ihrerseits darauf angewiesen ist. Doch wenn wir in einer solchen Situation diese Meditation anwenden, haben wir keine übertriebene Vorstellung mehr davon, was da abläuft. Diese Vorgehensweise ermöglicht uns auch, zu überprüfen, ob es der anderen Person behagt, ob es ihr recht ist, dass wir sie berühren usw. Und falls nicht, sind wir besser imstande, uns zu beherrschen und davon abzusehen.

Schließlich wird es für uns ganz natürlich, uns spontan auf eine solche ausgeglichene, umsichtige Art zu verhalten: Wir übertreiben nichts, wir klammern uns nicht an jemanden usw. Wenn die andere Person uns gegenüber feinfühlig ist, wird sie das spüren. Wenn wir ständig ihre Hand nehmen, weil wir im Grunde genommen unsicher sind, uns einsam fühlen und meinen, ihre Hand zu halten würde das ändern und unsere Schwierigkeiten lösen, dann ist eine störende Schwingung vorhanden, die mit diesem Ergreifen zu tun hat. Das ist nicht angenehm für die andere Person. Wenn sie ein gewisses Feingefühl hat, spürt sie das. Doch wenn wir keine übertriebenen Vorstellungen von den Annehmlichkeiten des physischen Kontakts haben, dann spüren wir einfach: „Gut, ich halte eine Hand; es ist angenehm, diese Berührung zu spüren, und ich weiß, was sich innerhalb dieser Hand befindet, nämlich Knochen usw.“ Statt eine große Sache daraus zu machen – „Oh, das ist so himmlisch!“ -, erkennen wir: „Das ist angenehm und bewirkt, dass ich mich etwas besser fühle, aber es wird nicht all meine Probleme lösen“ und entspannen unsere Erwartungshaltung. Diese Sichtweise wird zu einer spontanen und natürlichen Geisteshaltung, die auch die andere Person nicht als gekünstelt empfindet und auch sie wird sich damit viel wohler fühlen. Das ist es, was wir anstreben. Unser Bestreben ist nicht, niemanden mehr anzufassen und jeden bloß als einen Sack voller Exkremente zu empfinden. Was wir anstreben, ist Ausgeglichenheit, damit wir anderen wirklich von Nutzen sein können.

Wenn wir in den großen buddhistischen Texten, z.B. in Shantidevas Werk „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“, von solchen Methoden lesen, ist es wichtig, den Kontext zu verstehen, in dem diese Inhalte stehen. In Shantidevas Text wird dieses Thema im Zusammenhang damit erörtert, wie man geistige Stabilität und Konzentration erlangt. Eine der häufigsten Ablenkungen in der Meditation besteht darin, an jemanden zu denken, nachdem wir uns sehnen und an dem wir hängen. Um insbesondere in meditativen Übungen geistige Stabilität und Konzentration zu erlangen, ist diese Methode anzuwenden, auch wenn wir gerade nicht mit der Person, die wir so anziehend finden, zusammen sind. In diesem Zusammenhang werden diese Methoden im Text erläutert.

Doch die Anwendung dieser Methoden ist natürlich auch in anderen Situationen, in denen wir nicht meditieren und vertiefte Konzentration zu erlangen versuchen, von großem Nutzen, vor allem in unseren üblichen Beziehungen zu anderen. Wenn wir in den Texten von diesen Methoden für den Umgang mit sehnsüchtigem Verlangen und Anhaftung lesen, sollten wir auch an den größeren Zusammenhang denken, in dem wir sie anwenden können, statt sie nur als Gegenmittel gegen Ablenkungen in konzentrierter Meditation einzusetzen.

In den Texten finden sich auch detaillierte Untersuchungen und Darstellungen verschiedener Methoden, die den anderen störenden Emotionen, z.B. Ärger, Eifersucht usw. entgegenwirken. Aber wir haben hier nicht genug Zeit, um darauf einzugehen. Ich denke jedoch, dass dieses Beispiel, wie man mit der Anhaftung und dem sehnsüchtigem Verlangen umgeht, das mit dem Aussehen einer Person zu tun hat, uns einen guten Eindruck von der Methodologie verschafft, die verwendet wird.

Zusammenfassung

Kurz gesagt: Das ist die Art und Weise, wie man mit störenden Emotionen umgehen kann, indem man sich geschickt darin übt, bestimmte Methoden einzusetzen. Es gibt viele Methoden für den Umgang mit jeder Art von störenden Emotionen, und es ist hilfreich, vielerlei verschiedene Methoden zu lernen, zu üben und anwenden zu können. Denn in manchen Situationen mag vielleicht die eine Methode nicht so effektiv sein oder wir können sie vielleicht nicht so gut anwenden. Wenn wir mehrere Methoden kennen, haben wir Mittel zur Verfügung, die in dieser Situation möglicherweise wirksamer sind. Wie bei einer Krankheit ist es manchmal erforderlich, eine Kombination von Heilmitteln anzuwenden, und so mag es in manchen Fällen erforderlich sein, eine Kombination von Methoden anzuwenden, um mit einer besonders heftigen störenden Emotion fertigzuwerden. Je mehr solcher Methoden wir also kennenlernen und üben, umso besser werden wir imstande sein, mit schwierigen Situationen umzugehen und Probleme zu vermeiden.

Dafür ist es außerordentlich hilfreich, Shantidevas Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ zu lesen und zu studieren, denn dessen gesamte Darstellung orientiert sich an der Überlegung: Warum lassen wir es zu, dass diese störenden Emotionen Macht über uns haben? Warum machen wir es ihnen so leicht, sich in unserem Geist einzunisten? Sie sind etwas, was uns schadet, und eigentlich sind sie ohne eigene Macht. Wenn wir sie aus unserem Geist entfernen – wo könnten sie hin? Es ist nicht so, als ob sie irgendwo dort draußen lauern und uns angreifen wie ein gewöhnlicher Feind; es gibt nichts Dauerhaftes, Feststehendes an ihnen. Sich das klarzumachen und zu der Überzeugung zu kommen, dass das wahr ist, kann uns sehr helfen. Diese Erkenntnis verschafft uns eine stabile Basis für unser Bestreben, die störenden Emotionen loszuwerden. Wenn wir nicht unter ihre Macht geraten, können wir erheblich besser Verantwortung für die Qualität unseres Lebens übernehmen.

Top