Ist Buddha im Theravada, Mahayana und Tantra derselbe?

Die verschiedenen Versionen bzw. Darstellungen von Buddhas Leben sollte man nicht anhand bloßer Tatsachen im strikt historischen Sinne betrachten und nicht als widersprüchlich einschätzen. Es gilt vielmehr zu verstehen, dass jede Darstellung in einem bestimmten Kontext geschrieben wurde und gelesen werden sollte, und dass eine jede ihre Berechtigung und Gültigkeit hat. Wenn wir uns ansehen, wie diese verschiedenen Kontexte uns jeweils spezielle Lehren bieten, werden wir nicht nur eine tiefere Wertschätzung der Lehren Buddhas gewinnen, sondern auch lernen, wie wir die Lehren all dieser verschiedenen Darstellungen in unserem Leben anwenden können. Wenn wir die Phasen in Buddhas Leben nachverfolgen und die Lehren auf diese Weise anwenden, werden wir imstande sein, die Wahrheit zu erkennen, wie Buddha selbst es getan hat, und die Zielsetzung erfüllen, anderen mitfühlend zu helfen.

Einleitung 

Wollen wir herausfinden, wer Shakyamuni, der Gründer des Buddhismus, war, wird uns bewusst, dass es viele verschiedene Versionen von Buddhas Lebensgeschichte gibt. Aus diesem Grund könnten wir fragen, ob es sich in allen um dieselbe Person handelt. Diese Frage zu beantworten, ist nicht leicht.

Eine Version von Buddhas Leben stammt aus dem Pali-Kanon, den Schriften der Theravada-Tradition. Dort gibt es keine zusammenhängende Geschichte an einer Stelle, aber wir können sie aus den verschiedenen Texten zusammensetzen. In der späteren buddhistischen Literatur wurden dann diesem groben Rahmen weitere Einzelheiten hinzugefügt. 

Das Mahayana, in dem die Identität des Buddha weiter ausgeführt wird, ist eine weitere Version von Buddhas Leben, die sich von der des Theravada unterscheidet. In der Theravada-Version ist Buddha eine historische Figur, die, wie es gemeinhin akzeptiert wird, von 566 bis 485 v. u. Z. lebte, im Leben die Erleuchtung erlangte und dessen Kontinuum dann mit dem Tod endete. In der Mahayana-Version wird dann die Geschichte, wie sie im Pali-Kanon dargestellt wird, weiter ausgeführt. Dort wird beschrieben, wie der Buddha in vielen Leben davor erleuchtet wurde und dann in der Form von Shakyamuni auf diese Erde kam. Auf der Erde vollzog er zwölf erleuchtende Handlungen, um anderen ein Beispiel aufzuzeigen, und nach dem Tod setzt sich sein Kontinuum fort, um sich in vielen anderen Bereichen zu manifestieren, Belehrungen zu geben und allen Wesen zu nutzen.

Eine weitere Version des Buddha finden wir in den Tantras. Hier erscheint der Buddha gleichzeitig in mehreren verschiedenen Formen. Diese Formen, die man als „Meditationsgottheiten“ bezeichnet, haben unterschiedliche Farben, zahlreiche Arme, Gesichter und Beine, die alle verschiedene Aspekte von Buddhas Verwirklichungen repräsentieren. Der Buddha erschien in diesen verschiedenen Formen, doch gleichzeitig gab er in einer menschlichen Form Belehrungen, wie am Geierberg in Indien, wo er auch die Sutras lehrte.

Das Leben des Buddha im spezifischen Kontext 

Diese verschiedenen Versionen, die auch noch Subversionen enthalten, scheinen verwirrend zu sein. Wer war also der Buddha? Damit wir in diesen verschiedenen Versionen einen Sinn erkennen können, ist es zunächst notwendig, die grundlegenden buddhistischen Prinzipien zu verstehen, mit denen jede Version von Buddhas Leben die Schriften gemäß dieses bestimmten Aspekts des Buddhismus, also in einem spezifischen Kontext, lehrte. Die Art des Buddha, wie er im Pali-Kanon beschrieben wird, lehrte im Kontext der Theravada-Lehren. Daher ergibt es keinen Sinn, dass derselbe Buddha auch die allgemeinen Mahayana- und tantrischen Lehren erteilte.

In den Mahayana-Texten ist die Art des Buddha, wie er beschrieben wird, nicht der „historische Buddha“, der in einem Leben Erleuchtung erlangte und dessen Kontinuum mit dem Tod endete. Genauso verhält es sich auch mit dem in den tantrischen Lehren dargestellten Buddha.

Zusammenfassend kann man sagen, dass alles, was in den verschiedenen Lehren beschrieben oder formuliert wird, in einem spezifischen Kontext verstanden werden sollte, wenn man über das Leben des Buddha oder auch über andere Themen spricht. Dies ist ein grundlegendes buddhistisches Prinzip, das beachtet werden sollte. Diese gleichen Themen im unterschiedlichen Kontext kann man auch betrachten, indem man bestimmte Fragen stellt, wie: Welchen Nutzen hat es für mein tägliches Leben, diese Dinge zu lernen? Wie hilft es mir auf dem buddhistischen, spirituellen Pfad? 

Wenn wir uns das Leben von Buddha Shakyamuni in unterschiedlichem Kontext ansehen, können wir hoffentlich die problematischen Fragen vermeiden: Hat Buddha wirklich die Mahayana-Sutras gelehrt? Hat er wirklich Tantra gelehrt? Zur Zeit des Buddha gab es zahlreiche Debatten unter den Buddhisten, ob Buddha den Mahayana und die tantrischen Lehren überhaupt lehrte oder nicht, denn die Lehren wurden nur mündlich weitergegeben und es wurde nichts niedergeschrieben. Eine Streitfrage findet man in dem Werk „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ von dem großen indischen Meister Shantideva, wo er sagt: „Für jeden Grund, den ihr Hinayana-Buddhisten (Theravada-Buddhisten etc.) gebt, um unsere Mahayana-Sutras zu disqualifizieren, könnte ich genau die gleichen Gründe geben, um eure zu disqualifizieren.“ Mit anderen Worten sagt man in beiden Schulen, Hinayana und Mahayana, dass die Lehren als eine mündliche Tradition überliefert wurden. Sagen also die Theravada-Buddhisten zu denen des Mahayana: „eure Lehren sind nicht authentisch, weil sie nicht von Buddha gelehrt wurden und später kamen“, können die Mahayana-Buddhisten erwidern: „Dasselbe gilt für eure Lehren, denn auch sie kamen durch die mündliche Überlieferung und wurden erst viel später niedergeschrieben. Sind also unsere Lehren nicht authentisch, sind eure es auch nicht.“

Ein weiteres Argument, auf welches zuvor eingegangen wurde, besteht darin, dass es im Rahmen des Theravada und des Mahayana verschiedene Konzepte von Buddha gibt, die Theravada-Art des Buddha, der die Theravada-Schriften lehrte, und die Mahayana-Art, der die Mahayana-Schriften lehrte. Aus diesen drei Traditionen, der Theravada, die den Hinayana repräsentiert, der Mahayana-Sutra-Tradition und der Mahayana-Tantra-Tradition, können wir etwas über das allgemeine Leben des Buddha erfahren.

Die Zeit des Buddha 

Zunächst müssen wir fragen, wann der Buddha gelebt hat. Er lebte während einer bestimmten Zeit, in einer bestimmten Gesellschaft und einem bestimmten Kontext. Diese Gesellschaft hatte bereits gewisse grundlegende Glaubensvorstellungen, auf die Buddha einging. Innerhalb dieses Glaubenssystems gab es grundlegende Themen, die man in allen indischen Denkweisen dieser Zeit findet und die sich im Laufe der Geschichte entwickelt haben. Buddha erläuterte diese Themen, wie die Wiedergeburt, die aufgrund des Karmas (den persönlichen Handlungen) festgelegt ist, und auch, wie man Befreiung aus diesem Kreislauf der Wiedergeburten erlangt. In allen indischen Systemen heißt es im Grunde, dass Wissen oder das Verständnis der Wirklichkeit die Methode ist, die jemanden befähigt, frei von Wiedergeburten zu werden. Buddha, der mit den Antworten der verschiedenen  damaligen Philosophien und Religionen nicht zufrieden war, dachte darüber nach, meditierte und führte verschiedene Übungen aus, um zu seiner Verwirklichung der Wahrheit zu gelangen.

In Indien gab es zur Zeit des Buddhas eine große Bewegung hin zu einem autokratischen System. Es gab verschiedene Königreiche, in denen die Händler immer reicher wurden und die Könige mit ihrem Reichtum bedrohten. Daraufhin wurden die Könige immer autokratischer. In einigen wenigen Gegenden in Indien begannen kleine Länder Denksysteme zu gründen, die nicht so hierarchisch waren und auf jenen der allgemeinen Bevölkerung beruhten. Buddha, der in einem [oder in der Nähe eines] dieser kleinen Länder geboren wurde, stand unter dem Einfluss dieses Systems und organisierte sein Kloster so, dass alle Entscheidungen von allen Mitgliedern zusammen getroffen werden mussten. 

Außerdem gab es in dieser Zeit eine Bewegung von Menschen, die gegen die alte vedische Religion mit ihren Ritualen, Priestern und dergleichen aufbegehrten, eine Religion, der alle folgten, auch die kleinen Länder und Autokratien. Diese Reaktionäre waren die „Shramanas“, die wandernden Asketen oder „Aussteiger“ der Gesellschaft, die sich von der Gesellschaft abwandten, um durch die Wälder zu laufen, zu meditieren und an ihrer eigenen Entwicklung zu arbeiten. Repräsentanten dieser Art der Bewegung umfassten nicht nur den Buddha, sondern auch andere Schulen und Anhänger. Ein Abwenden von der Gesellschaft, zumindest für eine bestimmte Zeit, ist wichtig, wenn man einem spirituellen Pfad folgen will, um unabhängig zu sein und die Wahrheit zu suchen. Hat man das Gefühl, die Wahrheit gefunden zu haben, zwingt man sie nicht anderen auf eine hierarchische und autokratische Weise auf, sondern offenbart sie auf eine eher „demokratische“ Weise.

Der Zweck und die Gültigkeit von Biografien 

In einem buddhistischen Kontext – indisch oder tibetisch – werden Biografien benutzt, um bestimmte Punkte der Lebensgeschichte von großen Figuren zu lehren und zu veranschaulichen, anstatt einfach nur Tatsachen darzulegen. Das Leben einer großen, religiösen Figur ist in diesem Kontext dazu da, um andere zu inspirieren und daher scheinen vielleicht Teile der Geschichte aus einer westlichen Sicht ziemlich fanatisch zu sein. Beispielsweise erschien im Leben des Buddhas der Mutter im Traum ein Elefant mit sechs Stoßzähnen oder Buddha wurde aus der Seite seiner Mutter geboren, machte sieben Schritte und sagte: „Hier bin ich!“  usw. Aus einer indischen oder tibetischen Sicht ist es nicht wichtig, ob die Geschichte historisch korrekt war oder nicht. Der Punkt ist vielmehr, was die Geschichte tatsächlich darstellt oder den Zuhörern sagen will. Das ist relevant, ob wir nun das Leben des Buddhas historisch erfassen wollen, um herauszufinden, was er tatsächlich tat oder was unter seinen Anhängern geschah, oder ob wir die Geschichte aus der Sicht betrachten, wie sie ein Inder oder Tibeter lesen würde. In jedem Kontext ist die Lebensgeschichte dazu da, um uns etwas zu sagen, wobei die eine Seite nicht gültiger ist als die andere. Ein wichtiges Prinzip, wie die buddhistische Denkweise funktioniert, besteht darin, Dinge auf vielen verschiedenen Ebenen aus verschiedenen Sichtweisen verstehen zu können und in Betracht zu ziehen, dass viele davon vollkommen gültig sein können; es gibt mehr als eine Wahrheit darüber, wie es wirklich war.

Ein beliebtes Beispiel in der buddhistischen Literatur ist folgendes: Für Menschen sieht eine Flüssigkeit wie Wasser aus, für hungrige Geist wie Eiter, für Höllenwesen wie Säure und für die Götter wie Nektar. Welche Sichtweise ist nun korrekt? Gemäß der buddhistischen Denkweise sind sie alle korrekt, weil die Gültigkeit von etwas nur relativ zu einem bestimmten Kontext ist.

Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf einen Bereich der Familientherapie, die als kontextuelle Therapie bezeichnet wird, in der in einer Familie jedes Familienmitglied gebeten wird, ihre Version der Situation zu beschreiben. Der Vater beschreibt eine Version, die Mutter eine andere und jedes der Kinder erzählt eine eigene. Jede dieser Versionen ist korrekt und wird gleichermaßen respektiert, weil alle Familienmitglieder die Situation auf ihre eigene Weise erfahren. Das ist eine recht buddhistische Denkweise und sie kann auf die Lebensgeschichte des Buddha angewandt werden. Lesen wir die Geschichte auf viele unterschiedliche Weise, ist jede Version korrekt und wird uns etwas lehren.

Die wesentlichen Tatsachen im Leben des Buddhas und ihre Relevanz für unsere Praxis 

Buddha wurde in einer privilegierten und reichen Familie geboren (es lässt sich darüber streiten, ob er ein Prinz war oder nicht), und daher genoß er viele Freuden und Vorteile, einschließlich einer guten Ausbildung. Er heiratete und hatte einen Sohn. Was seine Laufbahn betrifft, so wurde ihm angeboten, die Position als Oberhaupt einer Republik zu übernehmen, doch Buddha, der ein Anhänger der Shramana-Bewegung war, lehnte das Angebot ab. Hier ist es wichtig zu betonen, dass Buddha nicht unverantwortlich handelte, als er seine Frau und sein Kind verlies. In der indischen Gesellschaft kümmert man sich in der erweiterten Familie von Großeltern und anderen Mitgliedern um Frauen und Kinder. Auch wurde Buddha in der Kriegerkaste geboren, einer Kaste, in der die Männer die Heimat verließen, um in die Schlacht zu ziehen. Buddha kämpfte seine eigene Schlacht, die innere, gegen Unwissenheit und störende Emotionen.

Buddhas Entschluss, das Familienleben hinter sich zu lassen, lehrt uns, dass die Suche nach Wahrheit, also dem Ende der Leiden, was Wiedergeburt oder geistige und emotionale Leiden betrifft, weit wichtiger ist, als eine gute Position, Macht und Geld zu besitzen. Es ist wichtiger zu verstehen, wie wir Lösungen für universale persönliche Probleme finden, wie Wut, Gier, Selbstbezogenheit und dergleichen, oder für gesellschaftliche Probleme, als nach Macht und Geld für uns selbst zu trachten. Das ist die Lektion, die uns Buddhas Leben lehrt.

Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt, dass es nicht jedermanns Sache ist, zu einhundert Prozent einem spirituellen Leben zu folgen. Viel wichtiger ist die Qualität unseres Lebens und des Lebens der uns umgebenden. Buddha folgte völlig dem spirituellen Pfad, indem er den Palast in einem Wagen verlies (ein Beispiel aus der Bhagavad Gita) und die verschiedenen Arten von Leiden sah, wie das Leid der Krankheit, des Alters und des Todes, sowie die Wandernden, die im Palast nicht zu sehen waren. 

Der Symbolismus dieser verschiedenen Geschichten aus Buddhas Leben können auf die Jungsche Theorie angewandt werden, wo Buddha so sehr durch Reichtum und Sinnesfreuden geblendet war, dass er die Leiden der Welt nicht wahrnahm. Erst, als er den Palast mit seinem Wagen verlässt, beginnt seine spirituelle Reise, auf der er die Leiden zu Gesicht bekommt und die Probleme versteht, mit denen alle konfrontiert sind.

Ein ausgesprochen wichtiger Aspekt von Buddhas Geschichte und der buddhistischen Lehren besteht darin, nicht in fanatische Extreme der Praxis zu fallen. Nachdem er den Palast verlies, übte sich Buddha in intensiver Meditation und äußerst asketischen Praktiken, in denen er sich praktisch fast zu Tode hungerte. Während er unter einem Baum saß, realisierte er, dass diese Übungen nicht nützlich waren und brach sein Fasten, indem er von einem Hirtenmädchen Joghurt annahm. In der indischen Denkweise stellt eine Kuh (Joghurt, Milch) mütterliche Liebe und Mitgefühl dar und daher ist es symbolisch, dass dem Buddha ein Milchprodukt von einer Kuh angeboten wurde, um uns zu zeigen, dass Mitgefühl uns von der Selbstgeißelung wegführt, um den richtigen Weg zu finden, auf dem wir uns mit dem universalem Leiden beschäftigen.

Kurz bevor er Erleuchtung erlangt, sitzt Buddha unter dem Bodhi-Baum (heilige Bäume sind in Indien ein häufiges Thema), wo ihm Mara erscheint. Mara, das Sanskrit-Wort für Tod, repräsentiert Hindernisse, Versuchungen und dergleichen. Daraus können wir erkennen, dass sogar Buddha kurz vor seiner Erleuchtung mit Hindernissen konfrontiert wurde, als er versuchte, etwas Positives zu erreichen.

Kurz vor seiner Erleuchtung war Buddha spirituell äußerst fortgeschritten; er wurde nicht von einem völligen Anfänger zu einem erleuchteten Wesen. Sogar auf den letzten Stufen seiner Praxis wurden die Hindernisse noch stärker und, genau wie Buddha, müssen auch wir uns mit Dingen konfrontieren, die uns am Erlangen unseres Ziels hindern. Tatsächlich ist es so, dass die Hindernisse um so größer werden, je mehr positive Handlungen wir versuchen auszuführen. Daher ist die Lehre hier, dass wir uns nicht entmutigen lassen, sondern uns wie ein Krieger mit Stärke den Hindernisse stellen sollten. Das bezieht sich auf die Vorstellung, dass Buddha aus einer Kriegerkaste kam, denn es handelt sich tatsächlich um einen inneren Kampf gegen unsere Täuschungen, Ängste und dergleichen.

Nachdem Buddha erleuchtet wurde, zögerte er mit dem Unterrichten und fragte sich, wer seine Lehren überhaupt verstehen könnte. Als er jedoch darum gebeten wurde, Belehrungen zu geben, entschied er sich doch, es zu versuchen. Daraus lernen wir, dass wir es trotz allem aus Mitgefühl versuchen sollten, auch wenn es äußerst schwierig ist, die Lehren anderen zu vermitteln oder zu erklären.

Nachdem die anderen von ihm unterrichtet wurden, wollten sie dem Buddha folgen, woraus sich das Mönchstum entwickelte. Zu Beginn gab es keine monastischen Regeln, doch da die Mönche in einer Gemeinschaft lebten, wurden verschiedene Verhaltensregeln eingeführt, die man als „Vinaya“ kennt, um Probleme zu vermeiden, die durch so ein Gemeinschaftsleben entstehen. Diese Regeln wurden nicht von jemandem verfasst, der sie diktierte, sondern wurden eingeführt, wenn Probleme auftauchten. Um beispielsweise zu vermeiden, dass andere die Mönche für gierig hielten, wenn sie um Nahrung bettelten, was die Tradition der Shramanas in dieser Zeit war, wurden Regeln festgelegt, dass sie nicht um Nahrung bitten durften, sondern nur annehmen konnten, was gegeben wurde. Auch durften sie keine Nahrung aufbewahren, nach mehr fragen und ähnliches. Diese Regeln sorgten dafür, dass die Mönche von der Gesellschaft nicht mißbilligt wurden, und sie sind noch heute gültig.

Am Anfang zögerte Buddha, auch Frauen als Nonnen mit in die Klostergemeinschaft aufzunehmen, da er sich Sorgen machte, dass andere es als unangemessen betrachten würden, wenn Männer und Frauen zusammen im Wald lebten. Doch als er dann schließlich Frauen in den Orden aufnahm, legte er ganz spezifische Regeln fest, um sicherzustellen, dass die Gesellschaft keine falschen Vorstellungen haben würde. So wurde es Mönchen und Nonnen zum Beispiel nicht erlaubt, allein zusammen zu sein. Es musste immer jemand dabei sein und sie durften nicht auf dem gleichen Sitz oder Bett zusammen sitzen. Aus diesen Regeln lernen wir, dass Buddha auf der einen Seite all die Vorzüge der Gesellschaft ablehnte, um die Wahrheit zu finden, und auf der anderen Seite der Gesellschaft keine falschen Vorstellungen geben wollte. Auch wenn man nicht allen Prinzipien der Gesellschaft im Sinne ihrer Werte zustimmen mag, so sollte man sich doch nicht von ihr entfremden. Das bezieht sich auf Politiker, die heutzutage lernen müssen, diplomatisch zu sein und zu verstehen, keinen unbegründeten Verdacht hervorzurufen oder zu hegen, auch wenn sie den Werten der Gesellschaft widersprechen. 

Buddha hatte einen Cousin, Devadatta, der eine große Abneigung gegenüber dem Buddha hegte und ihm ständig Schwierigkeiten bereitete. Geht man weiter in den Pali-Kanon hinein, findet man im Grunde einige Leute, die dem Buddha Probleme bereiteten und ihn nicht mochten. Daraus lernen wir eine wertvolle Lektion, denn wenn schon Buddha von manchen nicht gemocht wurde und es nicht allen recht machen konnte, wie können wir das dann von uns erwarten? Wir sollten daher realistisch und nicht niedergeschlagen sein, wenn andere uns nicht mögen und wir nicht alle zufriedenstellen können.

Wenn es in der Lebensgeschichte um das Sterben Buddhas geht, gab es für Ananda (einen von Buddhas Hauptschülern) die Gelegenheit, ihn zu bitten, nicht zu sterben, doch er tat es nicht, und so endete Buddhas Leben. Daraus lernen wir, dass Buddha nur lehrt, wenn er gefragt wird und nur bleibt, wenn er darum gebeten wird. Wenn niemand möchte, dass er bleibt, geht er. Das können wir auch auf uns selbst beziehen, denn wenn Menschen unsere Hilfe nicht haben wollen oder uns nicht brauchen, sollten wir uns ihnen nicht aufzwingen. Es gibt viele andere, die vielleicht viel empfänglicher sind und sich unsere Hilfe wünschen. 

Schlussfolgerung 

Wir können das Leben Buddhas aus vielen Winkeln betrachten. Wir könnten versuchen, all die historischen Fakten zu finden, die zwar im Kontext der westlichen Sicht auf die Geschichte eine Gültigkeit haben, aber uns keine Gewissheit bezüglich bestimmter Daten oder Jahre geben. Oder wir können uns die Lektionen ansehen, die wir hinsichtlich der verschiedenen Symbole lernen können, die in der Geschichte klar erkennbar sind, und uns wie in der Jungschen Analyse fragen: Was bedeuten sie? Was stellen sie dar?

Wir könnten das Leben Buddhas in einem größeren Mahayana-Kontext betrachten und uns die Darstellung ansehen, in der Buddha vor vielen Zeitaltern Erleuchtung erlangte, und die uns die Mahayana-Sicht des Universalismus lehrt, in der anderen seit vielen Leben geholfen wird. Daraus lernen wir, dass das, was wir momentan tun, das Resultat all der Generationen ist, die vor uns kamen, und dass wir, wenn wir versuchen, etwas Positives zu tun, es gedanklich auf zukünftige Generationen beziehen sollten.

In der tantrischen Darstellung lehrt Buddha an einem Ort tiefgründige Philosophie und an einem anderen erscheint er mit vier Gesichtern, von denen jedes gleichzeitig etwas anderes lehrt. Das zeigt, dass all die vielen verschiedenen Aspekte der Lehren Buddhas, die wir in der Geschichte finden, aus den gleichen Quellen oder der gleichen grundlegenden Idee zusammenpassen und verschieden dargestellt werden können.

Wir finden grundlegende Prinzipien, die es in all den verschiedenen Arten der Lehren Buddhas gibt, ob wir da an die Theravada-Darstellung, die Mahayana-Sutra-Darstellung oder die Mahayana-Tantra-Darstellung denken. In all diesen Darstellungen gibt es grundlegende Prinzipien, die durch die verschiedenen Arme, Beine und Gesichter der Buddha-Gestalten repräsentiert werden. Die grundlegenden Lehren Buddhas sind die vier edlen Wahrheiten und man kann sagen, dass sie vier Gesichter repräsentieren! Diese Darstellung von Buddhas Leben umfasst keine tatsächlichen Fakten, die man nachlesen kann, sondern ist dazu da, uns zu helfen, die Anwendung jeder Darstellung und ihren Zweck herauszufinden. Durch diese Untersuchung sind wir dann in der Lage, eine tiefere Wertschätzung dieser Themen zu bekommen.

Zusammenfassung 

Es gibt drei Versionen von Buddhas Leben: die Theravada-Darstellung, sowie die Darstellungen des Mahayana-Sutra und des Tantra. Es wird darüber gestritten, ob diese Darstellungen widersprüchlich sind, doch durch Logik können wir aufzeigen, dass jede in einem anderen Kontext gelehrt wird. Diese unterschiedlichen Darstellungen sind dazu da, uns zu inspirieren und um etwas daraus zu lernen. Betrachten wir die Geschichte des Buddha, so lebte er in einer bestimmten Gesellschaft mit Glaubensvorstellungen darüber, wie man von Leiden befreit wird. Buddha, den dieses System nicht zufriedenstellte, strebte an, die Wahrheit in einem nicht-hierarchischem System zu lehren. Er lies die Annehmlichkeiten von Heim und Familie hinter sich, um seinen inneren Kampf zu führen. Dies erreichte er nicht durch asketische Übungen, sondern durch Mitgefühl, das sich mit dem universalen Leid auseinandersetzte. Buddha stieß dabei auf große Hindernisse, doch sie hielten ihn nicht davon ab, und als er Erleuchtung erlangte, kam er den Bitten nach, aus Mitgefühl Belehrungen zu geben. Für die Anhänger des Buddha wurde sowohl für Mönche als auch für Nonnen die Klostergemeinschaft geschaffen, in denen es Regeln gab, die im Einklang mit der Gesellschaft festgelegt wurden. 

Audioaufnahme des Seminars

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