Vaibhashika und Sautrantika: Die zwei Wahrheiten

Die zwei Wahrheiten sind sehr komplexe und tiefgründige Themen im Bereich des Buddhismus und ich möchte versuchen, sie auf praktische Weise zu präsentieren und darauf hinweisen, dass es sich nicht nur um eine Thematik von intellektuellem Interesse handelt, sondern um etwas, dass auch praktischen Nutzen haben kann. In der buddhistischen Praxis streben wir an, ein erleuchteter Buddha zu werden und das bedeutet, dass wir unsere Unwissenheit bezüglich der Realität – die Unwissenheit in Bezug auf alle Dinge – überwinden müssen, um bestmöglich allen hilfreich sein zu können.

Täuschende Erscheinungen und die zwei Wahrheiten 

Was wir alle in der Welt wahrnehmen ist ziemlich verwirrend; normalerweise nehmen wir so genannte täuschende Erscheinungen wahr. Diese täuschenden Erscheinungen lassen uns glauben, Dinge würden so existieren, wie sie erscheinen. Beruhend darauf haben wir allerhand störende Emotionen, die in Erscheinung treten und zu dem zwanghaften Verhalten des Karmas führen. Um ein völlig erleuchteter Buddha zu werden, ist es notwendig, die so genannten zwei Wahrheiten in Bezug unsere Erfahrungen im Leben zu verstehen.

Sprechen wir im Buddhismus von diesen zwei Wahrheiten, geht es darum, dass beide innerhalb ihres eigenen Kontextes gültig sind. Es ist nicht so, dass eine zutreffender ist als die andere; um eine Art der transzendentalen Wahrheit zu verstehen, müssen wir nicht die andere völlig ignorieren. Bei der so genannten „oberflächlichen Wahrheit“ gibt es jedoch im Verborgenen immer etwas Tieferes. Diese zwei Wahrheiten kann man als oberflächliche und tiefste Wahrheiten verstehen. 

Die Bedeutung von „oberflächlich“ 

Grundsätzlich ist es notwendig, diese zwei Aspekte der Wirklichkeit zu verstehen und die oberflächliche Ebene zu dekonstruieren, um auch die tiefere Ebene zu erfassen. Tun wir dies auf erfolgreiche Weise, werden wir das vollständige Ausmaß der Wirklichkeit verstehen. Was den Begriff „oberflächliche Wahrheit“ betrifft, so hat der große, indische,buddhistische Meister Chandrakirti dem Wort „oberflächlich“ (tib. kun-rdzob) drei verschiedene Bedeutungen zugewiesen. „Oberflächlich“ heißt:

  • Etwas, wodurch das Sehen der tieferen Natur dessen, wie Dinge existieren, behindert wird. Es verschleiert entweder die vier edlen Wahrheiten oder die Leerheit, die Abwesenheit unmöglicher Arten zu existieren.
  • Etwas, das sich auf etwas anderes stützt oder von etwas anderem, beispielsweise von Teilen, abhängt. Das bezieht sich nicht auf etwas, das sich auf Ursachen und Bedingungen stützt, denn das würde lediglich nichtstatische Phänomene umfassen.
  • Etwas, das von weltlichen Konventionen abhängig ist. Das bezieht sich auf Dinge wie Kategorien. Kategorien sind Konventionen, wie die Kategorien „Hund“, „gut“ oder „schlecht“. Dadurch wird die objektive Realität, auf die sich die Kategorien beziehen, verschleiert. Hier reden wir wiederum nicht über die Realität dieser Dinge, sondern nur über die Elemente selbst; das sollte klar sein. 

Wir reden über etwas, wodurch etwas anderes bedeckt wird. Die Erscheinung einer Sache kann also verbergen, wie etwas tatsächlich existiert. Zum Beispiel scheint etwas, das aus Teilen besteht, solide zu sein, aber durch die Erscheinung werden die Teile verdeckt, aus denen es besteht. Es erscheint als etwas Solides, aber an sich besteht es aus Teilen. Oder wenn die Rede von allgemeinen Kategorien von Dingen ist, wird die Individualität der Dinge, die den Kategorien zugeordnet werden können, verschleiert. 

Die vier Lehrsysteme 

Im Allgemeinen gibt es im indischen Buddhismus vier buddhistische Lehrsysteme. Zwei von ihnen gehören zu den so genannten Hinayana-Systemen und zwei zu den Mahayana-Systemen. Innerhalb des Hinayana gibt es Vaibhashika und Sautrantika und im Mahayana gibt es Chittamatra und Madhyamaka. Die Tibeter haben Madhyamaka auf unterschiedliche Weise unterteilt. In der tibetischen Gelugpa-Schule wird Madhyamaka in Svatantrika und Prasangika unterteilt. Letztendlich haben wir also fünf verschiedene Sichtweisen, die wir uns ansehen werden. Alle von ihnen sind äußerst hilfreich im Prozess des Dekonstruierens von täuschenden Erscheinungen, damit wir nicht nur die oberflächliche Ebene von Dingen sehen, sondern auch die tiefste Ebene.

Was das Hinayana-System betrifft, ist im Vaibhashika und Sautrantika in Bezug auf die zwei Wahrheiten von zwei verschiedenen Arten wahrer Phänomene die Rede. Es sind zwei Arten wahrer Phänomene und im Wesentlichen sind das dann zwei verschiedenartige Dinge. Fachlich ausgedrückt würde man sagen, sie haben unterschiedliche Wesensnaturen. 

In den Mahayana-Systemen sind die zwei Wahrheiten von derselben Wesensnatur. Das heißt, die oberflächliche Wahrheit bezieht sich auf die Erscheinung von Dingen und die tiefste Wahrheit bezieht sich auf ihre Existenzweise. Im Grunde beziehen sie sich auf die gleiche Sache, jedoch von zwei Blickwinkeln aus betrachtet; aus der Sicht, wie sie zu existieren scheinen und aus der Sicht, wie sie tatsächlich existieren.

Die zwei Arten von wahren Phänomenen gemäß dem Vaibhashika 

Werfen wir zunächst einen Blick auf das Vaibhashika-System. Hier geht es im Wesentlichen darum, das zu dekonstruieren, was uns festgelegt und solide erscheint; also um diese Dinge, die uns solide erscheinen, als würden sie nicht aus Teilen bestehen und ihre Bestandteile verbergen. Bei der tiefsten Wahrheit handelt es sich dann um die Dinge, die nicht so sind, um es einmal ganz einfach auszudrücken. Die eigentlichen Definitionen sind natürlich sehr komplex.

Oberflächliche wahre Phänomene gemäß dem Vaibhashika

Oberflächliche wahre Phänomene sind Dinge, deren konventionelle Identitäten wir nicht länger wahrnehmen können, während wir sie auf physische Weise zerlegen oder sie durch geistige Prüfung analysieren. Lasst mich die Definition mit etwas anderen Worten wiederholen: Oberflächlich wahre Phänomene sind Dinge, deren konventionelle Identitäten wir nicht länger wahrnehmen können, während wir versuchen, sie entweder physisch oder geistig zu dekonstruieren. 

Nehmen wir zum Beispiel diesen Tisch: wenn wir diesen Tisch dekonstruieren, gelangen wir irgendwann bis zu den Atomen oder Teilchen, und wenn wir ihn so analysieren und bis zu den Atomen vordringen, können wir ihn nicht mehr als Tisch erkennen. Er verliert seine Identität und ist lediglich eine Ansammlung von Atomen. Betrachten wir einmal einen Satz: Wir hören doch nicht den gesamten Satz auf einmal, oder? Wir hören jeweils nur Teile von Silben, Konsonanten und Vokalen. Zerlegen wir einen Satz in seine klanglichen Komponenten, verliert er jegliche Bedeutung. 

Obwohl Sätze und Tische natürlich existieren, sind sie nicht so solide, wie sie erscheinen. Schaut nur, welche Probleme entstehen können, wenn man die Welt als feststehende Entität betrachtet. Vielleicht haben wir schlechte Laune und machen es zu etwas Solidem, aber im Grunde besteht diese schlechte Laune aus vielen kleinen Teilen. Jeder Augenblick ist anders und auch das, was in jedem Augenblick geschieht, ist verschieden. Oder jemand sagt etwas zu uns, wir nehmen es viel zu ernst, werden wütend deswegen und fühlen uns verletzt. Tatsächlich besteht das alles jedoch aus vielen Teilen. Jeder kleine Klang des Satzes, der gesagt wurde, ist nur ein Geräusch. Auf diese Weise hilft uns das Zerlegen in Komponenten und in die grundlegendsten Bestandteile, störende Emotionen zu überwinden und das ist wirklich hilfreich. 

Genauso verhält es sich mit der Bewegung: eine Bewegung besteht aus winzigen Augenblicken der Veränderung. Aber wir können uns unglaublich über Bewegung oder Geschwindigkeit ärgern, weil beispielsweise unser Computer zu langsam läuft oder darüber, wie Dinge sich im Laufe der Zeit entwickeln.

Wenn wir diese Dinge nicht in ihre Einzelteile zerlegen, kann es passieren, dass wir uns in dessen Solidität verfangen. Untersuchen wir diese oberflächlich wahren Phänomene jedoch bis hin zu den winzigsten Einzelheiten, gelangen wir letztendlich zu den kleinsten Bestandteilen. Und diese kleinsten Bestandteile physischer Objekte sind aus Sicht des Vaibhashika Partikel oder Teilchen. Im Vaibhashika und Sautrantika wird behauptet, es gäbe letztendliche kleinste Teilchen und kleinste Zeiteinheiten, die nicht weiter aufgeteilt werden können. 

In der Mahayana-Schule spricht man hingegen davon, dass es keine letztendlichen kleinsten Teilchen oder Zeiteinheiten gibt; man kann sie immer weiter aufteilen. Betrachtet man es vom Standpunkt der modernen Wissenschaft, ist das wirklich interessant, denn man versucht ja immer das letztendlich kleinste Teilchen zu finden und entdeckt dann, zehn Jahre später, dass etwas genau genommen aus noch kleineren Teilchen besteht und so weiter. 

Im Vaibhashika wird behauptet, es gäbe ein letztendlich kleinstes Teilchen, während man im Mahayana der Meinung ist, alles bestehe aus Teilchen. Laut dem Vaibhashika sind oberflächliche wahre Phänomene also jene, die ihre Identität verlieren, während wir sie entweder geistig oder physisch dekonstruieren.

Tiefste wahre Phänomene gemäß dem Vaibhashika

Tiefste wahre Phänomene sind jene Dinge, deren konventionelle Identitäten wir noch wahrnehmen können, wenn wir sie zerlegen oder analysieren. Wir zerlegen oder dekonstruieren sie also entweder geistig oder physisch und können sie trotzdem identifizieren. Das bezieht sich nicht nur auf diese letztendlich kleinsten Teilchen oder Zeiteinheiten, sondern auch auf solche Dinge, wie Formen physischer Phänomene oder Glück.

Hat man eine Form und zerteilt sie in kleine Teile, ist es trotzdem noch eine Form. Und zerteilt man diese Form weiter, ist es immer noch eine Form. Egal wie klein man eine Form aufgeteilt, es bleibt eine Form. Oder Glück: auch der kleinste Augenblick davon ist immer noch Glück.

Das heißt, dass es nach Ansicht des Vaibhashika einige Dinge gibt, die grundlegende Bausteine der Wirklichkeit sind, und dies umfasst nicht nur die kleinsten Teilchen und Zeiteinheiten, sondern auch diese grundsätzlicheren Dinge, wie Formen, Klänge, Glück usw.

Im Theravada-System – das auch zum Hinayana gehört, jedoch nicht in der tibetischen Sanskrit-Tradition besprochen wird – gibt es eine ähnliche Art der Präsentation dieser zwei Wahrheiten. Es gibt diese grundlegenden Phänomene als tiefste Phänomene.

Der Raum ist ebenfalls ein tiefstes wahres Phänomen. Im Buddhismus hat der Raum eine besondere Bedeutung. Er ist eine Tatsache in Bezug auf etwas; es handelt sich nicht um den Raum, der von etwas eingenommen wird. Es ist eine Tatsache, dass dieses materielle Objekt durch nichts daran gehindert wird, in den drei Dimensionen präsent zu sein. Anders ausgedrückt: egal, wo ich meine Armbanduhr hinlege, es gibt nichts, was sie daran hindert, in den drei Dimensionen präsent zu sein und ich kann sie in nichts hineintun, was solide ist. Aber die Tatsache, dass sie überall, wohin ich sie auch tue, in den drei Dimensionen präsent sein kann, solange diese drei Dimensionen nicht von etwas anderem besetzt sind, nennt man Raum.

Obwohl wir diese Tatsache in unseren westlichen Sprachen mit dem Wort „Raum“ bezeichnen, was oft etwas verwirrend für uns ist, haben wir ein ganz anderes Konzept davon, was das Wort bedeutet. Wie dem auch sei, wenn wir Raum analysieren, wird die Identität als Raum immer beibehalten, egal wie klein man ihn unterteilt.

Raum ist ein statisches Phänomen – es wird durch nichts beeinflusst und ändert sich daher nie. Im Vaibhashika sind alle statischen Phänomene tiefste wahre Phänomene, aber nicht alle tiefsten wahren Phänomene sind statisch. Einige tiefste wahre Phänomene, wie die kleinsten Teilchen, die kleinsten Einheiten von Zeit und Glück, sind nichtstatisch. Manche nichtstatischen Phänomene, wie ein Tisch, sind oberflächliche wahre Phänomene und manche sind tiefste wahre Phänomene. 

Im Vaibhashika vertritt man jedoch die Ansicht, dass sowohl statische als auch nichtstatische Phänomene die gleiche Art der Existenz haben. Beide sind in dem Sinne substantiell existierende Phänomene, da sie beide die Funktion erfüllen, als Objekte ihrer Wahrnehmung zu dienen.

Die zwei Arten von wahren Phänomenen gemäß dem Sautrantika 

Obwohl es Dinge gibt, die aus Teilen bestehen und die Teile verbergen, auf die sie sich stützen, dekonstruieren wir im Sautrantika von einem anderen Standpunkt aus, wenn es um die zwei Wahrheiten geht. Hier richten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf den Geist; und ganz allgemein ausgedrückt differenzieren und dekonstruieren wir unsere Projektionen.

Begriffliche Wahrnehmung durch Kategorien

Wir nehmen Dinge begrifflich durch das Medium von Kategorien wahr. Selbstverständlich verfügen wir auch über unbegriffliche Wahrnehmung – wir sehen, wir hören – aber sie dauert nur für einen winzigen Moment an. Was wir durch die Sinne wahrnehmen, ordnen wir Kategorien zu, damit es einen Sinn ergibt. So sind Hund, Katze, Tisch usw. Kategorien. Kategorien können mit diversen Worten oder Namen in unterschiedlichen Sprachen benannt werden und sie können sogar ohne Namen ein Teil unserer geistigen Prozesse sein. Tiere nehmen Dinge, wie „mein Stall“ und „mein Herrchen“ durch Kategorien wahr. Sie verwenden Kategorien ohne Worte und auch Babys nutzen Kategorien.

Viele verschiedene Dinge, die recht unterschiedlich aussehen, können manchmal alle einer Kategorie zugeordnet werden. Das einfachste Beispiel ist die Kategorie „Hund“. Da gibt es den Dachshund, den deutschen Schäferhund, den Pudel, den Chihuahua, die Dogge – all diese unterschiedlichen Arten von Tieren. Sie alle sehen ganz anders aus und trotzdem gibt es eine Kategorie von Tieren, der sie angehören und das ist die Kategorie „Hund“. Sie werden nicht der Kategorie „Katze“, sondern der Kategorie „Hund“ zugeordnet. Das ist einfach eine Art und Weise, Dinge begrifflich zu ordnen. 

Kategorien haben definierende Eigenschaften und wenn wir uns gedanklich auf Kategorien beziehen, gibt es auch etwas, das diese Kategorie repräsentiert. Versuchen wir alle, uns einen Hund vorzustellen, wird jeder ein ganz anderes geistiges Bild von einem Hund haben, das einen „Hund“ repräsentiert. Was den Hund angeht, ist das kein so großes Problem. Denken wir jedoch alle an das Wort „Freund“ oder „Liebe“, „hübsch“ oder „hässlich“, „gut“ oder „schlecht“, hat jeder von uns eine ganz andere Vorstellung davon, was es repräsentiert und sogar unterschiedliche Definitionen. Das Problem ist, dass wir diese Kategorie und was sie repräsentiert, projizieren, wenn wir jemanden wahrnehmen. Wir projizieren auf die Person, was in unserem Geist ein guter Freund sein sollte. Dann denken wir: „du bist kein guter Freund“ und haben jede Menge Probleme deswegen, nicht wahr? Das ist begriffliches Denken.

Wir meinen: „Wenn du mich liebst, solltest du dieses und jenes tun, aber auf keinen Fall das. Daher liebst du mich nicht.“ Das ist eine Projektion und in unserer normalen, alltäglichen Sprache hat sie etwas mit Kategorien zu tun und damit, was diese Kategorie repräsentiert.

Gemäß dem Vaibhashika sind Kategorien nichtstatische Phänomene, die weder Formen physischer Phänomene sind, noch Weisen, sich etwas gewahr zu sein. Es gibt Hunde, es gibt Freunde, und sie alle sind nicht statisch, denn Hunde und Freunde tun Dinge. Im Sautrantika wird dem widersprochen und behauptet, dass Kategorien statische Phänomene sind. 

Im Sautrantika werden objektive Entitäten von metaphysischen Entitäten unterschieden. Nichtstatische Phänomene sind objektiv, während statische Phänomene metaphysisch sind. Im Sautrantika wird weiterhin behauptet, dass statische Phänomene oberflächliche wahre Phänomene sind, während nichtstatische Phänomene tiefste wahre Phänomene sind.

Die Existenz oberflächlicher wahrer Phänomene wird lediglich durch das geistige Bezeichnen begrifflicher Wahrnehmung begründet. Im Vaibhashika vertritt man die Meinung, dass nichts auf diese Weise existiert, aber im Sautrantika widerspricht man dem und sagt, dass Kategorien nur existieren, weil sie durch begriffliche Wahrnehmung geistig bezeichnet werden. Man schreibt die Kategorie „Hund“ bestimmten Tieren zu und die Kategorie „Freund“ bestimmten Menschen. Diese Kategorien existieren nicht außerhalb dieses begrifflichen Vorgangs. Es sind metaphysische Entitäten.

Im Gegensatz zu Kategorien tun individuelle Hunde oder individuelle Freunde etwas. Kategorien selbst tun jedoch nichts. Sie sind lediglich ein Teil unseres begrifflichen Bezugssystems. Es gibt Objekt-Kategorien, wie „Hund“, „Freund“ und so weiter, und es gibt auch Hörkategorien. Ganz egal mit wessen Stimme das Wort „Hund“ ausgesprochen wird und egal mit welcher Lautstärke oder Betonung – wir sind in der Lage, es als Klang des Wortes „Hund“ zu verstehen. All diese individuellen Beispiele der Aussprache dieses Wortes sind recht unterschiedlich, aber sie alle werden der Hörkategorie des Klanges des Wortes „Hund“ zugeordnet. Es ist schon erstaunlich, wie wir verstehen können, dass alle das gleiche Wort sagen. Das ist eine Hörkategorie. Sie ist statisch und eine metaphysische Entität.

Oberflächliche und tiefste wahre Phänomene gemäß dem Sautrantika

Im Sautrantika sind „oberflächliche wahre Phänomene“ jene Dinge, die lediglich durch das Zuschreiben begrifflicher Wahrnehmung begründet werden. Sie umfassen alle metaphysischen Entitäten, also alle statischen Phänomene. Sie üben keine Funktion aus – im Sautrantika wird das Dienen als Objekt der Wahrnehmung nicht als Ausüben einer Funktion betrachtet. Sie sind also nichts substantiell Existierendes und hier wird auch das Fehlen eines unmöglichen Selbst einer Person miteinbezogen. Das Äquivalent der Leerheit wird im Sautrantika zu einer oberflächlichen Wahrheit, da sie nur durch begriffliche Wahrnehmung begründet wird. Diese Behauptung im Sautrantika-System ist ziemlich speziell. 

Die „Existenz tiefster wahrer Phänomene“ wird hingegen seitens ihrer eigenen individuellen Existenzweise begründet, die nicht von der Zuschreibung durch Worte oder begriffliche Wahrnehmung abhängig ist. Im Sautrantika werden solche Phänomene als „objektive Entitäten“ bezeichnet. Metaphysische Entitäten sind also jene Dinge, die wir projizieren und auf begriffliche Weise nutzen, um Dinge zu verstehen, während objektive Entitäten alle nicht-statischen Phänomen umfassen – sie bilden die „objektive Realität“. 

Eine andere Definition oberflächlicher wahrer Phänomene bezieht sich auf jene Dinge, deren Existenzweise der logischen Analyse nicht standhält. Das bedeutet, wenn wir diese Kategorien analysieren, dass sie nicht außerhalb des Rahmens unseres begrifflichen Denkprozesses als objektiv existierend auffindbar sind. Das ist von maßgeblicher Bedeutung, denn das heißt, dass durch die Analyse unsere Projektionen beseitigt werden – diese oberflächlichen Wahrheiten sind nicht mehr auffindbar, während die tiefsten wahren Phänomene jene Dinge sind, dessen Existenzweise der logischen Analyse nicht standhält. Nachdem wir es logisch analysiert haben, entdecken wir, dass ein Objekt trotz allem als objektiv existierend außerhalb des Rahmens unseres begrifflichen Denkprozesses auffindbar ist. 

Beispielsweise habe ich die Form der körperlichen Erscheinung von jemandem durch die Kategorie „Frau“ oder „Freund“ betrachtet. Ich analysiere meine Konzepte, die ich in Bezug auf Frauen und Freunde habe und sehe, dass es solche Konzepte außerhalb dieses Rahmens sonst nirgendwo gibt. Wenn ich die Person jedoch analysiere, ihr Aussehen und ihre körperliche Erscheinung, kann ich sehen, dass sie trotzdem dasitzt. Ich kann sie außerhalb des begrifflichen Vorgangs finden. Das ist objektive Realität. 

Kurz gesagt: nur diese tiefsten wahren Phänomene sind substantiell existierend. Sie können Funktionen erfüllen, existieren also wahrhaft und sind so genannte „letztendliche Phänomene“. 

Selbst-begründete Existenz (inhärente Existenz)

Gemäß dem Sautrantika wird die Existenz aller gültig erkennbaren Phänomene durch ihre Selbstnatur begründet, ob wir nun über die oberflächlichen oder tiefsten wahren Phänomene reden. Ihre Existenz ist selbst-begründet. Manchmal wird sie als inhärente Existenz übersetzt, was darauf hindeutet, dass die Existenz von sich aus begründet wird. Sie wird als Existenz durch folgende Tatsache begründet: wenn man nach dem bezeichnenden Ding, also dem eigentlichen Ding sucht, auf das man sich durch den Namen oder das Konzept bezieht und das dem Namen oder Konzept einer Sache entspricht, ist das eigentliche bezeichnende Ding auffindbar. Es ist auf Seiten des benannten Objektes auffindbar.

In dem Beispiel „das Glas“ gibt es das Wort „Glas“ und auch die Kategorie „Glas“. Wodurch wird es nun jedoch als ein Glas festgelegt? Es wird dadurch begründet, dass hier tatsächlich ein Glas steht – ein bezeichnendes Ding, das dem Namen oder der Kategorie entspricht. Das ist ein auffindbares bezeichnendes Ding. 

Laut dem Sautrantika ist alles so und wenn wir nach objektiven Dingen, wie dem Glas, suchen, finden wir auf Seiten des Objektes ein tatsächlich existierendes Ding, auf das sich das Wort dafür bezieht. Bei metaphysischen Entitäten ist des genauso. Wir finden sie nicht in der objektiven Realität, aber die Kategorie „Glas“ hat einen Namen dafür, dieser Name bezieht sich auf die Kategorie und die Kategorie kann man tatsächlich in der begrifflichen Wahrnehmung finden. Sie ist da und befindet sich von sich aus in der begrifflichen Wahrnehmung, obwohl sie nicht außerhalb des begrifflichen Gedankens auffindbar ist.

Definierende charakteristische Merkmale

Zusätzlich wird die Existenz von oberflächlichen und tiefsten wahren Phänomenen durch ihre individuellen definierenden charakteristischen Merkmale begründet, die von ihrer eigenen Seite auffindbar sind. Ich denke, am einfachsten kann man so etwas verstehen, indem man sich einen Barcode seitens des Objektes vorstellt, ob wir nun über Kategorien oder über objektive Dinge reden. Sie haben einen Barcode und dieser Barcode begründet, was sie sind und welche Eigenschaften sie haben. Sie sind die Grundlage dafür, dass sie und ihre Eigenschaften als Kategorien bezeichnet und mit Namen, Worten und Konzepten benannt werden.

Ich sehe euch beispielsweise an und da gibt es auf Seiten von euch einen Barcode. Dieser Barcode könnte für „Schüler“, „Frau“ oder „Freund“ stehen. Ich könnte euch mit diesen Worten benennen, aber auch wenn ich euch nicht mit diesen Worten benenne, ist dieser Barcode da. Und natürlich seid ihr objektiv eine Frau, ein Schüler oder ein Freund. Versteht ihr das? Das gleiche trifft auf Kategorien zu; auch sie haben ihre definierenden Charakteristika wie einen Barcode. Betrachten wir es in Bezug auf diese ganze Sache der Genome, DNA und Ähnliches, bei der die Individualität von etwas charakterisiert wird, ist es nichts Fremdartiges. Ich benutze lediglich andere Fachausdrücke.

Top