Etwas verstehen: Begreifen

Einführung in die Thematik

Heute Abend werden wir über das Thema: „Was heißt es, etwas zu verstehen?“ sprechen. Hierbei handelt es sich in der Tat um ein sehr wichtiges Thema und um eins, mit dem man sich eigentlich traditionell nicht im Dharma befasst. Natürlich ist es jedoch notwendig, die Lehren zu verstehen. Wir sollten ein Verständnis von Vergänglichkeit und von Leerheit haben. Wir müssen die Texte verstehen können und es ist wichtig, die Menschen, denen wir versuchen zu helfen, ihre Probleme und das, was sie sagen, zu verstehen.

Leider hat das Wort verstehen in diesem Zusammenhang eine etwas andere Bedeutung und es gibt ziemlich viele Begriffe, die mitunter abwechselnd benutzt werden und oft das gleiche bedeuten. Zum Beispiel könnten wir etwas wissen, wir könnten etwas verstehen oder wir könnten etwas begreifen (begreifen heißt, etwas korrekt und entschieden zu verstehen). Und natürlich werden die Worte in einer Sprache, wie dem Englischen, nicht genau mit den so genannten vergleichbaren Begriffen einer anderen Sprache, wie dem Deutschen, übereinstimmen. Wenn wir beispielsweise im Englischen sagen: „Ich kann Französich“ (I know French) und „Ich verstehe Französich“ (I understand French) bedeutet dies das gleiche. Sagen wir aber: „Ich begreife, was du gesagt hast,“ „ich weiß, was du gesagt hast,“ und „ich verstehe, was du gesagt hast,“ dann gibt es hier leichte Unterschiede. Auch ist es etwas anderes, ob wir sagen: „Ich weiß, was ich lese,“ oder „ich verstehe, was ich lese,“ nicht wahr?

Ich denke also, dass es wirklich wichtig ist, eine klare Vorstellung davon zu haben, um welche Stufen es sich handelt, die wir mit zunehmendem… Nun, dafür haben wir nicht einmal ein Wort – Nennen wir es Wissen? Oder nennen wir es Verständnis? – Das würde alles mit einbeziehen. Es gibt kein Wort, keinen Begriff dafür und das ist das Problem. Und um all dies „verstehen“ zu können (leider müssen wir dieses Wort benutzen), ist es wichtig, präzise zu sein. Ansonsten könnten wir nicht die Ebene unseres Wissens oder Verstehens bestimmen und wir wüssten nicht wirklich, ob wir etwas verstehen oder nicht. Wie können wir also wissen, ob wir etwas verstanden haben?

Begriffe in Bezug auf Wahrnehmen und Verstehen

Im Tibetischen gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Begriffen. Da unser Übersetzer ein wenig Tibetisch kann, werde ich auch die tibetischen Begriffe nennen.

Da gibt es das Wort „Sem“ (tib. sems). Für gewöhnlich wird es mit „Geist“ übersetzt, aber diese Übersetzung ist etwas irreführend. Es geht um geistige Aktivität, also nicht um eine Sache, sondern um eine Aktivität, die von einem Moment zum anderen stattfindet. Dies ist jedoch der Begriff, der üblicherweise verwendet wird. Und was bedeutet das Wort? Die Definition ist: „bloße Klarheit und Gewahrsein“ (tib. gsal-rig tsam). Zu jedem dieser Worte gibt es Definitionen und sie bedeuten nicht das, was unsere Worte bedeuten.

  • „Klarheit“ (tib. gsal) bedeutet nicht, sich über etwas im Klaren zu sein, sondern es bedeutet, ein geistiges Hologramm entstehen zu lassen. Wenn wir etwas wahrnehmen, ist es im Grunde so, dass Photonen durch die verschiedenen Dinge im Auge auf den Sehnerv treffen. Dann gelangen all die elektrischen und chemischen Impulse zum Gehirn und das wird irgendwie übersetzt als… das beste Wort dafür ist ein „geistiges Hologramm.“ Das ist es, was wir sehen. Genauso verhält es sich mit Klängen: eine Membrane im Ohr gerät in Schwingung und das wird als „geistiges Hologramm“ übersetzt. Gedanken, Emotionen – all diese Dinge sind geistige Hologramme. Das ist die Bedeutung des Wortes „Klarheit:“ das Entstehenlassen eines geistigen Hologramms.
  • Das zweite Wort „Gewahrsein” (tib. rig) bedeutet geistige Beschäftigung. Tatsächlich könnte es sich darum handeln, etwas zu wissen, etwas nicht zu wissen, sich über etwas gewahr zu sein, sich nicht über etwas gewahr zu sein – es geht also um jegliche Art von geistiger Beschäftigung.

Und diese zwei sind keine voneinander getrennten Vorgänge. Es geht um die gleiche Sache, die gleiche Aktivität, die von zwei Blickwinkeln aus betrachtet wird. Das Erscheinen eines Gedankens ist das gleiche, wie das Denken eines Gedankens. Es ist nicht so, dass zunächst ein Gedanke auftaucht und wir ihn erst dann denken, oder dass ein geistiges Hologramm erscheint und wir es erst dann sehen. Woher sollten wir wissen, dass es da ist, damit wir es sehen können? Es ist also absurd, sie voneinander zu trennen.

  • Und das Wort „bloß“ (tib. tsam), oder „nur,“ weist darauf hin, dass dies alles ist, was passiert. Bei dem ganzen gibt es kein getrenntes Ich, welches diesen ganzen Vorgang beobachtet oder kontrolliert und auch keinen getrennten Geist, der wie eine Maschine funktioniert, an dessen Steuer das Ich sitzt und die Maschine bedient, damit sie funktioniert und eine Aktivität stattfindet. So ist das nicht.

Das ist also die grundlegendste Definition der geistigen Aktivität. Ganz egal, von welcher Art geistiger Aktivität hier die Rede ist: dies ist es, was geschieht. Und es geschieht von einem Moment zum anderen, völlig frei von jeglicher Unterbrechung, ohne Anfang und ohne Ende. Und es ist äußerst wichtig, dass es individuell ist. Natürlich gibt es viele Methoden der Meditation – zum Beispiel Mahamudra – mit denen man versucht, diese geistige Aktivität zu erkennen, die unabhängig davon stattfindet, was wir sehen, hören oder Ähnliches. Das ist ein ganz anderes Thema und an sich ein sehr hilfreiches.

Dann gibt es mehrere andere Worte, wie „Shepa“ (tib. shes-pa), ein Objekt wahrzunehmen; „Rigpa“ (tib. rig-pa), sich über ein Objekt bewusst zu sein; und „Dzinpa“ (tib. ’dzin-pa), etwas als ein Objekt zu anzunehmen. Bei allen handelt es sich um Synonyme, deren Bedeutung darin besteht, aktiv an einem Objekt auf kognitive Weise festzuhalten. Das sind wichtige Begriffe, denn es gibt so viele verschiedene Arten, an einem Objekt in kognitiver Weise festzuhalten: entweder konzeptuell (tib. rtog-pa), nicht-konzeptuell (tib. rtog-med), schlussfolgernd (tib. rjes-dpag), vermutend (tib. yid-dpyod) oder unentschlossen (tib. the-tshoms). Da gibt es wirklich zahlreiche Möglichkeiten. Es könnte konzeptuell oder nicht-konzeptuell sein. Es könnte sich um eine Wahrnehmung, eine Sinneswahrnehmung, handeln, oder um eine Vermutung (wir vermuten, etwas wäre wahr, aber verstehen nicht wirklich warum). Vielleicht handelt es sich um unentschlossenes Schwanken (ist es dieses, oder jenes?) oder auch um verzerrte Wahrnehmung (tib. log-shes), bei der wir es einfach falsch verstehen.

Das ist eine breite Thematik, die auch im tibetischen Buddhismus in den Klöstern studiert wird. In der traditionellen Ausbildung lernt man diese Dinge mindestens ein Jahr lang. Sie sind sehr wichtig, um bestimmen zu können, wie wir etwas verstehen. Einige Erkenntniswege sind gültig, andere nicht. Natürlich sollten wir in dieser Thematik wissen, ob es sich bei dem Verständnis um ein korrektes oder ein fehlerhaftes Verständnis handelt, ob wir uns sicher sind oder nicht.

Dann gibt es noch den Begriff „Togpa“ (tib. rtogs-pa), der sehr schwer zu übersetzen ist. Ich habe ihn mit „etwas begreifen“ übersetzt. Im Englischen („to apprehend something“) ist es kein sehr gebräuchlicher Begriff und tatsächlich haben wir kein Wort dafür. Die Bedeutung ist, etwas korrekt und entschieden wahrzunehmen.

Zum Übersetzer: Eine präzise Übersetzung. Sehr gut. Und entschieden; ihre Entscheidung steht fest. Hervorragend! Vielleicht gab es ein wenig unentschlossenes Schwanken.

Sehen Sie, das ist ein sehr gutes Beispiel. Hat er wirklich verstanden, was ich gesagt habe? Oder wusste er es schon und konnte sich daran erinnern? Und wie präzise und entschieden ist seine Art der Übersetzung? Das ist ein wirklich gutes Beispiel. Wäre er ein maschinelles Wörterbuch, würde er eine präzise Übersetzung geben können, hätte es aber nicht im Geringsten verstanden. Diese Möglichkeit besteht auch.

Dann haben wir das tibetische Wort „Gowa“ (tib. go-ba), etwas zu verstehen, was im Tibetischen nicht gut definiert wird. Ich war sehr überrascht, als ich das herausgefunden habe.

Ich werde Ihnen dazu eine Geschichte erzählen. Ich habe eine sehr enge Beziehung zur jungen Reinkarnation meines Lehrers. Ich stand auch dem alten Serkong Rinpoche nahe, aber dem jungen, der jetzt 27 Jahre alt ist, bin ich wirklich zugetan. Ich rief ihn also an und fragte ihn, was die Definition von „Gowa“ ist, worauf er mir erwiderte: „Es gibt keine Definition, es wurde nicht definiert.“ Darauf bat ich ihn, doch seinen Lehrer nach der Bedeutung zu fragen. Und zu meiner Überraschung meinte er: „Ich glaube nicht, dass irgendein Tibeter jemals diese Frage gestellt hat. Es ist keine Frage, die wirklich angemessen wäre.“ Ich sagte: „Du könntest der erste sein, der sie stellt.“ Aber ich denke nicht, dass er es getan hat.

Es liegt also an uns, die Bedeutung zu erforschen, sie zu analysieren, und herauszufinden, ob es unserem Begriff „etwas zu verstehen“ entspricht. Denn normalerweise wird das Wort „Togpa“  – etwas zu begreifen –  mit „verstehen“ übersetzt, aber es geht nicht wirklich um das Verstehen, sondern darum, etwas zu begreifen. „Begreifen“ und „verstehen“ sind also nicht synonym. Wenn wir etwas verstehen, begreifen wir es auch. Wenn wir es aber begreifen, heißt das nicht unbedingt, wir würden es auch verstehen. Wenn wir es richtig verstehen, begreifen wir es. Natürlich gibt es auch fehlerhaftes Verständnis und wir reden nicht davon, etwas nicht richtig oder nicht präzise zu verstehen, was wahrscheinlich oft passiert.

Sehen Sie, genau das ist das Problem. Wir können das Wort „verstehen“ in unseren Sprachen modifizieren und von „fehlerhaftem Verständnis“ oder „nicht sehr entschiedenem Verständnis“ reden (wir verstehen es, sind uns aber nicht ganz sicher). Hier liegt die Schwierigkeit des Wortes „verstehen.“ Im Tibetischen wäre das nicht so. Während wir versuchen zu verstehen, was es heißt, etwas zu verstehen, sollten wir es zumindest als korrektes und entschiedenes Verständnis betrachten und nicht als etwas Fehlerhaftes, bei dem wir uns nicht so ganz sicher sind.

Nun werden wir beginnen, uns mit der tibetischen oder vielmehr indischen Tradition der Logik und Analyse, einer sehr hilfreichen Methode, beschäftigen (die Tibeter haben es nicht erfunden, sondern die Inder). Wenn ich Menschen, wie Sie, unterrichte, versuche ich Ihnen nicht nur Informationen zu vermitteln, denn die könnten sie auch irgendwo lesen – nicht gerade irgendwo, aber sie könnten sie lesen. Der entscheidende Punkt ist zu lernen, selbst Dinge zu untersuchen und zu ergründen. Sinn und Zweck der Dharma-Schulung besteht darin zu lernen, Sachen selbst herauszufinden. Es ist notwendig zu lernen, etwas auf korrekte Weise zu analysieren. Wenn wir etwas richtig analysieren können, haben wir es verstanden.

Was bedeutet es, etwas zu begreifen?

Untersuchen wir einmal das Wort begreifen (rtogs-pa). Etwas zu begreifen heißt, es sowohl korrekt, als auch entschieden wahrzunehmen.
Dafür gibt es vier Möglichkeiten. Auf diese Weise untersuchen wir etwas und vielleicht wird es dadurch klarer.

  1. Unsere Wahrnehmung kann korrekt und entschieden sein. Die Person hat „ja“ gesagt, wir haben „ja“ verstanden und sind uns sicher, dass es so war. Wir sind uns nicht unschlüssig und haben keine Zweifel. Das bedeutet es, entschieden zu sein. Wir haben keine Zweifel in Bezug darauf.
  2. Dann könnte sie nicht korrekt, aber entschieden sein. Die Person hat „ja“ gesagt, wir haben „nein“ verstanden und sind uns sicher, dass sie „nein“ gesagt hat.
  3. Sie könnte auch korrekt und unschlüssig sein. Die Person hat „ja“ gesagt, wir haben „ja“ verstanden, sind uns aber nicht sicher (wir denken, sie hat „ja“ gesagt).
  4. Darüber hinaus könnte unsere Wahrnehmung auch nicht korrekt und unschlüssig sein. Die Person hat „ja“ gesagt, wir haben „nein“ verstanden, sind uns aber nicht wirklich sicher.

Es ist sehr wichtig zu wissen, dass es diese vier Möglichkeiten gibt, wenn wir mit jemandem kommunizieren, denn jede dieser vier könnte zutreffen. Auch wenn wir etwas entschieden und korrekt begreifen, verstehen wir vielleicht trotzdem nicht wirklich, was die Person damit meinte, als sie „ja“ sagte und denken: „Was hat sie damit gemeint?“ Ich denke, hier kann man klar und deutlich den Unterschied zwischen begreifen und verstehen sehen. Wir haben etwas begriffen – „Der andere hat es gesagt. Ich habe wirklich gehört, was er gesagt hat und bin mir sicher, aber ich habe keine Ahnung, was er damit gemeint hat.“ Hier kann man deutlich den Unterschied zwischen diesen beiden erkennen.

Explizites und implizites Begreifen

Das Begreifen kann entweder explizit (dngos-su rtogs-pa) oder implizit (shugs-la rtogs-pa) sein – jetzt gehen wir etwas mehr ins Detail – und der Unterschied besteht darin, ob ein geistiges Hologramm des beteiligten Objektes hervorgerufen wird oder nicht. Sehen wir uns das an einem Beispiel an.

  • Ich begreife explizit, höre also deutlich, das Geräusch von Schritten auf der Treppe. Das ist es, was ich höre. Es gibt ein geistiges Hologramm. Eigentlich findet nur eine Schwingung in meinem Ohr statt, aber es gibt ein geistiges Hologramm eines Geräusches von Schritten auf der Treppe. Das ist explizit, also eindeutig. Durch dieses Geräusch entsteht ein geistiges Hologramm.
  • Implizit begreife ich, dass dort jemand ist. Es gibt kein geistiges Hologramm einer Person, aber ich weiß implizit, also indirekt, entschieden und genau, dass jemand auf der Treppe ist, wenn ich das Geräusch höre.

Alles klar? Das sind die zwei Arten des Begreifens: explizit und implizit. Es kann nicht einfach nur implizit, ohne explizit zu sein. Jedoch kann es explizit sein und gleichzeitig entweder implizit oder nicht. Beispielsweise sehe ich explizit diese Blumen. Ein geistiges Hologramm der Blumen entsteht. Implizit weiß ich, dass es sich nicht um eine Frucht handelt. ... Es ist keine Frucht – eine Frucht erscheint nicht, aber ich weiß, dass es sich nicht um eine Frucht handelt, ist es nicht so?

Es ist indirekt, weil kein geistiges Hologramm entsteht.

Es entsteht kein geistiges Hologramm von: „das ist keine Orange.“ Weder tritt ein geistiges Hologramm einer Orange, noch ein geistiges Hologramm von: „das ist keine Orange,“ in Erscheinung. Das ist von Belang und wir werden darauf zurückkommen. Es hat etwas damit zu tun, ob etwas Entschiedenheit hat oder nicht.

Begreifen ist korrekt

Nun geht es darum, mit der Untersuchung fortzufahren. Wie analysieren wir etwas? Wir analysieren mithilfe von Definitionen. Im tibetischen Buddhismus, der aus der indischen Tradition stammt, werden die meisten Dinge definiert. Leider gehört das Wort „verstehen“ nicht dazu, aber die meisten Begriffe werden definiert. Wir untersuchen also – und versuchen zu verstehen – was das Wort „korrekt“ bedeutet. Wie können wir wissen, ob es korrekt ist, was wir verstanden haben? Wie können wir wissen, ob irgendetwas korrekt ist? Dazu ist es notwendig zu verstehen, was es bedeutet, wenn etwas korrekt ist und wenn etwas entschieden ist. Der einzige Weg das herauszufinden, besteht darin, sich die Definitionen dazu anzusehen und auch die Definitionen der Wörter in diesen Definitionen, um zu erkennen, was es genau bedeutet.

Sehen wir uns das an dem Beispiel an, das Geräusch unseres weinenden Babys mittels der Wahrnehmung von Geräuschen zu begreifen. Wie können wir wissen, ob es korrekt ist? Wir hören das Geräusch. Wie können wir präzise wissen, dass es sich hierbei um das Geräusch unseres weinenden Babys handelt?

„Präzise“ bedeutet, dass es die drei Kriterien Dharmakirtis für eine gültige Wahrnehmung erfüllt.

  1. Sie steht im Einklang mit einer Konvention. Babys weinen nun einmal und daher wird sie erfüllt. Die Konvention ist: wir hören ein Geräusch und wissen, dass Babys nun einmal weinen.
  2. Sie steht nicht im Widerspruch zu einem Geist, der konventionelle Wahrheit als gültig wahrnimmt. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass auch andere dieses Geräusch des weinenden Babys hören können. Wir fragen jemanden oder mehrere Leute: „Haben sie das Baby weinen gehört?“ Wir schalten das Aufnahmegerät ein und dadurch wird bestätigt: es gibt dieses Geräusch eines weinenden Babys. Niemand widerspricht und sagt: „Nein, ich habe nichts gehört.“
  3. Es steht nicht im Widerspruch zu einem Geist, der die tiefste Wahrheit als gültig wahrnimmt. Aryas, die eine nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der tiefsten Wahrheit haben, nehmen das Geräusch eines weinenden Babys nicht als etwas wahr, das unabhängig von Ursachen und Bedingungen und unabhängig davon erscheint, worauf sich die geistige Benennung „weinen“ bezieht.

Verstehen Sie, was das bedeutet? Nein. Was bedeutet es? Nehmen wir an, ich denke: „Nun, es ist doch nur ein Geräusch. Babys weinen, aber das bedeutet nicht viel. Dem Baby fehlt nichts.“ Dann würden wir denken, das Geräusch würde unabhängig von einer Ursache erscheinen. Das ist unmöglich. und würde dem Verständnis eines Arya widersprechen.

Oder wir denken, Babys machen nur manchmal dieses Geräusch. Diese Denkweise wäre auch fehlerhaft – eine gültige Wahrnehmung der konventionellen Wahrheit würde dem widersprechen – denn darauf bezieht sich dieses Konzept des „Weinens.“ So ist es nur einmal. Wir müssen uns mit dem Weinen auseinandersetzen. Es ist nicht nur ein Geräusch. Es geht darum, worauf sich das Wort „weinen“ bezieht.

Was ist die Bedeutung des Wortes „weinen“ und worauf bezieht es sich? Es bezieht sich auf das Geräusch, dass Babys produzieren. Würde ich denken, das Geräusch wäre einfach nur ein Geräusch und nicht sehen, worauf sich das Wort „weinen“ bezieht, würde ich mich nicht damit befassen, nicht wahr? „Es ist nur ein Geräusch. Babys machen Geräusche und das ist alles. Aber bei dem Geräusch handelt es sich um Weinen.

Was hören wir? Wir hören lediglich ein Geräusch, es ist einfach nur eine Schwingung im Raum. Aber darauf bezieht sich das Wort „weinen.“ Würden wir denken, es handele sich einzig um ein Geräusch, das von sich aus existiert, würden wir es nicht für ein Geräusch des Weinens halten. Können Sie dem folgen? Es wird einfach nur als Weinen bezeichnet. Ihm wurde das Wort zugeordnet. Jedoch gibt es viele Dinge und Belange, die mit dem Weinen einhergehen, denn schließlich handelt es sich nicht einfach nur um ein Geräusch.

Denken Sie darüber nach. Wir hören all diese Dinge über das geistige Bezeichnen, das geistige Zuschreiben usw. Aber wir müssen tatsächlich darüber nachdenken. Es geht um etwas, was gewissermaßen ständig stattfindet. Es ist nicht irgendetwas Esoterisches oder etwas wirklich Undurchsichtiges. Das ist es nicht, sondern es ist etwas ganz und gar Praktisches. Im Dharma ist alles dazu dar, in die Praxis umgesetzt zu werden, um uns zu helfen, Leiden zu überwinden. Aus diesem Grund versuchen wir herauszufinden, was es eigentlich im praktischen, täglichen Leben bedeutet. Und wenn wir Zuflucht nehmen, setzt das voraus, dass wir tatsächlich überzeugt davon sind, dass alles, was der Buddha gelehrt hat, einen Sinn ergibt. Es handelt sich nicht um irgendwelchen Nonsens. Und die Übung besteht darin, es selbst herauszufinden. Das ist ein wirklich sehr grundlegendes Prinzip im Dharma. Wir sind alle dazu fähig, es selbst herauszufinden.

Nur weil wir also das Geräusch des weinenden Babys korrekt hören, heißt das nicht, wir würden auch verstehen, was es bedeutet. Der Hund kann auch das Geräusch des weinenden Babys korrekt hören, nicht wahr? Da muss es also mehr geben.

Was bedeutet es nun, Entschiedenheit zu haben? Vielleicht sollten wir uns erst einmal einen Moment Zeit nehmen und darüber nachdenken, was das Wort „korrekt“ bedeutet. Wie können wir wissen, dass das, was wir gehört haben, korrekt ist? Was haben wir von dem gelernt, was ich erklärt habe?

Vielleicht sagt unser Freund oder unser Partner etwas zu uns, aber was er sagt, klingt recht merkwürdig und daher sind wir uns nicht wirklich sicher. Was haben wir gerade besprochen, was das bedeutet?  „Was haben Sie gesagt? Können Sie es noch einmal wiederholen? Ich weiß nicht ob ich es verstanden habe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe.“ Wir sollten es mit konventioneller Wahrheit bestätigen.

Unser Partner kommt nach Hause, sagt kein Wort, geht in ein anderes Zimmer und schließt die Tür. Was bedeutet das? Wir haben es genau gesehen; es stimmt also. Nun denken wir, dass unser Partner wütend auf uns ist und er es deswegen getan hat. Entspricht dies einer Konvention? Nun, ja, denn wenn er wütend ist, könnte er so etwas tun. Das ist eine Konvention. Er will nicht mit mir reden. Es gibt aber auch die Konvention, so etwas zu tun, wenn man sehr müde ist. Dann würde man ins andere Zimmer gehen und sich einfach hinlegen müssen. Man ist zu erschöpft, um zu reden. Man hatte vielleicht einen furchtbaren Tag auf der Arbeit.

Das zweite wäre: Entspricht es der konventionellen Wahrheit? Man fragt: „Bist du wütend auf mich?“ Wir fragen und nehmen es nicht nur an. Wir schauen nach anderen Hinweisen. Wir sehen nach, ob er sich hingelegt hat und eingeschlafen ist, und suchen so nach weiteren Hinweisen. Und dann die tiefste Wahrheit: Denken wir, wir wären das Zentrum das Universum, das einzig Wichtige im Leben der anderen Person und der Grund für all ihr Verhalten? Das wäre einfach absurd, oder? Das steht im Widerspruch zur tiefsten Wahrheit. Es gibt unzählige unterschiedliche Ursachen und Bedingungen, warum die Person so gehandelt hat. Es liegt nicht nur an uns.

Diese drei Kriterien Dharmakirtis sind also überaus nützlich und praktisch. Wie können wir wissen, ob etwas, was wir sehen und verstehen, korrekt und richtig ist, oder nicht? Denken Sie einen Moment darüber nach.

Begreifen ist entschieden

Der zweite Begriff in der Definition des Wortes „Begreifen“ ist „entschieden.“ Was bedeutet das? Zuerst einmal haben wir einen Geistesfaktor namens Unterscheiden (tib. ’du-shes). Für gewöhnlich wird das mit „Erkennen“ übersetzt, was jedoch eine ziemlich irreführende und keine korrekte Übersetzung ist. Hier geht es darum, etwas zu unterscheiden oder zu bestimmen.

Wir bestimmen ein gewisses Charaktermerkmal (tib. mtshan-nyid) in einem von den Sinnen erfassten Bereich. Wie bestimmen wir beispielsweise etwas in dem visuellen Sinnesbereich? Was sehe ich? Ich sehe eine Vielzahl farbiger Formen. Das ist es was ich sehe, nicht wahr? Ich sehe farbige Formen. Wie setze ich nun diese farbigen Formen zu verschiedenen Objekten zusammen? Nun, ich bestimme ein gewisses Charaktermerkmal. Ich unterscheide zwischen diesen farbigen Formen und jenen im Hintergrund. Darum geht es bei diesem Geistesfaktor. Wir wissen nicht was es ist. Es sind einfach farbige Formen. Farben und Formen sind keine voneinander getrennten Dinge. Wir sehen farbige Formen.

Erkennen wir mit diesem Geistesfaktor des Unterscheidens, ob sich eine farbige Form in der Nähe oder weit weg befindet?

Nein, das tun wir nicht. Es geht nur darum, sie vom Hintergrund zu unterscheiden. Ich sehe farbige Formen auf dieser Seite und könnte die hellbraunen Formen mit den gelben dahinter zusammensetzen und ein Objekt daraus machen. Das ergibt jedoch kein Objekt, nicht wahr? Wie setze ich nun also die braunen und hellbraunen Formen zu einem Objekt zusammen? Das ist einer der grundlegendsten Geistesfaktoren und einer der fünf Aggregate. Jeder hat ihn, sogar ein Wurm.

Wir befinden uns in einem überfüllten Restaurant. Viele Menschen reden. Wie unterscheiden wir den Klang der Stimme unseres Freundes von all den anderen Geräuschen? Offensichtlich gibt es ein charakteristisches Merkmal im Ton und Klang seiner Stimme, das wir von all den anderen Stimmen, die wir hören, unterscheiden können. So funktioniert unser Geist. So muss geistige Aktivität funktionieren. Das ist also das Unterscheiden.

Und dann gibt es das unterscheidende Gewahrsein. Das ist ein anderer Geistesfaktor, auf Tibetisch: „Sherab“ (tib. shes-rab), der zuweilen mit „Weisheit“ übersetzt wird. Wenn er hochentwickelt ist, kann er so etwas wie Weisheit sein, aber hier geht es um einen gewöhnlichen Geistesfaktor, den jeder hat. Was tun wir damit? Wir fügen dem Unterscheiden Entschiedenheit hinzu. Das ist die Definition. Wir haben hier zwei Begriffe. Der eine ist: „unterscheiden:“ Ich kann dieses von jenem unterscheiden. Beim unterscheidenden Gewahrsein fügen wir dem Unterscheiden eine Bestimmtheit hinzu.

Denken Sie an die Definition. Die Definition ist: „dem Unterscheiden wird eine Bestimmtheit hinzugefügt,“ wir schwanken also nicht und werden später keine Zweifel diesbezüglich haben. Wie funktioniert das? Es bedeutet, wenn wir das Objekt eindeutig erfassen, also beispielsweise das Geräusch des weinenden Babys hören, bestimmen wir das definierende Merkmal des Geräusches als charakteristische Eigenschaft des Weinens. Wenn der Fernseher läuft und jemand im Zimmer redet, hören wir all diese Geräusche gleichzeitig. Von all diesen Geräuschen unterscheiden wir das unverkennbare Merkmal des weinenden Geräusches. Wie würden wir sonst das Weinen hören? Es muss so sein.

Ein charakteristisches Merkmal ist keine Eigenschaft. Eine Eigenschaft wäre beispielsweise laut, leise usw. Es ist ziemlich schwer zu verstehen, was ein charakteristisches Merkmal ist. Denken Sie einmal darüber nach. Es ist nicht so einfach. Es gibt ein charakteristisches Merkmal eines weinenden Geräusches. Wir können es von dem Geräusch tropfenden Wassers unterscheiden. Es wäre schwer zu beschreiben, aber wir wissen es. Tatsächlich ist es etwas geistig Zugeschriebenes. Nichts auf der Seite des Geräusches legt es als weinendes Geräusch fest. Sagen wir einmal, es gäbe nichts auf der Seite des Geräusches, wodurch es als weinendes Geräusch festgelegt wird. Es gibt keine kleine Markierung, auf der steht: „Ich bin ein weinendes Geräusch.“ Es ist lediglich eine geistige Bezeichnung. Wir haben sie festgelegt. Es ist eine Konvention. Es ist eine Konvention, die wir festgelegt haben, dass es ein charakteristisches Merkmal in diesem Geräusch gibt. Das können wir im Wörterbuch finden. Natürlich wird die Definition von Menschen entworfen – sie haben die Definitionen von Dingen entwickelt. Menschen habe es ausgearbeitet. Konventionell gibt es jedoch definierende Charakteristika. Was bedeutet „konventionell,“ eine Konvention?

Es ist das, was explizit, also eindeutig passiert. Es gibt eindeutig ein geistiges Hologramm des Geräusches, nicht wahr? Wir hören jedoch gerade alle möglichen Geräusche. Wir unterscheiden also eindeutig die definierende Charakteristika des weinenden Geräusches von allem anderen. Das ist eindeutig das Geräusch des Weinens.

Was bedeutet es nun, wirklich entschieden zu sein? Um entschieden zu sein, muss es von allem anderen individualisiert werden. Wir müssen alles andere ausschließen.

Wir hören explizit das Geräusch des weinenden Babys. Was begreifen wir implizit? Implizit begreifen wir, dass das Baby gerade nicht schläft. Es handelt sich nicht um das Geräusch eines schlafenden Babys und es ist nichts anderes, als das Geräusch eines weinenden Babys. Das tibetische Wort dafür ist „Dogpa“ (tib. ldog-pa) und wird manchmal als „doppelte Verneinung“ übersetzt. „Nichts anderes als das Geräusch eines weinenden Babys“ schließt alles andere aus und indirekt wissen wir auch, es ist nichts anderes, als das Geräusch meines weinenden Babys. Ich höre nicht das Baby eines anderen.

Denken Sie darüber nach. Wie wüssten wir mit Entschiedenheit, dass es sich hierbei um unser weinendes Baby handelt? Ich höre es und bin wirklich entschieden, wenn ich auch begreife (jedoch implizit), dass es sich nicht um das Geräusch eines schlafenden Babys handelt. Ich weiß mit Entschiedenheit, dass es das Geräusch meines weinenden Babys ist. Wenn ich dieses Geräusch höre, denke ich: Ja, ich höre es genau. Es ist nicht das Geräusch meines schlafenden Babys. Es ist nichts anderes, als das Geräusch eines weinenden Babys (es handelt sich beispielsweise nicht um das Geräusch einer Katze). Und es ist nichts anderes, als das Geräusch meines weinenden Babys (es ist nicht das Baby von jemand anderem in der Nachbarschaft, das ich höre). Wenn wir all das ausschließen können, sind wir entschieden: „Das ist das Geräusch meines weinenden Babys.“ Und all das ist uns indirekt bekannt – all diese Dinge, die wir ausschließen, sind uns indirekt bekannt – und wir erleben es ziemlich unbewusst. Der Geist sortiert all das im Grunde aus, ist es nicht so? Mit unserer geistigen Aktivität sortieren wir es aus: Es ist nicht dieses. Es ist nicht jenes. Es ist zweifelsohne das Geräusch meines weinenden Babys.

Das ist ein einfaches Beispiel. Wenn wir aber versuchen etwas Komplizierteres zu begreifen oder zu verstehen, müssen wir die Dinge ausschließen, die fehlerhaft sind oder die es nicht sein können, um korrekt und entschieden sagen zu können, was es ist. Und das ist ein Vorgang, der im so genannten Prasanga (tib. thal-’gyur), in der Logik, angewandt wird. Wir sehen uns das absurde Ergebnis aller anderen Dinge an und schlussfolgern, dass es nur dies sein kann, denn wir haben alles andere ausgeschlossen.

„Entschiedenes Begreifen“ heißt also, dass es sich nicht um eine so genannte „unentschiedene Wahrnehmung“ (tib. snang-la ma-nges-pa) handelt. „Unentschieden“ bedeutet, wir sind uns nicht sicher, ob wir etwas gehört haben, oder wir sind uns nicht sicher, dass es sich bei dem Geräusch um ein weinendes Baby oder um unser weinendes Baby gehandelt hat. Es ist unentschieden und es wird nicht festgelegt. Das geistige Hologramm entsteht, aber wir sind uns nicht sicher, was es ist.

Wenn sie entschieden ist, handelt es sich nicht um eine unentschiedene Wahrnehmung. Was wollen wir mit anderen Worten nicht haben? Wir wollen uns nicht unsicher darüber sein. Es ist kein unentschlossenes Schwanken. Das sind alles verschiedene Arten, etwas wahrzunehmen. Es kann unentschieden sein (ich habe es gehört, bin mir aber nicht sicher, was es ist). Es kann unschlüssig sein (vielleicht habe ich es gehört, vielleicht auch nicht). „Habe ich es gehört? „Habe ich es nicht gehört?“ Das ist unentschlossenes Schwanken.

Aber sogar, wenn wir ganz entschieden das Geräusch unseres weinenden Babys gehört haben, bedeutet das nicht unbedingt, wir würden verstehen, was es bedeutet. Wir wissen es nicht: Das Baby könnte Hunger haben, die Windeln könnten voll sein oder vielleicht ist ihm auch kalt. Wir verstehen nicht, was es bedeutet. Nur weil die Wahrnehmung entschieden ist, heißt das nicht, wir würden es verstehen. Nur weil sie korrekt ist, heißt das nicht, wir würden es verstehen. All dies sind jedoch Komponenten eines korrekten Verständnisses. Ein korrektes Verständnis muss fehlerfrei sein. Es muss entschieden sein. Aber es ist nicht genug, einfach nur fehlerfrei und entschieden zu sein.

Nehmen wir uns einen Moment, dies einwirken zu lassen.

Wie man ein Verständnis von Leerheit bekommt

Zum Beispiel kennen wir die Definition von Leerheit (eine sehr einfache Definition): „Die völlige Abwesenheit von unmöglichen Existenzweisen.“ Unmögliche Existenzweisen stimmen mit nichts überein, sie sind unmöglich. So etwas gibt es nicht – eine völlige Abwesenheit davon.

Ich kann die Definition korrekt kennen (ich kann die Wörter perfekt rezitieren; die Definition ist korrekt). Ich bin mir vollkommen sicher, dass dies und nichts anderes die Definition ist (es ist nicht so, dass es ein Nichts ist; das habe ich ausgeschlossen, denn das ist Nihilismus). Das bedeutet aber keineswegs, ich würde es verstehen.

Es ist also klar: Wenn wir es verstehen, muss es korrekt und entschieden sein, aber nur weil es korrekt und entschieden ist... Ich kenne die Definition. Ich bin mir wirklich sicher, ich stimme zu, dass es sich um die Definition handelt. Ich schlage es in einem Buch nach und sehe, dass es die Definition ist. Ich frage jemanden, beispielsweise meinen Lehrer: „Ist das die Definition?“ „Ja, das ist die Definition.“ Aber ich habe immer noch keine Vorstellung davon, was es bedeutet. Ich habe nicht einmal ein intellektuelles Verständnis, denn tatsächlich verstehe ich gar nichts.

Können Sie dem folgen? Denn hierbei handelt es sich um die Stufen. Gewöhnlich müssen wir zuerst einmal korrekt und entschieden begreifen, worum es bei den Lehren geht. Aber, um es dabei zu belassen, können wir die Aufgabe beantworten, in der nach der Definition gefragt wird – wir könnten die Antwort aufschreiben. Wie kann uns das weiterhelfen? Es ist ein Anfang, den wir brauchen, aber dadurch werden gewiss nicht unsere Probleme, unsere Leiden, beseitigt. Können Sie dem folgen?

Es ist von wirklich wichtig, diesen Prozess zu kennen, wie wir ein korrektes und entschiedenes Verständnis bekommen. Wir überprüfen: Leerheit – ist das korrekt?

  • Gibt es im Buddhismus eine Konvention zur „Leerheit?“ Ja, denn in allen buddhistischen Texten wird darüber gesprochen. Gibt es diese Konvention? Wird im Buddhismus über Leerheit gesprochen? Wird im Buddhismus über Gott gesprochen? Wovon ist im Buddhismus die Rede? Ja, genau, es wird über Leerheit gesprochen. Es ist also eine gültige Thematik innerhalb des Buddhismus.
  • Und dann haben wir die Definition – entspricht sie der konventionellen Wahrheit? Wir schlagen in den Texten nach und fragen unsere Lehrer: „Was ist die Definition?“ Natürlich sollten wir wissen, ob diese Bücher und Lehrer zuverlässig sind. Handelt es sich um gültige Informationsquellen? Und dafür gibt es noch einen anderen Vorgang, um zu überprüfen, ob es eine gültige Quelle von Informationen ist. Viele Informationsquellen sind ganz und gar nicht gültig. Schauen wir uns nur einmal an, was alles erscheint, wenn wir etwas im Internet googeln, nämlich jede Menge Unsinn.
  • Und dann die tiefste Wahrheit: Ist die Leerheit irgendeine Sache, die sich innerhalb des Objektes befindet? Oder heißt es letztendlich, dass es da nichts gibt. Nun, ein Arya würde sagen: „Komm schon, das ist vollkommen falsch. Das ist nicht im entferntesten die Bedeutung der Leerheit.“
  • Haben wir alles ausgeschlossen, was es nicht sein könnte? Wir haben also Entschiedenheit.

Wir lesen jede Menge alter westlicher Bücher, die über Madhyamaka und Leerheit verfasst wurden und in ihnen wird es als Nihilismus beschrieben – es existiert nichts. Nun, das müssen wir ausschließen.

Wir sollten nicht unschlüssig und schwankend sein: „Vielleicht ist die Bedeutung das, was die Buddhas sagen, aber vielleicht bedeutet es eigentlich auch nicht, das nicht existiert.“ Diese Art der Unschlüssigkeit wollen wir nicht. „Nun, ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist es dieses, oder auch jenes.“ Wir werden nie ein tieferes Verständnis bekommen, wenn wir uns nicht entscheiden können, was es tatsächlich bedeutet und was die eigentliche Definition ist.

Lassen wir das auf uns wirken und denken wir einmal darüber nach.

Daher ist eine Debatte, eine Diskussion – entweder eine formelle Debatte oder einfach nur ein gemeinsames Gespräch – ausgesprochen wichtig und nützlich. So können wir fehlerhaftes Verständnis ausmerzen. Nicht Verständnis – wir reden noch gar nicht davon, etwas zu verstehen – einfach nur fehlerhafte Information. Wir haben es nicht richtig erfasst. Wir sind uns nicht sicher, wenn uns die andere Person fragt, usw. Das ist sehr hilfreich. Je mehr wir fehlerhaftes Verständnis ausschließen können, um so fehlerfreier und entschiedener sind wir in Bezug auf das, was es ist. „Ich dachte, es würde das bedeuten. Oh nein, das bedeutet es nicht.“ Nun sind wir dem ein wenig näher gekommen, was es wirklich bedeutet.

Was ist die Bedeutung von dem, was ich gerade gesagt habe? Die Bedeutung ist: Wir sollten nicht an dem hängen, von dem wir denken, wir wüssten es und würden es verstehen. Und wir sollten nicht arrogant und stolz sein und meinen, wir hätten es verstanden, denn für gewöhnlich können wir es präzisieren und Dinge ausschließen: „Nun, es war nicht genau das, was ich dachte.“ Wir sollten keine Anhaftung haben. Ich denke, das ist eines der Bodhisattva-Gelübde. Wir sollten nie mit unserer Stufe der Entwicklung zufrieden sein; wir können immer noch weitergehen, bis wir Buddhaschaft erlangen.

Wie ist das möglich? Sehen wir uns die Definition der geistigen Aktivität an. Es steht dort ganz klar in der Definition. Was ist unser Verständnis oder unser Wissen? Es ist einfach das Erscheinen eines geistigen Hologramms und ein Gewahrsein dessen, eine geistige Beschäftigung. Das ist alles. Es gibt kein getrenntes Ich, welches über etwas nachdenkt oder etwas versteht und dann darauf zurückschaut, Anhaftung entwickelt und meint: „Das ist meins“ und „ich bin so großartig.“ All das gründet auf dem totalen Mythos, es gäbe ein Ich, welches von dem ganzen Ereignis des Erscheinens eines geistigen Holgramms getrennt wäre und es gäbe ein Wissen, welches es als seines betrachtet. Diese getrennte Entität, diese Art von Kreatur dort hinten in unserem Kopf, die diesen Gedanken, das Verständnis oder Wissen hat und denkt, es wäre „meins“ und „ich bin so großartig,“ das ist einfach nur absurd. Wir fragen uns natürlich, wer es ist, der da denkt? Ich bin es, nicht irgendjemand anderes. Aber das ist nur eine Konvention, die dem zugeschrieben ist.

Wenn wir also verstehen, wie wir existieren, werden wir in Bezug auf unser Wissen und unser Verständnis viel offener demgegenüber sein, eine verbesserte und verfeinerte Ebene zu entwickeln. Ohne das, ist ein Verständnis der Leerheit sehr schwierig. Es ist für alles einfach unumgänglich. Je genauer wir es betrachten, können wir sehen, dass ein Verständnis der Leerheit gewissermaßen für alles essenziell ist. Lassen wir das für einen Moment auf uns wirken. Wer ist es, der etwas wahrnimmt?

Es ist wirklich komisch, denn so viele Leute denken: „Niemand versteht mich. Ich will doch nur, dass mich jemand versteht. Ich möchte endlich jemanden finden, der mich wirklich versteht,“ als würde es ein von allem anderen getrenntes Ich geben, das man verstehen könnte, ohne ein Verständnis des Charakters, der Herkunft und all dieser anderen Dinge zu haben. „Die anderen sollen mich einfach nur verstehen. Meine Güte!“ Verstehen Sie, es ist wirklich merkwürdig, welche Vorstellungen wir diesbezüglich haben.

Besprechen der nächsten Unterweisung

Nun müssen wir eine Entscheidung treffen. Wir müssen entschieden sein. Wir sind eine der sechs Seiten an Material durchgegangen, die ich vorbereitet habe – was ich bereits vermutet habe, bevor ich herkam – und das ist erst der Anfang des Untersuchens dieser Thematik. Es gibt so viel mehr, was man hier noch erforschen könnte. Tatsächlich war ich recht naiv, als ich dachte: „Wir werden Freitag Abend über das Thema sprechen, was es bedeutet, etwas zu verstehen und dann das ganze Wochenende, Samstag und Sonntag, für etwas anderes Zeit haben.“ Aber eigentlich könnten wir für einen ganzen Monat darüber reden, was es bedeutet, etwas zu verstehen. Wir haben nicht einmal darüber gesprochen, was intellektuelles Verständnis, was intuitives Verständnis ist usw.

Ich würde also vorschlagen, dass wir das zweite Thema vergessen und einfach hiermit für den Rest des Wochenendes weitermachen. Damit würden wir der Philosophie folgen: wenn wir etwas tun, sollten wir es nicht nur halb, sondern ganz tun. Und der Punkt ist, Ihnen nicht einfach nur vorzulesen, was ich analysiert habe und den Text schnell durchzugehen, sondern ich bin hier, damit Sie tatsächlich etwas verstehen und etwas lernen. Das würde ich Ihnen vorschlagen. Es ist nicht wirklich demokratisch, denn meine Stimme in Bezug darauf, was wir dieses Wochenende machen, zählt mehr. Das andere Thema, der Umgang mit Zwanghaftigkeit in Bezug auf Karma im täglichem Leben, müssen wir auf eine andere Gelegenheit verschieben. Hat jemand irgendetwas dagegen?

Übrigens ist das die Art und Weise, wie man einen Lama etwas fragt: Wir sollte nie... Also die falsche Art des Fragens wäre: „Kann ich das tun?“ So würde man keinen tibetischen Lama etwas fragen. Vielmehr fragen wir: „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich das tue?“ Wir sagen ihm, was unsere Vorstellung ist und fragen ihn dann, ob er etwas dagegen hat. Nur ein kleines Kind würde fragen: „Was soll ich machen? Bitte sage mir, was ich tun soll.“ Auf diese Weise werden wir nie etwas lernen. Vielmehr sagen wir: „Das ist es, was ich vorschlagen würde. Haben Sie etwas dagegen?“ So fragt man einen Lama etwas auf traditionelle Weise. Sagen wir: „Was soll ich tun? Bitte sage mir, was ich tun soll,“ dann hat das etwas mit Abhängigkeit zu tun.

Und bei dem Begriff eine Erlaubnis erteilen, geht es nicht darum, jemandem eine Erlaubnis zu erteilen. „Gagcha“ (tib. dgag-cha) bedeutet eher: „ich habe nichts dagegen.” Wir werden von Einwänden entbunden und können etwas tun, weil es keine Einwände gibt.

Auf diese Weise wachsen wir zu einer reifen Person heran, die eigene Entscheidungen treffen und selbst herausfinden kann, welche Einwände es gegenüber Plänen gibt, die man hat.

Vielleicht sollten wir diese Fragen morgen früh stellen, denn es kommen vielleicht noch andere Leute, die etwas erwarten und vielleicht enttäuscht sind, wenn wir etwas völlig anderes machen.

Gut. Das ist sehr gut. Auf Sanskrit nennt man das „Purva Paksha.“ Es ist eine äußerst wichtige Methode der Analyse. „Purva Paksha“ heißt wörtlich übersetzt die andere Seite, die Seite des Gegners. In einer Debatte erheben wir den Einwand – das ist etwas, das wir selbst tun müssen – wir erheben also vom anderen Standpunkt aus den Einwand und müssen nun selbst eine Antwort darauf geben.

Wir erheben nun also den Einwand: „Morgen früh werden Menschen kommen, die vielleicht heute Abend nicht da waren, und ein anderes Thema erwarten.“ Und das untersuchen wir dann. Hierbei geht es darum zu lernen, etwas zu analysieren. Wie antworten wir nun auf diesen Einwand? Jeder tibetische philosophische Text ist in diesem Format geschrieben, und das trifft auch für hinduistische, also indische philosophische Texte zu.

Haben Sie die Antwort auf diesen Einwand?

Das ist leicht. Wir geben ihnen ihr Geld zurück.

Was tun wir davor?

Wir fragen sie.

Das stimmt, wir fragen sie. Wir sagen: „Das werden wir machen. Es tut uns sehr leid, dass wir nicht dieses andere, das zweite Thema unterrichten. Sie können gern bleiben und es wird einen Rückblick geben, damit Sie verstehen, worum es geht. Wenn Sie jedoch wirklich nicht bleiben wollen, können Sie gern Ihr Geld zurückbekommen.“

Vielleicht sind sie aber trotzdem enttäuscht.

Sie werden enttäuscht sein, aber die anderen, die da sind, werden nicht enttäuscht sein.

Welcher Satz ist es, der dazu passt? Er geht folgendermaßen: „Wenn es sogar Buddha nicht möglich war, es allen recht zu machen, wie kann ich dann erwarten, das zu schaffen?“ Das ist sehr hilfreich. „Nicht alle mochten den Buddha. Warum sollte mich jeder mögen?“ Das meine ich ernst. Es ist wirklich überaus hilfreich, wenn wir uns darüber ärgern, weil uns niemand mag. Was erwarten wir denn? Natürlich wird jemand enttäuscht sein.

Ich würde es also vorschlagen.

Und Ihr Einwand ist ein gültiger Einwand. All diese Purva Pakshas, diese Einwände, sind gültig. Sie sind kein dummes Zeug. Aber dann müssen wir darauf antworten. Es ist sehr wichtig, dies zu lernen, wenn wir versuchen, etwas zu planen. Wir erheben die Einwände. Welche Einwände gibt es diesbezüglich? Und dann antworten wir auf diese Einwände. Wenn wir keine Antwort auf den Einwand haben, ist der Einwand gültig und wir müssen unseren Plan ändern.

„Ich will Urlaub machen.“ Der Einwand ist: „Nun, ich habe nicht das Geld dafür.“ Daraufhin erwidern wir: „Können wir keinen billigeren Urlaub machen?“ Auf diese Weise gehen wir vor und analysieren.

Ich habe eine Antwort auf diesen Einwand. Sie könnten versprechen wiederzukommen, um ein anderes Mal über Karma zu reden.

Richtig. Das ist die Antwort. Ich könnte versprechen wiederzukommen und das zweite Thema an einem bestimmten Zeitpunkt zu unterrichten. Was wäre die indische Antwort darauf? Ganz bestimmt vielleicht! Das ist eine gültige Antwort. „Ganz bestimmt vielleicht“ heißt, dass ich es ganz bestimmt versuchen werde, es aber nicht unbedingt versprechen und garantieren kann. Wer weiß, was passieren wird? Oder es kann auch sein, dass ich es irgendwo anders unterrichte und man es dann auf meiner Webseite finden kann. Es ist ein Thema, über das ich sehr gern unterrichten würde, denn ich denke, diese Art der Erklärung in Bezug auf Karma ist viel genauer und nützlicher.

Das Problem der Übersetzung von Karma als „Handlung“

Ich werde ganz kurz etwas dazu sagen. Das tibetische Wort für Karma ist „Lä“ (tib. las), das umgangssprachliche tibetische Wort für Tätigkeit. Aus diesem Grund übersetzen alle Tibeter – ich kann nicht sagen, dass es alle sind, aber die meisten Tibeter, einschließlich Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama – dieses Wort mit „Handlung“ (engl. „action“), denn es ist das Wort, was man in der Umgangssprache dafür benutzt. Nun gut. Sie schlagen im Wörterbuch nach und finden dort dieses Wort. Es steht also im Wörterbuch.

Denken wir einmal darüber nach. Ergibt das überhaupt einen Sinn? Sogar wenn wir die Definitionen nicht kennen, ergibt das absolut keinen Sinn. Wären Handlungen das, was uns in Samsara und im Leiden gefangen hält, müssten wir, um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen, aufhören, irgendetwas zu tun. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Erkennen Sie die Methode, die wir hier anwenden? Das ist sehr wichtig. Die Methode besteht darin, sich die Konsequenzen dessen anzusehen, wenn wir Karma als Handlungen betrachten. Und wenn die Konsequenzen, die daraus folgen, völlig absurd sind, übersetzen wir es nicht korrekt.

Wir stehen unter der Kontrolle von Karma. Wir befinden uns nicht unter unserer eigenen Kontrolle, sondern sind außer Kontrolle. Was bedeutet das? Wir sollten das nicht wörtlich nehmen und meinen, es gäbe ein von allen anderen getrenntes Ich, und die anderen würden uns kontrollieren. Wenn wir von Karma reden, geht es um den zwanghaften Aspekt unserer Handlungen. Es ist zwanghaft. Wir fangen an, zwanghaft zu lügen. Wir müssen zwanghaft gut sein: „Ich muss zu den Guten gehören. Ich muss perfekt sein.“ Diese Zwanghaftigkeit ist das, was uns immer wieder die gleichen Muster wiederholen lässt, die zu unseren Leiden und Problemen führen. Wir müssen also die Zwanghaftigkeit unserer Handlungen überwinden und nicht aufhören, irgendetwas zu tun.

Können Sie das nochmal wiederholen?

Es ist der zwanghafte Aspekt unseres schädlichen oder unseres konstruktiven Verhaltens, den wir überwinden müssen. Andernfalls haben wir keine Kontrolle über uns. Dann handeln wir nicht bewusst auf der Grundlage von Mitgefühl oder etwas Ähnlichem, sondern zwanghaft und lügen auf schädliche Art und Weise oder versuchen konstruktiv, aber auf karmische Weise, zwanghaft ein Perfektionist zu sein. Wir müssen perfekt sein. Wir müssen gut sein. Das ist ziemlich neurotisch, oder? Wenn wir das verstehen, sehen wir, wo das Problem liegt. Der Störenfried ist die Zwanghaftigkeit. Und das ergibt dann wirklich einen Sinn, denn es entsteht aus Gewohnheit usw.

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