Siebenteiliges Bodhichitta: Hervorbringen von Bodhichitta

Rückblick 

In unserer Diskussion der siebenteiligen Meditation über Ursache und Wirkung zum Hervorbringen von Bodhichitta sind wir alle Schritte bis zum letzten durchgegangen, in dem es um das Resultat dessen geht, was wir aufgebaut haben. 

Wir sprachen über die Grundlage, also Gleichmut, der frei von Anhaftung, Abneigung und Gleichgültigkeit ist, sowie das Bewusstsein, dass alle schon einmal unsere Mutter gewesen sind. Es ging darum, sich an die Güte der mütterlichen Liebe zu erinnern, die mütterliche Liebe zu schätzen und Dankbarkeit für sie zu empfinden, wodurch wir dann diese herzerwärmende Liebe haben, die ganz natürlich durch Wertschätzung und Dankbarkeit entsteht, und mit der wir uns um das Wohl der anderen kümmern und traurig wären, wenn ihnen etwas Schlimmes zustoßen würde. Außerdem empfinden wir Freude, wenn wir sie treffen und spüren automatisch eine Art Verbundenheit. In diesem emotionalen Zustand herrscht dann Liebe, der Wunsch, andere mögen glücklich sein und die Ursachen des Glücks besitzen. 

Wir haben hier auch über den Wunsch von weltlichem Glück für andere gesprochen, dass sie also frei von dem Leiden oberflächlichen Unglücklichseins oder Traurigkeit werden mögen, obwohl das nicht wirklich auf diese Weise in den Lehren zu finden ist. Was die Reihenfolge angeht, ergibt es jedoch einen Sinn. Mit Mitgefühl wünschen wir uns dann, sie mögen von Leiden und den Ursachen des Leidens frei sein, und das wäre der Wunsch, sie mögen nicht nur frei vom Leid des Leidens, sondern auch vom Leid des weltlichen, samsarischen Glücks sein, das wir ihnen vielleicht mit Liebe gewünscht haben, also dem Leiden der Veränderung. Ob wir nun hier den Wunsch einfügen, sie mögen frei vom alles umfassenden Leiden in Samsara sein, oder nicht, könnte man es hier mit hinzufügen oder für den nächsten Schritt lassen. 

Die Ursachen für das Glücklichsein in Bezug auf die Liebe wären, damit aufzuhören destruktiv zu handeln und durch konstruktives Handeln positive Kräfte aufzubauen, wie es im Lam-rim, dem Stufenpfad beschrieben wird. Um nicht nur das Leid des Leidens sondern auch das Leiden der Veränderung zu überwinden, wären die Ursachen dafür beispielsweise – wenn wir dies von dem alles umfassenden Leiden trennen wollen – , ein Verständnis der Unbeständigkeit, des Nichtstatischseins, zu haben, um zu erkennen, dass dieses weltliche Glück nicht von Dauer ist. Auf diese Weise würden sie nicht so sehr daran hängen, aber das würde sie nicht unbedingt von dieser Art des Leidens befreien und somit geht es uns im Wesentlichen um das Verständnis der Leerheit. 

Während ich dies erkläre, kommen mir natürlich noch andere Sachen in den Sinn. Ich argumentiere unbewusst mit mir selbst und habe nun einen Einwand gefunden: Sie könnten das Leiden des gewöhnlichen weltlichen Glücks auch mit einer weltlichen Methode überwinden, indem sie höhere Zustände der Konzentration erlangen, auf denen sie höhere Ebenen der Vertiefung des Bereiches der Form sowie des formlosen Bereiches erreichen, in denen sie nicht mehr dieses weltliche Glücklichsein erfahren. 

Wie dem auch sei, es kann für dieses Leiden der Veränderung sowohl weltliche Gegenmittel als auch tiefste Gegenmittel geben, wie das Verständnis der Leerheit, durch das man frei vom alles umfassenden Leiden wird, wie wir bereits erwähnt haben, und wodurch, mit anderen Worten, Karma nicht mehr aktiviert wird. Das Leid des Leidens ist das, was von destruktivem Verhalten  und der negativen Kraft destruktiven Verhaltens heranreift, und weltliches Glück ist das, was von der positiven Kraft konstruktiven Verhaltens heranreift. Es ist jedoch vermischt und befleckt. Es ist mit Verwirrung vermischt und hält Samsara weiter aufrecht. Was wir also tun wollen, ist natürlich, Karma loszuwerden. 

Und das bedeutet die Ursachen und Bedingungen zu beseitigen, welche unsere karmischen Tendenzen und Kräfte zur Reifung bringen könnten. Verfügt man nicht über die Bedingungen, kann man nicht sagen, man hätte noch immer eine Tendenz. Oder, um es noch genauer auszudrücken: eine Tendenz oder eine Gewohnheit, die zu einem Resultat führt, ist eine Zuschreibung, die auf Ursachen und der Möglichkeit eines Resultates beruht. Gibt es also eine Ursache, die eingetreten ist und ein Resultat, welches eintreten könnte, kann man von einer Tendenz beruhend auf dieser Ursache ausgehen, durch die ein Resultat eintreten kann. Ist es unmöglich, dass dieses Resultat eintritt, weil die Bedingungen zum Heranreifen der Tendenz nicht vorhanden sind, kann man nicht mehr davon ausgehen, eine Tendenz zu haben. 

Eine Tendenz ist der Grundlage zugeschrieben, dass es die Möglichkeit für ein Resultat gibt. Ist diese Möglichkeit für ein Resultat nicht vorhanden, gibt es auch keine Tendenz dafür, dass das Resultat eintreten kann. Auf diese Weise reinigt man Karma, karmische Kraft, karmisches Potenzial – man beseitigt die Ursachen oder Bedingungen zum Heranreifen dieser karmischen Tendenzen und das wäre das Verständnis der Leerheit, denn was sie heranreifen lässt, ist das Klammern am Leiden. Wir denken: „Ich will frei davon sein“ und wenn wir an weltlichem Glück hängen, wollen wir es nicht loslassen, was auf der starken Identifizierung des „Ichs“ mit dem basiert, das wir erleben. 

Befreien wir uns davon, können diese Tendenzen unmöglich reifen, denn es ist keine Bedingung mehr dafür vorhanden, besonders, wenn wir uns fortwährend auf dem Verständnis der Leerheit fokussieren können. Dann haben wir uns selbst von diesen karmischen Tendenzen gereinigt und auf diese Weise können wir frei davon werden. Daher sind Methoden, wie Vajrasattva und solche Dinge, nur vorübergehenden Lösungen, jedoch nicht die tiefsten und letztendlichen Heilmittel, um Karma und das Werden zu beseitigen. Mit Mitgefühl wünschen wir ihnen die Ursachen zu haben, frei von Leiden zu sein, also die tiefste Ebene, denn es gibt eine konventionelle Weise von diesem Leiden der Veränderung frei zu werden, indem man in eine höhere Vertiefung geht. 

Und Vergänglichkeit wäre natürlich hilfreich – die höhere Vertiefung würde sie dorthin bringen, aber es wäre vorübergehend. Das Wort „vorübergehend“ ist jedoch hart, wenn es darum geht, Freiheit vom Leid des Leidens und weltliches Glück zu erlangen. Es ist vorübergehend, wenn sie aufhören, destruktiv zu handeln, denn die Kräfte, Gewohnheiten und Tendenzen sind so stark, dass sie es mit Sicherheit wieder tun werden und somit wünschen wir ihnen, ein vollkommenes Verständnis der Leerheit zu haben. 

Und dann kommt der außergewöhnliche Entschluss. Wie gesehen, übernehmen wir in gewissem Maße mit der Liebe die Verantwortung ihnen zu helfen, weltliches Glück zu erlangen und mit Mitgefühl übernehmen wir die Verantwortung ihnen zu helfen, nicht nur Leiden, sondern auch das gewöhnliche weltliche Glück zu überwinden. Mit dem außergewöhnlichen Entschluss übernehmen wir dann die volle Verantwortung ihnen zu helfen, Erleuchtung zu erlangen. Wir haben auch gesehen, wie wichtig es ist, kein Gefühl des Stolzes zu hegen, mit dem wir andere herablassend behandeln, auf sie herabschauen oder meinen, wir wären die Retter des Universums; auch ist es wichtig, nicht eifersüchtig auf andere zu sein, die ebenfalls in dieser Richtung arbeiten, und nicht das Gefühl zu haben, wir wären die Einzigen, die in der Lage sind, die Welt zu retten. 

Es ist außerdem notwendig, sich bewusst über die Grenzen der Buddhaschaft zu sein, die darin bestehen, dass wir nicht allmächtig sind. Die Macht des erleuchtenden Einflusses eines Buddhas und die Macht des Karmas gleichen sich, denn sie sind eine Erhaltungsenergie oder so etwas in der Art. Es gibt einfach nur ein gewisses Maß an Energie im Universum, wenn wir es einmal von einem physikalischen Standpunkt aus betrachten wollen, und die Macht eines Buddhas kann die Macht des Karmas nicht überwinden, denn sonst könnte man zu der absurden Schlussfolgerung kommen: Wenn ein Buddha alle befreien und zur Erleuchtung führen kann, warum hat Buddha es nicht schon längst getan? 

Gehen wir nicht auf das ganze Hiob-Dilemma der Bibel ein. Im Buddhismus vermeidet man einfach diesen Widerspruch, indem man sagt, dass Buddha es nicht tun kann; niemand kann alle einfach aus eigener Kraft retten. Die Befreiung eines jeden wird als abhängig entstehendes Phänomen eintreten, abhängig von ihren Bemühungen, den Anweisungen eines Buddhas und der Inspiration eines Buddhas, aber sie erfordert zahlreiche Ursachen und Bedingungen. 

Schritt Sieben: Bodhichitta 

Das ist es, was wir bis jetzt behandelt haben, und nun kommen wir zum großen Thema, bei dem es um Bodhichitta selbst geht. Sich darauf zu konzentrieren, ist keine einfache Sache, ganz und gar nicht, und es erfordert  große Gewandtheit, zu wissen, worauf wir uns tatsächlich fokussieren, wenn wir uns durch all diese Ebenen schließlich der Bodhichitta-Ausrichtung zuwenden, zu der wir gekommen sind, indem wir die Verantwortung übernommen haben und denken: „Ich werde versuchen, alle zur Befreiung und Erleuchtung zu führen“ und merken: „Die einzige Möglichkeit dies zu tun, besteht darin, ein Buddha zu werden.“ 

Die Notwendigkeit ein Buddha zu werden

Zunächst ist es notwendig, überzeugt davon zu sein, Buddhaschaft erlangen zu müssen, um anderen helfen zu können und sie zur Befreiung und Erleuchtung zu führen. Der Grund dafür – und wir haben bereits darauf angespielt, aber nur um es noch einmal zu unterstreichen – ist, dass unsere geistige Aktivität Erscheinungen unmöglicher Existenzweisen hervorbringt, insbesondere wenn wir es vom Standpunkt der Erklärung des Gelug-Prasangika aus betrachten. 

Und die unmöglichen Existenzweisen beziehen sich auf das geistige Bezeichnen. Es gibt eine Bezeichnung, ein Wort, wie beispielsweise „Ich“; das ist dann die Bezeichnung. Dann gibt es eine Grundlage für die Bezeichnung des „Ichs“ und die Grundlage für die Bezeichnung wären die Aggregat-Faktoren, die fünf Aggregat-Faktoren, die jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen. Dies sind Dinge, die sich ständig ändern und jeder Augenblick unserer Erfahrung wird aus einer oder mehrerer Komponenten oder Elemente dieser fünf Gruppen bestehen. 

Es ist nicht so, dass Dinge irgendwo in fünf Behältern existieren. Vielmehr handelt es sich einfach um Gruppierungen, um Weisen, unsere Erfahrung zu verstehen. Und so wird es in jedem Augenblick der Erfahrung eine Art der Form physischer Phänomene geben – Anblick, Klang, Geruch, Geschmack, körperliche Empfindung – und der Körper ist die Grundlage dafür. Die Sensoren sind die lichtempfindlichen Zellen der Augen, die geruchsempfindlichen der Ohren und so weiter. Sie beziehen sich nicht auf die Sinneskräfte, es ist nichts Abstraktes, sondern bezieht sich auf die Zellen selbst, die Formen physischer Phänomene. 

Es gibt ein Primärbewusstsein und das Primärbewusstsein ist das, was sich über die essentielle Natur dieses Objektes der Ausrichtung bewusst ist. Die essentielle Natur ist im Grunde nur das, was es ist, aber im allgemeinen – ein Anblick, ein Klang, ein Geruch, ein Geschmack, eine Berührung – ist es nur... Es ist so wie mit einem Computer – womit ich mich hier im Computerland Seattle auf gefährliches Terrain begebe. Vergleicht man es  mit einem Computer und dem Programmiercode, so wäre das Primärbewusstsein der Aspekt, der ihn lesen und sagen lassen kann: „das ist Klang-Information“ oder „das ist visuelle Information“. Damit kann man es vergleichen: das Primärbewusstsein ist sich einfach nur darüber bewusst, um welche Information es sich handelt. 

Dann haben wir Gefühle – oder machen wir es in einer anderen Reihenfolge, und nicht in der traditionellen – wir haben das „Auseinanderhalten“. Oft wird dies mit „Erkennen“ übersetzt, aber Erkennen ist hier viel zu komplex. Beim Erkennen geht es darum, dass man etwas bereits vorher gekannt hat, sich daran erinnert und es mit dem in Verbindung setzt, was man vorher erfahren hat. Darum geht es hier jedoch nicht, sondern um das Auseinanderhalten oder Unterscheiden von definierenden Eigenschaften oder besonderen individuellen Merkmalen von etwas innerhalb eines Sinnesbereiches. 

Ich sehe also die farbigen Formen – das ist es, was ich sehe, wenn ich über visuelles Bewusstsein verfüge – und ich bin in der Lage, die farbigen Formen dieser Farbe und jener Form auseinanderzuhalten, sie zu einem Gesicht zusammenzufügen und sie von all den anderen farbigen Formen im Hintergrund zu unterscheiden. Bin ich nicht dazu in der Lage, gibt es keine Hoffnung, irgendetwas, was ich erfahre, verstehen oder damit zurechtkommen zu können. Setzen wir diese farbigen Formen auf unpassende Weise zu einem Objekt zusammen, indem wir etwas von dem Gesicht, einen Teil der Wand und ein Stück Teppich zusammenfügen, wird das ziemlich problematisch werden. Wir haben also das Auseinanderhalten; wir halten eine individuelle Charakteristik des Geräusches von dem Flugzeug, das über uns fliegt, und den Klang von den Vögeln draußen auseinander. 

Beim Gefühl geht es, wie wir gesehen haben, nur um die Dimension von glücklich oder unglücklich. Das ist alles, worum es dabei geht und auf diese Weise erleben wir das Reifen unseres Karmas. Erleben wir Unglücklichsein, ist es das Reifen von negativem Karma und erleben wir Glücklichsein, handelt es sich um das Reifen von positivem Karma. Das ist der Unterschied zwischen einem fühlenden Wesen und einem Computer: als fühlende Wesen erleben wir Dinge im Grunde mit einem Gefühl des Glücklich- oder Unglücklichseins. Der Computer ist nicht glücklich oder unglücklich, wenn er Codes entschlüsselt oder dieses und jenes auseinanderhält. Der Faktor des Glücklichseins ist also bei fühlenden Wesen in Bezug auf das Erfahren von Dingen ausschlaggebend. 

Der letzte Aggregat-Faktor ist „alles andere“, also alle Emotionen, kognitiven Faktoren, wie Konzentration, Interesse und so weiter. Auch Tendenzen und diese Dinge, die keine Weisen sind, sich etwas gewahr zu sein, gehören dazu. Das sind also, kurz gesagt, die Aggregate. 

Jeder Augenblick besteht aus ganzen Anhäufungen dieser Dinge, und all dem wird das „Ich“ zugeschrieben. Wir haben also die Bezeichnung, die Grundlage für die Bezeichnung und das, worauf sich die Bezeichnung bezieht. Das, worauf sich die Bezeichnung bezieht, das Bezugsobjekt, ist das „Ich“, das konventionell existierende „Ich“. Dieses „Ich“ ist jedoch nicht identisch mit der Grundlage und man kann das „Ich“ nicht in der Grundlage im Innern finden, im Sinne einer auffindbaren Sache oder einer definierenden Eigenschaft, die es aus eigener Kraft oder in Verbindung mit dem geistigen Bezeichnen zum „Ich“ macht. 

Die vierte Sache, die mit dem geistigen Bezeichnen einhergeht und was abwesend ist... Wir haben ein Bezugsobjekt und die Bezeichnung bezieht sich auf etwas konventionell Existierendes. Es gibt jedoch nichts, was der Bezeichnung entspricht und was ich als ein „Bezugs-Ding“ bezeichnen würde. Ein „Bezugs-Ding“ wäre etwas, das in einer Schublade existieren würde, wie unsere Worte und Bezeichnungen andeuten. Im Wörterbuch gibt es beispielsweise all diese Worte, die letztlich nur willkürliche und bedeutungslose Ansammlungen von Lauten sind, denen per Konvention eine Bedeutung zugeschrieben wurde. Die Bedeutung wurde von Menschen erdacht und in einem Wörterbuch festgehalten. 

Wie zum Beispiel das Wort „Liebe“: Betrachten wir das gesamte Spektrum der Emotion, gibt es seitens der Emotion selbst keine Grenzen, die wie Mauern sind, welche die Liebe von anderen Dingen abgrenzen; das wäre absurd.  Es gibt nichts auf Seiten der Emotionen, das unseren Worten für die verschiedenen Emotionen entspricht, als befänden sie sich in einer Schublade: „Hier ist die Liebe, die ich gerade empfinde“ und „dort ist die Eifersucht, die ich nun fühle“. Das ergibt keinen Sinn. Sagen wir, man kann das Objekt der Widerlegung nicht finden, geht es um geistiges Bezeichnen, dass man ein „Bezugs-Ding“ wie Liebe seitens der Grundlage für die Bezeichnung nicht finden kann, welches eine korrekte Bezeichnung ermöglicht. Auf Seiten der Emotionen und diesem Aggregat, das alle Emotionen beinhaltet, gibt es nicht so etwas wie Liebe in einer kleinen Schublade, mit den definierenden Charakteristika der Liebe, die es mir ermöglichen, es als „Liebe“ und nicht als „Hass“ zu bezeichnen. 

Was ist aber die Liebe und wodurch wird begründet, dass es so etwas wie Liebe gibt? Nun, es gibt ein Wort oder ein Konzept, das man „Liebe“ nennt. Wird Liebe durch das Wort oder das Konzept erschaffen? Nein, natürlich nicht. Aber wie begründet und beweist man, dass es so etwas wie Liebe gibt? Das ist es, worauf ich angespielt habe, als ich davon sprach, dass es nicht um unmögliche Existenzweisen geht, wenn wir von Leerheit sprechen, die eine völlige Abwesenheit von etwas ist, das nie existiert hat und nie existieren kann. Die Rede ist von einer völligen Abwesenheit von unmöglichen Weisen des Begründens, das etwas existiert. Man kann von Seiten des Objektes nicht begründen, dass etwas existiert. Man kann nur sagen, dass es etwas konventionell gibt, weil es Konventionen dafür gibt. Aber Konventionen erschaffen es nicht und ich muss etwas nicht ständig als „Liebe“ bezeichnen, um Liebe zu empfinden. Das sind überaus wichtige Dinge, die es zu beachten gilt. 

Und ich habe wirklich etwas gegen den Begriff „emptiness“ (Leere) – entschuldigt bitte, wenn ich mich wiederhole – und ziehe den Begriff „voidness“ vor, da sich „emptiness“ so anhört, als wäre da etwas Leeres, was in der Meditation recht irreführend ist. Sprechen wir von Negierungs-Phänomenen, ist es so, als würden wir uns auf einen Tisch richten, auf dem kein Tischtuch liegt; es gibt einen Tisch, aber ohne Tischtuch – er ist also leer. „Das Glas ist leer von Wasser“; so würde man nicht über Leerheit meditieren, das wäre vollkommen falsch. Vielmehr geht es um die Leerheit, darum, dass es so etwas, wie diese unmögliche Existenzweise nicht gibt. Man schneidet es also ab und weiß: „so etwas nicht“. Es ist also wie ein Vakuum, wie eine Leerheit, und wir verstehen, dass es frei von unmöglichen Existenzweisen ist. Ich ziehe also (im Englischen) den Begriff „voidness“ dem des Begriffes „emptiness“ vor. 

Werfen wir nun einen Blick auf Bodhichitta – ich habe ganz vergessen, wie ich überhaupt auf auf die Leerheit gekommen bin. Ursache und Wirkung, im Sinne von Ursache und Wirkung wollen wir frei von den Tendenzen im Samsara werden und dafür benötigen wir ein Verständnis der Leerheit – so bin ich darauf gekommen. Und es ist unmöglich für einen Buddha, die Leiden aller zu beseitigen. Um also von den eigenen Leiden frei zu werden, muss man Leerheit verstehen, damit man nicht die Samen des Karmas aktiviert; so ist diese Diskussion zustande gekommen. 

Warum war es so, dass es, um Erleuchtung zu erlangen, nicht ausreicht, Befreiung zu erreichen? Wenn wir frei von störenden Emotionen und frei von Karma werden, passiert Folgendes: der Geist bringt ganz automatisch Erscheinungen dieser unmöglichen Existenzweisen hervor und wenn wir verstehen, dass sich die unmöglichen Existenzweisen nicht auf etwas Reales beziehen und es mit anderen Worten kein „Bezugs-Ding“ in einer Schublade gibt, ist der erste Schritt, dass wir nicht daran glauben. Glauben wir nicht daran, werden wir nicht durch diese trügerischen Erscheinungen getäuscht, die der Geist hervorbringt und wir unterliegen nicht den störenden Emotionen, die auftauchen würden und mit denen wir meinen: „Ich muss dieses Ding haben, um dem Ich mehr Sicherheit zu geben“. Es geht also um eine Erfahrung der Unsicherheit oder darum, etwas wegschieben oder ignorieren zu müssen. 

Aber auch wenn wir nicht diese störenden Emotionen haben und über Gleichmut gegenüber allen verfügen – nicht von manchen angezogen werden, sich von anderen abgestoßen zu fühlen oder sie zu ignorieren – gibt es doch die Gewohnheit des „Greifens“, was ebenfalls eine furchtbare Übersetzung ist, das Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz, nach dieser unmöglichen Existenz. Ich kenne jedoch kein besseres Wort dafür, denn es gibt hier zwei Bedeutungen: die eine bezieht sich einfach auf das Wort „dzin“ (‘dzin) – diese trügerische Erscheinung als ein Objekt „zu halten“ und der andere Aspekt ist, daran „zu glauben“. 

Wir beseitigen also das Glauben, aber haben nach wie vor dessen Wahrnehmung. Die Gewohnheit wird sowohl das Wahrnehmen als auch das Glauben dieser unmöglichen Existenzweise hervorrufen. Die Gewohnheit beendet also zunächst das Entstehen des Glaubens an diesen Müll, den der Geist hervorruft. Was ruft der Geist hervor? Der Geist ruft eine Erscheinung von allem hervor, als wäre es in Plastik eingehüllt, als befände sich alles entsprechend der Worte und dem, was wir vor uns sehen, in Schubladen. Was sehe ich, wenn ich dich ansehe? Ich sehe dich einfach in einem Rahmen; ich sehe nicht all das, was vorher kam und was folgen könnte, sowie all die Ursachen, Bedingungen und Dinge, die dich beeinflusst haben. Das sehe ich nicht.

Und ich sehe auch nicht, was sich hinter meinem Kopf befindet. Es ist also, als würde ich durch ein Periskop schauen – die Wahrnehmung ist höchst begrenzt. Wir sind begrenzte oder „fühlende“ Wesen mit einem begrenzten Geist. Ein Buddha hingegen ist kein fühlendes Wesen. Weil der Geist oder unsere Hardware begrenzt ist, nehmen wir alles in Schubladen wahr und sehen nicht, wie alles miteinander verbunden ist. Und wir glauben nicht, dass es so existiert, wenn wir ein Verständnis der Leerheit haben, aber trotz allem können wir nicht all die kausalen Zusammenhänge von allem wahrnehmen. 

Um jemandem wirklich helfen zu können und ihn zur Befreiung zu führen, gilt es all die Ursachen dafür, zu verstehen, wo sich eine Person im Hinblick auf ihre Erfahrungen gerade befindet, auf welcher Ebene der störenden Emotionen und des negativen Karmas sie ist und all diese Dinge, und es ist notwendig zu wissen, was die Auswirkung von allem sein wird, was wir ihr beibringen. In der Theravada-Darstellung ist das, was ein Buddha weiß, der allwissende Geist eines Buddhas, im Wesentlichen verhaltensbedingte Ursache und Wirkung. 

Ein Buddha muss nicht unbedingt eine genaue Wegbeschreibung kennen oder die Telefonnummern von allen in dieser Welt; er kennt immer nur eine. Aus der Mahayana-Sichtweise weiß ein Buddha alles gleichzeitig, einschließlich der Telefonnummer eines jeden. Denken wir einmal darüber nach: „Ist das nur ein dummes Beispiel, oder ergibt es irgendeinen Sinn?“ Nun, ein Buddha kennt all die Ursachen und daher würde er wissen, wann man sein Telefon beantragt und welche Nummer man bekommen hat. Damit kann man herumspielen – wie ein Buddha alles wissen kann. Es beruht auf Ursache und Wirkung. 

Aus diesem Grund sind wir überzeugt, dass wir Buddhaschaft erlangen müssen, um allen helfen zu können und sie zu Befreiung und Erleuchtung zu führen; ansonsten bekommt man den Übergang nicht so schön hin, vom außergewöhnlichen Entschluss, hin zu tatsächlichem Bodhichitta, ein Buddha werden zu wollen und Verantwortung zu übernehmen.  Wie kann ich dorthin gelangen? Der einzige Weg dorthin besteht nicht nur darin, Befreiung zu erlangen, sondern auch den Geist dazu zu bringen, Dinge nicht mehr auf begrenzte Weise in Schubladen erscheinen zu lassen, und daher muss ich ein Buddha werden. 

Fokus mit einer Bodhichitta-Ausrichtung

Tsongkhapa beschreibt, dass wir, um einen Geisteszustand in der Meditation hervorzubringen, wissen müssen, worauf er gerichtet ist – das Objekt der Ausrichtung – und wie der Geist das Objekt erfasst oder wahrnimmt. Mit Mitgefühl richten wir uns beispielsweise auf alle Wesen und deren Leiden, und die Weise, wie der Geist damit umgeht oder es wahrnimmt, ist, sich zu wünschen, sie mögen frei davon sein. Das ähnelt der Entsagung, mit der wir uns auf uns selbst und unsere Leiden richten und uns wünschen, selbst frei davon zu sein. Es ist die gleiche Art von Geist, die sich jedoch auf die gleiche Art des Objektes der Ausrichtung mit anderen Menschen als uns selbst fokussiert. Das ist Mitgefühl. Bei der Liebe richtet man sich ebenfalls auf andere, mit dem Wunsch, sie mögen glücklich sein. 

Was erscheint nun, wenn wir uns auf Bodhichitta richten oder wenn wir uns mit der Bodhichitta-Ausrichtung fokussieren? Das ist die große Frage, die nicht so einfach und nicht dasselbe ist, wie die Meditation mit Liebe und Mitgefühl. Liebe und Mitgefühl sowie der außergewöhnliche Entschluss sind die Grundlage und sie begleiten Bodhichitta, aber sie sind nicht das eigentliche Objekt der Ausrichtung. Hier gibt es viele unterschiedliche Erklärungen. Eine Erklärung ist die, dass man viele verschiedene Arten der Wahrnehmung gleichzeitig haben kann. So können wir zum Beispiel zur gleichen Zeit Dinge vor uns sehen und hören; wir tun dies, wenn wir mit jemandem sprechen, der sich vor uns befindet. Hier gibt es zwei verschiedene Arten des Bewusstseins, zwei Arten der Wahrnehmung, die gleichzeitig stattfinden. 

Manche sagen, sie wechseln sich im Nano-Sekundenbereich ab, und andere meinen, sie finden gleichzeitig statt und es wäre nur eine Frage, wie viel Aufmerksamkeit und Konzentration man der einen oder anderen, oder auch beiden, beimisst. Mann kann sich sogar einsgerichtet auf eine Sache konzentrieren, während die andere trotzdem stattfindet. Wir können also Liebe und Mitgefühl zur gleichen Zeit wie Bodhichitta haben, oder es könnte dem zugrunde liegen, nicht wirklich auf unmanifestierte, aber auf gewisse Weise, ohne hier zu sehr in die Einzelheiten zu gehen. 

Wenn wir uns auf Bodhichitta ausrichten, gibt es gemäß einiger Erklärungen einen Schritt, auf dem man an alle fühlenden Wesen mit dem Wunsch denkt, sie zur Erleuchtung zu führen, wobei dann das eigentliche Ziel von Bodhichitta in unserer individuellen Erleuchtung besteht, die noch nicht stattgefunden hat, aber auf der Grundlage der Buddha-Natur stattfinden kann, wie ich es immer wieder in unserer Diskussion betont habe. Das ist der Fokus. Und wie tun wir es? Wir tun es mit der Absicht, es zu erlangen und allen Wesen damit zu nützen; das ist Bodhichitta.  

Unsere eigene (zukünftige) Erleuchtung, die noch nicht stattfindet

Eine große Frage stellt sich nun hier: Auf was, um alles in der Welt, richten wir uns hier aus? Wie fokussieren wir uns darauf? Das führt uns zu dieser ganzen Diskussion über die „Zukunft“. Einer der Schlüssel liegt hier darin, dass „Vergangenheit“ und „Zukunft“ westliche Worte, westliche Arten des begrifflichen Erfassens sind. Im Buddhismus betrachtet man es etwas anders und formuliert es als „nicht mehr stattfinden“ und „noch nicht stattfinden“. 

Das Nicht-mehr-Stattfinden von etwas – um ein einfaches Beispiel zu benutzen – ist das Jahr 2006 und das Noch-nicht-Stattfinden das Jahr 2008. Worum es geht, wenn wir von Vergangenheit und Zukunft reden, ist das Jahr 2006, was nicht mehr stattfindet. Findet es momentan statt? Nein, momentan findet es nicht statt, es findet nicht mehr statt. Existiert es? Ja, es existiert, aber es findet momentan nicht statt. Das Jahr 2008, was noch nicht stattfindet: existiert es und kann man es kennen? Ja, man kann Pläne dafür machen usw. Findet es momentan statt? Nein, es findet momentan nicht statt. 

Innerhalb existierender Phänomene – existierende Phänomene sind jene Phänomene, die gültig erkannt werden können und für jene von euch, die Tibetisch studieren, reden wir von „yö-pa“ (yod-pa), dem existierenden Phänomen, und „mä-pa“ (med-pa), dem nicht existierenden Phänomen – innerhalb existierender Phänomene gibt es also eine Unterteilung in „si-pa“ (srid-pa) und „mi-si-pa“ (mi-srid-pa) auf Tibetisch. Diese Begriffe werden von vielen wieder mit „existierend“ und „nicht existierend“ übersetzt, was jedoch falsch ist, weil beide existieren. Sie bedeuten „momentan möglicherweise stattfindend“ oder „momentan möglicherweise nicht stattfindend“. Beide existieren jedoch. Was nicht mehr stattfindet existiert jedoch; man kann es gültig kennen, aber es findet einfach momentan nicht statt. Und unsere zukünftige Erleuchtung, die existiert, findet noch nicht statt; man könnte sie jetzt jedoch kennen, aber sie findet momentan nicht statt. 

Das ist einer der Schlüssel, die uns einen Zugang zu dieser ganzen Thematik verleihen. Wir differenzieren das Noch-nicht-Stattfinden unserer Erleuchtung, die stattfinden könnte. Wir wissen also, dass sie noch nicht stattfindet, was wirklich wichtig ist, denn sonst könnte man sich selbst etwas vormachen und denken, man wäre bereits erleuchtet, was nicht der Wahrheit entspricht. Hier konzentrieren wir uns jedoch nicht auf das Noch-nicht-Stattfinden dieser Erleuchtung, und obwohl wir dies verstehen müssen, richten wir uns auf diese Erleuchtung, die noch nicht stattfindet. 

Die dritte und vierte edle Wahrheit in unserem geistigen Kontinuum

Was ist nun also diese Erleuchtung, die noch nicht stattfindet? Fragt man die großen Geshes, so lautet ihre Antwort: die dritte und vierte Wahrheit im geistigen Kontinuum. Na vielen Dank auch! Worauf deutet das hin? Nun, die dritte edle Wahrheit ist eine wahre Beendigung der emotionalen und kognitiven Schleier. Die kognitiven Schleier sind diese Erscheinungen unmöglicher Existenzweisen und die emotionalen entstehen durch den Glauben oder die Unwissenheit in Bezug darauf, es gäbe tatsächliche „Bezugs-Dinger“, die dem Unsinn entsprechen, den unser Geist erscheinen lässt, und dann durch all die störenden Emotionen und Tendenzen dieser störenden Emotionen, die daraus folgen. 

Eine wahre Beendigung, die Zuflucht im Dharma, ein Teil der Zuflucht im Dharma, das Dharma-Juwel, ist diese wahre Beendigung im geistigen Kontinuum, und die vierte edle Wahrheit ist der wahre Pfadgeist. Hier geht es nicht um einen Pfad, den man beschreitet, sondern – nach Ansicht einiger Lehrsysteme – um einen tatsächlichen Pfad des Geistes, der eine Weise ist, sich über Dinge gewahr zu sein, die zu einer wahren Beendigung führt und aus einer wahren Beendigung resultiert. Manchmal kann man die körperliche Grundlage mit ins Spiel bringen, aber in erster Linie geht es um den Geist. 

Wahre Beendigungen und die Leerheit des Geistes

Das sind die Dinge, auf die wir uns richten, und dafür benötigen wir... hier wird es sehr schnell ganz schön kompliziert. Eine wahre Beendigung, wie fokussiert man sich auf eine wahre Beendigung? Was geschieht hier? Die wahre Beendigung ist hier das Sich-Lösen von den störenden Emotionen, von all den so genannten „flüchtigen Makeln“ im geistigen Kontinuum, die nicht Teil der Wesensnatur der geistigen Aktivität des Geistes sind. Gemäß der Gelug-Prasangika-Erklärung, wird in allen Lehrbüchern, außer jenem des Panchen Sönam-dragpa (Pan-chen bSod-nams grags-pa), behauptet, dies sei gleichbedeutend mit der Leerheit des Geistes. 

Und so ist in dieser Erklärung der Svabhavakaya – der Körper der essentiellen Natur – die Leerheit des Geistes eines Buddhas und dessen Sich-Lösen, dessen wahre Beendigungen. Es ist also das gleiche, es ist gleichbedeutend. Wir müssen hier nicht die logischen Durchdringungen verstehen, doch – ohne zu sehr ins Detail zu gehen, weil dies wirklich höchst komplex ist – wenn wir uns auf die Leerheit richten, also die Abwesenheit von unmöglichen Existenzweisen, haben wir in dem Moment eine Beendigung der flüchtigen Makel. In dieser ganzen Struktur des Fokussierens auf die Leerheit gibt es die wahre Beendigung – wobei man sagen muss, dass diese flüchtigen Makel wiederkehren könnten, wenn sie nicht vollständig vorhanden ist – und wenn man eine wahre Beendigung hat, geschieht dies in einem Geisteszustand mit einem Verständnis der Leerheit. 

Im Grunde ist hier die Rede von der so genannten „doppelten Reinheit des Geistes“: wenn man die flüchtigen Makel beseitigt, kommt man in einen Zustand, der von vornherein nie befleckt war. Der Geist war nie befleckt von dieser Natur und wenn man versteht, dass dies unmöglich ist, läuft es auf dasselbe hinaus: auf diese doppelte Reinheit. Um uns also auf die wahre Beendigung, die wir erlangen werden und die noch nicht stattgefunden hat, im Sinne dieser einen Seite des Bodhichittas zu richten, fokussieren wir uns im Grunde auf die Leerheit des Geistes. 

Wahrer Pfadgeist

Und wenn wir uns auf den wahren Pfadgeist, also die vierte edle Wahrheit, die noch nicht stattgefunden hat, richten, worauf fokussieren wir uns dann? Hier ist es notwendig, auf das Thema der Buddha-Natur einzugehen. Bei der Buddha-Natur geht es um jene Faktoren, die verantwortlich dafür sind, ein Buddha zu werden. Jeder hat diese Buddha-Natur. Es gibt andauernde Faktoren und sich entwickelnde Faktoren, und dabei handelt es sich um die Faktoren, welche gewissermaßen zu den verschiedenen Buddha-Körpern werden. Die andauernden Faktoren sind die Leerheit des Geistes; sie ändern sich nicht. Die Leerheit des Geistes ist ein natürlicher Zustand der Reinheit des Geistes von flüchtigen Makeln – dies ist Svabhavakaya – es ändert sich nicht und war immer so. Und bei den sich entwickelnden Faktoren handelt es sich um jene, die sich entfalten und der Dharmakaya, der Geist eines Buddhas, sowie der Körper oder die verschiedenen Körper und körperlichen Formen eines Buddhas werden. 

Die sich entwickelnde Buddha-Natur: Das Netzwerk positiver Kraft

Hier könnten wir ausführlich auf all die zahlreichen unterschiedlichen Aspekte eingehen, aber sehen wir uns nur die grundlegendste Ebene an: die zwei „Netzwerke“, wie ich sie nenne, anstatt „Ansammlungen“, denn es geht nicht um so etwas wie eine Briefmarkensammlung, sondern darum, etwas zu entwickeln. Bei dem, was als „Verdienst“ übersetzt wird, handelt es sich um „positive Kraft“, die miteinander in Wechselwirkung steht und immer stärker wird, sodass man schließlich eine Art der Phasenumwandlung des geistigen Kontinuums hat, welches zu einer anderen Funktionsebene übergeht. 

Diese positive Kraft... hier handelt es sich im Grunde um eine spannende Frage, zu der es einen langen Artikel auf meiner Webseite gibt, aber wenden wir uns zunächst dem anderen zu: dem Netzwerk tiefen Gewahrseins, dem tiefen Gewahrsein der Leerheit, welches in völliger Vertiefung der Leerheit nichtkonzeptuell entsteht, wobei alles andere befleckt ist, wie das Erscheinen wahrer Existenz, dem Greifen nach wahrer Existenz und all diese Dinge. Dann fragt man sich: „Nun, die positive Kraft, die entsteht, ist befleckt. Aber wie könnte sie eine Ursache für den Geist eines Buddhas, eines Buddha-Körpers sein, wenn sie befleckt ist?“ 

Der Schlüssel ist hier das Widmen und daher ist die Widmung so wichtig. Widmen wir sie der Erleuchtung, wird die positive Kraft, auch wenn sie befleckt ist und mit Verwirrung entwickelt wurde, als eine Ursache für die Erleuchtung dienen. Und wenn wir die positive Kraft nicht widmen, weil sie befleckt ist, wird sie nur zu einer Verbesserung von Samsara beitragen. Die Widmung ist hier also entscheidend und dann haben wir kein Problem, obwohl sich natürlich darüber streiten ließe, wie denn eine befleckte Ursache zu einem unbefleckten Resultat führen könne. 

Das Netzwerk der fünf Arten des tiefen Gewahrseins

Ich hoffe, ich gehe hier nicht auf zu viele Details ein, aber wir haben hier eine gute Zuhörerschaft, um die Thematik etwas zu vertiefen. Worauf fokussieren wir uns nun mit einem wahren Pfadgeist? Wir richten uns auf diese sich entwickelnden Faktoren der Buddha-Natur, die nun Ursachen für das Erlangen des Resultates sind. Sprechen wir von den Netzwerken tiefen Gewahrseins, so geht es um das tiefe Gewahrsein der Leerheit, der tiefsten Wahrheit, aber auch um das tiefe Gewahrsein der konventionellen Wahrheit. Es gibt „fünf Arten des tiefen Gewahrseins“, die zuweilen auch als „fünf Buddhaweisheiten“ übersetzt werden, was eine unpassende Übersetzung ist, da alle, auch ein Wurm, über sie verfügen. Es handelt sich um die Buddha-Natur.

Diese Fünf sind (1) das spiegelgleiche Gewahrsein, das lediglich Informationen aufnimmt; (2) das gleichsetzende Gewahrsein, welches Dinge zusammenfügt, und ohne dem wir nichts verstehen könnten; (3) das individualisierende Gewahrsein, welches diese Sache von jener individualisiert, wobei wir mit dem gleichsetzenden Gewahrsein diese zwei Personen als männlich und jene zwei als weiblich erkennen können. Könnten wir das nicht zusammenfügen, wäre es hoffnungslos, sich mit dem auseinanderzusetzen, was wir erfahren. Beim Individualisieren heben wir dieses von jenem ab und (4) mit dem vollbringendem Gewahrsein geht es im Grunde darum, etwas damit zu tun und sich im Sinne des Kommunizierens damit zu befassen. Wir wissen, dass wir mit einem Kind anders reden müssen, als mit einem Erwachsenen, und verfügen somit über diese Fähigkeit. Sogar der Wurm weiß, was er mit der Nahrung machen muss, die er vor sich sieht. Er frisst sie und befasst sich also damit. Und (5) das Dharmadhatu-Gewahrsein, die Realitätssphäre, hat zwei Ebenen: die konventionelle, also wie die Dinge sind, und die tiefste, wie sie existieren. 

Wie dem auch sei, all dies ist Teil dieser Faktoren der Buddha-Natur, die wir alle haben. Auch wenn wir nicht über das Netzwerk tiefen Gewahrsein der nichtkonzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit verfügen, was zweifellos für die meisten zutrifft, verfügen wir doch über das konventionelle; diese zwei Netzwerke sind anfangslos. Aber gehen wir nicht weiter auf die anderen Aspekte der Buddha-Natur ein; wir beziehen uns lediglich auf sie. 

Wahrnehmung der noch nicht stattfindenden Erleuchtung durch Schlussfolgerung

Betrachten wir es im Sinne der Tendenzen bezüglich des Resultates der Körper eines Buddhas, des Geistes eines Buddhas und so weiter. Hier hat eine karmische Tendenz eine gewisse Facette oder wörtlich einen „Teil“ (tib. cha), ein „zeitweiliges Nicht-Hervorbringen des Resultates“, welches hervorgebracht werden kann, und das ist dann das „Noch-nicht-Stattfinden“ des Resultates, also die Zukunft.  Das „zweitweilige Nicht-Hervorbringen des Resultates“, welches hier ein gewisser Teil oder eine Facette der Tendenz oder Ursache ist, ist das „Noch-nicht-Stattfinden des Resultates“. Das „Noch-nicht-Stattfinden des Resultates“ ist dem „zeitweiligen Nicht-Hervorbringen des Resultates“ zugeschrieben, was eine Zuschreibung der Tendenz ist. 

Ein weiterer Teil dieser Tendenz ist die „Fähigkeit, das Resultat hervorzubringen, wenn die Umstände dafür vollständig sind“. All dies sind Teile dessen, was momentan erfolgt, und auf diese Weise können wir uns auf etwas richten, was momentan stattfindet. Das ist es, was momentan stattfindet: wir haben eine Tendenz und eine Tendenz hat die Fähigkeit, all diese Faktoren der Buddha-Natur haben die „Fähigkeit, das Resultat“ – die Erleuchtung – „hervorzubringen, wenn die Bedingungen vollständig sind“, und das „zeitweilige Nicht-Hervorbringen des Resultates“ ist das „Noch-nicht-Stattfinden des Resultates“. 

Die Grundlage der Negierung ist die „Abwesenheit des Resultates in unserem geistigen Kontinuum“ und auf der Basis dieser Abwesenheit des Resultates können wir sagen, dass es noch nicht stattfindet. Es ist außerordentlich wichtig zu erkennen, dass wir nicht verrückt sind, wenn wir uns auf Bodhichitta ausrichten. Wir verstehen, dass es eine „Abwesenheit eines gegenwärtig stattfindenden Resultates“ gibt – wir sind noch keine Buddhas – und wegen dieser Abwesenheit können wir sagen, dass es ein „Noch-nicht-Stattfinden des Resultates“ gibt.  

Das „Noch-nicht-Stattfinden des Resultates“ und die „Abwesenheit des Resultates“ sind „durch Negierung erkannte Phänomene“ oder „Negierungs-Phänomene“ (tib. dgag-pa), was bedeutet, dass man eine Wahrnehmung des Resultates haben muss, um zu wissen, dass es nicht da ist. Wie kann ich denn die Abwesenheit eines Apfels auf einem Tisch wahrnehmen? Was sehe ich? Ich sehe nichts und dieses Nichts verstehe ich als die Abwesenheit eines Apfels. Wie weiß ich aber, dass es sich um die Abwesenheit eines Apfels handelt? Ganz einfach ausgedrückt, weiß ich, was ein Apfel ist und er ist nicht da. 

Das kommt etwas vor dem Bodhichitta: „Um allen Wesen nützlich zu sein und sie zu Befreiung und Erleuchtung zu führen, muss ich Buddhaschaft erlangen“, aber: „noch bin ich kein Buddha“ – erinnert ihr euch an diesen kleinen Schritt? Das ist der Schritt: „Ich bin noch kein Buddha“. Gegenwärtig gibt es eine Abwesenheit der Erleuchtung, oder genauer gesagt: „Momentan herrscht eine Abwesenheit einer gegenwärtig stattfindenden Erleuchtung in meinem geistigen Kontinuum“. Es gibt jedoch Ursachen dafür und Teil dieser Ursachen ist das „Noch-nicht-Stattfinden dieser Erleuchtung“, denn diese Ursachen werden „zeitweilig nicht hervorgerufen“, haben aber die „Fähigkeit sie hervorzurufen, wenn alle Bedingungen vollständig sind und wir mit anderen Worten dieses Netzwerk positiver Kraft und tiefen Gewahrseins vollständig aufgebaut haben. Bochichitta erfordert hier ein großes Maß an Verständnis. 

Handelt es sich dabei um Intention oder Absicht? 

Die Absicht besteht darin, Erleuchtung zu erlangen und diese Absicht baut auf dem Verständnis auf, dass ich momentan noch nicht dort bin, jedoch darauf hinarbeite und sie erreichen muss, um allen Wesen helfen zu können und in der Lage zu sein, sie zu Befreiung und Erleuchtung zu führen. Die Absicht entsteht also aus diesem Verständnis. Man strebt nur etwas an, wenn man es noch nicht hat und tut es nur, wenn man weiß, dass man es erlangen kann. Was tut man denn sonst? Und man will es erreichen, indem man die Notwendigkeit dessen versteht, es zu erlangen. 

All dies sind Voraussetzungen dafür, ernsthaft Bodhichitta zu entwickeln. Wir müssen eine Art der Wahrnehmung der Erleuchtung haben, wobei es sich hierbei um ein „Bestätigungs-Phänomen“ (tib. sgrub-pa) handelt, die Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat. Wie ich bereits zu Beginn dieser Vorlesungsreihe sagte, geht es um unsere individuelle Erleuchtung. Die Rede ist nicht von der Erleuchtung von Buddha Shakyamuni oder der Erleuchtung im Allgemeinen, sondern von unserer individuellen Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat und wir kennen sie auf der Basis unserer individuellen Buddha-Natur, was sich auf die Ursachen bezieht, die dessen Stattfinden ermöglichen. 

Bei der dritten und vierten edlen Wahrheit geht es um die Erleuchtung, die noch nicht stattfindet – wir können die Leerheit des Geistes kennen, die uns zur dritten edlen Wahrheit, der wahren Beendigung, führt und wir können... das ist der schwierige Teil hier. Wie können wir diese vierte edle Wahrheit, dieses tiefe Gewahrsein eines Buddhas, das allwissende Gewahrsein eines Buddhas, und die Körper des körperlichen Aspektes davon kennen? Wie können wir diese vierte edle Wahrheit kennen, die noch nicht stattfindet? Hier würden wir sie durch Schlussfolgerung kennen: gibt es die Ursachen dafür, so gibt es auch das Resultat. Wir würden sie also konzeptuell durch Schlussfolgern begreifen. 

Wie erkennt man etwas konzeptuell durch Schlussfolgern? Man erkennt es durch eine Kategorie. Wir haben die Kategorie „Erleuchtung“, Geist eines Buddhas und Körper eines Buddhas. Nun müssen wir zur Erkenntnistheorie gehen, zur Gelug-Prasangika-Weise der Darstellung – es gibt viele andere Versionen – und hier ist das erscheinende Objekt in einer konzeptuellen Wahrnehmung eine Kategorie, die sich direkt vor dem Geist befindet. Im Text ist die Rede von dem, „was sich vor dem Angesicht des Geistes befindet“. Und diese Kategorie hat natürlich keine Form, Farbe oder ähnliches, und was erscheint, ist eine Repräsentation der Kategorie.

Was würde denn die Erleuchtung repräsentieren? Bingo! Wir haben eine Visualisierung Buddhas. Für gewöhnlich visualisieren wir daher zu Beginn einer jeden Praxis von Zuflucht und Bodhichitta einen Buddha, den Baum der versammelten Lehrer, und indem man all das visualisiert und sich darauf ausrichtet, schlägt man eine sichere Ausrichtung im Leben ein und entwickelt Bodhichitta. Es ist also ziemlich klar. Was im Geist erscheint, ist ein Buddha, oder man visualisiert sich selbst, wie in den Meditationen des Tantra, als eine Buddha-Gestalt. 

Aus diesem Grund ist es essentiell, über Bodhichitta zu verfügen, wenn man Tantra-Praktiken ausführt, denn man fokussiert sich auf die eigene zukünftige Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat, durch die Kategorie der „Erleuchtung“. Und auf der Basis einer Abwesenheit eines gegenwärtigen Stattfindens dieser Erleuchtung bin ich mir über das Noch-nicht-Stattfinden dieser Erleuchtung bewusst, und dieses Noch-nicht-Stattfinden der Erleuchtung ist eine Facette der Ursache, Tendenz, der Buddha-Natur, meines eigenen Netzwerkes positiver Kraft und tiefen Gewahrseins, sowie all dieser anderen Dinge, die es hier gibt und beruht darauf. 

Obwohl es ziemlich komplex ist, geht es um all diese Dinge, wenn man untersucht, was im Geist abläuft, wenn man da sitzt und sich vermeintlich einsgerichtet mit Bodhichitta ausrichtet. Was erscheint? Was tun wir? Es geht hier nicht darum, zu sitzen und über Mitgefühl zu meditieren. Das geschieht ein Schritt vorher. Es ist natürlich äußerst schwierig, denn wir reden hier über die dritte und vierte edle Wahrheit, wir reden über die Leerheit und gewissermaßen... Was diese Visualisierung betrifft, muss es beispielsweise keine Visualisierung sein, wir können uns auch der Mahamudra-Methode bedienen – in der Mahamudra-Methode fokussiert man sich auf die Natur des Geistes, das tiefe Gewahrsein des Geistes – man muss sich also nicht bildlich darauf fokussieren. Es gibt viele Darstellungsweisen dieser vierten edlen Wahrheit, dem tiefen Gewahrsein des Geistes und der positiven Kraft des Geistes. 

Aber von einem Gelugpa-Standpunkt aus kann man sich nicht gleichzeitig auf die zwei Wahrheiten der Leerheit des Geistes und den Geist selbst, den konventionellen Geist, fokussieren. Was dies verhindert, ist dieser andere Aspekt des kognitiven Schleiers. Der kognitive Schleier bringt nicht nur eine Erscheinung wahrer Existenz oder wahrhaft begründeter Existenz hervor, sondern hält uns auch davon ab, uns auf die zwei Wahrheiten gleichzeitig zu fokussieren, denn wir haben eine Erscheinung wahrer Existenz und können nicht gleichzeitig eine Erscheinung der Leerheit haben, was einen Sinn ergibt.

Wir müssen uns also mit konzeptuellem Bodhichitta zufriedengeben und bis wir ein Buddha sind, wird dies konzeptuell bleiben, weil wir uns nicht auf die zwei Wahrheiten gleichzeitig konzentrieren können. Es geschieht durch eine Kategorie der Erleuchtung, dass wir uns explizit auf die Qualitäten der Buddhaschaft, den physischen Körper oder etwas, wie das tiefe Gewahrsein eines Buddhas ausrichten können, wenn wir die Mahamudra-Meditation praktizieren, und implizit enthalten ist unser Verständnis der Leerheit. „Die Leerheit ist impliziert“ bedeutet, dass sie nicht wirklich im Geist erscheint, sondern wir ein Verständnis davon haben. Auf diese Weise verbinden wir es miteinander. 

Nichtkonzeptuelle Wahrnehmung des „Noch-nicht-Stattfindens“ eines Buddhas

Eine schwierige Frage ist folgende, wobei all dies schwierig ist und ich damit aufhören sollte, das Wort „schwierig“ zu benutzen. Korrekter wäre der Begriff „herausfordernd“ und daher wäre eine herausfordernde Frage, was einem Buddha erscheint, wenn er die Zukunft, also das, was noch nicht stattgefunden hat, nichtkonzeptuell kennt. Was die schlussfolgernde Wahrnehmung betrifft ist es klar, aber was kennt ein Buddha? Denn dies hilft uns auch ein wenig mit dieser zukünftigen Erleuchtung. 

Werfen wir einen Blick in den Abhidharma, denn hier gibt es eine Auflistung verschiedener Arten von... beschränken wir uns auf die Formen physischer Phänomene, haben wir diese kognitiven Anreger (tib. skye-mched, Skt.  ayatana), und dabei handelt es sich um die Dinge, die eine Wahrnehmung anregen werden. Es gibt eine Liste von zwölf und wir müssen hier nicht auf alle eingehen, aber es gibt Formen – wie farbige Formen – die als eine Kategorie kognitiver Anreger erkannt werden und sowohl ein Objekt visuellen als auch geistigen Bewusstseins sein können, und es gibt jene, die nur ein Objekt geistigen Bewusstseins sein können, wie beispielsweise die farbigen Formen, die wir in Träumen wahrnehmen – sie werden nicht durch das Sehbewusstsein, sondern durch geistiges Bewusstsein erkannt. 

Es gibt eine ganze Liste von Formen, die nur durch ein geistiges Bewusstsein erkannt werden können, wie die Form eines Atoms, die astronomische Distanz zwischen Sternen und Dinge, die man nicht wirklich vollumfänglich sehen, jedoch geistig kennen kann. Diese Art der Form physischer Phänomene gehört zu der Kategorie des kognitiven Anregers von Dingen, der Dharmas oder Dinge, die nur durch den Geist erkannt werden können. Dann haben wir „völlig imaginäre Objekte“, was meine Übersetzung des Begriffes kun-brtags ist, wobei ich nicht weiß, ob es sich dabei um die beste Übersetzung handelt. Visualisieren wir zum Beispiel Chenrezig, was erscheint dann? Nun, es erscheint ein Chenrezig, aber es ist ein völlig imaginäres Objekt, welches durch die Kategorie Chenrezig erscheint, und es könnte auf einem Bild oder einer Statue beruhen, aber es gibt etwas, das erscheint, nicht wahr? Das ist ein völlig imaginäres Objekt. 

Wenn ein Buddha ein Resultat kennt, welches noch nicht stattgefunden hat, ist das, was erscheint, ein völlig imaginäres Objekt. Es ist kein äußeres Objekt – es findet momentan nicht statt – sondern ein völlig imaginäres Objekt. Aber es existiert und daher dürfen wir es auf keinen Fall als etwas „völlig Imaginäres“ abwerten. Daher ist das Wort „imaginär“ nicht so gut. Es jedoch als „völlig konzeptuelles“ Objekt zu bezeichnen ist auch nicht passend, denn ein Buddha kann es nichtkonzeptuell kennen. Hier sind wir also noch auf der Suche nach einem guten Begriff, aber bleiben wir erst einmal bei „völlig imaginär“. Was bedeutet es, wenn wir sagen, ein Buddha kann es nichtkonzeptuell kennen? Es bedeutet, dass ein Buddha es nicht durch das Medium der Kategorie „Erleuchtung“ kennen würde. Das ist alles, was es bedeutet. Es ist nach wie vor völlig imaginär und es findet momentan nicht statt. Das sind die Dinge, um die es hier beim Bodhichitta geht. 

Zusammenfassung

Fokussieren wir uns auf Bodhichitta, so gibt es etwas, das den erleuchteten Zustand eines Buddhas repräsentiert, und wir versuchen uns mit dem Verständnis darauf zu konzentrieren, über was wir momentan verfügen, was eine Ursache für die vierte edle Wahrheit werden wird. Da gibt es eine Art der Form eines Buddhas, oder wir üben es im Mahamudra-Style ohne eine Form, und wir beziehen uns gedanklich auf die positive Kraft und das tiefe Gewahrsein, wobei der Aspekt des tiefen Gewahrseins hier wahrscheinlich zuträglicher ist. Denken wir an diese Repräsentation mit tiefem Gewahrsein, haben wir eine Art Gefühl des Erkennens und damit ein Verständnis der Leerheit. Wir denken: „das ist es, was ich will“ und es beruht auf der Ursache, der Tendenz dafür, der Facette des „zeitweiligen Nicht-Hervorbringens“, aber es hat die „Fähigkeit, es hervorzubringen, wenn die Bedingungen vollständig sind“ und davor fokussieren wir uns mit Mitgefühl auf alle Wesen, den Wunsch, sie mögen frei von ihren Leiden sein, was dem gewissermaßen zugrunde liegt. 

Das scheint eine vollständigere Beschreibung dessen zu sein, was in unserem Geist vor sich geht, wenn wir versuchen uns hinzusetzen und uns einsgerichtet mit der Bodhichitta-Ausrichtung zu fokussieren. Diese Absicht, allen Wesen zu nützen, dient dem Ganzen hier als Grundlage und nun fokussieren wir uns auf unsere Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat, beruhend auf den Ursachen dafür. Und die Ursache ist das zeitweilige Nicht-Hervorbringen, denn diese Erleuchtung ist gegenwärtig im geistigen Kontinuum nicht anwesend, aber wir arbeiten auf dessen Anwesenheit hin, um allen vollständig helfen zu können; wir müssen also zum „gegenwärtigen Stattfinden“ kommen. 

Es wird „momentan nicht hervorgebracht“, weil die Bedingungen nicht vollständig sind. Wir müssen die Bedingungen also vervollständigen und das bringt uns dann zum ausübenden Bodhichitta. Auf der Ebene des Wünschens fokussieren wir uns lediglich darauf, aber erkennen, dass es „zeitweilig nicht hervorgebracht wird“, weil die Bedingungen unvollständig sind und wir die Bedingungen schaffen müssen, also Bodhichitta bezüglich der Aktivitäten und des Übens von Geduld usw., was die Bedingungen vervollständigen wird, um das Resultat hervorzubringen.

Leerheit von Ursache und Wirkung

Lasst mich hier noch etwas hinzufügen. Reden wir über die Leerheit, die wir implizit begreifen müssen, ist es ausschlaggebend, die Leerheit von Ursache und Wirkung zu verstehen. Hier können wir zurückkehren zur wunderbaren Darstellung in Shantidevas Werk, dem Bodhicharyavatara, oder anderen Abhandlungen. Was wird dort widerlegt? Bezüglich der Kausalität wird widerlegt, dass die Ursache nichts mit dem Resultat zu tun hat oder identisch mit dem Resultat ist, im Sinne, dass es sich dabei um das unmanifestierte Resultat innerhalb der Ursache handelt, das darauf wartet hervorzutreten, wenn die Bedingungen dafür vollständig sind. 

Wir sollten also nicht denken, die „Erleuchtung“ befände sich irgendwo in unserem Kopf und würde herausspringen, wenn wir alle Bedingungen dafür zusammengetragen haben, und auch nicht, dass wir sie, egal was wir tun, nicht erreichen können oder sie durch etwas, wie einen Segen oder eine irrelevante, unzureichende Ursache erlangen. Auch gilt es die Leerheit des Resultates zu verstehen. Shantideva erklärt es recht anschaulich, denn laut ihm wird hier widerlegt, dass das Resultat bereits zur Zeit der Ursache existiert. Existiert es bereits zur Zeit der Ursache und sind wir bereits erleuchtet, aber erkennen es nicht, warum müsste es dann in Erscheinung treten? Es ist schon da und könnte somit nicht auftauchen. 

Und wenn das Resultat zur Zeit der Ursache vollkommen nichtexistierend ist, wie könnte dann etwas völlig Nichtexistierendes zu etwas Existierendem werden? Wie könnte solch eine Umwandlung stattfinden? Kann ein Nichts zu einem Etwas werden? All das gilt es zu verstehen, um ein korrektes Verständnis dieser dritten edlen Wahrheit zu haben. Wir müssen ein Verständnis der Leerheit des geistigen Kontinuums, der Leerheit des Ablaufs von Ursache und Wirkung haben, welches mit dem Erlangen der Erleuchtung einhergehen wird, damit wir keine merkwürdigen Vorstellungen davon haben, wie eine gegenwärtig stattfindende Erleuchtung zustande kommen kann. 

Und es wird sogar noch verrückter: es gibt keinen „gemeinsamen Nenner“ oder keine gemeinsame Grundlage für eine Erleuchtung, die noch nicht stattfindet und eine Erleuchtung, die gegenwärtig stattfindet. Mit anderen Worten gibt es nichts, was beides ist und sich einfach auf der Zeitachse bewegt: momentan findet es nicht statt und befindet sich sozusagen außerhalb der Bühne, und dann kommt es auf die Bühne, spielt seine Rolle und findet statt. Es ist also nicht so, dass die Erleuchtung, die noch nicht stattfindet, zu der Erleuchtung wird, die gegenwärtig stattfindet. 

Das beginnt in Bezug auf unser Leerheitsverständnis ziemlich subtil zu werden. Diese Dinge sind das Herz des Verständnis und daher gibt es zwei Aspekte von Bodhichitta: konventionelles und tiefstes oder letztendliches Bodhichitta. Wir müssen ein Verständnis der Leerheit haben und das ist wirklich wichtig, wenn wir Bodhichitta entwickeln, denn sonst wird es zu etwas recht Merkwürdigem: wir würden uns auf etwas ausrichten, was unmöglich ist oder etwas auf eine Weise erreichen wollen, die unmöglich ist. Daher gibt es zwei Bodhichittas, zwei Aspekte von Bodhichitta. 

Rotes und weißes Bodhichitta

Da wir gerade bei Bodhichitta sind, möchte ich etwas ansprechen, was nicht wirklich wesentlich ist, aber etwas mit dem Begriff „Bodhichitta“ zu tun hat. Habt ihr jemals den Ausdruck „rotes und weißes Bodhichitta“ gehört? 

Hierbei handelt es sich um Formen physischer Phänomene innerhalb des subtilen Körpers, die man im Anuttarayoga-Tantra, der höchsten Tantra-Klasse, manipulieren muss, was äußerst schwierig ist. Hat man jedoch den Punkt erreicht, an dem man sie manipulieren kann, ist es notwendig, sie in den Zentralkanal zu bringen, sie im Herzchakra aufzulösen und dadurch den Geist des klaren Lichts zu erlangen, der von Natur aus nicht diese trügerischen Erscheinungen wahrhaft begründeter Existenz hervorbringt und nicht daran glaubt – es bedeutet nicht, dass er etwas versteht, zumindest vom Gelugpa-Standpunkt. 

Aber das weiße und rote Bodhichitta, diese Substanzen, sind ein Beispiel dafür, den Namen des Resultates der Ursache zu geben. Es handelt sich dabei also um Ursachen, die es einem erlauben werden, zum Zustand des erleuchteten Geistes zu gelangen, wenn man sie manipuliert und auflöst. Daher werden sie Bodhichittas genannt, denn sonst wäre es wirklich verwirrend, warum man sie so nennen sollte. Handelt es sich hierbei um etwas, wovon ihr keine Ahnung habt, schiebt es einfach beiseite. 

Hier geht es um unsere grundlegende Darstellung von Bodhichitta. Möchtet ihr hier eine kleine Meditation darüber machen, wie man eigentlich meditiert? Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn wir uns ein paar Minuten Zeit nehmen, und das, worüber wir gerade gesprochen haben, etwas einwirken lassen. Den Rest der Sitzung können wir dann für mögliche Fragen nutzen. Was ich versucht habe, in unserem gesamten Wochenend-Seminar hervorzuheben, ist, dass Bodhichitta unglaublich tiefgründig und ausgesprochen umfangreich ist. Aus vielen Blickwinkeln aus betrachtet ist Bodhichitta außergewöhnlich, weswegen es so sehr gelobt wird und Shantideva ein ganzes Kapitel dieser Sache widmet. 

Erstmaliges Bodhichitta

Es ist auf alle gerichtet – nun, es kommt bereits vom Gleichmut und in unserer gesamten Reihenfolge richten wir uns damit unvoreingenommen auf alle. Dies dient auch als Ursache dafür, den erleuchteten Geist eines Buddhas zu haben, denn der erleuchtete Geist eines Buddhas ist auf alle gerichtet. Üben wir auf eine Weise, die sich unvoreingenommen auf alle gleichermaßen richtet, wirkt dies auch als Ursache dafür, Erleuchtung zu erlangen. Bodhichitta ist auch ein Faktor der Buddha-Natur, aber innerhalb der Faktoren der Buddha-Natur gibt es jene, die keinen Anfang haben und jene, die einen Anfang haben, und Bodhichitta ist einer dieser Faktoren, die einen Anfang haben. 

Bei der Entwicklung von Bodhichitta gibt es ein erstes Mal. Wir kennen die Geschichten darüber, wie Buddha das erste Mal Bodhichitta erreichte und auch wir werden in der Lage sein, Bodhichitta erstmalig zu entwickeln. Das bezieht sich nicht darauf, das erste Mal unsere Bodhichitta-Meditationen auf einem recht niedrigen Niveau zu üben, sondern vielmehr auf die echte Sache, die auf mühelose Weise geschieht, und bei der man nicht erst alle Schritte durchgehen muss, um es aufzubauen – es ist einfach ganz natürlich da. An diesem Punkt wird man zu einem Bodhisattva und die Trennlinie, an der man tatsächlich als Bodhisattva betrachtet werden kann, besteht darin, dass es mühelos ist. 

Hier beginnt man den Mahayana-Pfad des Aufbauens oder Ansammelns zu gehen – normalerweise wird es als Ansammeln bezeichnet, aber tatsächlich handelt es sich um das Aufbauen. Wir bauen es auf oder arbeiten darauf hin, Shamatha und Vipashyana zu verbinden und das ist es, was wir mit dieser ersten Ebene des Geistes entwickeln. An diesem Punkt werden wir also zu einem Bodhisattva, wenn es mit all diesem Verständnis mühelos ist und sich um den echten Zustand handelt. 

Bodhichitta richtet sich also auf alle und Bodhichitta kann erstmalig entwickelt oder hervorgebracht werden, was uns zu der wirklich schwierigen Frage führt, wie es möglich ist, dass wir nicht alle schon erleuchtet sind oder zumindest Bodhichitta entwickelt haben, wenn wir von einer anfangslosen Zeit ausgehen. Wie kann es in einem Kontinuum ohne Anfang und Ende ein erstes Mal geben? Das ist keine einfache Frage. Man muss die Hoffnung haben, dass es möglich ist, es erstmalig zu erreichen. Wir dürfen uns selbst nicht für geringfügig halten und meinen, wir wären so dumm und selbstsüchtig, dass wir es noch nicht das erste Mal erreicht haben. Es erfordert große Anstrengungen, Verständnis und Praxis. 

Aus diesem Grund ist das Verständnis über Zukunft und Vergangenheit überaus wichtig. Es ist nicht so, dass alles vorbestimmt ist. Angesichts der Parameter, die wir in Bezug darauf haben, was die geistigen Faktoren sind, die es in einem geistigen Kontinuum ohne Anfang geben wird, nun, da gibt es einige Faktoren der Buddha-Natur, die es auch in der Buddhaschaft geben wird und die Ursachen für die Buddhaschaft sein werden, und dazu gehört beispielsweise das Mitgefühl. Es gibt auch andere, die man als „flüchtige Makel“ bezeichnet, wie Unwissenheit, mangelndes Gewahrsein, Wut und diese Dinge. Sie haben kein Anfang und das geistige Kontinuum hat die Fähigkeit, Dinge zu verstehen, was Teil der Buddha-Natur ist. 

Wie wird diese Dynamik zwischen diesen zwei Seiten funktionieren? Das ist recht interessant. Wir wollen es nicht zu einem manichäischen zoroastrischen Dualismus herabsinken lassen, in dem das Gute gegen das Böse oder die zwei Kräfte der Unwissenheit und Weisheit in unserem geistigen Kontinuum miteinander kämpfen. Aus einer buddhistischen nichtdualistischen Sichtweise wäre das ziemlich merkwürdig, nicht wahr? Wie kommt es dann, dass das Verständnis, welches zu positivem Potenzial und positiver Kraft führt und welches wir bis zu einem kritischen Punkt aufbauen müssen, zum erstmaligen Erlangen von Bodhichitta führt? 

Wie wird das geschehen, angesichts dieser Dynamik zwischen mangelndem Gewahrsein und destruktivem Verhalten auf der einen Seite und den positiven Buddha-Qualitäten auf der anderen? Es ist nicht festgelegt; wir haben eine Wahl, jedoch nicht im Sinne des freien Willens. „Freier Wille“ heißt alles tun zu können, ohne die Ursachen dafür schaffen zu müssen. Darum geht es hier nicht. Ich kann nicht einfach meine Flügel ausbreiten, aus dem Fenster springen und fliegen. Mit vollkommen freiem Willen könnte ich es tun, aber das ist ein Extrem und davon ist hier nicht die Rede. Wir können nur das tun, wofür wir die Ursachen geschaffen haben. Gäbe es solche Dinge wie Absicht und Wahl, wäre es schwer zu begreifen, wie irgendjemand Bodhichitta erstmalig entwickeln könnte. 

Man könnte jedoch auch das Beispiel heranziehen, zwanzig Zillionen Affen vor eine Schreibmaschine zu setzen, von denen dann einer das Wort Shakespeare tippt, und somit sagen, dass jemand durch die Gesetze der Wahrscheinlichkeit Erleuchtung erlangen wird. Ich denke nicht, dass dies eine sehr zufriedenstellende Antwort wäre, oder? Es muss also ein gewisses Maß an Intention geben – jedoch nicht isoliert von all den anderen geistigen Faktoren und dem Einfluss anderer Menschen, insbesondere großer Lehrer – welche hier auf der Basis von Ursache und Wirkung zum Tragen kommt und ein erstmaliges Hervorbringen von Bodhichitta ermöglicht. Ich kann nicht behaupten, wirklich die Logik dahinter ausgearbeitet zu haben, aber es muss möglich sein; ansonsten ist das Ganze etwas verdreht, im Sinne von: „wir sollten eigentlich alle schon erleuchtet sein“. 

Es erfordert also etwas Anstrengung, angesichts der Parameter der anfangslosen Zeit und dem Verfügen über sowohl flüchtige Makel als auch Faktoren der Buddha-Natur. Eine gewisse Absicht ist also da. Sprechen wir von fühlenden Wesen, so ist das, was ein fühlendes Wesen ausmacht, nicht nur, wie bereits erwähnt, die Erfahrung der Resultate von Karma, also Glücklichsein und Unglücklichsein, sondern das Anteriore und nicht das Posteriore dessen. Das Posteriore ist, das Reifen von Karma zu erfahren und das Anteriore ist, auf der Basis von Intention zu handeln, also eine Wahl zu treffen. Aus diesem Grund entscheidet man sich als großer Fisch den kleinen Fisch zu fressen. 

Ich weiß nicht, ob es biologisch korrekt ist, aber aus buddhistischer Sichtweise entscheidet sich eine Pflanze nicht, der Sonne entgegenzuwachsen. Sie trifft keine bewusste Wahl und erfährt daher kein Karma. Sie erschafft kein Karma und wird daher kein Glücklichsein und kein Unglücklichsein erleben, im Gegensatz zu jenen, die zur Kategorie der fühlenden Wesen gehören, wie auch Geister und ähnliches. Wir sollten es nicht nur auf Menschen und Tiere begrenzen, denn das macht es etwas zu rational. Vielleicht nicht rational, aber begrenzt in Bezug darauf, worüber wir uns bewusst sind. Reden wir über diese fühlenden Wesen, beziehen wir uns auf jene, die vorsätzlich Entscheidungen treffen und daher die Resultate dessen im Sinne von Glücklichsein und Unglücklichsein erfahren. Das ist ein fühlendes Wesen. 

Daher muss es auf der Grundlage von Karma möglich sein, Bodhichitta erstmalig entstehen zu lassen. Aus diesem Grund ist es wichtig zu erkennen, dass der wesentliche Aspekt die Widmung ist, wenn wir über positive Kraft und positive Kraft als Ursache für die Erleuchtung reden, denn ansonsten wird jede positive Kraft, die wir haben, nur zu weiterem Samsara führen und nicht dazu, Bodhichitta zu entwickeln. Wir wollen also in der Lage sein, unsere positive Kraft auf die Erleuchtung zu richten. 

Wie kann man etwas darüber wissen? Man kann es durch die Buddhas erfahren. Hier haben wir eine interessante Sache: so etwas, wie den ersten Buddha, gibt es nicht. Es gab immer Buddhas, aber jeder Buddha hat irgendwann zum ersten Mal Bodhichitta entwickelt. Das ist ziemlich spannend und ich glaube, ein paar Mathematiker müssten einmal anfangen, sich damit zu beschäftigen und es zu entschlüsseln. Dies sind jedoch auch wichtige Fragen: „Wie um alles in der Welt kann ich erstmalig Bodhichitta entwickeln?“ und „Warum habe ich es nicht bereits entwickelt?“ 

Erstmalig Bodhichitta nicht aufgeben 

[hinzugefügt im Februar 2017]

Wenn man es in Anbetracht anfangsloser Zeit analysiert, haben wir Bodhichitta nicht nur unzählige Male entwickelt, sondern auch unzählige Male aufgegeben. Die Frage ist also im Grunde nicht, wie es möglich ist, Bodhichitta erstmalig zu entwickeln, sondern wie man es erstmalig nicht aufgibt. Die Antwort ist: indem man die Bodhisattva-Gelübde einhält und sie bewahrt, auch wenn es das eigene Leben kostet. Denkt daran, dass die Bodhisattva-Gelübde für alle Leben bis hin zum Erlangen unserer Erleuchtung genommen werden. Sterben wir also mit intakten Bodhisattva-Gelübden, sind diese Gelübde, auch wenn wir als Insekt wiedergeboren werden, nach wie vor Zuschreibungen in unserem geistigen Kontinuum und werden wir dann in einem anderen Leben wieder als Mensch geboren, können wir diese Gelübde reaktivieren und den Pfad zur Erleuchtung fortsetzen.

Fragen 

Sie haben meine Frage eigentlich schon beantwortet, als sie auf die „Richtung“ hinwiesen, aber ich habe über diese Vorstellung des Widmens nachgedacht, und wie dies zu einem anderen Pfad zum Aufbauen dieser positiven Kraft führt. 

Auf welche Weise bewirkt das Widmen die verschiedenen Pfade, nicht so sehr für das Aufbauen positiver Kraft, sondern in Bezug darauf, welches Resultat dadurch hervorgebracht wird? Dafür habe ich eine einfache Analogie des Computers und dem Speichern von Daten in diversen Ordnern. Die Standardeinstellung zum Speichern der positiven Kraft ist der Ordner des „Verbesserns von Samsara“ und man muss ganz bewusst den Knopf drücken, um sie entweder im Ordner der „Befreiung“ oder im Ordner der „Erleuchtung“ zu speichern, denn ansonsten landet sie ganz automatisch im Ordner „angenehmes Samsara“. 

Wie steht es damit, sie kleineren Zielen zu widmen, wie Lehrer und eine kostbare menschliche Wiedergeburt in zukünftigen Leben zu bekommen? Kann man ein wenig in jeden dieser Ordner ablegen? 

Die Frage ist, ob wir sie Zielen widmen können, die wir benötigen, um Erleuchtung, eine kostbare menschliche Wiedergeburt und fortgesetzte Begegnungen mit unseren spirituellen Lehrern zu haben. Natürlich, das ist in Ordnung, aber meiner Meinung nach ist es wichtig zu erkennen, dass es sich hierbei um Unterordner innerhalb des größeren Ordners der Erleuchtung handelt, wenn wir bei diesem Bild bleiben wollen. Es handelt sich dabei um Schritte, die für die Erleuchtung notwendig sind, und somit sollten wir sie nicht zu unserem endgültigen Ziel machen, sondern uns wünschen: „Möge ich eine kostbare menschliche Wiedergeburt als Fahrzeug bekommen, um den ganzen Weg bis hin zur Erleuchtung gehen zu können.“ 

Ich habe bereits vorher darauf hingewiesen, dass es die Entsagung auf der anfänglichen Ebene, auf der wir uns eine kostbare menschliche Wiedergeburt und die Begegnung mit unseren Lehrern in unserem nächsten Leben wünschen, wirklich schwierig ist, denn dies könnte mit unglaublich großer Anhaftung einhergehen, indem wir denken: „Ich will mit meinen Dharma-Freunden zusammen sein“ und all diese Dinge. 

Besagt die Buddha-Natur, dass alle Buddhaschaft erlangen werden? 

Nein. Die Buddha-Natur besagt, dass jeder ein Buddha werden kann. Aus diesem Grund haben wir die interessante Aussage: „bis Samsara endet“. Sambhogakaya wird Belehrungen geben, bis Samsara endet. Hier stellt sich dann immer die unweigerliche Frage: Was passiert, wenn alle Erleuchtung erlangt haben? Dann sitzen wir alle als Buddhas um einen Swimming Pool, aber was tun wir danach? Dazu gibt es auch eine zusätzlich Frage, die ich immer ziemlich lustig finde: „Wie entwickelt das letzte fühlende Wesen Mitgefühl, um ein Buddha zu werden, wenn es keine anderen fühlenden Wesen mehr gibt, die leiden, damit diese Person Mitgefühl für sie entwickeln kann? Und die Antwort lautet, dass sich die Buddhas dann als leidende fühlende Wesen manifestieren werden, damit auch diese letzte Person Bodhichitta entwickeln kann. 

Wie dem auch sei, nur weil jeder Erleuchtung erlangen kann, heißt das nicht, dass jeder auch erleuchtet werden wird. Man muss daran arbeiten. Es ist nicht so, dass sich das Universum auf die letztendliche Erleuchtung aller hinbewegt. Es gibt keinen Imperativ, dass alle Erleuchtung erlangen werden. Warum sollte es der Fall sein, dass alle erleuchtet werden? Wäre das der Fall, könnten wir uns einfach zurücklehnen und abwarten, dass es geschieht, denn irgendwann wird es geschehen, da ja alle Erleuchtung erlangen werden. Jeder kann also erleuchtet werden, aber man muss sich dafür bemühen. 

Wenn es in Bezug auf die Zeit keinen Anfang aber ein Ende gibt und wir um jeden Preis einen abrahamitischen Zusammenhang vermeiden wollen, wird dann im Buddhismus gesagt, dass wir alle am Anfang erleuchtet waren und dann gefallen sind? 

Ja, das ist eine gute Frage. Hier geht es darum, wie wir in Anbetracht anfangsloser Zeit und dem Vermeiden abrahamitischer Thesen alle begonnen haben. Anfangslos heißt nicht, dass es gar keinen Anfang gab und es ist nicht so, dass wir alle schon einmal erleuchtet waren und die Erkenntnis besaßen, dann jedoch bedeckt wurden. Gerade haben wir über die Leerheit von Ursache und Wirkung gesprochen. Es ist also nicht so, dass das Resultat des erleuchteten Geistes schon da ist, dann entweder an einem bestimmten Zeitpunkt verschleiert wurde oder schon immer verschleiert war und man diesen Schleier dann einfach loswerden muss, um zum ursprünglichen Zustand zurückzukehren, der in der Tiefe schon immer da war. Das ist ein häufiges Missverständnis der Nyingma-Darstellung; so verhält es sich also nicht. 

Aber was wird im Buddhismus gesagt? In welchem Zustand befanden wir uns? 

Was sagt der Buddhismus dazu? Anfangslos. 

Aber in welchem Zustand befanden wir uns? 

In welchem Zustand befanden wir uns? Gibt es einen Zustand, in dem wir uns immer befanden? Nein. Es gibt immer ein Nicht-mehr-Stattfinden von dem, was vorher war, und das kommt immer vor dem, was gegenwärtig stattfindet. Das ist so, weil Dinge nicht ohne Ursache entstehen können. Täten sie es, könnte ein Nichts zu einem Etwas werden, um einmal die Madhyamaka-Überlegung anzuführen. Aber wie wird dann ein Nichts zu einem Etwas? Wenn etwas wahrhaft nichts ist, wie könnte es von diesem Nichts zu etwas anderem werden? Und ist es nicht wahrhaft nichts, dann ist es etwas, und wenn es etwas ist, warum müsste es dann wieder zu einem Etwas werden? 

Ich habe eine ganz praktische Frage zum Widmen. Sie sprachen von einer recht kurzen Widmung am Ende einer jeden Sitzung, aber die Lamas sind bekannt dafür, viele Stunden lang zu widmen. Was ist der Unterschied zwischen diesen zwei Arten des Widmens? 

Was der Unterschied ist, zwischen der kurzen und einer recht ausführlichen Widmung? Ich denke hier geht es darum, welchem Stil der Lehrer folgt und was praktikabel ist. Ich weiß nicht, ob es unbedingt auf einen Unterschied in der Hingabe hindeutet. Ich folge der Tradition meines Lehrers Serkong Rinpoche, der scherzhaft immer darauf hinwies, dass der Herr des Todes nicht darauf warten wird, bis man die richtige Position eingenommen, sowie Räucherstäbchen und Kerzen angezündet hat und dann ganz langsam mit der Rezitation von „sangye chödang...“ (sangs rgyas chos dang...) beginnt. Wenn der Tod kommt, muss man augenblicklich dazu in der Lage sein. 

Ich erinnere mich, es war in Italien, er hatte einen kompletten Lam-rim-Kurs gelehrt und danach gab es noch Anweisungen zur Chenrezig-Praxis. Die Leute fragten, ob man noch eine Meditation am Ende zusammen machen könnte. Rinpoche antwortete: „Gut, geht den gesamten Lam-rim und die ganze Chenrezig-Praxis in zwei Minuten durch“, wobei er noch großzügig war. Als die Leute daraufhin ausflippten, sagte er: „Gut, dann eben drei Minuten“. Daraufhin erklärte er, dass man in der Lage sein sollte, den gesamten Lam-rim, alle Stufen, in der Zeit durchzugehen, die es braucht, nachdem man einen Fuß im Steigbügel des Sattels hat, den anderen Fuß über den Sattel zu schwingen. Das ist das typische tibetische Beispiel und damit machte er klar, dass der Herr des Todes nicht wartet. 

Ich denke, bei Shantideva gibt es etwas Ähnliches; man sollte nicht herumstehen und warten. Das Widmen, so scheint es mir, sollte augenblicklich geschehen. Man muss keine endlosen Texte rezitieren; es ist einfach ein Geisteszustand. Muss man es verbalisieren? Nein, warum sollte man es in Worten fassen müssen? Will man es in Worte fassen, ist es in Ordnung; ich denke nicht, es augenblicklich zu tun, wäre weniger hingebungsvoll, als etwas drei Stunden lang zu rezitieren. 

Wie ist es mit der Effektivität? 

Ich glaube, die Variable der Effektivität hat etwas mit der Ernsthaftigkeit zu tun, nicht mit der Länge der Zeit, die es braucht. Das Leben ist kurz und man sollte die Zeit, die einem zur Verfügung steht, effektiv und effizient nutzen. Und dieser Stil meines Lehrers passt recht gut zu mir und meinem Charakter. Ich tue nichts langsam – was im Grunde ein Mangel ist – ich mag es, wie sie im Deutschen sagen „schnell, schnell, schnell“. Für mich funktioniert es, aber wahrscheinlich nicht für jeden. 

Als Sie erklärten, wie man über Bodhichitta meditiert, und auf die vierte edle Wahrheit eingingen sowie über die Meditation der Formkörper und das Ansammeln sprachen, sagten Sie auch, man könne stattdessen über Mahamudra meditieren. Ich frage mich, wie man sich fühlende Wesen ohne einen Formkörper vorstellt. Ich glaube, ich bin ein wenig daran hängengeblieben, dass man diese Potenziale füttern muss. 

Gut, eine einfache Frage in dieser letzten Minute unserer Sitzung. Ich habe erwähnt, dass wir den erleuchteten Zustand, den wir anstreben, erreichen können, indem wir entweder einen Buddha oder den Guru als einen Buddha visualisieren, oder es als eine Mahamudra-Praxis machen, indem wir uns auf die Natur des Geistes richten. Allerdings gibt es Mahamudra im Gelug-Stil, im Kagyü-Stil, im Sakya-Stil und sie alle unterscheiden sich. Da wir uns hier jedoch in einem Gelugpa-Zentrum befinden und uns auf den Geist beziehen, werden wir beim Gelugpa bleiben. Betrachten wir die definierenden Charakteristika eines Geistes, so sprechen wir von bloßer Klarheit und Gewahrsein. 

Diese Begriffe sind jedoch irreführend, denn „Klarheit“ bezieht sich auf das Hervorbringen von Erscheinungen, oder anders ausgedrückt, auf das Erscheinen eines geistigen Hologramms, und das „Gewahrsein“ ist eine Art der Wahrnehmung. Das Erschaffen eines geistigen Hologramms und das Wahrnehmen sind keine zwei voneinander getrennten Dinge. Es ist nicht so, dass es zuerst das geistige Hologramm gibt und man es dann wahrnimmt. Ein geistiges Hologramm zu erschaffen, ist etwas auf die eine oder andere Weise zu erkennen; es muss sich nicht im Fokus befinden. Und „bloß“ heißt einfach, dass dies alles ist, was stattfindet, und es kein getrenntes „Ich“ gibt, welches es stattfinden lässt oder beobachtet, wie es stattfindet. Alles, was stattfindet, ist geistige Aktivität, also das Erschaffen eines Hologramms. Das ist der Aspekt des Erscheinens – den Körper oder die Erscheinung eines Buddhas bekommen wir von dieser Seite. Den Aspekt des Erkennens beziehen wir hingegen vom Geist eines Buddhas. Diese beiden kommen also zusammen. 

Oder man kann es etwas mehr a al Kagyü ausführen: hier ist der wissende oder erkennende Aspekt des Geistes der Geist eines Buddhas, und der kommunizierende Aspekt ist jener, der im Allgemeinen eine Erscheinung hervorbringt und dessen Energie nach außen geht. Im Dzogchen nennt man diesen Aspekt den Aspekt des „Mitgefühls“ des Geistes, mit dem man nach außen geht und mit anderen kommuniziert und ein Sambhogakaya wird. Und der eigentliche Inhalt der Erscheinung ist Nirmanakaya, mit einem Hologramm. Das Erschaffen eines Hologramms im Gegensatz zu dem, was den Inhalt des Hologramms ausmacht, bezieht sich auf Sambhogakaya und Nirmanakaya, was diesen Aspekt des Hervorbringens von Erscheinungen betrifft. 

Innerhalb der Mahamudra-Meditation gibt es viele verschiedene Aspekte, in denen wir all die Körper eines Buddhas von der Natur des Geistes ableiten können. Und insbesondere im Kagyü spricht man viel von der Untrennbarkeit von Erscheinung und tiefem Gewahrsein, sowie Erscheinung und Leerheit, und tiefes Gewahrsein und Leerheit, all diese Dinge. Es ist ein großes Themengebiet und man kann nicht einfach nur ganz kurz darüber reden. Aber um diese Dinge geht es hier. Die Mahamudra-Meditation ist auch sehr mit Bodhichitta verbunden. 

Kann man von Bodhichitta wieder herabfallen? Sie sagten es gibt ein erstes Mal. 

Natürlich kann man Bodhichitta wieder aufgeben und das wird als etwas äußerst Bedauerliches angesehen, denn wenn man der Erleuchtung den Rücken zukehrt, wem wendet man sich dann zu? Der dunklen Seite. Entschuldigung, aber das musst einfach raus. Man wendet sich vom Erlangen der Erleuchtung ab, aber auf was richtet man sich dann? Man wendet sich Samsara und dem Leiden zu. Es gibt also ein Erstes und natürlich ein Zweites, welches vielleicht noch schwieriger zu erlangen ist. 

Ich dachte, man kann von der Buddhaschaft nicht herabfallen? Vor kurzem habe ich das von einem Lehrer gehört, wie mir scheint. 

Nein, von der Buddhaschaft fällt man nicht herab, sie ist ewig. Ansonsten wäre es kein wahre Beendigung; das ist übrigens eine der Weisen, die vier edlen Wahrheiten misszuverstehen. Dies sind wahre Dinge: Aryas – jene, welche über nichtkonzeptuelle Wahrnehmung all dessen verfügen – erkennen, dass dies wahr ist, und andere erkennen es nicht als wahr und haben daher vier Missverständnisse in Bezug auf jede der vier edlen Wahrheiten. 

Eine der falschen Vorstellungen bezüglich einer wahren Beendigung besteht darin, dass sie vorübergehend ist: man kann die Probleme nur für eine kurze Zeit beseitigen und nicht für immer, sie werden sich wiederholen, was dann dazu führt, zu denken: „Pech gehabt, machen wir das Beste daraus“, was nicht die buddhistische Lösung für Samsara ist, jedoch in vielen Therapien zum Einsatz kommt: „Lerne damit zu leben“. Wir wollen nicht einfach lernen, damit zu leben – das wäre Dharma-light – aber bis wir uns daraus befreien, müssen wir lernen damit zu leben und daher ist es nichts vollkommen Sinnloses. 

Gut, noch eine letzte Sache? Dann lasst uns mit einer kurzen Widmung enden: Möge alles Verständnis und alle positive Kraft, die zwei Netzwerke, die daraus entstanden sind, sich immer weiter vertiefen und als Ursache dafür dienen, zum Wohle aller Wesen Erleuchtung zu erlangen. 

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