Nachdem wir den Lehrer sorgfältig geprüft haben, wird in den klassischen Texten des Stufenweges (lam-rim) von dem Nutzen oder den Vorteilen einer gesunden Beziehung zu einem spirituellen Lehrer und den Nachteilen der Abkehr von einer solchen Beziehung gesprochen. Erinnern wir uns an das Beispiel von Athisha, der nach Sumatra ging und dort den Lehrer Serlingpa über eine sehr lange Zeit hinweg prüfte, bevor er tatsächlich begann, bei ihm zu lernen. In einigen dieser Texte wird sogar gesagt, dass Lehrer und Schüler einander über zwölf Jahre lang prüfen sollten, bevor sie eine ernsthafte Beziehung eingehen. Dieses sorgfältige Prüfen ist in der Tat unerlässlich und wenn wir uns einmal dem Lehrer in geeigneter Weise verpflichtet und anvertraut haben, werden uns wir die vielen Vorteile zugute kommen.
Im Dharma gibt es eine grundlegende Methode, wenn wir den Wunsch entwickeln wollen, etwas zu erreichen. Dabei wird von den Nutzen gesprochen, die entstehen, wenn wir etwas haben und es wird vor den Gefahren gewarnt, die sich ergeben, wenn man sich einmal verpflichtet hat und dann kehrt macht und stattdessen Verachtung und Wut zeigt: „Oh, das war so dumm von mir.“ Die Gefahren aufzuzeigen heißt nicht jemandem Angst zu machen. Es geht darum zu verstehen, dass wir diese Art von Beziehung und die Haltung gegenüber dem Lehrer nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Es handelt sich um eine ernste Angelegenheit und wenn wir diese Beziehung voreilig eingehen und dann später sehen, dass es vollkommen dumm war, bringt uns das in einen schrecklichen Geisteszustand. Wir sollten also von vornherein vorsichtig sein.
Außerdem sollten wir diese Listen von Vor- und Nachteilen nicht so sehen, als wenn jemand versuchen würde, uns ein gebrauchtes Auto zu verkaufen und uns einreden wollte, welches nun das Beste sei. Es handelt sich hier nicht um Werbung, bei der man uns etwas aufdrehen möchte, weil es so vorteilhaft klingt. Das ist gewiss nicht die richtige Haltung. Alles im Dharma basiert auf Ursache und Wirkung. Was ist also die Wirkung, wenn wir eine solche Lehrer-Schüler Beziehung im Dharma eingehen? Wie wird man beeinflusst? Was kann passieren? Es ist notwendig, in diese Situation mit offenen Augen hineinzugehen. Es ist nichts Magisches daran.
Im Folgenden werden wir die Liste mit den Nutzen durchgehen und sicherstellen, dass wir ein korrektes Verständnis davon haben und erkennen, wie sie im tatsächlichen Leben Anwendung finden.
Der Nutzen einer gesunden Beziehung zu unseren spirituellen Lehrern
Wir werden der Buddhaschaft näherkommen
Der erste Nutzen besteht darin, der Buddhaschaft näherzukommen. Nun ja, das ist recht offensichtlich. Wenn der Lehrer uns erklärt, wie man ein Buddha wird und wir den Anweisungen des Lehrers folgen, dann werden wir natürlich dem Ziel näherkommen. Das bedeutet selbstverständlich, dass man bereit ist zu tun, was der Lehrer sagt und einschätzt, was momentan für uns realistisch ist. Ein geschickter Lehrer wird uns Anweisungen in Bezug darauf geben, was am besten zu uns passt und wofür wir bereit sind. Aber selbstverständlich hängt das alles von der persönlichen Beziehung zu dem Lehrer ab und das ist nicht so einfach.
Es ist wichtig, eine sehr vertrauliche, persönliche Beziehung aufzubauen, was auf vielerlei Weise möglich ist. Beispielsweise kann man für den Lehrer etwas transkribieren oder übersetzen. Da können wir dann immer ein bisschen mehr machen. Das hat mir Serkong Rinpoche beigebracht. Er sagte: „Egal wie müde man ist, man kann immer noch fünf Minuten länger machen.“ Ein guter Trainer in einem Fitnessstudio folgt der gleichen Strategie und ermutigt uns, noch ein Gewicht dazuzulegen, oder noch eine Runde zu üben. Wenn es uns natürlich zu viel wird, reden wir mit dem Lehrer und erklären, das wir das jetzt nicht tun können und bitten ihn um etwas anderes, um diese Stufe zu erreichen.
Wir werden positive Kraft aufbauen
Der nächste Nutzen ist, dass wir der Buddhaschaft durch das Aufbauen positiver Kraft näherkommen, indem wir unserem Lehrer Gaben darbringen und ihm oder ihr behilflich sind. Ein spiritueller Lehrer ist wie ein Buddha; und ein Buddha braucht die Opfergaben eigentlich nicht. Die Haltung des Lehrers sollte sein, wie die eines „Tigers, der Gras hat“, um den Text zu zitieren. Der Tiger denkt nicht daran, das Gras zu fressen. Betrachten wir die Belehrungen über die Buddha-Natur – die Faktoren, die uns in die Lage versetzen, ein Buddha zu werden – wird klar, dass einer davon das Netzwerk positiver Kraft ist, die sogenannte „Ansammlung von Verdienst“. Wenn wir dem Lehrer helfen, wie auch immer es für uns möglich ist, ohne ihm damit auf die Nerven zu fallen und ihn zu sehr zu bedrängen, bauen wir eine Menge positiver Energie auf.
Aber was heißt das eigentlich? Es geht nicht darum, in dem Sinne Verdienst anzusammeln und eine gewisse Anzahl von Punkten zu haben, um dann das Spiel zu gewinnen. Vielleicht kann ich das mit einem Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung verdeutlichen. Als junger Mann war ich sehr selbstsüchtig und selbstbezogen. Dann hatte ich die Gelegenheit, neun Jahre lang mit Serkong Rinpoche zusammen zu sein und natürlich wollte ich ihm helfen. Er war ein alter Mann, recht übergewichtig, und es kam ganz natürlich, dass ich ihm helfen wollte, aus dem Auto auszusteigen, ins Auto einzusteigen und ihm behilflich zu sein, wo es ging. Auf diese Weise dachte ich weniger an mich selbst und mehr daran, jemandem zu helfen. Ich war mehr um seinen Komfort besorgt als um meinen eigenen. Und was war das Resultat davon? Durch diesen Prozess habe ich gelernt, mich nicht nur um ihn zu kümmern, sondern auch um andere. Ich habe gelernt, allen zu helfen. Indem ich ihm behilflich war, baute ich diese positive Kraft und Angewohnheit auf und begann so, mich mehr um das Glück und Wohl anderer zu sorgen, als um mein eigenes.
So funktioniert das, zumindest aus meiner eigenen Erfahrung. Durch die Beziehung zum spirituellen Lehrer wird dieser Punkt untermauert, wie wichtig es ist, sich um andere zu kümmern und wir sehen, dass es tatsächlich möglich ist. Und natürlich können wir das auch mit unseren Kindern lernen. Als Eltern sind wir ganz natürlich mehr um das Wohl des Babys besorgt, als um unser eigenes. Aber es gibt einen großen Unterschied. Das Baby sehen wir als „meins“ an, es ist „mein Baby“; mit dem spirituellen Lehrer kann man jedoch nicht besitzergreifend sein. Das wird ganz und gar nicht funktionieren. Wenn das Baby mit uns kuschelt, ist das so niedlich, so süß. Mit dem Lehrer hingegen wird es so etwas nicht geben.
Wir werden die Buddhas erfreuen
Der nächste Nutzen ist, dass wir die Buddhas erfreuen werden. Was in aller Welt bedeutet das? Die Buddhas sind gleichmütig. Sie werden weder wütend, wenn wir nicht ordentlich praktizieren, noch uns loben, wenn wir es tun. Etwas zu tun, um dem Lehrer zu gefallen und dann von ihm auf dem Kopf gestreichelt zu werden und mit dem Schwanz zu wedeln ist einfach albern. Es ist wichtig zu analysieren: worum geht es den Buddhas? Sie wollen anderen helfen, Leiden zu überwinden, befreit zu werden und Erleuchtung zu erlangen. Wenn wir praktizieren, werden wir ihnen näherkommen, näher in dem Sinne, was sie sich für uns wünschen.
Vielleicht mag es für einige Leute funktionieren, zu versuchen, dem Lehrer zu gefallen, so wie sie versuchen, ihren Eltern zu gefallen. Wir wollen nicht ausgeschimpft werden. Wir sollten jedoch nicht versuchen, es von der Perspektive eines Kindes aus anzugehen. Als Eltern versuchen wir unserem Kind universale Werte zu vermitteln und ein anständiger und ehrlicher Mensch zu sein. Und wenn wir sehen, dass wir das geschafft haben, empfinden wir eine Art Zufriedenheit. Wir reden nicht davon, gegenüber all unseren Freunden mit unseren Kindern anzugeben. Aber es gibt uns das Gefühl, gute Eltern zu sein, wenn wir sehen, dass unsere Kinder anständige Menschen geworden sind. Darum geht es hier bei diesem Punkt, die Buddhas zu erfreuen.
Es heißt, es wird den Lehrer erfreuen, wenn wir tatsächlich seine oder ihre Anweisungen befolgen und die guten Eigenschaften, die er oder sie hat, selbst entwickeln. Dabei geht es nicht darum, die weniger bedeutenden Dinge nachzuahmen, wie beispielsweise was sie gern essen oder ähnliches.
Wir fühlen uns nicht von Dämonen oder schlechter Gesellschaft gestört
Der nächste Punkt auf der Liste besteht darin, dass wir uns nicht von Dämonen oder von schlechter Gesellschaft stören lassen. Dabei sollten wir nicht an kleine Kreaturen mit Hörnern und Reißzähnen usw. denken, wenn von Dämonen die Rede ist. Vielmehr geht es um dämonische Kräfte. Wenn wir das sogenannte „Guru-Yoga“ richtig üben, schützen wir uns vor negativen Einflüssen, indem wir uns vorstellen, dass unser Lehrer die ganze Zeit bei uns ist. Nur darum geht es, wenn man sich den Lehrer über dem Kopf oder im Herzen vorstellt. Die Werte des Lehrers sind gegenwärtig. Selbst wenn der Lehrer bereits verstorben ist, sind die Werte des Lehrers noch immer in unserem Herzen und beschützen uns vor negativen Einflüssen.
Wenn wir diese Beziehung mit unserem spirituellen Lehrer eingegangen sind, geht es darum, wirklich ernsthaft zu versuchen, sich zu bessern. Wir haben uns unserem Lehrer, in Bezug auf unsere Geisteshaltung, unsere Art des Austausches usw., ernsthaft verpflichtet. Wir wollen wirklich nicht scheinheilig sein. Selbst wenn sich alle anderen um uns herum sehr merkwürdig aufführen, werden wir davon nicht gestört sein. Das ist der Begriff, der in diesem Text benutzt wird; wir werden uns nicht durch all diese negativen Dinge um uns herum „gestört“ fühlen oder aus der Bahn werfen lassen, weil wir uns hinsichtlich der Richtung unseres Lebens klar sind. Unsere Verpflichtung schützt uns vor diesen negativen, sogenannten „dämonischen“ Einflüssen.
Tatsächlich handelt es sich bei den negativen Einflüssen um unseren schwachen Geist, um unsere mangelnde Entschlossenheit. Das ist es, was negativ ist. Deshalb müssen wir in Bezug auf das, was wir tun, wirklich sehr standhaft sein. Diese Art von Stabilität basiert darauf, vorher wirklich gut zu prüfen und zu analysieren, ob wir gewillt und bereit sind, uns diesem spirituellen Lehrer anzuvertrauen.
Wir werden automatisch allen störenden Emotionen und Missetaten ein Ende machen
In der Liste geht es damit weiter, dass wir automatisch allen störenden Emotionen und allen Missetaten – unserem schädlichen, negativen Verhalten – ein Ende machen. Wenn wir etwas Negatives oder Dummes tun oder sagen wollen, denken wir: „Wie kann ich mich nur so verhalten? Ich habe solchen Respekt vor meinem Lehrer und solchen Respekt vor dem Pfad, wie könnte ich da so etwas tun?“ Wenn wir mit unserem Lehrer zusammen sind, werden wir nicht in der Nase bohren, um ein dummes Beispiel zu verwenden. Aus Respekt vor dem Lehrer und der Situation wollen wir richtig handeln. Wie können wir da wütend oder gierig werden? Wenn wir mit unserem Lehrer zusammen essen, können wir doch nicht das ganze Essen und den Kuchen auf dem Tisch verschlingen, oder?
Ich erinnere mich zum Beispiel daran, als ich einmal bei dem alten Ling Rinpoche, dem alten Lehrer Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, zu Besuch war. Ling Rinpoche war Meister des Vajrabhairava (Yamantaka), dieser wirklich mächtigen Buddhafigur. Die meisten Leute hatten eigentlich ziemlich Angst vor ihm, weil er so eine starke, kraftvolle Präsenz hatte; tatsächlich war Ling Rinpoche jedoch ganz sanftmütig, wenn man ihn näher kennenlernte. Noch bevor ich gut Tibetisch konnte, ging ich ihn manchmal besuchen. Wenn ich dort bei ihm war, merkte ich, wie mein Geist nur durch die Kraft seines Manjushri – Manjushri befindet sich im Herzen von Vajrabhairava – viel klarer wurde, und so konnte ich das meiste von dem verstehen, was er sagte. Er strahlte so eine große Kraft aus.
Als ich ihn also dieses mal besuchte, saß er auf einem niedrigen Podest mit einem Teppich darauf und ich saß auf einem ähnlichen, seitlich von ihm. Und plötzlich erschien ein großer Skorpion vor uns auf dem Boden. Ling Rinpoche drehte sich zu mir und in einer ganz offensichtlich gekünstelten dramatischen Geste sagte er: „Oh je, ein Skorpion. Hast du keine Angst?“. Und ich erwiderte: „Wie könnte ich in der Gegenwart von Vajrabhairava Angst haben?“ Er fing an zu lachen und wollte gar nicht mehr aufhören.
Dann rief er seinen Betreuer, der hereinkam, ein Stück Papier unter den Skorpion schob, einen Becher darüber stülpte und ihn so mit nach draußen nahm, als wäre alles eine inszenierte Lektion. In Wahrheit aber war es einfach ausgeschlossen, in Gegenwart eines solch großen Meisters wegen eines Skorpions in Panik zu geraten, auszuflippen, auf das Podest zu springen und zu schreien. Für mich schien das ganz und gar unmöglich. Das ist ein sehr klares Beispiel. Wie es in den Texten heißt, hört man automatisch auf, sich lächerlich und kindisch zu benehmen.
Unsere Einsichten und Erkenntnisse auf den spirituellen Ebenen und Pfaden werden zunehmen
Hier geht es darum, dass unsere Einsichten und Erkenntnisse auf den spirituellen Ebenen und Pfaden zunehmen werden. Wenn wir die ganze Zeit mit unserem Lehrer zusammen sind und sehen, wie er oder sie mit schwierigen Situationen umgeht, werden ganz offensichtlich unser Verständnis und unsere Verwirklichung umso größer, je mehr wir versuchen, auch so zu sein. Wenn wir als Übersetzer des Lehrers tätig sind, das Auto für ihn fahren, oder was auch immer es ist, das wir tun können, werden wir sehen, wie er mit Alltagssituationen umgeht. Ich sah beispielsweise, wie Serkong Rinpoche Papst Johannes Paul begegnete, und auch, wie er mit einem Betrunkenen auf der Straße umging. Seine Reaktion in all diesen Situationen gab mir einen tiefen Einblick, wie man mit anderen umgehen sollte.
In zukünftigen Wiedergeburten werden wir nicht ohne spirituelle Führer sein
Dieser Nutzen bezieht sich darauf, in allen zukünftigen Wiedergeburten konstruktive, positive, spirituelle Führer zu haben. Diesen Nutzen schätzen zu können, hängt natürlich davon ab, ob man an die Wiedergeburt glaubt. Das ist für viele von uns keine so einfache Sache. Denken wir aber an das Beispiel, sich instinktiv zu einem spirituellen Lehrer hingezogen zu fühlen, oder einfach auch nur instinktiv nach einem spirituellen Lehrer zu suchen, ist klar, dass solche Instinkte in zukünftigen Leben weiterhin vorhanden sein oder noch stärker werden. Woher kommen diese Instinkte? Sie kommen aus früheren Leben. Wenn wir sie also in diesem Leben weiter ausbauen, werden sie sich mit Sicherheit einmal mehr auch in zukünftigen Leben manifestieren. Das hängt natürlich davon ab, eine kostbare menschliche Wiedergeburt zu erlangen und nicht als Kakerlake wiedergeboren zu werden.
Wir werden nicht in niedere Daseinsbereiche fallen
In den Texten wird gesagt, dass wir nicht in niedere Daseinsbereiche fallen werden. Nun, was ist die Ursache für die schlimmsten Wiedergeburtszustände? Es ist schädliches Verhalten. Und was ist die wichtigste Ursache für eine kostbare menschliche Wiedergeburt? Ethische Disziplin, ergänzt durch die anderen weitreichenden Geisteshaltungen, den „Paramitas“. In einer guten Beziehung zu einem spirituellen Lehrer, handeln wir ganz natürlich auf ethische Weise und üben uns auch in den anderen weitreichenden Geisteshaltungen:
- Großzügigkeit – Wir helfen unserem Lehrer und sind großzügig, wo immer es geht.
- Ethische Selbstdisziplin – Wenn wir mit unserem Lehrer zusammen sind, würden wir niemals negativ handeln, weil wir so einen großen Respekt vor ihm oder ihr haben.
- Geduld und Ausdauer – Als enger Schüler ist es wirklich schwer, einem spirituellen Lehrer zu folgen und von ihm zu lernen. Deshalb ist es notwendig, viel Bemühung und Geduld aufzubringen. Das bedeutet, nicht wütend auf unseren Lehrer zu werden, oder darauf, wie schwierig der spirituelle Weg sein mag. Das ist eine der Sachen, die wir wirklich prüfen müssen, bevor wir diese Beziehung mit dem Lehrer eingehen. Es ist quasi einer der wichtigsten Aspekte des Vertrags. Ganz gleich, was der Lehrer tut: wir sind dazu verpflichtet, es als eine Unterweisung zu betrachten. Wir werden nicht wütend werden.
Serkong Rinpoche hat mir die ganze Zeit gnadenlos gesagt, ich sei ein Idiot, sogar vor zehntausenden von Menschen. Und ich bin wirklich nicht einmal wütend auf ihn geworden. Er hatte ja recht. Ich war ein Idiot; und ich hatte den tiefen Wunsch, keiner mehr zu sein. Meine Reaktion war für gewöhnlich ein nervöses Lachen, was die Tibeter alle wunderbar fanden. Ich habe ihn nicht ausgelacht, sondern das war irgendwie meine automatische Reaktion. Wenn wir auf unseren Lehrer wütend werden, können wir es eigentlich gleich vergessen, denn dann wird die Beziehung überhaupt nicht funktionieren. Nie auf unseren Lehrer wütend zu werden heißt, wirklich davon überzeugt zu sein, dass er oder sie einzig an unserem Wohl interessiert ist. Wenn wir dieses Vertrauen haben, können wir viel leichter Geduld und Ausdauer entwickeln.
- Konzentration – Wenn wir mit unserem Lehrer zusammen sind, können wir unseren Geist nicht abschweifen lassen und dann fragen: „Was hast du gesagt? Ich habe gerade nicht aufgepasst.“ Das geht so nicht. Serkong Rinpoche hat mich als seinen Übersetzer ausgebildet. Zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn ich in seiner Gegenwart war, konnte er innehalten und sagen: „Wiederhole, was ich gerade gesagt habe“, oder: „Wiederhole, was du gerade gesagt hast.“ Das war ein wunderbares Training. Und ich bin niemals wütend geworden und habe geschrien: „Jetzt nicht!“. Als angehender Übersetzer braucht man diese Fähigkeit der Aufmerksamkeit und Vergegenwärtigung.
- Unterscheidendes Gewahrsein – Serkong Rinpoche war großartig darin. Es gibt da ein wunderbares Beispiel, an das ich immer denken muss. Rinpoche lehrte gerade in Nalanda, diesem westlichen Kloster in Frankreich. Er wurde gebeten, das neunte Kapitel, das Kapitel des unterscheidenden Gewahrseins, von Shantidevas Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ (Bodhisattvacharyavatara) zu lehren. Es gab jedoch nur zwei oder drei Sitzungen, die dafür vorgesehen waren, und Rinpoche war der Meinung, es wäre völlig absurd und anmaßend zu glauben, man könnte dieses gesamte, sehr fortgeschrittene und schwierige Kapitel in nur zwei bis drei Sitzungen abhandeln. Er begann damit, etwas vollkommen Falsches zu erklären und all die westlichen Mönche schrieben es pflichtbewusst mit. Nach der Teepause kam er dann zurück und sagte: „Ihr seid alle Idioten. Ich habe gerade etwas vollkommen Falsches gelehrt. Denkt ihr nicht nach? Überprüft ihr nicht, wenn jemand etwas sagt? Stimmt es mit dem Text überein? Passt es zu dem, was ihr bisher studiert habt? Übt euch in unterscheidendem Gewahrsein.“
In den verbliebenen Sitzungen erklärte er eine Zeile des gesamten Kapitels auf sehr ausführliche Weise, um ihnen zu zeigen, dass es notwendig war, ernsthaft zu sein, wenn sie dieses Thema studieren wollten. Sie sollten nie denken, es würde leicht sein.
Wir werden mühelos alle kurz- und langfristigen Ziele erreichen
Dann heißt es weiter im Text, dass wir mühelos alle kurz- und langfristigen Ziele erreichen werden. Das bedeutet nicht, einfach passiv zu sein, sich zurückzulehnen und dann wird einem alles in den Schoß fallen. Karmische Ursache und Wirkung gibt es tatsächlich. Buddha hat da nicht gelogen. Indem wir unserem Lehrer dienen und behilflich sind, bauen wir eine Menge positiver Kraft auf. Als Resultat davon werden die Dinge einfacher für uns laufen und wir werden in der Lage sein, mehr zu erreichen.
Ich betrachte es in Bezug auf mein eigenes Leben und was ich mit meiner Webseite erreicht habe. Es ist unglaublich. Letztes Jahr hatten wir mehr als eine Millionen Besucher. Und ich denke, einen großen Teil dieses Erfolgs verdanke ich der engen Beziehung, die ich zu meinen spirituellen Lehrern hatte und noch immer habe, und der großen Bemühung und Arbeit, die ich investiert habe, ihnen zu helfen, für viele andere dazusein. Meine Motivation, Übersetzer und Dolmetscher zu werden, bestand darin, dass ich die Unterweisungen Seiner Heiligkeit und der Lehrer Seiner Heiligkeit so unglaublich fand. Aber in jenen Tagen, als ich das erste Mal in Indien war, waren sie entweder überhaupt nicht oder nur sehr schlecht übersetzt. Da hatte ich dann das Gefühl, ich müsste etwas unternehmen. Wenn wir diese Entscheidung treffen zu helfen, bekommen wir rüstungsgleiche Ausdauer: „Ich werde es machen, egal wie schwierig es sein mag! Ich werde lernen zu übersetzen, damit die Menschen Zugang zu diesen Lehren bekommen. Sie sind einfach zu einzigartig, und es wäre wirklich schade, wenn sie für andere nicht zugänglich wären.“
Und was meine eigene Erfahrung mit dieser Webseite betrifft, ist alles, wie ich immer sage „vom Himmel gefallen.“ Jemand kam vorbei und bot mir an, die ursprüngliche Version der Seite für mich einzurichten. Als dann die erste Version hochgeladen wurde, kontaktierten mich Menschen aus der ganzen Welt und boten mir an, mitzuhelfen. Ich habe nicht nach ihnen gesucht. Einige große Geldgeber boten sich an, sie zu finanzieren, um die vielen Menschen zu bezahlen, die daran arbeiteten. Ich habe nicht darum gebeten; sie sind auf mich zugekommen.
In diesem Sinne war es also mühelos. Das Karma ist da und wenn wir die karmischen Ursachen aufbauen, folgen die Ergebnisse – es funktioniert. Obwohl die meisten karmischen Resultate in zukünftigen Leben reifen werden, gibt es einige Arten karmischen Verhaltens, welches in diesem Leben zu Ergebnissen führt, wie beispielsweise jenen zu helfen, die uns am meisten geholfen haben. Dies trifft besonders auf spirituelle Lehrer und unsere Eltern zu. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es zutrifft und nicht nur ein schönes Märchen ist.
Die Nachteile, sich von den eigenen spirituellen Lehrern abzuwenden
Wie bereits erwähnt, gibt es auch Gefahren, die folgen werden, wenn wir von unserer Verpflichtung, die wir gegenüber unserem spirituellen Lehrer eingegangen sind, Abstand nehmen. Sie treten zutage, wenn wir im Zorn gehen, dem Lehrer gegenüber Verachtung zeigen, ihn verfluchen, großen Hass auf ihn hegen und es bedauern, uns auf diesen Lehrer oder auf den Buddhismus im Allgemeinen eingelassen zu haben. Um diese Art von Situationen geht es, wenn in der Liste über die damit verbundenen Gefahren gesprochen wird. Es geht nicht darum, einen Fehler zu machen, während wir den Anweisungen unseres Lehrers folgen, oder zu faul zu sein, das zu tun, worum uns unser Lehrer bittet. Wir sollten die Übersetzung nicht missverstehen, wo es heißt: „ein Verstoß gegen die Hingabe zum Guru“, und denken, dass es sich darauf bezieht.
Die Fähigkeit verlieren, jemandem zu vertrauen
Wir werden nicht die gesamte Liste durchgehen, aber wir können ein grundsätzliches Verständnis entwickeln. Wenn wir uns jemandem öffnen und ihm vertrauen, sind wir in gewisser Weise sehr verletzlich. Wenn beispielsweise ein Kind den Eltern oder einem Lehrer vorbehaltlos vertraut, dann aber sexuell oder durch Prügel von ihnen missbraucht wird, kann es, in den meisten Fällen, für den Rest seines Lebens emotionale Schäden davontragen. Obwohl die Möglichkeit besteht, ist es sehr schwer, so etwas zu überwinden. Man kann niemandem mehr vertrauen; man hat diese Fähigkeit, jemandem zu vertrauen, verloren. Man ist immer vorsichtig, sich bloß nicht zu öffnen, sich nicht auf jemanden einzulassen, um nur ja nie wieder verletzt zu werden. Und das ist ein großes Hindernis.
Da gibt es das extreme Beispiel eines Lehrers, der seine Schüler missbraucht – diese Dinge passieren leider. Es gibt einige Beispiele von Menschen, die vorgeben großartige Lehrer zu sein, aber in Wirklichkeit ihre Schüler nur missbrauchen oder ausnutzen. So etwas hinterlässt sehr großen Schäden. In den Texten werden diese Situationen jedoch nicht erwähnt, wenn von den Nachteilen die Rede ist, oder davon, unserem spirituellen Lehrer den Rücken zuzukehren. Die Gefahren beziehen sich nicht auf sexuellen Missbrauch, Machtmissbrauch oder Ähnliches, seitens des Lehrers. In solchen Fällen gilt der Rat, die positiven Dinge wertzuschätzen, die man von solchen Lehrern bekommen haben mag, und dann einfach zu gehen. Es ist jedoch wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass wir, wenn wir einen solchen Lehrer mit einem sehr gestörten, wütenden und negativen Geisteszustand verlassen, uns damit auch schädigen, da wir uns dann in der Zukunft nicht mehr so leicht öffnen können.
In dieser Liste der Nachteile, sich von unserem Lehrer abzuwenden, geht es darum, einen qualifizierten, authentischen Lehrer zu verlassen. Was passiert, wenn wir solch einen Lehrer mit einem negativen Geisteszustand verlassen und wirklich wütend sind, und denken, wie furchtbar dieser Lehrer ist und das alles was wir gemacht haben, dumm war? Wie wirkt sich das auf unseren Geist aus und was ist das Ergebnis davon? Das Ergebnis davon ist, dass wir gegenüber dem buddhistischen Pfad und gewöhnlicherweise gegenüber allen anderen spirituellen Wegen nicht mehr offen sind. Wir werden keiner spirituellen Führung mehr vertrauen können. Und selbst wenn wir uns auf eine spirituelle Praxis einlassen, werden wir äußerst argwöhnisch sein. Wir werden immer erwarten, dass etwas Schlimmes passieren wird. Und wie erklärt wurde, werden wir alle guten Eigenschaften, die wir vielleicht entwickelt haben, sehr schnell verlieren, weil wir gegenüber allem, was wir gemacht haben, so eine negative Einstellung haben. Es ist, als ob alles weggeworfen wird.
Eine schlechtere Wiedergeburt haben
Der nächste Punkt in der Liste der Nachteile ist, dass wir eine schlechtere, höllische Wiedergeburt haben werden. Es ist wichtig, dies richtig zu verstehen. Zuerst einmal wird damit gewiss nicht gesagt, dass wir, wie in einem Kult, gehorchen und alles tun müssen, was unser Lehrer sagt, weil wir andernfalls in der Hölle landen. Dann hätten wir Angst, irgendetwas falsch zu machen, weil wir sonst zur Hölle gehen. Das ist hier mit Sicherheit nicht gemeint.
Was bedeutet die Hölle im buddhistischen Kontext? Es gibt viele Höllen im Buddhismus, aber was wird damit ausgedrückt? Serkong Rinpoches Ratschlag folgend, sollten wir uns, die Bedeutung, den Beigeschmack des Begriffes auf Sanskrit und auf Tibetisch anschauen, um ihn zu verstehen.
- Das Sanskrit-Wort naraka bedeutet „freudlos“. Es gibt dort keine Freude, nur Unglück, Kummer und Schmerz. Wenn wir gegenüber unserem Lehrer und gegenüber allem, was wir getan haben, um zu versuchen uns zu bessern, sehr negativ eingestellt sind, befinden wir uns natürlich in einem sehr unglücklichen Geisteszustand. Wenn wir unseren Lehrer mit so einer negativen Geisteshaltung verlassen haben, so wütend und erfüllt von Hass, Bedauern und Missgunst, ist das kein glücklicher, sondern ein vollkommen freudloser Geisteszustand, nicht wahr? Wir freuen uns nicht im Geringsten über all die positiven Dinge, die wir getan und gelernt haben, sondern denken vielmehr, dass es dumm und eine Zeitverschwendung war.
- Die Bedeutung des tibetischen Begriffs nyelwa (dmyal-ba) ist die, dass es sehr schwierig ist, aus diesem Zustand herauszukommen; in gewissem Sinne sind wir „gefangen“. Wir fühlen uns gefangen in diesem freudlosen, negativen Geisteszustand.
Das ist ganz klar die Beschreibung eines höllischen Geisteszustands, ganz ohne Freude, sehr negativ, in dem wir gefangen sind und aus dem wir nicht hinaus gelangen. Wenn wir darüber nachdenken, egal ob wir an zukünftige Leben und an eine tatsächliche Hölle glauben, wo auch immer sie sein mag, können wir nachvollziehen, wie furchtbar so ein Geisteszustand wäre. Wir können logisch verstehen, wie er aus dieser sehr negativen Einstellung entsteht, wenn wir uns auf jemanden stützen und ihm vertrauen, uns zu helfen, Fortschritt zu machen.
Dabei sollten wir uns nicht darauf versteifen und uns sorgen, wie man die Vajra-Hölle mit der Avichi-Hölle vergleichen kann, wie tief unter Bodhgaya sie sich befindet, oder wie heiß sie im Vergleich zu dieser oder jener ist. Das geht an der Sache vorbei. Wie Seine Heiligkeit oft sagte, kam Buddha nicht, um uns Geographie beizubringen; er kam, um uns zu lehren, wie wir Leid vermeiden und überwinden können.
Wenn wir also eine sehr negative Einstellung demgegenüber haben, uns selbst zu bessern, wie werden wir es dann jemals schaffen? Das ist ganz offensichtlich die große Gefahr. Wenn wir unseren Lehrer und uns selbst nicht sehr gut geprüft haben, bevor wir uns auf eine Lehrer-Schüler Beziehung und auf eine ernsthafte Dharmapraxis einlassen, sollten wir das jetzt tun, denn wir wollen uns nicht dieser Gefahr aussetzen, uns dem ganzen mit einem wirklich negativen Geisteszustand wieder abzuwenden und dann in der Zukunft nicht mehr in der Lage zu sein, Nutzen aus den buddhistischen Lehren zu ziehen. Stellen wir uns nur einmal vor, so desillusioniert von allem Positivem und von den Leuten zu sein, die versuchen positiv zu sein, dass man niemanden mehr hat, zu dem man aufschauen kann. Da gibt es keine Hoffnung. Das beschreibt wirklich eine höllische Situation, nicht wahr? Wir fühlen uns gefangen. Alles ist so furchtbar und elendig, und es gibt keine Hoffnung.
Wir sollten uns aber im Klaren darüber sein, dass wir hier nicht von einer ewigen Verdammnis sprechen. Selbst eine höllische Wiedergeburt ist vergänglich; sie wird irgendwann zu Ende sein. Trotzdem gibt es aber viele Gefahren, sich auf diese Art verpflichtende Beziehung und spirituelle Praxis einzulassen und sie dann zu brechen, denn das ist eine ernsthafte Angelegenheit. Und noch einmal: es kann gar nicht genug betont werden, dass es nicht darum geht, die Regeln zu befolgen und bestraft zu werden, wenn wir es nicht tun. Darum geht es mit Sicherheit nicht.
Eine gesunde Angst vor den Nachteilen
Oft hören wir, dass über das Wort „Angst“, hauptsächlich in Bezug auf Zuflucht, gesprochen wird. „Zuflucht“ bedeutet eine positive Richtung in unserem Leben einzuschlagen. Das bedeutet nicht, einfach zu beten: „Oh Buddha, rette mich, beschütze mich.“ Indem wir Zuflucht nehmen, richten wir uns auf die tiefste Bedeutung des Dharmas aus und erlangen so eine wahre Beendigung des Leidens und der Ursachen des Leidens, die wahren Pfade – die wahren Geisteszustände, die zu dieser Beendigung führen und daraus resultieren. Die Buddhas haben dies auf vollkommene Weise und der ehrwürdige Arya Sangha teilweise vollbracht. Das ist also die Richtung, die wir unserem Leben geben wollen; in diese Richtung wollen wir arbeiten und offensichtlich hilft der spirituelle Lehrer uns auf diesem Weg.
Aber was sind die Ursachen, die uns diese Richtung in unserem Leben einschlagen lassen? Hier heißt es in den Texten, dass es die Angst vor schlechten Wiedergeburten in der Zukunft ist und indem wir in diese sichere Richtung der Zuflucht gehen, haben wir die Gewissheit, dass wir dies vermeiden können.
Es gibt zwei Arten von Angst. Zum einen gibt es eine sehr zerstörerische oder verheerende Angst, bei der wir uns vollkommen hilflos und hoffnungslos fühlen. Das ist ein sehr verstörter Geisteszustand, in dem wir das Gefühl haben, nichts dagegen tun zu können und einfach vor Angst wie gelähmt sind. Die Angst, die uns motiviert, unserem Leben eine sicheren Ausrichtung zu geben, ist ganz anders, denn wir erkennen, dass es einen Weg gibt, diese schlechteren Wiedergeburten zu vermeiden und so haben wir große Hoffnung. In diesem Falle ist es ein gesundes Gefühl von Angst. Zum Beispiel wollen wir eine vielbefahrene Straße überqueren und haben Angst, von einem Auto angefahren zu werden. Wir wissen aber, dass wir sicher auf die andere Seite kommen, wenn wir in beide Richtungen schauen und sehr vorsichtig sind. Falls es keine Hoffnung gibt, die Straße sicher zu überqueren, haben wir einfach nur Angst angefahren zu werden und werden es nicht einmal versuchen sie zu überqueren. Wenn wir aber wissen, dass es eine Möglichkeit gibt, so einen Unfall zu vermeiden, lassen wir durch dieses gesunde Gefühl von Angst Vorsicht walten. Manchmal benutze ich das Wort „Zurückschrecken“ statt „Angst“. Es geht um etwas, was wir wirklich vermeiden wollen, aber es handelt sich nicht um eine lähmende Art der Angst.
Das Gleiche gilt in Bezug auf den Geisteszustand, den wir entwickeln, wenn wir über die Nachteile lesen oder hören, die Beziehung zu unserem spirituellen Lehrer in einem Zustand von Verachtung und Wut aufzugeben. Wir schrecken vor den Folgen zurück, sind aber nicht wie gelähmt vor lauter Angst. So wie wir vermeiden wollen, angefahren zu werden, wollen wir den furchtbaren Geisteszustand vermeiden, in dem wir uns befinden würden, wenn wir eine so negative Einstellung gegenüber den Lehrern, gegenüber dem Buddhismus oder der spirituellen Praxis im Allgemeinen haben. Wir würden alles verlieren, aber wir wissen, dass wir diese Gefahr vermeiden können.
Wie vermeiden wir diese Gefahr? Nicht, indem wir uns wie ein vollkommen gehorsamer Soldat in der Armee verhalten, salutieren, „jawohl“ sagen und alles tun, was unser Lehrer sagt. Wir können die Gefahr des Abwendens von unserem Lehrer vermeiden, indem wir den Lehrer und uns selbst, unsere Bereitschaft, unsere Fähigkeiten und so weiter, wirklich ernsthaft im Vorfeld prüfen. Wir sollten sehr vorsichtig sein, wenn wir uns in eine verpflichtende Beziehung mit einem spirituellen Lehrer begeben.
Desillosioniert werden
Was ist die Hauptfunktion von spirituellen Lehrern? Sie können uns Informationen geben; doch korrekte Informationen bekommen wir auch aus dem Internet oder aus Büchern. Sie können unsere Fragen beantworten und unsere Fehler korrigieren, aber dafür ist es nicht notwendig, so spirituell fortgeschritten zu sein. Die wichtigste Aktivität eines spirituellen Mentors besteht, neben dem Erteilen von Gelübden und dergleichen, darin, uns zu inspirieren. Wir schauen zu solchen Menschen auf und sehen sie als ein Beispiel dessen, was wir gern erreichen wollen. Sie sind unser Vorbild und wir lassen uns durch ihr Beispiel inspirieren.
Wenn wir von ihnen als Vorbild vollkommen desillusioniert werden und uns von ihnen mit Verachtung und Missgunst abwenden, wird dieses ganze inspirierende Ideal, das wir im Sinn gehabt hatten, vollkommen zerstört. Stattdessen bleibt uns nur eine negative, pessimistische Einstellung und wir fühlen uns so dumm, dass wir es versucht haben.
Einmal mehr besteht der Weg, dies zu vermeiden, darin, alles schon frühzeitig wirklich sehr genau zu prüfen und dann den verschiedenen Richtlinien zu folgen, die in den Texten beschrieben werden. Falls unser Lehrer etwas Seltsames tut oder uns bittet, etwas Merkwürdiges zu tun, können wir ihn höflich fragen: „Warum sagst du so etwas? Bitte erkläre mir das.“
Wieder denke ich an das inspirierende Beispiel von Serkong Rinpoche. Lama Zopa sagte einmal: „Wenn du das Beispiel eines echten spirituellen Mentors finden willst: es ist Serkong Rinpoche. Er ist genau das.”
Einmal gab es ein rechtliches Problem im Zusammenhang mit einem Stück Land in Nepal, welches Rinpoche besaß oder das jemand ihm gegeben hatte. Ich erinnere mich nicht an alle Einzelheiten; aber wenn ich mich nicht täusche, war es für ein Nonnenkloster oder etwas Ähnliches bestimmt. Allerlei merkwürdige Geschichten und Gerede machten die Runde. Serkong Rinpoche war so unglaublich nett und nahm mich eines Tages beiseite und erklärte mir in seinem Zimmer die gesamte Situation, damit ich keine Zweifel oder komische Gedanken wegen all dieser komplizierten Dinge entwickeln würde, Das ist also das Wahre – ein echter Lehrer, der sehr darum besorgt war, dass ich nie enttäuscht sein würde.