Entsagung: Methode der Analyse

Die Bedeutung der Entsagung: Die Entschlossenheit, frei zu sein 

An diesem Wochenende werden wir über eine zentrales Thema in den buddhistischen Lehren sprechen – die Entschlossenheit, frei zu sein, was für gewöhnlich mit „Entsagung“ übersetzt wird. Dieser Begriff Entsagung ist nicht wirklich leicht zu verstehen. Das liegt, meiner Meinung nach, hauptsächlich daran, dass das Wort nicht die Bedeutung der ursprünglichen Begriffe im Sanskrit oder im Tibetischen vermittelt. 

In den ursprünglichen Sprachen hat der Begriff die Bedeutung, sich sicher und klar über etwas zu werden; eine weitere Bedeutung ist auch noch, sich sicher zu sein, etwas loslassen zu wollen. Betrachten wir es noch eingehender, bezieht sich die Bedeutung auf meine Übersetzung: eine Entschlossenheit, frei zu sein, frei von den verschiedenen Quellen des Leidens und der Probleme, der diversen Beschränkungen.

Was wir entsagen, was wir hinter uns lassen und wovon wir Befreiung erlangen wollen, sind unsere verschiedenen Probleme und Beschränkungen, sowie deren Quellen oder Ursachen. Das zentrale Thema der buddhistischen Lehren ist schließlich, sich von Leiden zu befreien. Alles, was Buddha lehrte, war dafür da, den Menschen zu helfen, die verschiedenen Probleme, mit denen sie im Leben konfrontiert waren, zu überwinden – nicht nur in diesem Leben, sondern von einem Leben zum nächsten.

Die vier edlen Wahrheiten 

Das können wir ganz deutlich in der ersten Lehre des Buddhas, die vier edlen Wahrheiten, erkennen. Dabei handelt es sich um die verschiedenen Faktoren, die jene Hochverwirklichten, die Aryas, welche die Realität nichtkonzeptuell gesehen haben, als wahr erkannten. 

  • Viele Menschen haben die zahlreichen unterschiedlichen Probleme im Leben erkannt, aber Buddha hat klar gemacht, was das wahre Problem, das tiefste Problem, ist.
  • Andere waren in der Lage, die verschiedenartigen Ursachen der diversen Probleme aufzudecken, die wir haben, aber Buddha sah die wahren Ursachen, die tiefsten Ursachen dieser Probleme.
  • Andere hatten gesehen, dass wir uns in gewissem Maße eine Pause von unseren Probleme verschaffen und sie etwas abmindern können, doch Buddha erkannte, dass dies nur eine vorübergehende Erleichterung war und diese Probleme wieder zurückkamen. Er fand heraus, was die wahre Beendigung unserer Probleme sein würde.
  • Andere hatten erkannt, welche Arten des Verstehens uns auf einen Pfad zum Erlangen der Befreiung, einer wahren Beendigung unserer Probleme, führen würde, und sie lehrten auch, dass es sich dabei um ein Verständnis der Wirklichkeit handelt. Doch Buddha sah, dass ihre Lehren nicht tief genug gingen und wirksam genug waren, und so lehrte er, was der wahre Pfad, das wahre Verständnis in Bezug auf die wahre Beschreibung der Wirklichkeit war. Wenn wir das verstehen, wird es zu einer wahren Beendigung auf den tiefsten Ebenen, der wahren Ursachen unserer eigentlichen Probleme, führen.

Versuchen wir diese vier edlen Wahrheiten zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten, so ist es äußerst wichtig, die Missverständnisse hinsichtlich unserer Probleme, ihrer Ursachen und dessen Beendigungen zu verstehen, sowie die Einsichten, die zu den Beendigungen führen, und auch warum sie fehlerhaft oder ungenügend sind, und dann zu erkennen, welches die eigentlichen wahren vier Tatsachen sind – diese vier edlen Wahrheiten. Das ist die Weise, wie wir mit ihnen arbeiten.

Um unsere Probleme und Beschränkungen hinsichtlich dessen zu überwinden, was diese wahren Probleme sind, ist es notwendig, die Entschlossenheit zu entwickeln, frei von ihnen zu sein. Das heißt nicht einfach nur zu denken: „ich würde gern frei davon sein“, sondern auch, die Entschlossenheit zu haben, frei von deren Ursachen, deren wahren Ursachen, zu sein, denn wir haben herausgefunden, was diese wahren Ursachen sind.

Lam-rim, der Stufenpfad 

Die verschiedenen Probleme und Beschränkungen, mit denen wir konfrontiert sind, werden in der Struktur des so genannten Lam-rim, des Stufenpfades, zur Sprache gebracht. Mit ihm arbeiten wir daran, die verschiedenen Ebenen der Probleme nacheinander zu überwinden. 

In Bezug darauf, was Buddha als wahre Probleme identifizierte, gibt es drei Ebenen:

  • Unglücklichsein – was für gewöhnlich als Leid des Leidens bezeichnet wird, sich hier aber auf das Unglücklichsein im Allgemeinen bezieht. Das Unglücklichsein, welches wir am dramatischsten erfahren, sind die schlechteren Wiedergeburtszustände.
  • Haben wir uns damit befasst, können wir uns der nächsten Ebene von Problemen zuwenden: unser gewöhnliches Glück, das nie anhält, nie zufriedenstellend ist usw.
  • Dieser Art des problematischen gewöhnlichen Glücklichseins, sowie auch des Unglücklichseins, liegt die dritte Art des Leidens zugrunde: unsere unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburt. Das ist die Grundlage dafür, dieses unkontrollierbare Auf und Ab unserer Erfahrungen des Lebens im Sinne von glücklich und unglücklich durchzugehen.

Obwohl Buddha dieses nächste Problem in Bezug auf das wahre Leiden, die erste edle Wahrheit, nicht erwähnte, gibt es dann auf einer tieferen Ebene unsere problematischen Beschränkungen hinsichtlich der Fähigkeit, anderen zu helfen. Das muss ebenfalls überwunden werden.

Die drei Ebenen der stufenweisen Motivation 

Die drei Ebenen der stufenweisen Motivation des Lam-rim gehen auf diese verschiedenen Probleme und Beschränkungen ein.

  • Mit einer anfänglichen Ebene der Motivation arbeiten wir daran, Unglücklichsein zu überwinden, insbesondere das Unglücklichsein im Sinne schlechterer Wiedergeburtszustände.
  • Mit der mittleren Ebene arbeiten wir daran, die Probleme des gewöhnlichen Glücks, des unbefriedigenden Glücks, der besseren Wiedergeburtszustände und der unkontrollierbar sich wiederholenden Wiedergeburt zu überwinden.
  • Mit der fortgeschrittenen Ebene der Motivation arbeiten wir daran, die Beschränkungen zu überwinden, die uns davon abhalten, allwissend zu sein, und all die Möglichkeiten zu kennen, anderen zu helfen.

Bei all diesen Ebenen der stufenweisen Motivation können wir von einer Entschlossenheit sprechen, frei von dieser Ebene des Problems oder der Beschränkung zu sein. Obgleich die Lehren, in denen es spezifisch um die Entsagung geht, um die Entschlossenheit, frei zu sein, in den Lam-rim-Texten auf der mittleren Ebene der Motivation zu finden sind, können wir dieses Prinzip, das wir entwickeln wollen – diese Entschlossenheit, frei zu sein – auf allen drei Lam-rim-Ebenen anwenden.

Tsongkhapa, die Quelle der Gelug-Tradition, deutet darauf schon in seinem überaus wichtigen Text der Gelug-Tradition „Drei Hauptaspekte des Pfades“ hin. Dort spricht er über die zwei Ebenen der Entsagung, die zwei Ebenen dieser Entschlossenheit, frei zu sein. Zuerst spricht er über die Entsagung, mit der wir nicht nach den angenehmen Dingen dieses Lebens streben, da sie uns davon abhalten, die Chance unserer kostbaren menschlichen Wiedergeburt zu nutzen, sowie darüber, stattdessen ein reges Interesse zu entwickeln, zukünftige Leben zu verbessern und dies zu unserem Hauptanliegen zu machen. Das ist die erste Ebene der Entsagung, die erkennen lässt, was wir auf der anfänglichen Ebene entwickeln. Uns geht es also um unsere zukünftigen Leben, unsere zukünftigen Wiedergeburten und natürlich darum, schlechtere Wiedergeburten zu vermeiden. Dafür ist es notwendig, dass wir uns nicht nur auf dieses Leben konzentrieren und versuchen, nur diesem Leben zu nützen, sondern unseren Hauptfokus auf eine Entschlossenheit richten, frei von dieser Besessenheit zu sein, uns einzig um dieses Leben zu sorgen, und stattdessen an zukünftige Leben zu denken. 

Wir versuchen, unseren Geist, unser Verständnis und unsere Sichtweise auf die Dinge zu erweitern, von unmittelbaren Belohnungen und Konsequenzen für das, was wir in diesem Leben tun, hin zu langfristigen Konsequenzen in Bezug auf zukünftige Leben. Das bezieht sich auf die Potenziale, Gewohnheiten und Tendenzen, die wir in unserem Geisteskontinuum aufbauen und die sich fortsetzen und langfristig Konsequenzen haben werden.

Die zweite Ebene der Entsagung, die Tsongkhapa in seinem Text erwähnt, ist die Entsagung, mit der wir nicht nach den angenehmen Dingen zukünftiger Leben trachten, sondern ein reges Interesse entwickeln, Befreiung zu erlangen. Das ist das, woran wir normalerweise denken, wenn es um Entsagung geht.

Die Sakya-Tradition des „Sich-Lösens von den vier Arten des Klammerns“ 

Einer der zentralen Texte der Sakya-Tradition heißt: „Sich von den vier Arten des Klammerns lösen“. Er wurde Sachen Kunga Nyingpo, dem ersten der großen Begründer der Sakya-Tradition in Tibet durch Manjushri offenbart. Sachen Kunga Nyingpo wurde 34 Jahre nach dem Verscheiden Atishas, dem großen indischen Meister, geboren, der die Lam-rim-Lehren der drei aufeinanderfolgenden Stufen nach Tibet brachte. Im Text heißt es:

Gibt es ein Klammern an dieses Leben, ist man kein Dharma-Praktizierender. Gibt es ein Klammern an Samsara (unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt), ist es keine Entsagung. Gibt es ein Klammern an eigenen Zielen, ist es keine Bodhichitta-Ausrichtung. Entsteht ein Greifen nach selbst-begründeter Existenz, handelt es sich nicht um die Sichtweise.

In der Sakya-Tradition beziehen sich die Themen, die wir zunächst bei Atisha und der Kadam-Tradition, die von ihm ausging, und später in den Lam-rim-Texten der Gelug-Tradition zu finden sind, auf das Loslassen oder diese Entschlossenheit, frei zu sein, sowie auf das Erlangen der Befreiung von dem Klammern an diese vier verschiedenen Phänomene.

Um eine sektiererische Sichtweise zu überwinden, mit der wir meinen, in unserer Übertragungslinie gäbe es die einzige Wahrheit, ist es meiner Meinung nach überaus wichtig zu verstehen, dass es in den verschiedenen tibetischen Traditionen die gleichen Themen gibt, sie jedoch etwas unterschiedlich strukturiert sind. Warum auch nicht? Haben wir viele verschiedene Weisen der Gliederung von Themenbereichen – im digitalen Zeitalter nennen wir das Informationsarchitektur –, hilft das, den verschiedenen Anforderungen einer Vielzahl von Lesern und Nutzern gerecht zu werden.

Momentan befasse ich mich mit der Erstellung unserer neuen Webseite und dort haben wir die sechs gängigsten Nutzer bestimmt. Beruhend darauf planen wir, eine Informationsstruktur zu entwickeln, die zu jedem dieser Arten von Nutzern passt, damit jeder einen einfacheren Zugang zu den Themenbereichen bekommen kann.  Genauso verhält es sich mit dem Gliedern der Themenbereiche der Sutras, die entweder als Lam-rim, dem „Sich-Lösen von den vier Arten des Klammerns“ oder den „Vier Gedanken, die den Geist dem Dharma zuwenden“ usw. angeordnet werden. Es gibt viele unterschiedliche Informationsarchitekturen dafür.

Im dem Text „Sich-Lösen von den vier Arten des Klammerns“ sehen wir, dass die zwei Arten der Entsagung oder Entschlossenheit, frei zu sein, auf die Tsongkhapa hingewiesen hat, dem Loslösen von den zwei Arten des Klammerns von Sachen Kunga Nyingpo entsprechen: dem Klammern an dieses Leben und dem Klammern an Samsara. Der Sakya-Meister fügte dem die Entschlossenheit hinzu, frei von dem Klammern an unsere eigenen selbstsüchtigen Interessen – der Selbstbezogenheit – und dem Klammern an selbst-begründete Existenz zu sein. Beide findet man in Tsongkhapas Darstellung der fortgeschrittenen Ebene der Motivation. 

Dharma-light und der echte Dharma 

Ich denke, hier könnten wir auch eine weitere Ebene mit hinzunehmen, eine Ebene, die ich als Dharma-light im Gegensatz zum „echten Dharma“ bezeichne, welche die buddhistischen Lehren ohne die Darstellung der Wiedergeburt umfasst. Seine Heiligkeit der Dalai Lama nutzt eine etwas andere Informationsarchitektur, um den gleichen Punkt zu machen, indem er sich auf buddhistische Wissenschaft, buddhistische Philosophie und buddhistische Religion bezieht.

Buddhistische Wissenschaft und Philosophie wären dann das, was ich als „Dharma-light“ bezeichne, was vielleicht nicht gerade der schönste Ausdruck ist. Buddhistische Wissenschaft und Philosophie hört sich viel respektvoller an – Seine Heiligkeit ist zweifellos viel geschickter als ich es bin. Die buddhistische Religion bezieht sich auf den echten Dharma. Das ist einfach nur eine andere Informationsarchitektur. Ich will durch diese Ausdrücke „Dharma-light“ und „echter Dharma“ die buddhistische Wissenschaft und Philosophie nicht herabsetzen und sie als etwas weniger Wirkliches betrachten, als die buddhistische Religion, und hoffe, die Menschen werden es nicht missverstehen.

Diese Dharma-Light-Ebene der Entsagung, von der ich glaube, dass sie wichtig ist, bevor man sich den vier standardmäßigen Ebenen zuwendet – also bevor wir an die Wiedergeburt glauben – ist die Entsagung, nicht nur an kurzzeitigem Nutzen in diesem Leben zu arbeiten, sondern den langfristigem Nutzen in diesem Leben zu unserem Hauptanliegen zu machen. Das bezieht sich beispielsweise darauf, einen großen Kredit aufzunehmen, um ein neues Auto, einen neuen Computer und eine neue Wohnung zu kaufen, obwohl man weiß, dass man nie in der Lage sein wird, ihn jemals abzubezahlen. Es geht also darum, nicht an die langfristigen Konsequenzen in diesem Leben nachzudenken und nur die sofortige Befriedigung der Wünsche anzustreben, die wir gerade haben. Wir müssen die Entschlossenheit entwickeln, frei davon zu sein, weil es zu unfassbaren Problemen führen wird. Das wäre die Dharma-light-Ebene, die eine recht ernsthafte Ebene ist, und nicht etwas, das wir einfach auf die leichte Schulter nehmen können. 

Ich glaube, dass wir diesen vier Ebenen des Sich-Lösens vom Klammern eine Ebene hinzufügen können, die sich spezifisch auf Tantra bezieht. Im Tantra ist es notwendig, eine Entschlossenheit zu entwickeln, frei von einem Hervorbringen von gewöhnlichen Erscheinungen und einem gewöhnlichen Klammern an diese Erscheinungen zu sein. Mit anderen Worten sollte unser Geist nicht daran klammern, gewöhnliche Erscheinungen samsarischer Körper und Umgebungen hervorzubringen. Vielmehr sollte unser Hauptanliegen darin bestehen, dass unser Geist Buddha-Gestalten (Yidams) und Mandalas, also reine Erscheinungen hervorbringt. Und anstatt an der selbst-begründeten Existenz von samsarischen gewöhnlichen Erscheinungen oder diesen so genannten nirvanischen Erscheinungen von Mandalas zu klammern, sollte unser Hauptinteresse der Leerheit gelten. 

Die Bedeutung der analytischen Meditation 

An diesem Wochenende würde ich gern über all diese verschiedenen Ebenen der Entschlossenheit, frei zu sein, sprechen. Für jede von ihnen habe ich ein Schema der Analyse, dem man folgen kann. Seine Heiligkeit der Dalai Lama betont stets die Bedeutung der so genannten „analytischen Meditation“. Sie führt zu einem klaren Verständnis und bewirkt eine Veränderung in uns, und steht im Gegensatz dazu, einfach nur Mantras zu rezitieren oder Rituale abzuhalten. Seine Heiligkeit weist immer darauf hin, weil die Menschen dazu neigen, ihre Dharma-Praxis darauf zu beschränken, lediglich Rituale und Rezitationen durchzuführen, die sie kaum verstehen, was nur wenig Nutzen hat.

Buddha lehrt nicht, dass der wahre Pfad zum Überwinden unserer Probleme darin besteht, zu beten, frei von ihnen zu werden. Er lehrte als einen wahren Pfad das Verständnis der Wirklichkeit, um Unwissenheit, das mangelnde Gewahrsein, welches hinter unseren Problemen steckt, zu beseitigen. Wir sollten nicht einfach nur beten, um davon frei zu werden.

Es gibt viele verschiedene Arten von analytischen Schemen, die wir nutzen können, um zu versuchen, die buddhistischen Lehren zu verstehen. Im Buddhismus nutzt man das dreifache Bildungsschema, welches man in allen indischen Bildungssystemen findet. 

  • Man sollte die Lehren hören und überzeugt sein, dass man sie korrekt gehört hat.
  • Dann sollte man über das, was man gelesen oder gehört hat, nachdenken, um es zu verstehen, und es analysieren, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass das, was gelehrt wurde, korrekt ist.
  • Mit der Meditation machen wir dann unseren Geist mit diesem Verständnis vertraut, damit es zu einem Teil unseres Lebens wird. Dies tun wir durch Wiederholung, was oft einfach als so genannte „Praxis“ bezeichnet wird.

Analyse findet man dann sowohl im Denkprozess als auch im Prozess der Meditation, aber hier gibt es manchmal etwas Verwirrung. Es ist notwendig zu analysieren, um eine bestimmte Lehre zu verstehen, und daher ist die Analyse sehr mit diesem zweiten Schritt, dem Denkprozess verbunden. Wenn man das Meditation nennen will, ist das in Ordnung, aber es ist nicht die klassische  Bedeutung der Meditation. Für die meisten von uns ist es jedoch das, was wir im Grunde tun, wenn wir uns in so genannter analytischer Meditation üben. Wir versuchen etwas zu verstehen, uns über etwas klar zu werden.

Durch diese Analyse kommen wir dann zu einer Schlussfolgerung. So mag ich beispielsweise die Schlussfolgerung ziehen, dass das, was ich in diesem Leben habe, unbeständig ist; es wird nicht ewig bestehen. Wir kommen also zu einer Schlussfolgerung, wir sind überzeugt von ihr und verstehen, warum sie korrekt ist: in diesem Fall sind Dinge unbeständig. Das ist die Schlussfolgerung des Denkprozesses. 

Dann kommt es zum Prozess der Meditation, wenn wir es bereits verstanden haben. Wir wollen es analysieren oder, um das Wort „Analyse“ etwas genauer zu übersetzen: wir wollen es klar erkennen. Mit anderen Worten gehen wir also diese ganze Analyse wieder durch, aber dieses Mal nicht, um es zu verstehen und überzeugt davon zu werden, denn wir haben es ja bereits verstanden. Wir wollen es vielmehr in unserem Geist auffrischen, damit wir zum Beispiel klar erkennen können, das unsere Jugend oder unsere Gesundheit unbeständig ist. Sie wird nicht ewig andauern. Dieses Leben wird nicht ewig bestehen und das erkennen wir klar. Technisch gesehen ist das die so genannte „analytische Meditation“.

Dann stabilisieren wir es – was „stabilisierende Meditation“ bezeichnet wird. Wir fokussieren uns beispielsweise auf unseren Körper und haben das allgemeine Verständnis, dass er unbeständig ist. Auf diesem Verständnis halten wir mit all den Anweisungen des Shamatha, eines still gewordenen und zur Ruhe gekommenen Geisteszustandes, unseren Fokus. Dadurch wird das Verständnis stabilisiert.

Haben wir mit einer Meditation im Shamatha-Stil ein stabiles Verständnis in Bezug auf die Tatsache, das unser Körper unbeständig ist, können wir versuchen, eine Meditation im Vipashyana-Stil auszuführen, was recht schwierig ist. Auf dieser Ebene reden wir nicht über die tatsächlichen Ebenen von Shamatha und Vipashyana, sondern nur über die Meditation in diesem Stil. Der Stil der Vipashyana-Meditation besteht darin, mit dem Fokus auf den Körper und dem Verständnis der Unbeständigkeit des Körpers, alle Einzelheiten und Hintergründe zu erkennen und dies ohne geistiges Abschweifen, all dem bla bla bla in unserem Kopf oder der Dumpfheit tun zu können, anstatt einfach nur ein generelles Verständnis der Unbeständigkeit zu haben, wie in der Meditation im Shamatha-Stil. Sie ist also viel fortgeschrittener als Shamatha, aber Vipashyana baut auf Shamatha auf. All das wird in Tsongkhapas Darstellung dieser Punkte im „Lam-rim chenmo“, seiner „Umfassenden Darstellung der aufeinanderfolgenden Stufen des Pfades“ deutlich. 

Ich glaube, dass es wirklich hilfreich ist, diese verschiedenen Stufen zu verstehen und zu kennen, wie wir unsere Einstellungen, unser Verständnis und unsere Verhaltensweise umwandeln, indem wir diese verschiedenen Stufen durchgehen: die Lehren zu hören, über sie nachzudenken, klar erkennende oder analytische Meditation zu nutzen, und sie dann mit den Meditationen im Shamatha-Stil und Vipashyana-Stil zu stabilisieren. Das ist ein stufenweiser Vorgang, ein stufenweiser Pfad.

Ein analytisches Schema ist somit ausgesprochen nützlich, um sich selbst anhand dieses Vorganges zu üben. In den verschiedenen Werken Tsongkhapas können wir viele verschiedene analytische Schemen finden, in denen erklärt wird, wie man auf korrekte Art und Weise meditiert, also zu wissen, worauf man sich fokussiert, wie sich der Geist auf das Objekt ausrichtet und viele andere Faktoren. Das sind äußerst nützliche Anweisungen, die wir lernen sollten, wenn wir ernsthaft daran interessiert sind, uns mithilfe der buddhistischen Methoden der Meditation zu entwickeln.

Kreativ mit analytischer Meditation umgehen 

Darüber hinaus sollten wir kreativ sein. Kreativ zu sein heißt, verschiedene analytische Methoden zusammenzufügen, die wir anhand der Texte gelernt haben, und sie auf jeden einzelnen Punkt im Dharma anzuwenden, den wir verstehen und in uns entwickeln wollen, auch wenn Tsongkhapa und die großen Meister dies nicht in Bezug auf jeden einzelnen Punkt festgelegt haben. Ich denke, das ist ein überaus kreativer Prozess. Es ist nicht so, als würden wir uns etwas Neues ausdenken. Vielmehr fügen wir die verschiedenen Teile, die wir gelernt haben, in einem Schema zusammen, welche zu dem Thema passen, an dem wir arbeiten wollen.

So wie ein Arzt verschiedene Dinge in den medizinischen Texten lernt, dann aber bestimmte Teile zusammenfügen muss, die er gelernt hat, um mit jedem einzelnen Patienten und jeder Krankheit umgehen zu können, üben wir uns im Dharma, um gewissermaßen Ärzte des Geistes zu werden – nicht Psychiater oder Psychologen, sondern buddhistische Praktizierende, die das, was sie in all den Lehren gelernt haben, in eine effektive Methode zusammenstellen, um mit allen spezifischen Angelegenheiten und Problemen umgehen zu können, auf die wir im Leben stoßen. Auf der Grundlage dieser Methodik habe ich ein Schema erstellt, um mit der Entschlossenheit, frei zu sein, auf jeder dieser sechs Ebenen zu arbeiten.

Wenn wir mit buddhistischen Methoden an den verschiedenen Problemen arbeiten wollen, ist es ziemlich wichtig, dies auf geordnete Weise zu tun, einen Vorgang dafür zu haben, wie wir das Problem angehen werden, und natürlich – in letzter Zeit arbeite ich so viel mit dem Internet – einer „flexiblen Vorgehensweise“ zu folgen, wie sie in der Internetbranche genannt wird. Mit dieser Vorgehensweise passen wir Dinge auf dem Weg an, so wie es gerade notwendig ist. Probieren wir eine bestimmte Methode oder einen bestimmten Ansatz aus und merken, dass während dieser Arbeit gewisse Probleme auftreten, modifizieren wir unsere Vorgehensweise, um auch auf diese Probleme eingehen zu können. Manche Dinge müssen ein wenig angepasst werden – das ist der flexible Ansatz. 

In jedem Projekt, und besonders, wenn wir an uns selbst arbeiten, ist das ausgesprochen wichtig, um nicht steif und unflexibel zu sein. Das bedeutet nicht, Dinge neu zu erfinden, sondern ein breites Wissen in Bezug auf den Dharma zu haben. Damit können wir in der Arbeit an uns selbst, in jeder Situation, wenn etwas Unerwartetes hochkommt und wir beispielsweise plötzlich große Angst in unserer Meditation entwickeln, etwas anpassen oder modifizieren. Wir nutzen Dinge, die wir an anderer Stelle im Dharma gelernt haben, um mit dieser spezifischen Sache in dem Moment umgehen zu können und das bedeutet es, flexibel zu sein.

Darum legt Seine Heiligkeit so großen Wert auf die Bildung. Buddhistische Bildung: wenn wir buddhistischen Praktiken folgen, ist es notwendig, die buddhistischen Praktiken zu kennen; wir müssen die Lehren kennen.

Zu starke und zu schwache Widerlegung des Objektes der Widerlegung 

Gut, hier ist das Schema, was ich selbst recht hilfreich finde, aber dem ihr in eurer eigenen Praxis vielleicht noch etwas hinzufügen wollt:

Zuerst sollten wir uns den Grundsatz zu eigen machen, den Tsongkhapa in seiner Abhandlung darüber so betont hat, wie man sich in Vipashyana-Meditation über Leerheit übt, nämlich korrekt das Objekt der Widerlegung zu identifizieren und es weder zu schwach noch zu stark zu widerlegen. Das ist so ein intelligenter und sinnvoller Ansatz, den Tsongkhapa da hervorhebt – wir müssen erkennen, dass man ihn äußerst wirksam auf fast alles in den Dharma-Lehren, auf jeden Punkt im Lam-rim, anwenden kann.

  • Wir identifizieren das Objekt der Widerlegung, von dem wir frei werden wollen.
  • Wir widerlegen es nicht auf zu starke Weise und beseitigen zu viel.
  • Wir widerlegen es nicht auf zu schwache Weise und beseitigen zu wenig.

Hier müssen wir dann korrekt bestimmen, was das Objekt ist, von dem wir frei werden wollen – mit anderen Worten: wir wollen nicht mehr als das beseitigen, was unnötig oder sogar schädlich wäre. Und wir wollen nicht die Entschlossenheit haben, zu wenig zu beseitigen, sodass noch etwas von dem Problem übrig bleibt. 

Die Ursachen des Klammerns und die Nachteile des Klammerns identifizieren 

Daraus ergeben sich einige weitere Schritte:

  • Wie in der zweiten edlen Wahrheit nahegelegt wird, sollten wir korrekt die Ursache des Klammerns daran bestimmen.
  • Die Herangehensweise, die in allen Lam-rim-Lehren genutzt wird, besteht darin, die Nachteile des Klammerns zu bestimmen. Das hilft uns, die Motivation zu entwickeln, davon frei zu werden. Das haben wir in den „Vier Gedanken, die den Geist dem Dharma zuwenden“, die Meditation über die Nachteile von Samsara, und das sollten wir hier anwenden; es ist wirklich relevant.
  • Dann gilt es, wie uns durch die dritte edle Wahrheit, die wahre Beendigung, empfohlen wird, eine klare und korrekte Vorstellung davon zu haben, was wir anstreben und dies wiederum nicht zu über- oder unterschätzen.
  • Ferner ist es notwendig zu wissen, was für einen Nutzen es hat, diese Freiheit zu erlangen.
  • Und was werden wir tun, wenn wir diese Ebene der Freiheit einmal erlangt haben? Uns geht es nicht darum, einfach nur in einem reinen Land zu sein und dort zu genießen; das ist es nicht, was wir beispielsweise mit unserer Befreiung machen wollen.
  • Was die vierte edle Wahrheit betrifft, so sollten wir eine klare und korrekte Vorstellung von der Methode haben, um diese Freiheit zu erlangen, und dessen Wirksamkeit nicht über- oder unterschätzen.
  • Beruhend auf der Herangehensweise der Buddha-Natur, sollten wir dann das Vertrauen entwickeln, dass die Methode funktionieren wird – deren Effektivität nicht über- oder unterschätzen – und dann können wir das Ziel erreichen, indem wir sie anwenden.

Das ist die Methodik für unsere Entschlossenheit, frei von diesen sechs Ebenen problematischer Situationen und problematischer Gewohnheiten, die wir haben, zu sein. Welche Fragen habt ihr dazu?

Fragen zum Reinigen von Karma 

Wenn wir versuchen, frei von negativem Karma zu werden, versuchen wir dann gewissermaßen frei von all unserem negativen Karma zu werden oder bestimmte Arten karmischer Hindernisse loszuwerden? Gibt es, anders ausgedrückt, bestimmte Arten des Aufgebens, die man mit jeder Praxis erlangt, und bedeutet das im Grunde, dass wir mit ihnen nicht all unser Karma beseitigen?

Hier muss man differenzieren, ob man ganz spezifisch daran arbeitet, Karma zu reinigen, also mit anderen Worten karmische Tendenzen und Potenziale zu bereinigen und aufzulösen, oder ob man danach trachtet, die störenden Emotionen, die sie aktivieren und zum Ansammeln von noch mehr karmischen Potenzialen führen, zu beseitigen.

Wenn wir mit Reinigungsübungen arbeiten, streben wir für gewöhnlich nur an, negative Potenziale zu beseitigen, und nicht die positiven karmischen Potenziale, die wir ebenfalls loswerden müssen, um Befreiung aus Samsara zu erlangen. Wir beginnen jedoch mit den Negativen. Praktizieren wir zum Beispiel die Vajrasattva-Reinigung, richten wir uns darauf, die negativen Potenziale zu reinigen, und dies wird sie in gewissem Sinne deaktivieren, aber nicht vollständig von unserem geistigen Kontinuum beseitigen. Sie werden nicht zu Leiden heranreifen, aber das Erlangen unserer Befreiung weiterhin ausbremsen – Tsongkhapa macht das ziemlich deutlich. 

Eine erfolgreiche Vajrasattva-Reinigung – die äußerst schwierig ist, erfolgreich durchzuführen, weil sie perfekte Konzentration, perfekte Motivation usw benötigt – garantiert nicht, dass wir nie wieder negative Potenziale schaffen werden. Wollen wir aber alle karmischen Potenzialen und Tendenzen loswerden, einschließlich der positiven, die Samsara nur weiter vorantreiben werden, müssen wir über die Leerheit meditieren. 

Dann machen wir keine besondere Reinigungspraxis im Vajrasattva-Stil. Wie jedoch in den zwölf Gliedern des anhängigen Entstehens recht deutlich gemacht wird, streben wir mit unserer Leerheitsmeditation an, frei von unseren störenden Emotionen und Geisteshaltungen zu werden, die karmische Potenziale und Tendenzen aktivieren werden. Wir wollen frei von dem ersten Glied des abhängigen Entstehens werden, welches unser mangelndes Gewahrsein oder unsere Unwissenheit ist, die uns dazu bringt mehr karmische Potenziale, sowohl positive als auch negative, zu schaffen.

Unwissenheit oder mangelndes Gewahrsein führt zu störenden Emotionen, die zu zwanghaftem karmischen Verhalten führen, das widerum zu mehr karmischen Potenzialen und Tendenzen, sowohl positiven als auch negativen führt. 

Wie gesagt, halten uns positive karmische Potenziale genauso in Samsara fest, wie die negativen. Positive karmische Potenziale bauen wir beispielsweise basierend auf einem starken egoistischen Streben auf, perfekt sein zu wollen. Das wird zwar Samsara verbessern, aber es ist nach wie vor Samsara. Es ist positiv, aber auf eine samsarische Weise. 

Wenn wir dann mit dem Verständnis der Leerheit daran arbeiten, zunächst diese zwölf Glieder des abhängigen Entstehens zu einem Ende zu bringen, befassen wir uns zuerst damit, die doktrinär bedingten Emotionen und die Unwissenheit zu beseitigen, und dann die automatisch erscheinenden – es findet also in Stufen statt. Auf diese Weise werden wir die emotionalen Schleier los und erlangen Befreiung; es gibt also keine karmischen Potenziale und Tendenzen mehr. Doch dann müssen wir die kognitiven Schleier beseitigen, die Allwissenheit verhindern, und dafür arbeiten wir weiter mit dem Verständnis der Leerheit. Hier streben wir an, die ständigen Gewohnheiten des Greifens nach selbst-begründeter Existenz und die ständigen Gewohnheiten des Karmas zu beseitigen.

Dieses Schema des Nachdenkens über die Vor- und Nachteile ist ausgesprochen logisch; es basiert auf logischem Denken. Aber manchmal ist unser Verhalten nicht so logisch, sondern irrational. Wir verstehen vielleicht auf logische Weise, dass es nicht notwendig ist, sich manche Videos auf YouTube anzusehen, aber wir tun es trotzdem. Oder es gibt beispielsweise einige Übungen, wie Mantra-Praktiken, die ziemlich unlogisch scheinen, aber vielleicht können sie uns mit diesem irrationalen Verhalten helfen. Vielleicht könnte man auf der anderen Seite auch erklären, dass es einen bestimmten logischen Grund gibt, Mantras zu praktizieren.

Zunächst einmal sollten wir erkennen, dass unser mangelndes Gewahrsein oder die Unwissenheit und die Gewohnheiten, die wir beruhend darauf geschaffen haben, keinen Anfang in unserem Geisteskontinuum haben. Das bedeutet, dass sie wirklich sehr stark sind. Es wird nicht leicht sein, diese unfassbare Kraft der negativen Gewohnheiten zu überwinden, weil sie seit anfangslosen Zeiten aufgebaut wurden. Neben einem korrekten Verständnis der Wirklichkeit, um unserer Unwissenheit entgegenzuwirken, bedarf es jeder Menge positiver Kraft in unserem Geist, um dieses Beharrungsvermögen der Negativität überwinden zu können, die seit anfangslosen Zeiten aufgebaut wurde. Wenn wir das verstehen und wirklich begreifen, bekommt die Aussage, drei Zillionen von Zeitaltern an positiver Kraft zum Erlangen der Erleuchtung zu benötigen, vollkommenen Sinn. Warum ist das so? Weil wir uns der anfangslosen Negativität entgegensetzen. Dann verstehen wir und dann haben wir Geduld. 

Es gibt so viele Möglichkeiten, positive Kraft – so genannte „Verdienste“ – aufzubauen. Ich werde hier keine großen Aufzählungen machen, aber du hast insbesondere Mantras erwähnt und gefragt, ob der Gebrauch von Mantras rational oder irrational ist. Mein Lehrer Serkong Rinpoche sprach oft davon, dass die drei mächtigsten Dinge im Universum Technologie, Medizin und Mantra sind. Er war keine irrationale Person. Er war einer der Lehrer Seiner Heiligkeit des Dalai Lama, der Debattiermeister Seiner Heiligkeit, und daher ausgesprochen rational. Ich habe mehrere Jahrzehnte darüber nachgedacht, bevor mir ein wenig klar wurde, was er damit gemeint haben könnte, als er über die Wichtigkeit von Mantra sprach. Auf der tiefsten Ebene arbeiten wir mit Mantra daran, die subtilen Energien des Körpers zu formen. Der Begriff bedeutet wörtlich, den Geist zu beschützen. Diese subtilen Energien des Körpers sind die Träger unserer störenden Emotionen und Geisteshaltungen. 

Wir können das an dem einfachen Beispiel verstehen, wenn wir nervös sind. Ganz klar gibt es, wenn wir aufgebracht und verärgert sind, eine nervöse Energie in unserem Geist, nicht nur in unserem Körper. Unser Geist ist unklar und unsere Gedanken wirbeln oft durcheinander. In der Kampfkunst und im Yoga gibt es verschiedene Methoden für die Arbeit mit diesen subtilen Energien, um Kontrolle über sie zu gewinnen und damit einen Einfluss auf unseren Geist haben zu können. In den buddhistischen Lehren ist die Mantra-Praxis als eine feinere Methode des Umgangs mit diesen subtilen Energien bekannt; es geht dabei darum, sie zu formen, sie unter Kontrolle zu bringen, und das hat dann auch eine riesige Auswirkung auf unseren Geisteszustand und unser Verhalten. Wie die Medizin und die Technologie ist sie eine der effektivsten Methoden für das Wohl von uns selbst und allen anderen. 

Natürlich ist die Ebene, auf der wir momentan Mantras rezitieren, eine Anfängerebene – in der höchsten Tantra-Klasse, dem Anuttarayoga-Tantra, gibt es einige sehr viel höhere Ebenen. Aber was wir momentan machen, ist ein Anfang. Wir sollten einfach versuchen, Mantras nicht mit einem fehlerhaften Verständnis zu rezitieren und denken, es würde sich dabei um magische Worte handeln, und wir würden eine Belohnung oder einen Preis bekommen, wenn wir sie oft genug wiederholen.

Als ich den jungen Serkong Rinpoche, die Reinkarnation meines Lehrers fragte, was sein Vorgänger damit meinte, dass Mantras eine der drei mächtigsten Dinge der Welt wären, antwortete er, dies würde sich auf das Prajnaparamita- (Vollkommenheit der Weisheit oder weitreichendes unterscheidendes Gewahrsein) Mantra im „Herzsutra“ beziehen:

Weil es sich so verhält, ist das weitreichende unterscheidende Gewahrsein das (großartige), den Geist beschützende Mantra, das den Geist beschützende Mantra des herausragenden Wissens, das den Geist beschützende Mantra, das unübertroffen ist, das den Geist beschützende Mantra, das dem Unvergleichlichen gleicht, das den Geist beschützende Mantra, das vollkommen alle Leiden stillt.  Weil es nicht trügerisch ist, ist es auch als die Wahrheit bekannt. Im weitreichenden unterscheidenden Gewahrsein wurde das den Geist beschützende Mantra kundgetan: ‚Tadyatha, (om) gate gate paragate parasamgate bodhi svaha. Die tatsächliche Natur (ist): Gegangen, gegangen, darüber hinaus gegangen, weit darüber hinaus gegangen, gereinigter Zustand, so sei es.’ Oh Shariputra, ein mit einem großen Geist begabter Bodhisattva Mahasattva muss sich in dieser Weise (im Verhalten) des tiefgründigen und weitreichenden unterscheidenden Gewahrseins üben.

Verstehen wir die Mantra-Praxis als die Praxis des weitreichenden unterscheidenden Gewahrseins der Leerheit, ist sie tatsächlich die mächtigste Sache im Universum. Wir können also die Macht von Mantras sowohl im Sinne der Methode als auch im Sinne der Weisheit verstehen. 

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