Das Privathalten unserer Teilnahmeebene
Indem wir unsere Vorbereitung für den Erhalt der Kalachakra-Ermächtigung und unsere Fähigkeit, Gelübde und Verpflichtungen einzuhalten, einschätzen, können wir eine realistische Entscheidung treffen, ob wir als aktiver Teilnehmer oder als interessierter Beobachter anwesend sein wollen. Spirituelle Praxis, insbesondere bei Tantra, ist eine private Angelegenheit. Daher ist es nicht nötig, dass wir allen unsere Entscheidung mitteilen. Schließlich ist Tantra das geheime oder auch vertrauliche Fahrzeug. Wenn wir unseren Status für uns behalten, dann verhindert dies, dass wir uns unwohl oder verlegen fühlen, insbesondere wenn wir gewählt haben, ein Beobachter zu bleiben. Wenn dann während des Rituals rote Bänder und Streifen ausgeteilt werden, dann können wir sie als Beobachter natürlich nehmen, damit wir nicht unangebrachte Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Das bloße Tragen eines roten Bändchens oder eines Streifens bedeutet noch nichts tiefgreifendes. Wir könnten sie auch an unserem Hund anbringen, aber das würde nicht bedeuten, dass das Tier die Initiation nimmt.
Dies im Kopf behaltend lassen Sie uns die einzelnen Schritte der Ermächtigung betrachten, sodass wir der Prozedur folgen und etwas aus ihr ziehen können, unabhängig davon, wie wir teilnehmen. Da die höhere, höchste und große Vajrameister-Ermächtigung wie auch die nachfolgende Erlaubnis bei einer Kalachakra-Initiation nicht immer übertragen werden, werden wir uns einfach nur die erste Ebene des Erhaltens der Ermächtigung anschauen, also die Vorbereitungszeremonie und die sieben Ermächtigungen des Eintretens wie ein Kind.
Wie man visualisiert
Von Anfang bis Ende beinhaltet die Teilnahme an einer Kalachakra-Initiation Visualisierung. Als Teilnehmer visualisieren wir den Lehrer, den Ort, uns selbst und jedermann um uns herum auf besondere Weise. Wenn wir als Beobachter das Meiste aus unserer Teilnahmeerfahrung machen wollen, können wir ebenfalls so vorgehen. Lassen sie uns daher unsere Betrachtung mit der Untersuchung dessen beginnen, was Visualisation bedeutet und wie man sie durchführt.
Zuerst muss klargestellt werden, dass das Wort "Visualisation" nicht die volle Bedeutung des Begriffs im Sanskrit oder im Tibetischen trägt, weil es ein Arbeiten mit ausschließlich der visuellen Sphäre ausdrückt. Die Visualisationspraxis beinhaltet jedoch Anblicke, Klänge, Düfte, Geschmäcke, körperliche Sinnesempfindungen, geistige Gefühle wie zum Beispiel Freude und ein Gefühl dafür, wer wir sind, wo wir uns befinden, was uns umgibt und was gerade passiert. Das Wort "Vorstellung" kommt der Bedeutung vielleicht näher. Sich etwas vorzustellen ist nicht nur eine intellektuelle Aktivität, bei der wir versuchen, kleinste Einzelheiten eines geistigen Abbildes scharf zu bekommen. Es ist vielmehr ein Prozess vollständiger Transformation, der in gleicher Weise den Geist, das Herz, die Gefühle, das Identitätsgefühl und die räumliche Orientierung beinhaltet.
Im Kontext des Tantra bedarf es zweier Hauptfaktoren, damit man sich etwas erfolgreich vorstellen kann: Klarheit der Erscheinung und Stolz. "Stolz" meint eine zuversichtliche Empfindung bzw. ein zuversichtliches Gefühl der Identität. Während der Visualisation versuchen wir zu fühlen, dass unser spiritueller Meister und wir selbst wirklich Buddha-Formen sind, dass wir uns tatsächlich in einem Mandala befinden und dass das, wessen Auftreten wir uns vorstellen, tatsächlich passiert, obwohl wir natürlich nicht den Unterschied zwischen dem, was Realität ist, und dem, was Phantasie ist, aus den Augen verlieren dürfen. Die großen Meditationsmeister geben den Rat, dass es am Anfang viel wichtiger ist, diesen Stolz bzw. dieses Wirklichkeitsgefühl zu besitzen, als die Klarheit der Einzelheiten. Obwohl wir zumindest ein vages geistiges Abbild als Grundlage für die Zuschreibung der Visualisationsinhalte brauchen, müssen wir uns um die komplizierten Details keine Sorgen machen. Ihre Klarheit entwickelt sich schrittweise als eine Wirkung der Eingewöhnung und Konzentration. Wenn wir uns über all die feinen Punkte Sorgen machen, die uns vorzustellen wir während der Ermächtigung aufgefordert werden, dann führt das lediglich dazu, dass wir den Anschluss verlieren, überwältigt und verärgert werden.
Der Schlüssel zur Vermeidung dieser Art von Frustration liegt darin, sich nicht um die Details zu sorgen, sondern sich stattdessen darauf auszurichten, ein tiefes Gefühl für unsere eigene Identität und die unseres Lehrers sowie für den Ort zu erzeugen. Unser spiritueller Meister ist die Buddha-Form Kalachakra. Der Punkt ist hier nicht, ob wir ihn oder sie mit vierundzwanzig Armen sehen können oder nicht. Der Punkt, um den es geht, ist das Erfühlen, das Wahrnehmen dieser Person als vollkommen erleuchtetes Wesen. Darüber hinaus sind auch wir selbst eine reine Gestalt. Wir verschwenden nicht länger Gedanken an unser Gewicht oder unsere Haare. Und wir sind in der symbolischen Welt von Kalachakra: Wir kümmern uns nicht länger um die Dekorierung oder die Ausstattung des Raumes oder des Zeltes, in dem wir uns befinden.
Das klare Licht als Grundlage der Visualisation
Diese Visualisation ist nicht eine Art Selbsthypnose oder eine auf der Phantasie gründende Therapie. Die Basis dieser Visualisationen ist das Grundlagen-Tantra, der immerwährende Strom des Geistes des klaren Lichts. Der Geist des klaren Lichts stellt jedem individuellen Wesen eine ununterbrochene Kontinuität zur Verfügung, von Leben zu Leben und in die Buddhaschaft hinein. So wie der Himmel von den Wolken unbeeindruckt bleibt, bleibt dieser von den verstörenden Emotionen und Einstellungen unbefleckt, die flüchtig sind, kommen und gehen und den Geist zeitweilig verwirren. Daher ist es der Geist des klaren Lichts, der es zulässt, dass die Erleuchtung erreicht werden kann, der Zustand, in dem Verwirrung und ihre Instinkte völlig abwesend sind. Der Geist des klaren Lichts stellt auch die Basis für all die Fähigkeiten und Eigenschaften eines erleuchteten Wesens dar. Er erlaubt es dem allwissenden Geist, allem und jedermann gleichzeitig und mit vollem Verstehen gewahr zu sein und volle Liebe und volles Umsorgen für alle Wesen aufzubringen.
Genauso wie wir "Ich" dem Aggregate-Paket unseres Alltages, bestehend aus Körper, Gedanken, Emotionen, Einstellungen und dem Geist des klaren Lichts, auf dem sie alle ruhen, zuschreiben können und dieses Paket als "Ich" empfinden können, können wir dies ebenso mit dieser Grundlage des klaren Lichts selbst tun als einem Behälter oder Gefäß für unsere zukünftiges Erlangen der Erleuchtung. Wenn wir eine Ermächtigung zu einem bestimmten Tantra-System erhalten oder auch nur beobachten, dann repräsentieren wir diesen "Behälteraspekt" unseres Geistes des klaren Lichts durch die Gestalt verschiedener Buddha-Formen, die wir uns entsprechend diesem tantrischen System vorstellen. Wir benennen unseren Geist des klaren Lichts mit dieser vorgestellten Form als "Ich" und gründend auf dieser gültigen Benennung empfinden wir ernsthaft, dass wir dies tatsächlich sind. Das ist keine Lüge. Es ist so, wie wenn wir unser Baby einen großen Jungen nennen, wenn es seine ersten Schritte macht.
Ebenso bekommen wir, wenn wir von einem tantrischen Meister eine Ermächtigung erhalten, diese nicht vom gewöhnlichen Körper, den gewöhnlichen Gefühlen und Emotionen des Meisters, sondern von seinem oder ihrem Geist des klaren Lichts als der Grundlage der Erleuchtung. Das stellen wir dar, indem wir auch unseren Meister als eine Buddha-Form vorstellen. Auch wenn wir diesen Lehrer nicht als unseren tantrischen Meister akzeptieren und an der Initiation einfach als Beobachter teilnehmen, zeigen wir unseren Respekt und unser Verstehen der Prozedur, indem wir den Lehrer in diesem Aspekt und in dieser Gestalt sehen. Ganz ähnlich können wir den Ort der Ermächtigung anstatt als ein Auditorium oder ein Zirkuszelt gültig als einen Initiationsort benennen, unabhängig davon, ob wir ein Teilnehmer oder ein Beobachter sind. Dies stellen wir dar, indem wir uns vorstellen, dass er als ein Mandalapalast erscheint.
Bestätigung der Visualisationsfähigkeit
Lassen Sie uns uns selbst beweisen, dass wir fähig sind, uns derartige Dinge und Empfindungen als tatsächlich so seiend vorzustellen, auch wenn wir sie mit unserem geistigen Auge nicht mit lebhaften Einzelheiten sehen können. So hat zum Beispiel jeder ein Gefühl davon, ein Mann oder eine Frau zu sein oder ein Amerikaner, ein Schweizer oder jemand von einer anderen Nationalität. Wenn wir für einen Moment versuchen zu fühlen, wer wir sind, dann werden wir feststellen, dass wir kein geistiges Bild heraufbeschwören oder irgendwelche Worte im Geist sagen müssen, um ein Gefühl davon zu haben, dass wir einem bestimmten Geschlecht oder einer bestimmten Nationalität angehören. Es ist dieses Identitätsgefühl, das wir beim Aufrechterhalten des "Stolzes" der Visualisation verwenden und zwar ob wir uns selbst oder jemand anderes visualisieren.
Wir können zum Beispiel unser Gefühl davon, dass jemand eine Krankenschwester ist, dadurch verstärken, dass wir uns vorstellen, wie sie eine weiße Uniform trägt und ein Thermometer und eine Liste hält. Das repräsentiert aber nur ihre Identität. Die wichtigen Dinge sind hier unsere Wahrnehmung und unser Gefühl, dass sie eine Krankenschwester ist. Ohne diese haben die weiße Uniform, das Thermometer und die Liste keinerlei Relevanz für uns und könnten auch lediglich ein Kostüm für einen Maskenball sein. Wenn wir uns weiter ein erfrischendes Glas kalten Orangensaftes und auch seinen Geschmack vorstellen können, wenn es uns heiß ist und wir durstig sind, dann besitzen wir alle Arbeitsmaterialien, um uns alles mögliche vorzustellen. Wir müssen diese Fähigkeiten nur entwickeln. Es bedarf lediglich Zeit, Übung und Geduld. Es ist nicht so schwierig.
Bezüglich eines Ortes können wir alle fühlen, dass wir eine Straße von unserem Bürogebäude entfernt sind, wenn wir darauf zugehen oder zufahren. Ob wir es vor unserem geistigen Auge sehen oder nicht, wissen und fühlen wir jedenfalls mit tiefer Überzeugung, dass unser Gebäude da ist. Genauso verhält es sich mit dem Gefühl, außerhalb eines Mandalapalastes zu sein. Wenn wir darüber hinaus vor unserem Gebäude angekommen sind, uns aber verspätet haben, dann kann das Gefühl aufkommen, dass unser Vorgesetzter drinnen im vierten Stock sitzt und auf uns wartet, ob wir uns ein klares Bild von ihm oder ihr im Geist machen oder nicht. Das gleiche trifft zu bei der Vorstellung unseres Meisters innerhalb eines Mandalas in einem der höheren Stockwerke.
Wenn wir an den Raum denken, in dem wir uns gegenwärtig befinden, dann können wir alle fühlen, dass wir in diesem Raum sind. Wir können uns der vier Wände, die uns umgeben, bewusst sein, ob wir sie uns alle gleichzeitig vorstellen können oder nicht. Auf diese Weise stellen wir uns vor, innerhalb eines Mandalapalastes zu sein. Darüber hinaus können wir, wenn wir im Erdgeschoss eines vielstöckigen Gebäudes vor dem Aufzug stehen, fühlen, dass viele Stockwerke über uns liegen, ob wir sie in unserem Geist sehen können oder nicht. Genauso verhält es sich mit der Visualisation, dass man sich im Inneren eines vielstöckigen Mandalas befindet und im Erdgeschoss steht. Tatsächlich können wir alle diese Dinge auf einmal fühlen, wenn wir vor dem Aufzug stehen: Dass wir Angestellte sind, zu spät zur Arbeit kommen, uns unten in unserem Bürogebäude befinden und der Aufzug Ewigkeiten braucht, um zu kommen, und dass unser Vorgesetzter und unsere Kollegen oben im Büro bereits bei der Arbeit sind.
Jede Einzelheit, die wir dieser Szenerie hinzufügen können, zum Beispiel die Vorstellung, wie unsere Mitarbeiter an ihren Schreibtischen sitzen und wie unserer für alle sichtbar leer ist, verstärkt unser Gefühl, zu spät zu sein. Wenn wir uns all die Einzelheiten in lebhaften Farben vorstellen können, dann kann die Situation so lebendig werden, dass wir sogar lieber die Treppe nehmen. Aber auch ohne die Einzelheiten wird unsere Wahrnehmung und das Gefühl, zu spät zu kommen, jedenfalls ausreichen, uns eine schnellere Gangart einlegen zu lassen.
Die Visualisierung des Mandala und die Beibehaltung der Richtungsorientierung
Um das Gefühl zu verstärken, sich entweder innerhalb oder außerhalb des Mandalapalastes von Kalachakra zu befinden, ist es notwendig, zumindest eine grobe Vorstellung davon zu haben, wie er aussieht. Dieser wunderbare, prunkvolle Palast hat fünf Stockwerke und die Form einer quadratischen, fünfschichtigen Hochzeitstorte. Jedes Stockwerk ist halb so groß wie das darunter und ruht im Zentrum des jeweils unteren Stockwerks. In der Mitte jeder Seite befindet sich ein weiter Torbogen mit Eingangshalle. Das Gebäude ist sehr groß, seine Länge, Breite und Höhe ist zweihundert Mal unsere Größe, und es ist durchscheinend, bestehend aus vielfarbigem Licht. Insofern erinnert es an ein modernes Bürogebäude, dessen Wände ausschließlich aus getöntem Glass gemacht sind.
Das Ermächtigungsritual bezieht sich auf unsere Position im Palast immer in Begriffen der Hauptrichtungen. Da dies etwas verwirrend ist, ist es hilfreich, an eine Landkarte zu denken. Wenn die Initiation zum Beispiel in den Vereinigten Staaten stattfindet, dann können wir uns den übertragenden Meister vorstellen, wie er in Chicago steht. Zu Beginn des Rituals stehen wir in der östlichen Eingangshalle, also in New York, und schauen zu unserem Lehrer in Chicago. Im Süden ist Mexiko, im Norden Kanada und im Westen Kalifornien.
Unser Lehrer Kalachakra im Zentrum des Palastes hat vier Gesichter, jedes von einer anderen Farbe. Der Boden, die Decke und die Architekturverzierungen jeder Palastseite sind von gleicher Farbe wie sein entsprechendes Gesicht. Die vier Gesichter repräsentieren das Ergebnis unserer Reinigung der vier subtilen Tropfen, die in den inneren Kalachakra-Lehren besprochen werden: Die Tropfen des Körpers, der Sprache, des Geistes und des tiefen Gewahrseins. Aus diesem Grund sind die Gesichter und Mandalaseiten in den jeweiligen Richtungen von der gleichen Farbe wie die Keimsilben, die den Ort dieser Tropfen im subtilen Körper markieren. In allen tantrischen Systemen visualisieren wir ein weißes OM an der Stirn, ein rotes AH an der Kehle und ein dunkelblaues oder schwarzes HUM am Herzen, um Körper, Sprache und Geist darzustellen. Kalachakra fügt ein gelbes HOH am Nabel hinzu, um das tiefe Gewahrsein zu repräsentieren, und erklärt die Beziehung zwischen diesen Silben und den subtilen Tropfen sowie der subtilen Sprache. Daher sind die Farben der Gesichter von Kalachakra und der Seiten seines Palastes Weiß, Rot, Schwarz und Gelb. Dies symbolisiert in dieser Reihenfolge auch die vier Elemente Wasser, Feuer, Wind und Erde.
Indem wir einfache Techniken wie zum Beispiel gedächtnisunterstützende Mittel anwenden, können wir uns an die Zusammenhänge leichter erinnern und so im Mandala während der Initiation die Orientierung behalten. Der Osten und das Hauptgesicht von Kalachakra sind schwarz, was für den Geist und Wind steht. New York und die Ostküste werden oft von Hurrikanen heimgesucht, die schwarze Wolken und geistigen Stress mit sich bringen. Der Süden und das rechte Gesicht sind rot, was die Rede und Feuer repräsentiert. In Mexiko sprechen die Menschen Spanisch und das Essen ist brennend scharf. Der Norden und das linke Gesicht sind weiß, was für den Körper und Wasser steht. Kanada ist voller Schnee und unserem Körper ist es dort im Winter kalt. Der Westen und das hintere Gesicht sind gelb, was das tiefe Gewahrsein und Erde repräsentiert. In Kalifornien gibt es gelbe Sandwüsten und Menschen, die ein tiefes Gewahrsein für Umweltfragen besitzen.
Wir müssen also daher nicht das Gefühl haben, dass die Kalachakra-Initiation und all die Visualisationen zu viel für uns sind. Die Ermächtigung stellt eine Einführung in die Erfahrung dar, unser Gewahrsein auszudehnen, um gleichzeitig mit vielen Dingen umgehen zu können und zwar mit Vergegenwärtigung und Verstehen. Sie "pflanzt Samen", damit wir dies letztendlich als ein Kalachakra tun können. Wir müssen in die Initiation mit Zuversicht hinein gehen, mit dem Gefühl, dass wir uns öffnen können für diese fortgeschrittenere Funktionsebene im Leben. Um unseren Computer aufzurüsten, öffnen wir ihn und fügen einen neuen Chip oder eine neue Karte ein. Um unseren Geist und unser Herz aufzurüsten, öffnen wir sie ebenfalls, um neue Eindrücke zu erhalten, mit der Zuversicht, dass wir sie verdauen und in unser Leben integrieren können. Diese Zuversicht während der ganzen Ermächtigung aufrechtzuerhalten ist der Stolz, ein geeignetes Gefäß für Kalachakra zu sein.
Texttraditionen des Ermächtigungsrituals
Diese Richtlinien im Geist lassen Sie uns nun das Initiationsritual selbst besprechen. Da in letzter Zeit die Kalachakra-Ermächtigung am häufigsten von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama gegeben wurde, werden wir die Prozedur gemäß der Texttradition skizzieren, der er folgt. Er überträgt die Gelug-Linie des Kalachakra nach dem Ritualtext, der im achtzehnten Jahrhundert vom siebten Dalai Lama zusammengestellt wurde und seinerseits auf der Version von Kädrup Je aus dem fünfzehnten Jahrhundert basiert. Die Kagyü- und Nyingma-Linien folgen dem Ritual, das im neunzehnten Jahrhundert von Kongtrül aus der Rime-Tradition zusammengestellt wurde und das die Jonang-Linie des Kalachakra wiederbelebte, einer kleineren Tradition innerhalb des Sakya. Sakya-Meister wählen entweder Kongtrüls Text oder den von Butön aus dem vierzehnten Jahrhundert. Es gibt lediglich kleinere Unterschiede, insbesondere bezüglich der Vorbereitungszeremonie und der sieben Ermächtigungen des Eintretens wie ein Kind. Ganz allgemein ist die Version des siebten Dalai Lama ein wenig ausführlicher als die anderen Versionen. Sie beinhaltet Zeremonien für die Reinigung der Stelle, an der das Sandmandala entstehen wird, Meditationstänze zur in Besitznahme jener Stelle und das Darbringen von Gaben, wenn das Mandala einmal errichtet ist, sowie Rituale für den Abbau des Mandalas nach der Ermächtigung.
Das Betreten des Ortes der Zeremonie
Wenn man einmal die Rituale für die Errichtung und den Abbau des Sandmandalas weglässt, dann hat die Kalachakra-Initiation selbst zwei Teile: Eine Vorbereitungszeremonie, die am ersten Tag abgehalten wird, und die eigentliche Ermächtigung, die sich über die nächsten zwei oder drei Tage erstreckt. Als Symbol dafür, dass wir uns waschen, bevor wir zum Ritual gehen, reinigen wir am ersten und zweiten Tag unseren Mund mit speziell geweihtem Wasser, bevor wie den Ort der Ermächtigung betreten, und zwar unabhängig davon, ob wir ein Teilnehmer oder ein Beobachter sind. Wenn die Zeremonie im Freien stattfindet, dann spucken wir das Wasser auf diskrete Weise ins Gras aus, wenn sie drinnen ist, in einen Eimer, der als Spucknapf vorgesehen ist. Wir trinken das Badewasser nicht, nachdem wir ein Bad genommen haben.
Dann stellen wir uns vor, dass wir zur schwarzen, östlichen Vorhalle des Palastes gehen, als ob wir nach New York gehen würden, und dass wir nicht sehen können, was sich innerhalb befindet. Der Palast und die ihn umgebenden Orte sind gefüllt mit 722 männlichen und weiblichen Buddha-Formen. Obwohl sich der tantrische Meister in Form der ganzen Ansammlung manifestiert, stellen wir uns ihn oder sie vordringlich als die männliche Zentralfigur vor: Kalachakra. Zur sprachlichen Erleichterung werden wir uns daher auf den Meister mit dem maskulinen Pronomen beziehen. Er umarmt als Vater Vishvamata, die Mutter der Vielfalt. Während des ganzen Ablaufes verbleibt er immer im Zentrum des vierten Geschosses, wobei das Erdgeschoss, in dem wir stehen, als das erste Geschoss gezählt wird. Ob wir ein Teilnehmer oder ein Beobachter sind, in jedem Fall verbleiben wir immer entweder außerhalb des Palastes oder im Erdgeschoss.
Es mag uns auffallen, dass Kalachakra und Vishvamata als Vater und Mutter in Vereinigung – das bedeutet der tibetische Begriff yab-yum – die Vereinigung von Methode und Weisheit symbolisieren, die notwendig ist, um die Buddhaschaft zu gebären. Das tantrische Bild eines sich umarmenden Paares mag den schweizer Psychologen Carl Jung zur Entwicklung therapeutischer Techniken für die Vereinigung der maskulinen und femininen Aspekte unserer Psyche inspiriert haben, aber das ist nicht die ursprüngliche Implikation des Bildes.
Bevor wir unseren Sitzplatz an der östlichen Vorhalle einnehmen, machen wir drei Niederwerfungen, um Respekt zu zeigen. Wenn am Ermächtigungsort kein Platz für tatsächliche Niederwerfungen ist oder wenn wir als Beobachter nicht daran gewöhnt sind, uns als Zeichen des Respekts bis zum Boden zu verneigen, dann legen wir unsere Handflächen zusammen und visualisieren die Verneigung. Dann bringen wir als allgemeines Ersuchen ein Mandala mit der passenden, symbolischen Handhaltung dar. Ein Mandala ist ein rundes, symbolisches Universum, hier nun nicht die reine Welt einer Buddha-Form, sondern das Universum, in dem wir leben. Es macht keinen Unterschied, in welcher Form wir uns dieses Universum vorstellen. Es kann eine Galaxie sein, eine Weltkugel oder eine flache Scheibe mit dem Berg Meru und vier Kontinenten. Unsere Darbringung symbolisiert, dass wir eine Schenkung unserer gesamten Lebenswelt machen. Als Teilnehmer sind wir willens, alles und jedes zu geben, um Eingang in das Kalachakra-System zu erlangen, damit wir durch seine Techniken die Erleuchtung erreichen können und fähig werden, jedermann so schnell wie möglich umfassendst zu helfen. Wenn wir ein Beobachter sind, können wir ebenfalls ein Mandala darbringen mit der Bitte, fähig zu sein, durch das Beiwohnen Inspiration zu erhalten, um den Weltfrieden zu fördern.
Transformierung unseres Selbstbildes durch die innere Ermächtigung
Unser Lehrer Kalachakra gibt als nächstes Anweisungen, wie man die richtige Motivation erzeugt, und überträgt dann eine innere Initiation, um unsere Erscheinung und Einstellung zu uns selbst und zu dem, was stattfinden wird, zu transformieren. Da Kalachakras symbolische Welt kein gewöhnlicher Ort ist, können wir sie auch nicht in unserer üblichen Gestalt betreten. Bevor wir in den Operationssaal gehen, ziehen wir uns einen antiseptischen Mantel an und sind besonders vorsichtig damit, uns selbst sauber zu halten. Auf ähnliche Weise transformieren wir als Teil der Vorbereitungszeremonie für das Betreten des Mandalas unsere Erscheinung in eine Gestalt, die von Verwirrung abgetrennt ist, und wir nehmen ein Gefühl von Reinheit an und erhalten es aufrecht. Dies tun wir, indem wir uns vorstellen, als spirituelles Kind unseres Lehrers Kalachakra in einer vereinfachten Form wiedergeboren zu sein, die ihn darstellt und die als Grundlage dafür dient, zur Reife heranzuwachsen. Ob wir nun vorhaben, voll an der folgenden Ermächtigung teilzunehmen oder einfach als ein Beobachter beizuwohnen, jedenfalls fördert es eine Atmosphäre, in der alle Brüder und Schwestern sind, wenn wir uns alle vorstellen, uns in dieser Weise zu transformieren. Ähnlich wie damals, als die Bewohner von Shambhala im Kalachakra-Mandala zusammenkamen, trägt diese Geisteshaltung zum Weltfrieden bei.
Die Grundlage für jede Selbsttransformation während einer Ermächtigung oder nachfolgenden Praxis ist die Leerheit. Das Gewahrsein der Leerheit zieht den Geist von der üblichen Weise ab, in der er gewöhnliche Erscheinungen unserer selbst und Gefühle von Stolz oder Identifikation mit diesen Erscheinungen auftreten lässt. In diesem Zustand richten wir uns auf die Abwesendheit davon aus, dass irgendjemand fest und konkret "da draußen" existiert, der zu unserem projizierten Bild von uns selbst korrespondiert, inhärent als dieses oder jenes von seiner oder ihrer Seite aus existierend. Wenn zum Beispiel unser Geist uns für gewöhnlich als fett, hässlich und der Liebe und des Glücks unwert uns selbst gegenüber erscheinen lässt und wir das Gefühl haben, dass dies ist, wer wir wirklich sind, dann richten wir uns auf die völlige Abwesendheit irgendeiner Art von Monster aus, das zu unserer paranoiden, aus niedrigem Selbstwertgefühl geborenen Vision korrespondiert. Eine solche Person gibt es nicht. Niemand existiert auf diese phantasierte und unmögliche Art und Weise. Wenn wir inhärent auf diese Weise existieren würden, von unserer eigenen Seite her, dann müssten uns alle in dieser Art empfinden, auch die uns Nahestehenden. Dem ist nicht so.
Wie wenn wir unseren Computer neu hochfahren, ziehen wir unseren Geist von seinem eingewöhnten Programm ab, das uns soviel Qual und Schmerz bringt, und laden dann unser grundlegendes Betriebssystem neu, nämlich die reine Erscheinung und das Identitätsgefühl eines Kalachakra. Im Kontext der Initiation repräsentiert die Erscheinung und das Gefühl, das unser Geist von uns selbst als einem Kalachakra erzeugt, die Fassungskraft unseres Geistes des klaren Lichts, als Behälter für die Entwicklung und die gleichzeitige Nutzung aller positiven Eigenschaften zu dienen. Der Geist des klaren Lichts kann in dieser Weise funktionieren auf der Grundlage, dass er leer ist bzw. gereinigt von allen Fehlern und Befleckungen. Wenn wir als aktiver Teilnehmer beiwohnen, dann stellen wir uns vor, wie dieser Behälter durch die Stufen des Rituals hindurch von flüchtigen Unreinheiten geleert wird und mit Samen bepflanzt wird, damit wir diese Eigenschaften durch die Meditationspraxis des Kalachakra heranwachsen lassen können. Wenn wir als interessierter Beobachter zuschauen, dann können wir am meisten Nutzen ziehen, wenn wir ebenfalls unseren Geist während des Ablaufs auf ähnliche Weise neu einstellen. Wir stellen unser übliches Selbstbild mit all seinen dazugehörigen Sorgen und Ängsten ab und erzeugen stattdessen eine Sicht von uns selbst als einem Kalachakra. Dies tun wir auf der Grundlage, dass unser Geist des klaren Lichts ein Behälter für positive Eindrücke ist, die wir erhalten haben, während wir der Ermächtigung zusahen, um uns für die zukünftige spirituelle Entwicklung zu inspirieren. Obwohl wir später nicht in die Meditationspraxis des Kalachakra einsteigen, hat es große Vorteile für uns, wenn wir uns daran erinnern, unser Selbstbild auf diese Weise neu einzustellen, wann immer ein furchtbarer Geisteszustand auftritt.
Während der inneren Ermächtigung stellen wir uns vor, wie wir uns zum Geist des klaren Lichts zurückziehen, und erzeugen uns selbst, während wir an die Leerheit denken, in der Form eines spirituellen Kindes unseres Lehrers Kalachakra, also eines spirituellen Kindes des Geistes des klaren Lichts. Wir führen diese Prozedur durch, indem wir uns den Wiedergeburtsprozess vorstellen, wie er in den buddhistischen Systemen beschrieben wird. Zuerst treten wir in den Mund unseres Lehrers Kalachakra ein, so wie das Bewusstsein eines Bardo-Wesens in den Mund des Vaters eintritt oder der Geist eines Meditierenden in den Mund eines Zustands von glückseligem Gewahrsein eintritt. Wir schmelzen und fließen in der Form eines weißen Bodhichittatropfens durch das Zentrum des Vaters hindurch, so wie der Geist eines Meditierenden an den Chakras im zentralen Energiekanal vorbei nach unten geht und durch Gewahrseinsebenen hindurch fortschreitet, die zunehmend glückseliger und subtiler werden. Durch das Organ des Vaters treten wir dann in den Schoß der Mutter Vishvamata ein, so wie der Geist des Meditierenden in das klare Licht eintritt. Der Geist des klaren Lichts ist der "Mutterschoß für die Erleuchtung", ein Synonym für den herausragenden Aspekt der Buddha-Natur. In diesem Schoß richten wir uns auf die Leerheit aus und entstehen in einer einfacheren Form unseres Vaters, der Buddha-Form Kalachakra, so wie beim Erstehen des Meditierenden als eine leere Form von Kalachakra im Kontext des glückseligen Klaren-Licht-Gewahrseins der Leerheit. Wir haben ein Gesicht, zwei Arme und zwei Beine und stehen aufrecht. Unser Kopf, die Arme und der Rumpf sind dunkelblau, unser rechtes Bein ist rot und unser linkes Bein weiß. Als Gedächtnisstütze zur Erinnerung der Farben unserer Beine können wir daran denken, dass die Worte "rechts" und "rot" beide mit dem Buchstaben "r" beginnen.
Das Thema des Geschlechts in der Visualisation
Obwohl Kalachakra eine männliche Gestalt ist, müssen sich Frauen bei der Visualisation als diese Buddha-Form nicht unwohl fühlen. Die männliche Form hat in diesem Kontext nichts mit der gewöhnlichen Empfindung von Männlichkeit zu tun und impliziert auch nicht, dass an der weiblichen Gestalt irgendetwas minderwertig wäre. Der Geist des klaren Lichts als der Grundlage, die sich von einem Leben zum nächsten fortsetzt und die der Behälter ist für die Entwicklung aller guten Eigenschaften, ist weder inhärent männlich noch inhärent weiblich. Im anfangslosen Zyklus der Wiedergeburten ist niemand ausschließlich das eine oder das andere gewesen. Buddha-Formen sind jenseits der Begrenzung irgendeiner Geschlechterrolle. Da der Geist des klaren Lichts jedoch ein Behälter für das glückselige Gewahrsein ist, ist es unpassend, uns selbst als eine Art neutrale Plastikpuppe vorzustellen. Wenn wir eine Erscheinung des Geistes des klaren Lichts in der Form einer Gestalt erzeugen, die einen Menschen darstellt, dann beziehen wir daher auch Sexualorgane mit ein. Wenn wir uns als eine einzelne Gestalt erzeugen, müssen diese Organe entweder männlich oder weiblich sein und nicht etwa beides. Einige der Systeme des Anuttarayoga-Tantra, zum Beispiel Vajrayogini, benutzen die weibliche Form. Andere, wie zum Beispiel Kalachakra, benutzen die männliche. Der Stolz im Sinne eines Identitätsgefühls, den wir in beiden Fällen aufrechterhalten, ist der Stolz aufgrund dessen, dass wir Geist des klaren Lichts sind als ein Behälter, in dem wir die Samen für die Erleuchtung heranziehen können, und nicht aufgrund dessen, dass wir maskulin oder feminin sind.
Abschließende Handlungen und die Bedeutung des Erhalts der inneren Ermächtigung
Als nächstes lädt unser Lehrer Kalachakra alle männlichen und weiblichen Buddha-Formen ein, die in der gleichen Weise wie wir gerade zuvor in seinen Mund eintreten und durch ihn hindurch in den Schoß der Mutter gehen und uns dort Ermächtigung übertragen. Diese Prozedur ermächtigt uns dazu, ein Behälter für das Kommende zu sein, ähnlich wie die Erinnerung an die Buddhas einen Meditierenden, während er als leere Form erscheint mit dem glückseligen Klaren-Licht-Gewahrsein der Leerheit, dazu ermächtigt und inspiriert, die Buddhaschaft zu erlangen. Derart als einfacher Kalachakra im Schoß der Mutter erstanden, erinnern wir uns, indem wir an die Buddhas denken, daran, dass wir uns in einen Behälter für das Samenpflanzen umgewandelt haben, einen Behälter für die Verstärkung der Potentiale der Buddha-Natur unseres Geistes des klaren Lichts. Nun werden wir als spirituelles Kind unseres Lehrers Kalachakra und des Geistes des klaren Lichts aus dem Schoß geboren. Wir treten aus unserer Mutter hervor und kehren zur schwarzen, östlichen Vorhalle außerhalb des Palastes zurück.
Der allerwichtigste Punkt bei dieser inneren Ermächtigung liegt darin, zu fühlen, dass wir nun tatsächlich ein spirituelles Kind unseres Lehrers Kalachakra geworden sind. Wir müssen stark und tief empfinden, dass wir nun eine starke Verbindung mit Kalachakra aufgebaut haben, sowohl in Form des jeweiligen Lehrers, der die Ermächtigung überträgt, als auch auf der tiefsten Ebene in Form des Geistes des klaren Lichts als unserer Buddha-Natur. Obwohl technisch gesprochen nur die aktiven Teilnehmer dank ihres Nehmens der tantrischen Gelübde im Verlauf der Initiationszeremonie Vajrabrüder und -Schwestern werden, kommen an diesem Punkt sowohl die Teilnehmer wie auch die Beobachter in eine Kaste zusammen. Der tibetische Begriff für Kaste wird auch für Eigenschaft der Buddhafamilie benutzt und wenn alle Eigenschaften der Familien zu einer einzigen vereinigt werden, dann ist diese einzelne Eigenschaft der Geist des klaren Lichts. Dementsprechend vergessen wir wie die Leute von Shambhala unsere belanglosen Unterschiede und kehren alle zu unserer gemeinsamen Grundlage zurück, dem Potential und der Eigenschaft unseres Geistes des klaren Lichts, als Behälter für spirituelles Wachstum und spirituelle Verwirklichungen fungieren zu können. Wir mögen uns dazu entscheiden, den Kurs der Kalachakra-Praxis weiterzuverfolgen oder einem anderen religiösen oder spirituellen Pfad zu folgen. Indem wir uns jedoch erneut klar machen, dass wir alle auf der selben Grundlage fortschreiten, versichern wir uns und allen anderen, dass unsere spirituellen Programme kompatibel sind. Wir können in Frieden und Harmonie kommunizieren, kooperieren und miteinander arbeiten. Wenn wir dem Ablauf mit diesem starken, tiefen Gefühl folgen, dann ist es fast nicht wichtig, ob wir uns vorstellen, dass unser Körper blau ist, unser rechtes Bein rot und unser linkes Bein weiß. Uns selbst lediglich in dieser Form zu visualisieren, ohne dieses Gefühl, ist eine vergleichsweise triviale Erfahrung.
Das Nehmen von Gelübden und die Transformation der Elemente unseres Körpers
Nach dem Erhalt der inneren Ermächtigung ersuchen wir, wenn wir ein aktiver Teilnehmer sind, um sichere Ausrichtung, die Übungen der zugesicherten Stufe des anstrebenden Bodhichittas und die Bodhisattva-Gelübde. Wenn wir ein interessierter Beobachter sind, der von diesen das erste, die ersten beiden oder alle drei erhalten möchte, dann stellen wir das gleiche Ersuchen. Nachdem unser Lehrer Kalachakra die geeignete Stimmung für das Nehmen dieser Gelübde erzeugt, indem er den tantrischen Kontext der Zuflucht und des Bodhisattvapfades erklärt, überträgt er diese auf uns, während wir einen kurzen Vers dreimal wiederholen. Obwohl die Ermächtigungstexte darlegen, dass das Ersuchen und die Übertagung der tantrischen Gelübde sich als nächstes anschließen, ist es Brauch, dies auf den nächsten Tag zu verschieben, den Tag der eigentlichen Ermächtigung.
Der nächste Schritt der Vorbereitungszeremonie besteht darin, die untrennbare Methode und Weisheit der Schüler zu schützen, indem ihre sechs Elemente in die Natur der sechs weiblichen Buddhas umgewandelt werden. Wenn der verwirrte Geist ein gewöhnliches Selbstbild auftreten lässt, dann projiziert er eine Erscheinung davon auf die Grundlage des Geistes selbst und der Atome des Körpers. Indem wir uns mit diesem Selbstbild identifizieren, fühlen wir, dass es dies ist, was wir inhärent sind: Fett, hässlich und der Liebe oder des Glücks unwert. Dies ist eine unzutreffende bzw. "duale" Erscheinung. Sie stimmt nicht mit der Realität überein.
Um ein offener Behälter für die kommenden Ermächtigungen zu bleiben, müssen wir uns von dieser destruktiven Gewohnheit reinigen. Wenn sich unser Geist nicht länger auf die gewöhnlichen Elemente Erde, Wasser, Feuer, Wind, Raum und Bewusstsein ausrichtet, die unseren Körper und Geist zustandebringen, dann wird seine Tendenz, auf sie die unzutreffende Erscheinung eines gewöhnlichen Selbstbildes zu projizieren, erheblich verringert. Es ist dann leichter, die Konzentration auf untrennbare Methode und Weisheit aufrechtzuerhalten, also auf das glückselige Gewahrsein, das untrennbar als ein unterscheidendes Gewahrsein der Leerheit funktioniert. Daher transformieren wir unsere gewöhnlichen Elemente als Hilfestellung dafür, diese Konzentration zu schützen, damit unser Geist nicht erneut sein Erzeugen von unzutreffenden Erscheinungen aufnimmt.
Wenn wir an den sechs Hauptchakras unseres zentralen Energiekanals alle Energiewinde auflösen, die unserem Geist die Kraft zur Verfügung stellen, unzutreffende Erscheinungen zu erschaffen, dann verfeinern wir unser glückseliges Gewahrsein der Leerheit und bringen es auf die Ebene des Geistes des klaren Lichts. Glückseliges Klares-Licht-Gewahrsein der Leerheit lässt reine, nicht-unzutreffende Erscheinungen auftreten, die aus leeren Formen bestehen, also Formen, die leer davon sind, auf gewöhnlichen Atomen zu basieren. Die weiblichen Buddhas repräsentieren diese leeren Formen. Um diese yogische Transformation der Grundlage, auf der wir unser Erzeugen von Erscheinungen basieren lassen, zu symbolisieren, visualisieren wir die sechs Chakras in der Form von Scheiben und Keimsilben in der zu den sechs Elementen und den entsprechenden weiblichen Buddhas passenden Farbe. Diese Scheiben und Keimsilben repräsentieren die Ersetzung der Elemente durch die weiblichen Buddhas. Sie an den sechs Chakras zu visualisieren hilft, letztendlich die Energiewinde dorthin zu ziehen.
Da Abwandlungen dieser Visualisation in der Kalachakra-Initiation und in der nachfolgenden Sadhana-Praxis erneut auftreten, ist es hilfreich, eine Gedächtnisstütze zu erzeugen, damit man sich an die Farben, Elemente und Orte erinnert. Die subtilen Tropfen des Körpers, der Rede, des Geistes und des tiefen Gewahrseins befinden sich ihrer Reihenfolge nach an der Stirn, der Kehle, dem Herzen und dem Nabel und sind weiß, rot, schwarz und gelb. Da Wasser weiß ist, wie beim Schnee, befindet es sich an der Stirn, genau wie der Tropfen des Körpers. Feuer ist rot und befindet sich an der Kehle. Wind ist schwarz, wie bei einer Sturmwolke, und befindet sich am Herzen. Erde hingegen ist gelb und befindet sich am Nabel. Gelegentlich sind die Positionen von Wasser und Wind ausgetauscht, dann sind die Elemente entsprechend ihrer Grobheit angeordnet: Wind, Feuer, Wasser und Erde von der Stirn zum Nabel. Das Element Raum ist grün, was an Blätter über uns erinnert, und befindet sich in jeder Anordnung an der Kopfkrone. Bewusstsein ist hingegen blau, wie die Tiefe eines tiefen Ozeans des Gewahrseins, und befindet sich in der Schamgegend. In ähnlicher Weise sind die Gestalten im Mandalapalast, die Raum repräsentieren, grün und befinden sich oben auf dem Gebäude, während diejenigen, die tiefes Gewahrsein repräsentieren, blau sind und unter der Struktur. Auch wenn wir nicht alle diese Farben und Details visualisieren können, ist es wichtig, zu fühlen, dass wir eine reine Grundlage für das Schützen unseres Selbstbildes als Kalachakra besitzen und dass wir die unreine Grundlage getilgt haben, nämlich verwirrende Atome, die ein Fundament dafür dargestellt hätten, dass wir unser negatives Selbstbild wiederaufnehmen.
Auch für einen Beobachter ist es hilfreich, an dieser Stelle über sein gewöhnliches Selbstbild nachzudenken und darüber, wie wir glauben, dass es das ist, was wir unveränderlich sind. Obwohl wir unser Selbstbild auf die Elemente unseres Körpers und Geistes projizieren, ist dieses Bild nicht mit jenen Elementen identisch und auch wir sind nicht identisch mit diesem Bild. Unser Körper ist alt, aber wir denken, dass wir jung sind. Auf diese Weise können wir damit anfangen, unser Selbstbild abzubauen und unseren instinktiven Glauben, dass es das ist, was wir wirklich sind.
Reinigung von Körper, Rede und Geist und Feststellung zukünftiger Verwirklichungen
Der nächste Schritt der Vorbereitungszeremonie besteht in der Umwandlung und Erhebung von Körper, Rede und Geist des Schülers. Dies vollführen wir, indem wir eine weiße Scheibe und Silbe an der Stirn, eine rote an der Kehle und eine schwarze am Herzen visualisieren, also an den Orten der subtilen Tropfen von Körper, Rede und Geist. Der Sinn davon ist ähnlich dem des vorhergehenden Schritts: Es ist eine Hilfestellung, damit unser Geist davon abgehalten wird, unzutreffende, gewöhnliche Erscheinungen zu projizieren während er wach ist, träumt oder sich im traumlosen Schlaf befindet. Da wir in der Nacht zwischen dieser Zeremonie und der eigentlichen Ermächtigung unsere Träume untersuchen werden, benötigen wir diesen Schritt zur Vorbereitung. Variationen dieses Themas Reinigung von Körper, Rede und Geist kommen während der Initiation und Sadhana-Praxis immer wieder vor.
Die Hauptschüler der Ermächtigung sowie ein Repräsentant für den Rest der Anwesenden stehen nun auf und gehen zum Thron des Lehrers. Sie halten einen Zweig des Neembaumes senkrecht zwischen ihren Händen und lassen ihn auf eine Tafel fallen, während sie ein Mantra rezitieren, und kehren dann zu ihren Plätzen zurück. Neemzweige sind die traditionellen Zahnbürsten Indiens und symbolisieren Reinigung. Die Tafel beinhaltet die Zeichnung eines vereinfachten Mandalas mit einem zentralen Bereich und vier Seiten. Die Richtung der Sektion, in die der Zweig fällt, weist auf eine von fünf tatsächlichen Verwirklichungen, die durch die Kalachakra-Praxis zu erlangen für den Schüler am leichtesten ist. Diese fünf Verwirklichungen sind die Befriedung von Störeinflüssen, die Stimulierung des Wachstums der guten Eigenschaften anderer, die Ausübung eines machtvollen positiven Einflusses, das kraftvolle Beendigen von gefährlichen Situationen und das Erreichen der höchsten Verwirklichung, der Erleuchtung.
Als nächstes gießt der blaue Karmavajra, der emanierte Assistent unseres Lehrers Kalachakra, Wasser aus einer Vase in unsere Hände, die wir wie eine Tasse geformt haben. Zuerst nehmen wir einen kleinen Teil davon, um unseren Mund zu spülen, und spucken ihn dann aus. Den Rest trinken wir in drei Schlückchen, um unseren Körper, unsere Rede und unseren Geist zu reinigen. Wasser wird auch während der Ritualabläufe der folgenden Tage in dieser Weise verteilt. Als Beobachter können wir das Wasser ebenfalls annehmen und trinken. Die Vorstellung, dass es die Negativitäten und Hindernisse aus unserem Körper, unserer Rede und unserem Geist fortspült, ist für jedermann zuträglich.
Erhalt von Materialien für die Erforschung unserer Träume
Karmavajra verteilt auch Kusha-Grasrispen. An diesem Abend legen wir die lange Rispe unter unsere Matratze, parallel zu unserem Körper, die Spitzen Richtung unseres Kopfes. Die kurze legen wir unter unser Kopfkissen, senkrecht zur langen. Die Spitzen zeigen von unserem Gesicht weg, wobei wir auf unserer rechten Seite schlafen, der Weise, in der es der Buddha immer tat. In Indien binden die Leute traditionell Rispen dieses Grases zu einem Besen zusammen. Auf diesen Rispen zu schlafen, kehrt symbolisch die Unreinheiten aus dem Geist, sodass unsere Träume in dieser Nacht besonders klar sind. Wir erforschen unsere Träume, die wir zur Zeit des Tagesanbruchs haben, als Hinweis darauf, welchen Erfolg wir mit der Kalachakra-Praxis haben werden. Für einen Beobachter entsteht kein Schaden, wenn er ebenfalls das Gras annimmt und seine Träume erforscht. Das mag ganz lustig sein, aber diese Träume haben keine besondere spirituelle Bedeutung. Egal, ob wir ein Teilnehmer oder ein Beobachter sind, jedenfalls ist es Brauch, die Rispen am nächsten Tag respektvoll zu verbrennen oder sie unter Büsche zu legen.
Schließlich verteilt Karmavajra noch rote Schutzbänder, die man sich um einen der beiden Oberarme bindet. Das Band deutet auf Maitreya hin in zwei Bedeutungen: Wir tragen es, bis entweder Maitreya kommt, der zukünftige Buddha, oder wir reines Maitri bzw. reine Liebe für alle Wesen entwickelt haben. Da von Maitreya vorhergesagt ist, dass er erst in mehreren Millionen Jahren ankommt, und da es noch sehr lange dauern mag, bis wir vollkommen reine Liebe entwickelt haben, tragen wir das Band nur für eine begrenzte Zeit, gewöhnlich für die Zeit der Initiation, und zwar als Erinnerung daran, allen Wesen zu wünschen, dass sie glücklich sein und die Ursachen des Glücks besitzen mögen. Später kann es sein, dass wir unnötig Aufmerksamkeit auf uns ziehen und endlose Fragen beantworten müssen, wenn wir ein vom Wetter ausgelaugtes rotes Band an unserem Arm aufweisen. Um dies zu vermeiden, können wir die Schnur in unserer Brieftasche oder unserer Geldbörse bei uns tragen, wenn wir sie behalten wollen, damit es uns immer daran erinnert, liebevoll zu sein. Ansonsten verbrennen wir das Band entweder oder hängen es an einen Baum. Wenn wir es als Beobachter hilfreich finden, ein Band an unserem Arm zur Erinnerung daran festzubinden, unsere Nächsten zu lieben, dann sollten wir das auf alle Fälle tun. Wenn im Westen einige Leute einen Faden um den Finger binden, damit sie eine Verabredung nicht vergessen, dann können wir mit Sicherheit ein Bändchen um unseren Arm binden, damit er uns dabei hilft, die Liebe gegenwärtig zu halten.
Ein weiteres Mal stellen wir uns Keimsilben an den Orten der sechs Hauptchakras in unserem zentralen Energiekanal vor. Die sechs männlichen Buddhas im Mandala emanieren Repliken ihrer selbst, die in diese Silben hineingehen und sich auflösen. Wir wiederholen dann ein langes Mantra, um Vajrasattva herbeizurufen und unseren Körper, unsere Rede und unseren Geist zu erheben. Unser Lehrer Kalachakra rezitiert dann einige Verse, um uns zu inspirieren und mit Freude zu erfüllen anlässlich unserer seltenen und kostbaren Gelegenheit, in den tantrischen Pfad einzutreten. Anschließend gibt er uns das Mantra OM AH HUM HOH HAM KSHAH – die sechs Silben, die wir uns gerade auf unserem Körper vorgestellt haben -, das wir nach ihm wiederholen. Im Tibetischen wird das Mantra "om ah hung ho hankya" ausgesprochen. Er weist uns an, diese Mantra diese Nacht vor dem Schlafengehen eine kurze Zeit lang zu rezitieren und unsere Träume während des Erwachens zu erforschen. Als Beobachter können wir das Mantra ebenfalls rezitieren wann immer wir das Gefühl haben, dass es notwendig ist, unseren Geist vor verstörenden Gedanken zu schützen. Damit endet die Vorbereitungszeremonie.
Allgemeiner Hinweis
Es ist schwierig, während einer Initiation alles zu verstehen und allem folgen zu können. Daher brauchen wir uns nicht aufzuregen, wenn wir perplex werden oder uns verlieren. Fast niemand kann all die Visualisationen vollkommen durchführen. Ernsthafte Praktizierende eines beliebigen tantrischen Systems erhalten die Ermächtigung wiederholt. Je vertrauter wir mit dem Ritual werden, desto vollständiger sind wir fähig, an all seinen Visualisationen teilzunehmen. Wir tun unser Bestes und folgen auf unserer eigenen Stufe, ohne dass wir uns irgendwie aufregen oder uns als unzureichend empfinden.
Mein später Lehrer Tsenshap Serkong Rinpoche gab eine äußerst nützliche Richtlinie für die Praxis tantrischer Visualisation. Ermächtigungen, Sadhanas, Pujas und andere tantrische Prozeduren sind wie ein Film: Jedes Einzelbild und jede Szene des Films läuft nur zu einer bestimmten Zeit. Dann geht sie vorbei und die nächste Szene erscheint. Wir versuchen nicht, alle Einzelbilder des Films aufeinanderzulegen und sie alle zur gleichen Zeit zu zeigen. In ähnlicher Weise erhalten wir die Visualisation der verschiedenen Buddha-Formen, Scheiben, Silben und so weiter an den verschiedenen Teilen unseres Körpers nur für den kurzen Moment jenes Schritts der Ermächtigung aufrecht, die uns dazu aufruft. Wenn die Szene wechselt und der Film weiter geht, dann lassen wir diese Visualisation fallen und schreiten zur nächsten fort. Wenn wir eine Szene verpasst haben oder nicht mitkommen, dann vergessen wir sie einfach und regen uns nicht auf. Wir gehen weiter zur nächsten Szene. Sonst verheddert sich der Film im Projektor und kann überhaupt nicht gezeigt werden. Das ist auch ein hilfreicher Hinweis für unser ganzes Leben. Das Leben läuft ruhiger und einfacher, wenn wir seine Szenen wie in einem Film ablaufen lassen und sie nicht mit Schuldgefühlen oder gegenseitigen Beschuldigungen festhalten.