Was ist Chakrasamvara-Praxis?

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Einführung

Ich bin gebeten worden, heute Abend über das Chakrasamvara-System des Anuttarayoga-Tantra, der höchsten Klasse tantrischer Praxis, zu sprechen. Ich bin zwar keineswegs ein versierter Praktizierender dieses Systems, aber ich habe einige Unterweisungen dazu von meinen Lehrern erhalten. Was ich hier darstellen möchte, basiert auf einem Vortrag von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama über Tsongkhapas Kommentar zur Kurzfassung des Chakrasamvara-Tantras, der den Titel „Die vollständige Erläuterung der verborgenen Bedeutungen“ (tib. sBas-don kun-gsal)  trägt, sowie auf einem Vortrag von einem der Lehrer Seiner Heiligkeit, nämlich Tsenshap Serkong Rinpoche, über „Die Erzeugungsstufe in der Luipa-Überlieferung des Chakrasamvara“ (tib. Grub-chen Lu-i pa’i lugs-kyi dpal ‘khor-lo sdom pa’i bskyed-rim he-ru-ka’i zhal-lung), einen Text, der von dem großen tibetischen Meister namens Akhu Sherab Gyatso (A-khu Shes-rab rgya-mtsho) verfasst wurde. Was ich hier erkläre, beruht also auf dieser Grundlage.

Warum ist es sinnvoll, Tantra zu praktizieren?

Wenn wir etwas über Tantra lernen wollen, ist es immer sehr wichtig zu untersuchen, warum. Warum wollen wir mehr darüber wissen? Warum wollen wir es praktizieren? Und wie wir bereits besprochen haben, als wir unsere Motivation für diesen Vortrag ausgerichtet haben, ist es wichtig, dass Mitgefühl der Hauptgrund dafür ist – unsere tiefe Betroffenheit hinsichtlich anderer – sowie unser überaus starker, von Bodhichitta getragener Wunsch, nicht nur bessere Wiedergeburten, sondern darüber hinaus Befreiung von zwanghaft auftretender Wiedergeburt und sogar den erleuchteten Zustand eines Buddhas zu erreichen, um anderen so viel wie möglich dabei helfen zu können, ebenfalls Befreiung und Erleuchtung zu erlangen.

Und unser Mitgefühl, unsere Betroffenheit hinsichtlich anderer, ist so stark, dass wir dies auf höchst effiziente Weise tun wollen. Das heißt, wir sind nicht etwa in dem Sinne von Ungeduld getrieben, dass wir etwas schnell und leicht haben wollen, weil wir faul sind, sondern egal, wie schwierig die effizienteste Methode sein mag, wir wollen sie anwenden, damit wir so schnell wie möglich Erleuchtung erreichen und dadurch anderen am besten nutzen können, und wir sind dabei voller Enthusiasmus, mit einer Ausdauer, die, wie es heißt, einer Rüstung gleicht, um die enormen Schwierigkeiten durchzustehen, die mit dieser Praxis des höchsten Yogas verbunden sind. Wir beschönigen sie Schwierigkeiten nicht und wir haben nicht die falsche Vorstellung, dass es sich um eine einfache Methode handelt, aber wir sind bereit, sie anzuwenden, um anderen zu helfen. Das ist überaus wichtig. Mit einer realistischen Einstellung gegenüber Tantra, und um uns wirklich darauf einlassen zu können, brauchen wir außer den Grundlagen des Buddhismus – den Geisteszuständen, die Tsongkhapa „die drei Hauptaspekte des Pfades“ nennt (Entsagung, Bodhichitta und korrektes Verständnis der Leerheit) – dann zusätzlich auch die feste Überzeugung vom tantrischen Pfad allgemein und im Speziellen vom Pfad des Anuttarayoga-Tantras.

[Siehe: Die drei Hauptaspekte des Pfades]

Die Überzeugung spielt eine wichtige Rolle. Das heißt, dass wir nicht nur verstehen müssen, wie Tantra funktioniert, auf welche Weise es zur Erleuchtung führt, sondern auch überzeugt sein müssen, dass es funktionieren wird, und außerdem, dass wir imstande sind, dem Pfad tatsächlich zum Ziel, der Erleuchtung, zu folgen. Wozu machen wir sonst eine solche Praxis? Wenn wir etwas praktizieren, was wir nicht verstehen, von dem wir nicht wissen, wie es funktioniert, und nicht überzeugt sind, wohin es uns führt, wird die Praxis kaum Kraft haben, nicht wahr?

Nun könnte man einen Einwand vorbringen. Das entspricht der buddhistischen Vorgehensweise – und nicht nur der buddhistischen, auch der indischen –: nämlich den Gesichtspunkt eines Einwands darstellen, also die andere Seite einer Angelegenheit, und dann auf diesen Einwand eine Erwiderung zu geben. Also: Hat denn der Buddha nicht auch gesagt, dass wir, wenn wir von einem Pfeil getroffen werden, nicht erst zu fragen brauchen: „Wer hat den Pfeil abgeschossen?“, „Woraus besteht denn der Pfeil“, „Auf welche Weise wird er mich töten?“ usw., sondern einfach den Pfeil herausziehen wollen? Warum also müssen wir denn von der Praxis viel verstehen? Sollten wir sie nicht einfach anwenden und dabei auf unsere Lehrer vertrauen?

Für manche Praktizierende mag das zwar angebracht sein, aber Buddha lehrte unterschiedliche Vorgehensweisen, und man kann diese beiden Ansätze durchaus miteinander verbinden – wir können anfangen, uns auf Tantra einzulassen, doch um wirklich eine feste Grundlage zu schaffen, ist es wichtig zu verstehen, was wir da machen, und von der Wirkungsweise überzeugt zu sein.

Ich nehme an, viele von euch haben an solchen Initiationen, solchen Ermächtigungen, einfach aufgrund von Vertrauen teilgenommen. „Mein spiritueller Lehrer hat gesagt, dass das eine gute Sache ist und Seine Heiligkeit der Dalai Lama gibt diese Initiation – also lasst uns da hingehen und teilnehmen!“, ohne sich wirklich darüber im Klaren zu sein, worauf man sich da einlässt. Das ist der erste Ansatz – einfach den Pfeil herausziehen. Aber jetzt, nachdem wir damit gewissermaßen angefangen haben, schauen wir uns die Texte an, und da heißt es, dass der Lehrer am Anfang, vor der eigentlichen Einweihung, als Teil der Zeremonie erst einmal den tantrischen Pfad erklärt, damit die Schüler die Überzeugung von diesem Weg gewinnen. Das gehört zum Ritual. Es braucht nicht allzu lange zu dauern – wir brauchen nicht so lange zu warten, bis wir an dem Pfeil gestorben sind, während wir eine lange Erklärung dazu hören – es geht vielmehr um eine Verbindung der beiden Ansätze? Jetzt, wo wir die Ermächtigung erhalten haben, und um die Praxis tatsächlich mit Überzeugung auszuüben, ist es sehr hilfreich zu wissen, wie sie eigentlich funktioniert.

Wozu brauchen wir Chakrasamvara?

Als Nächstes stellt sich die Frage: Wozu brauchen wir noch eine weitere Gottheit? Gibt es nicht schon genug? Wozu brauchen wir Chakrasamvara? Das ist eine sehr berechtigte Frage. Es gibt ja schon so viele verschiedene Gottheiten-Praktiken; warum nun diese? Warum noch eine?

Dazu müssen wir die allgemeine Methode verstehen, die im Anuttarayoga-Tantra angewendet wird. Wenn wir all die verschiedenen Aspekte kennen, die auf dem Pfad eine Rolle spielen, merken wir, dass das eine sehr komplexe und ziemlich komplizierte Angelegenheit ist. Und obwohl jedes der Tantras, jede der Gottheiten des Anuttarayoga-Tantras, ein Gesamtbild des Prozesses, des gesamten Pfades, vermittelt, enthalten sie jeweils zu einem bestimmten Aspekt mehr Einzelheiten als andere. Ich möchte zuerst das Gesamtbild vorstellen, und dann könnt ihr etwas besser verstehen, zu welchem Aspekt Chakrasamvara uns die ausführlichste Praxis bietet.

Wenn wir die Struktur des Lam-rim, der aufeinanderfolgenden Stufen des Pfades, betrachten, spielt das Thema Wiedergeburt eine zentrale Rolle (und in der Tat besteht das Kriterium, ob etwas als Dharma-Praxis gilt oder nicht, darin, ob wir dabei zukünftige Leben und Wiedergeburt mit im Sinn haben oder unser Interesse nur auf dieses Leben beschränkt ist):

  • Die anfängliche Stufe der Motivation besteht darin, dass wir weiterhin bessere Wiedergeburten erfahren wollen, genauer gesagt, kostbare Wiedergeburten als Mensch in all unseren künftigen Leben, damit wir unseren Weg der spirituellen Praxis fortsetzen können.
  • Aber dann erkennen wir: Jede Art von Wiedergeburt, sei sie besser oder schlechter, ist doch immer voller Probleme. Deswegen wollen wir Freiheit von zwanghaft auftretender Wiedergeburt überhaupt. Denn Samsara bedeutet: immer wieder zwanghaft auftretende Wiedergeburt. Davon wollen wir Befreiung erlangen.
  • Und auf der fortgeschrittenen Stufe wollen wir auch darüber noch hinausgehen und den erleuchteten Zustand eines Buddhas erlangen, damit wir allen anderen dabei helfen können, von solch zwanghaft auftretender Wiedergeburt loszukommen.

Auf der mittleren Stufe des Lam-rim folgt deshalb, nachdem all die verschiedenen Arten von Leiden und den Ursachen dafür (Karma, störende Emotionen usw.) beschrieben worden sind, eine allgemeine Darstellung des Prozesses von Tod, Bardo und Wiedergeburt und dann eine detaillierte Schilderung der zwölf Glieder des abhängigen Entstehens, welche den Mechanismus erklären, wie Wiedergeburt unter dem Einfluss von Karma und störenden Emotionen vonstattengeht. Mithilfe dieser zwölf Glieder lernen wir, dass die Grundursache all dessen unser mangelndes Gewahrsein ist (das wird oft als „Unwissenheit“ übersetzt). Und weil dieses Gefüge der zwölf Glieder eine Gemeinsamkeit des Hinayana- und des Mahayana-Systems ist, geht es dabei um das mangelnde Gewahrsein, wie Personen existieren – wie wir existieren und alle anderen auch. Doch der Mahayana-Standpunkt, genauer gesagt, der Standpunkt der Prasangika-Madhyamaka-Sichtweise, wie sie von Tsongkhapa in der Gelug-Tradition dargestellt wird, ist, dass die Wurzel dieser zwölf Glieder – nämlich das erste Glied, mangelndes Gewahrsein – das mangelnde Gewahrsein ist, wie sämtliche Phänomene existieren; das gilt sowohl für Personen als auch für alles andere.

Und was dann auf der fortgeschrittenen Stufe dazukommt, ist Bodhichitta als die geistige Kraft, welche die Leerheit eines unmöglichen „Selbst“ der Phänomene begreift, die unmögliche Art, wie alles existiert. Wir projizieren, wir hegen die Vorstellung, dass alles auf unmögliche Arten und Weisen existiert – dass etwas unabhängig von allem anderen in sich selbst begründet sei. Aber dafür gibt es in der Realität keine Entsprechung. Leerheit bedeutet also die völlige Abwesenheit einer tatsächlichen Entsprechung, irgendeines Dinges, das dem entspricht, was wir projizieren. Allmählich begreifen wir, dass alles in Abhängigkeit von Ursachen und Umständen entsteht und in Abhängigkeit davon, worauf sich unsere geistigen Zuschreibungen beziehen. Nun gut, das ist hier kein Vortrag über die Leerheit, aber das konnte ich nicht weglassen.

Wir wollen also einen Geisteszustand erlangen, der die Leerheit auf nicht-begriffliche Weise versteht, und zwar die Leerheit aller Phänomene, sodass wir im Grunde frei vom Auftreten jeglicher störenden Emotionen werden. (Sämtliche störenden Emotionen basieren auf jenem mangelnden Gewahrsein. Man denkt: „Ich existiere“ als etwas, das von dem da drüben getrennt ist, und da drüben existiert dieses lästige Etwas, das einfach von sich aus als lästige Angelegenheit existiert, und dann werde ich ärgerlich: „Das muss ich wegschaffen“.) Wenn wir aber nicht länger solche störenden Emotionen haben und nicht mehr nach unmöglichen Arten zu existieren greifen (der Fachbegriff dafür lautet: nach wahrhaft begründeter Existenz), gibt es nichts mehr, was die karmischen Tendenzen aktiviert. Und wenn es nichts gibt, was sie aktiviert, dann können diese karmischen Tendenzen zum Zeitpunkt des Todes oder kurz vorher nicht mehr aktiviert werden, und dann kann man nicht mehr sagen, wir hätten diese karmischen Tendenzen (sie existieren nur in Abhängigkeit davon, dass sie eine Wirkung hervorbringen können). Und dann ist man frei von zwanghaft auftretender Wiedergeburt. Doch um anderen helfen zu können, müssen wir in irgendeiner physischen Form auftreten, die Ihnen helfen kann, allerdings ohne die Einschränkungen jener Art von karmisch bedingtem Körper. Das ist eine wunderbare Sache – aber schwierig zu erreichen.

Wenn wir das auf die allgemeine Art des Sutra-Weges angehen und dann die nicht-begriffliche Wahrnehmung der Leerheit erlangen, und selbst wenn dieser die Kraft von Bodhichitta zugrunde liegt – und sogar wenn wir sie immer aufrechterhalten können –, so geschieht dies auf einer Ebene des Geistes, auf der störende Emotionen wieder auftreten können, und die, wenn man nicht gerade frei von Begrifflichkeit auf die Leerheit konzentriert ist, Erscheinungen von wahrhaft begründeter Existenz entstehen lässt oder projiziert. Mit anderen Worten, wir funktionieren immer noch auf der Ebene geistiger Aktivität, die Gefahren birgt, denn außer zu jenen Zeiten, in denen wir frei von Begrifflichkeit auf die Leerheit konzentriert sind, stiftet sie Unruhe und sorgt für Probleme.

So weit also die Sutra-Ebene. Und wenn man auf der Ebene des Geistes bleibt, auf der man immerzu auf die Leerheit konzentriert ist? Prima. Dann hat man diese Probleme nicht. Aber seien wir ehrlich – ziemlich oft sind wir nicht darauf konzentriert. Selbst wenn wir imstande sind, uns frei von Begrifflichkeit auf die Leerheit zu konzentrieren, sind wir doch nicht immerzu darauf konzentriert. Man muss eine riesige Menge weiterer Praktiken ausüben, um das die ganze Zeit beibehalten zu können. Das ist schwierig; nicht unmöglich, aber schwierig.

Es gibt jedoch eine subtilere Ebene des Geistes – besser gesagt, geistiger Aktivität –, die sogenannte subtilste Ebene. Manchmal wird sie die geistige Ebene des klaren Lichts genannt. Bitte denkt daran, wenn wir hier von „Geist“ reden, so ist darunter geistige Aktivität zu verstehen. Es geht hier nicht um irgendein Ding in uns, etwa wie ein Gehirn. Wir sprechen hier über eine Ebene geistiger Aktivität, die wesentlich subtiler ist als diejenige Ebene geistiger Aktivität, die ganz und gar von einem Gehirn abhängig ist. Es ist die allersubtilste Ebene. Sie gewährleistet die Kontinuität von Leben zu leben und setzt sich bis in den erleuchteten Zustand eines Buddhas hinein fort.

Diese Ebene des Geistes bringt keine Unruhe herovr. Sie ist äußerst subtil, subtiler als die geistige Ebene, die die Projektion jener unmöglichen Arten zu existieren entstehen lässt. Das ist auf dieser Ebene nicht der Fall. Sie ist auch mit keinerlei störenden Emotionen versehen. Und sie ist völlig frei von Begrifflichkeit. Das ist nicht so leicht zu verstehen. Dazu muss man wissen, was begriffliche Wahrnehmung bedeutet. Ganz kurz gesagt bedeutet es, etwas mithilfe von Kategorien wahrzunehmen. Wenn wir etwas durch Kategorien wahrnehmen, lässt das den Eindruck entstehen, dass alles in Schubladen existiert – in der Schublade „gut“, „schlecht“, „schön“, „hässlich“, „rot“, „gelb“, „orange“ usw. Aber natürlich existieren die Dinge in Wirklichkeit nicht in Schubladen mit festen Wänden, die sie von allem anderen trennen – das ist bloß der Eindruck, den wir durch Wörter, durch Sprache usw. bekommen. Die geistige Aktivität der Ebene des klaren Lichts ist subtiler als die Ebene, die mit Kategorien von etwas funktioniert.

Die Frage ist nun, wie wir Zugang zu dieser Ebene geistige Aktivität gewinnen. Denn mit dieser Art geistiger Aktivität ist die Erkenntnis der Leerheit erheblich wirksamer, weil sie dann ganz natürlich ohne Begrifflichkeit auftritt, und weil es sich um eine Ebene des Geistes handelt, die keine derartigen Probleme bereitet.

Zur Zeit des Todes haben wir zwar Zugang zu dieser Ebene des Geistes, aber sie geht nicht notwendigerweise mit einer Wahrnehmung oder Erkenntnis der Leerheit einher. Die Erscheinung, die hier auftaucht, ähnelt zwar der Erscheinung, welche bei der Wahrnehmung der Leerheit auftritt, aber das heißt notwendigerweise, dass die Wahrnehmung diese von selbst erkennt. Und sie ist nicht von Natur aus glückselig; so lautet jedenfalls die Erklärung in der Gelug-Tradition. Es geht hier um die Glückseligkeit der vollständigen Freiheit von störenden Emotionen und deren Tendenzen und Gewohnheiten. Das ist aber auf dieser Ebene nicht notwendigerweise der Fall. Man kann dieser Ebene zur Zeit des Todes immer noch die Tendenzen und Gewohnheiten zuschreiben; es ist lediglich so, dass diese zu dem Zeitpunkt nichts produzieren; sie sind nicht aktiv. Diese Ebenen geistiger Aktivität ist also nicht automatisch glückselig im Sinne immerwährender Freiheit von diesen Tendenzen und Gewohnheiten. Das ist die Erklärung in der Gelug-Tradition. In der Sakya-Tradition die Erklärung etwas anders, aber wir brauchen hier keine Varianten auszuführen.

Die Aufgabe, die Zielsetzung, warum wir Anuttarayoga-Tantra, die höchste Klasse des Tantra praktizieren, ist folgende. Wir wollen Zugang zu dieser geistigen Aktivität der Ebene des klaren Lichts gewinnen; wir wollen, dass sie die Erkenntnis der Leerheit hat – diese wird dann automatisch ohne Begrifflichkeit sein –, und wir wollen, dass sie glückselig ist. Das nennt man „untrennbare Leerheit und Glückseligkeit“. Davon ist in der Gelug-Tradition viel die Rede. Aber es ist nicht so einfach zu verstehen, was das bedeutet.

Wie gewinnen wir Zugang zur Ebene des klaren Lichts, ohne dass wir dazu sterben müssen? Es gibt zu Lebzeiten verschiedene Gelegenheiten, in denen wir etwas erleben, das ihr ein klein wenig ähnelt, nämlich zum Beispiel wenn wir niesen oder herzhaft gähnen oder einen Orgasmus haben. Denn in dem Moment unmittelbar vor dem Niesen oder Gähnen oder Orgasmus gibt es so etwas wie ein „Aaaaah“ – eine Art Einziehen von Energie. In dieser Mikrosekunde, in der die Energie nach innen gezogen wird, tritt etwas ähnliches – wenn auch nicht dasselbe – auf wie beim Geisteszustand des klaren Lichts. Aber leider findet in der nächsten Mikrosekunde eine Art Explosion nach außen statt und verliert sich. Es nützt also nichts, aber es kann uns einen kleinen Hinweis darauf geben, dass da eine subtilere Ebene vorhanden ist, wenn die Energie sich nach innen zieht.

Was wir also wollen, ist, die Energie nach innen ziehen zu können und das beizubehalten, ohne die anschließende Explosion nach außen. Im Grunde gibt es zwei Arten, das zu bewerkstelligen. Die eine besteht darin, die Energien, die sogenannten Energiewinde (tib. rlung) – Wind, Energie, Atem, das ist im Tibetischen alles das gleiche Wort – zu beeinflussen. Es geht hier um subtile Energie, die durch das subtile Energiesystem der Chakras und Kanäle fließt. Eine Methode ist also, diese in den zentralen Energiekanal zu lenken und so die geistige Aktivität dazu zu bringen, sich von den gröberen Energien als ihrer Basis zurückzuziehen. Das wird normalerweise „Auflösung“ genannt, aber das Wort „auflösen“ ruft oft eine falsche Vorstellung hervor. Die andere Methode besteht darin, so vorzugehen, dass man im zentralen Energiekanal zunehmende Ebenen glückseligen Gewahrseins erlebt, indem man ebenfalls bestimmte Faktoren im zentralen Kanal manipuliert. Beide Methoden führen zu demselben Punkt, an dem man dann die geistige Aktivität noch weiter nach innen zieht, sie von den sogenannten 80 subtilen konzeptuellen Ebenen (tib. kun-rtog brgyad-cu) zurückzieht und anschließend auch von den drei subtilsten konzeptuellen Ebenen (tib. snang-ba gsum) – also von insgesamt 83 –, sodass man schließlich zur geistigen Aktivität der Ebene des klaren Lichts gelangt. Das klingt zwar kompliziert, aber wir können doch die Zuversicht gewinnen, dass das alles klar aufgezeichnet und beschreiben ist, wie der Prozess abläuft.

In der Neuen Tantra-Überlieferung (tib. gSar-ma) – der Kagyü-, Sakya- und Gelug-Tradition – folgt man dieser Methode. Im Nyingma-System wendet man all diese Methoden zwar zu einem früheren Zeitpunkt der Praxis an, aber zum eigentlichen Zeitpunkt des Zugangs zur Ebene des klaren Lichts – die hier „Rigpa“, „reines Gewahrsein“, genannt wird – braucht man nicht in derselben Meditationssitzung zuerst jene anderen Praktiken mit den Energiewinden und der Glückseligkeit durchzuführen; man gewinnt den Zugang auf direktere Weise, basierend auf unwillkürlichen Verhaltensweisen aufgrund früherer Übung in der sogenannten Dzogchen-Meditation (tib. rdzogs-chen).

Wir arbeiten also mit den Energiewinden oder den Arten von Glückseligkeit innerhalb des zentralen Energiekanals. Und in derselben Meditationssitzung gehen wir in der eigentlichen Meditation des Zugangs zum klaren Licht diese Stadien durch, um zur subtilsten Ebenen zu gelangen. In der Nyingma-Tradition hat man das bereits vorher gemacht und in der eigentlichen Meditationssitzung, in der das Äquivalent dazu, Rigpa (es ist nicht ganz genau dasselbe, aber im Zusammenhang dieser Erläuterung hier kann man es gleichsetzen) erreicht wird, braucht man nicht erst diese Stadien durchzugehen, aber es ist dennoch zuvor der Fall gewesen. Wir sollten also nicht denken, dass all diese Systeme so überaus verschieden sind oder dass sie nicht irgendwie Entsprechungen aufweisen. Sie zielen im Grunde auf dasselbe ab, nämlich darauf, zur subtilsten Ebene des Geistes zu gelangen, darauf hinzuwirken, dass diese glückselig ist – und natürlich die Kraft von Bodhichitta dahinter zu haben –, um die nicht-begriffliche Wahrnehmung der Leerheit zu erfahren, und zwar, so die Definition, indem sie von den Energiewinden, welche die gröberen Ebenen des Geistes unterstützen, zurückgezogen ist. Ich weiß, das ist jetzt alles ein bisschen komplex, aber ich wollte eine gewisse Vorstellung vom Gesamtbild vermitteln.

Wir befassen uns jetzt mit den Tantras der Neuen Überlieferungsperiode, derjenigen der Sarma-Schulen, (Sakya, Kagyü und Gelug). Einige dieser Tantras – wir sprechen hier von Anuttarayoga-Tantra – beinhalten mehr Einzelheiten über die Beeinflussung der tatsächlichen subtilen Energien, die Winde, dee Atemströme. Am ausführlichsten wird dies im Guhyasamaja-System dargestellt. Andere Tantras enthalten mehr Details zu ausgefeilten Praktiken, welche dazu dienen, die vier Stufen der Glückseligkeit innerhalb des zentralen Energiekanals zu erfahren. Diesbezüglich bietet Chakrasamvara die ausführlichsten Angaben. Und obwohl man mit jedem dieser beiden Systeme die subtileren Ebenen erreichen kann, ist es hilfreich, etwas Erfahrung mit beiden zu haben. Aber je nach der Beschaffenheit des eigenen Energiesystems wird einem das eine leichter fallen oder das andere.

Alle diese Praktiken zielen, wie gesagt, darauf ab, den geistigen Zustand des klaren Lichts zu erreichen, zusammen mit nicht-begrifflicher Wahrnehmung der Leerheit und der Glückseligkeit, die damit einhergeht, dass man die wahre Beendigung zumindest einer gewissen Ebene der Hindernisse erreicht hat, welche Befreiung oder Erleuchtung verhindern. Und in diesem Zustand wollen wir dann eine Form von etwas hervorbringen, das später zum Körper eines Buddhas wird, also eine Ursache für den Körper eines Buddhas. In den Systemen, in denen wir mit den Energiewinden arbeiten – Praktiken des Guhyasamaja-Systems –, ist die Art von Körper, der hervorgebracht wird, der sogenannte Illusionskörper (tib. sgyu-lus). Er wird dadurch erreicht, dass man überwiegend mit den Energiewinden arbeitet. Im Chakrasamvara-System wird der Körper als sogenannter Regenbogenkörpers (tib. ’ja’-lus) hervorgebracht; das bedeutet, dass man mehr mit dem Faktor der Glückseligkeit befasst ist. Eine schöne Sache also.

Die Stufe, auf der all das praktiziert wird, heißt Vollendungsstufe (tib. rdzogs-rim). Sie ist die zweite Stufe der Anuttarayoga-Tantra-Praxis. Die erste Stufe heißt Erzeugungsstufe (tib. bskyed-rim). Auf ihr wird all das in der Vorstellung geübt. Auf der Vollendungsstufe arbeiten wir wirklich mit dem tatsächlichen Energiesystem, dem zentralen Kanal usw. Auf der Erzeugungsstufe hingegen fängt man damit an, sich all dies vorzustellen. Im Guhyasamaja-System übt man auf der Erzeugungsstufe sehr ausführliche Visualisierungen des Prozesses, wie die Auflösung der verschiedenen Energiewinde erfolgt. Und im Chakrasamvara-System gibt es sehr ausführliche Visualisierungen, die dazu dienen, sich die verschiedenen Stufen der Glückseligkeit vorzustellen.

Es gibt natürlich noch viel mehr Einzelheiten und Besonderheiten, die man erläutern könnte, aber vielleicht reicht das bisher Gesagte erst einmal aus, um die Frage zu beantworten: „Warum noch eine weitere Gottheit? Warum Chakrasamvara?“. Chakrasamvara hilft uns, die Stufen der Glückseligkeit im zentralen Energiekanal zu erleben, die uns in die Lage versetzen, die subtilste geistige Ebene zu erreichen, sodass wir dann die Erkenntnis der Leerheit und weitere Praktiken einbringen können, um den Zustand eines Buddhas zu erlangen.

Die Stufen der Glückseligkeit bewirken übrigens, dass die Energien subtiler werden. Mit anderen Worten, man kann dasselbe mittels zwei Methoden erreichen. Die eine Methode besteht darin, die Energiewinde mithilfe bestimmter Yoga-Abläufe in den zentralen Kanal zu lenken – das hat viel mit bestimmten Atemtechniken zu tun –, sodass sich die geistige Aktivität immer mehr von diesen Winden zurückzieht. Die andere Methode, Chakrasamvara, besteht darin, die zunehmenden Ebenen von Glückseligkeit hervorzubringen, was ebenfalls bewirkt, dass die geistige Aktivität sich von den gröberen Arten von Energiewinden zurückzieht.

Das ist der ganze Zweck der Sache, nämlich zur subtilsten Ebene geistiger Aktivität zu gelangen. Es ist also nicht so, dass wir nur mit hübschen Visualisierungen herumspielen und uns dabei immer besser fühlen. Darum geht es nicht. Das wäre ein sehr triviales Anliegen. Wir verstehen vielmehr, welchen Zweck die verschiedenen Visualisierungen in der Chakrasamvara-Praxis haben und auf welche Weise sie wirken. Dadurch gewinnen wir Überzeugung. In der Sadhana-Praxis oder dergleichen schaffen wir, indem wir unsere Vorstellungskraft nutzen, die Ursachen dafür, dass wir dann tatsächlich imstande sind, mit den Energiesystemen zu arbeiten, um alle Stufen dieses Prozesses zu erfahren. Das ist der Sinn von Chakrasamvara.

Die Art von Praxis, die wir als einführende Übung verwenden, kann so vereinfacht sein, dass noch nicht einmal irgendeine dieser Aspekte der Praxis darin enthalten ist. Es kann eine sehr allgemeine Art von Praxis sein, die man im Zusammenhang mit jeder Gottheit findet, aber denkt bitte daran, dass dies nur dazu dient, die Grundlagen zu schaffen. Es sind die ersten winzigen Schritte der Praxis. Es ist unerlässlich, diese Ebene mit einer einfachen Sadhana etwas zu beherrschen, doch man sollte dabei eine gewisse Vorstellung davon haben, wohin das Ganze führt. Macht euch klar, dass ihr – hoffentlich! – die Treppe des Lam-rim hinaufgestiegen seid und nun eine bestimmte Ebene erreicht habt; jetzt betreten wir die erste Stufe der Treppe der Erzeugungsphase, und dann folgt noch eine weitere Treppe, nämlich die Praxis der Vollendungsstufe. Aber wenn wir die Überzeugung gewonnen haben, dass hier die Treppe ist, alle Stufen vollständig sind, das Ziel da ist, und deutlich sehen können, dass die Stufen zu dem Ziel führen, dann können wir trotz der Schwierigkeiten beim Treppensteigen zuversichtlich sein, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Und selbst wenn wir in diesem Leben vielleicht nicht übermäßig weit kommen – behaltet im Sinn, dass wir nicht die anfängliche Stufe des Lam-rim ignorieren und auch versuchen, Ursachen dafür zu schaffen, weiterhin eine kostbare menschliche Wiedergeburt zu erlangen und in zukünftigen Leben den Weg fortsetzen zu können. Lasst nie die Ebene der Praxis des Lam-rim außer Acht.

Gut. Nun noch ein paar Informationen, die das Wissen über diese Praxis noch etwas ergänzt.

Die Bedeutung des Namens Chakrasamvara

Zuerst einmal: Was bedeutet der Sanskrit-Name Chakrasamvara? Auf Tibetisch lautet er „Khorlo dompa“ (’Khor-lo sdom-pa). „Samvara“ bedeutet „zusammengebracht“. „Khorlo“ bzw. „Chakra“ heißt „Rad“ oder „Kreis“; das bezieht sich auf den Kreis der Gottheiten, die dabei eine Rolle spielen oder Körper, Sprache und Geist repräsentieren. Hier sind also alle Aspekte von Körper, Sprache und Geist im Rahmen glückseliger, nicht-begrifflicher Wahrnehmung der Leerheit zusammengefügt.

Manchmal wird dieses System nicht Chakrasamvara, sondern einfach bloß Samvara genannt, was in einem Wort „zusammengebracht“ heißt. Doch die Tibeter haben dieses Wort, „Samvara“, in die Vorsilbe „sam“ und das Wort „vara“ zerlegt. „Sam“ übersetzten sie mit dem tibetischen Wort „de“ (bde), das „Glück“ bedeutet, und „vara“ als „chok“ (mchog), „höchst“. So entstand der tibetische Name „Demchok“ (tib. bde-mchog). Das bedeutet „höchste Glückseligkeit“.

Ein anderer Name für Chakrasamvara ist „Heruka“. „He“ ist die erste Silbe eines Sanskrit-Wortes mit der Bedeutung „spielerisch zur Schau tragen“, was auch bedeutet „auf freudige Weise agieren“. Die zweite Silbe, „ru“, ist eine Kurzform des Sanskrit-Wortes für „Blut“. „Ka“ ist die Kurzform des Sanskrit-Wortes für „Schädelschale“. Heruka ist also „derjenige, der freudig mit dem Blut in der Schädelschale agiert“ bzw. „dies zur Schau trägt“. Es gibt viele verschiedene Ebenen dessen, wofür das steht. Es symbolisiert bestimmte Faktoren im subtilen Energiesystem, die verwendet werden, um Zugang zur subtilsten geistigen Aktivität zu gewinnen. Aufgrund dieser Etymologie des Namens Heruka nennen die Tibeter ihn manchmal „Traktung“, das heißt „Bluttrinker“. Das soll nun aber nicht heißen, dass Heruka ein Vampir ist. Bitte übersetzt das nicht als „Vampir“! In den Kagyü- und Nyingma-Systemen wird „Heruka“ manchmal als allgemeiner Name für männliche Gottheiten benutzt. Im Gelug-System wird das Wort „Heruka“ jedoch nicht in dieser Bedeutung verwendet.

Das sind lauter verschiedene Namen, die man für diese Gottheit findet sowie auch für das Gottheiten-System. Manchmal wird der Name nur für die zentrale Gestalt benutzt, manchmal für die gesamte Gruppe von Gestalten (im Chakrasamvara-System sind es 62 Gestalten).

Die Text-Tradition

Welches sind die Texte, die in diesem Zusammenhang studiert werden? Die vollständigen Chakrasamvara-Tantras gab es in zwei Versionen, eine mit 300.000 Versen und eine mit 100.000 Versen – Verse, die auf Sanskrit „Shloka“ genannt werden und jeweils vier Zeilen in einem bestimmten metrischen Maß haben. Diese sind nicht ins Tibetische übersetzt worden. Bei Tantras ist es häufig der Fall, dass die Langfassungen nicht nach Tibet gelangt sind und die Sanskrit-Versionen davon zum großen Teil, wenn auch nicht vollständig, verloren gegangen sind. Doch es gibt eine kürzere Fassung des Wurzel-Tantras, die ins Tibetische übersetzt wurde. Sie beinhaltet 51 Kapitel. Die Zahl 51 steht für die Buchstaben des Sanskrit-Alphabets (es enthält 51 Buchstaben). Das Wurzel-Tantra behandelt hauptsächlich die Praxis der Vollendungsstufe, und es wurden zahlreiche indische Kommentare dazu geschrieben.

Es gibt zwei Arten von Anuttarayoga-Tantras. Sie werden „klares Tantra“ und „verborgene Tantras“ genannt. Das klare bzw. offenkundige Tantra ist das Kalachakra. Darin werden die Praktiken –darunter einige sehr spezielle Praktiken (die aber hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden müssen) – sehr klar und offen erklärt. In den verborgenen Tantras – zu denen Chakrasamvara gehört – sind die Erklärungen im Wurzel-Tantra auf sehr obskure Weise ausgedrückt, sodass keineswegs offenkundig ist, wie sie gemeint sind. Deshalb gibt es dazu die erläuternden Tantras, die die Bedeutung klären und ausführlich darlegen, wie es zum Beispiel bezüglich des Guhyasamaja-Systems der Fall ist. Dasselbe gilt auch für Chakrasamvara. Tsongkhapa weist darauf hin, dass es für Chakrasamvara erläuternde Tantras und sogenannte Zweig- bzw. zusätzliche Tantras gibt. Er erwähnt fünf davon; in einem anderen Werk nennt er die Anzahl sechs (in dem Fall ist das Wurzel-Tantra mitgerechnet).

Ursprünglich gab es Sanskrit-Originale dieses Materials. Als Butön, ein großer Meister der Sakya-Tradition, den Kangyur, die Sammlung der Worte Buddhas, zusammenstellte, nahm er nur Werke darin auf, zu denen es ein Sanskrit-Original gab. Die Tatsache, dass es Sanskrit-Originale des Wurzel-Tantras und der erläuternden Tantras usw. gab, untermauert die Gültigkeit. Den Tibetern war das sehr wichtig. Allerdings kann man darüber diskutieren im Hinblick auf das Thema der offenbarten Texte, der Schatztexte usw. (mit anderen Worten, wenn etwas von Vajradhara in Indien offenbart worden war, galt es als authentischer, als wenn es in Tibet offenbart worden wäre usw.) Darüber kann man allerlei Debatten führen. Jedenfalls hatte Butön bestimmte Kriterien.

Es gibt drei hauptsächliche Überlieferungslinien von Chakrasamvara. Sie gingen von drei großen indischen Meistern aus. Diese hießen Luipa, Ghantapa (in Tibet wird er Drilbupa genannt) und Krishnacharya (in Tibet unter den Namen Nagpopa bekannt). Die Ghantapa- bzw. Drilbupa-Überlieferung beinhaltet sowohl eine Praxis mit fünf Gottheiten als auch die Praxis eines Körper-Mandalas. [Siehe auch: Was ist ein Mandala?] Ich glaube, die Ermächtigung, die ihr von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama erhalten habt, war diejenige für die Praxis mit fünf Gottheiten in der Ghantapa- bzw. Drilbupa-Überlieferung. Worin bestehen die Unterschiede?

  • Aufgrund Vision von Vajradhara – die Linie geht also auf eine Vision zurück, allerdings in Indien, galt also als authentisch – schrieb Luipa das Wurzel-Tantra und die erläuternden Tantras nieder. Die Luipa-Tradition ist hauptsächlich bekannt für ihre Erklärung von Aktivitäten, die auf dieser Praxis beruhen, und hinsichtlich der Erzeugungsstufe enthält sie die ausführlichste und vollständigste Beschreibung. In dem Mandala befinden sich 62 Gottheiten, und es gibt sowohl 62 Gottheiten im äußeren Mandala (das ist eine Art Gebäude, wie ein Palast) als auch 62 Gottheiten, die an unterschiedlichen Stellen des Körpers als Körper-Mandala der zentralen Gestalt angeordnet sind. Das ist also diejenige Praxis der Erzeugungsstufe, welche die größte Komplexität aufweist, und sie ist auch diejenige, die in den Klöstern der Gelug-Tradition hauptsächlich ausgeübt wird.
  • Nagpopas Erklärung beinhaltet die klarste Darstellung der Vollendungsstufe im Wurzel-Tantra. Deswegen wird seine Tradition zum Studium der Tantra-Texte empfohlen. Ich selbst bin in der Gelug-Tradition nie jemandem begegnet, der die eigentlichen Sadhanas usw. aus der Nagpopa-Überlieferung praktiziert, obwohl es sicher einige Praktizierende gibt, die das tun. Doch dieser Überlieferung folgt man hauptsächlich wegen ihrer Erklärung der tantrischen Texte.
  • In der Drilbupa-Überlieferung ist die Praxis des Körper-Mandalas eine spezielle Überlieferungslinie. Darin wird die Ermächtigung ausgehend vom Körper-Mandala weitergegeben, nicht wie sonst aus einem äußeren Mandala heraus. Sie enthält eine Menge Details zur Praxis der Vollendungsstufe, daher ist die Drilbupa-Überlieferung besonders bemerkenswert für das Studium, wenn man die sehr tiefgehende Bedeutung der Vollendungsstufe ergründen möchte.

Seine Heiligkeit empfahl, für das Verständnis des Wurzel-Tantras immer auf die erläuternden Tantras von Vajradhara selbst (also die ursprünglichen indischen erläuternden Tantras) und die mündliche Tradition, die von Naropa ausging, zurückzugreifen. Das ist die Standard-Empfehlung, die er immer gibt, ganz in dem Sinne, dass alle tibetischen Traditionen aus Indien stammen und man sich deshalb lieber auf die indischen Texte, die Originalfassungen, verlassen solle als auf die späteren tibetischen Kommentare. Die späteren tibetischen Kommentare können zur Klärung beitragen, aber man solle sich nicht ausschließlich auf die späteren tibetische Quellen stützen, sondern auf das indische Original zurückgreifen.

Und noch eine weitere Information (ob sie hier hilfreich oder nützlich ist, weiß ich nicht): Das Hauptthema des Wurzel-Tantras und der erläuternden Tantras dazu ist die Vollendungsstufe, auf der man tatsächlich mit den Arten von Glückseligkeit und den Energiesystemen arbeitet. Ein Unterschied der Überlieferungslinien besteht hier darin, dass die Luipa-Überlieferung das Vollendungs-Tantra in sechs Stufen unterteilt, die Drilbupa-Überlieferung in fünf und Nagpopa in vier.

Auch hinsichtlich der Erzeugungsstufe gibt es zwei Traditionen. Das Wurzel-Tantra ist nicht klar hinsichtlich der sekundären Gestalten, der sogenannten Dakas und Dakinis. In der Luipa-Überlieferung haben sie vier Arme, in der Drilbupa-Überlieferung zwei Arme. Was können wir daraus schließen? Es kommt nicht so sehr darauf an, wie viele Arme sie haben. Verrennt euch nicht in die Fragestellung, ob sie vier oder zwei Arme haben. Es gibt von allem mehrere Varianten. Willkommen in der Welt des tibetischen Buddhismus!

Ich lese gerade ein interessantes Buch von dem indischen Autor Rajiv Malhotra mit dem Titel „Being Different“ („Unterschiedlich sein“), in dem er sich dem Thema widmet, auf welche Weise sich die dharmischen Traditionen (Hinduismus, Buddhismus, Jainismus) von den abrahamischen Traditionen unterscheiden (zu denen Judaismus und Christentum gehören, und übrigens auch der Islam, obwohl der Autor auf Letzteren nicht eingeht).

  • In den abrahamischen Traditionen besteht eine ziemlich prekäre Vermischung von biblischen Traditionen mit griechischem Rationalismus. In solch einer Tradition ist es schwer auszuhalten, wenn es ein bisschen drunter und drüber geht und viele Varianten gibt. Alles muss vernünftig geordnet und geregelt sein – ein Gott, eine Wahrheit usw.
  • In den dharmischen Traditionen Indiens hingegen hat man keinerlei Problem mit Chaos. Man muss das Chaos nicht beherrschen. Der ganzen Vielfalt unterschiedlicher Formen liegt eine profunde Einheit zugrunde. Wer von euch schon mal in Indien gewesen ist, weiß, dass eine Gesellschaft, die für uns Westler völlig chaotisch aussieht, trotzdem durchaus funktionieren kann.

Wenn man versucht, Buddhismus oder Hinduismus oder dergleichen zu praktizieren und von dem Standpunkt ausgeht, dass alles geordnet und geregelt sein muss, wird man bald sehr frustriert sein. „Vier Arme, zwei Arme? Ist doch gleich …“ – versucht mit dieser indischen Einstellung zurechtzukommen und euch damit anzufreunden, okay?

Viele von euch haben wahrscheinlich von Vajrasattva, von Heruka Vajrasattva, gehört. Es gibt im Anuttarayoga-Tantra eine Ermächtigung zu Vajrasattva Samvara – Samvara war ja, wie gesagt, auch einer der Namen für Chakrasamvara. Die Gestalt des Vajrasattva Samvara ist weiß, hat drei Gesichter und sechs Arme und umarmt eine Partnerin, die ebenso aussieht. Die Ermächtigung stammt aus einer Sammlung von Ermächtigungen, die als „Vajramala“ bekannt ist. In dieser Praxis visualisiert man sich selbst als Vajrasattva in dieser Form. Sie gehört zur Gelug-Tradition, ist aber äußerst selten und nicht die übliche Form der Praxis. In den üblichen Chakrasamvara-Sadhanas, in denen die Heruka-Vajrasattva-Praxis enthalten ist, handelt es sich nicht um diese Form. Hier visualisiert man die übliche weiße Form von Vajrasattva mit Gefährtin über dem eigenen Kopf (nur die Eckzähne in ihren Gesichtern sind hier etwas ausgeprägter). Die Form ist dieselbe. Einige Silben des Mantras sind unterschiedlich: Es heißt darin „Herukasattva“ statt „Vajrasattva“. Es gibt auch Varianten mit Yamantakasattva sowie mit Padmasattva. „Ist doch gleich …“ Spielt keine große Rolle.

Dieser Punkt ist wirklich wichtig. Es gibt auch zahlreiche Varianten der verzweigten Bäume mit den versammelten Gurus. Sie sind alle gleichwertig. Der Versuch, all das in eine bestimmte Ordnung zu zwängen – „Das muss aber unbedingt so sein“ und „So darf das nicht sein“ – ist ziemlich unnütz und kann eine schreckliche Ablenkung vom wesentlichen Inhalt der Praxis bewirken. Versucht lieber, zum wesentlichen Inhalt, zur Bedeutung, vorzubringen, zu der Einheit hinter all dem, trotz der verwirrenden Vielfalt all der unterschiedlichen Formen, in der diese Gestalten sich zeigen. Ich kann das gar nicht genug betonen. Rajiv Malhotra bringt diesen Punkt in seinem oben genannten Buch wirklich hervorragend zum Ausdruck.

Tantra in der Gelug-Tradition

Die Systeme mit sechs Buddha-Gestalten

Wenn wir der Gelug-Tradition von Tsongkhapa folgen, ist es nützlich zu wissen, was Tsongkhapa selbst praktizierte: nämlich die Systeme der sechs hauptsächlichen Buddha-Gestalten.

  • Im Guhyasamaja gibt es verschiedene Formen dieser Buddha-Gestalt, und Tsongkhapa praktizierte die Form von Akshobya, das heißt, dass die zentrale Gottheit eine Variante von Akshobya ist
  • In dem Chakrasamvara-System, dem er folgte, war seine hauptsächliche Praxis einer derjenigen aus Luipas Überlieferung
  • Hinsichtlich Vajrabhairava bzw. Yamantaka übte er hauptsächlich zwei Praktiken aus: diejenige mit 13 Gottheiten (dabei handelt es sich um 13 Paare) und diejenige mit Vajrabhairava als einzelner Gestalt
  • Außerdem die Kalachakra-Praxis
  • Und schließlich die Praxis der Mahachakra-Form von Vajrapani. Das ist die Anuttarayoga-Form von Vajrapani mit drei Gesichtern und sechs Armen, eine sehr schöne Praxis.

Die acht Traditionen der ausführlichen Unterweisungen

Im Hinblick auf die Praxis der Vollendungsstufe im Anuttarayoga-Tantra gibt es acht Traditionen von Abhandlungen:

  • Im Chakrasamvara-System wieder die Luipa-Überlieferung der Praxis der Vollendungsstufe
  • die Drilbupa- bzw. Ghantapa-Überlieferung des Körper-Mandalas und des Chakrasamvara (somit also zwei Chakrasamvara-Systeme)
  • Die sechs Yogas (sechs Praktiken) von Naropa
  • Kalachakra
  • Die zwei Überlieferungen des Guhyasamaja-Systems, nämlich die sogenannte Arya- oder Aryadeva-Überlieferung und die Jnanapada-Überlieferung
  • Die Praxis der Vollendungsstufe von Vajrabhairava
  • Und die Praxis der Vollendungsstufe der bereits genannten Mahachakra-Form von Vajrapani.

Wenn wir der Gelug-Tradition folgen möchten, sind das die wesentlichen Praktiken.

Die kombinierte Praxis von Guhyasamaja, Chakrasamvara und Vajrabhairava

Eine der Besonderheiten in der Gelug-Tradition und insbesondere von Tsongkhapa ist die kombinierte Praxis der drei hauptsächlichen Gottheiten dieser Tradition – Guhyasamaja, Chakrasamvara und Vajrabhairava. Die Art, in welcher diese drei Systeme praktiziert werden, und das, worauf in den tantrischen Hochschulen am meisten Gewicht gelegt wird, ist die Akshobya-Form von Guhyasamaja, das Luipa-System von Chakrasamvara –dasjenige mit 62 Gottheiten im äußeren Mandala sowie 62 Gottheiten im Körper-Mandala – und die Praxis des Yamantaka bzw. Vajrabhairava mit 13 Gottheiten. Die Drilbupa-Überlieferung der fünf Gottheiten, deren Ermächtigung ihr erhalten habt, ist im Grunde eine Vorform der Praxis des Körper-Mandalas.

Von diesen drei Systemen, die – als herausragende Besonderheit der Gelug-Tradition – zusammengefügt sind,

  • ist Guhyasamaja die Grundlage. Es ist das System, zu dem man die indischen Kommentare findet, welche die Theorie des gesamten Tantra-Systems erläutern und auch die Art, wie man diese verborgenen bzw. obskuren Tantras entschlüsseln kann.
  • Die Yamantaka-Praxis wird vor allem im Zusammenhang mit den Manjushri-Praktiken ausgeübt, die damit verbunden sind und dazu dienen, mehr unterscheidendes Gewahrsein zu entwickeln. Sie bildet auch den Rahmen, in dem alle Schutzherren-Praktiken in der Gelug-Tradition ausgeübt werden. Wenn man also irgendeine Schutzherren-Praxis ausübt –Mahakala, Yamaraja, Palden Lhamo sind die drei bekanntesten –, so werden die Schutzherren in das Mandala des Vajrabhairava eingeladen und man selbst in Form von Vajrabhairava im Zentrum des Mandalas herrscht über sie und erteilt ihnen Aufträge. Es gibt auch noch andere Schutzherren-Praktiken. Ich habe diese drei nur als Beispiel erwähnt. Um diese Schutzherren zu beherrschen, muss man in einer äußerst kraftvollen Form auftreten – daher hier in Form von Vajrabhairava.
  • Chakrasamvara wird für die Praktiken des Tummo (tib. gtum-mo), der inneren Hitze, mit eingebracht. Diese sind wesentlich für die Erfahrung der verschiedenen Ebenen von Glückseligkeit im zentralen Energiekanal, die ich bereits erwähnt habe.

Um also die verschiedenen Aspekte im Kontext der Grundlage, Guhyasamaja, mit einzufügen, studiert und praktiziert man das Vajrabhairava- und das Chakrasamvara-System. Deshalb sagt Seine Heiligkeit der Dalai Lama, dass diese drei Systeme die Basis bilden. Wenn man zusätzlich noch andere Praktiken des Anuttarayoga-Tantra ausübt, ist das in Ordnung. Aber ohne die Basis von Guhyasamaja, Chakrasamvara und Vajrabhairava zu haben, ist das nicht angemessen.

Einige Praktizierende in der Gelug-Tradition legen großen Wert auf die Vajrayogini-Praxis. Vajrayogini ist die Gefährtin der männlichen Hauptgottheit Chakrasamvara. Dazu möchte ich Seine Heiligkeit den Dalai Lama aus jenem Vortrag über Tsongkhapas Kommentar zur Kurzfassung des Chakrasamvara-Tantra zitieren. Seine Heiligkeit sagte: „Von den 18 Bänden der Werke Tsongkhapas handeln fünf von Guhyasamaja. Das ist das Thema, über das er am meisten schrieb. Über Vajrayogini schrieb er nur drei Seiten. Und in seinem Kommentar zu dieser Kurzfassung des Chakrasamvara-Tantra finden sich lediglich ein paar wenige Worte über Vajrayogini.“ Des Weiteren sagte er: „Wenn man eine besondere Verbindung zur Sakya-Überlieferung und zu Vajrayogini hat“ – die Gelug-Praxis von Vajrayogini ist übrigens erst Jahrhunderte nach Tsongkhapas Lebzeiten aus der Sakya- Tradition entlehnt und zur Gelug-Aktion hinzugefügt worden –, „dann ist es okay, diese Praxis auszuüben. Aber als Praktizierender der Gelug-Tradition“ – Seine Heiligkeit sprach hier wohlgemerkt zu den Mönchen der Klöster Ganden, Sera, Drepung und Namgyal sowie der tantrischen Hochschulen – „muss man die Praxis des Guhyasamaja, Chakrasamvara und Yamantaka studieren und ausüben und die Werke Tsongkhapas beherzigen.“

Er spricht sich also durchaus nicht für die Abschaffung der Vajrayogini-Praxis in der Gelug-Tradition aus. Er sagt, wenn sie im Privatbereich und als zusätzliche Praxis ausgeübt wird, sei sie förderlich, aber sie solle nicht als gemeinsame Praxis des Klosters durchgeführt werden. Wir können daraus schließen, dass das auch für Dharma-Zentren der Gelug-Tradition Geltung hat: Sie im Privatbereich als zusätzliche Praxis auszuüben, ist eine gute Sache, aber nicht als Praxis, die gemeinsam im Zentrum durchgeführt wird. Und Seine Heiligkeit betont das als einen wichtigen Punkt, insbesondere für die tantrischen Hochschulen und das Kloster Namgyal. Er äußert sich sehr kritisch zu der Tendenz, in den Klöstern die Guhyasamaja-Praxis zu vernachlässigen oder aufzugeben und nur Vajrayogini in den Mittelpunkt zu stellen.

Zu der Art und Weise, wie diese drei Praktiken zusammengefügt werden (das ist eine Besonderheit von Tsongkhapa):

Er gibt die Anleitung, dass auf der Erzeugungsstufe, wo man die Sadhanas oder Visualisierungen durchführt, alle drei ausgeübt werden. Denn die Chakrasamvara-Praxis enthält mehr detaillierte Visualisierungen für die vier Arten der Glückseligkeit; im Guhyasamaja findet man mehr Einzelheiten für die Auflösung der Energiewinde und die Erzeugung der verschiedenen Illusionskörper, die dazu dienen, anderen zu nutzen; und Vajrabhairava, in dessen Herzen sich Manjushri befindet, ist besonders effektiv für ganz spezielle Praktiken zur Entwicklung der verschiedenen Arten unterscheidenden Gewahrsein bzw. von Weisheit sowie auch für die Durchführung aller Schutzherren-Praktiken.

Wenn man so weit ist, die Vollendungsstufe auszuüben, ist die grundlegende Form für den Praktizierenden selbst diejenige des Vajrabhairava, Yamantaka,, denn diese ist wie ein Gefäß, in dem wir die Praktiken des Guhyasamaja hinsichtlich der Energiewinde und die Praktiken des Chakrasamvara hinsichtlich der Glückseligkeit zusammenfügen können. Was man also im Grunde auf der Vollendungsstufe macht, ist, im Rahmen von Vajrabhairava die Tummo-Praktiken von Chakrasamvara auszuüben – man übt als Vajrabhairava, im Rahmen von Vajrabhairava, die Tummo-Praktiken von Chakrasamvara – und dann die Erzeugung der verschiedenen Illusionskörper aus den Energiewinden gemäß Guhyasamaja. Vajrabhairava kann jede Art von Praxis durchführen. Er kann auch „Om mani padme hum“ rezitieren. Man sollte nicht denken, dass das ein Widerspruch wäre oder sich gegenseitig ausschließen würde.

Kombinieren der drei Gottheiten in der Lama-Chöpa-Praxis

Außerdem gibt es eine Methode, die drei Gottheiten in der Lama Chöpa, der Praxis der „Guru-Puja“, zu kombinieren. Wenn man diese Praxis ausführt, visualisiert man sich am Anfang selbst in der Form einer der drei Gottheiten; normalerweise ist das Yamantaka, Vajrabhairava. Und die Hauptfigur im Baum der versammelten Gurus ist Tsongkhapa. In seinem Herzen befindet sich Buddha Shakyamuni, und in Buddha Shakyamunis Herzen ist Vajradhara. Aber zudem gibt es auch noch das vollständige Körper-Mandala mit den 32 Gottheiten des Guhyasamaja innerhalb des Körpers von Tsongkhapa.

Wenn man dann in der Lama-Chöpa-Praxis die Gaben darbringt, tut man das in ausführlicher Form, so wie im Chakrasamvara-System. Das geschieht zusätzlich zu der üblichen Gaben-Darbringung, die in allen Systemen durchgeführt wird. Ich spreche hier von den äußeren Gaben, nämlich:

  • Argham – Wasser zum Trinken
  • Padyam – Wasser zum Waschen der Füße.

Stellt euch vor, Buddha käme mit all seinen Mönchen im Gefolge zu euch zu Besuch. Sie sind barfuß die staubigen indischen Wege entlanggegangen, und wenn sie bei eurem Haus eintreffen, reicht ihr ihnen zuerst etwas zu trinken, ein Glas Wasser – das ist die Gabe „Argham“ –, denn die Besucher sind sehr durstig. Und mit „Padyam“ wäscht man ihnen den Staub von den Füßen, die ja vom Barfußlaufen schmutzig geworden sind. Dann folgt die Gabe von

  • Anchamanam – Wasser, um sich den Mund auszuspülen
  • Prokshanam – Wasser zum Berieseln. Mit anderen Worten, zum Abduschen. Die Besucher sind verschwitzt, denn es ist heiß.
  • Pushpe – ein Blumenkranz wird ihnen über den Kopf gestreift, das heißt, er wird ihnen um den Hals gelegt.

Alle anderen Gaben werden wie in der Chakrasamvara-Praxis dargebracht, nämlich um Freude und Glückseligkeit zu bringen. Eine wunderschöne Göttin oder eine ähnliche Gestalt bietet sie dar:

  • Dhupe – Räucherstäbchen mit feinem Duft für die Nase
  • Dipe – eine Butterlampe, um die Augen zu erfreuen.

Es ist so, als würde man sich zu einer Mahlzeit niedersetzen. Man zündet eine Kerze an und sorgt für angenehmen Duft.

  • Gandhe – Duftwasser: Manchmal reicht man kleine, mit wohlriechenden Wasser besprengte Handtücher, mit denen man sich vor der Mahlzeit Gesicht und Hände waschen kann
  • Naividya – köstliche Speisen für den Mund
  • Shabda – angenehme Klänge für die Ohren, als Begleitmusik während der Mahlzeit.

Man stellt sich all das so vor, als wäre Buddha in unserem Haus zu Gast. Er ist zu Fuß hier angekommen, und wir bieten ihm etwas Gutes zu essen an. Es ist eine sehr freudige Angelegenheit, und sie erfreut den Buddha. An etlichen Stellen der Sadhana stellt man sich vor, dass Göttinnen die Gaben auch einem selbst darbringen – das ist ebenfalls eine Besonderheit der Gelug-Tradition. Man genießt die Gaben und dadurch wird das Glück verstärkt.

In der Chakrasamvara-Praxis werden noch 16 weitere Gaben dargebracht. Auch dabei liegt die Betonung darauf, das Glück zu verstärken. Deshalb werden noch weitere Arten von Musik und angenehmer Unterhaltung dargeboten:

  • Zuerst eine Vina, ein indisches Saiteninstrument,
  • dann eine Flöte,
  • dann eine Trommel, wie etwa eine Tabla,
  • und schließlich eine Seitentrommel – eine Art Trommel mit zwei Seiten, die man waagerecht auf dem Schoß hält und von beiden Seiten schlägt; sie ist sehr beliebt in Südindien.

Im Allgemeinen stellt man sich wunderschöne Göttinnen vor, die all dies darbringen. Als Frau kann man sich stattdessen auch jeweils einen hübschen Gott vorstellen. Das ist ganz gleich. Es geht darum, Glückseligkeit hervorzubringen: Es erfreut einen, man ist beglückt.

  • Sodann erscheint eine Göttin, die lächelt und lacht,
  • eine, die mit einem flirtet,
  • eine, die herrliche Lieder singt,
  • und eine, die graziös tanzt – keine Bollywood-Aufführung mit 50 Leuten, sondern ein sehr sinnlicher Tanz;
  • Blütenblätter werden in die Luft geworfen,
  • noch einmal Räucherstäbchen dargebracht,
  • Weitere Butterlampen oder Kerzen – in Indien verwendete man keine Butterlampen, sondern Kerzen –
  • und nochmals Duftwasser
  • Dann erscheint eine Form-Göttin für den Buddha– eine Göttin von wirklich erlesener Schönheit – man staunt, wie hinreißend sie ist.
  • Für den Vajra-Geschmack werden köstlichste Delikatessen gereicht.
  • Als Vajra-Berührung dient eine angenehme Massage
  • und eine schöne Göttin oder ein Gott umarmt einen herzlich.

Es werden also sehr ausführliche Gaben dargebracht, um einen freudigen, glückseligen Geisteszustand zu verstärken. All das wird aus dem Chakrasamvara in die Lama Chöpa, die Guru-Puja, eingefügt, und in der Chakrasamvara-Praxis ist das recht ausgeprägt.

Wenn man sich wirklich darauf einlassen und nicht nur mechanisch „argham, padyam, pushpe, dhupe …“ rezitieren und die Darbringung innerhalb weniger Sekunden abhaken möchte, sondern sie etwas ausführlicher und langsamer durchführt, kann dies wirklich einen freudigen, glückseligen Geisteszustand hervorrufen, und das ist der Sinn der Sache. Mit der Zeit müssen wir natürlich das alles schneller durchführen können. Wie mein Lehrer Serkong Rinpoche immer zu sagen pflegte: „Wenn der Tod kommt, wartet er nicht, bis du dich langsam durch die Praktiken hindurchgearbeitet hast. Da musst du alles sofort parat haben.“ Gewöhnt euch also nicht zu sehr daran, alles langsam zu machen, aber so fängt man eben an.

Die dreifache Reinigung

Wir sollten auch wissen, dass die gebräuchlichste, allgemein verbreitete Form der Chakrasamvara-Praxis auf der anfänglichen Stufe nicht eine der Sadhanas ist, sondern ein Abschnitt, den man in allen Sadhanas sämtlicher verschiedenen Formen von Chakrasamvara findet, nämlich die sogenannte dreifache Reinigung. Sie ist es, die auf der ersten Stufe der Chakrasamvara-Praxis eigentlich praktiziert wird. Die Sadhanas sind der zweite Schritt. Der erste Schritt besteht in diesem Abschnitt.

Die dreifache Reinigung beginnt mit der vollständigen Vajrasattva-Praxis mit der Heruka-Variante des Mantras. Vorher nimmt man natürlich ganz am Anfang Zuflucht, entwickelt Bodhichitta, die vier unermesslichen Geisteszustände – das versteht sich von selbst. Daran schließt sich eine Meditation über die Leerheit an, die der Reinigung des Geistes dient. Dann folgt die Hervorbringung von sich selbst in Form des einfachen Chakrasamvara-Paares: mit einem Gesicht und zwei Armen. Zur Reinigung der Sprache stellt man sich dann am Nabel drei Ringe des Sanskrit-Alphabets vor, von denen drei Gruppen von Gottheiten ausstrahlen, um Hindernisse zu beseitigen. Dann kommen die Lobpreisungen – die acht Verse des Lobpreises für Chakrasamvara und die acht Verse für die Gefährtin, Vajrayogini. Danach werden die Mantras rezitiert und den Abschluss bilden einige Widmungsgebete.

Das ist eine komplette, eigenständige Praxis und die übliche Standardpraxis, die alle durchführen. Auf der zweiten Stufe kann man dann vorher, in der Mitte und anschließend, wie gesagt, etliche Ergänzungen hinzufügen, die die Praxis bis zur vollständigen Sadhana ausdehnen.

Die Geschichte der Unterwerfung Shivas durch Chakrasamvara

Ich habe hier noch etwas mehr Material vorbereitet, für das wir hier allerdings kaum Zeit haben, nämlich die Beschreibung des ganzen Mythos, wie Buddha – bzw. Vajradhara – als Chakrasamvara auftrat, um Shiva zu unterwerfen. Die ausführlichste Forschung dazu hat der westliche Wissenschaftler Ronald Davidson geleistet und sie in einem Artikel zusammengefasst.

Wir können die Ergebnisse seiner Studien hier nicht im Einzelnen durchgehen, sondern nur zusammengefasst: Man findet diesen Mythos im indischen Yoga-Tantra. Es gibt vier Tantra-Klassen, und hier handelt es sich um eines der Yoga-Tantras mit dem Titel „Tattvasamgraha“. Darin stößt man zum ersten Mal auf die Beschreibung, wie Vajrapani Shiva unterwirft (Shiva wird Maha Ishvara genannt), ihn aus Mitgefühl zwingt, zur Ruhe zu kommen, ihm dann eine Initiation gibt und ihn mit ins Mandala bringt.

In späteren Tantra-Texten findet man diese Episode entweder im Zusammenhang mit Vajrapani oder mit Chakrasamvara. Aber erst in einer Schilderung des Sakya-Meisters Dragpa Gyaltsen im frühen 12. Jahrhundert findet sich die vollständige Fassung dieses Mythos – also eigentlich in Tibet.  Demgemäß befinden sich Shiva, genannt Maha Ishvara, und seine Gefährtin Uma auf dem Gipfel des Berges Meru und Emanationen von ihnen an 24 heiligen Orten. Sie alle essen Menschenfleisch, trinken Menschenblut und verhalten sich auf heftige und extreme Art. Vajradhara erscheint dann in Form von Chakrasamvara, mit demselben Aussehen wie Shiva – den Körper mit Asche beschmiert, mit aufgetürmten Haaren – und verhält sich genauso wie dieser in den Versammlungen zum Tsog (tib. tshogs), den Zusammenkünften zum Ganachakra mit Blut und Fleisch, ähnlich wie etwa beim Darbringen der inneren Gaben (während des Tsog nimmt man ein klein wenig Alkohol und ein bisschen Fleisch zu sich). Er verhält sich ähnlich, quasi um das Vertrauen jener Gottheiten und ihrer Anhänger zu gewinnen. Und dann gibt er ihnen gewissermaßen eine Initiation, um die Exzesse der extrem kraftvollen Handlungen zu überwinden, die sie zuvor begingen. Aus Mitgefühl wird ihnen die Initiation gegeben, werden sie zum Geisteszustand des klaren Lichts geführt, sodass sie zur Buddhaschaft geführt werden können.

Um das darzustellen, stehen manche Gestalten im Chakrasamvara-Mandala auf einigen Formen von Shiva und Uma bzw. Parvati und treten darauf.

All dies ist laut Davidson im Kontext dessen zu verstehen, was zu jener Zeit in Indien ablief, nämlich der Rivalität zwischen der shivaitischen Form des Hinduismus und dem Buddhismus. Jedes System versuchte nach typisch indischer Art, das andere System in das eigene einzugliedern. Die Hindu-Systeme adaptierten Buddha zu einer der Inkarnationen, der Avatare, von Vishnu – demnach ist es dann so, dass man, wenn man Buddhas Lehren praktiziert, damit eigentlich eine Art von Hinduismus praktiziert. Eine kluge Strategie. Die Unterschiede, die Vielfalt, sind kein Problem. Und die Buddhisten brachten auf diese Weise etliche Hindu-Gottheiten usw. in den Buddhismus ein – allerdings immer in Verbindung mit Mitgefühl, das sie schließlich zur Erleuchtung führen wird usw. – und räumten ihnen auf diese Weise einen Platz in den Mandalas ein.

Das mag zwar in soziologischer oder anthropologischer Hinsicht sehr interessant sein, aber es ist wichtig, sich dadurch nicht von der eigentlichen Praxis ablenken zu lassen und in derartigen Fragestellungen zu verzetteln. Seid euch einfach im Klaren darüber, dass diese Dynamik zwischen hinduistischen und buddhistischen Praktiken stattgefunden hat, insbesondere im Zusammenhang mit den Tantra-Systemen beider. Die Buddhisten sagen, wie es in diesem Mythos zum Ausdruck kommt: „Ja, wir haben diese Gefäße zum Bluttrinken, menschliche Knochen, Fleischessen, Asche auf dem Körper und dergleichen; wir haben das bloß von den Praktizierenden des Shivaismus übernommen, um es ihnen leichter zu machen, und dann wandeln wir es um in eine Möglichkeit, Erleuchtung zu erlangen.“ Das ist die Entschuldigung dafür. Aber ich denke, für uns ist das nicht so übermäßig von Belang.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der wesentliche Sinn, warum man sich auf Chakrasamvara-Praxis einlässt, ist, den erleuchteten Zustand eines Buddhas zu erlangen, weil man überaus starkes Mitgefühl für alle und jeden empfindet. Um Erleuchtung zu erlangen, ist es erforderlich, die Leerheit frei von Begrifflichkeit mit Bodhichitta und einem glückseligen Geisteszustand zu erkennen. Und die effektivste Methode dafür ist, Zugang zur subtilen Ebene geistiger Aktivität, zum Geisteszustand des klaren Lichts, zu gewinnen. Eine Möglichkeit, Zugang dazu zu gewinnen, besteht darin, immer höhere Ebenen von Glückseligkeit im zentralen Energiekanal zu erfahren, wodurch die Energiewinde und der Geisteszustand subtiler werden. Dazu findet man im Chakrasamvara-System die meisten Einzelheiten, insbesondere in Verbindung mit Tummo, der Praxis der inneren Hitze, auf der Vollendungsstufe sowie verschiedenen Visualisierungspraktiken auf der Erzeugungsstufe, die uns helfen, zunehmend glückselige Geisteszustände zu erreichen.

Soweit also die allgemeine Einführung in das Chakrasamvara-System. Und bitte denkt daran, dass die Visualisierung eurer selbst in Form einer dieser Gestalten, die Rezitation der Mantras und all die übrigen Praktiken, solange ihr nicht als Grundlage die drei hauptsächlichen geistigen Pfade – Entsagung, Bodhichitta und das Verständnis der Leerheit – sehr stark entwickelt habt, lediglich zur Ursache für die Wiedergeburt als ein hungriger Geist in Form einer solchen Gottheit wird. Es ist überaus wichtig, zu verstehen, dass es nicht nur um dieses Leben geht und darum, einen Ausflug in eine Art buddhistisches Disneyland zu machen und Vajra und Glocke zu schwenken, als wäre man ein großer Yogi. Das Ganze muss von Bodhichitta getragen und dem Erreichen der Erleuchtung gewidmet sein, um allen Lebewesen zu nutzen, mit dem klaren Verständnis der Leerheit dessen, was man tut (macht keinen großen Ego-Trip daraus), und es muss natürlich damit verbunden sein, alle Gelübde einzuhalten, die ethische Disziplin, auf der dies alles basiert. Damit und mit der Inspiration durch die Lehrer und die Überlieferung macht euch auf den Weg.

Vielen Dank.

Fragen und Antworten

Wir haben unsere Zeit nun schon überschritten, und es wäre zwar nett, wenn wir noch Gelegenheit für ein paar Fragen hätten, aber ich weiß nicht, ob das okay ist. Fragen? Keine Fragen? Fünf Minuten? In Ordnung. Ich muss mich nur beherrschen, dass ich in den fünf Minuten nicht nur eine einzige Antwort gebe.

Der Geisteszustand des klaren Lichts

Könnten Sie bitte etwas klären im Hinblick auf den Geisteszustand des klaren Lichts? In seinem natürlichen Zustand ist er nicht in die nicht-begriffliche Erkenntnis der Leerheit vertieft und nicht mit der Erfahrung von Glückseligkeit verknüpft; muss man ihn das also sozusagen lehren?

Richtig, man muss die subtilste geistige Ebene trainieren, um diese Erkenntnis der Leerheit zu haben und sie als glückseliges Gewahrsein hervorzubringen. Man trainiert sie, indem man das glückselige Gewahrsein und die Erkenntnis der Leerheit zuerst auf gröberen geistigen Ebenen erlangt und dann entweder durch Yoga der Windenergien oder Yoga der Glückseligkeit in der Meditation zu der subtilsten Stufe gelangt.

Kriterien zur Klassifizierung von Tantras

Sind die Kriterien, gemäß denen die Systeme der Seite des Guhyasamaja oder der Seite des Chakrasamva zugeordnet werden, dieselben wie diejenigen, die bei der Einteilung in Yidam- und Dakini-Praktiken eine Rolle spielen, oder sind das zwei verschiedene Klassifizierungen?

Yidam- und Dakini-Praktiken sind etwas ziemlich anderes. Von dieser Art Unterteilung ist in der Gelug-Tradition eigentlich nicht die Rede. In dem Klassifizierungssystem, das von Tsongkhapa dargelegt wurde, ist es so, dass Vater-Tantra, wie zum Beispiel Guhyasamaja, die meisten Einzelheiten zur Praxis des Illusionskörpers beinhaltet und darauf das größte Gewicht legt. Die Praxis des Illusionskörpers erfolgt mit den Energiewinden. Guhyasamaja enthält also zahlreiche Details dazu. Mutter-Tantra [wie zum Beispiel Chakrasamvara] hingegen liegt das Schwergewicht auf die Praktiken des klaren Lichts, und das bezieht sich insbesondere darauf, die Praxis des klaren Lichts durch die zunehmenden Ebenen von Glückseligkeit durch Tummo zu erlangen. Beide sind Yidam-Praktiken. Etwas, das speziell Dakini-Praxis genannt wird, gibt es in der Gelug-Tradition nicht.

Was ist der Zweck der unterschiedlichen Yidam-Formen?

Wir haben darüber gesprochen, dass es eigentlich nicht so darauf ankommt, ob eine Gottheit zwei oder vier Arme hat und dass das nicht von Belang ist. Aber zugleich gibt es in den tantrischen Systemen Gottheiten, die 24 Arme und mehrere Gesichter haben, und es gibt 62 Gottheiten im äußeren Mandala und 62 Gottheiten im Körper-Mandala. Welcher Sinn steckt hinter all dieser Vielfalt? Nur, um unser Gehirn zu strapazieren?

Nein. In jedem dieser Systeme ist es so, dass die unterschiedliche Form – seien es vier Arme oder zwei oder sechs oder 24 oder 32 – jeweils etwas Bestimmtes repräsentiert, etwa im Hinblick darauf, was dadurch gereinigt wird, im Hinblick auf eine bestimmte Art von Errungenschaft usw. Wenn man sich mit zahlreichen verschiedenen Systemen befasst, merkt man bald, dass man Methode und Weisheit, die sechs Paramitas und vieles andere auf zahlreiche verschiedene Arten darstellen kann. Der wesentliche Punkt ist, dass das ein Hilfsmittel ist, um das im Sinn zu behalten, was diese Formen repräsentieren. Das letztliche Ziel besteht nicht darin, dass man sechs oder 24 Arme visualisieren kann, sondern sich gleichzeitig all dessen gewahr zu sein, was sie symbolisieren.

Im Chakrasamvara-System dienen die 62 Gottheiten im äußeren Mandala dazu, die Energien äußerlich zu beherrschen – oder zu bändigen, wie ich wohl besser sagen sollte. Im Körper-Mandala befinden sie sich an der äußeren Spitze der verschiedenen Energiekanäle, die den Körper durchziehen, und der Zweck davon ist, ein glückseliges Gewahrsein am äußeren Ende dieser Kanäle zu erzeugen. Denn von den fünf Arten der Energiewinde ist diejenige, die quasi durch die Haut geht – die alles durchdringende Art von Energiewind – diejenige, die am schwierigsten in den zentralen Kanal gelenkt werden kann. Es handelt sich also um ein spezielles System, das uns helfen soll, diese Energiewinde, welche die schwierigsten sind, in den zentralen Kanal zu bringen. Die 62 Gottheiten dienen also einem ganz speziellen Zweck und werden an ganz bestimmten Stellen des Körpers visualisiert.

Gut. Wir schließen nun mit einer Widmung. Wir denken: Möge jegliches Verständnis, jegliche positive Kraft, die hier aus all dem entstanden ist, sich immer weiter vertiefen und als Ursache dafür wirken, Erleuchtung zum Nutzen aller zu erreichen.

Danke.

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