Die mittlere und fortgeschrittene Ebene der Motivation

Rückblick

Wir haben über die aufeinander folgende Stufen des spirituellen Weges gesprochen, auf denen wir im Grunde versuchen, unsere Motivation auszudehnen, indem wir mit einem geringeren Ausmaß beginnen und sie bis zum vollen Ausmaß erweitern. Dabei baut jede Stufe auf der vorhergehenden auf.

Wir haben auch festgestellt, dass man diese Entwicklung auf zweierlei Art durchlaufen kann. Wir können einer „Dharma light“-Version folgen, wobei es uns im Wesentlichen darum geht, dieses Leben zu verbessern, d.h. ein etwas besseres Leben zu führen. Für die meisten von uns ist das der Ausgangspunkt, an dem wir beginnen müssen. Doch die traditionelle Darstellung des Stufenwegs befasst sich gar nicht erst mit dieser Ebene, da bereits die feste Überzeugung vorausgesetzt wird, dass es seit jeher und ohne Ende immer weitere Wiedergeburten gibt. Im echten Dharma geht es also um Entwicklung im Kontext von Wiedergeburten.

Wir haben gesehen, dass die anfängliche Motivation, wie alle anderen Ebenen der Motivation auch, mit einem Ziel verbunden ist sowie mit einem Grund dafür, dieses Ziel zu erreichen, und einer Emotion, die dahinterliegt und den Antrieb liefert, dieses Ziel zu erreichen. Mit der ersten Ebene der Motivation [im Sinne des echten Dharma] streben wir an, zukünftige Leben zu verbessern, und wollen sicherstellen, dass wir wieder ein kostbares menschliches Leben erlangen, damit wir uns weiter in Richtung auf größere Ziele entwickeln können. Wir verstehen, dass es überaus schwierig ist, die letztendlichen Ziele schon in diesem Leben zu erreichen. Sie zu erreichen, erfordert lange Zeit und vielerlei intensive Bemühungen. Der Grund für das Bestreben, fortgesetzt bessere Wiedergeburten zu erlangen, besteht also darin, dass wir dann weiter auf dem Pfad voranschreiten können.

Das ist es, was wir vorhaben, wenn wir das Ziel einer kostbaren Wiedergeburt erreichen. Es geht nicht darum, im nächsten Leben in den Himmel zu kommen und es sich dort gutgehen zu lassen. Die Emotion, die auf der anfänglichen Ebene die Antriebskraft dafür liefert, eine bessere Wiedergeburt anzustreben, ist das Zurückschrecken vor schlimmeren Wiedergeburten, in denen wir keine Möglichkeit haben, uns weiterzuentwickeln. Doch wir sind überzeugt, dass es eine Möglichkeit gibt, derartige Wiedergeburten zu vermeiden. Wir haben darüber im Sinne einer sicheren Richtung gesprochen, die wir einschlagen können, auch „Zuflucht“ genannt. Sie besteht im Grunde darin zu versuchen, alle Begrenzungen und negativen Aspekte, die unsere geistige Aktivität begleiten, vollständig und für immer zum Aufhören zu bringen, insbesondere im Hinblick auf unser Verhalten, und auf konstruktive Weise zu handeln. Dabei machen wir uns insbesondere bewusst, wie wertvoll dieses menschliche Leben mit all den Möglichkeiten ist, die wir haben, und entwickeln angemessene Wertschätzung dafür. Wir wissen auch, dass es zum Zeitpunkt des Todes mit diesem Leben aus und vorbei sein wird. Der Tod wird mit Sicherheit kommen, und wir haben keinerlei Gewissheit, wann das geschieht.

Selbst die besten Wiedergeburts-Zustände sind unbefriedigend

Auf der mittleren Ebene der Motivation setzen wir unsere Überlegungen noch tiefer gehend fort. Selbst wenn eine der so genannten besseren Wiedergeburten oder sogar wieder ein kostbares menschliches Leben erlangen, bleibt es dennoch unbefriedigend, immer so weiterzumachen. Das Leben nimmt seinen Lauf, und es gehört zu seiner Natur, dass es immer auf und ab geht und wir nie wissen, wie wir uns im nächsten Moment fühlen werden. Es kann sein, dass wir gerade glücklich sind und im nächsten Moment werden wir plötzlich traurig oder deprimiert. Die kleinsten Anlässe regen uns auf, und natürlich machen wir in jedem Leben die Schwierigkeiten durch, die damit verbunden sind, dass man geboren wird, ein Kleinkind ist, seine körperlichen Funktionen nicht beherrschen kann, laufen und sprechen lernen muss – all das ist ziemlich lästig. Wir müssen zur Schule gehen – wer will das schon alles nochmals durchmachen? Später dann gilt es einen Partner zu finden, eine Arbeit zu finden usw., und wiederum sind wir mit Krankheit, Alter und Tod konfrontiert – nicht nur bei uns selbst, sondern auch im Hinblick auf diejenigen, die wir lieben.

Auch an diesem kostbaren menschlichen Leben gibt es also vieles, was unbefriedigend ist, und unsere emotionalen Probleme sind weiterhin vorhanden. Wir werden ärgerlich, wir regen uns auf, wir haben Begierden, wir hängen sehr an Menschen und Dingen. Und wir sind naiv, was Ursachen und Wirkungen betrifft, und bezüglich der Realität. Deshalb handeln wir töricht, meinen etwa, dass unsere Verhaltensweisen und die Art, wie wir reden, keine Auswirkungen auf andere haben – als wären die anderen Menschen eigentlich nicht vorhanden und hätten keine Gefühle. Das ist völlig naiv, nicht wahr?

All diese Probleme werden sich auch in jeder glücklichen Wiedergeburt fortsetzen; wir werden weiterhin dieses Auf und Ab erleben und von glücklichen zu unglücklichen, von besseren zu schlimmeren Situationen und Wiedergeburten wechseln. Das ist es, was mit „immer wieder unfreiwillig stattfindender Existenz bzw. Wiedergeburt“ gemeint ist. Das Sanskrit-Wort dafür lautet „samsara“.

Entsagung: Entschlossen danach streben, frei zu sein

Auf der mittleren Ebene der Motivation ist das Ziel, das wir anstreben, von all dem frei zu sein. Unser geistiges Kontinuum hat keinen Anfang und kein Ende, und wir wollen nicht in diesem scheinbar endlosen Kreislauf immer wiederkehrender unfreiwilliger Wiedergeburten weitermachen. Mit „scheinbar endlos“ ist gemeint: Er wird sich immer weiter fortsetzen, wenn wir nichts dagegen tun. Doch wir müssen dem ein Ende setzen, eine wahre Beendigung von Samsara erreichen. Warum? Weil wir das Leiden zum Aufhören bringen wollen. Auch wenn die Probleme, die auftreten, nicht allzu krass sind, wollen wir doch auch die weniger offenkundigen Probleme zum Aufhören bringen. Das ist der Grund dafür, dass wir wir Befreiung erlangen wollen.

Diese Art von Befreiung wird auf Sanskrit „nirvana“ genannt, und die Emotion, die uns den Antrieb dazu gibt, wird für gewöhnlich als „Entsagung“ übersetzt. Das ist jedoch keine optimale Übersetzung dafür; das Wort bezieht sich im Grunde auf die starke Entschlossenheit, frei zu sein. Wir haben es gründlich satt und sind all dessen zutiefst überdrüssig. Wir habe genug davon: Wir wollen frei davon sein.

Bereit sein, die störenden Emotionen aufzugeben

Wir erkennen, dass wir, um frei zu sein, die Ursachen all unserer Probleme und Leiden beseitigen müssen. Wir sind also ganz und gar bereit, nicht nur das Leiden aufzugeben, sondern auch die Ursachen dafür. Es geht nicht darum, das Eis-Essen oder den Schokoladengenuss usw. aufzugeben. Das ist ein sehr banales Verständnis von Entsagung. Vielmehr sind wir entschlossen, uns von unserem Ärger zu befreien, von unserer Gier, von unserer Anhaftung an all das. Im Falle von Schokolade geht es darum, von der Anhaftung daran abzulassen, die auf der Übertreibung ihrer Qualitäten beruht. Wir denken etwa: „Das ist das Wunderbarste und Köstlichste auf der ganzen Welt, und es wird mich vollkommen und endgültig glücklich machen.“ Wenn Schokolade das bewirken könnte, dann müssten wir, je mehr wir davon essen, umso glücklicher werden. Doch selbst dem größten Schokoladenfan wird nach einer Weile übel davon werden und er will keine Schokolade mehr sehen.

Aufrichtig bereit zu sein, unsere Anhaftung, unseren Ärger und dergleichen aufzugeben, ist eine tief greifende Angelegenheit und sehr schwierig. Wir sollten das nicht unterschätzen. Wir sind in einer ähnlichen Situation wie die Person in einem Witz: sie haut immer mit dem Kopf gegen die Wand, hat aber Angst, damit aufzuhören, denn sie weiß ja nicht, ob nicht vielleicht alles noch schlimmer wird, wenn sie damit aufhört. Wir sind eben völlig daran gewöhnt und deshalb fahren wir damit fort, mit dem Kopf gegen die Wand zu hauen. Das ist natürlich ein extremes Beispiel. Ein alltäglicheres Beispiel ist, in einer ungesunden Beziehung mit jemandem auszuharren, aber zu zögern, sie zu beenden, weil man Angst vor dem Alleinsein hat. Lieber erhalten wir die ungesunde Beziehung aufrecht und fühlen uns elend.

Das ist nichts Ungewöhnliches, oder? Wir wollen jemandem bestimmte Dinge nicht sagen, weil wir befürchten, dass er oder sie uns dann vielleicht verlässt. Es geht hier also nicht um völlig fremdartige Erfahrungen, sondern um etwas, was wir dauernd erleben.

Ist es möglich, sich von unfreiwillig immer weiter auftretenden Wiedergeburten zu befreien, und bin ich dazu fähig?

Um dieses Ziel, sich zu befreien, und schließlich Erleuchtung zu erlangen, müssen wir zunächst einmal wissen, dass das überhaupt möglich ist, und wie man dahin gelangt. Das sind komplizierte Themen, und weil es schwierig ist nachzuweisen, dass das erreichbare Ziele sind und jeder dazu fähig ist, überspringen viele Menschen diesen Schritt. Das ist ein großer Fehler, denn wenn wir nicht überzeugt sind, dass wir diese Ziele erreichen können, warum sollten wir uns dann die Mühe machen, darauf hinzuarbeiten? Das Ganze ist dann mehr eine Art Spiel, und irgendwann kommen wir an einen Punkt, an dem wir sagen: „Das ist doch lächerlich“ und aufgeben.

Wir müssen in diesem Zusammenhang die Themen der so genannten „Buddha-Natur“ (der Faktoren, die Befreiung und Erleuchtung möglich machen), der natürlichen Reinheit des Geistes usw. gründlich untersuchen. Sind unsere störenden Emotionen und die Verwirrung grundlegender Bestandteil unseres Geistes? Wenn das der Fall wäre, müssten sie immer, in jedem Moment, vorhanden sein. Wenn es nicht der Fall ist - handelt es sich dann um etwas, das nur zeitweise vorhanden ist und beseitigt werden kann, sodass es nie wieder auftritt?

Es ist unbedingt notwendig, darüber zu diskutieren und diese Dinge zu hinterfragen. Es geht nicht um etwas, das wir einfach blindgläubig akzeptieren sollten. Je mehr Fragen wir dazu aufwerfen, umso besser, denn wir müssen alle diesbezüglichen Zweifel klären, damit wir fest überzeugt sind von dem, was wir vorhaben. Müssen wir also warten, bis wir hundertprozentig überzeugt sind? Das keine Frage, die leicht zu beantworten ist. Wie wissen wir, wann wir voll und ganz überzeugt sind? Das kann sehr lange dauern.

Wenn wir der Meinung sind, es sei bloßer Unsinn, können wir auf dieser Grundlage natürlich nicht voranschreiten. Aber wenn unsere Gedanken in die Richtung gehen zu erwägen, dass es vielleicht tatsächlich möglich ist, können wir weitermachen. Doch die Auffassung, dass das wahr ist, sollte auf einer Art von Begründung basieren, nicht auf blindem Glauben oder „weil mein Lehrer das gesagt hat.“ Buddha selbst sagte: „ Glaubt nichts, was ich gesagt habe, einfach nur, weil ihr mir glaubt, sondern überprüft es, so wie ihr es tun würdet, wenn ihr Gold kaufen wollt.“ Wir müssen es untersuchen, um festzustellen, ob es auch wirklich wahr (bzw. echt) ist.

Zu der Überzeugung gelangen, dass es Wiedergeburt gibt: Der Fall von Serkong Rinpoche in zwei Leben

Zu der Überzeugung zu gelangen, dass es Wiedergeburt gibt, kann ein sehr langer Prozess sein. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen, denn ich habe viele Jahre daran gearbeitet. Ich habe seit 45 Jahren Buddhismus studiert, und irgendwann habe ich sicherlich ein auf Begründungen beruhendes, intellektuelles Verständnis erlangt, warum die Annahme, dass es Wiedergeburt gibt, einen Sinn ergibt. Aber ich muss sagen, was mir wirklich gefühlsmäßig auf die Sprünge geholfen und mich überzeugt hat, war die Erfahrung, meinen Lehrer in zweien seiner Leben zu treffen. Sein Name war Serkong Rinpoche und er war einer der Lehrer Seiner Heiligkeit des Dalai Lama; ich konnte mich sehr glücklich schätzen, ein enger Schüler von ihm zu sein. Ich verbrachte neun Jahre an seiner Seite, während derer ich für ihn übersetzte und als eine Art persönlicher Sekretär für ihn tätig war. Ich organisierte all seine Auslandsreisen, begleitete ihn und arbeitete sehr eng mit ihm zusammen. Er starb, wurde wiedergeboren und mit Hilfe des tibetischen Tulku-Systems wiederentdeckt.

Nun ist er 25 Jahre alt und ich habe immer noch eine äußerst enge Beziehung zu ihm, ganz ähnlich wie zu seiner früheren Inkarnation. Allerdings ist der Altersunterschied natürlich jetzt umgekehrt!

Als ich den neuen Serkong Rinpoche das erste Mal traf, war er gerade mal vier Jahre alt, und als ich hereinkam, fragten ihn die Leute, mit denen er zusammenlebt: „Weißt du, wer das ist?“ Er antwortete: „Fragt nicht so dumm, natürlich weiß ich, wer das ist.“ Vom ersten Augenblick an verhielt sich dieser Vierjährige mir gegenüber völlig vertraut und anhänglich, erheblich mehr als gegenüber anderen Menschen. So blieb es auch, als er älter wurde.

Ab und zu schauten wir uns Videos mit Aufzeichnungen aus seinem vorherigen Leben an und des Öfteren sagte er zu mir – und er erzählt mir kein dummes Zeug –: „Ach ja, ich erinnere mich, dass ich das gesagt habe …“ Abgesehen von all den logischen Argumenten und Begründungen war es im Grunde diese Erfahrung, die mir wirklich geholfen hat, über die vage Annahme: „Nun ja, möglicherweise usw.“ hinauszugehen. Sie verschaffte mir Gewissheit.

Diese Inhalte sind nicht einfach. Ist es wirklich möglich, Erleuchtung zu erreichen? Ist die Natur des Geistes wirklich rein? Selbst wenn wir das rational verstehen, müssen wir noch viel tiefer gehen, um es emotional zu verstehen. Aber allmählich können wir daran arbeiten.

Verwirrung bezüglich der Realität als Ursache für unfreiwillig auftretende Wiedergeburten

Im Zusammenhang mit der mittleren Ebene der Motivation im Lam-rim erfolgt eine sehr detaillierte Erklärung des Mechanismus der Wiedergeburt mittels der „zwölf Glieder des abhängigen Entstehens“. Das ist der Name für einen sehr komplizierten Vorgang, der mit dem umfassenden Thema Karma, karmische Hinterlassenschaft usw. zu tun hat. Es ist notwendig, die verschiedenen Arten störender Emotionen wie z.B. Ärger und Gier usw. gründlich zu verstehen sowie ihr Entstehungsweise und was ihnen zugrunde liegt. Ganz einfach ausgedrückt, bezeichne ich diesen zugrunde liegenden Faktor als „Verwirrung“, nämlich in dem Sinne, dass wir verwirrt sind hinsichtlich der Wirkung unseres Verhaltens auf uns selbst und andere. Im tieferen Sinne bezieht der Ausdruck sich darauf, dass wir verwirrt sind in Bezug darauf, wie wir existieren, wie andere existieren, wie alles existiert.

Im Grunde neigen wir dazu zu meinen, die Dinge würden auf unabhängige Weise existieren, ganz von sich aus und getrennt von allem anderen, so als wären sie einzeln in Plastik verpackt. Selbst wenn wir denken, dass alles miteinander in Verbindung steht, neigen wir dennoch dazu, uns das quasi so vorzustellen, als wären die einzelnen Dinge in Plastik gehüllt und wie durch Stäbe miteinander verbunden. Es gibt viele Schichten dieser Auffassung, die unterschiedlich subtil sind, und die wir im Zusammenhang mit unterschiedlich subtilen Vorstellungen von unmöglichen Existenzweisen verstehen müssen. Es ist wichtig, zu verstehen, was genau es ist, das es unmöglich geben kann, und was dabei jeweils durch unsere Verwirrung auf alles projiziert wird.

Leerheit: Die völlige Abwesenheit unmöglicher Arten zu existieren

Was es zu verstehen gilt, wird „Leerheit“ (Leere) genannt. „Leerheit“ bedeutet eine völlige Abwesenheit: etwas ist überhaupt nicht vorhanden. Das, was nicht vorhanden ist, ist: ein tatsächliches Objekt, auf das sich diese Projektionen von Unmöglichem beziehen. Sie entsprechen nichts, was es wirklich gibt.

Wir können das am Beispiel „Weihnachtsmann“ veranschaulichen. Nehmen wir an, wir sehen eine Person in einem roten Gewand mit einem weißen Bart und sie sieht aus wie das, was wir „Weihnachtsmann“ nennen. Wir denken, sie sei der Weihnachtsmann – aber warum? Weil sie so aussieht. Aber die Erscheinung des Weihnachtsmanns entspricht nicht etwas Realem, denn es gibt eigentlich keinen Weihnachtsmann. Das ist es, worum es bei der Leerheit geht: quasi die Abwesenheit eines tatsächlichen Weihnachtsmanns, der dieser Erscheinung entspricht. Das stellt keineswegs in Abrede, dass da eine Person ist und dass sie wie der Weihnachtsmann aussieht. Wir stellen lediglich klar, dass die Art, wie diese Person uns erscheint, täuscht. Sie sieht aus wie der Weihnachtsmann, doch sie ist in Wirklichkeit nicht der Weihnachtsmann, denn so etwas gibt es nicht.

Aber auf solche Weise läuft unsere Wahrnehmung die ganze Zeit ab. Wir projizieren allen möglichen Unsinn: dass jemand Bestimmtes die allerschönste Person der Welt sei, oder die schrecklichste Person überhaupt, oder dass wir ein Geschenk Gottes für die Welt sind, oder aber, dass wir überhaupt nichts taugen. Wir projizieren das, als ob wir oder andere auf diese Weise existieren würden, nämlich unabhängig von allem anderen, so, als wäre das unveränderlich und wahr.

In Wirklichkeit existiert niemand auf diese Weise. Das ist unmöglich, denn alles existiert in Relation zu etwas anderem. Seine Heiligkeit der Dalai Lama veranschaulicht das immer am Beispiel unserer Finger. Ist der Ringfinger lang oder kurz? Nun, im Vergleich zum kleinen Finger ist er lang, aber im Vergleich zum Mittelfinger ist er kurz. Von sich aus, aus eigener Kraft – ist er da kurz oder lang? Darauf gibt es keine Antwort, denn kurz oder lang ist er nur im Verhältnis zu etwas anderem. Es ist völlig abhängig von anderem Dingen und auch abhängig von unserer begrifflichen Vorstellung, was lang und was kurz ist. Ich nehme an, Sie verstehen, worum es geht.

Auf dieser mittleren Ebene arbeiten wir daran, grundlegendes falsches Verständnis zu beseitigen, indem wir ein Verständnis von der Leerheit entwickeln. Genau diese Verwirrung [in Bezug darauf, wie wir und alles andere existieren] ist es, welche die unfreiwillig wiederkehrende Wiedergeburt verursacht, denn sie aktiviert Karma und karmische Hinterlassenschaften, wie es in dem komplizierten Mechanismus der zwölf Glieder des abhängigen Entstehens erläutert wird.

Die Notwendigkeit von Konzentration und ethischer Selbstdisziplin

Um ein Verständnis der Leerheit zu erlangen, brauchen wir Konzentration; und um uns konzentrieren zu können, brauchen wir ethische Disziplin. Die Analogie, die als Veranschaulichung angeführt wird, ist das Fällen eines Baumes. Das Verständnis ist wie eine scharfe Axt, doch um tatsächlich einen Baum zu fällen, müssen wir immer dieselbe Stelle treffen – das entspricht der Konzentration. Um die Axt hochzuheben und sie zu schwingen und damit stets dieselbe Stelle zu treffen, brauchen wir Kraft. Diese Kraft rührt aus der ethischen Disziplin, mit der wir uns davon zurückhalten, destruktiv zu handeln usw.

Im Zusammenhang mit der mittleren Ebene werden auch verschiedene Reihen von Gelübden dargelegt, die man ablegen kann. Dazu gehören die vollständigen Mönchs- bzw. Nonnengelübde sowie auch die Gelübde eines männlichen oder weiblichen Laien im Haushaltsstand. Jemand im Haushaltsstand ist eine Person, die nicht im Zölibat in einem Kloster lebt; es muss ich nicht unbedingt um jemanden handeln, der eine Familie hat; auch Alleinstehende gehören also dazu. Im klassischen Indien kam das allerdings ziemlich selten vor; Menschen im Haushaltsstand hatten fast immer eine Familie. Die Gelübde für Ordinierte oder für Menschen im Haushaltsstand werden „ Gelübde zur individuellen Befreiung“ genannt. Sie zielen also auf unsere Befreiung ab. Sie unterstützen uns dabei, bestimmte Verhaltensweisen zu vermeiden, die aller Wahrscheinlichkeit nach von störenden Emotionen motiviert sind, welche unserer Meditationspraxis oder ähnlichen förderlichen Aktivitäten entgegenstehen.

Gelübde abzulegen ist von großer Bedeutung und hat eine starke Wirkung. Warum? Wenn wir ein Gelübde ablegen, etwas nie wieder zu tun, befreit uns das von Unentschiedenheit. Nehmen wir z.B. an, wir versuchen, das Trinken von Alkohol oder das Rauchen aufzugeben. Jedes Mal, wenn wir mit Leute zusammen sind, die Alkohol trinken oder rauchen, erleben wir eine Art Unschlüssigkeit, ob wir auch eine rauchen oder etwas trinken oder jetzt ablehnen wollen. Auch wenn wir wirklich versuchen, es aufzugeben, müssen wir jedes Mal, wenn solch eine Situation auftritt, eine Entscheidung treffen, und das kann sehr schwierig, wenn nicht gar aufreibend sein.

Wenn wir ein Gelübde ablegen, ist das erledigt. Wir haben die Entscheidung getroffen: „Ich trinke nicht mehr; ich rauche nicht mehr“ – oder was immer das Gelübde beinhalten mag. Dann spielt es keine Rolle mehr, wenn alle anderen ein Bier trinken, denn unser Entschluss steht schon fest. Im Grunde sind diese Gelübde also keine Einschränkung oder gar Bestrafung, sondern sie können uns tatsächlich eine Menge Kraft geben und uns von Unschlüssigkeit befreien, insbesondere in Bezug auf Verhaltensweisen, die dem Erreichen endgültiger Befreiung entgegenstehen würden.

Im Buddhismus besteht keinerlei Verpflichtung, Gelübde abzulegen. Es ist wichtig, das zu wissen. Niemand kann sagen, wir müssten dieses oder jenes Gelübde ablegen, und niemand sagt, wir müssten Mönch oder Nonne werden und in einem Kloster leben. Wenn es uns aber wirklich ernst ist mit dem Vorhaben, Befreiung von Samsara zu erlangen und Ärger, Anhaftung, Gier usw. für immer loszuwerden, dann können bestimmte Gelübde das mit Sicherheit erleichtern. Vielleicht sind wir gegenwärtig dazu nicht bereit, und das ist völlig in Ordnung. Wir müssen uns selbst und unsere Situation aufrichtig einschätzen.

Das sind die wesentlichen Punkte der Motivation mittleren Ausmaßes. Obgleich Konzentration und Leerheit auch dazu gehören, wird beides noch nicht in aller Vollständigkeit erläutert. Diese Themen werden in den Lehren über die fortgeschrittene Ebene ausführlich behandelt.

Die fortgeschrittene Ebene der Motivation: An alle anderen denken

Auf der fortgeschrittenen Ebene denken wir daran, dass wir nicht allein auf der Welt sind. Es gibt auch noch all die anderen, und sie alle befinden sich insofern in derselben Situation wie wir, als sie alle ebenfalls Leid erfahren und unfreiwillig wiederkehrende Wiedergeburten durchlaufen. Wir wollen dauerhaftes Glück und wir wollen nicht leiden, und genauso geht es auch allen anderen. In dieser Hinsicht sind wir alle gleich. Nicht nur ich und ein paar ausgewählte andere, sondern alle anderen, jeder einzelne davon. Wir alle stehen miteinander in Verbindung und sind voneinander abhängig. Wir existieren nicht isoliert und unabhängig voneinander; wir könnten so gar nicht überleben.“

Es gibt einige sehr ausgefeilte Methoden, wie wir unser Herz so weit ausdehnen können, dass es alle Wesen gleichermaßen umfasst. Einige dieser Methoden kamen bereits kurz zur Sprache, als es darum ging, zu erkennen, dass alle Wesen irgendwann in früheren Leben unsere eigene Mutter waren und uns große Güte erwiesen haben. Es gibt auch eine Dharma-light-Version davon, nämlich: dass jeder imstande ist, sich wie eine Mutter um uns zu kümmern. Aber diese Vorstellung hat ihre Grenzen, weil wir sie nur schwer auf unseren Freund, den Moskito, übertragen können.

Liebe

Um unser Herz weiter zu öffnen, fangen wir an, das zu entwickeln, was „Liebe“ genannt wird. Eigentlich beginnt dieser Prozess damit, dass wir Gleichmut entwickeln, nämlich in dem Sinne, dass wir uns nicht zu einigen Leuten hingezogen, von anderen abgestoßen fühlen und den übrigen gegenüber gleichgültig sind. Wir arbeiten daran, für jeden offen zu sein, und auf dieser Grundlage erkennen wir, dass wir alle miteinander in Verbindung stehen. Wir können diesen Geisteszustand entwickeln, indem wir überlegen, dass jeder unsere Mutter war und in vergangenen Leben gut zu uns war, oder einfach, indem wir uns bewusst machen, dass alles, was wir benutzen und genießen, durch die Arbeit von anderen zustande gekommen ist. Denken Sie nur einmal an den Fußboden unter sich, das Gebäude, in dem Sie sich befinden, das Wasser, das Sie trinken – denken wir überhaupt je darüber nach, wo das alles herkommt? Wie sind unser Wasser und unsere Nahrungsmittel hierher gelangt? All das ist aus der Tätigkeit von anderen, den Anstrengungen derjenigen in unserer Umgebung, hervorgegangen. Wir alle sind gleich, und deswegen ist es unvernünftig, nur etwas für den eigenen Nutzen zu tun, denn zu unserem eigenen Nutzen müssen wir allen nutzen.

Auf dieser Grundlage können wir Liebe gleichermaßen für alle entwickeln. Diese Liebe besteht in dem Wunsch, dass jeder glücklich sein möge und die Ursachen dafür haben möge. Es geht hier also nicht um romantische Liebe, die für gewöhnlich mit einer Menge Anhaftung vermischt ist. Wenn wir sagen: „Ich liebe dich“, bedeutet das normalerweise: „Ich brauche dich – verlass mich nicht. Ich kann ohne dich nicht leben“. Wenn wir von der anderen Person nicht die gewünschte Aufmerksamkeit bekommen oder sie etwas Hässliches zu uns sagt, ändert sich die Einstellung schnell zu: „Ich liebe dich nicht mehr“.

Die Art von Liebe, von der im Buddhismus die Rede ist, hat jedoch nichts damit zu tun, wie sich die andere Person verhält, wie sie uns gegenüber auftritt usw. Es handelt sich einfach um den Wunsch: Mögest du glücklich sein. Es ist, als wären alle ein Teil meines Körpers. Wir möchten, dass es all unseren Zehen gut geht, nicht nur einigen davon. Es spielt keine Rolle, wie meine Zehen sich mir gegenüber verhalten.

Mitgefühl

Mit Liebe gehen wir zu Mitgefühl über. Mitgefühl besteht in dem Wunsch, dass andere frei von ihrem Leiden sowie den Ursachen dafür sein mögen. Das bezieht sich nicht nur auf die oberflächlichen Arten des Leidens, das Auf und Ab des Lebens, sondern auch auf die tieferen Ebenen des Leidens, wie die unkontrollierbar immer wiederkehrenden Wiedergeburten. Mitgefühl bedeutet nicht, jemanden von oben herab zu bedauern: „Ach, du armes Ding.“ Es beruht auf Respekt und dem Verständnis, dass es möglich für ihn ist, frei von Leiden und dessen Ursachen zu sein. Das ist nicht nur ein frommer Wunsch; es sind nicht bloß schöne Worte. Mit diesem Mitgefühl fangen wir an, Verantwortung dafür zu übernehmen, einen Zustand herbeizuführen, der frei von Leiden ist. Dazu gehört eine Menge Mut.

Wenn wir das entwickeln, was „großes Mitgefühl“ genannt wird, richtet sich unser Mitgefühl auf alle Wesen gleichermaßen; wir betrachten sie alle so, wie eine liebevolle Mutter ihr einziges Kind betrachtet, dessen Wohl ihr zutiefst am Herzen liegt. Das Gefühl großen Mitgefühls beinhaltet auch den Wunsch, jedes Wesen davor zu schützen, noch weiteres Leid ertragen zu müssen.

Der außergewöhnliche Entschluss

Der nächste Schritt besteht darin, einen Geisteszustand zu entwickeln, welcher „der außergewöhnlichen Entschluss“ genannt wird. Dabei handelt es sich um die feste Entscheidung, die Verantwortung zu übernehmen, anderen nicht nur auf oberflächliche Weise oder vielleicht auch tiefer greifend zu helfen. Wir fassen den Entschluss, anderen zu helfen, den vollkommen erleuchteten Zustand eines Buddha zu erreichen. Wir beabsichtigen dies nicht nur, wir haben uns entschlossen: Wir werden das definitiv tun.

Bodhichitta: Das Ziel, zum Wohle aller Erleuchtung zu erreichen

Die letzte Stufe in dieser Abfolge ist die Entwicklung dessen, was „Bodhichitta“ gennant wird. Die Grundlage dafür sind Liebe, Mitgefühl und der außergewöhnliche Entschluss. Wir erkennen, dass die einzige Art, wie wir jedem am besten helfen können, darin besteht, dass wir selbst den Zustand eines Buddha erreichen. Doch damit dieses Vorhaben realistisch ist, müssen wir verstehen, was ein Buddha ist und wie ein Buddha anderen helfen kann und wie nicht. Erinnern Sie sich: Ein Buddha ist kein allmächtiger Gott, der fähig ist, einfach mit den Fingern zu schnipsen kann und dadurch alles Leiden zu vertreiben. Ein Buddha kann natürlich anderen den Weg aufzeigen und sie inspirieren, aber anwenden müssen wir die Methoden selbst. Niemand kann für uns die Realität verstehen; wir müssen sie schon selbst verstehen.

Angetrieben von Liebe und Mitgefühl, richtet sich Bodhichitta auf unsere eigene zukünftige Erleuchtung aus. Es handelt sich um unsere eigene Erleuchtung, nicht auf die Erleuchtung von Buddha Shakyamuni oder Erleuchtung im Allgemeinen. Unsere Erleuchtung hat noch nicht stattgefunden, aber sie kann und wird stattfinden aufgrund der Faktoren, die die Buddha-Natur unseres geistigen Kontinuums ausmachen. Dazu gehört dessen grundlegende makellose Natur und all seine Potenziale und Möglichkeiten. Auf diese Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat, richten wir uns aus mit der Absicht, sie zu erlangen, damit wir anderen so viel wie möglich nutzen können. Und auf dem Weg zur Erleuchtung wollen wir ebenfalls anderen helfen, so gut wir können.

Das ist Bodhichitta. Es ist ein unglaublich weit ausgedehnter Geisteszustand, und wir sollten ihn nicht mit bloßer Meditation über Liebe und Mitgefühl verwechseln. Bodhichitta ist nicht nur das. Liebe und Mitgefühl sind die Grundlage dafür, doch Bodhichitta ist noch wesentlich mehr.

Die sechs weitreichenden Geisteshaltungen (die sechs Vollkommenheiten)

Wie wir festgestellt haben, besteht das Ziel im Rahmen der fortgeschrittenen Ebene darin, den Zustand eines Buddha zu erreichen, um imstande zu sein, anderen so viel wie nur irgend möglich von Nutzen zu sein. Die Antriebskraft dafür sind Liebe, Mitgefühl und der beschriebene außergewöhnliche Entschluss. Aber wie erreicht man diese Erleuchtung eigentlich? Dafür gibt es die Darlegung der so genannten sechs „Vollkommenheiten“, auf Sanskrit „paramita“. Ich übersetze den Begriff normalerwiese als die „sechs weitreichenden Geisteshaltungen. Ich bevorzuge diesen Ausdruck, weil sie tatsächlich sehr weit reichen: Sie bringen uns den ganzen Weg bis hin zu Buddhaschaft. Wenn man den Ausdruck „Vollkommenheiten“ verwendet, klingt das für manche Menschen so, als müssten sie selbst perfekt sein, was sie aber nicht sind, und deshalb fühlen sie sich unfähig. Das ist aber nicht das Gefühl, das dieser Ausdruck hervorrufen soll.

Großzügigkeit

Die erste Geisteshaltung, die es zu entwickeln gilt, ist Großzügigkeit. Sie beinhaltet, anderen nicht nur materielle Dinge zu geben, sondern auch Rat, Anleitung und Freiheit von Furcht. Selbst wenn wir nichts Materielles zu geben haben, können wir die Bereitschaft entwickeln, zu geben, was auch immer gebraucht wird. Ein weiteres Geschenk, das wir anzubieten haben, ist die Art und Weise, wie wir mit andern umgehen. Weil wir Gleichmut entwickelt haben, haben andere nichts von uns zu befürchten. Wir werden nicht wütend auf sie werden, uns nicht an sie klammern, und wir sind nicht darauf aus, etwas von ihnen zu bekommen. Wir ignorieren andere nicht und wir lehnen sie nicht ab, wenn sie etwas tun, das uns nicht gefällt. Überdies versuchen wir aufrichtig und wahrhaftig, ihnen zu helfen. Das ist wirklich ein unglaubliches Geschenk, das wir jemanden machen können, ein enormes Geschenk, das wir mit dieser Art von Großzügigkeit erzeugen.

Ethische Selbst-Disziplin

Die nächste weitreichende Geisteshaltung, die wir entwickeln, ist ethische Selbst-Disziplin, nämlich die Disziplin, sich nicht destruktiv, sondern so konstruktiv wie möglich zu verhalten. Wir haben die Disziplin, zu studieren, zu meditieren und anderen tatsächlich zu helfen. Wir werden es nicht müde, jemandem zu helfen und vernachlässigen andere nicht, bloß weil wir gerade keine Lust haben, zu helfen.

Geduld

Geduld ist die Fähigkeit, Leiden und Schwierigkeiten aushalten zu können, ohne sich darüber zu ärgern oder aus der Fassung bringen zu lassen. An sich zu arbeiten und zu versuchen, anderen zu helfen, ist nicht leicht. Viele Menschen lassen sich nicht so einfach helfen. Sie machen es uns oft schwer, und wir brauchen Geduld, damit wir nicht ärgerlich werden. Es gibt viele Methoden, Geduld zu entwickeln – genauso wie auch zur Entwicklung all der anderen weitreichenden Geisteshaltungen.

Freudige Ausdauer

Die nächste Geisteshaltung ist freudige Ausdauer; sie bedeutet, dass wir nicht aufgeben, sei es auch noch so schwierig. In diesem Sinne ist die Geisteshaltung eher wie mutige Tatkraft. Und es ist nicht nur so, dass wir nicht aufgeben, sondern wir haben Freude daran, anderen zu helfen; wir sind froh, wenn wir die Gelegenheit dazu haben. Es gibt viele Anleitungen dazu, wie man diese Geisteshaltung entwickelt. Dazu gehört auch, dass man weiß, wann es an der Zeit ist, eine Pause zu machen und sich zu entspannen. Wenn wir uns selbst überfordern und zu hart antreiben, können wir niemandem helfen. Andererseits gibt es als Entsprechung dazu auch vielerlei Methoden dafür, all die verschiedenen Arten von Trägheit zu überwinden, die uns daran hindern würden, die Arbeit an uns selbst fortzusetzen und anderen weiterhin zu helfen.

Geistige Stabilität

Sodann gibt es Übungen zur Entwicklung geistiger Stabilität. Sie beinhalten mehr als bloß Konzentration; sie umfassen auch emotionale Stabilität. Was wir erreichen wollen, ist ein stabiler Geisteszustand, der nicht unter den Einfluss von Ablenkungen gerät und in dem die Aufmerksamkeit nicht zu Objekten abwandert, die wir anziehend finden, zugleich aber auch nicht dumpf und schläfrig wird, sondern konzentriert bei dem bleibt, was wir in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stellen wollen. Wenn z.B. jemand mit uns spricht, schweift unser Geist nicht zu etwas anderem ab. Unser Geist bleibt auch stabil in dem Sinne, dass wir keine störenden Emotionen haben, die die Stabilität ins Wanken bringen; wir sind nicht launisch. Das heißt, dass wir weder überempfindlich noch unsensibel, sondern vielmehr ausgeglichen und gefestigt sind.

Unterscheidendes Gewahrsein

Diese Eigenschaft wird oft als „Weisheit" übersetzt; im Sanskrit lautet der Begriff „prajnaparamita“. Diese letzte Geisteshaltung ist die Fähigkeit, zu unterscheiden, wie die Dinge existieren und was unmöglich ist. Es handelt sich um ein ganz spezielles Gewahrsein, und das Wort „Weisheit“ ist dafür etwas zu vage. Es geht hier speziell um ein Gewahrsein, mit dem man weiß, was unmöglich ist, und es beinhaltet ein Verständnis der Leerheit. Wir unterscheiden, dass bestimmte Dinge lächerlich und unmöglich sind sowie nichts Realem entsprechen.

Mit diesen Übungen und Methoden arbeiten wir daran, die sechs weit reichenden Geisteshaltungen, unsere Zielsetzung und Motivation sowie unseren Entschluss und Bodhichitta zu entwickeln. All das macht die fortgeschrittene Ebene der Motivation aus.

Zusammenfassung

Beruhend auf der anfänglichen Ebene erkennen wir auf der mittleren Ebene, dass wir selbst dann, wenn wir Wiedergeburten in besseren Zuständen erlangen, immer noch leiden. Wir treffen immer noch auf Probleme, wir werden krank und sterben; und dann fängt das alles wieder von vorne an. Und das immer wieder. Wir werden dessen überdrüssig und verstehen, dass es im Verlauf all dieser unfreiwilligen Wiedergeburten nichts gibt, was sich sonderlich davon abhebt, und deshalb streben wir nach Befreiung davon. Wenn wir zur fortgeschrittenen Ebene kommen, hören wir auf, uns selbst für das einzig Wichtige – das Zentrum der Welt - zu halten. Wir erkennen, dass alle insofern völlig gleich sind, als sie glücklich sein möchten und nicht leiden möchten. Und nicht nur das; wir wissen auch, dass alle Wesen, sowohl in früheren als auch in diesem Leben, unglaublich gut zu uns gewesen sind. Ohne sie wären wir nicht imstande zu essen oder zu trinken, zu lesen oder zu schreiben, einkaufen zu gehen, Filme anzuschauen; wir könnten überhaupt nicht viel machen. Wir sehen, dass es beschämend wäre, all das Gute, das uns zuteil wird, zu ignorieren, wir sind bewegt von Liebe und Mitgefühl gegenüber all diesen Wesen, und entwickeln Bodhichitta und damit die Absicht, selbst Erleuchtung zu erreichen, um anderen wirklich von größtmöglichem Nutzen zu sein.

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