Überzeugung vom Dharma

Rückblick auf die wesentlichen Punkte des Lam-rim

Der Lam-rim ist in drei Stufen unterteilt, eine jede mit unterschiedlichen Geisteszuständen, die als Pfade fungieren, welche uns ermöglichen, Erleuchtung zu erreichen. Diese Struktur wurde erstmals von dem großen indischen Meister Atisha ausgestaltet, der eine wesentliche Rolle dabei spielte, den Dharma ein zweites Mal von Indien nach Tibet zu bringen. Er legte diese Struktur in einem Text namens „Lampe für den Pfad zur Erleuchtung“ (Skt. Bodhipatha-pradipa) dar.

Auf Atisha ging die Kadam-Tradition zurück. Im Laufe der Zeit teilte sich diese Tradition und wurde von Tsongkhapa reformiert; so entstand daraus die Gelug-Tradition. Doch die Kadam-Tradition hat auch die anderen Traditionen beeinflusst, denn die „Lojong“-Lehren, d. h. die Lehren des Geistestrainings werden weithin unterrichtet, und sie stammen vor allem aus der Kadam-Überlieferung. Ein weiteres Beispiel für den Einfluss der Kadam-Tradition ist Gampopa, auf den viele Kagyü-Linien zurückgehen, und der als großer Meister bekannt ist, welcher die Überlieferung von Kadam und Mahamudra zusammenführte.

Atisha hatte die Idee zu der Struktur des Lam-rim durch eine Zeile in Shantidevas Werk „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ (Vers 1.4) gewonnen. Dort heißt es:

Dieser kostbare menschliche Körper mit den Freiräumen und Ausstattungen, die wir zur Verfügung haben, der so schwierig zu erlangen ist, kann die Ziele jeglicher Person erfüllen.

Der Ausdruck „Jegliche Person“, so führt Atisha aus, bezieht sich auf Personen dreier Stufen unterschiedlicher Reichweite.

Die anfängliche Stufe umfasst die Themen einer gesunden Beziehung zu einem spirituellen Lehrer, unsere kostbare menschliche Wiedergeburt, Tod und Unbeständigkeit, die Leiden der drei schlimmen Bereiche, Zuflucht bzw. Einschlagen einer sicheren Richtung, die Qualitäten von Buddha, Dharma und Sangha sowie die Erörterung von Karma und Vermeiden von destruktivem Verhalten.

Auf der mittleren Stufe werden die Leiden der drei höheren Bereiche von Wiedergeburt und die Leiden von Samsara bzw. der zwanghaft auftretenden Wiedergeburt überhaupt behandelt, Das beinhaltet die Darstellung der störenden Emotionen, der Geistesfaktoren im Zusammenhang mit den vier Wahrheiten und die wahre Ursache des Leidens. Hier werden auch die zwölf Glieder des abhängigen Entstehens genauer erklärt und im Speziellen wird dargelegt, wie unsere störenden Emotionen das Leiden hervorbringen – die erste edle Wahrheit. Dann folgen die drei höheren Schulungen in ethischer Selbstdisziplin, Konzentration und unterscheidendem Gewahrsein als die Mittel, um aus Samsara herauszukommen und Befreiung zu erlangen. Außerdem werden im Rahmen der höheren ethischen Selbstdisziplin Gelübde für Ordinierte und Haushälter beschrieben. All das steht im Zusammenhang mit einer geistigen Einstellung der Entsagung (der Entschlossenheit, frei zu sein) und kennzeichnet die mittlere Stufe der Motivation.

Für die fortgeschrittene Stufe gibt es Lehren über verschiedene Methoden, eine Bodhichitta-Motivation zu entwickeln. Dazu gehört die siebenteilige Meditation von Ursachen und Wirkung. Sie beginnt auf der Grundlage von Gleichmut sowie damit, zunächst einmal zu erkennen, dass jedes Wesen unsere Mutter gewesen ist. Die zweite Methode besteht darin, unsere Einstellung gegenüber uns selbst und anderen auszugleichen und zu vertauschen. Sie beinhaltet auch die Übung von „Tonglen“, d. h. Geben und Nehmen. Tsongkhapa legte den Ablauf einer elfteiligen Meditation dar, in der diese beiden Arten, die Bodhichitta-Motivation zu entwickeln, miteinander kombiniert werden. Des Weiteren wird erklärt, wie man die Bodhisattva-Gelübde ablegt und was diese sind. Daran schließt sich die Übung der sechs weit reichenden Geisteshaltungen an, in deren Zusammenhang auch sehr ausführlich erläutert wird, wie man weitreichende geistige Stabilität bzw. Konzentration erlangt, und zwar mithilfe der Entwicklung von Shamatha, einem still gewordenen und zur Ruhe gekommenen Geisteszustand. Das weitreichende unterscheidende Gewahrsein wird in Form der Lehren präsentiert, wie man Vipashyana, einen Geisteszustand von außergewöhnlicher Wahrnehmungsfähigkeit, entwickelt. All dies gehört zur fortgeschrittenen Stufe der Lehren.

Aus diesem kurzen Überblick lässt sich erkennen, dass die Lam-rim-Lehren eine riesige Menge an Material enthalten. Im Rahmen der Einteilung in Sutra und Tantra zählt all dies zum Bereich der Sutra-Lehren. Eine gewisse Beherrschung all dieser Inhalte ist eine unerlässliche Voraussetzung für die Tantra-Praxis. Darüber sind sich alle tibetischen Traditionen einig.

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