Punkt Drei: Widrige Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung verwandeln
Der dritte Punkt besteht darin, dass wir widrige Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung umwandeln. Dieser Punkt besteht aus mehreren Teilen: einer befasst sich mit unseren Gedanken, die anderen mit unseren Handlungen.
Das Umwandeln unserer Gedanken betrifft das Denken, das hinter unserem Verhalten steht, und auch unsere Sicht der Realität. Zuerst einmal geht es um das mit dem Verhalten verbundene Denken:
Wenn die Umgebung und ihre Bewohner voller negativer Kräfte sind, dann verwandle widrige Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung, indem du eine Sache als alle Schuld (tragend) verbannst und allen Wesen gegenüber mit großer Güte meditierst.
Ich werde, was das Verhalten angeht, nicht groß ins Detail gehen. Der Schwerpunkt besteht hier darin, zu erkennen, dass unsere Schwierigkeiten aus unserer Selbstbezogenheit entstehen, während alle positiven Eigenschaften aus einer Wertschätzung anderer herrühren. Wir verbannen also eine Sache, die Selbstbezogenheit, da auf sie all unser Leiden zurückzuführen ist. Und nachdem wir die Wichtigkeit und den Nutzen erkannt haben, sich um das Wohl der anderen zu kümmern, meditieren wir mit großer Güte gegenüber allen. Wenn wir dann mit Schwierigkeiten konfrontiert werden, versuchen wir den Fehler in unserer Selbstbezogenheit, unserem Egoismus, zu sehen.
Was verstehen wir eigentlich unter Selbstbezogenheit oder Egoismus? Nehmen wir einmal an, wir wurden zum Essen eingeladen und jemand hat etwas für uns gekocht, was wir nicht mögen. Wir leiden, wir sind unglücklich. Hier haben wir also eine negative Situation. Wie können wir diese in eine positive Situation umwandeln, die uns auf dem Pfad zur Erleuchtung weiterhilft? Worin besteht hier der Fehler? Warum leiden wir? Wenn wir anfangen, unseren Gastgeber als widerlich zu empfinden und ihm alle Schuld geben, dann besteht das Problem darin, dass wir nur an uns selbst denken. Wir denken nicht an diesen anderen Menschen, dem es wirklich darum ging, uns etwas zuzubereiten, was uns schmecken würde. Unser Gastgeber bzw. unsere Gastgeberin hatte nicht die Absicht, uns etwas zu kochen, das wir nicht mögen. Der einzige Grund, weshalb wir unglücklich sind und leiden ist also, dass wir nur an uns selbst und an das, was ich mag und was ich will denken. Was wir in einer solchen Situation versuchen ist, die Umstände zu nutzen, diesen starken Bezug auf mich und auf das, was ich will, zu lösen.
Wir können erkennen, dass es sehr ähnlich wie im Tonglen strukturiert ist. In den tiefgehenderen Tonglen-Visualisierungen nehmen wir Durchfall und Erbrochenes in uns auf und wegen unserer Selbstbezogenheit hegen wir einen natürlichen Widerstand dagegen. Es ist notwendig, dass wir diesen Mangel an Bereitschaft, uns mit Schmutz und Leiden zu befassen, überwinden und diese Dinge durch uns hindurch fließen lassen. In einer ähnlichen Weise, machen wir keine große Sache daraus, wenn wir etwas nicht mögen, was uns jemand zum Abendessen serviert. Weil wir den anderen Menschen glücklich machen wollen, nehmen wir das Leid auf uns, etwas zu essen, das uns nicht besonders gut schmeckt. Es gibt natürlich Ausnahmen, beispielsweise wenn wir allergisch auf ein bestimmtes Nahrungsmittel sind und wir davon krank werden würden. Wir sind keine Fanatiker. Es gibt jedoch bestimmte Umgangsformen, die rücksichtsvoller sind, als nur an sich zu denken und wütend zu werden: „Versuchst du mich zu vergiften?!“
Eine andere Möglichkeit, negative Situationen in positive umzuwandeln besteht darin, sie als Gelegenheit zu sehen, unsere negativen karmischen Potentiale zu verbrennen. Um Erleuchtung zu erlangen müssen wir uns von unseren negativen Potentialen befreien – also, bringen wir es hinter uns! Es ist wie beim Zahnarztbesuch: statt den Zahnarzt zu bitten, jedes Mal nur ein wenig zu bohren, sollte er lieber alles auf einmal machen, dann haben wir es hinter uns. Man macht einfach die ganze Arbeit auf einmal und dann hat man es hinter sich.
Wenn wir uns damit befassen, das Leiden der anderen auf uns zu nehmen, verlagern wir den Fokus und denken nicht nur an unser eigenes „armes Selbst“, denn das wäre wieder Selbstbezogenheit und Selbstsucht. Stattdessen streben wir dem Beispiel der Mutter an, deren Baby erkältet ist und die sich nichts sehnlicher wünscht, als die Erkältung ihres Kindes selbst auf sich nehmen zu können. Wenn wir uns um jemanden kümmern, der erkältet ist, müssen wir vollends dazu bereit sein, uns die Erkältung auch selbst zuzuziehen. Wenn wir uns darüber zu viele Sorgen machen, wird es nicht funktionieren. Mutter Theresa sagte dies allen, die mit ihr arbeiten wollten. Sie sagte, dass wenn wir mit Leprakranken arbeiten, wir vollkommen bereit dazu sein müssten, selbst Lepra zu bekommen. Wenn man Angst davor hatte, Lepra zu bekommen, sollte man es besser gleich bleiben lassen. Tatsächlich ist es so: umso mehr wir Angst davor haben, Lepra zu bekommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir uns tatsächlich anstecken, was wirklich ironisch ist. Uns ist allen schon aufgefallen: wenn wir Angst davor haben, dass etwas schief gehen könnte und wir deshalb sehr verspannt sind, dann gehen die Dinge oft auch schief.
Leerheit, die erkannt wird, indem man trügerische Erscheinungen in der Meditation als die vier Körper eines Buddhas sieht, ist die unübertroffene Beschützerin.
Wir können schwierige Umstände auch durch unsere Sicht der Leerheit oder die Sicht der Realität in positive Umstände verwandeln. Trügerische Erscheinungen bezieht sich hier auf das Erscheinen unserer Leiden, als wären sie selbst begründet.
- Ähnlich einem Dharmakaya – dem allwissenden Geist eines Buddha, dem natürlichen, reinen Zustand des Geistes – der nicht durch Ursachen und Bedingungen entsteht, wird unser Leiden nie von sich aus hervorgerufen, da es soetwas nicht gibt.
- Ähnlich einem Sambhogakaya – den feinstofflichen Manifestationen eines Buddha – die nie aufhören, in den reinen Ländern zu unterrichten, kann unser Leiden nie von sich aus aufhören zu sein.
- Ähnlich einem Nirmanakaya – den Formen eines Buddha, wie sie in unserer Welt erscheinen – die nie zur Ruhe kommen, sondern anderen auf immer neue Weise behilflich sind – kommt auch unser Leiden nie auf wahrhaft begründete Weise zur Ruhe.
- Ähnlich einem Svabhavakaya – der Untrennbarkeit dieser drei Buddhakörper – kann unser Leiden nie von sich aus hervorgerufen werden, verweilen oder aufhören. Da das Leiden in Abhängigkeit von Ursachen und Bedingungen hervorgerufen wird, verweilt und vergeht, ist es völlig frei von einem selbstbegründeten Entstehen, Verweilen und Vergehen.
Dies ist die Art, in der wir schwierige Situationen durch unsere Gedanken verwandeln.
Die überragende Methode beinhaltet vier Handlungen, die zu nutzen sind (daher) wende, was auch immer dir begegnen mag, sofort auf die Meditation an.
Das Verwandeln widriger Umstände durch unsere Handlungen beinhaltet vier Handlungen oder Methoden, die wir nutzen können.
1. Positive Kraft aufbauen – dies wird oft als „Ansammeln von Verdienst“ bezeichnet, was eine etwas irreführende Übersetzung ist. Es ist nicht so, als würden wir Punkte oder Briefmarken sammeln, und wenn wir genug gesammelt haben, gewinnen wir einen Preis. Tatsächlich bedeutet der Begriff das Stärken unserer Netzwerke positiver Potentiale, indem wir auf konstruktive Weise handeln und unsere positiven Qualitäten nutzen, negative Umstände in positive zu verwandeln. Wenn zum Beispiel ein Unfall passiert, können wir, statt depressiv oder ängstlich zu reagieren, dies als eine Gelegenheit nutzen, so weit wie möglich den Verletzen zu helfen. So können wir mehr positive Kraft in uns aufbauen und die ganze Situation ändern.
2. Negative Kraft reinigen – Wenn wir etwas Negatives getan und beispielsweise jemanden verletzt haben, fühlen wir uns danach vielleicht schuldig. Wir können diese Situation in eine positive umwandeln, indem wir mehr Reinigungspraktiken üben. Statt uns schuldig zu fühlen, erkennen wir an, dass wir einen Fehler gemacht haben. Dies bedeutet nicht, dass wir „schlechte Menschen“ sind, doch es tut uns leid, dass wir uns so verhalten haben. Wir entscheiden uns, unser Bestes zu geben und nicht wieder so zu handeln; wir bekräftigen erneut unsere sichere Ausrichtung in unserem Leben und tun dann etwas Konstruktives, um dem entgegenzuwirken.
3. Schädlichen Geistern Opfergaben darbringen – um mehr Leiden zu bewirken. Das ist für uns Menschen im Westen etwas schwierig nachzuvollziehen. Da gibt es eine wundervolle Praxis, die hier angewandt werden kann. Tsultrim Allione, eine Freundin, die ebenfalls eine westliche Dharmalehrerin ist, hat sie auf der Grundlage der buddhistischen Praxis des Chöd (Schneiden) entwickelt. Sie nennt die Übung „Füttern der Dämonen“. Nehmen wir an, es geht uns wirklich schlecht, wir sind unglücklich und depressiv – die Dinge laufen nicht gut für uns. Wir stellen uns vor, dass dieses Problem von einem schädlichen Geist, von einem Dämon in uns verursacht wird. Dieser Dämon, welche Form auch immer er haben mag, kommt heraus und setzt sich vor uns auf ein Kissen. Wir fragen ihn: „Was willst du?“ Und er wird uns antworten: „Ich will, dass die Menschen mir Aufmerksamkeit schenken. Ich will, dass die Menschen mich lieben. Ich will gute Gesundheit. Ich möchte wieder jung sein“, oder was immer es ist, das uns quält. Und dann füttern wir den Dämonen und geben ihm was er möchte. Er will Liebe, also geben wir ihm Liebe. Er will Energie und Jugend, also geben wir es ihm. Dies ist eine sehr mächtige und hilfreiche Übung. Wenn der Dämon sich satt gegessen hat, machen die meisten Menschen die Erfahrung, dass er verschwindet. Obwohl in den zahlreichen Texten beschrieben wird, die schädlichen Geister um noch mehr Leid zu bitten, ist diese Methode des Fütterns der Dämonen auch äußerst effektiv. Sie lässt uns erkennen, dass wir bereits alles in uns haben, was uns vermeintlich fehlt und was wir brauchen. Wir können auf unsere eigene innere Kraft bauen, die uns diese Dinge zur Verfügung stellt.
Wie bei jeder Praxis ist es sehr wichtig, wie wir sie beginnen und wie wir sie abschließen. Wenn wir beispielsweise ein Computerprogramm nicht richtig starten oder beenden, kann der Computer abstürzen. In ähnlicher Weise verhält es sich, wenn wir Meditationspraktiken üben, bei denen wir mit starken Emotionen umgehen: wir müssen die Übung behutsam beginnen und abschließen, denn ansonsten könnte es auch bei uns fatale Folgen haben. Beginn und Ende der Praxis bestehen hier darin, sich auf den Atem zu konzentrieren, auf das Gefühl des Atems, der durch die Nase ein- und ausströmt, oder auf das Gefühl, wie sich der Baum beim Atmen hebt und senkt. Das verbindet uns mit dem Körper und der Erde, was äußerst hilfreich ist, wenn wir mit wirklich negativen oder Angst einflößenden Emotionen umgehen. Wenn wir mit einer besonders starken emotionalen Erfahrung arbeiten, ist es am besten, sich auf den Bauch zu fokussieren. Dort befindet sich das Nabelchakra, das Erdzentrum unseres Körpers – im Westen nennen wir es den Körperschwerpunk. Auf diese Weise können wir uns besser erden.
Dies ist eine wirklich interessante Übung. Obwohl manche Lehren, oberflächlich gesehen, merkwürdig erscheinen mögen, ist es gut zu versuchen, tiefer in sie einzudringen. Doch wenn wir tatsächlich eine sichere Richtung einschlagen bzw. Zuflucht in den Dharma nehmen, können wir Vertrauen haben, dass es etwas Sinnvolles ist und nicht bloß irgendein bizarrer, abergläubischer tibetischer Kram. Es ist etwas, das wir anwenden können, wenn uns Gedanken plagen, wie: „Ich möchte akzeptiert werden und erfolgreich sein; ich möchte geliebt werden.“
4. Die Dharma-Schützer um erleuchtenden Einfluss bitten – uns mit mehr Leiden zu konfrontieren und unsere Selbstbezogenheit zu zerstören. Eine weniger geschickte Art, mit diesen Beschützern zu arbeiten ist, Opfer darzubringen, damit unsere positiven Potentiale schneller reifen können, so dass mit anderen Worten alles gut läuft für uns. Dies ist nicht die beste Methode mit Dharma-Schützern zu arbeiten, denn das positive Potential wird sich erschöpfen und wir werden mit dem negativen Potential zurückbleiben. Es ist viel besser, verschiedene Pujas zu machen und Opfer darzubringen, um unsere negative Potentiale in einer schwächeren Form reifen zu lassen. So werden Hindernisse, die sich möglicherweise in einer größeren Form manifestiert hätten, auf leichtere Weise verbrannt. Dann bleiben uns unsere positiven Potentiale übrig, und so wird alles gut gehen.
Hier ist ein schönes Beispiel meines Lehrers Serkong Rinpoche, wie diese Praxis funktionieren kann. Früher habe ich ihn oft als Dolmetscher auf seinen Reisen um die Welt begleitet und vor Antritt der Reise hielt er immer eine große Beschützer-Puja ab. Dann lief am Anfang der Reise immer etwas schief, doch es war nur etwas Geringfügiges. Einmal nahmen wir auf unserem Weg zum Flughafen den Nachtzug von Pathankot nach Delhi, aber irgendetwas ging schief mit der Reservierung. Die einzigen Schlafplätze, die wir im Zug finden konnten, waren in der dritten Klasse, direkt neben den Toiletten. Es gab nur zwei freie Liegen, und so bekamen Rinpoche und ich jeweils eine, während die beiden tibetischen Helfer auf dem Boden schlafen mussten. Es war eine negative Situation, doch es war nichts Schlimmes – es roch schlecht und war unbequem – aber Hindernisse wurden verbrannt und der Rest der Reise verlief sehr gut.
Die wichtigste Bitte, die man an Dharma-Schützer richten kann, ist: „Bringt mir Leiden; macht, dass meine negativen karmischen Potentiale zur Reife kommen. Ich kann damit umgehen.“ Unsere Bereitschaft, diesen Reifeprozess zu erfahren, bewirkt ein Vermindern unserer Leiden und unsere Hindernisse werden auf diese Weise beseitigt. Wenn die Dinge schlecht laufen, bitten wir um mehr, damit wir diese ganze Sache loswerden können. Wir beten nicht zu Gott, zu den Dharma-Schützern oder Buddhas uns diese Dinge zu geben. Vielmehr schaffen unsere Wünsche und unsere Gebete die Bedingungen dafür, dass unser eigenes Karma reifen kann. Es ist eigentlich eine sehr praktische Sache.
Punkt Vier: Das Komprimieren der Praxis in einem Leben
Der vierte Punkt ist, die Praxis in einem Leben auf fünf Kräfte zu komprimieren. Das kann während dieses Lebens und auch im Sterben angewandt werden und ist daher sehr praktisch.
Kurz gesagt: die Essenz der Quintessenz-Lehren ist das Anwenden der fünf Kräfte.
1. Die Kraft der Absicht – in diesem Leben können wir jeden Tag eine vernünftige Absicht entwickeln. Wenn wir morgens aufwachen, können wir die Absicht formulieren: „Möge ich fähig sein, allen zu helfen; möge ich fähig sein, Erleuchtung zu erlangen, um allen bestmöglich zu helfen.“ Dies ist nicht nur beim Aufwachen wichtig, sondern wann immer wir einer schwierigen Situation begegnen. Beispielsweise wenn die Kinder schreien und wir in ihr Zimmer gehen, um sie zu beruhigen. Zuerst fassen wir die Absicht: „Möge ich nicht meine Fassung verlieren und möge ich sie auf liebevolle Weise behandeln, um ihren Streit zu schlichten.“ Es ist wichtig dies so zu tun, dass unsere Motivation dabei wirklich darin besteht, den Kinder zu nutzen, nicht nur für unseren eigenen Seelenfrieden. Bevor wir einkaufen gehen, könnten wir die Absicht entwickeln, nur das zu kaufen, was wir wirklich brauchen. „Ich werde keine Schokolade und keine Kekse kaufen, nur weil ich in dem Moment Lust darauf habe.“
2. Die Kraft des weißen Samens – die Absicht, unser Netzwerk positiver Kraft zu stärken und zu versuchen, unser negatives Potential loszuwerden. Wenn die Dinge jetzt gut laufen, ist dies das Ergebnis unserer vorangehenden konstruktiven Taten und ihrem positiven Potential. Der Same unserer Schwierigkeiten ist unser destruktives Verhalten. Deshalb versuchen wir uns von diesem Samen zu befreien und ihn durch einen Samen des konstruktiven Verhaltens zu ersetzen.
3. Die Kraft der Gewöhnung – wir versuchen bei allem was wir gerade tun die Situation zu nutzen und die positive Gewohnheit, uns um andere zu kümmern, weiter zu entwickeln. Das bezieht sich auch auf neutrale Handlungen, wie das Essen. Wir können essen, um stark zu werden, damit wir anderen helfen können. Wir tragen warme Kleidung, damit wir nicht krank werden und dann nicht mehr in der Lage sind, anderen zu helfen. Sogar wenn wir früh schlafen gehen, oder wenn wir ins Kino gehen, können wir das mit dem Gedanken tun, uns zu entspannen, um Kraft und Energie zu entwickeln, damit wir anderen besser von Nutzen sein können. Auf diese Weise kann sogar die Entspannung zu einer sehr positiven Handlung gemacht werden. Natürlich ist es wichtig, aufrichtig zu sein, und nicht einfach zu sagen: „Ich werde mir diesen riesigen Eisbecher gönnen, damit ich anderen besser helfen kann.“ Das wäre einfach eine Ausrede, um all das Eis zu essen. Was immer wir tun, wir sollten daran denken, es zum Wohle der anderen zu tun.
4. Die Kraft, alles sofort zu beseitigen – sobald störende Emotionen wie Begierde, Anhaftung und Wut in unserem Geist auftauchen, versuchen wir, sie so schnell wie möglich – wenn es geht sofort – zu beseitigen, genau wie wir es mit einer Katze tun würden, die auf den Tisch springt, um unsere Mahlzeit zu stehlen. Wir würden sie sofort verjagen. Die Tibeter benutzen gern Tiere, um Lehren in dieser Weise zu veranschaulichen, denn oft ist das sehr hilfreich.
5. Die Kraft des Gebetes – um unsere Praxis ausführen zu können. Es ist nicht so, dass wir einen Gott darum bitten, etwas tun zu können, sondern vielmehr haben wir selbst einen starken Wunsch etwas zu tun. Es umfasst auch, dass wir von unserer Selbstbezogenheit und unserem Egoismus so angewidert sind und genug davon haben, und es kaum abwarten können uns davon befreien. Es ist wie, wenn eine Fliege um unseren Kopf herumsummt: es stört uns so sehr, dass wir enorme Anstrengunen unternehmen, sie aus dem Zimmer zu vertreiben. Je mehr wir unsere Selbstsucht von uns weisen, indem wir sie wirklich verabscheuen, desto schwächer wird sie.
Es gibt ein Gebet, das wir am Ende des Tages sprechen können: „Möge ich nie von Bodhichitta getrennt sein“. Serkong Rinpoche sagte: Bittet euren Lama nicht darum zu beten, dass ihr nicht krank werdet oder das eure Geschäfte gut laufen mögen. Die besten Gebete, um die ihr ihn bitten könnt, sind, dazu in der Lage zu sein, so schnell wie möglich Bodhichitta zu entwickeln. Natürlich muss dies eine ehrliche Bitte sein, nicht bloß eine Bitte, um den Lama zu beeindrucken. Diese Art von Gebet ist sehr wichtig, da wir die Gewohnheit haben, normalerweise nur für weltliche Dinge zu beten, die wir haben wollen.
Die Quintessenz-Lehren für die Übertragung des Bewusstseins im Mahayana sind die fünf Kräfte selbst, während du deinem Pfad zur (charakterlichen) Haltung Gewicht verleihst.
Zur Zeit des Todes können wir auch dieselben fünf Kräfte anwenden. Das wird als die beste Art des Powa (die Übertragung des Bewusstseins) angesehen, statt all der Methoden, unseren Geist in irgendein Buddhaland zu schießen, die wir vielleicht ohne viel Gefühl machen. Wenn wir nicht verstehen, was wir da überhaupt tun, wird unsere Motivation eher oberflächlich sein.
1. Die Kraft der Absicht – das beste Ziel, das man zur Zeit des Todes haben kann, ist: „Möge ich fähig sein, Bodhichitta weiter zu entwickeln und möge ich diese Praxis in allen zukünftigen Leben weiter üben, um anderen zu helfen“. Es ist wirklich sehr wichtig diese Absicht zu haben, wenn wir sterben. Worum geht es beim Powa? Wohin wollen wir unseren Geist übertragen? Wir wollen nicht ins Paradies. Das hätte nichts mit Buddhismus zu tun. Wir wollen unser Bewusstsein in Richtung Erleuchtung lenken.
2. Die Kraft des weißen Samen – bevor wir sterben alles den anderen zu geben, damit wir keinerlei Anhaftung an Geld, unseren Besitz und noch nicht einmal an unseren Körper haben. Das ist wiederum sehr wichtig. Es ist sehr traurig, was mit dem Besitz der Verstorbenen geschieht. Sehr oft streiten die Zurückgebliebenen um Geld und Besitztümer, was eine Menge Probleme verursacht. Oder wir machen uns vielleicht Sorgen, dass sie all unsere „kostbaren“ Sachen wegwerfen, da es für sie bloß Müll ist, den sie loswerden wollen. Es ist viel besser, diese Angelegenheiten zu regeln, bevor wir sterben. Man sollte lieber alles weggeben, an die eigene Familie, Freunde oder an bedürftigen Menschen, anstatt das alles im Mülleimer landet, nachdem wir gegangen sind.
Die Anhaftung unserem Körper gegenüber zu überwinden, ist nicht so einfach. Es gibt zahlreiche intensive Praktiken, die man zu diesem Zweck üben kann. Wenn hier beispielsweise Erdbestattungen üblich sind, dann können wir unseren Körper den Würmern darbringen: „Liebe Würmer, ihr werdet meinen Körper bekommen, genießt ihn also. Ich hoffe, ihr werdet eine gute Mahlzeit haben.“ Die Tibeter benutzen diese schreckliche Vorstellung, dass wir, wenn wir zu stark an unserem Körper haften, als einer dieser Würmer wiedergeboren werden, die über unseren verfaulenden Körper krabbeln. Das ist ziemlich ekelhaft und daher sollte man versuchen, keine so große Anhaftung zu haben.
3. Die Kraft der Gewöhnung – immer wieder über Bodhichitta zu meditieren, damit wir weiterhin auf Bodhichitta und Erleuchtung fokussiert bleiben können, während unser Geist zur Zeit des Todes immer subtiler wird.
Es ist wichtig zu erkennen, dass es sich hierbei auch um die Lehren der höchsten Tantra-Klasse handelt. Die Erleuchtung ist eine voll verwirklichte Buddha-Natur, ein voll verwirklichter Geist des klaren Lichtes. Im höchsten Tantra, dem Anuttarayoga, versuchen wir während des Sterbens das volle Gewahrsein für den Prozess zu bewahren, bei dem sich unser grobes Bewusstsein und unser konzeptueller Geist in unseren feinsten Geist des klaren Lichtes auflösen. Wir versuchen uns auf die vollständige Auflösung zu konzentrieren, die als nächstes kommen wird und unseren Tod anzeigt. In Tantra-Praktiken ist es genauso, da wir unseren Fokus auf die Natur des klaren Lichtes halten, und so ist es eine Bodhichitta-Praxis. Wir praktizieren mit der Absicht, in diesem Geist zu verweilen und ihn zu erkennen, um anderen von Nutzen sein zu können.
4. Die Kraft, alles sofort zu beseitigen – zum Zeitpunkt des Todes unsere Tendenzen, zu sehr an unserem Körper zu hängen, aufzugeben. Es wird gelehrt zu sterben wie ein Vogel, der von einem Felsen losfliegt ohne zurückzuschauen. Dann versuchen wir, während wir unsere vergangenen negativen Geisteshaltungen und Handlungen verabscheuen, unsere Gelübde zu nehmen und die Selbst-Initiationen durchzuführen, bevor wir sterben. Das ist nicht so schwierig, denn auch wenn wir nur ein wenig bei Bewusstsein sind, können wir zumindest unsere Bodhisattva-Gelübde neu bekräftigen.
5. Die Kraft des Gebetes – dies ist schwierig, denn es handelt sich hier um ein Gebet, in einem Höllenreich wiedergeboren zu werden, um das Leiden aller anderen auf sich zu nehmen und nicht vom Bodhichitta getrennt zu werden. Wie um alles in der Welt könnten wir uns dies, in aufrichtiger Weise, wünschen? So wie wir die Dharma-Schützer darum bitten, uns Situationen zu geben, in denen wir unsere negativen Potentiale verbrennen können, würden wir auch hier, mit einer Wiedergeburt in einem Höllenbereich, unser negatives Potential beseitigen und es ein für allemal hinter uns lassen. Wenn das Potential da ist, als Höllenwesen oder Tier wiedergeboren zu werden, sollten wir die Überzeugung haben, dass es besser ist, dies schnell hinter uns zu bringen, damit wir mit Bodhichitta auf dem Pfad der Erleuchtung fortschreiten können.
Worum geht es bei diesem Wunsch, in die Hölle zu gehen? Wir haben diesen Wunsch nicht, weil denken, wir wären schlechte Menschen und haben das verdient. Die Motivation dafür, dort wiedergeboren zu werden, entsteht aus dem Wunsch, von größtmöglichen Nutzen für andere zu sein. Um das zu tun müssen wir uns von diesen karmischen Hindernissen befreien. Statt vor einer Wiedergeburt in schwierigen Situationen Angst und Abscheu zu haben, sollten wir sie als Möglichkeiten sehen, unsere negativen Potentiale zu beseitigen.
Wir können auch danach streben: „Möge dies bewirken, dass andere nicht mehr in einer Hölle wiedergeboren werden müssen.” Wir denken also nicht nur an uns selbst. Das negative Potential wird aufgrund der positiven Motivation als etwas viel Geringeres zur Reifung kommen. Es wird gesagt, dass mit einer starken Bodhichitta-Motivation die Wiedergeburt in einer Hölle wie ein Ball ist, der dort nur kurz aufprallt. Wir kommen nur für einige Momente in einem Höllenbereich an und prallen dann wieder zurück, doch auf diese Weise wird viel negatives Potential verbrannt. Natürlich funktioniert dies nur, wenn unsere Motivation ehrlich ist: „Ich möchte mich wirklich von diesen Hindernissen befreien, damit ich anderen hilfreicher sein kann.“ Wenn unsere Motivation dagegen die ist, nicht lange in einer Hölle bleiben zu wollen, dann funktioniert es natürlich nicht.
Einige assoziieren die Vorstellung von Höllen mit nicht-buddhistischen Religionen, und da sie Schwierigkeiten mit diesen Religionen hatten, wollen sie im Buddhismus nichts von einer Hölle hören. Das ist eine engstirnige Sichtweise. Eine Art, die Höllenbereiche zu verstehen, ist, sich darüber bewusst zu sein, wie jedes unserer menschlichen Sinnesorgane nur ein beschränktes Spektrum der Gesamtheit an Informationen seines Sinnesfeldes wahrnehmen kann. Wir können beispielsweise nur sichtbares Licht erkennen, und kein ultraviolettes oder Infrarotlicht. Wir können nicht so viele Geräusche wahrnehmen und haben keinen so ausgeprägten Geruchtssinn wie ein Hund. In ähnlicher Weise muss es Ebenen der Freude und des Leides geben, die jenseits dessen liegen, was die Sensoren in unserem Körper an physischen Reizen verarbeiten können. Jenseits einer bestimmten Schmerzgrenze übernimmt beispielsweise ein automatischer Mechanismus die Kontrolle und wir werden bewusstlos. In einer Hölle wiedergeboren zu werden, würde bedeuten, dort einen Körper mit der Fähigkeit zu haben, bei vollem Bewusstsein die höchste Intensität des Schmerzspektrums zu erleben. Mir erscheint so etwas durchaus möglich.
Wenn wir jedoch Angst vor einer Wiedergeburt in einer Hölle haben, sollten wir diese Übung auf keinen Fall machen. In den Lehren Buddhas wird deutlich darauf hingewiesen, dass ein Bodhisattva der unteren Stufen nicht versuchen sollte, die Praktiken eines Bodhisattvas der höheren Stufen zu üben. Der Fuchs kann nicht so weit springen wie der Löwe. Es handelt sich hier um sehr schwierige und fortgeschrittene Praktiken. Von diesen fünf Kräften können wir auf jeden Fall versuchen, uns während dem Sterbeprozess auf Bodhichitta auszurichten und unsere Sachen vorher zu verschenken, um unsere Anhaftung zu verringern. Wir können sterben ohne ein totales Chaos zu hinterlassen, sondern vorher alles aufräumen. Auf diese Weise können wir gehen ohne etwas zu bereuen, ohne offene Rechnungen zu haben.