Der Nutzen von Mantra, Visualisierung und täglicher Praxis

Rückblick 

Wir haben darüber gesprochen, wie es möglich ist, Tantra auf einer Dharma-light-Ebene zu praktizieren, auf der wir nur an dieses Leben denken und die Übungen ausführen, um ausschließlich dieses Leben zu verbessern. In diesem Fall ist es unser Ziel, Erleuchtung in diesem Leben zu erlangen. Mit dem echten Dharma denken wir auch an vergangene und zukünftige Leben. Wir haben gesehen, dass wir für die Praxis beider Versionen natürlich eine Vorbereitung benötigen. Das sind die allgemeinen und außergewöhnlichen Vorbereitungen oder vorbereitenden Übungen. Außerdem müssen wir eine Ermächtigung oder Initiation bekommen, die Gelübde ablegen und sie so gut wir können einhalten. Schließlich ist es notwendig, eine enge Bindung oder Beziehung zu einem spirituellen Lehrer aufzubauen.

Die Nutzen der Mantra-Rezitation auf der Dharma-light-Ebene 

Die nächste Frage, die wir uns stellen können, ist, wie wir den größten Nutzen daraus ziehen können, wenn wir Tantra auf dieser anfänglichen Ebene, nur für dieses und nicht für zukünftige Leben, praktizieren. Was können wir denn tatsächlich tun, wenn wir noch nicht wirklich bereit dazu sind, auf einer tiefgreifenden Ebene zu praktizieren? 

Ziemlich hilfreich ist hier das Rezitieren von Mantras. Tatsächlich betrachten die meisten Laien unter den Tibetern dies als ihre Praxis. Viele von ihnen, besonders wenn sie alt sind, verbringen ihre ganze Zeit damit, Mantras zu rezitieren. Das ist ausgesprochen gut, aber was ist der Nutzen davon?

Hier ist es notwendig, sich die Bedeutung des Wortes „Mantra“ anzusehen. „Man“ ist eine Abkürzung für „manas“, der Geist und „tra“ bedeutet „zu beschützen“ oder „zu retten“. Es ist etwas, das den Geist beschützt. Aber was bedeutet das eigentlich? Wir können es auf einer oberflächlichen und auf einer tieferen Ebene betrachten. 

Beziehen wir uns auf unseren Geisteszustand, ist es ja so, dass unser Geist oft allen möglichen Gedanken hinterherrennt. Der Denkvorgang kann natürlich nützlich sein; um herauszufinden, wie wir etwas tun, müssen wir darüber nachdenken. Er kann aber auch nur darin bestehen, sich Sorgen zu machen. Einen großen Teil unserer Zeit verbringen wir voller Sorge oder nur mit unnötigem Geschwätz. Manchmal fühlt es sich so an, als wären wir wie ein Grille, weil wir nicht aufhören können, immer wieder das gleiche Lied zu singen; wir bekommen es nicht mehr aus unserem Kopf. Im Deutschen nennt man das einen „Ohrwurm“. Wir haben diese ziemlich unangenehmem Geisteszustände, die auftreten. Es gibt eine zwanghafte Weise, über Dinge nachzudenken, und davor müssen wir uns irgendwie beschützen.

Mantras können wir als eine Art geistiges Judo betrachten. Wenn die verbale Energie des Geistes so stark ist, dass sie an einem Lied, einer Werbung aus dem Fernsehen oder etwas ähnlich Furchtbarem hängenbleibt, ist es schwierig ihr Einhalt zu gebieten, indem wir uns lediglich entscheiden, endlich damit aufzuhören, außer wir sind wirklich geübt in Methoden der Konzentration. Wenn wir das beherrschen, ist es wunderbar; können wir es nicht, besteht die Möglichkeit, die Energie einfach umzuwandeln. Wie im Judo nutzen wir das Momentum dieser mentalen verbalen Energie, um ein Mantra statt einer Fernsehwerbung zu rezitieren. Das kann ziemlich hilfreich sein. 

Der Rhythmus eines Mantras ist ziemlich stetig. Können wir uns auch auf die Bedeutung des Mantras, den Geisteszustand, den wir damit hervorbringen wollen, konzentrieren, wie beispielsweise Mitgefühl mit „OM MANI PADME HUM“ oder Klarheit des Geists und Verständnis mit dem Mantra von Manjushri, wird das zweifellos den Geist beschützen. 

Da es recht hilfreich ist, viele Methoden zu kennen, möchte ich mit euch noch eine andere Methode teilen, obwohl sie sich nicht auf Mantras bezieht und nichts mit Tantra zu tun hat. Sie ist ebenfalls äußerst wirksam, wenn wir einen Ohrwurm haben, also unkontrollierbar eine Melodie nachsummen. Die Methode besteht darin, eine mathematische Aufgabe im Kopf zu lösen. Das ist recht effektiv, dieses zwanghafte Wiederholen eines Songs, einer Melodie oder anderer Dinge zu stoppen. Der Geist wird damit auf einen völlig anderen Modus der Analyse gestellt und hier ist es tatsächlich ziemlich hilfreich, das Einmaleins oder etwas ähnliches durchzugehen.

Mantra ist die Tantra-Methode für dieses geistige Judo und sie ist überaus hilfreich. Mantra zielt darauf ab, uns zu helfen, unseren Fokus auf einem bestimmten Geisteszustand zu halten. Wollen wir Mitgefühl entwickeln, ist es wunderbar, wenn wir es einfach fühlen können, doch wenn wir gleichzeitig auch ein Mantra haben, hilft uns das, fokussierter zu bleiben. Im Geistestraining in sieben Punkten wird sogar empfohlen, die Tonglen-Praxis, das Geben und Nehmen, mit einem Mantra zu begleiten.

Die meisten Menschen rezitieren auch Mantras mit einer Mala oder einem Rosenkranz. Das kann auf ziemlich unbewusste Weise geschehen, wenn wir nur unsere Daumen bewegen, aber wir sind dadurch auch aktiver dabei. Im Buddhismus legen wir eine große Betonung auf Körper, Rede und Geist, und wollen diese drei integrieren, also eine Art der Praxis oder einen Geisteszustand haben, der sich in allen dreien gleichzeitig manifestiert. Gewiss gibt es auch Mudras und all diese Dinge, aber auf der körperlichen Ebene die Perlen zu bewegen, auf der verbalen das Mantra auszusprechen und auf der geistigen den Geisteszustand zu erzeugen, der zu dem Mantra gehört, ist ein Gesamtpaket. Das hilft uns, wirklich den Fokus zu behalten. Wir üben uns mit Körper, Rede und Geist nicht im Multitasking, indem wir mit jedem etwas anderes tun. Es ist eine wirklich integrative Art der Praxis.

Einer der tieferen Nutzen der Mantra-Rezitation besteht darin, den Atem zu formen. Das Wort für Atem, das Wort für Energie und das Wort für Wind sind ein und dasselbe Wort – „prana“ im Sanskrit und „lung“ im Tibetischen. Wenn wir den Atem mit einem Mantra formen, formen wir auch die Energien des Körpers. Fortgeschrittenere Atemtechniken, wie zum Beispiel das Vajra-Atmen, helfen uns, die Energien zu zentralisieren, damit sie sich nicht wild in unserem Körper umherbewegen. 

Reden wir von den subtilen Energien des Körpers, so sind das die Energien der störenden Emotionen. Die meisten von uns können erkennen, wenn unser Geist verärgert oder wütend ist – wir fühlen uns nervös. Das ist das körperliche Gefühl der Verärgerung. Die Energie fließt dann auf eine furchtbar unangenehme Weise durch unseren Körper. Mantra ist auch eine Möglichkeit, die Energien zu formen, um zu versuchen, stabiler und fokussierter zu werden. 

Worum es uns geht, ist, unsere subtilen Energien immer weiter zu zentralisieren. Das umfasst komplexere Übungen auf der Vollendungsstufe der höchsten Tantra-Klasse, dem Anuttarayoga. Wir sollten uns also bewusst sein, dass Mantra etwas ist, was tiefere Bedeutungen und Anwendungen hat, als nur den ganzen Tag mit einer Mala OM MANI PADME HUM zu rezitieren. 

Die drei mächtigsten Dinge der Welt 

Serkong Rinpoche, mein Lehrer, sprach immer von den drei mächtigsten Dingen dieser Welt: Medizin, Technologie und Mantras. Wir können verstehen, dass Medizin und Technologie wirklich mächtig sind, um anderen und uns selbst zu helfen, zahlreiche Dinge zu erreichen; aber was ist mit Mantras? Auf einer sehr oberflächlichen Ebene denken wir vielleicht, dass ein Mantra wie eine Zauberformel ist, die wir sprechen können, und wenn wir die magischen Worte sagen, werden uns alle möglichen außergewöhnlichen Kräfte zuteil. Das ist eine Ebene, diese Aussage zu verstehen, aber der alte Serkong Rinpoche hat es nie wirklich erklärt. Nun gibt es seine nächste Generation, die Reinkarnation von Serkong Rinpoche, der ebenfalls mein Lehrer und gerade 32 Jahre alt ist. Ich fragte ihn also, was sein Vorgänger damit gemeint haben könnte. Das ist die Weise, wie man jemanden auf seine vorangegangene Inkarnation ansprechen sollte. Wir fragen nicht einfach: „Was haben Sie damit gemeint?“, denn das ist ein wenig anmaßend. Ich fragte ihn also: „Was hat Ihr Vorgänger damit gemeint, als er sagte, Mantra sei die mächtigste Sache der Welt, zusammen mit Medizin und Technologie?“

Er sagte, dass es sich auf das Herzsutra bezieht. Im Herzsutra heißt es, das mächtigste Mantra sei das Mantra von Prajnaparamita: OM GATE GATE PARAGATE PARASAMGATE BODHI SVAHA. Es repräsentiert die fünf progressiven Ebenen, die fünf Pfade zum Erlangen der Befreiung oder Erleuchtung auf der Basis des Verständnisses der Leerheit oder Leere. Das bezieht sich darauf, wie wir in uns selbst das Verständnis verankern, dass Dinge nicht auf unmögliche Weise existieren, wie es von unserem Geist projiziert wird und wir meinen, es würde der Realität entsprechen; aber dennoch funktioniert alles.  

Die Bedeutung, warum Mantra so mächtig ist, liegt darin, dass es sich im Grunde auf das Verständnis der Leerheit bezieht, den Pfad, der uns zu Befreiung oder Erleuchtung führen wird. Das macht es, zusammen mit Medizin und Technologie, zu einem der mächtigsten Dinge. Das fand ich wirklich hilfreich und aufschlussreich. Außerdem war es irgendwie interessant, dass die Reinkarnation mir erklärte, was sein Vorgänger tatsächlich damit gemeint hatte. Es stärkte auch meine Überzeugung noch ein bisschen mehr, denn niemand sonst hätte es mir erklären können, was es tatsächlich bedeutete. Danach war mir jedoch klar, dass es sich auf das Herzsutra bezog.

Rezitationen zählen 

Aus diesem Grund ist Mantra etwas, von dem wir sogar als Dharma-light-Praktizierende des Vajrayana profitieren können. Der Brauch, Mantra-Rezitationen zu zählen, ist recht interessant. Wir haben die vorbereitenden Übungen, das Ngöndro, in denen uns gesagt wird, 100.000 oder 130.000 Mantras oder Verse zu rezitieren. Machen wir ein Retreat, ein Annäherungs-Retreat auf eine Buddha-Gestalt oder, wie es zuweilen übersetzt wird, ein „Retreat, um den Geist flexibel zu machen“ mit einer Praxis, müssen wir das Hauptmantra 100.000 Mal für jede Silbe rezitieren. Für OM MANI PADME HUM sind das 600.000 Rezitationen und für Taras Mantra eine Million. Hat das Mantra 32 Silben oder mehr, sind es 10.000 für jede Silbe. 

Was ist der Nutzen davon, mitzuzählen, wenn wir diese Mantras machen? Ist das nicht ziemlich materialistisch? Ich denke, dazu müssen wir uns den Kontext ansehen, in denen diese Praktiken vom Buddha empfohlen wurden. Damals bezog es sich größtenteils auf ungebildete Leute und sogar Mönche und Nonnen in den Klöstern waren recht einfache und gewöhnliche Menschen, die vielleicht das Gefühl hatten, nicht viel in ihrem Leben erreicht zu haben. Haben wir ein niedriges Selbstwertgefühl und denken vielleicht, dass es unmöglich ist, Erleuchtung zu erlangen und unglaublich viel Arbeit erfordert, bekommen wir das Gefühl, dass es gar nicht so schwer ist, wenn wir etwas 100.000 oder eine Million Mal rezitieren können, was unvorstellbar viel, aber doch möglich ist. 

Sogar das 100-Silben Mantra von Vajrasattva können wir in einem Jahr beenden, wenn wir jeden Tag 300 davon rezitieren. Es ist keine so große Sache, 300 am Tag zu machen; das kann man schaffen. Auf diese Weise bekommt man Selbstvertrauen und das ist ausgesprochen hilfreich. Allerdings ist es keine materialistische Angelegenheit; wir könnten genauso gut einfach nur bis 100.000 zählen, aber das würde nicht viel bewirken. Wenn wir aber mitzählen und sehen, dass wir so etwas erreichen können, was wir, bevor wir es versuchten, für unmöglich hielten, ist es meiner Meinung nach ziemlich hilfreich. 

Das finden wir auch in Fitnessübungen. Ich mache körperliches Training, Gewichtheben und solche Sachen, und wenn ich laut dem Trainer eine Übung 50 Mal ausführen soll, halte ich es zunächst für unmöglich.  Dann treibt er mich jedoch dazu an und ich erkenne, dass ich die Übung, mit ein paar Pausen zwischendurch, tatsächlich 50 Mal schaffen kann. Das gibt mir Zuversicht und ein Gefühl, etwas geschafft zu haben. Wir könnten auf diese Weise natürlich auch arrogant werden und unser Ego stärken; aber sehen wir einmal darüber hinweg, gibt es uns die Kraft weiterzumachen. Daher denke ich, dass es keine so schlechte Idee ist, Mantras zu zählen.

Ein anderer Punkt ist, dass es für Menschen, die sehr nervös und angespannt sind, sehr nützlich sein kann, den ganzen Tag ein Mantra im Geist zu haben. 

Wie ich bereits erwähnt habe, sollten wir darauf achten, Dinge für uns zu behalten. Laufen wir in der Öffentlichkeit mit unserer Mala oder unserem Rosenkranz herum und murmeln etwas vor uns hin, sieht das recht merkwürdig aus. Wir wollen keine Kritik heraufbeschwören oder Menschen dazu verleiten, sich über uns lustig zu machen. Wir können unsere Praxis für uns behalten. Die Mala in unserem Beutel oder unserer Tasche kann ganz klein sein. Wir brauchen keine pompöse Mala. Es gibt Möglichkeiten, die Dinge etwas privater zu gestalten. 

Das gleiche gilt für rote Bänder; manchmal sehen die Leute aus wie Ubangi, mit 20 roten Bändern um den Hals. Und wenn die Bänder dann noch richtig alt und ausgefranst sind, und wir zu diesen schmutzigen Bändern um den Hals elegante Kleidung tragen, sieht das schon sehr eigenartig aus. Daher ist es nicht verkehrt, sie in unserem Geldbeutel oder in der Tasche aufzubewahren. Wir müssen diese Dinge nicht so sichtbar machen, sondern sollten sie für uns behalten und keine Hindernisse heraufbeschwören. Je mehr wir eine Show daraus machen, was wir tun, desto mehr Hindernisse werden auf uns zukommen. Wir haben schon genug innere Hindernisse, wir brauchen nicht auch noch äußere. 

Visualisierung auf einer Dharma-light-Ebene 

Die nächste Sache, die wir auf einer Dharma-light-Ebene machen können, ist das Visualisieren. Praktizieren wir auf einer Dharma-light-Ebene, sind Anfänger und haben keinen Hintergrund, der uns befähigen würde, auf einer ernsthafteren Ebene zu praktizieren, ist es das Beste, die Buddha-Gestalt einfach vor uns zu visualisieren. Im Fall von Vajrasattva wäre das auf dem Scheitel unseres Kopfes. Es ist dann besser, sich noch nicht selbst als die Form der Gestalt zu visualisieren. Es gibt zahlreiche tantrische Praktiken, beginnend mit Guru-Yoga, in denen wir die Gestalt vor uns visualisieren. Es kann Chenrezig, Tara oder eine andere Gottheit sein, was sehr inspirierend ist. Wir können uns Lichter vorstellen, und Nektar, der zu uns fließt und uns mit allen möglichen kleinen Figuren der Yidams füllt, um die Qualitäten des Körpers zu erlangen, oder mit Silben des Mantras, um die Qualitäten der Rede zu erlangen, und mit den Keimsilben und Insignien, um die Qualitäten des Geistes zu erlangen. Es gibt unzählige Variationen davon, was wir mit jeder Gottheit tun können.

Das ist übrigens eine weitere Erkenntnis. All diese Übungen sind miteinander austauschbar, besonders diese ganz grundlegenden Übungen der Visualisierungen von Lichtern, die zu uns kommen; sie können beispielsweise in Bezug darauf variieren, was sich in den Lichtern befindet, welche Qualitäten sie in uns hervorbringen und so weiter. Sie funktionieren mit allen Figuren und es gibt so viele verschiedene Varianten oder Praktiken. Außerdem kommen immer neue Praktiken hinzu, wie die Termas, die wir bereits erwähnt haben, und auch Sprachen, also ob wir sie in Tibetisch, einer westlichen oder einer anderen asiatischen Sprache machen. Wir sollten wirklichen die Lehrer um Rat fragen, die eine Praxis übertragen, und ihren Anweisung folgen. Es ist schwer, hier eine allgemeine Formel zu finden. Auf jeden Fall sind diese Übungen austauschbar, was die vielen Variationen betrifft und es gibt nicht nur eine spezielle Weise oder „meine“ ganz besondere Weise. Damit würden wir dazu neigen, arrogant zu werden und zu meinen, unsere wäre besser als die der anderen. Das brauchen wir ganz und gar nicht. 

Was bedeutet das Wort Yoga? Es handelt sich dabei um das Wort, was auch „verbinden“ bedeutet. Wir wollen die Qualitäten des Buddhas, wie sie vom Guru oder der Buddha-Gestalt repräsentiert werden, mit unseren eigenen Qualitäten verbinden. Das inspiriert und erhebt uns, sodass sich unsere Qualitäten steigern und jenen eines erleuchteten Wesens immer näher kommen. Dies ist schließlich das Ergebnisfahrzeug; daher stellen wir uns zum Beispiel vor, all-gütig zu sein. Verstehen wir uns jedoch nicht mit unseren Eltern, den Leuten im Büro oder unseren Kindern, wird es nicht funktionieren. Wir müssen liebevolle Güte tatsächlich so gut wie möglich in die Praxis umsetzen. Wir sollten unsere Qualitäten denen, die von der Buddha-Gestalt repräsentiert werden, so nah wie möglich angleichen, nicht nur in unserer Vorstellung, sondern auch in unserem täglichen Leben. 

Diese Visualisierungen sind sehr hilfreich, um eine grafische Darstellung dessen zu bekommen, was wir versuchen zu tun. Wollen wir also die vier Unermesslichen erzeugen – die vier positiven Geisteshaltungen von Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut – können wir auf der einen Seite die Worte immer wieder rezitieren. Haben wir jedoch eine Gestalt mit vier Armen, wie Chenrezig, vor Augen, dessen vier Arme diese vier Unermesslichen repräsentieren, ist es leichter, alle vier in einem Geisteszustand zusammenzufügen. Auf diese Weise sind wir gleichermaßen liebevoll und mitfühlend, erfreuen uns an den positiven Dingen anderer und wünschen uns für sie nicht nur gewöhnliches sondern immerwährendes Glück und entwickeln auch Gleichmut gegenüber allen, alles in einem Geisteszustand. Hier wird das in einer Visualisierung dargestellt.

Denkt daran, dass das Wort „Tantra“ diese Bedeutung eines Webstuhls hat, mit dem wir all die unterschiedlichen Arten des Verstehens und die Punkte der Sutras miteinander verweben. Diese Bilder mit vielen Armen und Gesichtern sind daher recht hilfreich. Visualisieren wir sie vor uns, ist das inspirierend, erhebend und eine ziemlich gefahrlose oder mit minimalen Gefahren verbundene Weise, Tantra auf der Dharma-light-Ebene zu praktizieren. Versuchen wir uns selbst zu früh als eine dieser Buddha-Gestalten zu visualisieren, birgt das große Gefahren. In den Schriften wird Folgendes ganz klar gesagt: Wenn wir uns ohne eine Ebene von Bodhichitta und eines gewissen Leerheitsverständnisses ganz konkret auf einem samsarischen Trip als eine dieser Gestalten visualisieren, ist das die perfekte Ursache dafür, als ein Geist in der Form dieser Buddha-Gestalt wiedergeboren zu werden.

Das ist eine ziemlich heftige Aussage, nicht wahr? Was tun wir denn da eigentlich? Wir führen diese Praxis des Visualisierens von uns nicht mit dem Verständnis aus, dass es sich dabei um eine Methode handelt, den Körper eines Buddhas zu erlangen und wir widmen sie nicht dem Erlangen der Erleuchtung. Bauen wir daher eine Art der positiven Kraft auf, können wir es mit der Arbeit an unserem Computer vergleichen. Es gibt zwei Ordner, einen Erleuchtungs-Ordner und einen Samsara-Ordner, und wir müssen auf „Speichern als“ drücken, um die positive Kraft, die wir durch unsere Praxis des Visualisierens aufgebaut haben, im Erleuchtungs-Ordner zu speichern. Wählen wir nicht diese Option, speichert unser innerer Computer sie standardmäßig im zweiten, dem Samsara-Ordner. Das ist ein wirklich hilfreiches Bild, das wir uns vor Augen halten sollten. Die positive Kraft, die wir aufgebaut haben, müssen wir im richtigen Ordner abspeichern. Wenn wir das nicht tun, wird sie nur eine Ursache für die Wiedergeburt mit der samsarischen Form dieser Gestalt schaffen, und das wäre die Gestalt eines Geistes.  

Das ist im Grunde ziemlich spannend. Seht euch nur an, was an Orten wie Malaysia und Singapur geschieht, wo es ganze Gruppen von Menschen gibt, die verschiedene Buddha-Gestalten channeln, wie den lachenden Buddha, eine Form von Maitreya im chinesischen Buddhismus. Diese Leute gehen in eine Trance und meinen, der lachende Buddha, dieser oder jener Buddha, würde durch sie sprechen. Das ist so ein weitverbreitetes Phänomen. Als ich das sah, hatte ich das Gefühl, dass die Schriften genau vor so etwas warnen, denn Tantra hatte sich in diesen Gebieten vor vielen Jahrhunderten entfaltet. Vielleicht sind das Geister, die sich in einem früheren Leben ohne richtiges Bodhichitta oder ein Verständnis der Leerheit dessen, was sie da taten, als diese oder jene Buddha-Gestalt visualisierten. Sie machten ihre Visualisierung ganz konkret und meinten, wirklich festgelegt und inhärent begründet diese Gestalt zu sein und hier ist das Resultat. 

Was tun all diese lachenden Buddhas, die gechannelt werden? Sie geben den Menschen Ratschläge, wie ein Psychologe an der Straßenecke. Die Menschen kommen, jemand geht in eine Trance und der Geist spricht zu ihnen und hilft ihnen mit ihren Problemen. Es gab eine Art der positiven Begegnung, die da stattfand und Grund zur Annahme gab, dass es das war, wovon die Schriften sprachen. Sie versuchten Tantra mit Liebe und Mitgefühl zu praktizieren, doch es war übereilt. Sie hatten nicht wirklich die richtige Vorbereitung und das ist eine große Gefahr. 

Daher denke ich, dass es viel sicherer ist, die Gestalt vor uns zu visualisieren, wenn wir noch nicht die Stufe erreicht haben, auf der wir zumindest auf einer gewissen Ebene über Bodhichitta verfügen und all diese Visualisierungen nicht als konkret und feststehend sehen und meinen, wir wären wirklich Tara, oder diese oder jene Gestalt. Das ist etwas, das wir meiner Meinung nach wirklich ernst nehmen sollten.

Tägliche Praxis 

Eine weitere Sache, die wir als ein Tantra-Praktizierender auf der Dharma-light-Ebene tun und wovon wir profitieren können, ist, eine tägliche Praxis zu haben – auch als ein Sutra-Praktizierender. Wenn wir irgendeinen Fortschritt machen wollen, ist das wirklich notwendig. Es gilt, die Disziplin zu entwickeln, mit einer Verpflichtung zu meditieren und nicht nur, wenn wir gerade Lust dazu haben und es vernachlässigen, wenn wir verzweifelt sind und es wirklich brauchen. Wir benötigen eine stabile Verpflichtung. So, wie wir beispielsweise jeden Morgen unsere Zähne putzen, machen wir auch jeden Morgen unsere tägliche Praxis. Diese Art der Verpflichtung schafft einen Sinn von Stabilität, Disziplin, Verantwortung und Ausdauer. Wir bleiben dabei.

Es braucht diese rüstungsgleiche Ausdauer, mit der wir denken: „Egal, wie schwierig es ist, ich werde es tun, ob ich nun Lust dazu habe oder nicht. „Ich tue es einfach.“ Das ist die Art der Verpflichtung, mit der wir uns bewusst darüber sind, dass es in Samsara von Natur aus ständig auf und ab gehen wird. Das ist die Natur von Samsara, was erwarten wir denn? Manchmal wird es gut laufen, an anderen Tagen wird es furchtbar sein. An manchen Tagen werden wir gute Konzentration haben, an anderen Tagen wird unser Geist überall herumwandern. Darüber sollten wir uns nicht ärgern. 

Es gibt die so genannten „acht weltlichen Dharmas“. Wörtlich sind es die acht vergänglichen Dinge, die sich ändern und eine vergängliche Grundlage haben. Jigten ist das tibetische Wort, was mit „weltlich“ übersetzt wird. Hier würde Serkong Rinpoche wieder davon sprechen, die Bedeutung aus den Worten zu melken. Jig bezieht sich auf etwas, das vergeht und somit vergänglich ist, und ten bedeutet Grundlage. Lob und Tadel, Dinge laufen gut oder nicht so gut – all das ist vergänglich, es geht auf und ab. Wir sollten uns dadurch nicht aus der Bahn werfen lassen; wir beobachten es und machen weiter, egal was passiert. Wir denken nicht: „Wie wunderbar ich doch bin, dass alles so gut läuft“, oder „wie furchtbar ich bin, dass es nicht gut läuft.“ Wir tun es einfach.

Eine tägliche Meditationspraxis aufrechtzuerhalten, egal was passiert, gibt uns ein hohes Maß an Kontinuität und Stabilität in unserem Leben.  Welche Verrücktheiten es in unserem täglichen Leben auch geben mag, das ist etwas Stetiges. Da gibt es diese festgelegte Zeit, die wir selbst bestimmen. Es könnten fünf Minuten, eine halbe oder eine ganze Stunde sein. Die Zeitspanne ist nicht ausschlaggebend, solange es etwas ist, dem wir uns verpflichtet haben und das wir einhalten, komme was wolle. 

Mache es nicht zu einer Belastung 

Hier gibt es einen weiteren Rat von Serkong Rinpoche, den ich erwähnen sollte und der mit dieser Verpflichtung zu tun hat. Befinden wir uns zum Beispiel in einem Meditationsretreat, in dem wir in jeder Sitzung eine bestimmte Anzahl von Mantras oder etwas anderem machen müssen, sollten wir das Mantra in der ersten Sitzung nur dreimal wiederholen. Der Grund dafür ist, dass die Anzahl dieser ersten Sitzung die Mindestanforderung festlegt, der wir uns jeden Tag in jeder Sitzung verpflichten. Auf diese Weise schaffen wir es, auch wenn wir krank sind oder etwas anderes haben, beispielsweise dreimal OM MANI PADME HUM zu rezitieren. So bleiben wir bei unserer Verpflichtung und bewahren die Kontinuität unserer Retreat-Praxis, egal wie krank wir auch sein mögen. Befinden wir uns im Koma ist das natürlich etwas anderes.

Das ist ein hilfreicher Rat dazu, wie man Kontinuität bewahren kann. Versucht nicht, zu umfangreiche Dingen kontinuierlich einzuhalten, denn das kann zu einer Belastung werden. Wie es in den Anweisungen für die Meditation ganz allgemein heißt, sollten wir die Sitzung kurz halten, wenn wir mit der Meditationspraxis beginnen. Wir sollten unsere Sitzung beenden, wenn wir sie eigentlich gern noch weitermachen würden. Die Analogie dazu ist die, dass wir, wenn wir mit einem Freund zusammen ist und er geht, wir aber noch gern mehr Zeit mit ihm verbringen würden, glücklich sein werden, wenn er wiederkommt. Bleibt der Freund jedoch zu lange und wir warten darauf, dass er endlich geht, wollen wir bestimmt nicht, dass er wiederkommt. Das gleiche trifft zu, wenn wir auf unserem Meditationskissen sitzen. Wir sollten unsere Sitzungen am Anfang kurz halten, damit wir wirklich gern weitermachen und wieder zurückkommen wollen.

Dann können wir allmählich dabei bleiben und die Sitzung ausweiten; haben wir jedoch diese minimale Ebene, der wir uns verpflichtet haben, können wir sie jeden Tag beibehalten. Für alle Praktiken gibt es längere und kürzere Versionen. Wir sollten flexibel sein. Serkong Rinpoche erklärt, dass die längsten Versionen für die Anfänger und die kurzen für die fortgeschrittenen Praktizierenden sind, also genau andersherum, als man denken könnte. Der Grund ist der, dass wir, wenn wir mit den langen Praktiken vertraut sind, all die Dinge in den kurzen Versionen selbst einfügen, die weggelassen wurden. Daher gibt es abgekürzte Versionen, denn irgendwann müssen wir nicht mehr alles rezitieren, was wir tun, weil wir so vertraut damit sind, dass wir es einfach selbst hervorbringen können.

Wir wissen, wie viele Arme wir haben, welche Farbe sie sind, was sie halten, und müssen es nicht aufsagen, um uns daran zu erinnern. Dennoch haben wir, wenn wir praktizieren, eine kurze Version dessen, was wir tun, damit wir die Kontinuität bewahren können, egal was passiert. Das ist die minimale Verpflichtung, die recht hilfreich ist. 

Flexibilität 

Wir sollten flexibel sein; das ist so wichtig. Einer meiner engen Freunde, auch ein enger Schüler, fragte Serkong Rinpoche, was er tun soll, wenn er den ganzen Tag Yamantaka rezitieren muss, aber auch eine Chenrezig-Praxis hat. Serkong Rinpoche fragte darauf: „Kann Yamantaka OM MANI PADME HUM rezitieren?“ Natürlich. „Kann sich Yamantaka auch hinsetzen?“ Ja. Wir sollten flexibel sein. Wollen wir mit diesen Buddha-Gestalten arbeiten, sollten wir es zu etwas Angenehmen und zu einem Teil unseres Lebens machen. Wir sind in der Form dieser Gestalten, in der wir uns manifestieren, nicht eingefroren, wie eine Statue. Wir arbeiten mit ihnen auf einer realistischen Ebene.

Um es noch einmal zu wiederholen: die tägliche Praxis ist recht hilfreich und wenn wir eine Dharma-light-Praxis machen, sind Mantras und das Visualisieren einer Buddha-Gestalt vor uns nach wie vor nützlich. Auf diese Weise versuchen wir, immer mehr von all diesen verschiedenen Teilen hinzuzufügen, die wir mit dieser Praxis versuchen miteinander zu verweben. Betrachten wir die Sadhanas, so gibt es dort all die Ngöndro-Übungen und werfen wir einen Blick auf die längeren Formen, so gibt es dort immer den Vajrasattva-Abschnitt und das Erzeugen von Zuflucht, Bodhichitta und den vier Unermesslichen. Überall werden die Gelübde bekräftigt und es wird stets ein Mandala-Opfer dargebracht. Alles ist da. Es ist nicht so, dass wir diese Übungen vorher machen und sie dann vergessen.

Besteht der eigentliche Zweck dieser ungeteilten oder ungewöhnlichen vorbereitenden Übungen darin, positive Kraft aufzubauen und einen Teil der negativen Kraft zu bereinigen, sollten wir das kontinuierlich in all unseren Übungen tun. Die Sadhanas bieten den Rahmen dafür, um es jeden Tag zu tun. Es ist auch hilfreich, sich daran zu erinnern, was die Gelübde waren. Es gibt verschiedene Praktiken, die wir ausführen können, in denen die Gelübde jeden Tag rezitiert werden. Das ist wirklich hilfreich, denn sonst werden wir uns nicht daran erinnern.

Unser Leben transformieren

Außerdem sollten wir uns die verschiedenen Arten der Sutra-Übungen vor Augen halten. Ich empfehle den Leuten immer, als Teil ihrer täglichen Praxis einige der grundlegenden Lojong-Texte oder Texte des Geistestrainings durchzulesen oder zu rezitieren. Da gibt es die „Acht Verse des Geistestrainings“, das „Geistestraining in sieben Punkten“ oder die „Siebenunddreißig Bodhisattva-Praktiken“. Das sind die Grundlagen. Wir sollten jeden Tag etwas Zeit damit verbringen, uns auf einen Vers konzentrieren und wirklich darüber nachdenken, wie er auf unser Leben bezogen werden kann. Das ist als Teil einer täglichen Praxis sehr wichtig, denn es geschieht leicht, die tägliche Praxis nur als Sadhana zu sehen. Dann führen wir ihn aus und er hat keinen wirklichen Bezug zu unserem Leben. 

Auch wenn wir einen Sadhana auf einer täglichen Basis ausführen und wir dadurch Kontinuität und Ausdauer bekommen, bewirkt er für gewöhnlich keine große Transformation in unserem Leben, wenn wir nicht schon unglaublich fortgeschritten sind. Beim Dharma geht es jedoch darum, an uns selbst zu arbeiten, unsere Unzulänglichkeiten zu überwinden und unser volles Potenzial zu verwirklichen. Darum geht es und auch darum, es auf eine Mahayana-Weise zu tun. Wir tun es nicht nur, damit wir selbst frei von Leiden sein werden, sondern damit unsere störenden Emotionen und unsere Verwirrung unserer Fähigkeit, anderen zu helfen, nicht im Wege steht. Wie können wir anderen helfen, wenn wir wütend auf sie sind. Wie können wir anderen helfen, wenn wir an ihnen hängen und ein Danke erwarten? Und was, wenn sie Danke sagen? Werden wir dann mit dem Schwanz wedeln? 

Selbstbild 

Zusätzlich zum Tantra beginnen wir dann, uns selbst zu verändern. Eine andere Weise, mit Tantra zu arbeiten, geschieht auf der Ebene des Selbstbildes. Dabei geht es jedoch nicht wirklich um die Kraft des positiven Denkens, der Selbsthilfe oder dergleichen. Achten wir darauf, die Realität dessen zu verstehen, was wir visualisieren, kann die Sadhana-Praxis ausgesprochen hilfreich sein, um ein positives Bild von uns selbst zu bekommen. Denken wir: „ich Armer; ich kann einfach nichts verstehen; ich kann für diese andere Person nichts empfinden“ oder ähnliches, kann uns die Tantra-Methode, mit der wir uns auf diese Gottheiten beziehen, Zuversicht geben. Stellen wir uns selbst als diese Buddha-Gestalten vor, ist das recht hilfreich, solange wir nicht diese merkwürdige Vorstellung haben und denken: „ich bin ja wirklich Tara“ usw.

Werden wir beispielsweise mit einer schwierigen Situation konfrontiert und sind verwirrt, denken wir: „eigentlich bin ich Manjushri und habe einen klaren Geist; ich bin in der Lage das zu verstehen“, oder Avalokiteshvara, Chenrezig: „ich kann etwas Positives für andere empfinden.“ Auf diese Weise haben wir ein positives Selbstbild, anstatt uns mit einem negativen Selbstbild zu identifizieren. Das kann jedoch nur funktionieren, wenn es auf einem korrekten Verständnis der Leerheit gründet. Sowohl das positive als auch das negative Selbstbild sind frei davon, selbst-begründet zu sein. Sie entstehen in Abhängigkeit von Ursachen und Bedingungen, sowie von Konzepten. Wir benötigen ein Verständnis darüber, was los ist, ansonsten identifizieren wir uns genauso festgeschrieben mit dem positiven Selbstbild, wie wir uns mit dem negativen Selbstbild identifiziert haben, und bekommen sogar Probleme mit diesem positiven. So können wir uns zum Beispiel mit dem positiven Selbstbild identifizieren und unglaublich arrogant werden. Das Leerheitsverständnis ist notwendig für diese Umwandlung eines Selbstbildes und Tantra kann uns helfen, wenn wir es richtig ausführen. Das ist auch ein großer Nutzen, den wir daraus ziehen können.

Der Nutzen von Tantra in Bezug auf Shamatha 

Es gibt viele weitere Nutzen der Tantra-Praxis, doch vielleicht ist das etwas, worüber wir ein andermal reden können. Nur um einen Aspekt zu erwähnen: Wenn wir uns auf uns selbst als eine Buddha-Gestalt richten und uns darauf fokussieren, um Konzentration zu erlangen, haben wir ein weit leichteres und stabileres Objekt der Ausrichtung, als wenn wir uns auf unseren gewöhnlichen Körper konzentrieren. Unser gewöhnlicher Körper ändert sich ständig. Richten wir uns daher auf unseren gewöhnlichen Körper und haben Schmerzen in unserem Bein oder einen Juckreiz, ist es ziemlich schwierig, Shamatha, einen still gewordenen und zur Ruhe gekommenen Geisteszustand, zu entwickeln. Das liegt daran, dass sich unser Objekt der Ausrichtung ändert, während sich die Buddha-Gestalt, die ein so genanntes „beständiges unbeständiges Phänomen“ ist, wie es fachlich ausgedrückt wird, nicht ändert. Sie ist immer gleich, in jeder Sitzung, und wir kommen immer auf das gleiche Objekt der Ausrichtung zurück. Haben wir ein stabiles Objekt der Ausrichtung, zu dem wir immer zurückkommen können, ist es leichter, stabile Konzentration darauf zu entwickeln. Das ist ein Nutzen.

Außerdem gibt es keine negativen Assoziationen hinsichtlich einer Buddha-Gestalt. Richten wir uns auf unseren gewöhnlichen Körper, können diesbezüglich alle möglichen negativen Assoziationen hochkommen, wie zu dick, zu alt, zu dünn, nicht schön genug oder so toll zu sein und sich wie Gottes Geschenk an die Welt zu fühlen. Da gibt es diese störenden Assoziationen in Bezug auf unseren gewöhnlichen Körper, die es bei einer Buddha-Gestalt nicht gibt. In diesem Sinne ist sie praktisch rein davon. Das macht sie auch zu einem Objekt, das zuträglicher für einsgerichtete Konzentration ist.

Es gibt viele Nutzen, die in den Schriften erwähnt werden, in denen es darum geht, wie hilfreich es ist, diese Buddha-Gestalten zu nutzen, um Konzentration zu erlangen, sowohl in der Sutra- als auch in der Tantra-Praxis. Es gibt eine riesige Liste von Objekten zum Entwickeln von Shamatha, dem still gewordenen und zur Ruhe gekommenen Geisteszustand. Verschiedene Arten von Objekten werden in Bezug darauf beschrieben, was die dominanten störenden Emotionen sind. Sich beispielsweise auf den Atem zu richten wird von Kamalashila, einem großen indischen Meister für jene vorgeschrieben, deren Geist ständig abschweift. Dann richten wir uns auf den Atem, weil er jederzeit und stetig da ist. Das ist eine Sache, aber es gibt auch viele andere Objekte, die wir nutzen können, um diese Ausrichtung zu entwickeln.

Was die Sutra-Methode betrifft, so wird meist empfohlen, uns auf einen Buddha vor uns zu richten. Worum geht es, wenn wir uns auf einen Buddha richten? Es geht nicht darum, dass er hübsch ist oder ähnliches, sondern dass er das Objekt der Zuflucht ist. Wir halten uns all die Qualitäten eines Buddhas vor Augen und denken daran, dass er die Richtung verkörpert, in die wir gehen wollen. Daher vertrauen wir uns dem Buddha an, der uns dorthin führen kann. Ein visualisierter Buddha repräsentiert auch die Erleuchtung, die wir mit Bodhichitta erlangen wollen. Sich selbst im Tantra als eine Buddha-Gestalt zu visualisieren, stellt auch den Zustand dar, den wir erlangen wollen. 

Transformation im Anuttarayoga-Tantra 

Wir haben darüber gesprochen, Tantra als Dharma-light-Praktizierende zu üben, welche noch kein Verständnis über die Wiedergeburt haben und nicht daran glauben. Im echten Dharma, insbesondere in den höchsten Tantra-Klassen, dem Anuttarayoga-Tantra, geht es um die Wiedergeburt, genauer gesagt darum, den Vorgang des Todes, des Bardo und der Wiedergeburt zu transformieren. In diesem Vorgang manifestiert sich zum Zeitpunkt des Todes der Geist des klaren Lichts, die subtilste Ebene des Geistes ganz natürlich. Im Tod haben wir jedoch kein Verständnis der Leerheit mit diesem Geist des klaren Lichts und so übernehmen all die Instinkte unseres Karmas und der störenden Emotionen und – schwubs – sind wir im Bardo und unser Geisteskontinuum verbindet sich mit unserer nächsten Wiedergeburt.

In der Anuttarayoga-Praxis geht es uns darum, diesen Prozess in der Meditation zu transformieren, damit wir auf diese subtilste Ebene des Geistes in der Meditation zugreifen und sie nutzen können, um uns nichtkonzeptuell auf die Leerheit auszurichten. Diese Ebene des Geistes ist von Natur aus nichtkonzeptuell. Anstatt sich dann daraus in der subtilen Erscheinung eines Bardo-Wesens und dann in der gröberen Erscheinung einer gewöhnlichen Wiedergeburt wiederzufinden, wie es mit einem gewöhnlichen Tod passieren würde, manifestieren wir uns auf den letzten Stufen des Pfades in den subtilen Erscheinungen eines Sambhogakaya und den gröberen Erscheinungen eines Nirmanakaya. 

Im Anuttarayoga-Tantra gibt es mehrere unglaublich anspruchsvolle Methoden, um in der Meditation Zugang zur subtilsten Ebene des Geistes zu finden. Auf der anfänglichen Ebene dieser Praxis, der Erzeugungsstufe, stellen wir uns vor, wie die gleichen Stufen unseren Geistes immer subtiler werden und wir auf diese subtilste Ebene zugreifen, wie es uns mit den Übungen der Vollendungsstufe möglich ist. Mit dieser subtilsten Ebene richten wir uns dann auf die Leerheit, die das Gegenmittel dafür ist, um diese Schleier loszuwerden, damit wir keine karmischen Tendenzen und keine Gewohnheiten unserer störenden Emotionen und unserer Unwissenheit aktivieren. Wir wollen sie loswerden und sie nicht aktivieren. Stattdessen wollen wir die positiven Faktoren der Buddha-Natur aktivieren, damit wir uns zumindest vorstellen, von dieser Ebene des klaren Lichts aufzutauchen und uns in der Form einer Buddha-Gestalt zu manifestieren. Wenn wir dann letzten Endes wirklich dazu in der Lage sind und es uns nicht nur vorstellen, manifestieren wir uns in den Formkörpern eines Buddhas. 

Wollen wir Anuttarayoga, die höchste Tantra-Ebene praktizieren, wo es all die verschiedenen Gottheiten des Anuttarayoga gibt, wie Vajravarahi, Dorje Palmo, Vajrayogini und Chakrasamvara, und beziehen uns gedanklich nicht auf die Wiedergeburt, was würden wir denn dann tun? Es ergibt keinen Sinn zu versuchen, den Tod, Bardo und die Wiedergeburt zu reinigen, wenn wir nicht an die Wiedergeburt glauben. Zuversichtlicher Glaube an die Wiedergeburt ist auf dieser Stufe absolut essentiell. 

Sind wir aber noch nicht auf dieser Ebene, können wir, wie gesagt, dennoch auf einer vorläufigen Ebene großen Nutzen aus dem Rezitieren von Mantras ziehen, um unseren Geist mit einer Art geistigem Judo vor Sorgen und all diesen Gedanken zu schützen, die uns durch den Kopf gehen. Auf der tiefsten Ebene ist das Mantra von Prajnaparamita, die weitreichende Geisteshaltung des Verständnisses der Leerheit mit Bodhichitta, das tiefgründigste und mächtigste Mantra, das alle übertrifft, wie es im Herzsutra heißt. Wir können das Prajnaparamita-Mantra OM GATE GATE PARAGATE PARASAMGATE BODHI SVAHA rezitieren, während wir gleichzeitig Buddha vor uns visualisieren, um Inspiration zu bekommen und die verschiedenen Dinge integrieren zu können, die durch diese Form repräsentiert werden. Zusätzlich können wir versuchen, eine tägliche Praxis zu haben, in der wir eine Art Stabilität entwickeln, sowie einen Sinn für Verantwortung und eine Verpflichtung gegenüber dem Pfad, dem wir folgen.

Lasst uns einen Moment über all das nachdenken. Was haben wir eigentlich damit vor, wenn wir uns bereits mit einer Tantra-Praxis befassen oder darüber nachdenken, es zu tun. Wird sie nur eine Art spirituelles Hobby sein oder eine Flucht in ein buddhistisches Disneyland? Was tun wir eigentlich? Auf der Webseite gibt es Vorträge über den Unterschied, sich als eine Buddha-Gestalt oder als Micky Maus zu visualisieren. Vielleicht denken wir: „Großartig, jetzt bin ich Micky Maus und führe alle ins Disneyland.“ Das ist völlig verrückt. Oder: „Jetzt bin ich die gute rote Fee Vajrayogini, die alle ins Dakini-Land führt.“ Praktizieren wir auf diese Weise? Was machen wir eigentlich? Auf welcher Ebene tun wir es? Ist es ein Kinderspiel, ein Videospiel oder etwas, das einen Sinn für uns ergibt? Sich diese Fragen zu stellen ist wirklich hilfreich.

[Pause zum Nachdenken]

Für unsere Webseite haben wir verschiedene Lamas und buddhistische Lehrer interviewt, ihnen verschiedene Fragen gestellt und sie auf der Webseite und auf YouTube veröffentlicht. Eine der Fragen, die wir einigen Lehrern gestellt haben, war, was sie Westlern sagen würden, wenn sie ihnen eine Meditation empfehlen könnten. Wir fragten Ringu Tulku und seine Antwort war, sich jeden Tag die Frage zu stellen: „Was tue ich mit meinem Leben?“ Laut ihm wäre das äußerst hilfreich. „Was tue ich? Wo gehe ich hin?“ 

Die andere Sache, die wir fragten, war, was der nützlichste Rat gewesen ist, den sie von ihren Lehrern bekommen haben. Wir stellten Tenzin Palmo diese Frage, die wahrscheinlich eine der westlichen Praktizierenden mit der höchsten Verwirklichung ist. Sie verbrachte zwölf Jahre im Einzelretreat in einer Höhle in Lahaul, Indien. Sie sagte, der Rat, den sie von ihrem Lehrer, einem der Yogis ihres Klosters, bekam, bestand darin, dreimal jede Stunde innezuhalten und sich zu vergegenwärtigen, was im eigenen Geist gerade los ist. In welchem Geisteszustand befinden wir uns gerade in Bezug auf die Emotionen und allem anderen? Thich Nhat Hanh hat eine Achtsamkeitsglocke und wenn sie klingelt, muss jeder prüfen, was gerade im eigenen Geist stattfindet. So eine Praxis ist überaus hilfreich.

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