Rückblick
Gestern haben wir über die Bedeutung von Tantra gesprochen, den Strom von Kontinuität, der für immer andauert. Da gibt es eine grundlegende Ebene – unser Geisteskontinuum mit den Faktoren der Buddha-Natur. Diese umfassen unsere Netzwerke positiver Kraft und tiefen Gewahrseins, sowie die relative und tiefste Natur unseres Geistes. Auf der grundlegenden Ebene rufen sie unsere unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburt, Samsara, hervor. Auf der Ebene des Pfades rufen diese Faktoren der Buddha-Natur keine samsarische Wiedergeburt und keine samsarischen Erfahrungen unseres gewöhnlichen Lebens mehr hervor. Stattdessen führen sie zu jenen Dingen, die den Ergebnissen ähneln, die wir erlangen wollen und das wird uns helfen, dieses Ergebnis zu erreichen. Das sind zum Beispiel die Buddha-Gestalten oder Yidams und unser Verständnis der Leerheit. Auf der resultierenden Ebene werden sich diese Faktoren der Buddha-Natur dann umwandeln und die erleuchtenden Körper eines Buddhas hervorbringen. Tantra bedeutet diese Kontinuität unserer Faktoren der Buddha-Natur auf jedem dieser drei Ebenen.
Tantra hat auch diese Assoziation mit einem Webstuhl, auf dem wir all die verschiedenen Erkenntnisse und Verständnisse, die wir auf dem Sutra-Pfad entwickelt haben, miteinander verweben. Auf dem Sutra-Pfad konzentrieren wir uns auf die Ursachen, welche die Körper eines Buddhas hervorbringen werden, während wir im Tantra an etwas arbeiten, was dem Ergebnis ähnelt, den so genannten „Reinheiten“. Das ist verbunden damit, sich selbst bereits in der Form dieser Buddha-Gestalten zu visualisieren, die all die Qualitäten eines Buddhas besitzen, wie den erleuchtenden Einfluss, um allen Wesen nützlich sein zu können. Unsere Rede ist erleuchtend und wird durch Mantras repräsentiert. Unsere Umgebung ist rein wie jene von Mandalas. Unser Geist ist rein, weil er über ein Leerheitsverständnis und Bodhichitta verfügt. Unsere Art und Weise, Dinge zu genießen, ist rein, ohne die Störungen der Anhaftung, des Klammerns und so weiter.
Wir haben all diese Reinheiten, die wir uns in der Tantra-Praxis vorstellen. Sich vorzustellen, jetzt über sie zu verfügen, steht sehr im Einklang mit Bodhichitta, mit dem wir uns auf unsere eigene individuelle Erleuchtung fokussieren, die noch nicht stattgefunden hat, aber aufgrund dieser Faktoren der Buddha-Natur stattfinden kann. Wir wollen also diese grundlegende Ebene von Körper, Rede, Geist, Umgebung, Aktivitäten und Arten des Genießens aufgeben und uns durch die Ebene des Pfades der reinen Ebene des Resultats zuwenden. Die Leerheit oder Leere unseres Geistes sowie dessen konventionelle Natur ermöglicht diese Umwandlung.
All diese Punkte, über die wir gesprochen haben, passen zusammen und Tantra ist eine Möglichkeit, sie sehr schön miteinander zu verweben, damit sie alle in einer Gesamtheit zusammenkommen, die wir in einem Augenblick in einem Geisteszustand erzeugen können. Das ist es, was wir mit dem Erlangen der Erleuchtung anstreben.
Die zwölf Glieder des anhängigen Entstehens überwinden
Auf der grundlegenden Ebene erfahren wir nicht nur das Leid des Leidens – unser Unglücklichsein – und das Leid der Veränderung – unser gewöhnliches Glücklichsein, das nie andauert, niemals zufriedenstellend ist usw., sondern vor allem auch die dritte Art des Leidens – das alles umfassende Leiden. Dies bezieht sich auf unsere unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburt mit den so genannten „befleckten“ fünf Aggregaten. Die befleckten fünf Aggregate umfassen all die sich verändernden Faktoren, die jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen. Sie sind die Grundlage dafür, die ersten zwei Arten von Leiden erfahren zu können – unser Unglücklichsein oder unser gewöhnliches Glücklichsein, um es mit einfachen Worten auszudrücken.
Unsere fünf Aggregate sind „befleckt“ von Unwissenheit – unserer Verwirrung hinsichtlich der Realität, also nicht zu wissen, wie Dinge und wie wir existieren oder diese Dinge zu verdrehen. Diese Unwissenheit führt zur weiteren Fortsetzung dieser Aggregate, was ebenfalls mit Unwissenheit befleckt ist. Diese zwölf Glieder des anhängigen Entstehens beschreiben, wie dieser Prozess stattfindet und es ist ausgesprochen wichtig zu verstehen, wie sie funktionieren, und das bedeutet zu verstehen, wie Samsara funktioniert, was wir mit Tantra transformieren wollen.
Was diese zwölf Glieder betrifft, so führt unsere Unwissenheit zu störenden Emotionen, die karmische Impulse in Gang setzen, darauf beruhende Handlungen zu begehen, die dann eine karmische Hinterlassenschaft in unserem Geisteskontinuum als Aspekt unserer Netzwerke positiver und negativer Kraft erzeugen. Ein Teil dieser karmischen Hinterlassenschaft wird später durch weitere störende Emotionen aktiviert, das Kontinuum in eine weitere Wiedergeburt zu „werfen“. In dieser Wiedergeburt reift die karmische Hinterlassenschaft nicht nur in unserem Körper, unserer Rede und unserem Geist, sondern auch in unseren Aktivitäten von Körper, Rede und Geist, dem Erfahren unserer Umgebung und den Ebenen des Glücklichseins oder Unglücklichseins, mit denen wir jeden Moment erleben. Das sind die grundlegenden Phänomene, die wir uns mit der Tantra-Praxis des Pfades in reinen Formen vorstellen und auf der resultierenden Ebene in den reinen Formen eines Buddhas. Der gesamte Umwandlungsprozess im Tantra – insbesondere im Anuttarayoga-Tantra – umfasst das Umwandeln dieses sich wiederholenden Zyklus von Tod, Bardo und Wiedergeburt, der durch den Mechanismus der zwölf Glieder stattfindet.
Wenn wir ihn verstehen, werden wir uns in der höchsten Tantra-Klasse mit einem glückseligen Geisteszustand, und nicht unseren gewöhnlichen Gefühlen, auf die Leerheit fokussieren, anstatt diese karmische Hinterlassenschaft zu aktivieren, die uns nur in eine weitere Wiedergeburt führt, in der wir immer mehr Leiden erfahren. Auf diese Weise können wir das Hervorbringen der Formkörper eines Buddhas bewirken, indem wir das Netzwerk positiver Kraft, über das wir als ein Faktor der Buddha-Natur verfügen, mit Bodhichitta unserer Erleuchtung widmen. Durch unser Netzwerk tiefen Gewahrseins erlangen wir dann den Dharmakaya-Geist eines Buddhas.
Karma
Sprechen wir über karmische Hinterlassenschaft und die Netzwerke positiven und negativen Potenzials, ist es vielleicht hilfreich, einige mögliche Missverständnisse in Bezug auf Karma zu klären. Karma wird oftmals mit „Handlungen“ übersetzt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das tibetische Wort dafür auch das umgangssprachliche Wort für „Handlungen“ ist. Nehmen wir es jedoch wörtlich, würde es ausreichen, einfach nichts mehr zu tun, um frei von Leiden und Karma zu sein, wenn alle Probleme auf unsere Handlungen zurückzuführen wären. Ganz klar hat es also nicht diese Bedeutung.
Werfen wir einen Blick auf die Definitionen und Erklärungen in den Texten der großen buddhistischen Meister Indiens, erkennen wir, dass sich Karma auf die Zwanghaftigkeit unserer Handlungen bezieht. Gemäß einer Reihe von Kommentaren ist Karma genau genommen ein Geisteszustand – der zwanghafte Drang, der uns dazu bringt, unter dem Einfluss von Unwissenheit und störenden Emotionen zwanghaft zu denken, zu sprechen oder zu handeln. Gemäß einer anderen Reihe von Kommentaren trifft dies für Handlungen des Geistes zu, aber was Handlungen des Körpers und der Rede betrifft, so bezieht sich Karma auf die zwanghaften Bewegungen des Körpers oder die zwanghaften Äußerungen der Rede, mit denen wir unsere Handlungen des Körpers oder der Rede ausführen. In beiden Fällen handeln wir zwanghaft unter dem Einfluss von störenden Emotionen, wie Gier, Anhaftung, Wut, Feindseligkeit, Verwirrung, Engstirnigkeit usw. Das führt nicht nur zu zwanghaft destruktivem Verhalten, sondern auch zu zwanghaft konstruktivem Verhalten. Die Zwanghaftigkeit ist auf die früheren Tendenzen und Gewohnheiten zurückzuführen, die wir aufgebaut haben.
So können wir beispielsweise Gutmenschen sein, was, in westlichen Begriffen, ziemlich neurotisch ist. Es handelt sich dabei um Perfektionismus, mit dem wir beispielsweise den zwanghaften Drang haben, ständig unser Haus zu putzen, uns andauern die Hände zu waschen oder anderen helfen zu wollen, auch wenn sie unsere Hilfe gar nicht benötigen. Wir könnten etwas schreiben und nie zufrieden mit dem sein, was wir geschrieben haben. Ständig korrigieren wir es von Neuem und können es nie fertigstellen. Das ist die Zwanghaftigkeit des Karma und das ist das Problem mit dem Karma. Karma, angetrieben von Unwissenheit und störenden Emotionen, bewirkt die grundlegende Ebene von Samsara und wir streben an, uns mit Tantra davon zu reinigen, um Erleuchtung zu erlangen.
Der Geist oder geistige Aktivität
Während der Zyklus von Tod, Bardo und Wiedergeburt stattfindet, geht der Geist durch verschiedene Ebenen. Der Tod ist die subtilste, dann kommt das Bardo und mit der Wiedergeburt ist der Geist dann auf seiner gröbsten Ebene. Ist er erleuchtet, verweilt der Geist fortwährend auf seiner subtilsten Ebene. Was ist jedoch der Geist?
Sprechen wir im Buddhismus über den Geist, geht es nicht um ein „Ding“. Viel leichter kann man es verstehen, wenn wir den Geist als geistige Aktivität betrachten. Es gibt eine bestimmte kognitive Aktivität, die ständig, von einem Moment zum nächsten, stattfindet. Sie wird für gewöhnlich als Klarheit und Gewahrsein definiert und manchmal wird das Wort „bloße“ hinzugefügt, was sich auf „nichts anderes“ bezieht. Betrachten wir einmal diese Begriffe.
Klarheit ist der Aspekt der geistigen Aktivität, welche die geistigen Erscheinungen von etwas hervorbringt, in etwa so, wie ein geistiges Hologramm. Das ist es, was mit der geistigen Aktivität stattfindet, sogar aus einer westlichen Betrachtungsweise. Was das Sehen betrifft, so haben wir zum Beispiel Photonen, welche auf die lichtempfindlichen Zellen unserer Retina treffen. Sie werden in elektrische und chemische Impulse umgewandelt, die sich zu den verschiedenen Regionen im Gehirn bewegen und irgendwie entsteht dann das, was wir als ein visuelles geistiges Hologramm, einen Anblick, erleben.
Das Entstehen eines geistigen Hologramms ist jedoch nicht wie das Entstehen eines Bildes in einem Spiegel. Es gibt auch einen kognitiven Aspekt, eine kognitive Beschäftigung des Wissens oder Nichtwissens, was etwas ist, eine Emotion, ein Gefühl des Glücklichsein oder Unglücklichsein und so weiter. Das ist der Gewahrseinsaspekt der geistigen Aktivität.
Ein geistiges Entstehen und eine geistige Beschäftigung sind nicht zwei aufeinanderfolgende Aktivitäten. Es ist nicht so, dass zunächst ein Anblick entsteht und wir ihn dann sehen oder dass zuerst ein Gedanke auftaucht und wir ihn dann denken. Das Entstehen und die Beschäftigung damit sind ein und dieselbe Aktivität, lediglich von zwei Blickwinkeln beschrieben. Außerdem gibt es auch eine Energiekomponente, die mit der geistigen Aktivität verbunden ist. Diese Energie wird in der figurativen Dharmasprache als „Wind“ bezeichnet. Durch sie wird die geistige Aktivität von einem physischen Gesichtspunkt der Energie beschrieben. Die grobe physische Grundlage des Gehirns, des Nervensystems usw. ist die Ausstattung, mit dem die geistige Aktivität stattfindet.
Der Geist ist dann das individuelle, subjektive Erfahren von etwas, was die Wissenschaftler von einer materiellen, objektiven Perspektive als die Tätigkeit des Gehirns bezeichnen. Diese zwei Beschreibungen widersprechen sich nicht. Das Wort „bloße“ in der Definition bezieht sich auf die Tatsache, dass lediglich diese Aspekte mit geistiger Aktivität zu tun haben. Es gibt kein getrenntes „Ich“, das sie geschehen lässt oder beobachtet, wie sie geschieht. Die Wissenschaft würde dem zustimmen.
Die Transformation geistiger Aktivität
Während dem Zyklus von Tod, Bardo und Wiedergeburt haben die verschiedenen Ebenen geistiger Aktivität, die stattfinden, verschiedene Ebenen von Energiewinden, die sie stützen. So wie die Energiewinde der gröbsten Ebene des Geistes am gröbsten sind, sind auch jene der subtilsten Ebene des Geistes am subtilsten. Während des Todes sind die geistige Aktivität und die Energiewinde am subtilsten; während dem Bardo sind sie lediglich subtil, und in der Wiedergeburt werden beide grob.
Diese grobe Ebene der geistigen Aktivität und der Energiewinde findet mit Sinneswahrnehmung statt, also Sehen, Hören usw. Diese geistigen Hologramme, die dann auftreten, bestehen aus grobem Energiewind. Die subtile Ebene von beiden findet mit konzeptueller Wahrnehmung statt, die beim Denken, Vorstellen, Visualisieren und Träumen auftritt. Sie findet auch während dem Bardo statt. Die geistigen Hologramme bestehen dann aus subtilem Energiewind. Der subtilste Geist, den man als den „Geist des klaren Lichts“ bezeichnet, und der subtilste Energiewind manifestieren sich im Tod. Die geistigen Hologramme bestehen dann aus diesem subtilsten Energiewind. Während wir durch den Mechanismus der zwölf Glieder eine Wiedergeburt nach der anderen nehmen, bewegen sich unsere geistige Aktivität und die Energiewinde auf und ab, vom Groben zum Subtilen und wieder zurück, angetrieben durch Unwissenheit, Karma und störende Emotionen. Das ist die grundlegende Ebene, die wir transformieren und loswerden wollen.
Der allgemeine Unterschied zwischen klarem Licht und Rigpa
Viele Menschen beschäftigen sich mit Dzogchen und so sollte ich am Rande auf den Unterschied zwischen klarem Licht und Rigpa hinweisen. Klares Licht ist diese subtilste Ebene des Geistes, entweder mit oder ohne den Makeln der karmischen Hinterlassenschaft und den Gewohnheiten und Tendenzen der Unwissenheit und störenden Emotionen. Diese Makel sind nicht Teil der essentiellen Natur unserer geistigen Aktivität. Sie sind flüchtig und können beseitigt werden.
Auf der grundlegenden Ebene ist der Geist des klaren Lichts, den wir im Tod erleben, noch voller flüchtiger Makel. Auf den fortgeschrittenen Ebenen des Pfades sind die flüchtigen Makel teilweise beseitigt und auf der resultierenden Ebene sind sie für immer beseitigt. Doch auf allen drei Ebenen ist die Wesensnatur unserer geistigen Aktivität rein davon. Dieser reine, unbefleckte Aspekt ist Rigpa, „reines Gewahrsein“.
Erzeugungs- und Vollendungsstufe im Anuttarayoga-Tantra
In der echten Dharmapraxis, besonders im Anuttarayoga-Tantra, ahmen wir diesen Prozess von Tod, Bardo und Wiedergeburt nach. Was den Tod betrifft, so ahmen wir nach, uns auf die Ebene des klaren Lichts der geistigen Aktivität zu begeben, wir wir es mit der Treppe beschrieben haben, die wir nach unten, ins Untergeschoss, steigen. Sind wir einmal dort, wollen wir die Samsara-Treppe nicht wieder hinaufsteigen, was wir normalerweise aufgrund unserer Gewohnheiten der Unwissenheit tun würden, indem wir die karmischen Tendenzen aktivieren, die diese Ebene des klaren Lichts beflecken. Um das zu vermeiden, fokussieren wir uns mit unserem Nachahmen dieser Ebene des klaren Lichts auf die Leerheit. Das ermöglicht uns, stattdessen das Aufsteigen der Nirvana-Treppe zur Erleuchtung nachzuahmen.
Im Anuttarayoga-Tantra gibt es zwei Stufen der Praxis, die Erzeugungsstufe und die Vollendungsstufe, die zuweilen auch als Entwicklungs- und Vollendungsstufe übersetzt werden. Auf der Erzeugungsstufe, die zuerst kommt, sind wir nicht wirklich in der Lage, uns auf die Ebene des klaren Lichts hinabzubegeben und daher stellen wir es uns bloß vor. Des Weiteren verfügen wir nur über eine konzeptuelle Ebene des Leerheitsverständnisses und über eine Ebene des mühevollen Bodhichittas. Durch unser Vortäuschen einer Wahrnehmung der Leerheit im Geist des klaren Lichts stellen wir uns vor, in der Form einer Buddha-Gestalt zu erscheinen, eines Yidams, der den Formkörpern ähnelt, die wir erlangen werden. Das geschieht für gewöhnlich in zwei Schritten: zunächst in einer einfachen Form und dann in einer komplexeren, wie Samboghakaya und Nirmanakaya.
Auf der Vollendungsstufe stehen uns die Werkzeuge nun zur Verfügung – wir haben jetzt eine Vereinigung von Shamatha und Vipashyana erlangt –, um die subtilen Energien unseres subtilen Energiesystems – die Chakren und Kanäle – zugänglich machen und manipulieren zu können, damit wir schließlich in der Lage sind, mit einer nichtkonzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit Zugang zur Klare-Licht-Ebene des Geistes zu finden. Dann sind wir bereit, aus den subtilsten Energiewinden das Ebenbild eines Formkörpers zu erzeugen, auch wenn wir noch eine wahre Beendigung der Makel erlangen müssen, die nach wie vor unseren Geist des klaren Lichts beflecken.
All das hat mit der Definition der geistigen Aktivität zu tun: die geistige Aktivität bringt mit einer kognitiven Beschäftigung kognitive Erscheinungen hervor. Uns geht es darum, dass unsere geistige Aktivität keine gewöhnlichen Erscheinungen, sondern die reine Erscheinung einer Buddha-Gestalt, sowie dessen Mandala und Umgebung hervorbringt. Wir erzeugen nicht nur uns selbst im Aspekt dieser reinen Erscheinungen beruhend auf den Potenzialen unserer eigenen Faktoren der Buddha-Natur, um unsere noch nicht stattfindende Erleuchtung hervorzurufen, sondern können uns auch alle anderen mit diesen reinen Erscheinungen einer Buddha-Gestalt, die sie aufgrund ihrer Faktoren der Buddha-Natur haben, vorstellen. Seht ihr, wie all das auf diese Weise auch mit Liebe, Mitgefühl und Gleichmut verbunden ist?
Es gibt viele Möglichkeiten, wie man damit arbeiten kann. Wir können uns die verschiedenen Erklärungen anschauen. Im Sakya wird beispielsweise über die Untrennbarkeit von Samsara und Nirvana gesprochen. Das bezieht sich auf die Fähigkeit der Ebene des klaren Lichts, sowohl samsarische als auch nirvanische Erscheinungen hervorzubringen. Beide Arten von Erscheinungen haben die Natur, eine kognitive Erscheinung zu sein. Sie beide entstehen durch die Funktion des Hervorbringens von Erscheinungen der geistigen Aktivität. Aus diesem Grund ist es, wenn wir diese Visualisierungen machen, in denen alles um uns herum rein ist, nicht so, dass wir nicht gleichzeitig auch eine Straße überqueren können, weil wir die Autos nicht kommen sehen. Was wir erfahren, ist fast so etwas wie eine Überblendung, in der wir gleichzeitig die samsarischen und nirvanischen Ebenen sehen können und dann ist es nur eine Frage, worauf wir unseren Schwerpunkt legen. Ansonsten könnten wir nicht funktionieren.
Wie in den Belehrungen über Leerheit betont wird, sollten wir Leerheit als abhängiges Entstehen begreifen. Diese beiden widersprechen sich nicht. Leerheit behindert nicht die Funktionsfähigkeit von Dingen, sondern ermöglicht vielmehr, dass die Dinge funktionieren. Diese Visualisierungen sollten keine Methode sein, mit der wir alles andere, was um uns herum geschieht, wegwischen. Wir können jedoch mit ihnen erkennen, was durch das Potenzial von allen, sowie auch der Umgebung, möglich ist, anstatt einfach nur unsere gewohnheitsmäßige aber unmögliche Sicht der Existenzweise von Dingen einzubringen.
Kurzum geht es uns auf dieser Ebene des Tantra-Pfades darum, ein Ebenbild dessen zu haben, was auf der resultierenden Ebene stattfinden wird. Auf der Erzeugungsstufe wird dies erreicht, indem wir etwas mit unserer Vorstellungskraft visualisieren oder erschaffen. Auf der Vollendungsstufe sind wir dann tatsächlich in der Lage, etwas aus den subtilsten Energien hervorzubringen. Außerdem bauen wir immer mehr positive Kraft auf, nicht nur durch unser Sitzen und Meditieren, sondern indem wir tatsächlich auch etwas tun, um anderen zu helfen und uns das nicht nur vorstellen. Es ist nicht genug, es sich einfach nur vorzustellen oder es zu visualisieren – wir müssen wirklich etwas tun.
Entsagung
Durch wiederholte Praxis, mit der wir immer mehr positives Potenzial und tiefes Gewahrsein aufbauen und sie unserer Erleuchtung widmen, sind wir schließlich in der Lage, den erleuchteten Zustand eines Buddhas zu erlangen, in dem all die so genannten „Schleier“, die unseren Geist des klaren Lichts bedecken, verschwunden sind. Wir haben dann eine wahre Beendigung all der verschiedenen subtilen Ebenen von Schleiern erlangt und es werden keine unreinen Erscheinungen mehr auftreten. Wenn wir darüber nachdenken, können wir ganz klar erkennen, dass Entsagung ein Teil dieses ganzen Prozesses ist. Es ist notwendig, den gewöhnlichen Erscheinungen und dem gewöhnlichen Wiedergeburtsvorgang zu entsagen. „Entsagung“ – das eigentliche Wort im Tibetischen ngejung – bedeutet, sich gewiss und entschieden zu sein, und daher übersetzte ich es als eine Entschlossenheit, frei zu sein.
Ganz nebenbei können wir uns beim Entwickeln von Entsagung fragen, welcher emotionale Zustand die Entsagung begleitet. Denkt daran, dass wir fünf Aggregate haben und das heißt, dass jeder Geisteszustand eine Zusammensetzung vieler Faktoren ist. Welche Emotion ist nun mit der Entsagung verbunden? Arbeiten wir auf einer praktischen Ebene damit, könnten wir Wut auf uns selbst entwickeln. „Oh, das ist so sinnlos; warum habe ich mich darauf eingelassen?“ Wir können uns von etwas abgestoßen fühlen und es satt haben. Das ist ein Teil davon; werden wir jedoch auf etwas wütend und ärgern uns über uns selbst, weil wir so dumm sind, handelt es sich dabei um eine andere störende Emotion.
Wollen wir beispielsweise mit dem Rauchen aufhören, denken wir vielleicht: „Ich bin schwach geworden und habe mir wieder eine Zigarette genehmigt. Ich bin wirklich genervt, enttäuscht und angewidert von mir selbst.“ Das ist eine ziemlich negative Sicht, die wir von uns haben, und es handelt sich dabei nicht um einen Geisteszustand, in dem wir Entsagung entwickeln können. Ein Geisteszustand, mit dem es funktioniert, ist die Ermüdung. „Ich bin so müde davon, mich zu nerven. Es ist so ermüdend, mich ständig zu sorgen. Mein zwanghaftes Essen ödet mich an, ich habe genug davon.“ Wir verlieren Interesse daran und es geschieht aus der Ermüdung und dem Verlust von Interesse, dass wir tatsächlich etwas aufgeben, und nicht aufgrund von Wut oder Abscheu. Das ist eine natürlichere Abkehr und es ist spannend, darüber nachzudenken und mit unseren eigenen Erfahrungen daran zu arbeiten, insbesondere, wenn wir diese unkontrollierbar sich wiederholende Probleme von Samsara haben.
Auch was Tantra betrifft, ist es notwendig, Entsagung zu entwickeln – die Entschlossenheit, frei davon zu sein, all unsere gewöhnlichen Erscheinungen hervorzubringen und an ihnen zu hängen. Um das zu tun, müssen wir das Interesse an ihnen verlieren und einen Überdruss verspüren, ständig nach unserem Tod wieder die Samsara-Treppe hinaufzusteigen und niemals zu wissen, in welches Samsara-Zimmer wir dieses Mal gelangen. All das muss uns ermüden und langweilen.
Transformation und Wirkungsweise von Buddha-Gestalten
Vieles im Tantra hat mit Transformation zu tun, besonders im Hinblick auf die Erscheinung des Körpers, mit dem wir aus dem klaren Licht entstehen. Wie besprochen ist einer der Nutzen im Tantra, sich, statt auf unseren gewöhnlichen Körper, auf uns als eine Buddha-Gestalt zu fokussieren. Mit unserem gewöhnlichen Körper haben wir kein beständiges Objekt, auf das wir uns ausrichten können. Wir haben diese Schmerzen und jene Schmerzen, während eine Buddha-Gestalt keinen Wandel und keine Schmerzen hat. Mit einer Buddha-Gestalt als unserem Objekt der Ausrichtung haben wir immer die gleiche Sache, auf die wir zurückkommen und uns ausrichten können, wenn unsere Geist abschweift.
Es ist auch wichtig, die Funktion dieser Buddha-Gestalten zu verstehen und warum sie diese verschiedenen Formen haben. Aus unserer konventionellen Sichtweise sind sie ziemlich sonderbar. Warum sollten wir mit vier, sechs oder vierundzwanzig Armen und all diesen Gesichtern und Beinen erscheinen und all diese Dinge in den Händen halten wollen? Ist es wirklich das, was wir uns wünschen?
Um diese Buddha-Gestalten zu verstehen, ist es notwendig, sich die Beschreibung der Buddhakörper anzusehen, in die sie sich umwandeln werden. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, warum ich manchmal sage, dass man das Studiums des Dharmas mit dem Vorgang des Zusammentragens von Puzzleteilchen vergleichen kann. Unsere Aufgabe ist somit, all die Puzzleteile zusammenzufügen. Je mehr Teile wir miteinander verbinden können, desto größer wird das Bild, das wir bekommen. Diese Teile passen jedoch nicht nur auf eine, sondern auf vielfältige Weise zusammen. Ein weiteres Teil des Tantra-Puzzles bezieht sich auf die Funktionen der Buddhakörper. Die Formkörper erfüllen den Zweck von anderen und der Dharmakaya erfüllt den Zweck des Selbst.
Wir können anfangen, in so genannter „analytischer Meditation“ darüber nachzudenken. Das bringt uns in unserem Verständnis und unserer Praxis ziemlich weit – zu analysieren, nachzuvollziehen und zu verstehen versuchen, um was es in unserer Praxis geht. Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt stets, dass analytische Meditation die wichtigste Meditation ist, die wir ausführen sollten und die auch er immer ausführt.
Wir benötigen ein gewisses Maß an Konzentration, das stimmt, doch sie ist nicht die Hauptsache, die zu Fortschritt auf dem Pfad führt. Sie ist lediglich ein Werkzeug, das sich entwickeln wird. Wir müssen nicht warten, bis wir vollkommene Konzentration erlangt haben, bevor wir zu einem Verständnis gelangen können. Konzentration muss mit einem gewissen Verständnis einhergehen. Es geht nicht nur um Konzentration um ihrer selbst willen. Ein Musiker oder ein Athlet kann sich konzentrieren. Ein Löwe, der sich an eine Antilope heranpirscht, kann sich konzentrieren. Ein Kind, das ein Videospiel spielt, kann sich konzentrieren. Durch Verständnis können wir uns allerdings von Unwissenheit lösen.
Wir wollen anderen mit diesen Formkörpern nützen können und das ist der einzige Grund, in einer physischen Form zu erscheinen. Wir wollen den Nutzen und die Ziele anderer erfüllen. Wir erscheinen in dieser Form, weil sie eine Methode bietet, die andere ihre Leiden überwinden und Erleuchtung erlangen lässt. Das ist der einzige Zweck und auch die Absicht für unsere erleuchtende Aktivität. Ich bezeichne dies lieber als „erleuchtenden Einfluss“, weil ein Buddha im Grunde ja nichts tun muss. Wie die Sonne übt ein Buddha diesen erleuchtenden Einfluss in vielfacher Hinsicht aus, um Dinge zu beruhigen, Dinge anwachsen zu lassen, Dinge unter Kontrolle zu bringen und auf kraftvolle Weise schädlichen Handlungen ein Ende zu setzen. Das sind die vier Arten des Einflusses, die wir ausüben wollen.
Übrigens ist es besser, den Begriff „visualisieren“ mit „sich vorstellen“ zu übersetzen, denn es geschieht nicht nur visuell, sondern mit allen Sinnen, Emotionen und so weiter. Wir stellen uns vor, dass wir diesen erleuchtenden Einfluss haben. Wir besitzen all diese Arme, Beine und Gesichter, weil sie eine grafische Repräsentation all der Dinge sind, die wir und andere miteinander verweben wollen. Wir erzeugen uns nicht im Formkörper eines Buddhas für unseren eigenen Nutzen oder für unser eigenes Wohl. Wir tun es für das Wohl der anderen. Das ist etwas, worüber wir nachdenken sollten und dann ist es an sich nicht mehr so sonderbar.
Wir meinen, dass wir selbst einen Nutzen daraus ziehen können, mit diesen Figuren zu meditieren, aber im Grunde können alle daraus einen Nutzen ziehen. Die Menschen sind verschieden und wir müssen verschiedene Figuren mit einer unterschiedlichen Anzahl von Armen, Beinen und Gesichtern haben können, weil es so viele Dinge gibt, die miteinander verwoben werden müssen.
So gibt es beispielsweise die 37 Faktoren oder Übungen, die zur Befreiung oder Erleuchtung führen, und sie werden in die fünf Pfade, wie den Pfad des Ansammelns oder Aufbauens aufgeteilt. Sie gelten für Hinayana, Mahayana und alle Schulen gleichermaßen. Wie erinnern wir uns an sie? Wir tun es, indem wir uns selbst als eine Figur, wie Vajrabhairava, den man auch Yamantaka nennt, visualisieren, und er hat 34 Arme plus Körper, Rede und Geist, was sich auf diese 37 Faktoren bezieht. Mit der Vajrayogini-Praxis könnten wir 36 Dakinis in einem Kreis und eine Dakini in der Mitte haben, was 37 ergibt. Stellen wir uns diese verschiedenen Punkte in einer grafischen Form dar, sollten wir nicht vergessen, dass es nicht nur uns selbst, sondern allen hilft, auf diese Weise zu praktizieren. Das ist es, was andere brauchen: diese 37 Übungen. Außerdem haben wir auch die 37 Bodhisattva-Praktiken, die damit vergleichbar sind. Wir wollen zum Nutzen anderer in dieser Form erscheinen, damit sie sie als eine Methode nutzen können, und währenddessen nutzen wir sie natürlich ebenfalls als eine Methode. Wie gesagt visualisieren wir uns im Tantra bereits auf der resultierenden Ebene, nicht auf der Ebene des Pfades, auch wenn die Ausführung eine Ebene des Pfades ist. Lasst uns für einen Moment darüber nachdenken.