Dr. Alexander Berzin: Übersetzen für Serkong Rinpoche & Seine Heiligkeit den Dalai Lama

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Weiterführendes Studium und Ausbildung bei Serkong Rinpoche  

Um auf den Bericht über meine frühen Jahre zurückzukommen, habe ich, nachdem ich seit dieser Anfangszeit mit Catherine in Bodh Gaya nach Dharamsala zurückgekehrt bin, die nächsten Jahre weiter intensiv in der Library gelernt und an den öffentlichen sowie vielen der geheimen Belehrungen teilgenommen, die Seine Heiligkeit erteilte. Ich fuhr auch fort, für Serkong Rinpoche zu übersetzen, besonders tantrische Unterweisungen für Alan.   

Im Laufe der Jahre habe ich für ihn verschiedene Initiationen, Jenangs (anschließende Erlaubnisse) und Vorträge über lange Sadhanas, Selbst-Initiationen und Feuerpujas übersetzt. Zuweilen waren diese Lehren auch für eine Gruppe anderer Westler, manchmal für eine kleine Gruppe von Tulkus und mitunter nur für uns zwei. Rinpoche brachte Alan und mir sogar bei, wie man die Mandalas der wichtigsten Gottheiten zeichnet, zusammen mit den Abmessungen ihrer dreidimensionalen Mandala-Paläste. Er fertigte Modelle einiger ihrer architektonischen Merkmale aus Tsampa-Teig an, damit wir wussten, wie sie aussahen. 

Während dieser Phase meines Lebens war diese Betonung auf Tantra genau das Richtige für mich. Meine Universitätsausbildung war einseitig gewesen und hatte nur die intellektuellen Fähigkeiten der linken Gehirnhälfte entwickelt. Das musste ich mit den kreativen, künstlerischen Fähigkeiten der rechten Gehirnhälfte ausgleichen. Dazu war es notwendig, meine Vorstellungskraft zu schulen und mich in den komplexen Visualisierungen des Tantra zu versuchen, was das perfekte Fahrzeug dafür. 

Mir gefiel besonders, dass jedes der Merkmale der Figuren, die ich versuchte zu visualisieren – ihre Gesichter, Arme, Beine, sowie Gegenstände, die sie hielten – verschiedene Aspekte der Lehren repräsentierten und dass sie alle gleichzeitig zu visualisieren eine Methode war, sich an sie zu erinnern und alles mit einzubeziehen, was sie repräsentierten. Die Bodhichitta-Ausrichtung, die durch Liebe und Mitgefühl für alle Wesen motiviert war, bestand darin, die Allwissenheit zu erlangen, die durch diese Metaphorik dargestellt wurde, um all diesen Wesen von Nutzen zu sein. Das passte perfekt zu der Ambition meiner Kindheit, eine umfassendes Verständnis des universellen Wissens zu erlangen. Im Bodhichitta-Kontext war diese Ambition nicht unmöglich.

Meine Universitätsausbildung war jedoch selbstbezogen gewesen. Auch wenn ich angestrebt hatte, ein Professor zu werden, war mein Streben nach universellem Wissen grundlegend für meinen eigenen Nutzen. Das musste ich mit einer altruistischeren Herangehensweise ausgleichen. Seine Heiligkeit hatte mir das auch gesagt, als er mir in seiner ersten Audienz bei ihm zu verstehen gab, dass ich mich sowohl in Weisheit als auch in Mitgefühl schulen musste. Serkong Rinpoche schien intuitiv zu wissen, was ich brauchte und brachte mir nichts bei, wenn ich es nicht für andere übersetzte. Meine Motivation etwas zu lernen musste darin liegen, anderen von Nutzen zu sein, indem ich es mit ihnen teilte. Das wurde seitdem zu einem vorherrschenden Thema in meinem Leben, besonders was die Webseite betrifft. Die Lehren der gesamten Welt zugänglich zu machen ist mittlerweile zu einem alles verzehrenden Antrieb geworden. Mir tut es sogar leid, abends schlafen zu gehen und ich kann es kaum abwarten, wieder aufzuwachen und zu meinem Schreibtisch zurückzukehren.

Das Einzige, was Rinpoche mir persönlich beibrachte, war Kalachakra, und er tat es sehr ausführlich und tiefgründig. Im Nachhinein denke ich wiederum, dass er es tat, damit ich die Kalachakra-Initiation für Seine Heiligkeit übersetzen konnte – was ich später viele Male tat – und das Buch „Kalachakra – Das Rad der Zeit“ zu schreiben, was in der zweiten Auflage in „Einführung in die Kalachakra-Initiation“ umbenannt wurde. Kalachakra zu studieren war also auch dafür da, anderen von Nutzen zu sein.

Beim Übersetzen lies mich Rinpoche in der Regel keine Notizen machen; ich musste mich an alles erinnern. Bis ich am Abend nach Hause ging, lies er mich nichts aufschreiben. Um mich weiter zu schulen, unterbrach er manchmal die Belehrung, die ich übersetzte, erklärte mir etwas über Kalachakra, und kehrte dann wieder zu dem zurück, was er gerade unterrichtete. Auch hier konnte ich mir nichts aufschreiben bis ich nach Hause kam und er schimpfte mich fürchterlich aus, wenn ich mich an etwas nicht erinnern konnte. 

Einmal begleitete ich Seine Heiligkeit als Dolmetscher auf einem Besuch nach Holland. Während einer Pressekonferenz hielt einer der Reporter ein Aufnahmegerät hoch und bat Seine Heiligkeit, eine Botschaft für die Tibeter in Nepal aufzunehmen, da er bald dorthin gehen würde. Seine Heiligkeit tat es auf Tibetisch und setzte dann die Pressekonferenz fort. Am Ende fragte der Reporter Seine Heiligkeit, was er gesagt hatte und Seine Heiligkeit drehte sich beim Hinausgehen zu mir um und sagte: „Berzin, erzähl ihm, was ich gesagt habe.“. Da war ich wirklich dankbar für Rinpoches Ausbildung.

Verbessern meines Übersetzungsstils und meiner Sprachkenntnisse 

Rinpoche war sehr bedacht darauf, welche Begriffe ich in der Übersetzung nutzte. Die tibetischen Worte waren von den alten Lotsawa-Übersetzern sorgfältig ausgewählt worden und voller Bedeutung. Er sagte immer, man müsse die Bedeutung aus den Worten herausmelken und daher fragte er mich, worauf das englische Worte, das ich für einen Begriff benutzte, hindeutete. Entsprach es nicht dem tibetischen Begriff, erklärte er mir die korrekte Bedeutung. Auf diese Weise sorgte er dafür, dass ich eine Übersetzung wählte, die auch wirklich das bedeutete, was mit dem tibetischen Wort gemeint war, auch wenn es nicht das Standardwort war, das die Missionare genutzt hatten, um die Bibel zu übersetzen. Auf diese Weise kam ich zu meiner neuen Übersetzung der Fachausdrücke. 

Zunächst übersetzte ich auf Serkong Rinpoches Empfehlung jedes Wort, sogar Namen, wie es auch die Tibeter gemacht hatten. Doch Geshe Dhargyey wies mich darauf hin, dass die anfänglichen Übersetzungen im Kangyur und Tengyur später fast alle korrigiert worden waren, und so korrigierte auch ich diesen Stil und einige der Begriffe, als ich merkte, dass sie nicht wirklich passten. Das Modell der mongolischen Übersetzungen aus dem Tibetischen schien für unsere Situation im Englischen passender, als das tibetische Modell des Übersetzens aus dem Sanskrit. 

Bevor die Mongolen begannen, tibetische Texte zu übersetzen, hatte sie bereits Kontakt zum Buddhismus durch die Uiguren. Wie andere zentralasiatische Übersetzer vor ihnen – die Khotanesen, Tocharer, Sogdier und Kök-Türken – transliterierten die Uiguren lediglich viele der buddhistischen Sanskrit-Begriffe in ihren Übersetzungen, wie „Buddha“ und „Bodhisattva“. Die Mongolen waren mit vielen dieser Begriffe bereits vertraut und daher bedienten sie sich der Uiguren-Methode und setzten Schlüsselbegriffe, wie „Buddha“ wieder in das transkribierte Sanskrit zurück, als sie später aus dem Tibetischen übersetzten. Da die englischen Leser bereits, wie die Mongolen vor ihnen, mit Begriffen wie „Buddha“ vertraut waren, entschied ich mich, dass es am besten war, sie in der transliterierten Form zu belassen, aber mit Erklärungen ihrer Bedeutungen zu versehen, wenn sie das erste Mal in einem Kommentar erschienen.

Heutzutage, da ich meine Übersetzungen und Untersuchungen meist auf ursprünglichen Sanskrit-Texten gründe, wenn sie verfügbar sind, erkläre ich die Bedeutung der Sanskrit-Begriffe, sowie jene, die von den Tibetern genutzt wurden, um sie zu übersetzen, da sie oft recht unterschiedlich sind. Meist tendiere ich zum Sanskrit, wenn ich mich entscheiden muss, wie ich die Begriffe übersetze. Gibt es primäre Quellen nur in chinesischer Übersetzung, kann ich die neuesten AI-Werkzeuge nutzen, um Passagen zu finden, die für meine Suche relevant sind und so habe ich begonnen, auch sie zu übersetzen und zu analysieren. Meine Harvard-Ausbildung des Vergleichens von Texten in Sanskrit, Chinesisch und Tibetisch, sowie deren Fachausdrücke, war von unschätzbarem Wert.

Rinpoche war es auch wichtig, dass ich meinen tibetischen Wortschatz erweiterte und um mir dabei zu helfen, musste ich ein tibetisches Wörterbuch durchgehen und zu jedem Wort einen Satz schreiben, um mich besser daran erinnern zu können. Wir sind nicht sehr weit damit gekommen, bevor ich wieder aufhören sollte, aber ich habe die Botschaft verstanden, die er mir auf geschickte Weise zu vermitteln versuchte. Ich sollte an meinem Wortschatz arbeiten. 

Um in den Fußspuren der tibetischen Lotsawa-Übersetzer zu folgen, die sowohl Gelehrte als auch verwirklichte Praktizierende waren, musste ich mich nicht nur in Sprachen schulen, sondern auch in der Meditation. Serkong Rinpoche sagte mir nicht, was ich praktizieren sollte; die Motivation und Initiative musste von meiner Seite kommen. Es war dann nur notwendig zu fragen, ob er irgendwelche Einwände gegenüber dem hatte, was ich vorschlug, aber er war stets einverstanden. Ich basierte meine Tantra-Praxis immer auf langen, vollständigen Sadhanas und führte sie auf Tibetisch aus. Laut Rinpoche waren die langen Sadhanas für Anfänger und die kurzen nur für fortgeschrittene Praktizierende, die das, was abgekürzt wurde, aus dem Gedächtnis einfügen konnten.

In den nächsten Jahren führte ich vollständig und aus eigener Initiative zwei weitere vorbereitende Übungen und dann die Mantra-Retreats und Feuerpujas der sechs Anuttarayoga-Tantras aus, die ich täglich praktizierte, sowie das Mantra-Retreat einer der Kriya-Tantra-Praktiken. Sönam Norbu half mir mit den Feuerpujas, wofür ich überaus dankbar war. Rinpoche wies mich an, in all meinen Retreats nur zwei Sitzungen pro Tag zu machen – eine am frühen Morgen und eine am Abend – und meinen gewöhnlichen täglichen Pflichten nachzugehen. Niemand außer Sönam sollte wissen, dass ich einen Retreat machte, und das passte mir sehr gut. 

Zusätzliches Training 

Rinpoche gab mir auch unschätzbare Ratschläge zu weltlichen Dingen. Als aus einer Vereinbarung mit der Oxford University Press für die mögliche Veröffentlichung einer editierten Version meiner Doktorarbeit nichts wurde, wies er auf die Fehler hin, die ich in den Verhandlungen gemacht hatte und erklärte mir, wie man Geschäfte führen sollte. Sein Rat war mir eine große Hilfe in Bezug auf zahlreiche geschäftliche Absprachen, die notwendig waren, um eine Online-Präsenz für Berzin Archives bzw. Study Buddhism einzurichten.  

Was meine Gesundheit während all meiner Jahre in Indien betraf, ging ich jede Woche zu Dr. Yeshe Dhonden, der eine enge Bindung zu Serkong Rinpoche hatte. Mein grundlegendes Wissen über tibetische Medizin ist darauf zurückzuführen, dass ich verstehen wollte, wie er mich gegen verschiedene Arten des Ungleichgewichts behandelte, die entstanden, sowie auf meine persönliche Erfahrung mit der Behandlung. 

Diese besondere Aufmerksamkeit, die ich meiner Gesundheit widmete, wurde noch durch zwei denkwürdige Erfahrungen verstärkt, die ich in den Siebzigern hatte, als ich direkte Erfahrungen mit dem Tod machte. Die Erste ereignete sich, als ich eine Belehrung des Abtes von Namgyal über Lam-rim übersetzte. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Namen, aber als er zu dem Abschnitt kam, wo es heißt, dass der Tod jederzeit kommen kann, griff er sich plötzlich an die Brust und hielt inne. Sein Begleiter wies uns alle an, schnell den Raum zu verlassen. Der Abt hatte gerade einen Herzinfarkt und starb wenige Minuten später. Wir waren alle in Schock. 

Die zweite Erfahrung machte ich, als ein junger Kanadier, den ich nicht kannte, durch eine Kohlenmonoxidvergiftung starb. Anscheinend hatte er in seiner Hütte einen Kohleofen benutzt, um sich im Winter nachts zu wärmen, und die Hütte hatte keine Ventilation. Als älteres Mitglied der westlichen Gemeinschaft baten mich die Autoritäten, mich um den Körper zu kümmern. Zusammen mit einem Freund ging ich zu der Hütte, die als Leichenkammer diente, und wir fanden ihn dort, wie er nackt auf dem Betonboden lag. Wir hoben ihn hoch und sein Körper fühlte sich an, wie ein kalter, toter Fisch. Mit einem Jeep brachten wir ihn zum Einäschern. Zum Glück half uns eine Gruppe tibetischer Mönche, einen Holzstapel zu bauen, ihn mit einem Tuch bedeckt daraufzulegen und ihn zu verbrennen.

Übersetzen für Seine Heiligkeit den Dalai Lama 

Seine Heiligkeit der Dalai Lama verfügt über mehrere Übersetzer und abhängig von der Situation und dem Bedürfnis bittet er den einen oder anderen für ihn zu übersetzen. Als sich meine tibetischen Sprachkenntnisse verbessert hatten, begann ich, als einer von ihnen zu dienen, doch nur bei seltenen Anlässen. Ich tat dies von den späten Siebzigern bis in die frühen Neunziger, war allerdings nie sein täglicher Übersetzer. 

Bevor ich begann, mündlich für ihn zu übersetzen, machte ich mir zuerst ausführliche Notizen zu Belehrungen Seiner Heiligkeit und las sie danach den Westlern vor. Dann machte ich konsekutive Übersetzungen und begann schließlich den Brauch, Simultanübersetzungen zu machen, die von den Westlern über FM-Radios gehört werden konnten. Seine Heiligkeit wählte mich als Übersetzer für einige Initiationen, manche fortgeschrittene Tantra-Belehrungen und für ein paar Treffen mit Wissenschaftlern, Psychologen und nicht-buddhistischen religiösen Anführern. In diesen Treffen bestand meine Aufgabe darin, eine Brücke von ihrer Denkweise auf die buddhistische zu schlagen. Beim Übersetzen fügte ich dann die Hintergrundinformation über ihre Systeme hinzu, die hinter ihren Worten steckten, damit Seine Heiligkeit sie leichter verstehen konnte. Sobald andere, vornehmlich Tibeter, das Übersetzen dieser verschiedenen Situationen übernehmen konnten, bat mich Seine Heiligkeit nicht mehr darum, denn es gab andere Möglichkeiten, wie ich ihm dienen konnte. 

Wann immer ich konsekutive Übersetzungen für Seine Heiligkeit machte, saß Serkong Rinpoche in der Nähe und beobachtete mich genau. Danach schimpfte er mich fürchterlich aus, wenn ich irgendwelche Anstandsregeln, besonders vor Tausenden von Tibetern, missachtet hatte. Ich lernte schnell, achtsamer gegenüber den tibetischen Anstandsregeln zu sein. Das Gedächtnistraining, dem er mich unterzogen hatte, bewies sich als unschätzbar, da Seine Heiligkeit bei Belehrungen für gewöhnlich fünf oder mehr Minuten am Stück sprach, bevor ich übersetzen konnte. 

Bei manchen dieser Belehrungen wurden die Leute gebeten, schriftlich Fragen einzureichen, die ich Seiner Heiligkeit am nächsten Tag stellen sollte. Am Abend ging Rinpoche sie immer mit mir zusammen durch. Die meisten davon waren in ihrer Formulierung unklar und viel zu lang. Oft ist es auch so, dass die Leute einem großen Lama eine Frage stellen und der Lama sie ganz anders versteht und somit eine andere Frage beantwortet. Um das zu vermeiden, bat er mich, diese Fragen nicht wörtlich zu übersetzen, sondern ihm in einem Satz zu sagen, was sie wissen wollten. Dann sagte er mir, dass ich sie auf eine Weise umformulieren sollte, damit sie in den konzeptuellen Rahmen des Dharma passte. Nur auf diese Weise würde Seine Heiligkeit die Frage korrekt verstehen und eine passende Antwort geben können. Viele Fragen lehnte er auch ab und fügte andere hinzu, die angemessener waren, um sie Seiner Heiligkeit zu stellen, und von größerem Nutzen sein würden. Auf diese Weise lernte ich eine wertvolle Lektion, wie man großen Dharma-Lehrern am besten Fragen stellen sollte.

Vortragsreisen mit Serkong Rinpoche  

Ich habe Serkong Rinpoche und seine zwei Begleiter Ngawang und Choentse-la auf zwei Westeuropa- und Nordamerikareisen begleitet – eine im Jahr 1980 und die andere im Jahr 1982. Beide umfassten einen Aufenthalt im Haus von Alan und seiner Familie, um Alan weitere Belehrungen zu geben. Choentse-la war seit der Kindheit mit Rinpoche zusammen und ist aus Tibet mit ihm ins Exil gekommen. Er war immer bei Rinpoche, wo immer er hinging, und kümmerte sich wie ein hingebungsvoller Sohn um ihn. Er war ziemlich friedlich und ruhig, und half Rinpoche bei den Ritualen. Ngawang war ein Nepali und war kontaktfreudig, gut organisiert und äußerst intelligent. Rinpoche hatte ihn als ein Teenager ausgewählt, um Teil seines Haushalts zu sein, und hatte ihn als sein Sekretär ausgebildet, um seine Briefe zu schreiben und sich um Haushaltsfragen zu kümmern. Bevor er starb, hat Rinpoche sogar zwei junge Teenager, Gendun Samdup und Thupten Sherab, ausgewählt, seinem Haushalt beizutreten. Sie wurden dann Rinpoches Begleiter in seinem nächsten Leben und zogen ihn wie Eltern auf. Thupten Sherab kümmerte sich um die körperliche Arbeit im Haushalt, während Gendün Samdup ein Geshe wurde und sich mit den finanziellen Dingen befasste.

Rinpoche hatte auch mich ausgewählt. Auf diesen zwei Reisen in den Westen übersetzte ich nicht nur für ihn, sondern traf auch alle Vorkehrungen, schrieb Briefe und kümmerte mich um die Visas für ihn und die zwei Begleiter – und all das ohne Internet. Auf diese Weise sammelte ich Erfahrungen, die mir halfen, all meine eigenen Vortragsreisen später zu organisieren. Indem ich beobachtete, wie Rinpoche sich auf diesen Reisen verhielt und Belehrungen gab, sich immer an die örtlichen Kulturen und Zuhörer, von Kindern bis hin zu Akademikern, anpasste, lernte ich, wie ich mich selbst auf meinen zukünftigen Reisen zu verhalten hatte. Es war besonders hilfreich zu sehen, wie er jeden ernst nahm, von Hippies, die unter Drogen standen, bis hin zu wohlhabenden Sponsoren, und wie er sie alle mit ebenbürtiger Freundlichkeit und gleichem Respekt behandelte. 

Rinpoche war stets demütig und ungezwungen. Er bat die Leute, nicht so viel Geld für Hotels auszugeben oder uns in teure Restaurants einzuladen. Er zog es vor, wenn möglich bei den Leuten zu Hause zu wohnen und zusammen mit ihren Familien zu essen. Diesem Beispiel bin ich auf all meinen Reisen gefolgt und habe dadurch die Kulturen und Lebensweisen meiner Gastgeber in den verschiedenen Ländern, die ich besucht habe, viel leichter kennengelernt.  

Rinpoche war äußerst flexibel und passte sich auf kreative Weise neuen Situationen an. Wenn er Rituale abhielt, improvisierte er immer und nutzte beispielsweise statt einer teuren, verzierten Vase in bestimmten Zeremonien einfach eine Milchflasche. Als er gefragt wurde, wie man die Verpflichtung einhalten könne, zweimal im Monat am 10. und 25. des tibetischen Kalenders eine Tshog-Opferung darzubringen, wenn man keinen Zugang zu so einem Kalender hatte, erwiderte er: „Gibt es nicht auch im westlichen Kalender einen 10. und 25. des Monats?“ Solche Beispiele zeigten mir, wie ich Menschen in den kommunistischen Ländern in Bezug auf die Dharma-Praxis beraten konnte, die sich unter schweren Einschränkungen befanden.  

Das unvergesslichste Ereignis dieser Reisen war die Privataudienz, die wir mit Papst Johannes Paul II. im Januar 1980 im Vatikan hatten, kurz nachdem er zum Papsttum aufgestiegen war. Der Zweck der Audienz bestand darin, einen ersten Kontakt zwischen ihm und Seiner Heiligkeit zu knüpfen und ein eventuelles Treffen zwischen den beiden zu arrangieren. Rinpoche erklärte, dass ihnen beiden gleichermaßen an einer religiösen Freiheit in China gelegen war und dies ein Ausgangspunkt für ihre Unterhaltung sein könnte. Als ich in dieser formellen Audienz übersetzte, lernte ich ein wichtiges Prinzip guter Diplomatie, nämlich ein Thema des beiderseitigen Interesses hervorzuheben, was ich in den darauffolgenden Jahren sinnvoll nutzen würde.

So, wie Rinpoche vorausgesehen hatte, dass ich das karmische Potenzial hatte, sein Übersetzer zu werden, ahnte er auch, dass ich ein Dharma-Lehrer werden würde. Das wusste ich, weil er mir eines Abends, als wir während einer unserer Reisen auf familiäre Weise am Küchentisch unseres Gastgebers in London saßen, zwanglos erklärte, wie ich mich gegenüber meinen eigenen Lehrern verhalten sollte, wenn ich in der Zukunft selbst ein Dharma-Lehrer werden würde. 

Serkong Rinpoches Verscheiden 

Rinpoche hatte ein besonderes Verhältnis zu Spiti, einem Tal auf der indischen Seite des Himalayas, gleich an der Grenze zu Tibet. Historisch gesehen war es ein Teil von Westtibet. Rinpoche hatte dort den Buddhismus wiederbelebt und reformiert, und hatte organisiert, dass Seine Heiligkeit dort im Sommer 1983 die Kalachakra-Initiation erteilte. Bis dahin war Spiti ein Sperrgebiet, in dem keine Ausländer erlaubt waren. Diese Beschränkung wurde jedoch rechtzeitig zur Initiation aufgehoben und so organisierte ich Genehmigungen und mietete einen Bus für eine Gruppe von uns Westlern von der Library, um daran teilzunehmen und selbst übersetzen zu können. Wir waren die ersten Ausländer in Spiti in der Neuzeit. Trotz dem unwegsamen Gelände bekamen wir auf der Reise dorthin ein Geschmack von einem Land, das noch wie das alte Tibet war. 

Kurz nachdem wir Spiti verlassen hatten, starb Rinpoche plötzlich dort am 29. August, nachdem er gerade ein Retreat beendet hatte. Einem Schüler sagte er, dass er durch „Tonglen“, der Meditation des Gebens und Nehmens, ein Hindernis im Leben Seiner Heiligkeit auf sich nehmen würde, auch wenn es sein eigenes Leben kostete, und das ist genau das, was er tat. Rückblickend denke ich, dass die rituellen Gewänder und die rituellen Objekte, die er mir gab und die ich als einer der Hauptschüler während dieser Kalachakra-Initiation tragen und halten sollte, Abschiedsgeschenke von Rinpoche an mich waren. 

Den letzten Rat, den ich von ihm erhielt, als ich ihm eine Frage zur Kalachakra-Initiation stellte, war, immer Logik und Überlegung zu nutzen, um eine Sache herauszufinden und sie im Kontext des gesamten Systems zu analysieren, in dem sie auftritt. Durch das Beantworten meiner Frage, zeigte er mir, wie man es tun sollte und dieser Methode bin ich seitdem immer gefolgt.

[Für weitere Informationen über Serkong Rinpoche, siehe: Ein Porträt Tsenshap Serkong Rinpoches]

Rinpoche hatte mich bereits ein paar Jahre bevor er starb beginnen lassen, Kommentare zu lesen. Er sagte, dass ich nie einen Lehrer finden würde, der genug Zeit hätte mir alles beizubringen, was ich lernen wollte. Damit spiegelte er den Rat von Professor Kaufmann wieder, der sagte, dass ich die Texte schon selbst lesen müsse und nur Fragen stellen sollte, wenn ich bestimmte Passagen nicht verstehen würde. Auf diese Weise hatte ich bereits fast ein Dutzend Texte durchgelesen, meist tantrische Kommentare, die er mir empfohlen hatte und mit viel Geduld hat er all meine Fragen beantwortet. Beim Lesen machte ich eine grobe Übersetzung all der Texte. Da er wusste, dass es bei meiner Ankunft in Indien mein ursprünglicher Plan war, Guhyasamaja-Tantra zu studieren, fügte Rinpoche meiner Leseliste den tibetischen Kommentar zu diesem Tantra hinzu, der als Lehrbuch für dessen Studium im „Lower Tantric College“ benutzt wird. Schon beim Durcharbeiten des ersten Kapitels wurde mir klar, dass ich es für meine Doktorarbeit nie hätte verstehen können, ganz zu schweigen davon, es zu übersetzen.  

Nach Rinpoches Tod willigte Seine Heiligkeit freundlicherweise ein, für einige Jahre mein Lesen zu begleiten und meine Fragen zu beantworten, wenn ich es nicht schaffte, durch Logik und Überlegung etwas herauszufinden. Auf diese Weise ging ich Dutzende tibetische Texte durch und richtete mich insbesondere auf Abschnitte, in denen es um Themen ging, die mich besonders interessierten und sich im Allgemeinen mit Kalachakra und Anuttarayoga-Tantra befassten. Dafür konnte ich die Werkzeuge, die ich in Harvard zum Anstellen von Untersuchungen gelernt hatte, gut nutzen.

Eine Sache, die ich laut Serkong Rinpoche lernen sollte, war tibetische Astrologie, besonders die Teile, die auf die Kalachakra-Lehren zurückzuführen waren. Damit begann ich allerdings erst in dem Jahr nach Rinpoches Tod. Gen Lodro Gyatso, der Hauptastrologe im „Tibetan Medical and Astro Institute“ (TMAI) in Lhasa, was mittlerweile in Dharamsala wiedererrichtet wurde, nahm mich als seinen Schüler an. Er sprach mit einem starken Amdo-Akzent, den ich nicht verstehen konnte, und daher schloss sich mir Ngodup, der Koch von Serkong Rinpoche, in den Lektionen an und übersetzte seine Erklärungen für mich in den Lhasa-Dialekt. 

Wie sich herausstellte waren wir seine letzten Schüler, denn Gen Lodrö Gyatso verstarb ganz plötzlich, direkt nachdem er damit fertig war, uns die Kalkulationen des tibetischen Kalenders und der Ephemeriden beizubringen. Das waren die Teile dieser Disziplin, die aus den Kalachakra-Lehren stammten, und somit lernte ich nie die Teile, die aus der chinesischen Astrologie kamen und wie man Horoskope interpretiert. Wichtiger war jedoch, dass ich die Kalachakra-Terminologie lernte, die nicht in den Wörterbüchern zu finden waren. Beruhend auf dem, was ich gelernt hatte, schrieb ich 1985 einen Algorithmus zum Erstellen des tibetischen Kalenders und der Ephemeriden, den ein Freund zum Schreiben eines MS-DOS-Programms nutzte, um die Kalkulationen zu machen. Wir spendeten es dem „Tibetan Medical and Astro Institute“.

Eine weitere Sache, die ich laut Rinpoche tun sollte, war die Hevajra-Initiation von Chogye Trichen Rinpoche, dem Oberhaupt der Sakya-Tsar-Tradition und dem wichtigsten Sakya-Lehrer Seiner Heiligkeit, zu empfangen. Er hatte das Gefühl, es sei für mich in der Zukunft wichtig, diese Dharma-Verbindung mit seinem alten Freund zu knüpfen. Er und Gyatso Tsering, der später der Direktor des LTWA wurde, hatten, kurz nachdem sie nach Indien ins Exil kamen, zusammen den „Council for Religious Affairs“ gegründet. Kurz nach Serkong Rinpoches Tod reiste ich nach Kathmandu und erbat die Initiation. Chogye Trichen willigte freundlicherweise ein und gab sie mir privat. Das Empfangen dieser Initiation würde die Tür dafür öffnen, in der Zukunft tiefgründigere Sakya-Lehren zu bekommen.  

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