Das Reich der frühen tibetischen Könige

Die frühen Yarlung-Könige

Den traditionellen Darstellungen zufolge stammte der erste König der zentraltibetischen Yarlung-Dynastie (tib. Yar-klungs) aus dem nordindischen Reich von Magadha. Sein Name war Nyatri Tsenpo (tib. gNya’-khri btsan-po) und es wurde angenommen, dass er vom Himmel herabgestiegen sei. Der tibetische Kalender beginnt mit seinen „tibetischen königlichen Jahre” (tib. bod rgyal-lo) ab diesem Datum, 127 v.u.Z. Von ihm und den nächsten sechs Königen wurde gesagt, sie seien nach ihrem Tod mittels eines „Himmelsseils“ in den Himmel zurückgekehrt, da sie nicht in Gräbern bestattet wurden. Ab dem achten Yarlung-König Drigum Tsenpo (tib. Gri-gum btsan-po) gibt es allerdings Gräber. Daher beginnt in einem gewissen Sinne hiermit die tibetische Geschichte.

Drigum Tsenpos Nachfolger Chatri Tsenpo (tib. Bya-khri btsan-po), der auch Pudekungyal (tib. Pu-de kun-rgyal or Pu-de gung-rgyal) genannt wurde, war der neunte dieser königlichen Erbfolglinie und ein Zeitgenosse des Han-chinesischen Kaisers Han Wudi (140 – 85 v.u.Z.). Pudekungyal brachte Tibet großen materiellen Fortschritt. Er ist bekannt dafür, dass er Kanäle und Brücken bauen ließ. Unter ihm wurden in Tibet Eisen- und Kupfererz entdeckt.

Achtzehn Königsgenerationen später erhielt der achtundzwanzigste Yarlung-König, Lhatotori Nyentsen (tib. Lha-tho-tho-ri gNyan-btsan) (geboren 173 u.Z.) einen Korb voller buddhistische Schriften aus Indien, die auf Sanskrit verfasst waren. Sie waren als „Das schwierige Mysterium“ (tib. gNyan-po gsang-ba) bekannt. Nach anderen traditionellen Quellen viel ein Korb vom Himmel. Er enthielt das Sanskrit-Sutra namens Sutra über die Anordnung wie ein geflochtener Korb“(tib. Za-ma-tog bkod-pa’i mdo, Skt. Karandavyuha Sutra), welches die altruistischen Taten der Buddha-Figur des Mitgefühls, Avalokiteshvara, beschreibt. Der Korb enthielt auch das sechssilbige Mantra von Avalokiteshvara, den Text Das Sutra des Siegels zum Befreien und zur Wiederherstellung“ (tib. Spang-skong phyag-rgya-pa’i mdo) mit Methoden zum Zähmen von Nagas – Wesen, die halb Menschen, halb Schlangen sind – und eine goldene Reliquienstupa. Die Bezeichnung „Das schwierige Mysterium“ bezieht sich auf alle vier Gegenstände in dem Korb. Dies geschah 233 u.Z. Um sich an dieses wichtige Ereignis zu erinnern, werden tibetische Geldscheine mit der Anzahl der seither verflossenen Jahre datiert.

Einige sind der Ansicht, dass die Sanskrit-Texte aus Litisi (tib. Li-thi-si) kamen, und von dem tocharischen Übersetzer Buddhirakshita (tib. Tho-gar-gyi Lo-tsa-ba Blo-sems ‘tsho), der vorhersagte, dass die Tibeter vier Generationen später in der Lage sein würden, sie zu lesen. Tocharien (tib. Tho-gar) war ein buddhistisches Königreich an der Seidenstraße, dessen Zentrum in Kucha und Turfan lag, am nördlichen Rand des Tarim-Beckens in der heutigen chinesischen Provinz Xinjiang, nördlich von Tibet. Die Tocharer waren ein indogermanisches Volk, welches ursprünglich aus dem römischen Reich in dieses Gebiet kam. Sie übernahmen den Buddhismus aus Indien und spielten eine wichtige Rolle bei der Übersetzung seiner Texte ins Chinesische und Alttürkische.

Es wird daher angenommen, dass der zweiunddreißigste König von Yarlung, Tri Desongtsen (tib. Khri lde-srong-btsan), der bekannter als Songtsen Gampo (tib. Srong-btsan sgam-po) ist, nur vier Generationen nach Lhatotori Nyentsen den Thron bestieg. Songtsen Gampo, wurde allerdings 617 geboren, was implizieren würde, dass die drei dazwischenliegenden Könige enorm lang lebten. Daher datieren andere traditionelle tibetische Quellen Lhatotori Nyentsen anders, beispielsweise von 254 bis 373 oder von 374 bis 493. Demnach hätte er die Texte entweder 333 oder 468 erhalten. Ein Jahr nach Songtsen Gampos Geburt, im Jahr 618, wurde in China die Tang-Dynastie (618 – 907) durch Tang Gaozu (er regierte 618 – 627) gegründet.

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