Die besten Eigenschaften einer kostbaren menschlichen Wiedergeburt

Die acht guten Eigenschaften und ihre Ursachen

Gestern haben wir über Zufluchtnahme – das Einschlagen einer positiven, sicheren und fundierten Richtung im Leben – gesprochen. Dies ist eine äußerst wichtige Praxis, da diese Grundlage es einem ermöglicht, schnell Erleuchtung zu erlangen. Es ist sehr lohnenswert, sich bezüglich dieser Richtung anzustrengen. Gegenwärtig haben wir die exzellente Arbeitsgrundlage einer menschlichen Form inne. Haben wir darüber hinaus noch die acht guten Eigenschaften, welche aus vergangenen Handlungen heranreifen können, sind die Umstände für Fortschritt optimal. Was sind diese acht Eigenschaften, die unsere Praxis so effektiv machen?

  • Ein langes Leben
  • Exzellente körperliche Konstitution und Attraktivität
  • In einem guten sozialen Umfeld und einer liebenden Familie geboren zu sein
  • Macht, sodass man über viele Mittel verfügen kann
  • Ausgezeichnete Qualitäten der Rede; mit anderen Worten: jemand sein, der wenig spricht, aber wenn er es tut, etwas Bedeutungsvolles und Aufrichtiges sagt, ohne dabei harsch zu sein, sodass es jeder als angemessen und nützlich empfindet
  • Großer Einfluss, sodass man positiven Einfluss auf andere ausüben kann
  • Körperliche Stärke und Ausdauer
  • Geistige Stärke und Willenskraft

Wie kann man diese Eigenschaften nutzen?

  • Hat man ein langes Leben, kann man seine Praxis zu Ende bringen. Man hat mehr Zeit, um sich spirituell zu entwickeln und anderen von Nutzen zu sein.
  • Sieht man gut aus, hat eine gute Körperhaltung und präsentiert sich gut, werden sich andere natürlich zu einem hingezogen fühlen; somit hat man einen großen Kreis an Leuten um sich, denen man mit Hilfe und Rat zur Seite stehen kann.
  • Kommt man aus einer guten Familie und einem entsprechendem sozialen Umfeld, werden einem andere mehr Aufmerksamkeit schenken und zuhören, wenn man etwas sagen möchte.
  • Hat man ein gewisses Maß an Macht, kann man leichter über Mittel verfügen, mit denen man anderen helfen kann.
  • Spricht man aufrichtig, werden andere einem zuhören und sich das, was man sagt, zu Herzen nehmen.
  • Hat man einen großen Einfluss, kann man diesen nutzen, um andere leichter positiv zu beeinflussen.
  • Hat man eine gute Ausdauer und Willenskraft, können diese einem zum Beispiel dabei helfen, die verschiedenen Arten außersinnlicher Wahrnehmung und spiritueller Verwirklichung leichter zu erlangen. Man kann sich sowohl körperlich als auch geistig voll einsetzen.

Die Ursachen für ein langes Leben – der erste Punkt – sind, das Töten von Lebewesen aufzugeben und ebenso, das Leben von Tieren zu retten, denen kurz bevorsteht, verspeist zu werden, wie beispielsweise eine kleine Feldmaus vor einem herabschnellenden Adler oder eine kleine Maus, die von einer Katze attackiert wird, zu retten bzw. allgemein ein kleines Tier, das von einem größeren gejagt wird, vor dem Tod zu bewahren. Lebewesen vor dem Tod zu retten bringt als Auswirkung ebenso eine Verlängerung unseres Lebens mit sich. Auch Bedürftigen und Kranken zu helfen ist etwas sehr Positives und wird eine gute Wirkung hervorbringen. All dies sind Ursachen für ein langes Leben.

Die Ursachen, welche zu einer attraktiven äußerlichen Erscheinung und Statur, sprich, zu gutem Aussehen, heranreifen, sind das Darbringen von Butterlampen und das Schenken von Kleidern und Schmuck etc.; ebenso nicht eifersüchtig und wütend zu sein – gutes Aussehen ist die Auswirkung all dieser Dinge.

Die Ursachen, um in einer guten Familie mit entsprechendem sozialem Hintergrund geboren zu werden, sind, seinen spirituellen Meistern, normalen Schullehrern und seinen Eltern respektvoll zu begegnen.

Die Ursachen dafür, einen großen Vorrat an Mitteln zur Verfügung zu haben, mit denen man anderen helfen kann, sind, sehr großzügig zu sein, Bedürftigen zu helfen und für wohltätige Zwecke zu spenden, auch wenn man nicht danach gefragt wird, sprich, allgemein anderen gegenüber großzügig zu sein.

Einst gab es in einem weit entfernten Land ein altes Ehepaar. Sie besaßen nichts weiter als ein einziges Stück Stoff, welchen sie teilen mussten und den sie dafür nutzten, sich darin einzuwickeln und sich zu wärmen. Einmal kam ein befreiter Pratyekabuddha, ein Allein-Verwirklicher, zu deren Haus, um Almosen zu erbitten. Die beiden hatten weder Essen noch sonst etwas, was sie dieser außerordentlichen Person geben könnten. Sie hatten jedoch ein großes Maß an Vertrauen zu ihm und so boten sie ihm ihren einzigen Besitz, das Stück Stoff, an. Als Auswirkung dessen begann es plötzlich, Kleider und Nahrungsmittel auf ihr Zuhause zu regnen, da der Pratyekabuddha, welchem sie diese Gabe dargebracht hatten, ein solch außerordentliches und heiliges Wesen war. In ihren zukünftigen Leben wurden beide mit einem weißen Stofftuch geboren.

Die Ursachen für großen Einfluss, mit dem man andere positiv beeinflussen kann, sind, sich in verschiedenen Fähigkeiten zu üben und Gebete darzubringen, in denen darum bittet, dazu in der Lage zu sein, anderen zu helfen. Darüber hinaus spielt es dafür eine wichtige Rolle, den drei Juwelen mit bestem Vermögen Gaben darzubringen. Es ist hierbei nicht nötig, etwas sehr Wertvolles darzubringen, wenn man die Ressourcen dafür nicht hat; welche Gabe auch immer man darbringt, auch wenn sie nur geringfügig ist – man sollte es ohne Geiz mit reinem Herzen tun und dabei denken „Möge ich durch das Darbringen dieser Gabe dazu in der Lage sein, jedem zu helfen.“

Es gibt viele Erzählungen davon, wie Buddha Shakyamuni in seinen vorherigen Leben auf verschiedene Weisen sein Herz anderen und dem Erlangen von Erleuchtung widmete. Unter anderem brachte er viele Gaben dar. Obwohl er keinen großen Besitz hatte, welchen er als Gabe hätte verwenden können, brachte er das, was er hatte, mit solch einem reinen Herzen und aufrichtigen, tief empfundenen Gefühlen für andere dar, dass die Auswirkungen weitreichend waren. Wenn man also Gaben darbringt, kann das genauso einfach Stück weißer Stoff sein oder eine Blume. Zur Zeit des Buddha Dipamkara brachte man Gaben dar, indem man lediglich eine Utpalalilie in die Luft warf. Dies zeigt uns, dass die Auswirkungen weitreichend sein werden, wenn man mit aufrichtigem und reinem Herz etwas darbringt. Einmal machte jemand Buddha eine Gabe in Form einer Schale voll Sand, während er in seinem Gebet darum bat, dass es eine Schale voller Goldspäne sei. Da er dies mit solch reinem Herzen begleitet von einem aufrichtigen Wunsch tat, waren die Auswirkungen ganz erheblich.

In welcher Weise auch immer man positiv handelt; beispielsweise die Lehren zu hören, sie zu kontemplieren, über sie nachzudenken, zu versuchen, so viele nützliche geistige Gewohnheiten wie möglich aufzubauen, zu meditieren, eine heilige Stätte zu umrunden; welche Praxis auch immer macht – wenn man dabei sagt „Möge das positive Potenzial, welches ich durch diese Handlung aufgebaut habe, dazu heranreifen, dass ich in der Lage sein werde, allen Wesen zu helfen und ebenso zu meiner Erleuchtung, damit ich das tatsächlich auch umsetzen kann.“, so ist dies sowohl ein Wunschgebet als auch ein Gebet der Widmung.

Wenn unsere Handlung einen bestimmten Zweck hat und man dabei sagt „Möge durch das positive Potenzial dieser Handlung dies und das geschehen und möge ich dadurch Erleuchtung erlangen.“, handelt es sich gleichzeitig um ein Wunsch- und um ein Widmungsgebet. Erhofft man jedoch einfach, dass irgendetwas eintrifft, indem man beispielsweise sagt „Möge ich in meinen zukünftigen Leben erneut einen kostbaren menschlichen Körper haben.“, oder „Möge ich Erleuchtung erlangen”, sprich, wenn man also lediglich einen Wunsch äußert, ohne eine bestimmte Widmung zu machen, ist das einfach ein Wunschgebet. Zwischen den beiden gibt es einen Unterschied: Ein Widmungsgebet ist immer auch ein Wunschgebet, aber ein Wunschgebet ist nicht unbedingt ein Widmungsgebet. In einem Wunschgebet bittet man lediglich darum, dass etwas eintritt, wohingegen man mit einem Widmungsgebet einem gewissen positiven Potenzial, das man aufgebaut hat, oder einfach seinem guten Herzen eine Richtung gibt, sodass die eigenen Wünsche in Erfüllung gehen können.

Widmet man das Potenzial aus irgendeiner positiven Handlung seiner Erleuchtung, indem man sagt „Möge all dies zur Ursache meiner Erleuchtung werden“, so wird dieses Potenzial nicht aufgebraucht sein, bis man tatsächlich Erleuchtung erlangt hat. Wenn man für solch ein edles Ziel eine Widmung ausspricht, wird das Potenzial nicht aufgebraucht sein, bis man an diesem Ziel angekommen ist; es wird also für eine sehr lange Zeit wirken. Widmet man es jedoch nicht, wird es lediglich zu einem Ergebnis heranreifen und dann aufgebraucht sein; also deutlich kurzlebiger sein. Richtig gewidmet, hält es bis zur Erleuchtung an.

Ohne Widmung, kann das aufgebaute Potenzial sehr schnell vernichtet werden, indem man wütend wird. Es ist also sehr wichtig, sich nicht dem Ärger hinzugeben, da dieser sonst alle positiven Potenziale zerstört, die man nicht gewidmet hat. Es verhält sich so, wie wenn man am Flughafen durch einen Detektor läuft und dabei einen belichteten Film bei sich trägt und so alle Bilder durch die Strahlung gelöscht werden. In ähnlicher Weise zerstört Ärger die angehäuften positiven Potenziale. Da Ärger solch gravierende Nachteile und Probleme mit sich bringt, sollte man so gut es geht versuchen, ihn zu reduzieren. Er kann sogar die Wiedergeburt in einer der Höllen bewirken, sodass es umso wichtiger ist, ihn in den Griff zu bekommen und zu versuchen, ihn vollständig loszuwerden.

Um zu der Liste der acht Eigenschaften zurückzukommen, die wir besprochen haben: Die Ursachen für körperliche und geistige Stärke sind, anderen nahrhaftes Essen zu geben und Dinge für andere zu tun, zu welchen sie selbst nicht in der Lage wären.

Man sollte Gebete dafür machen, die bestmögliche Arbeitsgrundlage zu haben – einen menschlichen Körper mit all den Eigenschaften, welche es einem erlauben, anderen am effektivsten helfen zu können. Hat man solch eine Grundlage, hat man all die Fähigkeiten, sich mit größter Effizienz und Effektivität dem spirituellen Weg widmen zu können. Geht man keinerlei spirituellen Weg, geschieht es sehr leicht, dass diese Qualitäten zu falschen Zwecken genutzt werden und man so eine große Menge negativen Potenzials aufbaut. Deshalb ist es wichtig, dass, während man im Gebet um solche Qualitäten bittet, man im selben Zug auch darum bittet, diese Qualitäten für spirituelle Zwecke einsetzen zu können.

Von der anfänglichen, mittleren und fortgeschrittenen Ebenen der Einsicht erreicht man die anfängliche  auf den spirituellen Pfaden des Dharma, wenn man einsieht, dass es keine Substanz hat, sich einfach nur den Angelegenheiten dieses Lebens zu widmen, also beispielsweise nur nach Essen, Trinken und Kleidung zu streben. Man besitzt auf dieser Ebene die Einsicht oder die Erkenntnis, dass es sinnlos ist, seine Bestrebungen nur auf dieses Leben zu richten, und deshalb beschließt man: „Ich werde meinen Fokus darauf richten, meine zukünftigen Leben zu verbessern.“ Man nutzt also seine Energien zukunftsgerichtet für spirituelle Zwecke und macht zukünftige Leben in dieser Weise zur Priorität.

Meditation

Um diese Ebene der Einsicht zu gewinnen, muss man über folgende Dinge meditieren, um gute, geistige Gewohnheiten aufzubauen: Zunächst reflektiert man über die Kostbarkeit unseres menschlichen Lebens mit all seinen sogenannten Ruhepausen und reichhaltigen Möglichkeiten. Dann meditiert man über den Tod und die Tatsache, dass die gegenwärtige Situation nicht statisch ist und dass all diese Dinge unbeständig sind. Der dritte Aspekt ist, eine sichere und fundierte Richtung im Leben einzuschlagen, und als Viertes reflektiert man über Karma, also verhaltensbasierte Ursache und Wirkung.

Wenn man über diese Dinge meditiert und so versucht, nützliche geistige Gewohnheiten aufzubauen, macht man das zunächst in Form einer klar erkennenden Meditation, manchmal auch analytische Meditation genannt, und dann in Form einer stabilisierenden Meditation, mit welcher man sich auf einen bestimmten Punkt fokussiert, was somit auch fixierende Meditation genannt wird. Während der analytischen Meditation denkt man an all die beteiligten Aspekten, analysiert sie, untersucht sie und versucht, sie unter diesen Gesichtspunkten klar zu erkennen bzw. sie von dem zu unterscheiden, was sie nicht sind. Wenn man dann zu einer klaren Schlussfolgerung kommt, wie die Dinge bzw. das Meditationsobjekt tatsächlich sind, fokussiert man seinen Geist darauf, was dann der zweite Prozess, derjenige der fixierenden oder stabilisierenden Meditation, ist. Man sollte zwischen den beiden hin und her wechseln, also zwischen der Phase, eine Tatsache in analytischer Weise zu erkennen bzw. zu unterscheiden, und der Phase, sich auf die gewonnene Gewissheit fokussieren, dass diese Tatsache wahr ist.

Jetzt stelle ich euch ein paar Fragen. Zuallererst, wie fängt man an, zu meditieren? Was ist der Ausgangspunkt? Was ist der Startpunkt, der euch erlaubt, in die Meditation einzutauchen?

Zu kontemplieren, dass man meditiert, um allen fühlenden Wesen zu nutzen.

Dr. Berzin: In Bezug auf die Motivation ist das richtig, aber Rinpoche fragte wiederum, was der eigentliche Ausgangspunkt ist, um in die Meditation einzutreten. Es stimmt, dass man eine Motivation braucht, aber was ist der Startpunkt?

Sich auf dem Atem zu konzentrieren und den Geist zur Ruhe zu bringen.

Dr. Berzin: Rinpoche fragt, ob davon abgesehen noch etwas wichtig ist.

Sich dessen bewusst zu sein, dass zyklische Existenz unbefriedigend ist, was einen dazu motiviert, darüber hinauszugehen?

Serkong Rinpoche: Für alle von euch: Dies fällt erneut in die Kategorie der Motivation für Meditation und alle drei Antworten, die ihr gegeben habt, sind eher allgemeine Antworten in Bezug auf die Vorgehensweise in Bezug auf Meditation. Die Frage bleibt, was ist das „Tor“ oder der Schlüsselfaktor, der einen Dharmapraktizierenden und jemanden, der den Dharma nicht wirklich praktiziert, unterscheidet? Was ist der Unterschied zwischen einem Buddhisten und einem Nicht-Buddhisten? Es geht also eher darum, was der Abgrenzungspunkt ist, welcher uns erlaubt, Meditation davon abzugrenzen, was es nicht ist.

[Pause]

Dr. Berzin: Würde man über Leerheit meditieren, was eigentlich… – wahrscheinlich ist der Begriff Tor oder Tür keine gute Übersetzung. Ehrlich gesagt verstehe ich auch nicht, was eigentlich die Frage ist.

Meinen Sie die Grundlage für Meditation?

Dr. Berzin: Er fragte eher so etwas wie „Was ist das Tor, das man durchschreitet, wenn man zu meditieren beginnt?“ Rinpoche führte einen Vergleich an und fragte, was der Ausgangspunkt sein muss, wenn man beispielsweise beginnt, schreiben zu lernen? Was ist das Erste, das man tun muss? – Es ging eher darum. Womit beginnt man? Wenn man schreiben lernt, muss man zunächst das Alphabet lernen. In gleicher Weise ist das Erste, das man tut, wenn man zu meditieren beginnt, zu prüfen, was einen zu dieser Meditation motiviert. Das ist allgemeiner als die speziellen Antworten, die ihr gegeben habt. Man untersucht die eigene Motivation, und wenn diese nicht gut ist, konzentriert man sich, wie du sagtest, auf dem Atem. Man wendet eine Atemtechnik an, um den Geist zur Ruhe zu bringen, falls man sich gerade in einem feindseligen Geisteszustand befindet.

Nachdem man also den Raum bzw. den Ort, an dem man meditiert, gesäubert, gekehrt und sich in der richtigen Haltung hingesetzt hat, ist der Ausgangspunkt für jede Meditation, zu überprüfen, was einen dazu motiviert, sich überhaupt hinzusetzen. Diese Untersuchung steht ganz am Anfang und bedeutet also, dass man eine Meditation nicht damit beginnt, sich hinzusetzen, seine Augen fest zu schließen und von dort an weiterzumachen. Rinpoche wird euch eine schöne Geschichte über das Ermitteln der Motivation für die Meditation erzählen.

Serkong Rinpoche: In Tibet gab es einst den berüchtigten Banditen Ben Kungyal (’Ban Gung-rgyal, ’Phen rKun-rgal). Er besaß ein Stück Ackerland und versuchte, damit seinen Lebensunterhalt zusammenzukratzen. Da dies jedoch nicht ausreichte, ging er auch auf Raubzüge, angelte und jagte. Einmal befand er sich auf einem Bergpass, als ein Reisender zu Pferd an ihm vorbeikam. Der Reisende erkannte ihn nicht und erkundigte sich bei ihm: „Hast du den berüchtigten Banditen Ben Kungyal irgendwo gesehen?“ Der Bandit brüllte zurück: „Ich bin es! Ich bin Ben Kungyal!“ Der Reisende war so geschockt, dass er von seinem Pferd den Berg hinunterfiel. Ben Kungyal war ziemlich verstört, jemanden einen Berg hinunterfallen zu sehen, nur weil er den Klang seines Namens vernommen hatte. So kam er zu dem Schluss, dass sein bisheriges Verhalten und die Tatsache, dass er Räuber war, falsch war. Er gestand sich seine Fehler aufrichtig ein und bereute sie. Daraufhin beschloss er, seinen bisherigen Weg zu korrigieren, sich der Dharmapraxis zuzuwenden und von nun an ein aufrichtiges Leben zu führen.

Zu diesem Zweck beobachtete er sein Handeln und seine Gedanken über den Tag genau und führte mit einer Strichliste täglich Buch über all seine destruktiven und konstruktiven Handlungen. Für jede destruktive Handlung machte er einen schwarzen Strich und für jede konstruktive einen weißen. Zu Anfang waren es hauptsächlich schwarze Striche und kaum weiße. So wie er jedoch meditierte und dadurch nützliche geistige Gewohnheiten entwickelte, wurden die schwarzen Striche am Ende des Tages weniger und weniger und die weißen wurden immer mehr. Im Laufe der Zeit wurde ihm bewusst, dass er am Tagesende sehr viele weiße Striche machen konnte, worauf er den religiösen Namen „Der Sieger in Selbstdisziplin” annahm.

Hatte er am Ende am Ende eines Tages jedoch mehr schwarze Striche, ergriff er seine rechte Hand mit der linken, rüttelte diese heftig und schimpfte mit sich: „Ben Kungyal, du bist total verdorben! Du versuchst zwar, den Dharma zu praktizieren, doch alles, was dir gelingt, ist alles zu vermasseln!“ Hatte er mehr weiße Striche, nahm er seine linke Hand mit seiner rechten, schüttelte sie und gratulierte sich: „Das war wirklich saubere Arbeit! Du bist in der Tat ein Sieger in Selbstdisziplin.“ In dieser Weise sprach er sich selbst Lob zu und ermutigte sich.

Mit der Zeit wurde sehr bekannt und man nannte in den guten Mentor oder Geshe Ben Kungyal – derjenige, der siegreich in Selbstdisziplin ist. Viele Leute kamen, um ihn zu sehen, und er wurde von vielen Gönnern unterstützt. Eines Tages lud eine Frau, die auch zu seinen Gönnern gehörte, ihn zu einem Essen ein. Während sie kurz nach draußen ging, sah er einen großen Korb gefüllt mit Teeblättern und – aufgrund seiner früheren Gewohnheiten als Dieb – griff er mit seiner Hand hinein, um ein paar Blätter zu stehlen. Ihm fiel direkt auf, was er da tat, schnappte sofort mit seiner anderen Hand die gierige Hand und rief nach der Frau: „Gute Frau, kommen Sie schnell! Ich habe einen Dieb geschnappt!“

Ein anderes Mal sendete ihm ein anderer Gönner einen Brief, in welchem er ankündigte, ihn in seiner kleinen Hütte besuchen zu wollen. Ben Kungyal stand an besagtem Tag sehr früh auf und bemühte sich, seine Hütte blitzblank zu putzen. Er bereitete Gaben vor, zündete Butterlichter und Räucherwerk an und setzte sich zur Meditation nieder. Das erste, was er dabei tat, war, seine Motivation für das, was er am Morgen tat, zu überprüfen. Ihm wurde bewusst, dass er all diese Vorbereitungen nur deswegen traf, weil sein Gönner kommen würde und er diesen beeindrucken wollte, um mehr von ihm zu bekommen. Er begriff, dass dies eine schreckliche Motivation war. Er stand auf, ging zur Feuerstelle, wo man in Tibet kleine Behälter stehen hat, in welchen man Asche aufbewahrt, nahm einen solchen und verstreute die Asche überall und veranstaltete so ein absolutes Chaos in seiner Hütte.

Das veranschaulicht, dass man jede Meditation damit beginnen sollte, seine Motivation für das, was man tut, zu prüfen. Wenn einem dabei auffällt, dass man voller Feindseligkeit, Ärger, Verlangen oder voll von sonstiger geistiger Unruhe ist, sollte man sich an Atemübungen halten. Man atmet beispielsweise langsam aus, dann wieder langsam ein und zählt dies als eins. Dies wiederholt man 21-mal und bringt mit diesem Prozess seinen Geist zur Ruhe. Was auch immer einen zuvor beeinträchtigt hat – es wird vorübergehend vergehen.

Ben Kungyal, welcher mittlerweile viele Gönner hatte und von allen Seiten Unterstützung bekam, äußerte: „Als ich damals als Bandit auf nächtlichen Raubzügen unterwegs war, Land besaß, gefischt und gejagt habe, war ich trotz allem nie in der Lage, genug zu essen zu finden. Jetzt, da ich ein spirituell Praktizierender bin, bringen mir die Leute so viele Dinge, die ich nicht einmal brauche. Zuvor konnte mein Mund nicht genug zu essen finden; jetzt kann das Essen keinen Mund finden, der groß genug ist, alles aufzuessen.“

Nachdem man seine Motivation geprüft hat, bringt man seinen Geist durch Atemübungen zur Ruhe, sofern die Motivation eine schlechte ist und man sich in einem destruktiven Geisteszustand befindet. Danach macht man mit dem eigentlichen Hauptteil der Sitzung weiter. Dieser könnte beispielsweise sein, nützliche geistige Gewohnheiten aufzubauen, indem man das eigene kostbare menschliche Leben kontempliert oder welches Thema auch immer man sich für die jeweilige Sitzung vorgenommen hat. Ist man der Meinung, dass die Motivation in Ordnung ist, dann ist es nicht unbedingt nötig, mit Atemtechniken zu beginnen, und man kann direkt zum eigentlichen Inhalt übergehen.

Die Meditationshaltung nennt man entweder Sieben- oder Acht-Punkte-Haltung des Vairochana. Der achte Punkt, welcher nicht immer miteinbezogen wird, bezieht sich auf die Atmung. Mithilfe eines Vergleichs kann man verstehen, wie das Zählen der Atemzüge störende Geisteshaltungen vorübergehend austricksen kann: Nehmen wir an, dieser Raum wäre total voll mit Menschen, die zu diesem Vortrag gekommen sind, sodass jetzt kein einziger Platz mehr frei ist, wenn noch jemand dazukommen wollte. Käme aber doch noch jemand und würde derjenige einem der Teilnehmer sagen „Hey, da draußen gibt es etwas wirklich Interessantes zu sehen! Warum gehst du nicht raus, um es dir anzuschauen?“ und diese Person dann tatsächlich rausgehen, könnte derjenige sich so einen Platz erschleichen. Ebenso kann man durch das Zählen der Atemzüge die störenden Geisteshaltungen überlisten und vorübergehend zum Verschwinden bringen.

Die Frage nach vergangenen und zukünftigen Leben

Dr. Berzin: Ich habe die Frage, die ihr gestern Abend bezüglich vergangener und zukünftiger Leben hattet, gerade an Rinpoche gerichtet. Die Frage war, ob es eine richtige Dharmapraxis im formalen Sinne wäre, wenn man verschiedene spirituellen Praktiken macht, während man sich immer noch die Frage stellt, ob es vergangene und zukünftige Leben tatsächlich gibt. Wenn man Dharma als vorbeugende Maßnahmen definiert, so Rinpoche, die verhindern sollen, dass man zukünftig in schlimmere Wiedergeburten fällt, und man aber gar nicht in diesen Kategorien denkt – also die zukünftigen Leben zu verbessern –, werden unsere Handlungen auch nicht darauf abzielen, in schlimmere Wiedergeburten zu fallen. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch dazu, dass man mit dem, was man tut, positive Potenziale aufbaut. Es gibt viele verschiedene Ebenen vorbeugender Maßnahmen im Sinne der allgemeinen Verwendung dieses Begriffs als Übersetzung für das Wort Dharma. Es hat also durchaus einen Nutzen.

Wenn man beispielsweise zum Arzt geht und dort eine Impfung bekommt, ist dies eine vorbeugende Maßnahme, um einer gewissen Krankheit vorzubeugen. Dies nützt einem für das jetzige Leben und ist von sich aus auf gewöhnlicher Ebene eine vorbeugende Maßnahme. Genauso ist das, was man in diesem Leben tut, welche Maßnahme auch immer man anwenden muss, um eine gewisse Wirkung zu erzielen, eine vorbeugende Maßnahme – nur eben dieses Lebens. Spricht man allerdings von den tatsächlichen geistigen Pfaden, welche im Lamrim beschrieben sind – die stufenweisen geistigen Pfade von jemandem mit anfänglicher, mittlerer und höchster Ebene bzw. Umfang der Motivation, mit der man praktiziert –, so steht all das zuvor Beschriebene und auf dieses Leben Gerichtete noch vor der anfänglichen Ebene. Erst wenn man in den Kategorien von vergangenen und zukünftigen Leben denkt, kann man zur ersten Stufe vordringen, die in den Beschreibungen der Pfade erklärt ist.

Das ist also der Ausgangspunkt, von dem aus wir Westler starten: ein Schritt vor dieser. Wenn die eigentliche Abgrenzung, wo die Tibeter beginnen, den spirituellen Pfad anzusetzen, sich dort befindet, wo man bereits für zukünftige Leben arbeitet, so ist es für uns nötig, erst einmal über zukünftige Leben und darüber, wie man diesbezüglich Überzeugung aufbauen kann, Bescheid zu wissen.

Serkong Rinpoche: Wir wissen nun alle, dass wir einen Körper und einen Geist haben. Säulen, Balken und all solche unbelebten Dinge haben keinen Geist im Sinne eines Bewusstseins­ – das können wir alle nachvollziehen. Wären wir lediglich ein stofflicher Körper ohne die verschiedenen Möglichkeiten, sich etwas bewusst zu sein, sprich, ohne Geist, gäbe es da keinen Unterschied zu einer Leiche, einer Säule oder einem Balken.

Wie ist dein Name?

Thubten.

Während du also deinen Namen, Thubten, sagst, sehen wir deinen Körper. Deinen Geist – die Art, wie du dir der Dinge bewusst bist – können wir nicht sehen. Wenn man aber von deinem Geist als geistige Aktivität spricht, gibt es da deine geistige Aktivität von gestern, von heute und von morgen. Einen Moment, in welchem der Geist – die geistige Aktivität – nicht existent ist, gibt es nicht. Er ist ein Kontinuum. Wenn man beginnt, in diesen Kategorien zu denken, sollte man versuchen, zu verstehen, dass, obwohl der Körper vergehen und in Nicht-Existenz übergehen wird, dies nicht der Fall für den Geist ist.

Überzeugung hinsichtlich der Gesetzmäßigkeiten verhaltensbasierter Ursache und Wirkung – die Tatsache, dass eine konstruktive Handlung ein positives Potenzial aufbaut, welches in Glück resultiert – kann man beruhend auf der Autorität der Schriften entwickeln. Es ist sehr schwer, mit eigenen Augen wahrzunehmen, also dazu in der Lage zu sein, sich selbst zu beweisen, dass Ursache und Wirkung in jener Weise funktionieren. In diesem Punkt muss man sich auf die Worte Buddhas verlassen.

Nun, da man dies nicht mit eigenen Augen sehen kann – wie kann man zu dem Punkt kommen, Buddhas Worten tatsächlich zu vertrauen? Was macht Buddha in diesen Angelegenheiten zu einer gültigen Autorität bezüglich dessen, dass Glück aus vorherigen positiven Handlungen heranreift, und bezüglich des geistigen Kontinuums, welches sich in zukünftigen Leben fortsetzt? Dies kann man in gültiger Weise akzeptieren, indem man daran denkt, was er über andere Themen gesagt hat: Er sprach über Leerheit – also wie die Dinge tatsächlich existieren – und über verschiedene Methoden, um Shamatha – einen stillen und zur Ruhe gekommenen Geisteszustand bzw. geistige Ruhe – zu erlangen. Praktiziert man in der Weise, wie Buddha es lehrte, wird einem bewusst, dass diese Dinge der Wahrheit entsprechen. Man kann selbst durch eigene Erfahrung prüfen, dass das, was Buddha über Realität sagte, wahr ist, da man es dann selbst direkt sehen kann: Was er über das Erlangen eines zur Ruhe gekommenen Geisteszustandes gesagt hat, ist wahr, denn man erreicht diesen. Auf Grundlage dessen kann man dann auch seine Aussagen bezüglich anderer Angelegenheiten, also z. B. zukünftiger Leben, akzeptieren.

Man denke beispielsweise an eineiige Zwillinge oder Drillinge. Diese zwei oder drei Kinder mögen vielleicht körperlich identisch sein, aber einer von beiden wird schlauer sein als der andere; einer wird schneller lernen als der andere. Der Grund dafür liegt in ihren vergangenen Leben. Einer von beiden hat sich in der Vergangenheit der Entwicklung seines Geistes verschrieben und ist somit im besagten Leben schlauer, wohingegen der andere dies nicht tat. Auch wenn man vergangene und zukünftige Leben nicht beweisen kann, und die Tatsache, dass der Geist sich aus vergangenen Leben fortsetzt, kann man das Gegenteil genauso wenig beweisen. Wenn man jedoch Shamatha erlangt und man somit eine perfekte punktgenaue Konzentration entwickelt hat, erlangt man im selben Zug auch die verschiedenen außersinnlichen Wahrnehmungen. Ist man auf solch einer Ebene angekommen, wird man in der Lage sein, seine vergangenen Leben tatsächlich zu sehen. Vielleicht kann man noch nicht alle sehen, aber zumindest einige. Dasselbe gilt für zukünftige Leben: Man wird das Wissen über den Ort der eigenen Wiedergeburt besitzen. Wenn man den verschiedenen Methoden auf dem Pfad folgt, kann man die Existenz vergangener und zukünftiger Leben selbst erkennen. 

Dürfte ich eine Frage stellen?

Ja.

Welche Arten von Einzelheiten kann man diesbezüglich wahrnehmen?

Naturgemäß haben Menschen verschiedene Veranlagungen, sich vergangener Leben zu erinnern. Dasselbe gilt auch für dieses Leben: Manch einer erinnert sich an jede Mahlzeit, ein anderer wahrscheinlich überhaupt nicht, was er vor Jahren an einem bestimmten Tag gegessen oder getan hat, ganz zu schweigen daran, was er in vergangenen Leben getan hat. Es kommt auf den Einzelnen an. Manch einer sieht mehr Einzelheiten, manch einer weniger. Erinnerst du dich an jede Mahlzeit, die du vor acht Jahren jeden Tag gegessen hast?

Vielleicht die vor viereinhalb Jahren.

Erinnerst du dich wirklich an jede Mahlzeit, die du vor viereinhalb Jahren hattest?

Nur von Januar bis März und nur das Mittagessen.

Trotzdem erinnerst du dich nicht an das, was du den Monat davor hattest, richtig?

Nein.

Dasselbe gilt für vergangene Leben. Es ist ziemlich selten, dass man sich an jedes kleinste Detail erinnert. Manchmal gibt es sogar ganz gewöhnliche Leute, die auch Erinnerungen von ihren vergangenen Leben haben.

Die Existenz von vergangenen und zukünftigen Leben logisch zu begründen, ist ziemlich schwierig. Der große Logiker und Meister Dharmakirti hatte es im alten Indien ebenfalls sehr schwer, dies einem König durch Logik zu beweisen. Er fand jemanden, der gerade im Sterben lag, und legte diesem eine Perle in den Mund. Einige Zeit später wurde ein Kind mit einer Perle im Mund geboren und so konnte er die Existenz von Wiedergeburt auf äußerlicher Ebene beweisen. Man denke beispielsweise ebenso an Seine Heiligkeit den Dalai Lama, welcher der vierzehnte in der Wiedergeburtenlinie der Dalai Lamas ist, an den Panchen Lama, welcher mehr als der zehnte in dessen Wiedergeburtenlinie ist, und an den letzten Karmapa, welcher der sechzehnte war. Obwohl all diese großen Lamas ihre Körper wechselten, ging deren Geisteskontinuum ohne Unterbrechung weiter. Es ist nicht einfach so, wie einen in den Ruhestand gegangenen Beamten durch einen neuen zu ersetzen: Wenn nach einer Wiedergeburt gesucht wird, sucht man nicht einfach nach einem Ersatz – man sucht nach der Fortsetzung eines geistigen Kontinuums. Nachdem der dreizehnte Dalai Lama gestorben war, hielt man nach Anzeichen Ausschau, um den vierzehnten zu finden, und viele außergewöhnliche Dinge geschahen: Es gibt einen See, welcher der Gottheit Palden Lhamo geweiht ist, und in diesem erschienen Abbilder eines Hauses, eines Ortes und Buchstaben, welche alle auf die Gegend hindeuteten, in welcher der vierzehnte Dalai Lama geboren werden würde.

Denkt man über all diese Dinge nach, kann man sich ein etwas besseres Bild von vergangenen und zukünftigen Leben machen. Erreicht man den Punkt, dieses Konzept annehmen zu können, wird einem klar, dass konstruktives Handeln sehr wichtig ist, um zukünftige Leben positiv zu beeinflussen, und dies wird hohe Priorität für einen haben. Wäre Geist einfach ein materielles bzw. technisches Gerät, welches man in Maschinen installieren kann, könnte man einfach einen Computer bauen, darin einen Geist installieren und dies wäre dann ein lebendiges Wesen. Dann könnte man genauso gut auch Hunde, Katzen und Insekten aus Maschinen bauen und in einfach alles ein Bewusstsein einbauen. Die absurde Schlussfolgerung, welche daraus folgt, wäre dann, dass, wenn Geist etwas rein Materielles wäre, man ihn in absolut alles in der Welt einfach einsetzen könnte und daraus dann Lebewesen entstünden, welche in der Lage wären, sich auch geistig zu entwickeln. Oder man könnte Maschinen Leben einhauchen, sodass, wenn diese alle abstürzten, es kein Leben mehr gäbe. Wir würden alle wie die Dinosaurier aussterben, wenn dies einträfe und Geist etwas Mechanisches wäre. All diese Dinge sind jedoch absurd, wenn man mal darüber nachdenkt.

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