Ein kostbares menschliches Leben
Es ist sehr wichtig, die Tatsache zu schätzen, dass wir einen kostbaren menschlichen Körper als Arbeitsgrundlage besitzen. Denn nur er hat die verschiedenen sogenannten Ruhepausen von all den schwierigen Situationen, in denen man keine Chance zu praktizieren hat. Ebenso hat dieser Körper die bereichernden Faktoren verschiedener Gelegenheiten, uns ständig zu verbessern. Nur auf dieser Grundlage können wir Ethik anwenden und immer konstruktiv handeln. Wären wir hingegen zum Beispiel als Tier wiedergeboren, könnten wir niemals irgendeiner Art von ethischem Verhalten folgen. Dieser menschliche Körper, welchen wir innehaben, ist nicht etwas, das man einfach in einem Geschäft kaufen kann. Man erlangt ihn nicht dadurch, dass man jeden Tag arbeiten geht, Geld von seinem Gehalt anspart und ihn dann damit irgendwo kauft. Es ist außerordentlich schwierig, an ihn zu kommen.
Als Mensch wiedergeboren zu werden, um diesen kostbaren menschlichen Körper zu haben, erfordert eine Ursache: das Einhalten ethischer Selbstdisziplin. Die Tatsache, dass wir jetzt einen menschlichen Körper haben, deutet darauf hin, dass wir in der Vergangenheit in ethischer Weise gehandelt haben. Da wir jetzt in diesem Leben all diesen vorbeugenden Maßnahmen des Dharmas begegnet sind, ist es deshalb extrem wichtig für uns, reines ethisches Verhalten zu wahren. Darüber hinaus ist es notwendig, Qualitäten wie Großzügigkeit, Geduld, freudige Ausdauer für Positives, geistige Stabilität oder Konzentration und unterscheidendes Gewahrsein beständig zu praktizieren; diese sind unerlässlich.
Wenn wir uns selbst anschauen, sehen wir, dass wir das Gegenteil davon sind, großzügig zu sein und Dinge zu geben – vielmehr sind wir geizig. Anstatt sehr geduldig zu sein, neigen wir zu Zorn und sind wenig tolerant. Handeln wir in dieser Weise, wird es sehr schwierig sein, in Zukunft weiterhin einen kostbaren menschlichen Körper zu erlangen.
Neben diesen Faktoren müssen wir als weitere Ursache für einen kostbaren menschlichen Körper reine Gebete gemacht haben. Wenn wir allerdings uns selbst anschauen – wir haben selten überhaupt irgendein Gebet gesprochen, und selbst wenn wir beten, beten wir nur für dieses jetzige Leben: dass wir gesund bleiben, nicht krank werden, lange leben und so weiter. Dies weist ebenfalls darauf hin, wie schwierig es ist, in Zukunft erneut eine menschliche Wiedergeburt zu erlangen.
Sehr selten findet man jemanden, der tatsächlich spirituell orientiert lebt mit allem, was eine spirituelle Dharmapraxis mit sich bringt: jemand, der daran interessiert ist, sein zukünftiges Leben positiv zu beeinflussen. Wie viele Leute, die an solchen Dingen interessiert sind, findet man, wenn man sich hier in der Umgebung umschaut? Wenn man nachzählt, sind gerade einmal vierzehn oder fünfzehn Leute von all den Menschen, die hier in der Umgebung wohnen, zu dieser Unterweisung gekommen.
Wir betrachten deshalb, was wir bereits erreicht haben, und machen uns klar, dass wir diesen kostbaren menschlichen Körper jetzt innehaben. Dies ist die Auswirkung einer Menge Arbeit und Anstrengung, welche wir in vorherigen Leben investiert haben. Wenn wir nichts dafür tun, wird es sehr schwierig für uns werden, dies in zukünftigen Leben wieder zu erreichen. Arbeiten wir sehr, sehr hart, bereiten wir damit all die Ursachen vor, um erneut mit einem kostbaren menschlichen Körper wiedergeboren zu werden – ein Körper mit vielen Chancen und Möglichkeiten. Unternehmen wir nichts, wird es extrem schwierig für uns sein, mit solch einer guten Grundlage wiedergeboren zu werden.
Außerdem können wir mit unserem kostbaren menschlichen Körper noch viel mehr vollbringen: Wir können tatsächlich einen vollkommen klaren Geist erlangen, uns vollkommen entwickeln und unsere Potenziale vollständig ausschöpfen, indem wir ein erleuchteter Buddha werden. Wenn wir fragen: ,,Nun ja, wer hat das eigentlich geschafft?”, so wäre der große Milarepa ein Beispiel für jemanden, der in einem Leben Erleuchtung erlangt hat.
Zwischen der Arbeitsgrundlage eines menschlichen Körpers, den Milarepa hatte und dem, den wir haben, besteht kein Unterschied; sie sind genau gleich: Beide sind menschlicher Art. Milarepa hat sein Hauptaugenmerk allerdings auf zukünftige Leben anstatt auf Angelegenheiten dieses Lebens gelegt. Er war jemand, dessen Priorität es war, für andere zu wirken anstatt für sich selbst; von den weltlichen und spirituellen Aktivitäten waren jene spiritueller Natur seine Priorität. Indem er so seine Prioritäten setzte, war er in der Lage, innerhalb eines Lebens Erleuchtung zu erlangen.
Er suchte seinen Lehrer, den Übersetzer Marpa, auf und begann seine Praxis und seine Studien, als er bereits vierzig Jahre alt war, und baute dann darauf auf. Wenn wir an sein Beispiel denken, sehen wir, dass wir alle die Fähigkeit haben, sehr hart zu arbeiten – es gibt keine Ausreden. Wir alle können dieselben Errungenschaften wie Milarepa erreichen und wir alle können in diesem jetzigen Leben Erleuchtung erlangen. All dies ist möglich auf der Grundlage davon, einen kostbaren menschlichen Körper zu haben.
Man muss über die Dinge, über die wir hinsichtlich des Aufgebens der zehn destruktiven Handlungen gesprochen haben, nachdenken. Versucht immer, konstruktiv zu handeln, indem ihr die zehn konstruktiven Handlungen ausführt, und versucht, diese Art von strikten moralischen Grundsätzen einzuhalten und die Gelegenheit, einen kostbaren menschlichen Körper zu haben, vollständig zu nutzen. Indem man stufenweise voranschreitet, wird man tatsächlich fähig sein, auf dieser Grundlage Erleuchtung zu erlangen.
Sich bewusst sein, dass der Tod kommen wird
Wenn die hervorragende Arbeitsgrundlage unseres menschlichen Körpers eine sehr lange Zeit währen würde, könnten wir uns zurücklehnen und es gemütlich angehen. Da das allerdings nicht der Fall ist, ist es notwendig, sich wirklich anzustrengen, diese Gelegenheit zu nutzen. Wäre dieser Körper darüber hinaus nicht dem Tod unterworfen, wäre es überhaupt nicht notwendig, vorbeugende Maßnahmen für die Zukunft in Form von Dharmapraxis zu ergreifen, bzw. wenn man das schon tun würde, könnte man diese Maßnahmen ergreifen, wann auch immer einem danach wäre. Wie wir bereits zuvor gesehen haben, hat sogar Buddha einen Tod demonstriert. Schaut man sich all die großen Meister der Vergangenheit, all die gelehrten Pandits, die Mahasiddhas – die höchst fortgeschrittenen Meister Indiens – und all die großen Meister Tibets der verschiedenen Traditionen – Kagyü, Nyingma, Gelug und Sakya – an, so gab es genauso viele Meister wie es Sterne am Himmel gibt. Dennoch hört man von keinem, der nicht gestorben wäre. Selbst unter gewöhnlichen Wesen gab es tausende große historische Persönlichkeiten, wie Könige etc., jedoch gab es auch da keinen, der nicht gestorben wäre. Wenn man geboren ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als irgendwann zu sterben. Noch nie wurde von jemandem gehört, der geboren wurde und nicht gestorben ist.
Dies sind Dinge, die man in Erwägung ziehen und über die man nachdenken muss. Möchte man über etwas meditieren, so sollte man es darüber tun. Es ist notwendig, nützliche Geistesgewohnheiten aufzubauen, indem man immer wieder kontempliert, dass nichts statisch ist: Alles ist unbeständig; besonders unser eigenes Leben.
Was ist also der Zweck von Meditation, der Zweck davon, die nützliche, geistige Gewohnheit, sich der Unbeständigkeit immer bewusst zu sein, aufzubauen? Wenn man an all die negativen Potenziale denkt, die man geschaffen hat, und die verschiedenen Gegenkräfte anwendet, sich von den verheerenden Konsequenzen, welche auf diese Potenziale folgen würden, zu reinigen, dann wird man keinerlei Angst haben, sobald der Zeitpunkt des eigenen Todes da ist. Wenn die Zeit um ist und man sterben muss, spielt es keine Rolle, wie viele guten Krankenhäuser in der Nähe sind – sie werden nicht helfen. Ob man in Indien ist und für eine Behandlung zurück in den Westen gehen will oder ob man dort in westliche Krankenhäuser oder zu einem tibetischen Arzt geht, spielt alles keine Rolle, da man nichts tun kann, wenn die Zeit um ist – kein Krankenhaus kann da mehr helfen. Es spielt keine Rolle, wie viele Freunde und Verwandte man vielleicht hat. Auch wenn man ein König mit noch so vielen Untertanen ist, macht das überhaupt keinen Unterschied. Als König oder Herrscher könnte man eine vollständige Armee um sich herum versammeln – auch das wird nichts helfen. Wenn es Zeit ist, zu sterben, wird man nicht einmal eine Person mit sich nehmen können.
Wenn man dadurch zu dem Schluss kommen würde, zu denken „Ich muss dem dringend vorbeugend, indem ich Dharma praktiziere. Andernfalls werde ich niemals in der Lage sein, mit meinem bevorstehenden Tod umzugehen.“, wäre das wirklich gut und man hätte einen Fortschritt gemacht. Zieht man es jedoch in Erwägung, vorbeugende Maßnahmen für den eigenen Tod auf morgen, nächste Woche oder nächstes Jahr zu verschieben, sollte man das auf keinen Fall tun, da überhaupt keine Gewissheit besteht, wann der Tod einen einholt.
Bezüglich des Zeitpunktes des Todes besteht keine Gewissheit. Schnell könnte man in einem Verkehrsunfall in der Blüte der Jugend umkommen. Der Tod kann uns jederzeit unerwartet einholen. Menschen, die gestern noch lebten, sind heute gestorben; Menschen, die heute morgen noch am Leben waren, sind es am Nachmittag nicht mehr. So einfach ist es: Niemand kann sagen, wann der Tod kommt.
Wenn man denkt, dass es nicht nötig ist, irgendwelche vorbeugenden Maßnahmen für die Zukunft zu treffen, solange man noch jung und in der Blüte seines Lebens ist, macht man einen großen Fehler. Man kann nicht nur sterben, während man noch jung ist, genauso gut könnte man verrückt werden und sich später in einer Nervenheilanstalt wiederfinden oder mit einer schrecklichen Krankheit in ein Krankenhaus eingeliefert werden; dann wird man überhaupt nicht in der Lage sein, mit solchen Situationen umzugehen.
Wäre unser Körper so fest wie Diamant oder Stein, wäre das etwas anderes. Aber wenn man mal darüber nachdenkt, wird eindeutig klar, dass er aus Haut, Knochen und Blut besteht. Das Innere unseres Körpers ist wie ein filigranes Uhrwerk: Schon der kleinste Schlag kann ihn zerbrechen. Betrachtet all eure inneren Organe – Herz, Lunge, Leber, Venen, Arterien und das Nervensystem in eurem Körper – wie ein sehr filigranes Uhrwerk und denkt dabei daran, dass es sehr leicht zerbrechen könnte.
Weiterhin muss man daran denken, dass es sehr viele Umstände gibt, die unseren Tod verursachen könnten, wohingegen es nur sehr wenige gibt, die uns am Leben erhalten. Wenn man krank ist und ins Krankenhaus muss, kann eine gewisse Medizin einen womöglich am Leben erhalten, jedoch ist der Prozess, eine Person mit einer schwerwiegenden Krankheit zu heilen ein langwieriger und schwieriger. Denkt man hingegen daran, was unseren Tod herbeiführen könnte, ist sogar Nahrung, bei der man normalerweise denken würde, dass sie einen am Leben erhält, etwas, das einen töten könnte, wenn man von dem Falschen auch nur eine geringe Menge zu sich nimmt. Ein Kartoffelbauer in Indien, den ich kannte, hat einmal ein Stück Fladenbrot mit etwas Öl in einer Pfanne für sein Mittagessen zubereitet und während es über dem Feuer briet und er für einen Moment nach draußen gehen wollte, fiel er einfach tot um.
Indem man in dieser Weise nachdenkt, dass man jeden Moment tot umfallen könnte, sollte man den festen Entschluss treffen, genau jetzt in diesem Moment damit anzufangen, die vorbereitenden Maßnahmen des Dharmas zu ergreifen und damit zu beginnen, diese zu praktizieren. Praktizieren hier heißt, sich zu sagen: „Ich werde von nun an in ethischer Weise handeln und damit aufhören, destruktiv zu handeln. Ich werde von nun an in allem, was ich tue, sage und denke, konstruktiv und positiv sein und versuchen, ein gütiges, warmes Herz zu haben.“ Zu praktizieren und vorbeugende Maßnahmen zu treffen heißt nicht, in einer wichtigtuerischen Haltung zu sitzen und vorzugeben, zu meditieren, sondern vielmehr sich selbst positiv zu verändern und gütige Gedanken und ein warmes Herz zu haben.
Zum Beispiel haben wir alle Angst, dass ein gewaltiger Krieg auf uns zukommt, aber wenn man mal darüber nachdenkt, stellt man fest: Man kann sich überhaupt nicht sicher sein, ob es tatsächlich eintreten wird oder nicht. Mit dem eigenen Tod verhält es sich jedoch nicht so: Er wird definitiv kommen; es ist nicht von Belangen, sich zu wundern oder zu spekulieren, ob die Welt mit dem nächsten Krieg enden wird oder nicht. Es gibt keinen Weg, den Herrn des Todes zu bestechen, um an ihm vorbei zu kommen. Was auch immer geschieht, man wird sterben und deswegen kann es nur darum gehen, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, um so ohne Panik und Durcheinander friedlich sterben zu können. Trefft also den festen Entschluss, von jetzt an keine Zeit zu verschwenden und mit den vorbeugenden Maßnahmen des Dharmas gleich jetzt zu beginnen.
Wenn der Tod kommt, muss man seinen Körper zurücklassen. Alle materiellen Besitztümer, Geld und Vermögen muss man zurücklassen. Alle Freunde und Verwandte muss man hinter sich lassen. Selbst wenn man noch so viel Geld hat, gibt es keine Möglichkeit, auch nur eine kleine Banknote mitzunehmen. Das einzige, das man mitnimmt, sind die positiven und negativen Potenziale, die man durch vergangene destruktive und konstruktive Handlungen geschaffen hat. Da es der Dharma – jene vorbeugenden Maßnahmen – ist, durch den man diese positiven Potenziale aufgebaut hat, sollte man den festen Entschluss fassen, keine Zeit mit materiellen Bestrebungen des weltlichen Lebens zu verschwenden und all seine Zeit und Energie in spirituelle Praxis zu investieren, um positive Potenziale zu schaffen.
Selbst wenn ihr euch dafür entscheidet, das ganze Leben spirituellen Belangen zu widmen, besitzen einige von euch vielleicht ein großes Vermögen als Auswirkung positiver Potenziale aus vergangenen Leben. Wenn man eine wohlhabende Person ist, denkt man vielleicht, dass man all sein Geld und seine Besitztümer in den Fluss werfen muss, um ein spirituelles Leben führen zu können; das muss man jedoch nicht – es wäre tatsächlich unangemessen. Was man jedoch tun sollte, ist, das Geld, welches man als Auswirkung positiver Potenziale besitzt, und das Verdienst, welches man in vergangenen Leben geschaffen hat, nicht zu verschwenden und angemessen zu nutzen. Man sollte das Geld benutzen, um den Armen und Bedürftigen zu helfen oder den drei Juwelen Gaben darzubringen. Vor allem jedoch sollte man nicht geizig damit sein. Nutzt das Vermögen und die Besitztümer, die ihr habt, sinnvoll und angemessen, um euren spirituellen Weg voranzutreiben.
Wenn man an die eigenen materiellen Besitztümer und Reichtümer denkt, können einem diese letztendlich nicht helfen; im Gegenteil können sie einem große Probleme und Schwierigkeiten bringen. Hat man beispielsweise viel Geld und Besitz, so hat man davon nur Sorgen und Probleme, die um diese angehäuften Reichtümer kreisen. Man denke an das Beispiel von Buddha Shakyamuni. Er selbst wurde als Prinz geboren, gab dieses adlige Leben dann jedoch auf und widmete sich vollständig seinem spirituellen Weg.
Obwohl Milarepa alle erforderlichen Verwirklichungen besaß, die es ihm erlaubten, durch die Luft zu fliegen und wundersame Kräfte zu entwickeln, benutzte er diese nicht, um damit Geld zu verdienen. Er verbrachte all seine Zeit in Klausur mit intensiver Praxis in verschiedenen Höhlen. Wie man auf Bildern, die ihn darstellen, sehen kann, nahm sein Körper eine grünliche Farbe an, da er sich nur von Brennnesseln ernährte, aus denen er Suppen machte. Über Tod und Unbeständigkeit zu meditieren lernt man nicht aus Büchern; man sollte sich nicht darauf verlassen, Erfahrung und Verständnis davon durch Bücher zu entwickeln. Schaut euch besser einfach um: Wenn man beispielsweise an einem Friedhof vorbeikommt, denkt darüber nach, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ein jeder von uns dort landet.
Denkt man in dieser Weise darüber nach, kann man eine starke Furcht vorm Sterben entwickeln. Das ist etwas sehr Positives, da es einen tatsächlich dazu veranlassen wird, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen und den Dharma zu praktizieren. Schaut man sich eine Abbildung von Milarepa an, sieht man, dass er eine Schädelschale, aus welcher er sein Essen zu sich nimmt, in der Hand hält. Der Grund dafür ist, dass er sich dadurch ständig Tod und Unbeständigkeit bewusst macht. Tod, Unbeständigkeit und die Tatsache, dass man jetzt ein kostbares menschliches Leben hat, welches man wieder verlieren wird, immer im Sinn zu haben, ist eine wichtige Grundlage, da es uns dazu veranlasst, tatsächlich etwas zu unternehmen und den Dharma zu praktizieren.
Wer oder was kann uns eine sichere Richtung oder Zuflucht aufzeigen?
Wenn sich unser Leben dem Ende zuneigt und wir überhaupt keine negativen Potenziale geschaffen haben, besteht keine Gefahr, dass uns eine schlechte Wiedergeburt erwartet; dann gibt es keinen Grund, Angst vor dem Sterben zu haben. Haben wir zeit unseres Lebens allerdings durch destruktive Handlungen größtenteils negatives Potenzial aufgebaut, wird uns nach dem Tod das schlimmstmögliche erwarten: die schlimmen Bereiche der Wiedergeburt. In solch einer Situation ist es extrem schwierig, einen kostbaren menschlichen Körper, wie wir ihn jetzt innehaben, wiederzuerlangen. Eine Wiedergeburt in einem der schlimmsten Bereiche ist nichts Abwegiges; es kann geschehen, sowie wir ausatmen und danach nicht mehr einatmen. Man stirbt und da öffnen sie sich vor einem: die schlimmen Bereiche. Das ist überhaupt nicht weit hergeholt; man steht genau an der Schwelle.
Obwohl wir diese Arten von Leid und Schrecken, welchen die Höllenwesen und Hungergeister unterworfen sind, nicht wirklich sehen und somit nicht vollständig ermessen können, sehen wir jedoch das Leid, die Probleme und Schwierigkeiten, welche Tiere durchmachen müssen. Diese sind für uns klar ersichtlich. Wenn wir darüber nachdenken, wie schrecklich wir es fänden, diese Probleme und Schwierigkeiten erfahren zu müssen, wenn wir als Tier geboren werden würden, schauen wir uns um, wer uns eine sichere Richtung oder Zuflucht aufzeigen könnte, damit wir diese Erfahrungen nicht machen müssen. Außer den drei Juwelen – die Buddhas, die vorbeugenden Maßnahmen (also der Dharma, den sie lehrten) und die Absichtsgemeinschaft um diese herum (der Sangha) – gibt es nichts, das uns eine sichere und gesunde Richtung da heraus zeigen kann.
Denkt an die Hörer der Lehren, die Shravakas, welche sich von ihren störenden Geisteshaltungen oder Verblendungen befreit und viele wundersame Kräfte – wie zum Beispiel der Emanation – erlangt haben: Obwohl sie all diese Kräfte haben, können sie uns nicht letztendlich aus unserer misslichen Lage herausführen. Die Mutter des großen Hörers, des spirituell hoch entwickelten Maudgalyayanas, wurde in einer Hölle unterhalb eines sehr weit entfernten Weltsystems wiedergeboren. Da er immer noch ein begrenztes Wesen mit einem begrenzten Geist und kein vollkommen erleuchteter Buddha war, waren auch seine Kräfte begrenzt. Obwohl er außersinnliche Wahrnehmung besaß, konnte er nicht so weit sehen, wie jenes Weltsystem entfernt war, in welchem seine Mutter wiedergeboren wurde. Buddha jedoch konnte dies mit seiner unbegrenzten außersinnlichen Wahrnehmung mühelos.
Maudgalyayana befragte den Buddha also darüber und dieser erwiderte: „Deine Mutter wurde in einer Hölle unterhalb dieses extrem weit entfernten Weltsystems wiedergeboren.“ In diesem Höllenbereich befand sich seine Mutter innerhalb eines Hauses, welches wiederum in einem anderen Haus war, und dieses war ebenso innerhalb eines Hauses und all diese Häuser hatten keinerlei Türen und Fenster und bestanden aus rotglühend heißem Eisen. Maudgalyayana nutzte seine Kräfte, um dorthin zu fliegen, und, dort angekommen, betrachtete er jenen Ort, jedoch wusste er nicht, wie er seine Mutter befreien könnte. Er kam zurück und fragte Buddha, was er tun solle. Buddha deutete auf seinen Mönchsstab und sagte: „Wenn du wieder dorthin reist und mit diesem Stab dreimal auf den Boden stampfst, wirst du die Situation meistern.“ Maudgalyayana reiste also mit Buddhas Stab in jenes Weltsystem und tat, wie im geraten wurde: Er stampfte dreimal mit dem Stab auf den Boden, und das Haus, in welchem seine Mutter gefangen war, stürzte ein. Ein Buddha ist jemand, der solche fantastischen Fähigkeiten hat, der alles sieht, und mit jeglicher Situation umzugehen weiß. Nur ein Buddha kann uns deshalb eine vollkommen sichere und gesunde Richtung im Leben geben. Nur ein vollkommen erleuchteter Buddha kann uns Zuflucht geben. Genauso können wir selbst vollkommen erleuchtet und ein Buddha werden. Die Buddhas, zu welchen wir werden, geben uns ebenso eine sichere und gesunde Richtung vor, in die wir gehen können.
Es ist wichtig, über Tod und Unbeständigkeit nachzudenken und die Möglichkeit, in all jenen Situation wiedergeboren zu werden, in Betracht zu ziehen, um diesbezüglich ein starkes Gefühl von Zurückschrecken zu entwickeln. Dieses Gefühl zu entwickeln ist entscheidend, da man aufgrund dessen nach einer Zuflucht oder einer sicheren Richtung suchen wird, welche einen davor bewahren kann, diese schrecklichen Dinge erfahren zu müssen. Wenn man sich dann prüfend umschaut, stellt man fest, dass nur die Buddhas, die vorbeugenden Maßnahmen des Dharma, welchen sie lehrten, und die Absichtsgemeinschaft des Sangha fähig sind und die Kraft haben, einem diese sichere Richtung oder Zuflucht geben zu können. Denkt man darüber nach, wie sie das tatsächlich machen, entwickelt man ein starkes Gefühl der Überzeugung, sich ihnen zuwenden zu können.
Darüber hinaus sollte man das nicht nur für sich selbst erwägen: Ein jeder braucht eine sichere und fundierte Richtung in seinem Leben; jeder benötigt eine Zuflucht. Wenn man in diesem Sinne all dies bedenkt, ist das die Ursache, auf geistig weitreichende oder Mahayana-Art eine sichere Richtung im Leben einzuschlagen. Dann wendet man seinen Geist vollständig der Richtung zu, welche die drei Juwelen anzeigen. Das ist, was man üblicherweise als Zuflucht oder sichere und fundierte Richtung im Leben kennt.
Die Qualitäten und Eigenschaften eines Buddhas
Was die guten Qualitäten und Eigenschaften eines Buddhas betrifft, eines vollständig entwickelten Wesens mit gänzlich klarem Geist, so beinhalten sie die 32 hervorragenden Zeichen und die 80 beispielhaften Merkmale des Körpers eines Buddhas, wie zum Beispiel die große Erhebung auf dem Scheitel seines Kopfes. Ein einzelnes gelocktes Haar wächst zwischen seinen beiden Augenbrauen. Zieht man daran, dehnt es sich auf eine unendliche Länge aus. Auf seinen Handflächen und Fußsohlen, zeichnen sich die Male eines Rades ab. Der Körper eines Buddhas hat vielerlei außergewöhnliche körperliche Merkmale.
Bezüglich der guten Qualitäten der Rede eines Buddhas gibt es 60 Merkmale erleuchtender Rede. Es spielt zum Beispiel keine Rolle, ob man nahe oder weit entfernt von einem Buddha ist. Wenn er spricht, kann ihn jeder in derselben Lautstärke sprechen hören. Ebenso hört ihn ein jeder in seiner eigenen Sprache: Ein Buddha besitzt die Fähigkeit, in allen Sprachen zu sprechen.
Bezüglich des erleuchtenden Geists eines Buddhas: Er hat die Allwissenheit, alle Phänomene zu kennen. Ein Buddha sieht also alles so klar, wie wir einen kleinen Gegenstand auf unserer Handfläche sehen.
All diese erleuchtenden Qualitäten von Körper, Rede und Geist eines Buddhas sind aus Ursachen entstanden. In verschiedenen geschichtlichen Erzählungen, welche seine 500 unreinen Leben mit unreinen Körpern und 500 reine Leben mit reinen Körpern, welche er auf seinem Pfad innehatte, beschreiben, wie er praktiziert und eine enorme Menge positiven Potenzials in diesen Leben aufgebaut hatte. Heute Morgen haben wir zum Beispiel darüber gesprochen, dass Buddha in einem vorherigen Leben ein großer Affe war, welcher mit seinem Körper eine Brücke bildete, um es den anderen Tieren möglich zu machen, den Fluss zu überqueren. Genauso gibt es viele Beispiele, in welchen Buddha Großzügigkeit praktizierte, indem er verschiedene Körperteile von sich hingab. Er gab seinen Kopf, ließ sich seine Kehle durchschneiden und gab seine Augen. All diese Dinge tat er, um allen begrenzten Wesen zu helfen. Die Auswirkung dessen war, dass er ein vollkommen entwickeltes Wesen mit gänzlich klarem Geist – ein Buddha – wurde.
Er handelte in dieser Weise, um jedem ohne jegliche Parteilichkeit zu nutzen. Er handelte nicht aus Anhaftung an Freunde und Verwandte, aus Feindseligkeit und Hass gegenüber Feinden oder Gleichgültigkeit gegenüber Fremden. Mit vollkommener Großzügigkeit gab er jedem in gleicher Weise und folgte ethischer Disziplin in vollkommener Weise. Als Auswirkung befreite er sich von all seinen Mängeln, erlangte alle guten Qualitäten, wurde ein vollkommen erleuchtetes Wesen und überwand all die Angst, welche er um sich selbst hatte. Dies ist die Art von Person, welcher wir uns zuwenden müssen, um eine sichere und gesunde Richtung im Leben einzuschlagen. Buddha kann uns diese Richtung geben.
Weiterhin ist Buddha nicht nur selbst frei von all seiner Angst; jemand, dem wir uns für eine sichere Richtung zuwenden, muss außerdem alle nötigen Methoden besitzen, um jedem zu helfen, frei von Ängsten zu werden. In einem vorherigen Leben wurde Buddha in Form eines Löwes wiedergeboren und jedes einzelne Haar seines Fells strahlte ein glanzvolles Licht aus. Einst befand er sich in einem dichten Wald und sah jemanden, der von einer Klippe gefallen war und in einer brenzligen Lage war, da er nun in einem verlassenen und abgelegenen Abgrund lag und ihm niemand helfen konnte. Er konnte die Klippe auch nicht selbständig wieder hinaufklettern. Das wilde Dschungeltier, welches Buddha in jenem vorherigen Leben war, war in großer Sorge um den Mann und sprang dann die Klippe herunter, um ihm zu helfen und ihn aus seiner hilflosen Lage am Fuße der Klippe zu retten. Anfangs hatte der Löwe nicht genug Kraft, den Mann zu tragen. Er übte sich also zunächst an großen Steinen, indem er immer größere Steine auf seinen Rücken nahm, bis er die Kraft hatte und in der Lage war, den Mann selbst zu tragen. Der Löwe sprang hinunter und – aus Fürsorge und großem Mitgefühl um diesen Mann – nahm er ihn auf seinen Rücken und kletterte wieder nach oben. Nachdem der Mann gerettet war, sagte er dem Löwen: „Erzähle niemandem von mir, und dass ich hier in diesem Dschungel lebe.“
Der König eines nahegelegenen Königreichs träumte eines Nachts, dass im Dschungel ein gewisses bizarres Tier lebte und trug allen Jägern im Königreich auf, diese Bestie zu fangen. Dies gelang ihnen jedoch nicht, worauf der König überall Schilder aufhängen lies, dass auf denjenigen, der die Bestie fängt, eine große Belohnung warte. Der Mann, welcher von jenem Löwen gerettet worden war, hatte das gesuchte Tier natürlich gesehen und meldete sich, da er den Wunsch hegte, die Belohnung zu bekommen. Die Jäger folgten seinen Anweisungen, um das Tier zu finden, töteten es und brachten dessen Fell zum König. In dieser Weise verhielt sich Buddha in vielen vorherigen Leben, um verschiedenen Wesen zu helfen; sogar jenen, die niemals dankbar dafür waren.
Dies sind also Ereignisse, die geschehen waren, bevor Buddha Erleuchtung erlangte. Nachdem er erleuchtet war, half er den Wesen noch viel mehr, ungeachtet dessen, was sie für ihn taten! Einmal gab es eine wohlhabende Familie, deren Kind vollkommen entstellt und hässlich war. Als es ein bisschen älter geworden war, brachte die Familie es in den Wald und ließ es dort zurück. Der kleine Junge verblieb im Wald und war völlig niedergeschlagen, dass seine Familie und auch niemand sonst ihn wollte, weil er so schrecklich hässlich aussah. Obwohl er ein menschliches Wesen war, war jede Stelle seines Körpers entstellt und unansehnlich; er verweilte also in den Wäldern. Eines Tages, als er dort umherwanderte, stieß er auf jemanden, welcher sogar noch hässlicher und entstellter war als er selbst. Eine solche Person zu sehen machte ihn ein wenig froh, dass er nicht die größte Schande dieser Welt war. Er schikanierte diese Person und machte ihn so zu seinem Diener. Die hässlichere Person war eine Emanation Buddhas, welcher dies tat, um dem kleinen Jungen zu helfen. Die Zeit verging und Buddha zeigte sich nach und nach in einer schöneren Form und lehrte so den Jungen, welcher letzten Endes eine Umwandlung durchlief, sodass sein Körper nicht länger so schrecklich hässlich aussah.
Dies ist veranschaulicht, wie Buddha mit geschickten Mitteln anderen half, damit sie all ihre Ängste und Probleme überwinden konnten. Es gibt viele Beispiele von Ereignissen, welche dies verdeutlichen. Buddha hilft jedem, ungeachtet dessen, ob man ihm geholfen hat oder nicht; er hilft nicht nur denen, die ihm geholfen haben, oder ignoriert jene, welche nichts für ihn getan haben. Weiterhin hat Buddha keinen Favoriten bzw. keine Parteilichkeit; er hat niemanden, den er wie einen Freund oder Verwandten, um welchen er sich kümmert, als ihm nahestehend betrachtet und ebenso niemanden, den er als ihm distanziert oder entfernt betrachtet und den er deshalb vergisst. So ist es überhaupt nicht. Buddha hat keinen Favoriten – er verhält sich jedem gegenüber gleich.
Man erwäge beispielsweise Buddhas Cousin Devadatta, welcher sehr neidisch auf ihn war und immer mit ihm rivalisieren wollte. Er gab auch Unterweisungen, um so eigene Anhänger zu gewinnen. Es gab einen König namens Ajatashatru, welcher seinen eigenen Vater ermorden ließ, um das Königreich an sich zu reißen. Diese beiden – Ajatashatru und Buddhas Cousin Devadatta – planten immer gemeinsam, Buddha etwas Böses anzutun. Beispielsweise versuchten sie einmal, Steine und Felsen mit Katapulten und anderen Utensilien auf Buddha zu schleudern, so wie wir heute moderne Geschütze verwenden, um ein Geschoss abzufeuern. Auf ähnliche Weise versuchten sie mit allen möglichen Mitteln, Buddha zu schaden; aber selbstverständlich konnte nichts Buddha, einem erleuchteten Wesen, etwas anhaben. Buddha setzte sich für jeden gleichermaßen ein, sogar für solche feindseligen Wesen.
Der Körper eines Buddhas ist sehr stark: Er könnte einen Elefanten mit einem bloßen Fingerschnipsen umwerfen. Es gab einmal in einem Königreich einen gewaltigen Elefanten und als dieser starb, konnte sein Kadaver nicht beseitigt werden, da es keine großen Maschinen gab, die ihn hätten befördern können. Der Kadaver faulte also, gab einen beißenden Geruch ab und die Menschen in dessen Umgebung wurden krank. Buddha kam schließlich herbei und konnte den Kadaver mit lediglich einem kleinen Tritt in eine entlegene Gegend befördern.
Zur Zeit Buddhas gab es großartige Ärzte. Sie boten Buddha eine Medizin dar, welche äußerst stark war, da Buddha selbst solch unglaubliche physischen Kräfte hatte. Devadatta bestand darauf, dass man auch ihm eine Medizin mit gleicher Stärke gebe, wie man sie Buddha gab. Die Ärzte sagten ihm, dass Buddha eine solch starke und hoch dosierte Medizin nur aufgrund seiner starken physischen Kraft einnehmen könne und dass Devadatta eine solche Kraft nicht besitze.
Devadatta wurde darauf sehr ärgerlich und bestand weiterhin darauf, eine solche Dosis einzunehmen. Da er den Ärzten nicht zuhören wollte, gaben sie schließlich nach und gaben ihm eine höhere Dosis, welche sie normalerweise nicht normalen Leuten aushändigen würden. Devadatta nahm sie ein. Selbstverständlich war die Medizin so stark und wirkmächtig, sodass sie ihn durch und durch krank machte und er kurz davor war, daran zu sterben. Er lag todsterbenskrank auf dem Rücken, wälzte sich hin und her und ächzte und stöhnte vor sich hin. Buddha kam zu ihm, sah ihn auf dem Boden zusammengekrümmt und sagte: „Wenn ich zwischen meiner Einstellung und meinen Gefühlen für meinen Sohn Rahula und für dich, der du immer ein Plagegeist bist und immer versuchst, mir zu schaden und mit mir zu rivalisieren, keinen Unterschied mache, so mögest du geheilt sein.“ Er legte dann seine Hand auf Devadattas Kopf und dieser wurde geheilt. Nachdem er wieder zu Kräften gekommen war, waren die einzigen Worte, welche er für Buddha übrighatte: „Nimm deine dreckige Hand von meinem Kopf!“
Buddha ist jemand, der keinen Favoriten hat und bereit ist, anderen zu helfen, egal wie schlecht sie sich ihm gegenüber verhalten. Nur diese Art von Person – ein vollkommen erleuchteter Buddha – kann einem Zuflucht, eine sichere und fundierte Richtung im Leben, gewähren. Die wunderbaren Qualitäten von erleuchtendem Körper, Rede und Geist eines Buddhas sind zahlreich; man kann von ihnen erfahren, indem man die entsprechenden Texte studiert. Je mehr man über sie weiß, desto größer ist das überzeugte Vertrauen, der Glaube, dass sie wahr sind, und der Respekt, den man Buddha als jemandem, welcher einem eine sichere und fundierte Richtung im Leben gibt, entgegenbringt.
Bezüglich der verschiedenen Kayas oder Körper eines Buddhas haben wir den Dharmakaya – ein Körper, der alles umfasst –, die Arten der Formkörper, oder Sambhogakaya – ein Körper des vollen Gebrauchs – und die Nirmanakayas – die unterschiedlichen Ausstrahlungskörper – bereits besprochen. Das müssen wir jetzt nicht noch einmal durchgehen. Ihr könnt sehen und verstehen, was ein Buddha ist, wenn ihr beispielsweise jemanden wie Seine Heiligkeit den Dalai Lama betrachtet.
Darüber hinaus ist es wichtig, die verschiedenen Darstellungen, wie zum Beispiel Gemälde und Statuen, eines Buddhas zu verstehen und ihnen mit größtem Respekt zu begegnen. Sogar eine sehr kleine Buddhastatue der Größe eures Fingernagels – betrachtet sie und spürt, dass sie tatsächlich ein Buddha ist. Hat man die tatsächlichen geistigen Pfade entwickelt, werden diese zu euch sprechen. Die tatsächlichen geistigen Pfade habe fünf Stufen: Die erste ist der geistige Pfad des Aufbauens oder Ansammelns, welcher drei Teile hat: einen geringfügigen, einen mittleren und einen weitreichenden geistigen Pfad des Aufbauens. Hat man den Zustand des weitreichenden geistigen Pfades des Aufbauens erlangt, ist man dazu in der Lage, von den verschiedenen Abbildungen, die man als einen Buddha betrachtet und wahrgenommen hat, Unterweisungen zu empfangen; sie werden dann zu einem sprechen. Deswegen ist es wichtig, diese Erkenntnis, dass all diese Darstellungen tatsächlich Buddhas sind, zu entwickeln. Man sagt, dass der Nutzen größer ist, auf solche Statuen, welche man als Buddha betrachtet, zu treffen, als den eigentlichen Buddha zu treffen.
Das Dharma- und das Sanghajuwel
Bezüglich des seltenen und kostbaren Dharmajuwels sind die tatsächlichen Qualitäten im geistigen Kontinuum eines Buddhas die Zuflucht des Dharma oder das Dharmajuwel. Als Dharmapraktizierender kann man die verschiedenen Texte, die aus diesen geistigen Qualitäten stammen, als das Dharmajuwel betrachten.
Das Juwel des Sangha – der Absichtsgemeinschaft – bezieht sich auf die Gemeinschaft von Aryas – spirituell hoch entwickelte Wesen, welche Einsicht in die Realität hatten. Auch wenn es eine weltliche Person ist, welche Realität nichtkonzeptuell wahrgenommen hat, ist sie Teil des Juwels des Sangha, da er oder sie den Stand der Absichtsgemeinschaft von Aryas betreten hat.
Bezüglich dessen, was das Juwel des Sangha – die Aryawesen – repräsentiert, muss es mindestens eine Gemeinschaft von beispielsweise vier Mönchen sein, die gemeinsam in Richtung eines positiven Ziels arbeiten. Nur ein oder zwei Mönche stellen noch keinen Sangha oder keine Absichtsgemeinschaft dar, sondern sind eben einfach nur ein oder zwei Mönche.
Die Rolle der drei Juwelen
Buddhas sind jene, welche tatsächlich Unterweisungen geben und eine sichere und fundierte Richtung, zu welcher man Zuflucht nimmt, vorgeben, indem sie uns zum Beispiel lehren, die zehn destruktiven Handlungen aufzugeben und die zehn konstruktiven zu praktizieren. Die tatsächliche Richtung, die es einzuschlagen gilt, wäre zum Beispiel der Dharma des Befolgens der ethischen Selbstdisziplin, die zehn destruktiven Handlungen aufzugeben und die zehn konstruktiven aufzunehmen. Das ist es, was Buddha lehrte. Die Weiterentwicklung dieser ethischen Selbstdisziplin in unserem geistigen Kontinuum ist die sichere und gesunde Richtung oder Zuflucht. Der Sangha – die Absichtsgemeinschaft – sind Freunde, welche einem dabei helfen, diese Bestrebung, eine sichere Richtung einzuschlagen, umzusetzen.
Es gibt eine Erzählung eines Götterkindes mit dem Namen Stiramati. Sie wird euch dabei helfen, die Unterschiede zwischen den drei Juwelen zu verstehen. Im Himmel der 33 Götter gab es einst ein Götterkind namens Stiramati, was mit „der geistig Standhafte“ übersetzt wird. In diesem Götterbereich ist der Boden mit verschiedensten kostbaren Edelsteinen bedeckt und alles ist einfach atemberaubend schön. Das Kind der Götter war also durchweg umgeben vom Schönsten und war vollkommen glücklich und sorglos.
Doch wenn sich der Zeitpunkt des Todes in den Götterbereichen nähert, zeichnen sich verschiedene Dinge ab, welche den herannahenden Tod eines Gottes ankündigen, und wenn der Gott diese Zeichen wahrnimmt, leidet er schwer darunter. Wie zeichnen sie sich ab? Nun ja, Götter tragen beispielsweise Blumengirlanden um den Hals, die immer frisch sind. Sieben Tage, bevor der Tod sie einholt, fangen diese Girlanden jedoch plötzlich an, zu welken und einen schlechten Geruch abzugeben. Ebenso beginnen die Götter, welche normalerweise immer wunderbar riechen, zu stinken, bevor sie sterben. An diesem Punkt wird keiner der göttlichen Freunde, welche immer verschiedene Spiele gemeinsam mit einem spielten und Zeit mit einem verbrachten, einem mehr nahekommen. Einige dieser Freunde sind etwas beständiger als andere, aber auch diese schauen einen nur noch aus der Ferne an und gehen dann weg – sie möchten nichts mehr mit einem zu tun haben.
Steht der Tod in einem Götterbereich bevor, ist all das positive Potenzial, das man angesammelt hat, aufgebraucht, und man kann den Ort und die Form der nächsten Wiedergeburt, die auf einen wartet, sehen. Diese Art von Vision ähnelt der außersinnlichen Wahrnehmung. Jenes Kind der Götter – Stiramati – sah nun diese Zeichen seines bevorstehenden Todes und ebenso, dass er zunächst in einer Hölle und anschließend als Schwein wiedergeboren werde. Die Qualen, welche er deswegen durchmachte, waren unvorstellbar. Die physischen Schmerzen, welchen man in den Höllen ausgesetzt ist, sind die heftigsten Arten physischen Leidens. Die heftigsten geistigen Leiden und Qualen durchlebt man jedoch als Gott: Niemand erfährt heftigeres geistiges Leid als ein Gott, der solche Visionen von seinem herannahenden Tod hat.
Stiramati konnte es einfach nicht mehr aushalten und ging deswegen zu Indra, dem König der Götter, und sagte: „Es geht mir so elend im Angesicht der Wiedergeburten, die auf mich warten. Bitte hilf mir! Kennst du einen Ausweg, wie ich diesen Qualen entkommen kann?“ Indra antwortete: „Es tut mir leid, leider kann ich dir nicht helfen. Ich wüsste keinen Weg, aber ich werde dich zu Buddha bringen und wir werden ihn fragen.“ Sie gingen also zu Buddha. Dieser sagte Stiramati, dass er die Yidampraxis der Gottheit Ushnishavijaya, oder Namgyelma auf Tibetisch, praktizieren solle.
Usnishavijaya ist eine weibliche Gottheit mit drei Gesichtern und acht Armen. Das mittlere Gesicht ist weiß, das rechte gelb und das linke blau. Im obersten Armpaar hält sie einen gekreuzten Vajra in der ersten rechten Hand und die erste linke Hand formt die drohende und fesselnde Mudra – eine Handgeste – und hält dabei ein Lasso vor ihrem Herzen. Mit den folgenden drei nach außen gebeugten Armen auf ihrer rechten Körperseite hält sie einen kleinen Amitabha-Buddha mit der zweiten Hand, mit der dritten einen Pfeil und die vierte Hand rechts unten formt die Mudra unübertroffener Großzügigkeit. Mit den anderen drei Armen auf ihrer linken Körperseite formt sie mit der zweiten Hand ebenso die Mudra unübertroffener Großzügigkeit, die dritte hält einen Bogen, und die vierte Hand links unten hält ein Gefäß mit Nektar darin auf ihrem Schoß und liegt dabei in der Mudra völliger Vertiefung. Buddha sagte dem göttlichen Kind, es solle meditieren und alle rituellen Praktiken dieser persönlichen Meditationsgottheit machen.
Auf dem Thangka für diese Praxis befindet sich Chenrezig, oder Avalokiteshvara, auf einer Mondscheibe sitzend rechts von der Hauptgottheit. Er ist weiß und hält in der rechten Hand einen Fächer aus Yakschwanzhaar und in der linken einen weißen Lotus. Auf der rechten Seite der Hauptgottheit sitzt Vajrapani auf einer Sonnenscheibe. Mit der rechten Hand hält er ebenso einen Yakhaarfächer und mit der linken eine blaue Utpalalilie, welche das Zeichen eines Vajras trägt. Auf östlicher Seite ist vorn die blaue kraftvolle Gottheit Achala, welche einen Vajra hält, und rechts auf südlicher Seite ist die ebenfalls kraftvolle Gottheit Takkiraja, welcher ein Juwel hält. Hinten ist noch eine kraftvolle Gottheit, Niladanda, welcher einen blauen Stab hält, und auf nordlicher Seite ist links die kraftvolle Gottheit Mahakala, welcher einen Dreizack hält. Auf der oberen Seite sind zwei Götter, welche juwelenbesetzte Gefäße halten, die mit Nektar gefüllt sind. Sie gießen den Nektar aus und bringen so eine reinigende Gabe dar. Insgesamt ist es also eine Gruppe von neun Gottheiten.
Das Götterkind führte also all die rituellen Praktiken, die zu dieser Gruppe von Gottheiten gehören, aus und konnte dadurch seine negativen Potenziale, als Schwein wiedergeboren zu werden, bereinigen. Darüber hinaus sammelte er eine große Menge positiver Potenziale und die Wirkung dessen war, dass er schließlich in Tushita, dem göttlichen Bereich der Freude, der sogar noch über dem Himmel der 33 liegt, wiedergeboren wurde. Obwohl Götter die außersinnliche Wahrnehmung haben, alle Bereiche unter dem ihren zu sehen, können sie jene, welche sich über ihnen befinden, nicht wahrnehmen. Indra, König der Götter und Herrscher des Himmels der 33, war also nicht mehr in der Lage, zu sehen, dass das göttliche Kind in Tushita, einem Bereich, der über dem Indras liegt, wiedergeboren wurde. Er wollte daher von Buddha wissen, wo Stiramati wiedergeboren war. Er musste sich auf Buddha berufen, welcher in der Lage war, dies zu sehen.
Wie man anhand dieses Beispiels sehen kann, ist Buddha dazu in der Lage, all die verschiedenen Arten von Wesen zu lehren, sodass sie vermeiden können, in einer Hölle wiedergeboren zu werden. Buddha ist also jemand, der uns eine sichere und fundierte Richtung zeigen kann – er kann uns Zuflucht geben, um einer solchen schreckliches Situation vorzubeugen. Das, was uns tatsächlich eine solche sichere Richtung oder Zuflucht verschaffen könnte, wären wie in dem vorherigen Beispiel die verschiedenen Praktiken der Yidamgottheit Ushnishavijaya. Durch diese konnte das Götterkind es vermeiden, in einer Hölle wiedergeboren zu werden. Das Beispiel für die Absichtsgemeinschaft, oder Sangha – Wesen, die uns dabei helfen, eine sichere Richtung einzuschlagen –, war hier Indra, welcher das Kind zu Buddha brachte und ihm so dazu verhalf, diese Methoden zu lernen.
Die Praxis der Zufluchtnahme
Man baut die heilsame Gewohnheit der Zufluchtnahme, des Einschlagens einer sicheren und fundierten Richtung, auf, indem man vor sich die Form eines Buddhas visualisiert und folgende Formel wiederholt „Ich schlage die sichere Richtung ein, welche die spirituellen Meister vorgeben. Ich schlage die sichere Richtung ein, welche die Buddhas vorgeben. Ich schlage die sichere Richtung ein, welche die vorbeugenden Maßnahmen des Dharma vorgeben. Ich schlage die sichere Richtung ein, welche die Absichtsgemeinschaft, der Sangha, vorgibt.“ Dies wiederholt man dreimal. Dann stellt man sich vor, dass Licht von dem Buddha, den man vor sich visualisiert hat, ausgeht und einen sowie alle begrenzten Wesen, welche man um sich herum visualisiert, reinigt. So praktiziert man das Einschlagen dieser Richtung.
Wenn man „Ich schlage die sichere Richtung ein, welche die spirituellen Meister vorgeben“ beispielsweise siebenmal wiederholt, stellt man sich vor, dass während dieser sieben Wiederholungen, Licht aus dem Körper des Buddhas heraustritt, in den eigenen Körper fließt, diesen vollständig füllt, und all das negative Potenzial, welches man durch destruktive Handlungen des Körpers aufgebaut hat, bereinigt. Man stellt sich diese negative Potenziale, Schleier und Blockaden, welche man angesammelt hat, in Form von schwarzer Kohle und Ruß in flüssiger Form vor und dass sie aus einem herausfließen, wie verschmutztes Wasser, nachdem man beispielsweise extrem verdreckte Kleider damit gewaschen hat und dann ein scheußliches, schwarzes Dreckwasser übrighat. Man stellt sich also vor, wie alle negative Potenziale in dieser Form den Körper verlassen. Auch alle Verschmutzungen, welche man im Körper hat als Auswirkung verschiedener negativer Dinge, die man in der Vergangenheit getan hat, bezieht man mit ein und stellt sich vor, wie sie unseren Körper in Form von Kot, Urin, Nasenschleim und Ähnliches verlassen. Schließlich visualisiert man, dass diverse Krankheiten, die man haben mag, einen in Form von Schlangen, Skorpionen, Spinnen und Fröschen verlassen.
Während man anschließend die nächste Runde der sieben Wiederholungen macht und wiederum sagt: „Ich schlage die sichere Richtung ein, welche die spirituellen Meister vorgeben“, stellt man sich Lichter vor, die sich auf einen zubewegen und alle negativen Potenziale, Blockaden, Verschmutzungen und Krankheiten etc. der Rede reinigen. Man stellt sich vor, dass diese von der unteren Körperhälfte nach oben wandern und den Körper durch die oberen Körperöffnungen des Gesichts verlassen.
In der dritten Runde von sieben Wiederholungen stellt man sich erneut Lichter vor, die diesmal alle negativen Potenziale, welche man durch Handlungen des Geistes aufgebaut hat, wie zum Beispiel begehrliches Denken, böswilliges Denken und das Hegen falscher Sichtweisen. Man visualisiert, dass all die negativen Potenziale, die aus solchen destruktiven Handlungen stammen, in Form eines dicken, schwarzen Klumpens in unserem Herzen stecken. Dann stellt man sich vor, dass jene Lichter in einen eintreten und den ganzen Klumpen mit einem strahlenden Blitzen vollständig in Rauch auflösen.
Während der vierten Repetition jener siebenteiligen Formel ist erneut Licht beteiligt und man stellt sich vor, dass, da nun die drei vorherigen Visualisierungen gleichzeitig stattfinden sollen, alle Makel von Körper, Rede und Geist vollständig beseitigt werden. Anschließend fühlt man sich, als hätte man eine Glasvase so weit gesäubert, dass sie vollkommen sauber, rein und durchsichtig ist; in ähnlicher Weise ist nun auch der Körper sauber, rein und durchsichtig. Am Ende stellt man sich zum letzten Mal Lichter und Nektare vor, welche den Körper füllen, und dass man dadurch voll von Segen und Inspiration ist, die eigene Lebensspanne in ihrer vollen Länge auszuleben und eine große Menge positiven Potenzials, Weisheit und Einsicht zu haben.
Man kann diese Gruppe von vier Wiederholungen entweder jeweils siebenmal wiederholen, was 28 Wiederholungen ergeben würde, jeweils dreimal, sodass es zwölf Wiederholungen wären, oder 100-mal, was 400 Wiederholungen ergäbe. Gleichgültig, welche Anzahl man macht, ist dies das grundlegende Praxisschema. Wenn man diese Praxis durchführt, kann man auch einfach einen Buddha vor sich visualisieren und fühlen, dass er alle Aspekte einer sicheren Richtung und Zuflucht zusammengefasst enthält. Alternativ kann man auch aufwändige Visualisierungen mit zahlreichen Elementen machen oder auch einfach nur eine Visualisierung mit einer Gestalt, was immer einem passt; es macht keinen Unterschied. Mit dieser Praxis sollte man dreimal am Tag und dreimal in der Nacht Zuflucht nehmen, um so die Richtung, welcher man im Leben folgt, zu bekräftigen.
Gaben darbringen und andere Praktiken
Man sollte den Buddhas täglich Gaben darbringen. Dies kann man ganz einfach tun, indem man seine Kaffeetasse oder etwas in der Art mit Wasser füllt und damit eine Gabe darbringt, oder aber man bringt eine Gabe in Form von Brot, Keksen bzw. dem, was man isst, dar. Ihr alle esst dreimal am Tag; deswegen, bevor ihr zu essen anfangt, nehmt euer Essen oder eure Tasse und bringt in Form dessen eine Gabe dar. Diese Art von Opfergabe ist sehr schlicht. Es genügt, in eurer Muttersprache einfach zu sagen: „Bitte habt daran teil, o ihr spirituellen Meister, bitte habt daran teil! O Buddhas, habt daran teil! Kostbarer Dharma, hab daran teil! Kostbare Gemeinschaft, hab daran teil!“ So bringt man eine Opfergabe dar. Man muss das nicht in exotischen asiatischen Sprachen tun.
Wenn man einige Abbildungen Buddhas und der drei Juwelen hat, sollte man nichts auf sie draufstellen: Seine Kleider oder seine Gebetskette darüber zu hängen, ist respektlos. Ebenso sollte man, wenn man Gemälde, die Buddha abbilden, anschaut, diese nicht kritisieren, indem man zum Beispiel sagt, dass dieser Buddha schiefe Augen hat oder seine Nase seltsam ist. Findet man Mängel, kann man beispielsweise sagen, dass der Maler nicht sehr gut ist. Man sollte jedoch davon absehen, zu sagen, dass der Buddha ein krummes Auge hat oder furchtbar aussieht, denn dies würde bedeuten, ihn herabzusetzen. Zudem sollte man Buddhastatuen und Ähnliches nicht als Pfandgegenstände verwenden, um sie in einem Pfandhaus gegen Geld einzutauschen.
Es gibt eine Erzählung von jemandem, der eine kleine Lehmstatue eines Buddhas auf dem Boden fand. Als es anfing, zu regnen, hatte er Angst, dass sich die Statue unter dem Regen auflösen würde, und so zog er seinen Schuh aus und schützte die Statue damit vor dem Regen. Eine andere Person kam vorbei und dachte, dass es vollkommen unrecht sei, eine Buddhastatue mit einem Schuh zu bedecken, und nahm diesen wieder weg. Beide von ihnen hatten eine reine Absicht für das, was sie taten. Man muss seinen gesunden Menschenverstand walten lassen: Generell sollte man beispielsweise seine Gebetskette nicht auf einen religiösen Text legen. Weht jedoch ein starker Wind, zeigen einem die Umstände, dass man etwas auf die Seiten legen muss, damit sie nicht wegfliegen. Ist man sich dieser Umstände bewusst und handelt auf diese Weise, handelt man aus reiner Absicht, sodass es in Ordnung ist, eine Gebetskette auf einen Text zu legen, obwohl man das eigentlich nicht sollte.
Generell sollte man beschriebenes oder bedrucktes Papier nicht für niedere Zwecke verwenden. Eine Zeitung zu verwenden, um damit Müll oder Schuhe einzuwickeln, ist respektlos gegenüber den geschriebenen Worten. Bücher ohne eine Stoffunterlage auf den Boden zu legen, ist ebenso respektlos. Wenn man, während man ein Buch liest, seine Finger ableckt, um die Seiten besser umblättern zu können, ist dies auch respektlos. Möchte man seine Finger zum besseren Umblättern etwas anfeuchten, kann man eine kleine Wasserschale oder einen Schwamm dafür verwenden, nicht Speichel. Zudem ist es unangemessen, Bücher zu verkaufen, um damit Profit zu machen. Betreibt man Buchdruck, sollte man das Geld, welches man mit dem Verkaufen der Bücher verdient, für das Drucken und Veröffentlichen weiterer Bücher verwenden. Das ist in Ordnung. Es ist jedoch unangemessen, diesen Profit einfach dafür zu verwenden, sein eigenes Essen zu kaufen und damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Es ist wichtig, über diese Dinge nachzudenken; ebenso über das kostbare menschliche Leben und die Tatsache, dass man es mit dem Tod verlieren kann und wird. Es wichtig, daran zu denken, dass keine Gegebenheit statisch ist, dass der Tod gewiss kommen wird und man in einen der schlimmen Bereiche fallen könnte. Nutzt all das, um euch zu motivieren, eine sichere und fundierte Richtung in eurem Leben einzuschlagen – Zuflucht zu finden.
Man stellt sich beispielsweise vor, wie es wäre, jetzt zu sterben und in einer der heißen Höllen umgeben von Flammen wiedergeboren zu werden, oder wie es wäre, in einem brodelnden Kessel wiedergeboren zu werden – was würde man dann tun? Stellt man sich solche Dinge vor, empfindet man große Abscheu und Schrecken. Dies kann man nutzen, sich zu motivieren und zu sagen: „All ihr spirituellen Meister, zeigt mir einen Ausweg aus dieser schlimmen Lage, zeigt mir eine sichere Richtung!“ In dieser Weise sollte man praktizieren.
Der erste Schritt ist, sich vorzustellen, dass man bereits in einer der Höllen wiedergeboren wurde und man nach einer sicheren Richtung heraus fragt. In der nächsten Runde stellt man sich vor, dass man gerade an der Schwelle steht, zu sterben und in einer der Höllen wiedergeboren zu werden. Um dem zu entkommen, bittet man um eine sichere Richtung da heraus. In der dritten Runde stellt man sich vor, dass man in etwa einem Monat sterben und in eine der Höllen fallen wird. Daher bittet man eindringlich: „O ihr spirituellen Meister, zeigt mir eine sichere Richtung da heraus!“ Diese Gedanken geben einem eine starke Motivation. Man wiederholt dann die Zufluchtsformel und entwickelt so die Motivation, all diese vorbeugenden Maßnahmen zu ergreifen. In dieser Weise praktiziert man das Einschlagen einer sicheren und fundierten Richtung im Leben, nachdem man diese Richtung von den Meistern, den Buddhas, dem Dharma und dem Sangha einschlägt. So wendet man dies in seinem Leben gut an.
Das Entwickeln von Bodhichitta
Hat man das gerade Beschriebene getan, sollte man sich mit ganzem Herzen dem Erlangen des Zustandes der Erleuchtung widmen; sein Herz vollständig anderen widmen und Erleuchtung erlangen, um in der Lage zu sein, allen anderen zu helfen – mit anderen Worten: Bodhichitta. Dies praktiziert man, indem man wie zuvor beschrieben mit der Visualisierung von Nektar und Licht, die zu einem kommen, und indem man eine sichere und fundierte Richtung als Zuflucht im Leben einschlägt. Dann widmet man sich mit ganzem Herzen anderen und dem Erreichen von Erleuchtung. Zum Abschluss visualisiert man Buddha vor sich, wie er sich in einen auflöst und man selbst erleuchtet ist. Man stellt sich also vor, tatsächlich ein Buddha zu sein und genauso wie Buddha Shakyamuni vor einem ist. Dann visualisiert man, dass Licht von einem selbst ausstrahlt und dieses alle Wesen um einen herum erreicht.
Zuvor während der Praxis des Einschlagens einer sicheren und gesunden Richtung hat man das getan, um einem jeden zu helfen; anschließend hat man sich mit ganzem Herzen dem Anliegen gewidmet, in der Lage zu sein, jedem zu helfen, indem man Erleuchtung erlangt. Jetzt stellt man sich vor, dass man erleuchtet ist und man tatsächlich Buddha Shakyamuni ist, der die Lichtstrahlen aussendet und jeden anderen ebenfalls erleuchtet und die Probleme aller Wesen beseitigt. Man visualisiert, dass sich alle in Buddha Shakyamuni verwandeln. Führt man diese Praxis durch, wird man das Gefühl haben, dass sie außerordentlich hilfreich ist. Gibt es irgendwelche Fragen?
Meine Frage bezieht sich auf den Punkt, als Rinpoche erklärte, dass man aufgrund vergangener konstruktiver Handlungen ziemlich gut dran ist – bezogen auf Geld, Besitztümer oder was auch immer –, und dass es unangemessen ist, diese einfach zu beseitigen.
Dr. Berzin: „In den Fluss werfen“ hat Rinpoche gesagt.
Richtig. Da kommt einem in den Sinn, wie Buddha diese einfach aufgab und sie nicht einfach in den Fluss warf, sondern diesen entsagte. Niemals erhob er Anspruch auf sie und das hat mich ein bisschen verwirrt. Der Zen-Meister Dogen, welcher den Soto-Zen nach Japan brachte, war als einer der größten Meister Japans bekannt. Er nutzte dieses Beispiel, um den Geist entschlossener Entsagung zu erläutern: Ein ziemlich reicher Händler, welcher Interesse am Dharma entwickelte, nahm alle seine wertvollen Gemälde, legte sie in einen Karren und stieß diesen in Richtung des Ozeans, was dem „in den Fluss werfen“, wie es Rinpoche sagte, ziemlich gleichkommt. Jemand stoppte ihn und sagte ihm, wie dumm er sei, und dass viele Menschen diese Gemälde nutzen könnten. Darauf entgegnete der Händler: „Nun ja, ich sehe sie als Last. Warum sollte ich sie dann jemand anderem aufbürden?“ Dieses Beispiel wird immer wieder genannt, um ein vollständiges Involviertsein in den Dharma zu demonstrieren.
Zunächst das erste Beispiel, in welchem Buddha allem entsagt und alles verlässt: Er entsorgte all seine Reichtümer nicht, sondern hinterließ sie seiner Frau und seinem Kind. Das bedeutet nicht, dass er sie wegwarf: Er stellte sie seiner Familie zur Verfügung. Das Beispiel des Zen-Meisters, welches du genannt hast, läuft auf etwas anderes hinaus: Man muss verstehen, dass verschiedene Unterweisungen gegeben werden, um verschiedene Punkte zu erklären; jeder einzelne Punkt ist in gleicher Weise gültig. Was ich vorher versucht habe, zu erklären, war, dass man nicht denken sollte, dass man all seine Besitztümer wegwerfen muss, um Dharma praktizieren zu können. Das wäre eine Verschwendung und würde den Punkt verfehlen. Man sollte das, was man hat, konstruktiv verwenden; darum geht es hier, wohingegen das Beispiel mit dem Zen-Meister auf etwas anderes hinweist.
Auch in Tibet gibt es viele verschiedene Lamas mit unterschiedlichen Lehrmethoden und sie tun diverse Dinge, um Verschiedenes zu erklären. Es gab beispielsweise einen Lama, der hoch an einem Berg lebte, und einmal, als ihm Gaben dargebracht wurden, sie den Berg herunterwarf. Der Lama sah, dass derjenige, welcher die Gaben darbrachte, eine unreine Motivation hatte. Das, worauf er hinauswollte, indem er diese wegwarf, war, dass Gaben in solcher Form nutzlos sind. Auf der anderen Seite war das vorherige Beispiel auf uns gewöhnliche Wesen bezogen. Wir sollten nicht denken, dass wir all unsere Besitztümer wegwerfen müssen, um Dharma praktizieren zu können; das ist kein vernünftiges Handeln. Wenn man aber wie Dogen etwas wegwirft, von dem man denkt, dass es einem selbst und ebenso jedem anderen nur Probleme und Schwierigkeiten bringt, ist etwas vollkommen anderes. Dies ist ebenso eine Art, den Dharma zu praktizieren, mit einer angemessenen spirituellen Einstellung. Benutzt man sein Vermögen, um eine spirituelle Gemeinschaft, welche Schwierigkeit hat, zu unterstützen, sodass alle Mitglieder ausreichend zu essen und geeignete Umstände für ihre Praxis haben, ist das ein hervorragender Gebrauch seines Vermögens. Aus diesem Grund habe ich zuvor von der Person gesprochen, welche einen Schuh auszog, um eine Buddhastatue aus Lehm vor dem Regen zu schützen, und ebenso von der Person, welche diesen Schuh wieder wegnahm: Beide handelten in einer reinen und aufrichtigen Weise, obwohl sie vollkommen unterschiedliche Dinge im Sinn hatten.