Ein Gefühl für eigene Würde und Willenskraft entwickeln

Rückblick: das kostbare menschliche Leben

Wir haben heute Morgen damit begonnen, die aufeinanderfolgenden Stufen des Lam-rim unter dem Gesichtspunkt durchzugehen, wie sie uns helfen, ein gesundes Selbstgefühl zu entwickeln. Wir haben gesehen, dass die Gedanken über das kostbare menschliche Leben uns eine sehr positive Einstellung zu uns selbst vermitteln, weil wir auf diese Weise erkennen, wie glücklich wir uns eigentlich schätzen können. Wir erkennen, wie außergewöhnlich es ist, all diese Besonderheiten zur Verfügung zu haben, einstweilen von schlimmeren Zuständen frei zu sein und so viele Gelegenheiten zu haben, insbesondere wenn wir uns mit der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung vergleichen. Auch wenn wir uns mit all den anderen Lebensformen vergleichen – sei es, dass wir dabei an die sechs Bereiche der Lebewesen denken oder, wenn es uns schwer fällt, diese ernsthaft in Erwägung zu ziehen, zumindest an die anderen Lebensformen auf diesem Planeten – sehen wir, dass unsere Situation etwas ist, was ziemlich selten vorkommt.

Wir entwickeln also ein starkes Gefühl der Wertschätzung; wir sind überaus dankbar dafür, dass wir jetzt dieses kostbare menschliche Leben haben. Wir messen ihm großen Wert bei und machen uns bewusst, dass es nicht ewig währen wird. Wir werden alt werden, möglicherweise auch krank, und mit Sicherheit werden wir sterben. Und nachdem wir gestorben sind, werden wir uns, wie unsere Überlegungen zum ewig existenten „ich“ nahelegen, in irgendeiner Form fortsetzen, die mit weiteren Erfahrungen verbunden ist. Vielleicht ist uns das gegenwärtig etwas unklar, aber sie könnte mit Gewissheit erheblich schlimmer sein als jetzt.

Andere Lebensformen und Arten des Ausmaßes von Glück und Unglücklichsein

Es ist immer ein schwieriges Thema, sich mit den verschiedenen anderen Lebensformen zu befassen, von denen im Buddhismus die Rede ist. Es ist schwierig, sie ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die Art, wie ich selbst damit umgehe, besteht darin, wiederum an die geistige Aktivität zu denken, in dem Sinne, wie wir bereits besprochen haben. „Ich“ wird einem individuellen Kontinuum von geistiger Aktivität des Erfahrens zugeschrieben, und diese geistige Aktivität wird verschiedene Geistesfaktoren beinhalten, die damit einhergehen, und verschiedene Bewusstseinsarten – also Sinnesbewusstseinsarten oder geistiges Bewusstsein und zudem diverse Geistesfaktoren, darunter insbesondere ein gewisses Ausmaß an Glück oder Unglücklichsein. Die Grenzen dessen, was wir in irgendeinem Bereich wahrnehmen können – sei es im Bereich körperlicher Empfindungen oder im visuellen Bereich oder auch in Hinsicht auf Glück und Unglücklichsein usw. – stehen in ziemlich engen Zusammenhang mit unseren körperlichen Gegebenheiten, d.h. mit unserer physischen Ausstattung.

Wir können natürlich anhand von einfachen Beispielen erkennen, dass ein menschliches Gehirn wesentlich mehr verstehen kann als beispielsweise das Gehirn einer Fliege. Zwar handelt es sich in beiden Fällen um ein Gehirn, aber wenn wir das Hirn einer Fliege hätten, würden wir mit der physischen Ausstattung, die uns zur Verfügung stünde, in puncto Verständnis nicht sehr weit kommen, nicht wahr? Und was die Augen bestimmter Tierarten betrifft, so gibt es ebenfalls große Unterschiede: Einige können im Dunkeln sehen, während wir mit unseren menschlichen Augen nicht viel sehen können. Adleraugen können sehr weit sehen; menschliche Augen können im Dunkeln nicht so weit sehen. Eine Hundenase hat einen erheblich feineren Geruchssinn als eine menschliche Nase – einen erheblich größeren Wahrnehmungsbereich, sollte ich wohl besser sagen. Viele Tiere können besser hören als wir. Im Hinblick auf den Wahrnehmungsapparat im Sinnesbereich ist also ziemlich klar, dass die Spannweite dessen, was man wahrnehmen kann, sehr von der Hardware, der physischen Grundlage, abhängt.

Das müsste also auch im Hinblick auf körperliche Empfindungen der Fall sein, z.B. im Hinblick auf Genuss und Schmerz. Wenn beim menschlichen Körper ein bestimmtes Ausmaß an Schmerz erreicht ist, werden wir ohnmächtig; wir sind nicht in der Lage, etwas zu erleben, was über das hinausgeht, was der menschliche Körper ertragen kann. Diese Tatsache können wir auch auf das Gefühl von Glück und Unglücklichsein übertragen. Wenn wir von Leiden sprechen, geht es nicht um das körperliche Schmerzempfinden, sondern es geht dabei um den Geistesfaktor Glück oder Unglücklichsein. Glück heißt: Man möchte, dass es weitergeht, man möchte nicht getrennt davon sein; Unglücklichsein: Man möchte wirklich, dass das aufhört.

Nun beginnt man sich zu fragen, ob die Fähigkeit zu Glück oder Unglücklichsein wohl ebenfalls proportional zu bzw. abhängig von der körperlichen Grundlage ist, die man zum Erleben von geistigen oder körperlichen Zuständen zur Verfügung hat. Und ich muss sagen, es ist ziemlich interessant, das zu erforschen. Versuchen wir, das Ausmaß von Unglücklichsein zu untersuchen – sagen wir, das Ausmaß von Unglücklichsein bei jemandem, der das Down-Syndrom hat und sich nicht einmal seiner Situation bewusst ist, und bei jemandem, der hoch intelligent ist, Untersuchungen anstellt und unter schrecklichen Depressionen leidet, Nervenzusammenbrüche hat usw. In den Lehren heißt es immer, dass geistiges Leiden erheblich schlimmer und größer ist als körperliches Leiden.

In Anbetracht dieser Überlegungen denke ich, dass auch das Ausmaß – die Bandbreite – von Glück und Unglücklichsein, das wir wahrnehmen können, ziemlich abhängig von der Art des physischen Körpers und der Lebensform ist, die wir haben. Wenn wir unsere Überlegung ausweiten, können wir das gesamte Spektrum von Glück/Unglücklichsein, Genuss/Schmerz, in Betracht ziehen und uns vorstellen, dass es körperliche Grundlagen geben könnte, die in der Lage sind, jeglichen Bereich dieses Spektrums wahrzunehmen.

Wenn wir glauben, dass wir zu nichts werden, nachdem wir gestorben sind – „dann bin ich tot“ -, und ziemlich ungewiss ist, was das eigentlich heißt, dann ist das ganz schön beängstigend. Wenn man nichts ist – ist das deprimierend? Wie ist das? Man fängt an, sich zu fragen, was die Charakteristika von „nichts“ sind, die Charakteristika davon, „nichts“ zu erleben.

Man sagt vielleicht: „Gar nichts geschieht“ Aber: Wenn „nichts“ geschieht, ist das nicht ziemlich langweilig? Wir sind ziemlich unglücklich, wenn nichts geschieht – nun stellen Sie sich vor, dass das in alle Ewigkeit so ist: Wie würden wir uns langweilen. Wir wären ziemlich unglücklich. Ich weiß nicht, ob das irgendeinen Sinn ergibt oder bloß komisch ist, aber ich finde, dass diese Überlegungen helfen können, das Gefühl zu entwickeln: „Ich möchte vermeiden, dass es nach dem Tod schlimmer wird als jetzt.“ Wir wollen nicht ewig im großen Nichts hängenbleiben. Und wenn wir den buddhistischen Lehren folgen, wollen wir bestimmt nicht mit einer körperlichen Grundlage geboren werden, mit der wir, eventuell sogar auch als Mensch, schrecklich viel mehr Leiden und Probleme erleben und nicht imstande sind, den spirituellen Weg fortzusetzen.

Sichere Richtung

Wir entwickeln also ein gesundes Gefühl von Furcht vor solchen Situationen. Es ist wichtig zu verstehen, dass es zwei Arten von Furcht gibt:

  • Die eine ist das Gefühl, dass man nichts tun kann: „Ich bin hilflos und die Lage ist hoffnungslos.“ Das ist wirklich eine entsetzliche Furcht, die sehr schwer zu ertragen ist.
  • Es gibt aber auch ein gesundes Gefühl von Furcht, bei dem wir wissen, dass man etwas tun kann, um die schreckliche Situation, die wir fürchten, zu vermeiden, und deswegen nehmen wir uns in Acht. Etwa beim Autofahren: „Ich fürchte mich davor, einen Unfall zu haben, und deswegen passe ich auf, wie ich fahre.“ Wenn es mir egal ist, ob ich einen Unfall habe oder nicht, wenn ich mich nicht davor fürchte, werde ich sehr leichtfertig und das kann katastrophale Folgen haben.

Wenn von den Gründen für Zuflucht – ich nenne das lieber „sichere Richtung“ – die Rede ist, heißt es, dass einer dieser Gründe ein Zustand von Furcht ist, und zwar dieses gesunde Gefühl von Furcht. Es beruht auf einem gesunden Gefühl von „ich“ – des konventionellen „ich“ -, d.h., dass ich mich darum kümmere, was mit mir geschieht, und nicht in die schreckliche Situation geraten will, in der ich mich nicht weiter entwickeln kann, und ich sehe, dass es eine Möglichkeit gibt, das zu vermeiden. Deswegen werde ich in diese Richtung gehen. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir uns ohne dieses gesunde Ichgefühl nicht vornehmen würden, unserem Leben eine positive und sichere Richtung zu geben, die durch die so genannte „Zuflucht“ angezeigt wird. Wenn ich nicht auf mich achten würde, würde ich nicht einmal irgendwelche Anstrengungen unternehmen, um Leiden zu vermeiden. Es wäre mir egal. Wir finden diese Einstellung bei Leuten, die nicht mit dem Rauchen aufhören wollen: „Was kümmert es mich, ob ich Krebs bekomme. Es ist mir egal, was geschieht; ich will rauchen.“ Sie geben nicht wirklich auf sich Acht. Diejenigen unter den Zuhörern, die noch Raucher sind, haben jetzt ein breites, schuldbewusstes Lächeln im Gesicht – richtig verlegen. Aber wenn wir all das wirklich ernst nehmen, bedenken wir: Ich habe ein kostbares menschliches Leben, ich möchte es nicht verlieren; ich möchte etwas dafür tun, dass es so lange wie möglich währt, damit ich die Möglichkeit nutzen kann, bevor sie vergeht, und ich möchte versuchen zu verhindern, dass ich in Zukunft keine weiteren solchen Gelegenheiten mehr bekomme. Das ist die ganze Einstellung, und sie beruht auf einem gesunden Gefühl von „ich“.

Nun, es gibt etwas, das wir tun können, um zu verhindern, dass die Situation sich in Zukunft verschlimmert – nämlich die sichere Richtung von Buddha, Dharma und Sangha in unser Leben einbringen. Wir müssen zunächst verstehen, was diese Richtung bedeutet. Was sind eigentlich die drei Juwelen? Es gibt verschiedene Ebenen, Buddha, Dharma und Sangha zu verstehen; doch wenn wir die tiefste Ebene betrachten, so bezieht sich der Ausdruck Dharma-Juwel auf die wahre Beendigung von Problemen, von Leiden – aller Arten von Leiden – und auf die wahren Pfade, d.h. die Geisteszustände, die Pfade sind, nämlich wahre Ebenen von Verständnis, die zur wahren Beendigung der Probleme führen, sodass diese nie wieder auftreten werden. Es handelt sich also um die dritte und die vierte edle Wahrheit.

Das ist die Richtung, in die ich gehen will. Ich möchte in die Richtung gehen, zu versuchen, die wahre Beendigung der Ursachen für Leiden und Probleme zu erreichen, und ich möchte das wahre Verständnis bzw. den Geisteszustand erlangen, der ein Pfad zu dem Verständnis ist, das diese wahre Beendigung herbeiführt. Das ist die Richtung, eine sehr positive Richtung. Sie ist sinnvoll. Die Buddhas sind diejenigen, die das vollständig erreicht haben und uns den Weg gelehrt und gezeigt haben, wie wir dies selbst erreichen können. Der Arya-Sangha besteht aus denjenigen, die uns den Mut in Bezug darauf geben, dass das Erlangen der Ebene eines Buddha etwas ist, auf das man schrittweise hinarbeiten kann. So erscheint es erreichbarer, und insofern ist es eine Unterstützung für uns, zu wissen, dass es diesen Arya-Sangha gibt.

Das sind also die drei Juwelen; das ist die Richtung, in die wir gehen wollen. Wir geben auf uns acht, wir nehmen uns selbst ernst, und es gibt also diese Richtung, die wir einschlagen können, um Leiden zu verhindern. Wir möchten ja, dass wir glücklich sind. Wir möchten nicht unglücklich sein, also werden wir versuchen, in diese Richtung zu gehen. Wir erkennen, dass das möglich ist. Lassen Sie sich das durch den Kopf gehen.

Es ist sehr bedauernswert, dass viele Leute die Bedeutung der Zuflucht bagatellisieren, und ich denke, der Grund dafür ist, dass sie nicht wirklich tiefgreifend verstehen, worum es dabei geht. Die Meditationen, die in einigen der späteren Lam-rim Texte empfohlen werden, sind dafür überaus hilfreich. Diese Meditationen beinhalten, das man sich vorstellt, man würde einen Abgrund hinabstürzen und in die niederen Bereiche – schrecklichere Wiedergeburten – fallen und wie entsetzlich das wäre. Und dass wir, wenn wir eine Möglichkeit wüssten, uns zu retten – etwa, einen Fallschirm öffnen oder was auch immer – das auf jeden Fall tun würden. Und dann stellen wir uns vor, dass wir gerade im Begriff sind zu fallen. Wir befinden uns direkt am Rande des Abgrunds, so dass wir wünschen, wir hätten unsere Kernmuskeln gestärkt, damit wir die Balance behalten und nicht abstürzen. Sodann stellen wir uns vor, dass wir uns auf einem Förderband befinden, das uns geradewegs zum Rand des Abgrunds transportiert und dort hinunterkippt – und wie sehr wir uns wünschen würden aufzuwachen und von dem Förderband abzuspringen.

Das sind sehr wirksame Bilder, die wir verwenden können, um ein Gefühl von Furcht heraufzubeschwören und ganz ursprüngliche Instinkte wachzurufen. Es handelt sich um Überlebensinstinkte, dem zu entkommen und nicht ins Feuer zu fallen oder dergleichen. Es ist eine Art Antrieb aus Urinstinkten, den wir uns zunutze machen wollen, um die sichere Richtung in unserem Leben einzuschlagen, sodass dies wirklich zu etwas ganz Elementarem in uns wird. Als Resultat dieser Gedanken wollen wir wirklich auf irgendeine Weise die Ursache für schlimmere Wiedergeburten beseitigen oder die Ursache für ewige Verdammnis in der Hölle oder die Gründe dafür, dass wir voller Reue und in der Angst sterben, in ein ungewisses Nichts zu stürzen.

Bitte denken Sie darüber nach. „Ich möchte schlimmere Wiedergeburten verhindern und tun, was erforderlich ist, um die Ursachen für schlimmere Wiedergeburten zu vermeiden und loszuwerden. Ich möchte vorbeugende Maßnahmen treffen.“ „Vorbeugende Maßnahmen“ ist im Wortsinn die Übersetzung von „Dharma“.

Als erstes wollen wir, wenn wir in diese sichere Richtung gehen, die Ursachen für offenkundiges Leiden, das so genannte Leiden des Leidens, beseitigen, also die Ursachen für Unglücklichsein – und dafür, dass wir schreckliche Wiedergeburten und alle möglichen furchtbar unangenehmen Dinge erleben, die uns geschehen können. Wenn wir diese Art von Leiden, offenkundiges Leiden erleben, so ist das laut den buddhistischen Lehren über Karma ein Resultat von destruktivem Verhalten. So lautet das erste Gesetz des Karma.

Karma

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir, wenn wir von Karma sprechen, nicht von Handlung sprechen, obwohl das tibetische Wort für „Karma“ das gleiche ist wie das umgangssprachliche tibetische Wort für „Handlung“. Tibeter übersetzen daher, wenn sie Englisch sprechen, das Wort Karma häufig als „Handlung“. Aber es bedeutet nicht „Handlung“. Überlegen Sie, was daraus folgen würde, wenn es „Handlung“ bedeuten würde. Wir wollen das Karma völlig beseitigen, sämtliches Karma loswerden – und wenn Karma einfach „Handlung“ bedeuten würde, so hieße das nichts anderes als dass man bloß aufhören müsste, überhaupt etwas zu tun, und dann wäre man befreit. Das ist es also nicht, was das Wort bedeutet.

Um etwas zu untersuchen, wird im Buddhismus außer der anfangs beschriebenen noch eine weitere Methode angewendet: Man betrachtet eine Aussage im Hinblick darauf, ob sich daraus irgendwelche absurden Schlussfolgerungen ergeben. Hier wäre also die zu untersuchende Aussage „Karma ist gleichbedeutend mit ‚Handlungen‘“. Wenn Karma dasselbe wie „Handlungen“ wäre, dann würde daraus folgen, dass „alles Karma beseitigen“ bedeutet, man müsse bloß alle Handlungen loswerden. Wenn ich alle Handlungen loswerde, bin ich dann befreit? Nein. Die Aussage, Karma würde Handlungen bedeuten, ist also falsch. Sie beruht auf einem Übersetzungsproblem.

Worum es bei Karma geht, ist Zwanghaftigkeit. Unser Verhalten hat einen zwanghaften Aspekt, und zwar in dem Sinne, dass es auf Instinkten beruht, auf den Tendenzen, die wir durch unsere störenden Emotionen und unsere Verwirrung geschaffen haben. Aufgrund dessen handeln wir auf zwanghafte Weise. Wir haben keine Macht darüber. Sie wissen schon – zwanghaftes Essen, zwanghaftes Klopfen mit den Fingern auf den Tisch, lauter solche Sachen.

Was ist der Unterschied zwischen impulsiv und zwanghaft engl. compulsive?

„Impulsiv“ bedeutet, dass etwas mir gerade in den Sinn kam. „Zwanghaft“ (bedeutet, dass wir keine Kontrolle darüber haben, wie z.B. im Falle eines) zwanghaften Lügners oder bei zwanghaftem Essen. Hier im Zusammenhang mit Karma muss das Zwanghafte sowohl mit positivem als auch mit negativem Verhalten verbunden sein. Es geht also nicht nur um zwanghaftes Lügen oder Stehlen oder so etwas in der Art. Auch ein zwanghafter Perfektionist ist höchst neurotisch – „Ich muss perfekt sein; ich muss gut sein.“ Das basiert auf einem übergroßen „ich“. Es gibt Menschen, die zwanghaft ihre Wohnung sauber machen, sich zwanghaft die Hände waschen. Saubermachen oder Händewaschen ist etwas Nützliches, es gibt nichts daran auszusetzen, aber in dem Fall ist es ein Verhalten, das völlig außer Kontrolle geraten und sehr neurotisch ist. Das gleiche gilt, wenn man zwanghaft andere korrigiert.

Zwanghaftigkeit – darum geht es beim Karma. Das ist es, wovon beim Karma die Rede ist. Was wir loswerden wollen, ist diese Zwanghaftigkeit. Es ist nicht so, dass wir aufhören wollen, überhaupt etwas zu tun. Lassen Sie das erst einmal sacken, denn vielleicht ist das neu für einige.

Diese Bedeutung entspricht der Definition. Darauf kommt es an. Man erhält eine Definition und dann versucht man herauszufinden, was damit gemeint ist. Wenn uns danach ist, zu lügen, oder danach ist, zum Kühlschrank zu gehen, so ist dieses Gefühl etwas, das aus karmischen Tendenzen gereift ist. Es ist einem danach, etwas zu tun; man will das tun. Karma ist also die Zwanghaftigkeit, die uns dann zum Handeln treibt. Erst ist einem danach, etwas zu tun, der Drang treibt einen dann zum Handeln und man tut es.

Die klassische Darstellung von Karma hier auf der anfänglichen Ebene des Lam-rim lautet, dass das Problem, d.h. die Ursache für unser Leiden des Leidens, unser fehlendes Gewahrsein in Bezug auf Ursache und Wirkung unseres Verhaltens ist. Uns ist nicht klar, dass unser Unglücklichsein und Leiden aus destruktivem Verhalten hervorgegangen ist. Wir wissen es einfach nicht oder wir haben eine falsche Betrachtungsweise, etwa, dass es aus dem Nichts entstanden ist oder was auch immer. Und nun arbeiten wir daran, die erste Ebene dieser Unwissenheit – des fehlenden Gewahrseins in Bezug auf Ursache und Wirkung von Verhalten – zu beseitigen. Wir reden hier nicht von Ursache und Wirkung in dem Sinne, dass man einen Ball anstößt und er dann nach dort drüben rollt, sondern es geht um Ursache und Wirkung im Zusammenhang mit unserem Verhalten und dem, was wir erleben.

Die klassische Darstellung lautet: „Ich möchte nicht unglücklich sein, ich möchte kein grobes Leiden erleben, und ich verstehe, dass so etwas aus destruktivem Verhalten herrührt. Wenn mir danach ist, destruktiv zu handeln – und dieser Impuls wird aufgrund früherer Ursachen auftauchen -, werde ich deshalb nicht danach handeln. Ich werde mich davon zurückhalten.“ So lautet die Standard-Lehre dieser anfänglichen Ebene, auf der man sich mit Karma befasst. In Berlin bin ich seit einer Weile dabei, ganz, ganz langsam den Lam-rim zu unterrichten, indem ich hauptsächlich Tsongkhapas Werk „Lam-rim chen-mo „Eine umfassende Darstellung der aufeinander folgenden Stufen des Pfades“ durchgehe; wir sind jetzt seit über vier Jahren einmal in der Woche damit beschäftigt, und als wir zu dem Abschnitt über Karma kamen, habe ich die Teilnehmer gefragt: „Warum lügen Sie nicht? Warum betrügen Sie nicht? Was ist der Grund dafür?“

Gründe dafür, dass man nicht destruktiv handelt

Bitte erforschen Sie das einen Augenblick für sich selbst. Vielleicht lügen, betrügen und schikanieren Sie ja; aber wenn nicht, warum tun Sie es nicht? Ist es deshalb, weil Sie fürchten, infolgedessen schlimmere Wiedergeburten zu erleben und unglücklich zu sein, und halten Sie sich deshalb davon zurück? Seien Sie ehrlich zu sich. Was ist der Grund dafür, dass wir nicht betrügen und anderen schaden?

Wir möchten nicht, dass andere schlecht von uns denken.

Wir möchten nicht, dass andere Menschen schlecht über uns denken – wenn wir also ungeschoren davonkommen würden und niemand davon wüsste, dann wäre es o.k.?

Es hat einfach keinen Sinn zu lügen, denn es spielt keine Rolle, ob jemand davon erfährt oder nicht – es würde nur kurzfristige Vorteile bringen. Langfristig wird das nicht funktionieren.

Gut, Sie haben also einen gewissen Glauben hinsichtlich Ursache und Wirkung.

Und ein gewisses Schuldgefühl, weil ich mir selbst gegenüber ein schlechtes Gefühl habe.

„Weil ich mir selbst gegenüber ein schlechtes Gefühl habe“- gut, das bringt uns allmählich in Richtung dessen, was auch die Teilnehmer in jenem Langzeit-Kurs geantwortet haben.

Jetzt kommen wir der Sache näher.

Jetzt kommen wir der Sache näher. Möchte noch jemand antworten?

Ich lüge nicht, weil ich nicht möchte, dass andere mich anlügen.

Richtig, ich lüge nicht, weil ich nicht möchte, dass andere mich anlügen. Das führt mehr in Richtung der tatsächlichen Dharma-Lehre, nämlich, dass eines der Resultate von Lügen darin besteht, das andere uns anlügen. Als Resultat davon, dass man betrügt, werden andere uns betrügen. Das Resultat davon, andere ständig zu unterbrechen und Unsinn zu reden, ist, dass uns niemand ernst nimmt.

Wunderbar; wenn wir das ganz aufrichtig empfinden, dass wir die Folgen nicht wollen, keine Probleme schaffen wollen usw. – schön, das entspricht ganz und gar den Dharma-Lehren. Was ich jedoch von meinen Schülern gehört habe und auch in Bezug auf mich selbst sagen kann, ist meistens die Antwort: „Es fühlt sich einfach nicht richtig an.“ Es fühlt sich nicht richtig an, zu lügen, zu betrügen, ein garstiger Mensch zu sein. Eine ganz einfache Antwort, aber sehr tiefgehend. Man fühlt sich unwohl. Würden Sie dem zustimmen?

Nun bringen wir den Begriffsrahmen der 51 Geistesfaktoren mit ein und schauen, welcher davon diesem Gefühl entspricht. Wie würden wir dieses Phänomen „Es fühlt sich einfach nicht richtig an“ beschreiben? Wir stoßen auf einen Geistesfaktor, der „das Gefühl moralischer Selbstachtung (tib. ngo-tsha shes-pa) genannt wird, d.h. wir achten darauf, was uns geschehen wird und was für Auswirkungen unser Verhalten für uns hat. Es ist ein Gefühl für die eigene Würde. „Ich habe genügend Selbstachtung, dass ich mich nicht so weit erniedrige, derart zu handeln. Ich halte mehr von mir. Es fühlt sich nicht richtig an, so gemein zu handeln.“

In Vasubandhus Text „Abidharmakosha” („Ein Schatzhaus spezieller Themen des Wissens“) finden wir die Aussage, dass dieser Geistesfaktor jedes konstruktive Verhalten begleitet. Wir handeln destruktiv, wenn er nicht vorhanden ist, sondern vielmehr das Gegenteil davon, nämlich kein Gefühl von Selbstachtung. Es ist uns egal, was solches Verhalten über uns aussagt. Hier wird unser Verhalten also nicht so sehr von dem beeinflusst, was andere von uns denken, sondern von dem, was wir selbst von uns denken. Dass wir uns selbst achten, bedeutet, dass ein sehr gesundes Gefühl für das konventionelle „ich“ vorhanden ist. Sie können hier die Folge der Entwicklung einer zunehmend positiven Einstellung zu sich selbst erkennen. Das ist es, was ich mit dem westlichen Ausdruck „ein gesundes Ichgefühl“ beschreibe. Denken Sie darüber nach.

Video: Dr. Chönyi Taylor — „Mit dem Schamgefühl bezüglich der Sucht umgehen“ 
Um die Untertitel einzublenden, klicken Sie auf das Untertitel-Symbol unten rechts im Video-Bild. Die Sprache der Untertitel kann unter „Einstellungen“ geändert werden.

Der zweite Geistesfaktor, der jedes konstruktive Verhalten begleitet, spielt wahrscheinlich in asiatischen Gesellschaften eine erheblich größere Rolle. Wir müssen untersuchen, wie relevant er für uns ist. Es handelt sich darum, dass wir darauf achten, welches Licht unsere Handlungen auf andere werfen (tib. khrel-yod). Asiaten denken normalerweise an sich selbst nicht als Individuen, sondern als Teil einer Familie usw.; von Belang ist also: „Meine Handlungsweise wirkt sich auf die Ehre meiner ganzen Familie aus. Ich will der größeren Einheit, der Familie, keine Schande machen oder ihr einen schlechten Ruf verschaffen.“ Es kann auch um das Dorf gehen, in dem man wohnt, oder man könnte von Loyalität gegenüber einem Land sprechen – etwa im Hinblick darauf, was die anderen von den Lettländern denken werden oder von den Deutschen oder den Amerikanern oder den Buddhisten, wenn ich mich auf eine bestimmte Weise verhalte. Dieser Geistesfaktor gehört gemäß Vasubandhu zum Geisteszustand der Zurückhaltung von destruktivem Handeln – und „sich von destruktivem Verhalten zurückhalten“ ist die Definition von „konstruktivem Verhalten“.

Wie gesagt, ich frage mich, wie weit verbreitet dieser Geistesfaktor in westlichen Gesellschaften ist, wo ja eine starke Betonung des Individuums vorherrscht, und ob er hier an jedem konstruktiven Verhalten beteiligt ist. Das muss man für sich selbst untersuchen. Gibt es ein weiter gefasstes Gefühl von gesundem konventionellem „ich“, das im asiatischen Kontext unsere gesamte Familie umfasst, und das im Rahmen dieser Überlegungen auch für uns von Bedeutung ist? Gibt es überhaupt eine größere Einheit, die wir als Teil unserer Identität empfinden? Ich denke, das ist eine persönliche Angelegenheit, aber es ist interessant zu überlegen, inwiefern dies für einen selbst von Bedeutung ist.

Wenn Sie eine Frau sind, könnte es zum Beispiel der Gedanke sein, welches Licht ein bestimmtes Verhalten auf die Frauen wirft. Sie könnten die Einstellung haben: „Wenn eine Frau sich so oder so verhält, haben die Menschen diese schrecklich niedrige Einschätzung von Frauen; deswegen muss ich mich auf eine Art und Weise verhalten, die Frauen gesellschaftlichen Respekt einbringt, damit sie gleichberechtigt behandelt werden.“ Das könnte ein Faktor sein, der Ihr Verhalten beeinflusst. Möglicherweise sind wir uns noch nicht einmal darüber im Klaren, wie wichtig dies für unser ethisches Verhalten ist.

Ich schätze, in unserem Fall ist es wahrscheinlich so, dass für diejenigen, die mehr mit Buddhismus zu tun haben, der Gedanke eine Rolle spielt, was die Leute über das Verhalten von Buddhisten denken werden.

Richtig, was würden die Leute über das Verhalten von Buddhisten denken? Oder: Was würden die Leute von einer kleinen Nation wie Lettland denken? Man weiß, dass alle Welt denkt: „Ach, dieses kleine unbedeutende Land, was kann das schon bewerkstelligen?“, und deshalb ist man vielleicht motiviert von der Erwägung: „Wenn ich Erfolg habe, wenn ich etwas tue, das wirklich kompetent und ehrenwert ist, wird es ein entsprechendes Licht auf mein Land werfen.“ Wie gesagt, dieser Aspekt kann bei unterschiedlichen Menschen verschieden sein.

Jedenfalls ist das, was wir daraus entwickeln, eine Verantwortlichkeit für unsere Handlungen. Das baut ein gesundes Ichgefühl auf – in Bezug auf die Art wie wir handeln, wie wir sprechen, wie wir denken, entsteht ein Verantwortungsgefühl. Sie wissen: „Ich möchte nicht unglücklich sein, ich möchte glücklich sein, nicht nur jetzt, im Sinne unmittelbarer Wunschbefriedigung, sondern auch in Zukunft. Ich bin bereit, die unmittelbare Wunschbefriedigung aufzuschieben, um zukünftiges Glück zu gewährleisten“ – wenn wir das mit einem modernen Beispiel veranschaulichen wollen: etwa so, wie man Ersparnisse für das Alter anlegt oder nur kauft, was man sich leisten kann und nicht alles Mögliche auf Kredit kauft, damit man sich keine Sorgen über die Rückzahlung von Schulden machen muss und sich ggf. zu ruinieren.

Es ist also das Verantwortungsgefühl, beruhend auf einem gesunden Ichgefühl das mich zur Zurückhaltung von destruktivem Handeln veranlasst. Dieses Verantwortungsgefühl geht aus dem Wissen hervor, dass ich die Folgen meines Verhaltens – ich meine, das ist die primäre Sorge: dass ich die Folgen meines Verhaltens erleben werde. Dafür muss ich verstehen, dass ich mich schlechter fühle, wenn ich betrüge, lüge und anderen Probleme mache, und zwar nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft. Ich fühle mich schlecht.

Ein sehr gutes Beispiel dafür ist zwanghaftes Sich-Sorgen-Machen. Sind Sie glücklich, wenn Sie sich Sorgen machen? Nein, ganz und gar nicht. Und es ist ein längerfristiges Unglücklichsein; es kann zu Depressionen führen. Man macht sich zwanghaft die ganze Zeit Sorgen, und das wiederholt sich immer wieder. Dafür übernehmen wir jetzt die Verantwortung: „Ich will das vermeiden; ich will damit aufhören.“ Das mag vielleicht nicht einfach sein; zwanghaftes Verhalten ist sehr schwer zu beenden. Und es erfordert Selbstbeherrschung.

Selbstbeherrschung üben

Darin besteht die ganze Strategie auf dieser anfänglichen Ebene des Lam-rim: Selbstbeherrschung zu üben. Wenn mir danach ist, destruktiv zu handeln, weiß ich, dass das selbstzerstörerisch sein wird, es wird nur noch mehr Probleme einbringen, und ich übe, mich zu beherrschen, sodass ich nicht blindlings ausagiere, wonach mir gerade ist. Wenn Sie je versucht haben, Diät zu halten, wissen Sie, wovon ich rede. Man nimmt sich vor, eine Diät einzuhalten – weil man abnehmen will oder aus gesundheitlichen Gründen oder weil man besser aussehen will oder warum auch immer. Aber bloß dass man sich entschieden hat, Diät zu halten, heißt noch lange nicht, dass man nicht mehr den Drang hat zu essen. Man wird den Drang haben zu essen. Das ist dann die Reifung der früheren karmischen Gewohnheiten: Man wird an der Bäckerei vorbeikommen und den Kuchen sehen und das Gefühl haben, dass man zu gern ein Stück von diesem Kuchen hätte. Dieses Gefühl wird automatisch aufkommen. Das ist das Reifen von Karma. Auf dieser Stufe wird man nicht imstande sein, das loszuwerden. Machen Sie sich also deswegen keine Vorwürfe. Worum es geht, ist, in dem Moment, wenn uns danach ist, den Laden zu betreten und den Kuchen zu kaufen, Selbstbeherrschung zu üben und es nicht zu tun. Gehen Sie nicht einfach zwanghaft hinein und kaufen ihn oder öffnen den Kühlschrank.

Das ist nicht einfach, oder? Aber wovon hängt Selbstbeherrschung ab? Sie hängt nicht nur von unserem unterscheidenden Gewahrsein in Bezug darauf ab, was zuträglich und was schädlich ist. Wir wissen: „Wenn ich destruktiv handle, wird das zu Problemen führen“; wir unterscheiden also. Ich weiß, man könnte sagen: „Das ist mir schon klar, aber ich kann mich nicht beherrschen.“ Das kommt vor, nicht wahr? Sie wissen schon: „Es ist mir klar, dass ich nicht rauchen sollte, und ich versuche ja, es aufzugeben, aber ich verspüre immer noch den Drang, eine zu rauchen.“ Dieses Gefühl, dieser Wunsch, wird aufkommen. Zusätzlich zu dem Wissen, was zuträglich und was schädlich ist, brauche ich dieses gesunde Gefühl von einem „ich“. Um Selbstbeherrschung üben zu könne, ist es erforderlich, dass ich diese Selbstachtung habe, dieses positive Gefühl gegenüber mir selbst, und darauf beruhend die Willenskraft des konventionellen Selbst, das „ich“ bin, aufbringen kann.

Die Raucher hier im Raum sehen aus, als ob ihnen jetzt sehr unbehaglich zumute ist, und werden ganz rot im Gesicht. Jedenfalls meine ich, es stimmt tatsächlich, dass wir Selbstkontrolle und Willenskraft nur dann auf wirklich förderliche Weise aufbringen können, wenn wir diese sehr positive Einstellung gegenüber uns selbst haben – dieses Gefühl von Selbstachtung. Andernfalls – Sie kennen das: „Ach, das ist mir egal.“ Wenn es einen nicht kümmert, übt man keine Selbstbeherrschung. Man hat keine Willenskraft. Es ist sehr interessant zu untersuchen: Was stärkt denn die Selbstbeherrschung und die Willenskraft?

Wir müssen hier allerdings ein bisschen vorsichtig sein, denn obgleich wir ein gesundes Gefühl für dieses konventionelle „ich“ aufbauen, um Selbstbeherrschung usw. üben zu können, kann das auch ein übersteigertes Selbstgefühl verstärken. Während wir also unser konventionelles „ich“ aufbauen – und wir haben inzwischen bereits einige Anstrengung darauf verwandt -, können wir nun anfangen, nach einem übersteigerten Selbstgefühl Ausschau zu halten. Das übersteigerte Selbstgefühl bezieht sich auf das Selbstbild, dass „ich hätte imstande sein sollen, mich zu beherrschen“, das Selbst, das diese Kraft der Selbstbeherrschung haben sollte und könnte, und weil ich sie nicht hatte, bin ich schuldig. Das ist ein übersteigertes Gefühl von „ich“ – es entspricht der Art von Person, die sich wie ein Polizist überwacht, um sich zu kontrollieren, und dann vollkommen rigide wird usw. Das ist ungesund. Wenn einem dann ein Ausrutscher passiert und man diese Selbstbeherrschung nicht aufbringt, fühlt man sich total schuldig – „Ich hätte imstande sein sollen, mich zu beherrschen“ – und ohrfeigt sich innerlich.

Wenn wir allerdings die Lehren anschauen und die Beispiele, die darin genannt werden, können wir darauf kommen, wie leicht man in dieses Extrem verfallen kann. Ich denke da an das Beispiel von Benküngyal – so lautet der tibetische Name -, der am Ende jedes Tages eine kleine Sammlung von schwarzen und weißen Steinen hervorholte und jeden Tag Rückschau hielt auf all die negativen Gedanken und die destruktiven Handlungen, die er begangen hatte. Dafür legte er jeweils einen schwarzen Stein hin und für jede konstruktive Aktivität einen weißen Stein. Wenn mehr schwarze als weiße Steine zusammenkamen, schalt er sich, und wenn die Weißen überwogen, gratulierte er sich und fasste den Entschluss, es in Zukunft noch besser zu machen. Nun ja, das könnte zu einer ziemlich dualistischen Haltung führen, nicht wahr?

Diese Art von Selbstüberprüfung am Ende des Tages ist natürlich sehr hilfreich, wenn uns nicht bewusst ist, was in unserem Leben abläuft. Wie oft handeln wir konstruktiv oder destruktiv? Insofern ist das hilfreich, aber seien Sie vorsichtig, dass Sie nicht in das Extrem verfallen: da ein festes „ich“: der Polizist, und hier das „ich“, das vor Gericht steht. Das ist eine dualistische Betrachtungsweise. Ein großer Meister hat gesagt: Wenn wir unser Leben ehrlich überprüfen, um zu sehen, wie viele Male in unserem Leben wir ärgerlich und garstig und unfreundlich gewesen sind, und wie viele Male in unserem Leben wir wirklich gütig waren und etwas Förderliches für andere getan haben – eine Art Liste darüber aufstellen -, dann wird ziemlich klar, wohin wir in künftigen Leben gelangen werden.

All das das dient einer grundlegenden Einschätzung, um uns dazu zu motivieren, etwas zu tun. Die Entwicklung von Selbstbeherrschung und Willenskraft, beruhend auf unterscheidendem Gewahrsein – also eine korrekte Einschätzung, wie wir gehandelt haben – muss mit einem gesunden Gefühl von „ich“ stattfinden. Und halten Sie Ausschau nach jenem übersteigerten Gefühl von „ich“. Bitte denken Sie darüber nach.

Gut, ich wollte hier nur darauf hinweisen, worauf wir achtgeben müssen, aber eigentlich wird in dieser anfänglichen Phase der Entwicklung eines gesunden Selbstgefühls durch den Lam-rim die Ausübung von Selbstbeherrschung und Willenskraft zweifellos auf dem Gefühl eines übersteigerten „ich“ beruhen, der Einstellung: „Ich muss das steuern“. Auf der mittleren Ebene werden wir uns dann speziell mit dieser Angelegenheit (dem übersteigerten Gefühl von „ich“) befassen. Am Anfang ist es ganz natürlich, dass wir auf diese Weise an die Sache herangehen. Okay? So fangen wir an. Und dann müssen wir die Art und Weise, wie wir Selbstdisziplin üben, verfeinern.

Fragen

Untersuchung karmischer Tendenzen

Die Geschichte mit der Bäckerei – wenn wir schon an der Bäckerei vorbeigehen, den Duft des Kuchens riechen und sehen, wie er aussieht – dann ist die Sache gelaufen, an dem Punkt können wir nichts mehr machen, nicht wahr? Was gibt es für Strategien, an so etwas heranzugehen? Vielleicht einen anderen Weg wählen, vielleicht etwas anderes – was würden Sie vorschlagen?

Thogme Zangpo schreibt in dem Text „37 Bodhisattva-Praktiken“ über die Situation, in der ein Bodhisattva seine Heimat verlässt. „Wenn sehnsüchtiges Verlangen uns in eine Richtung zieht und Ärger uns veranlasst, uns destruktiv zu verhalten …“ – ich habe den genauen Wortlaut vergessen, aber der Sinn ist: Wenn eine Situation so stark auf uns einwirkt, dass sie zu einem Umstand dafür wird, störende Emotionen anzufachen und wir nicht dagegen ankommen, ist es ratsam, sie zu vermeiden. Das löst das Problem zwar nicht, aber zumindest verschafft es uns einstweilen eine Auszeit, sodass wir an dem Problem arbeiten können.

Wenn wir mit solch einer Situation konfrontiert sind und uns eine Auszeit davon nehmen und vermeiden, was die störenden Emotionen und das zwanghafte Verhalten auslösen würde, müssen wir die Angelegenheit untersuchen. Sie haben gefragt: Wie geht man an so etwas heran; und so versuche ich, darauf zu antworten: Wir nehmen uns eine Pause und versuchen zu analysieren und zu erkennen, was vor sich geht. Wie ich gestern schon erwähnt hatte, ist die Untersuchung von Ursachen und Umständen hier überaus hilfreich. Erinnern Sie sich: Es geht darum, zu erkennen, dass die jeweilige Situation, in der wir uns befinden, zwar einerseits aufgrund von karmischen Ursachen entstanden ist, aber auch aufgrund von zahlreichen Umständen.

Wir müssen also erkennen, dass es vielerlei Umstände gibt, die die karmische Tendenz, zu viel zu essen, den Kuchen zu kaufen usw. hervorrufen. Es wird viele Umstände geben, die dazu führen, dass diese Tendenz zu dem Gelüst heranreift, Kuchen zu essen. Einer dieser Umstände ist der äußere Anreiz, dass der Kuchen direkt vor uns steht und er uns angeboten wird – das macht die Sache noch schlimmer. Wenn wir die Angelegenheit untersuchen, erkennen wir, dass überaus viele Ursachen und Umstände damit zu tun haben, warum uns nach Essen zumute ist: eine Art sozialer Druck – wenn z.B. Kuchen aufgetischt wird und alle davon essen, dann besteht ein gewisser sozialer Druck, sich ein Stück zu nehmen; es kann sein, dass wir eine Diät machen, aber wir sind hungrig; auch die ökonomische Situation, dass es jetzt mehr Kuchen gibt als zu Sowjetzeiten, kann dazu beitragen – es gibt viele, viele Umstände, die hier eine Rolle spielen, nicht nur die karmische Tendenz, zu viel zu essen, und die starke Tendenz zu sehnsüchtigem Verlangen nach Sinnesgenuss.

Solche Untersuchungen anzustellen hilft uns, eines der Hindernisse zu überwinden, nämlich dieses übersteigerte Gefühl von „ich“, das ich schon erwähnt habe: „Ich sollte das im Griff haben, aber ich schaffe es nicht“; „Ich habe so ein schlechtes Gewissen, dass ich am liebsten weglaufen würde“ – Sie wissen schon, diese Art von Gefühl, und dann nehmen wir uns eine kleine Auszeit, haben aber während dieser Zeit uns selbst gegenüber einfach nur ein schlechtes Gefühl. Daran müssen wir arbeiten. Diese Auszeit ist keine Strafe – wir könnten das Gefühl haben, sie wäre eine Bestrafung; das wäre eine sehr ungesunde Betrachtungsweise: „Ich bin nicht gut genug, um da bleiben zu können und mit den Bäckereien zurechtzukommen, zu blöd, ich muss weggehen.“ Es ist ein sehr niedriges Selbstwertgefühl, das daran beteiligt ist.

Wir müssen also daran arbeiten, dieses übersteigerte Gefühl von „ich“ etwas abzubauen, nämlich die Einstellung, dass das alles nur passiert, weil ich nicht gut genug bin, weil ich mich nicht beherrschen kann. Wir befassen uns damit und erkennen, dass die Fähigkeit, sich zu beherrschen, und das Gelüst zu essen usw. auf vielen Ursachen und Umständen beruhen. Die Tatsache, dass all das auf so vielen Ursachen und Umständen beruht, enthebt uns nicht ganz und gar der Verantwortung, stellt die Situation aber in eine umfassendere Perspektive.

Ich denke, ein klares Beispiel, das einfacher zu verstehen ist, ist Folgendes: Nehmen wir an, wir würden wir uns in einer ungesunden Beziehung zu jemandem befinden, würden ständig mit unserem Partner streiten und uns gegenseitig mit Worten und psychologisch verletzen, und könnten damit nicht umgehen. Die beste Strategie in diesem Fall ist, sich zu trennen, diesen Menschen zu verlassen. Das ist die gleiche Strategie wie in dem Beispiel mit der Bäckerei. Wir müssen das Zusammentreffen der beteiligten Faktoren unterbrechen, indem wir die Situation verlassen; aber wenn wir dann in der Einstellung verharren: „Das war alles mein Fehler“ oder „Das war alles dein Fehler“ und einfach daran festhalten, wird es nicht leicht sein, sich von der Situation zu erholen, und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass wir in unserer nächsten Beziehung in ähnliche Muster geraten.

Man hat keinen Kuchen da, also wird man nicht zwanghaft Kuchen essen, man wird zwanghaft irgendetwas anderes essen. Man hat sich nicht mit dem Problem auseinandergesetzt. Auch wenn wir uns aus einer ungesunden Beziehung zurückziehen, müssen wir wiederum Untersuchungen anstellen: „Ich verhalte mich aufgrund eines riesigen Spektrums von Ursachen und Umständen auf diese Weise. Die andere Person handelt ebenfalls aufgrund eines riesigen Spektrums von Ursachen und Umständen ihrerseits, und das Ganze findet in einem Umfeld statt, in einer Gesellschaft, einer bestimmten zeitlichen und ökonomischen Situation, die gleichfalls aufgrund Millionen von Ursachen und Umständen zustande gekommen ist.“ Man zerlegt das Ganze in seine Bestandteile; es ist nicht die Schuld einer bestimmten Person, obgleich man verantwortlich für sein Handeln ist. Es geht also um ein gesundes Gefühl für das konventionelle „ich“, nicht um das übersteigerte Gefühl, dass alles nur mein Fehler oder dein Fehler wäre.

Indem wir die ungesunde Beziehung verlassen, lösen wir das Problem vielleicht gar nicht, denn wir haben es mit dieser Person nicht gelöst, und wenn wir uns dann aus der Beziehung zurückziehen, lassen wir uns vielleicht auf die nächste ein, die ein ähnliches Muster aufweisen wird, und auf diese Weise werden wir die Situation nicht auflösen.

Deswegen habe ich darauf hingewiesen, dass wir, wenn wir uns eine Auszeit nehmen, uns aus der Situation zurückziehen, diese Zeit nutzen, um die Sache zu analysieren, und versuchen, die eigentliche Realität dessen zu verstehen, was da vor sich ging, und dass das, was vor sich ging, in Abhängigkeit von einer enormen Anzahl an Ursachen und Umständen entstanden ist, und nicht nur aus dem Grund „Du bist ein schrecklicher Mensch“ oder „Ich tauge eben nichts“ oder „Ich habe immer Recht gehabt“ oder welche übersteigerte Betrachtungsweise auch immer wir in Bezug auf uns und die andere Person haben mögen. Wir laufen also nicht bloß weg und geradewegs in die nächste Beziehung. Wir nutzen den Raum, den wir uns dadurch geschaffen haben, um zu analysieren, und versuchen zu verstehen. Wir arbeiten an uns.

Nun könnten wir natürlich an uns arbeiten und dann müssen wir entscheiden, ob wir die Beziehung fortsetzen wollen oder nicht. Es gibt Beziehungen, aus denen man sich zurückziehen kann, ohne dass es Verpflichtungen gibt; aber es gibt auch andere Beziehungen, wie zum Beispiel diejenigen zu den eigenen Eltern oder Kindern, aus denen man sich nicht einfach für immer zurückziehen kann. Man könnte schon, aber das ist wirklich nicht angenehm. Es hängt also von dem jeweiligen Fall ab. Aber wenn wir die Beziehung fortsetzen müssen und uns wieder auf die andere Person einlassen müssen, heißt das nicht, dass diese, nur weil wir an uns gearbeitet haben, auch an sich gearbeitet hat. Damit müssen wir dann also umgehen.

Mir fällt auch das Beispiel eines Freundes von mir ein, der in einem Büro gearbeitet hat, indem es wirklich ziemlich chaotisch zuging und wo schrecklicher Druck herrschte; und er hielt das nicht aus. Er regte sich furchtbar auf, bekam Panikanfälle usw., also kündigte er den Job. Jetzt nimmt er sich eine Auszeit und kann an sich arbeiten, aber wenn er wieder in die Arbeitswelt einsteigt, muss er nicht denselben Job wieder aufnehmen. Es besteht keine Verpflichtung, wieder dorthin zurückzugehen. Doch er sollte nicht erwarten, dass er in einem anderen Büro mit einer anderen Arbeit weitermacht und dass dann alles bestens ist. Das wird nicht der Fall sein; es wird andere Arten von Druck usw. geben. Man muss also realistisch sein – wie Shantideva sagt: Wenn wir mit anderen zu tun haben, müssen wir realistisch sein in Bezug darauf, dass jeder sich kindisch verhält, jeder infantil ist, und man mit großer Geduld damit umgehen muss.

Deswegen arbeiten wir daran, all die Qualitäten zu entwickeln, die wir für Geduld und Beharrlichkeit, Verständnis für andere usw. brauchen, denn die Welt ist voller kindischer Menschen. Das ist ein Grund dafür, Mitgefühl zu entwickeln. Aber um Mitgefühl zu entwickeln, brauchen wir ein sehr gesundes Ichgefühl: „Ich habe das Selbstvertrauen und die Kraft dazu, anderen tatsächlich helfen zu können, mit ihrem Leid umzugehen.“ Doch das muss auf der Grundlage eines gesunden Gefühls von „ich“ beruhen, nicht auf einer übersteigerten fixen Idee, dass „ich die Welt retten werde“.

Entstehung von Tendenzen und Geist des Faktoren

Meine Frage bezieht sich auf die Gedanken. Wo kommen sie her? Z.B. wenn man an der vielzitierten Bäckerei vorbeikommt, kann der Gedanke auftreten: „Ich kann Kuchen kaufen, um mein Verlangen zu stillen“, andererseits aber auch der Gedanke: „Ich kann Kuchen kaufen, um jemandem eine Freude zu machen.“ Oder auch ein ganz anderer Gedanke, der nichts damit zu tun hat, etwa „Heute ist blauer Himmel.“ Wo kommen die Gedanken her und welche Art von Denkprozess wird in die Wege geleitet? Wodurch wird das bestimmt?

Oh, jetzt kommen wir zu einer umfassenderen Untersuchung von Kausalität. Im Buddhismus ist die Rede von etwas, was ich gern als „Tendenzen“ übersetze. Wörtlich lautet der Begriff „Same“, aber wir sollten das nicht im Sinne physischer Samenkörner verstehen, die in unserem Geist gesät werden. Ich denke, das ist eine vereinfachte Analogie, um das in ländlichen Gegenden verständlich zu machen. Wir haben seit anfangsloser Zeit enorm viele verschiedene Tendenzen aufgebaut. Es gibt also karmische Tendenzen, die aus unserem Verhalten entstehen, und sie setzen sich fort, indem einem danach ist, eine bestimmte Verhaltensweise zu wiederholen, wörtlich: in dem Wunsch, sie zu wiederholen. Zudem reifen sie zu einem Gefühl von Glück oder Unglücklichsein; und sie reifen zu der Erfahrung, dass andere Menschen sich uns gegenüber ähnlich verhalten.

Wenn man Kuchen kauft, kommt zuerst der Gedanke auf, dass man Kuchen kaufen möchte, und dann der Antrieb, tatsächlich in den Laden zu gehen und ihn zu kaufen. Es gibt also eine Abfolge, und zuerst kommt der Gedanke, der geistige Impuls des Drangs in dem Gedanken, in den Laden zu gehen und den Kuchen zu kaufen. Doch unsere verschiedenen Geistesfaktoren werden ebenfalls am System der Tendenzen mitwirken, etwa der Geistesfaktor Großzügigkeit oder der Geistesfaktor Gier: sehnsüchtiges Verlangen. All diese Faktoren werden nicht ständig und unablässig zur Reife kommen, sondern nur manchmal.

Jede dieser Tendenzen – die Tendenz dafür, dass der Geistesfaktor Großzügigkeit auftritt, die Tendenz dafür, dass der Geistesfaktor Gier auftritt oder einfach der Geistesfaktor des geistigen Abschweifens zu belanglosen Dingen, der aus sinnlosem Geschwätz entsteht, usw. – wird mit jeweils unterschiedlicher Stärke aufkommen, je nachdem wie oft und mit welcher Intensität wir die entsprechende Verhaltensweise ausgeführt haben. Es gibt 13 Variablen, die die Stärke dieser Dinge beeinflussen.

Es gibt viele Faktoren und Umstände, die daran beteiligt sind, warum eine bestimmte Tendenz zu dieser Zeit reift. Es muss ein bestimmter Umstand dafür vorhanden sein. Das kann etwas völlig Unpersönliches sein wie etwa das Wetter: Es regnet, man möchte dem Regen entkommen, und der nächstliegende trockene Ort ist die Bäckerei. Also betritt man den Laden – das ist ein möglicher Umstand -; und dann sieht man den Kuchen und möchte ihn gern haben. Unter anderen Umständen wäre man einfach vorbeigegangen.

Ich musste gerade lachen, weil ich an meine eigene Situation gedacht habe. Ich hatte karmisch eine sehr starke Beziehung zu Tibet, und ich mag sehr gern tibetisches Essen, vor allem Momos, diese Teigtaschen mit Fleisch. Dann zog ich nach Berlin in die Wohnung eines Freundes, die ich vorher noch nicht einmal gesehen hatte – es hatte sich einfach die Gelegenheit ergeben, vorübergehend diese Wohnung mit einem Freund zu teilen, und ich hatte zugestimmt, ohne sie anzuschauen. Und was glauben Sie, in was für einer Wohngegend ich landete? In einer Straße in unmittelbarer Nachbarschaft von vier Restaurants mit tibetischem Essen – tibetische Momos ganz in der Nähe der Wohnung, ein paar Schritte zu Fuß entfernt. Wie konnte das angehen? Nicht nur eins – gleich vier! Nicht zu fassen! Also wenn das kein Beispiel für das Reifen irgendeines Karmas für die fortgesetzte Erfahrung ist, weiterhin tibetisches Essen zu bekommen … In einem der Restaurants gibt es sogar tibetischen Tee. Einfach unglaublich.

Also, was ich sagen wollte: Ob man in den Laden geht, ob Großzügigkeit auftritt und einem einfällt, für jemand anderen Kuchen zu kaufen, oder einfach bloß geistiges Abschweifen auftritt – das alles hängt von der Stärke der jeweiligen Tendenz für diese Art von Geistesfaktor oder Gedankenverlauf ab und außerdem davon, welche äußeren Umstände vorhanden sind, die dazu beitragen. Alles, was geschieht, entsteht in Abhängigkeit von der Kombination all dieser Dinge und davon, was davon stärker und was schwächer ist.

Intuition

Manchmal wird eine Wahl aus Intuition getroffen. Was ist Intuition im Buddhismus?

Intuition ist im Grunde das, wonach man sich fühlt, oder? Sie kommt einfach irgendwie auf, und zusammen mit der Intuition besteht ein bestimmtes Maß an Gewissheit, je nachdem, wie sehr wir auf Intuition vertrauen. Es gibt verschiedene Bereiche, hinsichtlich derer wir Intuition haben können. Es ist nicht ganz einfach, das zu analysieren. Wir können z.B. intuitiv darauf kommen, wie etwas zu reparieren ist – etwa, wenn etwas mit dem Computer nicht in Ordnung ist und wir intuitiv wissen, welche Tasten zu drücken sind. Aber das beruht im Grunde auf früherer Erfahrung mit anderen Geräten und Mechanismen, nicht wahr? Wir wissen vielleicht nicht genau, wie wir mit diesem speziellen Computerproblem umgehen sollen, aber auf intuitive Weise bekommen wir es heraus aufgrund von Kenntnissen und Erfahrungen mit ähnlichen Dingen.

In der Darstellung von Karma heißt es: Es gibt bestimmte Handlungen, die ausgeführt werden, nachdem man sie sich zuvor überlegt hat, und andere, die nicht überlegt sind. „Nicht überlegt“ bedeutet: „Ich habe nicht darüber nachgedacht, was ich tun werde – ob ich dies oder jenes tue.“ Man tut es einfach, und darum würde man vielleicht sagen: Man tut es intuitiv. Es ist keine Handlung, die man sich überlegt hat oder über die man nachgedacht hat und vorher bewusst erwogen hat. Aber sie beruht natürlich auf früheren Erfahrungen.

Aber wenn wir intuitivedas Gefühl haben, dass es regnen wird – eine Intuition, die zukünftige Geschehnisse betrifft – das ist ein bisschen schwieriger zu analysieren. Etwa: Ich habe so eine Ahnung, dass jemand mich anrufen wird, und dann ruft er tatsächlich an – so etwas in der Art. Ich weiß nicht, ob Sie das je erlebt haben – ich habe das jedenfalls schon erlebt: Ich dachte an jemanden und dann rief er an. Wir blasen uns dann natürlich nicht auf, als wäre das so etwas wie im „Krieg der Sterne“ – „Verbinde dich mit der Kraft, Luke; du wirst mich jetzt anrufen!“ Also das tun wir nicht – „die Kraft“ benutzen, meine ich, um jemanden dazu zu bringen, uns anzurufen.

Aber ich weiß nicht, wo das herkommt, denn manchmal kann man sich darauf verlassen, manchmal nicht. Beruht so etwas auf einer Art Folgerung? Beruht es auf einer Art telepathischer Verbindung? Ich weiß es nicht, aber ich denke ganz bestimmt nicht, dass ich die andere Person veranlasse, mich anzurufen. Solche Fähigkeiten haben wir auf unserer Stufe nicht. Man kann Einfluss ausüben – wenn man enorm hoch entwickelte Konzentration und Kräfte hat, hat man die Fähigkeit, Leute zu beeinflussen; aber auf dieser Ebene sind wir gewiss nicht.

Manchmal, wenn wir mit jemandem intensiv kommunizieren, passiert es, dass wir uns gegenseitig zur gleichen Zeit anrufen, ohne uns vorher abgesprochen zu haben. Es scheint, als würden manche Menschen zu solch einer synchronisierten Handlungsweise kommen, dass es fast selbstverständlich ist, dass so etwas vorkommt.

Ja – was ist das? Man kann zum Beispiel zwei Affen so schulen, dass sie gleichzeitig dasselbe tun. Dabei handelt es sich um eine Art von Schulung, nicht wahr? Wenn man gewohnt ist, eine Menge zu kommunizieren und sich miteinander zu unterhalten usw., besteht irgendwann die Wahrscheinlichkeit, dass man zur gleichen Zeit die Kommunikation aufnimmt. Das wird, statistisch gesehen, vorkommen. Daraus eine New-Age-Ideologie zu machen – „Wir sind auf der gleichen Frequenz“ usw. – ist meiner Meinung nach etwas übersteigert. Aber solche Dinge passieren. Wir sind z.B. so vertraut mit jemandem, dass es wahrscheinlich ist, dass uns gleichzeitig danach ist, zu kommunizieren. Das ist nicht ungewöhnlich.

Ich bin ein großer Anhänger der Aussage, die einer meiner Lehrer immer betont hat – er pflegte zu sagen: „Nichts Besonderes.“ Wir haben uns gleichzeitig angerufen – nichts Besonderes. Wir machen keine große Sache daraus – „Ooh, das ist Magie! Wir sind füreinander bestimmt“ und all das.

Es scheint so natürlich zu sein …

Richtig, es scheint so natürlich zu sein, und folglich nichts Besonderes. Nehmen Sie es einfach hin, dass es so ist. Zum Problem wird es natürlich, wenn wir es dann erwarten – und wenn wir davon ausgehen, dass das immer geschieht und es dann nicht der Fall ist, dann gibt es ein Problem. Die Einstellung: „nichts Besonderes“ ist hier also ganz hilfreich.

Top