Stellenwert der Wiedergeburt im Buddhismus

Bedeutung der Wiedergeburt im Kontext des Lamrim

Heute Abend werden wir über Wiedergeburt sprechen, ein Thema, das für den Buddhismus von zentraler Bedeutung ist. Ich denke es sehr wichtig, sich darüber bewusst zu sein. Warum ist diese Thema so wichtig? Lassen sie uns einige der Gründe hierfür untersuchen.

Betrachten wir den Lamrim – den Stufenpfad zur Erleuchtung, oder, spezifischer, die gestuften Formen von Pfadgeist, die zur Erleuchtung führen. Im Lamrim werden die Formen des Pfadgeistes eines Menschen in Bezug auf drei Ebenen der Motivation besprochen. Die erste Ebene der Motivation ist es, sich eine glückliche Wiedergeburt zum Ziel zu nehmen. Wenn wir nicht glauben, dass es Wiedergeburten gibt, warum sollten wir uns dann eine glücklichere Wiedergeburt zum Ziel nehmen? Das würde keinen Sinn ergeben. Auf der zweiten Ebene nimmt man sich die Befreiung zum Ziel. Befreiung wovon? Befreiung von der sich unkontrollierbar wiederholenden Wiedergeburt, denn dies ist, was mit Samsara gemeint ist. Warum sollten wir uns von der Wiedergeburt befreien wollen, wenn wir nicht glauben, dass sie existiert? Es wäre dann überhaupt kein Thema. Wenn wir die fortgeschrittene Ebene der Motivation betrachten, beabsichtigen wir ein Buddha zu werden. Wir streben danach ein Buddha zu werden, um allen anderen Wesen helfen zu können, die sich unkontrollierbar wiederholenden Wiedergeburten zu überwinden und sich von ihnen zu befreien. Auf diese Weise werden die Stadien des Pfades im Lamrim dargestellt. Um es noch einmal zu sagen: Wir würden uns nicht wünschen, dass wir allen Wesen helfen könnten die Wiedergeburt zu überwinden, wenn wir nicht selbst an Wiedergeburt glauben.

Einige nichttraditionelle buddhistische Lehrer tendieren dazu, „Dharma light“ wie in „Coca-Cola light“ zu servieren, statt den „wirklichen“ Dharma. Mit „Dharma light“ verwässern wir diese Ebenen der Motivation. Statt eine glücklichere Wiedergeburt anzustreben, wollen wir lediglich die Dinge in diesem Leben verbessern. Und statt bestrebt zu sein, sich von den sich unkontrollierbar wiederholenden Wiedergeburten zu befreien, zielen wir lediglich darauf ab, uns von allen Problemen und Schwierigkeiten zu befreien, die wir in diesem Leben haben. Und die Erleuchtung wollen wir nicht erlangen, um dadurch alle Wesen aus den sich unkontrollierbar wiederholenden Wiedergeburten zu befreien, sondern um sie lediglich von ihren Problemen in diesem Leben zu befreien. Dies ist die „Dharma light“-Version der drei Stufen der Motivation im Lamrim.

Einige Menschen mögen natürlich lieber „Dharma-Light“, aber das ist eben nicht der „echte Dharma“. „Dharma-Light“ kann hilfreich sein, da wir sicherlich auch davon profitieren können, den Buddhismus zu praktizieren, ohne dabei das Konzept der Wiedergeburt in Betracht zu ziehen. Es gibt jedoch dabei die Tendenz dazu, dass die anfänglichen und mittleren Ebenen der Motivation lediglich therapeutischen Methoden ähneln, mit denen wir versuchen, die Dinge in diesem Leben zu verbessern und Probleme zu vermeiden. Die fortgeschrittene Ebene des „Dharma-Light” ähnelt dann der Sozialarbeit: „Ich werde losziehen und anderen Menschen dabei helfen, die Probleme, die sie in diesem Leben haben, loszuwerden.“ Das ist alles gut und schön. Und es gibt im Buddhismus auch viele sehr hilfreiche Anregungen, die für therapeutische Prozesse sehr nützlich sein können und die die Ausbildung von Sozialarbeitern verbessern können. Doch ich denke, dass man damit den Buddhismus bemogelt. Der Buddhismus hat viel mehr zu bieten als das. Wir sollten also verstehen, warum es so wichtig ist, innerhalb des Kontextes der Wiedergeburt an uns selbst zu arbeiten.

Bedeutung von Wiedergeburt um das kostbare menschliche Leben wertschätzen zu können

Zunächst müssen wir uns fragen: Warum sollten wir uns um eine glücklichere Wiedergeburt bemühen? Im Buddhismus wird nicht davon gesprochen, dass wir eine Wiedergeburt im Himmel als unser letztendliches Ziel anvisieren, auch nicht davon, dass dort dann alles sehr nett sein wird und wir ewiges Glück erfahren werden. Eine Wiedergeburt im Himmel erlangen zu wollen, ist im Buddhismus nicht der Grund dafür, warum man eine glücklichere Wiedergeburt anstrebt. Und eine Wiedergeburt im Himmel ist auch nicht das letztendliche Ziel. Vielmehr arbeiten wir daran, uns selbst bis zu dem Punkt zu entwickeln, an dem wir unsere eigenen Probleme und Mängel überwinden können und zwar nicht nur die in diesem Leben. Ferner arbeiten wir daran, unsere vollständigen Potentiale zu verwirklichen, damit wir letztendlich allen Wesen im höchstmöglichsten Ausmaß nutzen können. Dieser Entwicklungsprozess wird sich über eine sehr lange Zeitdauer erstrecken.

Höchstwahrscheinlich werden wir diesen Prozess in diesem Leben nicht abschließen können. Der spirituelle Pfad ist also ein Weg, den wir natürlich auch noch nach diesem Leben fortsetzen wollen. Es ist nicht so, dass wir ein Wettrennen machen und einfach sehen wollen, wie weit wir kommen, bevor wir tot umfallen, sondern wir wollen die Ziellinie erreichen. Wenn wir aber nicht in Begriffen von Wiedergeburt denken, kann es leicht geschehen, dass wir uns sehr entmutigt fühlen, wenn wir älter werden, dem Tod gegenüberstehen, und noch keine besonders großen Fortschritte erzielt haben. Dies liegt daran, dass seien wir ehrlich die meisten von uns keine großen Fortschritte in diesem Leben machen werden, weil wir zu sehr mit anderen Dinge beschäftigt sind und sich nur sehr wenige von uns für den Rest ihres Lebens vierundzwanzig Stunden lang der Dharmapraxis widmen können. Und auch wenn wir uns anschauen, wie wir Fortschritte machen, geschieht dies nie linear: Es ist keinesfalls so, dass sich unser Leben jeden Tag verbessern wird. Vielmehr wird es in unserem Leben ständig auf und ab gehen. Das ist ganz normal; so ist das Leben, oder? An einigen Tagen geht es gut; an anderen Tagen sind wir schlecht gelaunt und es geht überhaupt nicht gut. So wird es auch die ganze Zeit weitergehen, bis wir uns aus Samsara befreit haben.

Wenn wir also so über Wiedergeburt denken, hilft uns das dabei, eine längerfristige Perspektive zu entwickeln. Zudem sind wir nicht so angespannt dabei, wenn in uns der Gedanke aufsteigt: „Zurzeit mache ich wirklich keine außerordentlich großen Fortschritte.“ Wenn wir weiterhin „kostbare menschliche Wiedergeburten“, wie sie im Buddhismus bezeichnet werden, erlangen, dann können wir schließlich durch entsprechend harte Arbeit unser letztendliches Ziel der Befreiung und der Erleuchtung erreichen. Eine kostbare menschliche Wiedergeburt ist eine Wiedergeburt, in der wir von all den Situationen eine Ruhepause einlegen können, in denen wir keine Freiheit dazu hätten, den Dharma überhaupt zu praktizieren und in der wir all die bereichernden Faktoren haben, die uns die bestmögliche Gelegenheit dazu geben zu praktizieren. Ein provisorisches Ziel, das wir zuerst ins Auge fassen müssen, ist daher, dass wir sicherstellen müssen, dass wir in all unseren zukünftigen Leben kostbare menschliche Wiedergeburten erlangen können, bis zu dem Zeitpunkt hin, an dem wir befreite Wesen werden.

Auch wenn wir die Lehren zu den „Vier Gedanken, die den Geist dem Dharma zuwenden“ betrachten, betont der erste dieser Gedanken, die Wertschätzung des kostbaren menschlichen Lebens. Er betont, wie schwierig es ist, eine solche Geburt zu erlangen, und auch wie selten eine solche Geburt zustande kommt. Das bedeutet einerseits, dass es in Zukunft viele andere Formen von Wiedergeburten außer dem kostbaren Menschenleben geben könnte, die wir annehmen könnten und dass wir deshalb die Ursachen für eine kostbare Geburt als Mensch aufbauen müssen. Andererseits impliziert der Gedanke auch die Existenz vergangener Leben. Nach unserem unmittelbar vorangehenden Leben hätten wir auch viele andere Arten von Wiedergeburt annehmen können, so hätten wir beispielsweise auch als ein winziges Insekt wiedergeboren werden können. Daher müssen wir uns klar machen, was für eine wundervolle Gelegenheit wir jetzt haben. Es ist von Bedeutung, dass die Wiedergeburt eine entscheidende Rolle dabei spielt, diesen Punkt über die Wertschätzung des kostbaren menschlichen Lebens verstehen zu können. Und es ist auch aussagekräftig, dass die Wertschätzung des kostbaren menschlichen Lebens als der erster der vier Gedanken, die den Geist dem Dharma zuwenden, aufgelistet wird.

Außerdem ist es auch für das Tantra sehr wichtig, daran zu denken, auch in Zukunft weitere kostbare menschliche Leben zu erlangen; ansonsten besteht die Gefahr des Selbstbetrugs während man Tantra praktiziert. Die höchste Klasse des Tantra, das Anuttarayoga-Tantra, lehrt, dass es möglich ist, die Erleuchtung in diesem Leben zu erlangen. Viele Menschen fühlen sich hiervon stark angezogen, da sie denken: „Nun brauche ich mich gar nicht mit Wiedergeburt zu befassen, da sie im Tantra irrelevant ist: Es gibt die Erleuchtung in einem Leben. Super!” Dies ist ein schwerer Fehler, denn selbst wenn man den fortgeschrittensten Praktiken des Tantra folgt, sind die Chancen dennoch groß, dass wir die Erleuchtung nicht in diesem Leben erreichen werden. Dass man die Erleuchtung in einer Lebensspanne erreicht, ist sehr, sehr selten es ist möglich, aber es kommt nur unglaublich selten vor.

Genauso wie in der Sutra-Praxis: wenn wir ein Verständnis der Wiedergeburt erlangt haben, können wir nicht entmutigt werden. Stattdessen denken wir: „Ich werde versuchen, die Erleuchtung in diesem Leben zu erreichen. Aber wenn ich es in diesem Leben nicht schaffe, dann ist das nicht das Ende der Welt, denn es gibt die Wiedergeburt; ich werde es das nächste Mal weiterversuchen.“ Wie eine Redensart besagt, die übrigens dem Denken der vor-buddhistischen indischen Upanischaden entstammt: „Ein Anfang, der einmal gemacht wurde, geht nicht verloren.“ Verstehen Sie das? Wenn wir einen Anfang gemacht haben, wenn wir irgendetwas begonnen haben, dann wird dies nicht mehr verloren gehen, da wir in zukünftigen Leben damit weitermachen können. Dies ist allgemeingültiges indisches Denken, nicht nur buddhistisches Denken, und es ist hier sehr relevant.

Außerdem besteht eine der Haupteigenschaften des Anuttarayoga-Tantra darin, den samsarischen Tod, den Bardo-Zustand und die Wiedergeburt zu reinigen, und zwar in dem Sinne, dass wir uns von ihnen befreien. Der Bardo ist der Zwischenzustand zwischen Tod und Wiedergeburt. Das Anuttarayoga-Tantra analysiert in einer sehr detaillierten Weise, wie dieser Prozess vor sich geht und es beinhaltet Praktiken, die den Tod, den Bardo und die Wiedergeburt imitieren. Wenn wir nicht wirklich daran glauben, dass es zur Wiedergeburt kommt, warum sollten wir dann den Tod, den Bardo und die Wiedergeburt reinigen wollen? Was in aller Welt tun wir dann eigentlich? Ohne von Wiedergeburt überzeugt zu sein, wird die ganze Anuttarayoga-Tantra-Praxis zu einem Spiel. Soviel zu diesem ersten Punkt.

Die Bedeutung von Wiedergeburt für das Verständnis von Karma

Als zweites ist es wichtig, in Begriffen von Wiedergeburt zu denken, um ein korrektes Verständnis von Karma zu erlangen. Das hängt damit zusammen, dass die Ergebnisse unserer Handlungen größtenteils nicht in diesem Leben zur Reifung kommen. Wir könnten zum Beispiel wirklich intensiv praktizieren und jeden Tag meditieren, viele hunderttausend Niederwerfungen machen und all diese Dinge, und dann bekommen wir Krebs und sterben einen langsamen, schmerzvollen Tod. Natürlich können wir sehr enttäuscht werden, wenn wir erwarten, dass die Ergebnisse unserer Handlungen in diesem Leben reifen werden.

Dann sehen wir uns den korrupten Beamten an, der alle betrügt und unglaublich reich wird. Vielleicht wird dieser Mensch nie erwischt und hat sein ganzes Leben lang außergewöhnlich großen Reichtum und Macht zur Verfügung wo ist hier das Karma? Es muss sich hier auch nicht um einen Regierungsbeamten handeln, stattdessen könnte es auch ein Geschäftsmann sein.

Nun können einige unserer Handlungen natürlich auch schon in diesem Leben heranreifen, insbesondere wenn sie mit einer äußerst starken Motivation ausgeführt werden, sei diese positiv oder negativ, doch die meisten von ihnen reifen in zukünftigen Leben. Tatsächlich ist der größte Teil dessen, was wir in diesem Leben erfahren, nicht das Ergebnis von dem, was wir in diesem Leben getan haben, sondern vielmehr das Ergebnis von dem, was wir in vergangenen Leben getan haben.

Ich muss diesen Gedanken allerdings näher erläutern. Es gibt bestimmte Dinge, die wir in diesem Leben tun, wie etwa in der Dunkelheit mit dem Zeh an den Tisch zu stoßen, und dann erleben wir als Ergebnis, wie unser Zeh dunkelblau wird und empfinden intensives Leiden. Wir sollten nicht denken, dass der Buddhismus diese Art physischer Ursachen und Wirkungen ignoriert, und dass Ursache und Wirkung während dieses Lebens nicht funktionieren würde. Aber es kann auch sein, dass wir uns sehr darum bemühen, eine gute Ausbildung an einer Universität zu erhalten und finden danach dennoch keine gut bezahlte Beschäftigung und arbeiten schließlich als Taxifahrer. Das Zusammenspiel von Ursache und Wirkung ist nicht einfach. Nur weil wir eine gute Ausbildung genossen haben, bekommen wir nicht automatisch eine gute Arbeit, oder? Ob wir eine gute Arbeit finden oder nicht hängt von vielen anderen karmischen Faktoren aus vorangehenden Leben ab. Für das Verständnis von Karma und Ursachen und Wirkungen ist es folglich sehr wichtig, in Begriffen von Wiedergeburt zu denken. Es ist nicht einfach nur hilfreich, sondern es ist absolut notwendig. Ansonsten ergibt die ganze Erörterung von den verhaltensbedingten Ursachen und Wirkungen überhaupt keinen Sinn.

Wenn wir das Konzept von Karma in unserer Betrachtung dessen, was im Leben geschieht, außen vor lassen, werden wir die Dinge, die uns im Leben widerfahren, mit völlig anderen Augen betrachten. Wir haben zunächst die Universität besucht, haben dann einen Job gefunden oder vielleicht auch keinen Job gefunden. Nun, wovon könnte das abhängen? Wir denken vielleicht, dass es vom Glück oder vom Schicksal abhängt, oder vielleicht von Gottes Willen. Der Buddhismus sagt, dass jeder dieser Ansätze viele Schwierigkeiten mit sich bringt. Die buddhistische Darstellung der Wiedergeburt und der vergangenen Leben hingegen ist eine Art zu erklären, bei der das, was uns gerade jetzt widerfährt, Sinn ergibt. Außerdem gibt sie uns eine Methode an die Hand, um das zu beeinflussen, was uns in Zukunft geschehen wird. Wir könnten tatsächlich mit der Vorstellung leben, dass alles, was geschieht, einfach auf Glück, Schicksal oder dem Willen Gottes beruht. Es gibt zahlreiche Gesellschaften, die so denken. Doch ein solcher Glaube lässt nicht viel Raum dafür, um das zu beeinflussen, was mit uns geschieht. Wird es wirklich unser Glück ändern, wenn wir ein Glücksamulett um den Hals tragen? Wenn alles in Gottes Hand ist, dann können wir seinen Geboten folgen und doch von einem schweren Schicksalsschlag heimgesucht werden und wenn dies geschieht, ist es dann zufrieden stellend, einfach an die Weisheit Gottes zu glauben und Seinen Willen zu akzeptieren? Und wenn das, was uns widerfährt vom Schicksal vorherbestimmt ist, dann gibt es nichts, was wir tun können, um das, was geschehen wird, zu verändern, oder? Der Buddhismus sagt andererseits, dass wir selbst die Verantwortung dafür übernehmen müssen, was uns zustößt obwohl die Ergebnisse unserer Handlungen in diesem Leben möglicherweise nicht zum Vorschein kommen werden.

Die Bedeutung der Wiedergeburt zur Öffnung unseres Herzens für alle Wesen

Der nächste Punkt weshalb die Vorstellung von Wiedergeburt wichtig ist, betrifft die Meditationen zur Entwicklung von Liebe und Mitgefühl, die damit beginnen, dass man alle Wesen als unsere Mütter anerkennt. Die „der echte Dharma“-Version erkennt an, dass alle Wesen in vorangehenden Leben unsere Mütter gewesen sind. Die „Dharma-Light“ -Version davon ist, dass alle möglichen Menschen uns mit zu sich nach Hause mitnehmen könnten, nett zu uns sein könnten, uns einen Platz zum Wohnen geben könnten und uns etwas zu Essen geben könnte wie eine Mutter. Jeder in diesem Zimmer, jeder Mensch, dem wir auf der Straße begegnen, jeder könnte sich uns gegenüber auf diese Weise verhalten.

Es besteht kein Zweifel daran, dass diese „Dharma-Light“ -Version sehr hilfreich ist. Sie befähigt uns dazu, zu sehen, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, freundlich zu uns zu sein und dass auch wir in dieser Weise zu allen anderen Menschen freundlich sein können. Wir könnten jeden Menschen mit zu uns nach Hause nehmen und ihm zu essen geben, so als ob wir seine Mutter wären. Diese Art der Meditation öffnet unser Herz für andere Menschen. Aber selbst innerhalb der Gattung Mensch bleibt die Methode mehr oder wenige auf erwachsene Menschen beschränkt. Wir glauben nicht wirklich, dass ein Baby uns mit nach Hause nehmen könnte, sich um uns kümmern könnte und uns füttern könnte, oder dass ein Baby wie unsere Mutter handeln könnte. Wir könnten dann erwidern: „Nun, OK, vielleicht nicht jetzt, aber wenn das Kind heranwächst, könnte es sich mir gegenüber wie einer Mutter verhalten; und ich könnte mich jetzt sicher um das Baby kümmern, als sei es mein eigenes Kind.“ Aber wie verhält es sich mit Kakerlaken und Mücken? Es ist sehr schwierig, diese Art von Meditation auf Nicht-Menschen anzuwenden. Können wir ehrlich das Gefühl entwickeln, dass die Kakerlake sich uns gegenüber wie eine Mutter verhalten könnte, die uns mit zu sich nach Hause mitnimmt und uns füttert? Oder können wir uns vorstellen, dass wir wie eine Mutter für die Kakerlake sorgen könnten, die Kakerlake mit zu uns nach Hause mitnehmen, ihr einen schönen Ort zum schlafen geben und sie füttern? Jeder Hund könnte unser Haustier sein, aber es wäre recht merkwürdig, sich vorzustellen, dass diese Kakerlake oder diese Mücke unser Haustier werden könnte, oder?

Das ist der Nachteil dieser „Dharma-Light“-Version. Obwohl man den „Dharma-Light“ gleich wegwerfen muss, hat er doch ernsthafte Grenzen. Er kann uns nicht wirklich aus seiner eigenen Kraft heraus zum vollen Umfang des buddhistischen Zieles, unser Herz nicht nur den Menschen, sondern allen Wesen zu öffnen, führen

Die Bedeutung der Wiedergeburt um uns allen anderen Wesen gegenüber in einer ausgeglichenen Weise zu verhalten

Der nächste Punkt: Wenn wir nur in den Begriffen dieses einen Lebens denken, tendieren wir dazu, uns recht stark mit unser gegenwärtigen Situation zu identifizieren dass wir ein bestimmtes Alter haben, dass wir jung sind, dass wir alt sind, dass wir ein Mann sind, dass wir eine Frau sind, dass wir Mexikaner sind, dass wir Deutsche sind, dass wir Afrikaner sind und so weiter. Wenn wir uns in dieser Weise mit unserer eigenen Situation identifizieren, stellen wir fest, dass es nicht so leicht ist, Empathie mit den Menschen in anderen Situationen zu empfinden. Wir glauben, dass wir als Mexikaner nur mit anderen Mexikanern identifizieren können. Oder wir glauben, dass wir nur zu Menschen, die denselben religiösen Hintergrund haben wie wir, eine persönliche Beziehung aufbauen können. Oder wir denken, dass wir uns nur mit Menschen unseres Alters oder unseres Geschlechts oder unserer sexuellen Orientierung identifizieren können. Es ist vollkommen normal, dass Menschen so denken.

Aber wenn wir in Begriffen von Wiedergeburt denken, dann haben wir schon jedes Lebensalter erlebt. Manchmal sind wir jung gewesen; manchmal sind wir alt gewesen. Wir sind sowohl männlich als weiblich gewesen. Wir haben verschiedene Nationalitäten besessen. Und, was ebenfalls sehr wichtig ist, wir sind verschiedene Lebensformen gewesen und nicht immer Menschen. Auf diese Weise zu denken, verschafft uns eine erheblich erweiterte Vorstellung von uns selbst und ermöglicht uns daher, viel leichter Mitgefühl mit anderen zu entwickeln, die sich in Situationen befinden, die sich von der Situation unterscheidet, die wir selbst gerade jetzt erleben. Wir neigen dann nicht so sehr dazu, uns in einer so grundlegenden Weise mit dem zu identifizieren, wer wir jetzt gerade sind, uns nämlich als eine feste, beständige, absolute Identität zu betrachten, da wir erkennen, dass wir so viele verschiedene Lebensformen etc. gewesen sind. Dies hilft uns die Lehren über die Leerheit leichter zu verstehen, die besagen, dass wir keine solide, beständige Identität besitzen.

Die Bedeutung der Wiedergeburt, um die Natur des Geistes zu verstehen

Am wichtigsten ist, dass die Wiedergeburt wirklich von entscheidender Bedeutung dafür ist, die Natur unseres Geistes verstehen zu können, was wiederum äußerst wichtig für unsere eigene buddhistische Entwicklung ist. Wir müssen verstehen, dass der Geist keinen Anfang und kein Ende hat. Das führt uns notwendigerweise zum Thema der Wiedergeburt, oder nicht? Wenn wir denken, dass unser Geist nur in diesem Leben existiert, dann haben wir ein großes Problem im Hinblick auf die Frage, was die Ursache des Geistes ist. Verwirrung über dieses Thema wirkt sich negativ auf unser Verständnis der Leerheit aus das heißt auf die Frage, wie der Geist existiert. Daher ist das Verständnis der Wiedergeburt essentiell, um ein Verständnis der Leerheit zu erlangen. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Ursachen für ein Weiterbestehen des Geistes usw. und wie Ursachen und Wirkungen zusammenwirken. All diese Dinge hängen miteinander zusammen. Wir werden das alles später in diesem Vortrag noch im Detail besprechen.

Aus all diesen vielen, Gründen ist das Verständnis der buddhistischen Erklärung der Wiedergeburt wirklich so zentral und wichtig, um den Buddhismus in der umfassendsten Weise zu praktizieren. Dies gilt trotz der Tatsache, dass einige Lehrer im Westen „Dharma-Light“ servieren und einige Dharma-Studenten im Westen dies als ihr spirituelles Getränk vorziehen.

Warum es wichtig ist, insbesondere die buddhistische Erklärung der Wiedergeburt zu verstehen

Schon der erste Gedanke, der den Geist dem Dharma zuwendet, nämlich die Wertschätzung des kostbaren menschlichen Lebens, setzt voraus, wie wir bereits gesehen haben, dass man das Konzept von Wiedergeburt akzeptiert. Natürlich bedeutet das, dass man die spezifisch buddhistischen Erklärungen der Wiedergeburt akzeptiert und nicht einfach die Erklärungen irgendwelcher anderer Systeme. Denn auch zahlreiche nichtbuddhistische Denksysteme vertreten die Ansicht, dass es Wiedergeburt gibt. Dazu gehören: der Hinduismus, der Jainismus, die Theosophie, einige antike griechische Philosophen und sogar einige frühchristliche Sekten. In jedem dieser Systeme finden wir unterschiedliche Erläuterungen.

Als im Westen lebende Menschen haben wir keinen traditionellen buddhistischen Hintergrund. Wenn wir einen solchen Hintergrund hätten, würden wir naturgemäß einfach akzeptieren, dass es Wiedergeburt gibt, so wie es die meisten Tibeter tun, genau wie wir akzeptieren, dass die Erde rund ist. Das bedeutet nicht, dass wir notwendigerweise auch ein ausgefeiltes Verständnis von Wiedergeburt hätten. Die meisten Tibeter haben dies nicht. Aber zumindest akzeptieren sie, dass es so etwas wie Wiedergeburt gibt. Und wenn sie den Dharma studieren sind sie daran interessiert, etwas über die buddhistischen Erläuterungen der Wiedergeburt zu erfahren.

Dieser Punkt ist, so glaube ich, für uns Westler sehr zentral. Es wäre recht unfair und erarbeitet oder künstlich, darauf zu bestehen, dass wir Wiedergeburt verstehen und akzeptieren müssen, bevor wir wirklich damit anfangen können, den „echten Dharma“ zu studieren. Es wäre völlig unangemessen, das zu erwarten. Aber ich denke, um den „echten Dharma“ zu studieren, und nicht bloß die „Dharma-Light“-Version, sollten wir die zentrale Rolle der Wiedergeburt im Buddhismus anerkennen und sollten nicht sagen: „Nun, ich komme auch ohne klar.“ Und wir sollten ein Interesse und die Absicht haben, etwas über die wirklich buddhistischen Erläuterungen zur Wiedergeburt zu erfahren.

Um das tun zu können, müssen wir alle nichtbuddhistischen Erklärungen der Wiedergeburt ausschließen. Mit anderen Worten: wir müssen erkennen, dass die buddhistische Erklärung nicht über eine statische Seele spricht, die von einem Körper zum anderen fliegt. Und der Buddhismus spricht auch nicht davon, dass wir Lektionen erteilt bekommen, um von einem Leben zum nächsten etwas zu lernen, bis wir jede Lektion wirklich gelernt haben das ist kein Buddhismus. Ebenso wenig wird im Buddhismus behauptet, dass wir uns stetig weiter verbessern dass die Umstände unserer Wiedergeburt immer besser und besser werden und wir zu einer höheren und noch höheren Wiedergeburt übergehen. Das ist kein Buddhismus. Ebenso wenig behauptet der Buddhismus, dass Menschen nur als Menschen wiedergeboren werden können, und Tiere nur als Tiere. Außerdem sagt der Buddhismus auch nicht, dass es nur ein Leben nach dem Tod gibt und dass dieses Leben ewig ist: man kann entweder in den Himmel kommen oder zur Hölle fahren auch wenn es dazwischen noch ein Fegefeuer geben kann und das war’s dann, bis in alle Ewigkeit.

Von Anfang an müssen wir verstehen, dass der Buddhismus keine dieser Erklärungen anführt, sondern eine andere. Die Haltung, die wir entwickeln müssen, ist also: „Ich würde gerne verstehen, was der Buddhismus tatsächlich über die Wiedergeburt lehrt. Ich interessiere mich dafür und verstehe, dass Wiedergeburt eine wichtige Rolle spielt.” Ich denke, dass wir auf dieser Grundlage damit anfangen können, den „echten Dharma“ zu trinken, ohne uns mit „Dharma-Light” zufrieden geben zu müssen. Dann gehen wir weiter, indem wir denken: „Ich werde die buddhistische Erklärung der Wiedergeburt provisorisch akzeptieren und mit ihr arbeiten, auch wenn ich sie noch nicht vollständig verstehe. Während ich auf dem Pfad fortschreite, werde ich versuchen, sie in einer tieferen Weise zu verstehen.”

Kontinua als Abfolgen der Momente von etwas

Was ist also das buddhistische Verständnis der Wiedergeburt? Wie im Falle vieler anderer buddhistischen Themen, ist dieses Thema nicht sehr einfach zu erfassen, was aber nicht bedeutet, dass es unmöglich wäre, es zu verstehen. Die Frage der Wiedergeburt im Buddhismus ist grundlegend gesagt eine Frage der Kontinuität. Aber was meinen wir mit „Kontinuität“? Mit „Kontinuität“ meinen wir „eine ununterbrochene Abfolge von Momenten von etwas.“ Es handelt sich dabei nicht um so etwas wie die Kontinuität einer Straße, die lediglich eine räumliche Kontinuität darstellt. Im Buddhismus wird vielmehr von einer zeitlichen Kontinuität gesprochen, von einer kontinuierlichen Abfolge von Momenten von etwas im Zeitablauf.

Eine hilfreiche Analogie kann hier vielleicht die Kontinuität eines Kinofilms sein. Wenn wir in dieser Analogie über Wiedergeburt sprechen, meinen wir nicht die Kontinuität des tatsächlichen Filmstreifens aus Plastik, auf dem der Kinofilm gedruckt ist. Vielmehr sprechen wir über das Kontinuum des Kinofilms, während der Film läuft, das heißt über die Abfolge eines Moments nach dem anderen, wobei jeweils nur ein Moment zurzeit gespielt wird. Es ist zwar möglich einen ganzen Wasserstrom, oder zumindest ein Teil davon, zu betrachten, doch davon sprechen wir hier nicht. Wir sprechen davon, dass es unmöglich ist, zu einem Zeitpunkt mehr als einen Augenblick erfahren.

Eine Abfolge von Momenten muss eine Abfolge von Momenten von etwas sein. In Bezug auf das Thema Wiedergeburt hier, können wir uns die Frage stellen, welche Abfolge vom Momenten die Wiedergeburt beinhaltet. Sie beinhaltet eine Abfolge von Momenten des Geistes, das heißt eine Abfolge von Momenten geistiger Aktivität. Wir bezeichnen das als geistiges Kontinuum. Manchmal wird diese Abfolge von Momenten geistiger Aktivität auch als „Geistesstrom“ bezeichnet, wobei dieses Bild jedoch zu räumlich ist. Wir möchten gerne ein sehr viel mehr zeitlich orientiertes Bild haben.

Vier Arten zeitlicher Kontinua

Im Allgemeinen gibt es vier Arten zeitlicher Kontinua.

  • Die erste Art von Kontinuum hat sowohl einen Anfang als auch ein Ende, wozu zum Beispiel der Körper gehört, den wir jetzt haben. Er hat einen Anfang, nämlich den Zeitpunkt an dem wir gezeugt worden sind, und ein Ende, nämlich dann, wenn wir sterben werden. Der Körper besteht von Augenblick zu Augenblick ohne Unterbrechung weiter fort, solange wir am Leben sind. Das ist einfach zu verstehen.
  • Die zweite Art von Kontinuum hat keinen Anfang, aber ein Ende. Das es schwieriger zu verstehen. Beispiele hierfür sind die sich unkontrollierbar wiederholende Wiedergeburt mit anderen Worten Samsara und Unwissenheit oder „Nicht-Gewahrsein“ darüber, wie wir und alle Dinge existieren. Um der Einfachheit willen wollen wir das als „Verwirrung in Bezug auf die Realität“ bezeichnen. Samsara und die Unwissenheit über die Realität, die Samsara am Laufen hält, haben keinen Anfang, aber sie können ein Ende haben. Wenn dieser Mangel an Gewahrsein, der unsere samsarische Existenz kontinuierlich weiter fortsetzt, durch Gewahrsein ersetzt wird mit anderen Worten, wenn die Verwirrung durch ein korrektes Verständnis ersetzt wird und vollkommene Konzentration mit der Ausrichtung auf das korrekte Verständnis ohne Unterbrechung beibehalten wird, dann kommt unsere Verwirrungen zu einem wahren Ende, und so auch unsere sich unkontrolliert wiederholende Wiedergeburt. Ein korrektes Verständnis und ein inkorrektes Verständnis Wissen und Nichtwissen können nicht gleichzeitig in einem geistigen Kontinuum existieren.
  • Die dritte Art ist ein zeitliches Kontinuum, das einen Anfang hat, aber kein Ende. Ein Beispiel hierfür wäre das Zerbrechen eines Glases. Wenn ich ein Glas zerbreche, dann hat das Auseinanderfallen, die Beendigung des Glases, einen Anfang. Die Beendigung des Glases beginnt, wenn das Glas zerbricht, aber sie hat kein Ende, oder? Die Beendigung setzt sich bis in alle Ewigkeit fort: das Glas wird immer zerbrochen bleiben. Eine Million Jahre später in der Zukunft, wird das Glas immer noch zerbrochen sein. Die Zerstörung des Glases hat demnach einen Anfang, aber kein Ende.
  • Die vierte Art von zeitlichem Kontinuum ist etwas, das keinen Anfang hat und kein Ende. Ein geistiges Kontinuum ist ein Beispiel für etwas, das keinen Anfang und kein Ende hat. Diese Art von Kontinuum müssen wir verstehen, wenn wir versuchen, die buddhistische Lehre über Wiedergeburt zu verstehen: Wir setzen uns hier mit einem Kontinuum geistiger Aktivität auseinander, das keinen Anfang und kein Ende hat.

Wir müssen hier sorgfältig sein und eine klare Unterscheidung vornehmen. Jedes individuelle geistige Kontinuum hat keinen Anfang und kein Ende. Aber jedes geistige Kontinuum kann zwei Phasen besitzen. Bei der einen Phase handelt es sich um die samsarische Phase, von der wir sprechen, wenn das geistige Kontinuum unter dem Einfluss der Verwirrung über die Realität unkontrollierbare, sich wiederholende Wiedergeburten durchlebt. Die zweite Phase ist die nirvanische oder befreite Phase, von der wir sprechen, wenn das geistige Kontinuum sich auch weiterhin in Geburt und Tod manifestiert, jedoch vollständig frei von der Verwirrung über die Realität ist, so dass es überhaupt kein Leiden erfährt.

Die zweite Phase wird einen Anfang haben, aber kein Ende. Verschiedene Schulen des Buddhismus bieten mehrere Erklärungsmöglichkeiten für diese zweite Phase an. Lassen Sie uns die Erörterung hier vereinfachen und lediglich eine Betrachtungsweise darstellen. Die nirvanische Phase mag über einen begrenzten Zeitraum andauern, in dem man lediglich von Samsara befreit ist. Während dieses lediglich befreiten Zeitraums, wird die geistige Aktivität immer noch begrenzt sein; sie wird noch nicht allwissend sein. Aber diese lediglich befreite Zeitspanne wird schließlich mit dem Erreichen der Erleuchtung zu einem Ende kommen und die nirvanische Phase wird dann in eine nicht endende Zeitspanne eines allwissenden Buddhas übergehen. Wenn wir diese Phasen und Zeitspannen alle zusammen betrachten, dann hat jedes individuelle Kontinuum geistiger Aktivität keinen Anfang und kein Ende.

Um die buddhistischen Unterweisungen über die Wiedergeburt nachvollziehen zu können, müssen wir begreifen, was der Wiedergeburt zugrunde liegt nämlich die Art wie der Geist im Buddhismus erklärt wird.

Geist

Was im Buddhismus mit „Geist“ bezeichnet wird, ist sehr spezifisch. „Geist“ bezieht sich auf ein Kontinuum geistiger Aktivität ein „geistiges Kontinuum.“ Lassen Sie uns die Erläuterung hier einfach halten und nicht in eine detaillierte Erklärung des Geistes gehen. Ein geistiges Kontinuum ist eine ununterbrochene Abfolge von Momenten des Erlebens von etwas. Es gibt einen Moment des Erlebens, dem ein anderer Moment des Erlebens folgt, dem wieder ein anderer folgt und so weiter. Das ist es, worüber wir hier sprechen. Und es handelt sich um ein Erleben von etwas. Es gibt kein Erleben, ohne dass es sich dabei um das Erleben von etwas handelt, ebenso wie es kein Denken geben kann, ohne dass man etwas denkt.

Wir sprechen hier nicht über ein physikalisches oder immaterielles Objekt, welches das Erleben tätigt. Und wir sprechen hier auch nicht über eine Art „Werkzeug“, das jemand benutzt, um etwas zu erleben, etwa im Sinne einer Kamera, mit der man Fotos macht, oder wie zum Beispiel, wenn man sagt: „Ich gebrauche meinen Geist, um dieses zu erleben.“ Es ist nicht so, dass der Geist eine Art Ding ist, das etwas erlebt. Um nun die buddhistische Erläuterung des Geistes verstehen zu können, ist es daher vielleicht am besten, das Wort „Geist“ so selten wie möglich zu verwenden, da es sonst zur Verwirrung kommen kann. Wir sprechen hier nur über die Aktivität, über die Aktivität, etwas zu erleben oder erfahren. Wenn wir diese Aktivität weiter spezifizieren wollen, müssten wir von einem „bloßen, individuellen, subjektiven Erleben von etwas“ sprechen.

Ich sollte hinzufügen, dass wir nicht über eine Kontinuität von Erfahrungen sprechen, die sich immer weiter anhäufen, so dass ein Mensch „mehr Erfahrung haben“ kann als ein anderer. Wir sprechen hier über das bloße Erleben der Dinge. „Bloß“ bedeutet, dass es sich lediglich um die einfache geistige Aktivität handelt, beispielsweise um die geistige Aktivität des Sehens, Hörens oder Denkens von etwas bei all diesen geistigen Aktivitäten handelt es sich um ein Erleben von etwas. „Bloß“ impliziert zudem, dass das Erleben dieser Erfahrung nicht absichtlich erfolgen muss, wie wenn man sagt: „Ich bin aus wohlüberlegten Gründen nach Indien gereist, um dort Erfahrungen zu sammeln.“ Das Erleben muss außerdem auch nicht emotional bewegend sein. Einige Menschen denken: „Wenn es dich nicht emotional bewegt hat, hast du es auch nicht wirklich erlebt.“ Diese Art von Erfahrung ist hier nicht gemeint.

Und das bloße Erleben von etwas muss nicht einmal bewusst geschehen, wie wenn man beispielsweise unbewusst Feindseligkeit erlebt, den Zustand des Schlafens erlebt oder sogar den Tod erlebt. Es handelt sich lediglich um das bloße Erleben. Der Unterschied zwischen dem, was in der westlichen Psychologie als „bewusstes“ und „unbewusstes“ Erleben einer Sache bezeichnet wird, wird im Buddhismus lediglich als einen Unterschied im Umfang der Aufmerksamkeit betrachtet, welche das Erleben begleitet. Wir müssen all diese Dinge folglich klar spezifizieren, weil wir in unserer westlichen Sprache dafür kein Wort besitzen, welches genau mit dem buddhistischen Konzept von „Geist“ übereinstimmt.

Darüber hinaus ist das Erleben von etwas immer individuell und subjektiv. Zwei Menschen können zwar die Erfahrung miteinander teilen, den gleichen Kinofilm zu sehen, aber ihr Erleben des Films ist nicht dieselbe: Der eine findet den Film vielleicht gut, der andere nicht. Wie die beiden Personen den Kinofilm erleben, hängt von vielen miteinander verbundenen Faktoren ab: Die Stimmung, in der sich die beiden Zuschauer befinden, ihr gesundheitlicher Zustand, die anderen Menschen, mit denen sie zusammen im Kino sitzen, ja sogar die Sitzplätze spielen eine Rolle. Sitzen die beiden Zuschauer weit hinten oder dicht an der Leinwand? Versperrt der Kopf eines anderen Kinobesuchers den Blick auf die Leinwand? Sitzen die beiden bequem? Und so weiter. Die Erfahrung, diesen Kinofilm zu sehen, wird folglich für jeden Menschen sehr unterschiedlich ausfallen. Das Erleben ist individuell.

Einen Grad von Glücksgefühl empfinden

Darüber hinaus ist das Erleben von etwas subjektiv. Das kommt daher, weil jeder Moment des Erlebens von etwas vom Geistesfaktor des Empfindens eines Grades von Glücklichsein oder Unglücklichsein begleitet wird. Dieser Geistesfaktor des Empfindens eines Grades von Glücklichsein oder Unglücklichsein wird als die Art und Weise definiert, in der wir das Reifen unseres Karmas erfahren. In jedem Augenblick empfinden wir einen Grad von Glücklichsein, Unglücklichsein oder einen Grad an neutralen Empfindungen. Selbst wenn wir schlafen, erfahren wir eine neutrale Empfindung, die weder glücklich noch unglücklich ist.

In welcher Beziehung steht die Empfindung zum Reifen von Karma? Im Buddhismus wird erläutert, dass wir, als ein Resultat unserer früheren konstruktiven Handlungen, etwas von der Empfindung des Glücklichseins begleitet erleben. Als ein Ergebnis unser zuvor ausgeübten destruktiven Handlungen, wird unser Erleben von der Empfindung des Unglücklichseins begeleitet. Und als Ergebnis zuvor ausgeübter ethisch neutraler Handlungen, wird unser Erleben von einer neutralen Empfindung begleitet, die weder glücklich noch unglücklich ist.

Gewöhnlicherweise haben wir diese Handlung in einem vorherigen Leben ausgeführt, wie wir schon zuvor besprochen haben. Es handelt sich nicht notwendigerweise um Handlungen, die wir im unmittelbar vorausgehenden Moment durchgeführt haben, oder um die Handlungen, mit denen wir zurzeit beschäftigt sind. Vielleicht sitzen wir gerade am Schreibtisch und schauen auf die Wand gegenüber oder betrachten ein Foto eines geliebten Menschen und erleben das entweder mit Unglücklichsein, Glücklichsein oder einer neutralen Empfindung, was von einer gewaltigen Anzahl von Faktoren abhängt, die nicht alle damit erklärt werden können, was wir kürzlich erlebt haben.

Individuelle Wesen

Wenn wir im Buddhismus über ein „individuelles Wesen“, eine „Person“ (tib. gang-zag, Skt. pudgala) sprechen, meinen wir damit ein Wesen, das ein geistiges Kontinuum besitzt, unabhängig von der Lebensform, die es gegenwärtig angenommen hat. In jedem Augenblick ihrer Existenz, erleben die Wesen etwas individuell und subjektiv, begleitet von der Empfindung irgendeines Grades von Glücklichsein oder Unglücklichsein. Daher ist ein individuelles Wesen verschieden von einem Felsen oder einem Computer. „Erlebt“ ein Felsen es, im Regen zu stehen? Ein Felsen wird möglicherweise durch den Regen abgetragen; aber heißt das, dass der Felsen den Regen „erlebt“ hat? Nein, der Felsen hat den Regen nicht in Verbindung mit der Empfindung eines Grades von Glücklichsein oder Unglücksein erlebt. Ebenso verhält es sich mit einem Computer der Daten verarbeitet. Der Computer erlebt die Daten nicht, oder? Ist ein Computer glücklich, wenn ein Programm auf ihm läuft, das effektiv arbeitet, und unglücklich, wenn ein Programm auf ihm läuft, das voller Fehler ist?

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass unsere westlichen Begriffe hier Verwirrung stiften können. Wie definieren wir individuelle Wesen? Im Buddhismus wird gesagt, dass es sich bei individuellen Wesen um Wesen handelt, die mit Absicht handeln selbst wenn ihre Handlungen nicht konzeptuell geplant sind. Ein Wurm muss es nicht konzeptuell planen, dass er von hier nach dort drüben kriechen will. Er tut es einfach und er erlebt subjektiv und individuell die unmittelbaren und langfristigen Auswirkungen dessen, was er tut. Der Wurm ist ein „individuelles Wesen“.

Wir könnten an dieser Stelle lange darüber diskutieren, ob Pflanzen oder der Fußpilz zwischen unseren Zehen individuelle Wesen sind oder nicht. Für viele von uns ist das schwierig zu verstehen, weil die Naturwissenschaften Pflanzen und Pilze als Lebewesen klassifizieren, und zwar entsprechend der biologischen Definition des Lebens; allerdings betrachten die Naturwissenschaften Geister wiederum nicht als individuelle Wesen. Der Buddhismus behaupte das Gegenteil: Pflanzen sind keine individuellen Wesen mit geistiger Aktivität, wohingegen die Geister zu den individuellen Wesen gezählt werden. Aber das Entscheidende ist: Ein individuelles Wesen handelt mit Absicht und erlebt die Ergebnisse seines Handelns durch die karmischen Gesetzmäßigkeiten verhaltensbedingter Ursache und Wirkung.

Das ist wichtig zu verstehen, denn wer durchlebt die Wiedergeburt? Es sind die individuellen Wesen, die Absichten besitzen. Sie erleben die Dinge auf Grundlage ihrer Absichten und erleben die Resultate ihres Handelns. Weil ihr Erleben von etwas aufgrund der Dinge die sie tun von Augenblick zu Augenblick verschieden ist, und weil das Universum gemäß der Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung funktioniert, erleben individuelle Wesen die Resultate ihres Handelns.

Und die Wesen sind individuell. Individuelle Wesen, ebenso wie auch geistige Kontinua, beeinflussen sich gegenseitig; aber sie bleiben eindeutig voneinander verschieden, selbst dann, wenn sie die Buddhaschaft erlangt haben. Erinnern wir uns an die Aussage im Buddhismus, dass geistige Kontinua weder einen Anfang, noch ein Ende besitzen. Jedes geistige Kontinuum besteht aus einer ununterbrochenen Abfolge von Augenblicken des Erlebens von etwas bis in alle Ewigkeit hin fort. In der Phase eines individuellen geistigen Kontinuums bis es die Erleuchtung erlangt hat, ist das individuelle Wesen ein „fühlendes Wesen“, ein Wesen mit begrenztem Gewahrsein, weil es die Dinge in Verbindung mit emotionalen und kognitiven Schleiern erlebt, oder weil es die Dinge lediglich in Verbindung mit kognitiven Schleiern erlebt, wenn es bereits die Befreiung erlangt hat. In der Phase eines individuellen geistigen Kontinuums, nachdem beide Arten von Schleiern für immer beseitigt sind, und das Wesen erleuchtet wird, ist das individuelle Wesen nicht länger ein fühlendes Wesen. Aber es ist dann immer noch ein individuelles Wesen.

Die Frage danach, wie ein individuelles Wesen existiert und wie sich die Beziehung zwischen einem individuellen Wesen und einem geistigen Kontinuum gestaltet, bringt das umfassende Thema der Leerheit und der geistigen Benennung auf. Lassen Sie uns dieses Thema noch für einen Augenblick beiseite stellen.

Der Buddhismus behauptet nicht die Existenz eines kollektiven Geistes

Der Buddhismus behauptet nicht, dass es so etwas wie einen kollektiven Geist gibt, nicht einmal in der Buddhaschaft. Im Buddhismus gibt es kein Konzept, wie das in einigen Formen des Hinduismus der Fall ist, das besagt, dass am Ende alle Ströme in den Ozean fließen und „Eins“ werden. Der Lehre des Buddhismus zufolge bleiben individuelle Wesen und geistige Kontinua (jedes ohne Anfang und ohne Ende) klar und deutlich voneinander getrennt, was selbst für die Buddhaschaft gilt, obwohl sich die Kontinua wechselseitig beeinflussen.

Es gibt eine Menge Leute, die Schwierigkeiten mit der Vorstellung haben, dass Buddhas voneinander getrennte Wesen sind. Also möchte ich diesen Punkt hier noch ein bisschen näher erklären. Shakyamuni Buddha und Maitreya Buddha sind, obwohl sie gleichwertig in ihrer Erlangung der Erleuchtung sind, nicht dieselbe Person. Jeder von ihnen hat ganz individuelle, einzigartige Beziehungen zu unterschiedlichen Wesen. Das kann als Grund für die Tatsache angesehen werden, dass einige Individuen dem einen Buddha begegnen und von ihm profitieren können, und dass diese Individuen nicht einem anderen Buddha begegnen und von diesem profitieren können. Das kommt daher, dass jeder Buddha eine unterschiedliche Person ist: Shakyamuni ist nicht Maitreya. Bevor sie die Erleuchtung erlangt haben, hat jeder von ihnen mit unterschiedlichen Wesen Umgang gepflegt und hat ganz unterschiedliche Dinge auf dem Weg zur Erleuchtung getan. Deshalb haben einige Wesen eine karmische Verbindung mit diesem Buddha und andere mit jenem Buddha. Einigen Menschen kann dieser Buddha helfen, anderen Menschen kann jener Buddha helfen. Wenn alle Buddhas dieselbe Person wären, dann würde es diesen Unterschied nicht geben.

Kurz gesagt, haben wir alle individuelle, subjektive geistige Kontinua unterschiedliche Filme. Ich denke, das ist das eindringlichste Bild mit dem wir arbeiten können: Unterschiedliche Filme. Der Shakyamuni-Film ist verschiedenen vom Maitreya-Film. Jeder Buddha hat eine unterschiedliche Geschichte; jeder Buddha nützt unterschiedlichen Wesen. Aber sie beeinflussen sich gegenseitig; jeder kann jeden beeinflussen. Individuell und verschieden zu sein heißt nicht, dass man isoliert ist und ganz für sich selbst existiert, ohne Beziehung zu irgendwem oder irgendetwas.

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