Wie man Interesse am Dharma entwickelt
Wir werden hier im Rahmen eines Dialoges vorgehen und uns gegenseitig Fragen stellen. Wenn ich nämlich nur hier sitze und vortrage, wird euch das nicht von großem Nutzen sein, da wir nur wenige Tage miteinander haben. Wenn wir jedoch Fragen stellen und uns ungezwungen miteinander unterhalten, wird euch das viel mehr nützen.
Ihr, die ihr alle heute hier seid, lebt an einem wunderbaren, abgelegenen Ort und habt großes Interesse, den Dharma zu praktizieren und euch eurer spirituellem Entwicklung zu widmen. Das ist wirklich wunderbar. Zuerst werde ich euch eine Frage stellen. Wie entwickelt man eigentlich Interesse am Dharma?
Wir sind das während der vergangenen paar Tage in unserem Meditationskurs durchgegangen und haben versucht festzumachen, was es dafür braucht, den Geist zu zähmen, aber niemand von uns war sich wirklich sicher. Ich glaube es geht darum, das Leiden zu erkennen, sich zu entscheiden, mehr dagegen zu unternehmen, und ebenso zu erkennen, dass es an uns liegt, dieses Leiden zu beseitigen.
In gewissem Sinne ist das richtig. Wenn wir Leiden und Probleme betrachten, sind dies Dinge, die niemand möchte. Niemand möchte Leiden und Probleme; jeder möchte glücklich sein. Was das Streben nach Glück betrifft, so bringen viel Essen und Trinken und ein behaglicher Ort zum Leben zwar einen gewissen Umfang an Glück, aber das ist nicht das Glücklichsein, von dem wir sprechen, oder?
Nein, ist es nicht. Geht es in diesem Fall darum, sich der Unbeständigkeit bewusst zu sein?
Um diese Frage zu beantworten: Ist es genug, wenn wir einen gewissen Umfang an Glück nur in dem Sinne haben, dass wir genug zu essen, zu trinken und einen Ort zum Leben haben? Ist das das Glück, nach dem wir suchen?
Nichts scheint uns zufriedenzustellen.
In diesem Land kann man mit einem Job sehr leicht genug Geld verdienen, um davon zu leben. Aber wie du sagst, ist das nicht genug. Es ist nicht zufriedenstellend. Warum ist das so? Warum ist es nicht genug?
Weil Dinge sich verändern und keinen Bestand haben?
Das stimmt. Wie du richtigerweise sagst, ist diese Art von Glück etwas, das nicht beständig ist; es hält nicht für immer an und ist deshalb nicht zufriedenstellend. Nach welcher Art von beständigem Glück sucht man also?
So etwas wie beständiges Glück gibt es nicht.
Ein Glück, das nicht beständig ist, das nichtstatisch ist - diese Art von Glück ist nicht genug. Bedeutet das, dass man beständiges Glück finden möchte, oder dass man überhaupt kein Glück finden möchte?
Man würde ein beständiges Glück finden wollen, welches nicht durch unsere Veranlagungen, unser Karma, eingeschränkt ist.
Wenn es also etwas wie ein statisches, permanentes Glück nicht gibt, möchte man dann also ein sehr lange anhaltendes Glück, eines, das herrlich und so großartig wie nur möglich ist? Falls es diese Art von Glück ist, nach der man sucht, dann stimmt es, wie du sagst, dass die Art von Glück, die man durch das Verfolgen weltlicher Belange erlangt, sehr begrenzt ist. Es verändert sich und hält nicht an. Deshalb gibt es, abgesehen vom Dharma und spirituellen Aktivitäten, keinen Weg, der uns eine wirklich wunderbare Art von Glück bringt, welches sehr lange anhält und uns ganz und gar zufriedenstellt.
Was versteht man also unter dem Begriff Dharma; was bedeutet er? Wenn wir sagen ,,praktiziere den Dharma” - was bedeutet es, dass man den Dharma praktizieren sollte?
Der Dharma sind die Lehren des Buddha.
Denke mal ein wenig mehr darüber nach. Was bedeutet es, den Dharma zu praktizieren, und was ist die Abgrenzung zwischen jemandem, der den Dharma praktiziert und jemandem, der dies nicht tut?
Dass man eine gewissenhafte Person ist, die sich bemüht, gewissenhaft den Dharma zu studieren?
Eine spirituelle Praxis - oder Dharma - besteht nicht einfach daraus, ein hübsches Haus zu errichten, um es sich dann in diesem Leben gut gehen zu lassen. Eine Aktivität, die hauptsächlich darauf gerichtet ist, Essen, Trinken und angenehme Dinge für dieses Leben zu erlangen, ist nicht Dharmapraxis oder echte spirituelle Praxis. Jede Art von Praxis jedoch, die darauf abzielt, über das nächste Leben hinaus einen Nutzen zu bringen, ist echte spirituelle Praxis. Das ist die Abgrenzung. Versteht ihr?
Es hängt also davon ab, ob man die Existenz von vergangenen und zukünftigen Leben akzeptiert oder nicht. Wenn man die Existenz zukünftiger Leben nicht akzeptiert, ist das in keiner Weise echte Dharmapraxis. Ist man daran interessiert, ein beständiges Glück zu bewirken, dann geht es hierbei nicht um ein Glück für die kurze Dauer dieses Lebens allein. Stattdessen sollte man ein Glück anstreben, welches durch alle zukünftigen Leben anhalten wird. Mit dieser Art von Aktivität befasst sich also Dharmapraxis: beständiges Glück für zukünftige Leben zu bewirken.
Der Begriff ,,spirituelle Praxis” - oder ,,Dharma” in Sanskrit - hat die Konnotation einer vorbeugendenden Maßnahme; etwas, das einen zurückhält, oder verhindert, dass etwas eintritt. In Bezug darauf, wie es einen zurückhält oder etwas verhindert, gibt es drei Arten, dies zu verstehen. Das Wort ,,zurückhalten” hat drei Konnotationen:
- Sich selbst davor zurückzuhalten oder zu verhindern, dass man in einem zukünftigen Leben in einem Höllenbereich wiedergeboren wird.
- Obwohl man bestimmte Maßnahmen ergreifen kann, die verhindern oder einen davor bewahren, in zukünftigen Leben in eine schlechtere Wiedergeburt zu fallen, ist es möglich - obwohl man im nächsten Leben davor bewahrt ist -, in einem der darauffolgenden Leben wieder in einen der niederen Bereiche zu fallen. Es gibt also darüber hinaus auch vorbeugende Maßnahmen, die einen davor zurückhalten oder bewahren, jemals wieder zurückzufallen oder in irgendeiner Art von samsarischer Situation wiedergeboren zu werden, da Samsara selbst sich unkontrollierbar wiederholende Wiedergeburt bedeutet.
- Zusätzlich zur Tatsache, dass man bestimmte Dinge tun kann, um sich selbst davor zu bewahren, in jeglicher Art von sich unkontrolliert wiederholender Situation wiedergeboren zu werden, kann man ebenso Maßnahmen ergreifen, generell jeden davor zu bewahren, in eine solche Situation zu fallen, da jeder in der selben Lage ist wie man selbst.
Wenn man also von den vorbeugenden Maßnahmen des Dharmas spricht, so sind es diese genannten drei Maßnahmen, die man ergreifen kann, um das Eintreten folgender drei Dinge zu verhindern:
- selbst in einen niederen Bereich zu fallen.
- selbst in irgendeiner samsarischen Situation wiedergeboren zu werden.
- dass überhaupt irgendjemand in solch einer Situation wiedergeboren wird.
Habt ihr verstanden, wie der Dharma auf diese drei Weisen verhindert, dass bestimmte Dinge eintreten, wie er einen von bestimmten Dingen zurückhält, wie er alle zurückhält? ,,Vorbeugend” ist vermutlich der bessere Ausdruck - Dharma als vorbeugende Maßnahme. Versteht ihr, was ich damit meine, wenn ich von ,,vorbeugend” spreche?
Was kann ich mithilfe von Dharmapraxis tun, um andere Menschen davor zu bewahren, in Samsara zu fallen?
Darüber sprechen wir natürlich noch zu gegebener Zeit. Wir werden uns mit jeder der Maßnahmen, die man ergreifen kann, um zu verhindern, dass die drei genannten Dinge eintreten, beschäftigen. Zuerst gilt es jedoch zu verstehen, was diese drei Dinge, die man verhindern möchte, überhaupt sind. Versteht ihr also, was diese drei Dinge im Allgemeinen sind? Dann gehen wir ins Detail.
Ethische Selbstdisziplin: Destruktive Handlungen unterlassen
Zunächst die erste Maßnahme, um sich selbst davor zu bewahren, in einem der schlechten samsarischen Bereiche wiedergeboren zu werden: die vorbeugende Maßnahme, um dies zu verhindern, wäre, sich selbst von den zehn destruktiven, nichttugendhaften Handlungen zurückzuhalten. Indem man auf diese Art des ethischen Verhaltens achtet, bewahrt man sich davor, in einem der niederen Bereiche wiedergeboren zu werden.
Um dieser Art von ethischer Selbstdisziplin zu folgen, muss man die zehn destruktiven Handlungen kennen; das wisst ihr vielleicht schon. Kennt ihr sie?
Nein.
Die drei destruktiven Handlungen des Körpers: Töten
Zuallererst gibt es drei destruktive Handlungen des Körpers. Die erste besteht darin, das Leben irgendeines Lebewesens zu nehmen - sprich, zu töten. Wenn man darüber nachdenkt, ist es unser Leben, welches wir am meisten wertschätzen und welches unser kostbarster Besitz ist. Wenn jemand uns unseres Lebens beraubt, so ist dies das Schlimmste, was man uns zufügen kann in Bezug auf den Besitz, den wir am meisten wertschätzen. Dasselbe gilt für jedes andere Lebewesen: Es ist deren Leben, welches sie am meisten wertschätzen.
Damit die Handlung des Tötens eines Lebewesens vollständig ist, müssen vier Dinge zusammenkommen: eine Grundlage für die Handlung, ein beteiligter Gedanke oder eine Intention, die eigentliche Handlung und das aus der Handlung folgende Resultat.
- Damit die Handlung vollständig ist, muss es zunächst eine Grundlage für das Töten geben. Man bräuchte zum Beispiel eine Ziege, ein Schaf oder irgendein anderes Lebewesen als Objekt des Tötens.
- In Bezug auf die Intention oder den beteiligten Gedanken muss das Objekt des Tötens richtig identifiziert werden und es muss eine Motivation geben. Damit die Handlung also vollständig ist und alle Konsequenzen vollständig zum Tragen kommen können, muss man die Grundlage der Handlung richtig identifizieren. Um bei dem vorherigen Beispiel mit der Ziege und dem Schaf zu bleiben; wenn man nicht erkennt, welches der beiden Tiere das Schaf ist, das man eigentlich töten möchte, und man dann versehentlich die Ziege tötet, so ist dies nicht dasselbe, wie wenn man sich seinem Ziel beim Ausführen der Handlung vollständig bewusst ist. Es geht darum, richtig zu identifizieren, wen oder was man zu töten sucht.
In Bezug auf die Motivation, die zum eigentlichen Töten des Tieres motiviert, könnte es eine dieser drei sein: Verlangen und Anhaftung, Wut und Feindseligkeit oder engstirnige Unwissenheit und Naivität. Betörende Anhaftung oder Verlangen könnten dazu motivieren, ein Schaf töten, um sein Fleisch zu essen. Man hat Verlangen nach seinem Fleisch. Wut oder Feindseligkeit könnten motivieren, zu töten, wenn man zum Beispiel wütend auf das Tier ist, es dann schlägt und tötet. Aufgrund engstirniger Unwissenheit und Naivität könnte man denken, durch Opfern des Tieres eine bessere Wiedergeburt zu erlangen. Dann schlachtet man viele Tiere und macht Blutopfer mit dieser Motivation. So tötet man aufgrund von engstirniger Unwissenheit und Naivität.
- Der dritte Punkt lautet, dass die eigentliche Handlung erfolgen muss. Eine solche wäre zum Beispiel das Aufschlitzen des Halses eines Schafes, das Aufschneiden seines Bauches und Herausreißen der Eingeweide oder irgendeine andere Methode, um das Tier tatsächlich zu töten. Die eigentliche Handlung muss stattfinden.
- Schließlich muss das Resultat eintreten; mit anderen Worten, das Tier muss tatsächlich sterben, damit die Handlung des Tötens vollständig ist.
Ihr solltet also verstehen, dass in Bezug auf das Nehmen eines Lebens - ob es dabei um euer eigenes oder um das Leben eines anderen geht - all diese Faktoren beteiligt sein müssen, damit der Tötungsakt vollständig ist.
Sprechen wir vom Töten eines anderen Lebewesens, so muss das Lebewesen selbst oder die andere Person vor einem selbst sterben, damit die Handlung vollständig ist. Suizid ist nicht exakt dieselbe Art von Handlung wie das Töten eines anderen Lebewesens, da derjenige, den man tötet - die Grundlage der Handlung - nicht vor einem selbst stirbt. Es ist also eine andere Art der Handlung.
Bezogen auf das Resultat, welches sich aus einer solchen destruktiven Handlung wie dem Töten eines Lebewesens ergibt, spricht man von vier verschiedenen Arten:
- Das erste ist die reifende Auswirkung oder die Art von Wiedergeburt, die aus einer solchen Handlung heranreift. Dies wäre eine Wiedergeburt als Höllenwesen, Hungergeist oder Tier - mit anderen Worten eine Wiedergeburt in einem der drei niederen Bereiche.
- Sobald die herangereiften Auswirkungen einmal aufgebraucht sind und man dann aufgrund verschiedener positiver oder konstruktiver Handlungen aus der Vergangenheit erneut als Mensch wiedergeboren wird, so wird jenes Leben kurz und voll von Krankheit und Beschwerlichkeiten sein. Das wäre die nächste Art von Resultat, nämlich das Resultat, welches der Ursache entspricht bezüglich dessen, was einem in Zukunft widerfahren wird. Man tötet und verkürzt das Leben eines anderen, und so wird das eigene Leben gleichfalls kurz sein.
- Das nächste Resultat in einem darauffolgenden Leben als Mensch wäre, bereits in jungem Alter Gefallen am Töten anderer Lebewesen zu finden. Man wäre sehr sadistisch und würde andere Lebewesen - zum Beispiel Insekten - quälen. Das wäre das Resultat, welches der Ursache entspricht bezüglich des späteren unwillkürlichen Verhaltens. Man wird auch in Zukunft die unwillkürlichen Verhaltensweisen eines sadistischen Killers zeigen.
- Das vierte Resultat wird übergreifendes Resultat genannt und es ist insofern übergreifend, dass man an einem Ort wiedergeboren wird, an dem es viele andere Wesen gibt, die in der Vergangenheit ebenfalls getötet haben. Alle erleben gemeinsam das übergreifende Resultat eines Ortes, an dem alles wenig Kraft besitzt. Es gäbe zum Beispiel sehr schlechte medizinische Versorgung, die Medikamente wären schwach und unwirksam, die Nahrung und Ernte wären sehr mager und das Essen hätte wenig Nährwert.
Wenn man also all diese Probleme und verheerenden Auswirkungen, die dem Töten anderer Lebewesen folgen, bedenkt, so wird man sich sehr bemühen, davon abzusehen, jemals zu töten. Dies selbst ist eine konstruktive Handlung und wäre die erste der zehn konstruktiven oder tugendhaften Handlungen: sich davor zurückzuhalten, einem anderen Lebewesens das Leben zu nehmen. Die Tatsache, dass wir als Mensch mit diesem exzellenten Körper als Arbeitsgrundlage wiedergeboren wurden, ist zum Beispiel das Ergebnis solcher konstruktiven Handlungen in der Vergangenheit.
Möchte man in einem der besseren Wiedergeburtszustände als Mensch, Gott oder Asura wiedergeboren werden, so gilt es, ethische Selbstdisziplin zu halten und nicht zu töten. Die Auswirkung, welche der Ursache hinsichtlich dessen, was man in Zukunft erleben wird, entspricht, wird sein, dass man ein langes Leben haben wird, gesund sein und von jeglicher Krankheit verschont bleiben wird. Die Auswirkung, welche der Ursache hinsichtlich des unwillkürlichen Verhaltens entsprechen wird, wird sein, dass man von der Idee zu töten abgeschreckt sein wird und man nicht gerne Fleisch essen wird. Die übergreifende Auswirkung wird sein, dass man unter vielen anderen wiedergeboren wird, die sich ebenso vom Töten zurückhielten, und an dem Ort, an dem man wiedergeboren wird, werden alle gesund sein, die Nahrung wird einen hohen Nährwert haben und dem Körper gut tun, die Medikamente werden sehr wirksam sein und so weiter.
Es ist wichtig, die destruktiven Handlungen zu kennen, um zu wissen, wie man sie vermeiden kann, und um somit in konstruktiver Weise zu handeln. Dies zu tun, ist eine vorbeugende Maßnahme, um sich davor zu bewahren, in einem der niederen Bereiche wiedergeboren zu werden; sprich, der Dharma. Um zur nächsten Ebene der vorbeugenden Maßnahmen des Dharma zu gehören, die zum Ziel haben, sich von jeglicher Art sich unkontrollierbar wiederholender Wiedergeburt zu befreien, müssen diese Maßnahmen im Rahmen der drei höheren Schulungen angewendet werden. Die dritte Schulung ist die der höheren Weisheit oder unterscheidenden Gewahrseins.