Bei den nächsten drei Gliedern – Nummer acht, neun und zehn – handelt es sich um die kausalen Glieder, die realisieren (tib. bsgrub-byed-kyi yan-lag). Sie sind das, was im Moment vor dem Tod die karmischen Hinterlassenschaften des werfenden Karmas aktiviert, so dass die karmischen Resultate sich realisieren. Sie dienen daher als gleichzeitig wirkende Bedingungen (tib. lhan-cig byed-rkyen) für die Aggregate unserer zukünftigen Wiedergeburt. Sie wirken gleichzeitig zu den karmischen Ursachen für die Aggregate unserer zukünftigen Wiedergeburt. Wenn sie nicht als Bedingungen vorhanden und wirksam sind, wird die karmische Hinterlassenschaft nicht aktiviert und produziert nicht ihre Ergebnisse.
Diese drei Glieder sind parallel zur Sequenz, die sich in unseren Leben ständig als Reaktion auf das Erleben von den Empfindungen des Glücklich- oder Unglücklichseins ereignet. Gewöhnlich reagieren wir mit störenden Emotionen, dem Drang zu Handeln, und Impulsen, mit denen wir dann tatsächlich handeln. Diese parallelen Faktoren hier haben allerdings einen viel stärkeren Einfluss, da sie sich zum Zeitpunkt des Todes ereignen.
Das achte Glied: Begierde
Das achte Glied ist die Begierde (tib. sred-pa). Hier konzentrieren wir uns auf Empfindungen des Glücklichseins, des Unglücklichseins oder auf neutrale Empfindungen, die in den Momenten kurz vor unserem Tod herangereift sind. Die Begierde ist eine Art sehnsüchtiges Verlangen (tib. ‘ dod-chags) in Zukunft etwas zu erleben, das wir gerade erleben oder nicht erleben.
Es gibt drei Arten von Begierde:
(1) Die erste ist die Begierde in Bezug auf Begehrenswertes (tib. ‘dod-sred). Dies bedeutet, dass wir begehren, nicht von den gewöhnlichen Formen des Glücklichseins, die wir gerade erleben, getrennt zu werden. Vielleicht empfinden wir Glück, weil wir unsere geliebten Menschen um unser Totenbett haben oder sogar wegen eines betäubenden Schmerzmittels. Der Glücksgrad, den wir begehren und den wir nicht loslassen wollen, braucht hierbei nicht intensiv sein.
(2) Die zweite ist die Begierde aufgrund von Angst (tib. ‘jigs-sred), d.h. die Begierde, von Schmerz und Unglücklichsein getrennt zu sein. Viele ältere Menschen, die geistig leiden, haben das Gefühl, dass all ihre Bekannten gestorben sind; sie sehnen sich nur noch danach, von ihrer Depression und ihrem Elend erlöst zu werden. Die erste und die zweite Form der Begierde sind nicht schwer nachzuvollziehen.
(3) Die dritte Form ist die Begierde in Bezug auf Weiterexistenz (tib. srid-sred). Hierbei handelt es sich um die Begierde dass eine neutrale Empfindung, die wir erleben, fortbesteht und nicht degeneriert, beispielsweise das neutrale Gefühl des Schlafes oder des Komas.
Eine ergänzende Erklärung besagt, dass man unter der Begierde in Bezug auf Weiterexistenz die Begierde nach unserem eigenen, aus fünf Aggregaten bestehenden Körper verstehen kann, der die Basis für die ersten beiden Formen der Begierde darstellt. Wir sollten diese Form der Begierde genauer ins Auge fassen: sie ist sehr subtil und nicht leicht zu verstehen. Selbst im Koma kann die unbewusste Begierde danach, einen Körper zu haben und weiterzuleben weiterbestehen. Die ältere Tante eines meiner Freundes erlitt einen schweren Schlaganfall und befindet sich jetzt im Halbkoma. Sie kann nur noch ihre Augen bewegen. Meistens ist sie abwesend. Die Ärzte sagen, dass sie eigentlich wenige Wochen nach dem Schlaganfall hätte sterben müssen, doch sie lebt nun schon acht Monate in diesem Zustand, mit einem Schlauch in ihrem Magen, der sie ernährt. Sie klammert sich ans Leben und will nicht loslassen.
Sogar Menschen, die meditiert, und Gleichmut über ihre Emotionen erlangt haben, verspüren möglicherweise weiterhin Begierde nach ihrem Körper, der die Basis ihres Gleichmuts darstellt. Selbst aus der Perspektive unserer begrenzten Erfahrung ist das nicht so schwer nachzuvollziehen. Im Zahnarztstuhl machen wir vielleicht die Praxis des tonglen (die Übung des Gebens und Nehmens) oder stellen uns den Schmerz als etwas Vergängliches vor, sagen einige Mantras auf usw. Als Ergebnis hiervon sind wir der Schmerzerfahrung gegenüber daher möglicherweise in einem etwas entspannteren Geisteszustand. Und doch können wir feststellen, wie sich unser Körper immer noch anspannt: die Spannung in unseren Händen, mit denen wir uns an den Armlehnen des Behandlungsstuhls festklammern ist möglicherweise ein Indikator für diese dritte Form der Begierde.
Es gibt auch eine alternative Erklärungsweise, bei der die drei Arten der Begierde in Beziehung zu Objekten der drei Zeiten ausgelegt werden. (1) Die Begierde in Bezug auf Begehrenswertes bedeutet, an den Objekten der Gegenwart festzuhalten: wir haften daran, sie zu behalten. (2) Die Begierde aufgrund von Angst bedeutet, an Objekten der Vergangenheit festzuhalten: wir haben Angst, all das, woran wir uns erinnern, in der Vergangenheit erreicht oder besessen zu haben, loszulassen. (3) Die Begierde in Bezug auf Weiterexistenz bedeutet, an Objekten der Zukunft zu festzuhalten, d.h. man haftet daran, in zukünftigen Wiedergeburten weiterzuleben.
Das neunte Glied: ein Herbeiführer
Das neunte Glied ist ein Herbeiführer (tib. len-pa), der entweder in einer herbeiführenden störende Emotion oder in einer herbeiführenden störende Geisteshaltung besteht. Ein Satz von Aggregaten ist „befleckt“ (tib. zag-bcas kyi phung-po, kontaminierte Aggregate) durch die Unwissenheit, dem ersten Glied des abhängigen Entstehens, das zum werfenden Karma und zum gesamten Prozess, der sie entstehen ließ, führte. Beinhalten die Aggregate eines oder mehrere dieser herbeiführenden Emotionen oder Geisteshaltungen, werden sie herbeiführende Aggregate (tib. nyer-len-gyi phung-po) genannt. Aufgrund ihrer Präsenz und ihrer Wirkung und durch ihren Mechanismus, dabei zu helfen, die karmischen Hinterlassenschaften zu aktivieren, erlangen wir zukünftige Aggregate, die sie auch enthalten.
Es gibt vier Herbeiführer. Bei dem ersten handelt es sich um eine herbeiführende störende Emotion, während die darauf folgenden drei herbeiführende störende Geisteshaltungen sind.
(1) Die herbeiführende störende Emotion ist die herbeiführende Begierde (tib. ‘dod-pa nye-bar len-pa) nach einem begehrenswerten Sinnesobjekt aus dem Reich der begehrenswerten Sinnesobjekte. Hierbei kann es sich um Anhaftung gegenüber einem Sinnesobjekt handeln, das wir gerade erleben oder gegenüber einem Sinnesobjekt, das wir gerne hätten. Eine sehr übliche Form hiervon ist der Wunsch, von jemandem an der Hand gehalten oder in den Arm genommen zu werden. Wir möchten eine physische Erfahrung. „Halt mich fest!“ „Lass mich nicht los!“. Wir möchten Bilder der von uns geliebten Menschen, oder von Buddha, Jesus oder wem auch immer, sehen. Die meisten Menschen werden sich zum Zeitpunkt ihres Todes nicht nach einem Duft oder einem Geschmack sehnen, aber ein Hund hat vielleicht Anhaftung oder Sehnsucht nach dem Geruch seines Herrchens. Es könnte auch Anhaftung oder die Sehnsucht nach der Stimme eines geliebten Menschen sein. Dies geschieht wirklich zum Zeitpunkt des Todes. Es ist schrecklich. Es ist eines der Dinge, die das werfende Karma aktivieren. In den Texten werden all diese Dinge mit Fachbegriffen besprochen, doch es ist wichtig, dass wir sie mit unseren Erfahrungen in Beziehung setzen und darüber nachdenken, was sie eigentlich bedeuten.
(2) Die zweite Form von Herbeiführer ist eine herbeiführende verblendete Auffassung (tib. lta-ba nye-bar len-pa). Diese zerfällt ihrerseits in drei Teile, die drei der fünf „ störenden verblendeten Lebensauffassungen“ (tib. lta-ba nyon-mongs-can, verblendete Ansichten) abdecken, die ich kurz als „verblendete Auffassungen“ bezeichne.
Wir sprechen hier über das, was im Sanskrit „ klesha“ (tib. nyon-mongs) genannt wird, das ich aber lieber mit „störende Emotionen und Geisteshaltungen“ übersetze, obwohl sogar das inadäquat ist. Laut Definition sorgen sie bei ihrem Auftauchen dafür, dass wir uns gestört und unwohl fühlen. Manche übersetzen diesen Begriff mit „ emotionale Qual“ (engl. emotional afflictions, Leidenschaften) oder „quälende Emotionen“ (engl. afflictive emotions), aber diese Begriffe lassen den Eindruck entstehen, dass es nur um Emotionen geht, was aber nicht der Fall ist.
Es ist äußerst schwierig, ein Wort oder einen Satz in unseren Sprachen zu finden, der den gesamten Sinngehalt des klesha-Begriffs abdeckt. Von den sechs grundlegenden kleshas handelt es sich bei fünfen nicht um eine Lebensauffassungen, während die fünf Untergruppen des sechsten Kleshas Lebensauffassungen sind. Unter diesen fünfen, die keine Lebensauffassungen sind, sind Anhaftung und Feindseligkeit „Emotionen“ im Sinne unseres westlichen Begriffs. Die Arroganz bzw. der Stolz ist möglicherweise eine Emotion, aber eher eine Geisteshaltung. Die Naivität und die Unentschlossenheit sind störende Geisteszustände. Beim sechsten Klesha, den verblendeten Auffassungen, handelt es sich um störende Geisteshaltungen.
Lassen Sie uns auf jeden Fall die drei verblendeten Auffassungen betrachten, die hier die Unterabteilungen einer herbeiführenden verblendeten Auffassung bilden.
(a) Die erste, eine verblendete Auffassung (tib. log-par lta-ba), ist in erster Linie das Leugnen von Ursache und Wirkung. Mit der verblendeten Auffassung, bei der wir Ursache und Wirkung verleugnen glauben wir an künftige Wiedergeburten. Doch wir bestreiten, dass wir dann die Ergebnisse irgendeiner unserer Handlungen erleben werden. Um eine Analogie aus dem Computerbereich zu verwenden: wir glauben, dass unsere Festplatte komplett gelöscht wird und dass wir als leeres Laufwerk in unser nächstes Leben gehen. Die Formatierung und die Programme, die in einem zukünftigen Leben darauf geladen werden, stehen in keinerlei Beziehung zu dem, was wir in diesem Leben getan haben. Das kann auch recht beunruhigend sein, da wir keine Ahnung haben, was geladen werden wird und dies leicht etwas Schreckliches sein könnte. Wir können durch nichts das Kommende beeinflussen.
Unsere verblendete Auffassung kann auch das Leugnen der Wiedergeburt sein. Wenn wir glauben, dass dieses Leben das einzige ist, das unser solides „Ich“ je haben wird, neigen wir dazu, uns stärker daran festzuklammern als wenn wir an Wiedergeburt glauben.
Eine weitere Variation kann das Leugnen einer sicheren Richtung (Zuflucht) sein. Wir glauben vielleicht, dass es keine Quellen für eine sichere Richtung gibt, die uns erkennen lassen, welches die hilfreichsten Gedanken und Gebete zum Zeitpunkt unseres Todes sind. Mit dieser verblendeten Auffassung können wir uns verloren und hilflos fühlen. Da die verblendeten Auffassungen eine emotionale Komponente von Antagonismus, gegenüber jedem oder jeder Ansicht, die mit unserer nicht übereinstimmt, aufweisen, kann dieses Leugnen von allem zum Zeitpunkt unseres Todes sehr bitter sein.
(b) Die zweite herbeiführende verblendete Auffassung ist eine extreme Auffassung (tib. mthar-‘dzin-pa’i lta-ba). Eine Variante davon, ist die störende Einstellung, dass Körper und Geist, mit ihren scheinbar festen und beständigen Identitäten, ewig existieren werden und dass der Tod nie eintritt. Es ist eine große Leugnung des Todes, ein sehr gestörter und störender (beunruhigender) Geisteszustand. Er kann im Moment des Todes leicht zu absoluter Panik führen.
Eine extreme Auffassung kann es auch sein, zu glauben, dass wir nach unserem Tod keine Kontinuität erfahren. Wir glauben, dass nach dem Tod nichts passiert, dass es kein weiteres Erleben gibt. Psychologisch betrachtet, ist dies ein störender Geisteszustand. Dahinter steckt meistens das erschreckende Gefühl, dass uns ein großes Nichts erwartet.
(c) Die dritte herbeiführende, verblendete Auffassung ist es, eine verblendete Auffassung als das Beste (tib. lta-ba mchog-tu ‘dzin-pa) zu betrachten. Eine verblendete Auffassung als die Beste zu haben, ist eine Geisteshaltung, die unsere Einschätzung der Dinge beinhaltet. Laut einer Erklärung betrachten wir vielleicht unsere Aggregate, unseren Körper usw. als etwas absolut Reines, Sauberes und als Quelle wahrer Freude. Durch diese verblendete Auffassung vertreten wir eine, auf einer fehlerhaften Betrachtung (tib. tshul-min yid-byed) beruhenden, Geisteshaltung als die Beste; Wir glauben, sie sei absolut wahr. Deshalb wollen wir weiterhin unsere Körper haben. Wenn wir unseren Körper als Quelle wahrer Freude betrachten, denken die meisten Menschen dabei an Sex.
Diese hier beteiligte fehlerhafte Betrachtung könnte auch in das Gegenteil umschlagen, nämlich unsere Aggregate als etwas Schmutziges und Schreckliches zu betrachten. Wir betrachten diese Auffassung dann als absolut zutreffend und denken vielleicht „Wenn ich mich von ihnen trennen könnte, würde ich wahres Glück erleben“. Diese verblendete Auffassung hat vielleicht jemand, der an Krebs oder AIDS stirbt oder der Selbstmord verüben möchte.
Diese drei Formen – eine verblendete Auffassung, eine extreme Auffassung und das Vertreten einer verblendeten Auffassung als die Beste – konstituieren die zweite Art von Herbeiführer: eine herbeiführende verblendete Auffassung.
(3) Die dritte Art von Herbeiführer ist die störende Geisteshaltung, eine verblendete Moral oder ein verblendetes Verhalten als das Beste zu vertreten (tib. tshul-khrims-dang brtul-zhugs mchog-tu ‘dzin-pa).
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Die verblendete Moral bedeutet, sich von einer trivialen Verhaltensweise zu befreien, deren Aufgeben, besonders im Sterben, bedeutungslos ist. Ein Beispiels hierfür ist es, auf den Verzehr unserer liebsten Lebensmittel zu verzichten, die nicht gut für uns sind, wenn wir an Krebs im Endstadium leiden.
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Das verblendete Verhalten bedeutet, sich auf eine triviale Art zu kleiden, handeln oder zu sprechen, die im Angesicht des unmittelbaren Todes sinnlos ist. Beispielsweise das Anziehen unserer Militäruniform, so dass wir in Uniform sterben, das Umklammern eines Glückszaubers oder die Nichtakzeptanz von dem, was geschieht und das Rufen nach jemandem, der uns auf wundersame Weise vor dem Sterben rettet.
Mit dieser herbeiführenden störenden Geisteshaltung, sind wir überzeugt, dass dieses triviale Handeln uns von allem Negativen bereinigen, uns von all unseren Sorgen befreien würde und wir endgültig einem besseren Schicksal übergeben würden.
(4) Der vierte Herbeiführer bedeutet, unsere Identitäten (tib. bdag-tu smra-ba) zu behaupten, was sich auf die störende Geisteshaltung der verblendeten Auffassung in Bezug auf ein vergängliches Netzwerk (tib. ‘jig-lta) bezieht. Denken wir im Sinne eines soliden „Ichs“, identifizieren wir, wenn wir Sterben, dieses solide „Ich“ mit unseren Aggregaten; mit anderen Worten, mit manchen Teilen unserer Erfahrung. Oder wir identifizieren das vermeintlich solide „Ich“ als den Besitzer, Aufseher oder Bewohner unserer Aggregate, die auf solide Weise „meine“ sind. Wenn wir sterben, könnte dies beispielsweise bedeuten, dass wir bei den Gedanken „Was passiert mit mir? Was geschieht mit meinem Körper?“ in Panik geraten.
Das sind die vier Arten von Festklammerns. Wenn wir sterben, erleben wir tatsächlich all diese Dinge in der einen oder anderen Form. „Halt mich! Ich sterbe! So rette mich doch jemand! Ich will diesen Körper, der mir in meinem Leben so viel Freude bereitet hat, nicht verlassen! Was geschieht mit mir?“ Es ist eine schreckliche Erfahrung. Es bedeutet, den Tod mit Unwissenheit zu erleben.
In den Übungen des Anuttarayoga-Tantra spielen wir das Sterben durch, so dass wir ohne Unwissen sterben und zum Zeitpunkt des Todes nicht in Panik geraten. Wir wissen, dass der Auflösungsprozess des Sterbens in acht Stufen abläuft und wir wissen, was passieren wird, so dass wir dann nicht durchdrehen. Bis wir absolute Vertrautheit mit den acht Stufen des Todesprozesses erlangen, bestehen die Anweisungen für die Meditation, während wir uns das Erleben jeder Stufe vorstellen, darin, sich der soeben abgeschlossenen Stufe bewusst zu sein, zu wissen, welche Stuf e gerade abläuft und welche als nächste kommen wird. Der Zweck ist es, Vertrautheit zu erlangen, so dass wir nicht die Orientierung verlieren; wir bleiben des ganzen Prozesses gewahr. Ansonsten passiert es leicht, dass man auf jeder einzelnen Stufe durchdreht, wenn sie tatsächlich stattfindet. Das ist wirklich ein triftiger psychologischer Grund, diese Art von Meditation zu praktizieren. In einem gewissen Sinne ist Panik eins der wichtigsten Dinge, die die Aktivierung des werfenden Karmas verursachen.
Das zehnte Glied: Weiterexistenz
Das zehnte Glied, Weiterexistenz (tib. srid-pa), wird üblicherweise mit „Werden“ übersetzt. Wörtlich bedeutet es jedoch „Existenz“ und bezieht sich auf die Weiterexistenz in unserer nächsten Wiedergeburt. Hier wird der Name des Ergebnisses einer seiner Ursachen gegeben. „Weiterexistenz“ bezieht sich eigentlich auf einen karmischen Impuls der, kurz bevor wir sterben, die karmischen Hinterlassenschaften des werfenden Karmas aktiviert (tib. nus-pa mthu-can-du byed-pa).
Da „Weiterexistenz“ eine Art geistiger karmischer Impuls ist, wird ihm der Fachausdruck „ karmischer Impuls, der eine weitere Existenz realisiert“ (tib. yang-srid sgrub-pa’i las) gegeben. Es ist so etwas wie der Impuls zu überleben: Die weitere Existenz, die er realisiert, beinhalten die vier Teile dieses Gliedes: die Bardo-Existenz (tib. bar-do’i srid-pa), die Empfängnis-Existenz (tib. skye-srid), die Existenz vor dem Tod (tib. sngon-dus-kyi srid-pa, sngon-gyi srid-pa) und die Todes-Existenz (tib. ‘chi-srid).
Die störenden Emotionen und Geisteshaltungen der Begierde und der Herbeiführer rufen (tib. gsos-‘debs) einen Überlebensimpuls hervor und, wie das achte und neunte Glied, ist das zehnte Glied eine notwendige, gleichzeitig auftretende Bedingung für eine samsarische Wiedergeburt. Die aktivierte karmische Hinterlassenschaft des werfenden Karmas ist die Ursache, die in diese Wiedergeburt „reift“. Das werfende Karma, das die karmische Wiedergeburt verursacht, ist eine Phänomen der Vergangenheit und keine unmittelbare Ursache der Wiedergeburt.
Während des Zeitraumes dieser drei Ursachenglieder, die sich realisieren, sind die Hinterlassenschaften des werfenden Karmas, die unserem kausalen aufgeladenen Bewusstsein zugeschrieben werden, noch nicht soweit herangereift, dass sie Ergebnisse hervorbringen. Die nächsten zwei, die Glieder, die sich aus dem Realisierten ergeben (tib. mngon-par grub-pa’i ‘bras-bu’i yan-lag) beschreiben, wie man als Ergebnis in eine nächste Wiedergeburt geworfen wird.
Das elfte Glied: die Empfängnis
Das elfte Glied, die Empfängnis (tib. skye-ba), ist äquivalent zum ersten Moment des vierten Gliedes, den be nennbaren Geisteskräfte mit oder ohne grobe Form. Wie wir gesehen haben, bezieht es sich nicht notwendigerweise auf den Moment der Empfängnis im biologischen Sinne, sondern eher auf den Moment, in dem der Embryo beginnt, als eine Basis für das Erleben zu funktionieren. Dieses elfte Glied dauert nur einen Augenblick an.
Das zwölfte Glied: Altern und Sterben
Das zwölfte Glied, Altern und Sterben (tib. rga-shi), beginnt im zweiten Moment unserer Wiedergeburt. Nachdem wir also im ersten Moment begonnen haben, das zukünftigen Leben auf der Grundlage eines Embryos zu erleben, fangen wir schon an zu altern. Es ist sehr interessant in Bezug auf unsere Vorstellung vom Alterungsprozess. Nach dieser Sicht hier beginnen wir nicht mit dem Altern, wenn wir sechzig sind; der Alterungsprozess setzt bereits im Moment nach der Empfängnis ein.
Bevor sie starb, lebte meine Mutter in einer Ruhestandsgemeinschaft in Florida. Jeder dort war zwischen fünfundsechzig und achtzig Jahren und keiner von ihnen betrachtete sich als alt. Sie waren nur „im Ruhestand“ – „alte Menschen“ waren für sie Menschen, die älter als achtzig waren und in Pflegeheimen lebten. Kinder oder Teenager betrachten jeden, der älter als fünfundzwanzig ist, als alt – und wenn du schon über vierzig bist, dann vergiss es! Die buddhistische Art, das Altern zu betrachten, ist viel gesünder: in der Sekunde nach der Empfängnis beginnen wir zu altern.
Der Prozess der samsarischen Wiedergeburt
Die zwölf Glieder folgen einander nicht in einer linearen Sequenz. Warum sollten sie auch, außer aufgrund unseres Greifens nach innewohnender Symmetrie? Es gibt vier Gruppen von Gliedern:
- Die Glieder der ersten Gruppe, die kausalen Glieder, die werfen (Nummer 1, 2 und 3a) geschehen in jedem Moment: ständig „pflanzen“ wir „Samen“ des werfenden Karmas.
-
Die Glieder der dritten Gruppe, die realisierenden kausalen Glieder (Nummer 8, 9 und 10) geschehen in den Momenten kurz vor dem Tod. Durch sie aktivieren wir die Hinterlassenschaften des werfenden Karmas.
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Die zweite Gruppe, die Glieder, die sich aus dem Geworfenen ergeben (Nummer 3b, 4, 5 und 6) beziehen sich auf die Entwicklung des Embryos im Mutterleib in dem Leben, das vom aktivierten werfenden Karma „geworfen“ wurde.
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Die letzten zwei Glieder, die Glieder, die sich aus dem Realisierten ergeben (Nummer 11 und 12), beginnen wieder bei der zweiten Gruppe. Wir könnten sterben lange nachdem aber auch bevor sich diese zweite Gruppe voll entwickelt hat, wie im Falle einer Abtreibung oder einer Fehlgeburt.
Die kausalen Glieder, die werfen | Die Glieder, die sich aus dem Geworfenen ergeben | Die realisierenden kausalen Glieder | Die Glieder, die sich aus dem Realisierten ergeben |
---|---|---|---|
1. Unwissenheit 2. Beeinflussende Variabeln 3. Aufgeladenes Bewusstsein a. Kausales aufgeladenes Bewusstsein | b. Resultierendes aufgeladenes Bewusstsein 4. Benennbare Geisteskräfte mit oder ohne feste Form 5. Anreger der Wahrnehmung 6. Kontaktierendes Bewusstsein 7. Das Empfinden eines Grades an Glücklichsein | 8. Begierde 9. Herbeiführer 10. Weiterexistenz | 11. Empfängnis 12. Altern und Sterben |
Um alle zwölf Glieder zu durchlaufen braucht man entweder zwei oder drei Leben. Die erste Gruppe, das Pflanzen der Hinterlassenschaften des werfenden Karmas ist ein Leben. Die dritte Gruppe, die diese karmischen Hinterlassenschaften aktiviert, kann entweder in dem Leben geschehen, in dem sie gepflanzt wurden oder in einem späteren Leben – es könnte sogar Millionen Jahre später geschehen. Sie müssen überhaupt nicht aufeinander folgen. Die zweite und vierte Gruppe beziehen sich auf ein Leben aus verschiedenen Perspektiven.
- Im Falle, dass der Prozess in zwei Leben vervollständigt wird, geschehen die erste und dritte Gruppe im gleichen Leben und die zweite und vierte im unmittelbar folgenden Leben.
- Läuft es in drei Lebzeiten ab, so geschieht die erste Gruppe in einem Leben, die dritte Gruppe in einem anderen, nicht notwendigerweise dem nächsten, Leben, und die zweite und vierte Gruppe vollziehen sich in dem Leben, das unmittelbar dem folgt, in dem die dritte Gruppe sich vollzieht. Wenn die Hinterlassenschaften des werfenden Karmas einmal von der dritten Gruppe aktiviert wurden, so ist die vierte Gruppe das Ergebnis im nächsten Leben.
Den Prozess stoppen: Die Vajrasattva-Reinigung
Wie befreien wir uns nun aus dieser Situation? Wie beenden wir sie? Um dies zu bewerkstelligen bedarf es zahlreicher Schritte – wie es im Buddhismus üblich ist. Zunächst versuchen wir uns von der negativen karmischen Kraft, die wir aufgebaut haben, zu reinigen. Eine der am weitesten verbreiteten Methoden hierfür ist die Vajrasattva-Meditation. Diese Methode gibt es nur im Mahayana.
Die Meditation beginnt damit, dass man die destruktiven Handlungen betrachtet, die man vollzogen hat. Hierbei betrachtet man sowohl die negativen Dinge, an die wir uns erinnern getan zu haben, als auch Dinge, an die wir uns nicht erinnern. Dies beinhaltet sogar destruktive Handlungen, die wir in vergangenen Leben zweifellos getan haben. Selbst wenn wir jetzt nicht mehr wissen, was wir in vergangenen Leben getan haben, geben wir trotzdem zu, dass unsere negativen Handlungen, worin sie auch immer bestanden haben, ein Fehler waren. Das braucht gar nicht so abstrakt zu sein: zum Beispiel bin ich, seitdem ich ein Baby war, gegen Katzen allergisch. Das ist eine Form von Leiden. Es muss von irgendeinem negativen Verhalten in einem früheren Leben stammen. Es ist egal, was das war. Man könnte darüber spekulieren, doch auf jeden Fall muss es eine Ursache dafür in einem früheren Leben gegeben haben und was auch immer es war, es war ein Fehler.
Wir brauchen unsere „Sünden“ oder „Taten“ niemand anderem zu beichten – noch nicht einmal Buddha. Wir erkennen sie nur vor uns selber an. Wir haben uns so verhalten, weil wir verwirrt waren und nicht weil wir „schlecht“ waren und irgendwelchen göttlichen Befehlen oder Zivilgesetzen Ungehorsam geleistet haben. „Vergebung“ und „ Bitte um Gnade“ sind Konzepte nichtbuddhistischer ethischer System, die im buddhistischen Kontext keine Rolle spielen.
Dann wenden wir die vier Gegenkräfte an:
(1) Als erstes bereuen wir unsere destruktiven Handlungen. Reue ist etwas ganz anderes als Schuldgefühle. Schuldgefühle zu haben ist wie wenn wir den Müll nie rausbringen oder die Toilette nie spülen würden. Wir machen damit weiter und lassen es nicht los, obwohl es schrecklich ist. Das ist tatsächlich eine gute Analogie. Wenn wir die Schuldgefühle in ihrer ganzen Lächerlichkeit darstellen, können wir sie leichter loslassen. Wenn man dagegen Reue verspürt, dann ist das, wie wenn wir etwas gegessen hätten, wovon uns übel ist. Wir wünschen uns, nie davon gegessen zu haben, aber die Tatsache, dass wir diese schlechte Nahrung zu uns genommen haben bedeutet nicht, dass wir „schlechte Menschen“ sind.
(2) Als zweites treffen wir den festen Entschluss, diese destruktiven Handlungen nach besten Kräften nicht zu wiederholen. Wir können nicht versprechen und garantieren, dass wir nie wieder jemanden anschreien werden. Doch wir werden unser Bestes geben, um nicht mehr wütend zu werden und niemanden anzuschreien. Dieser zweite Faktor beinhaltet also die Absicht, die Handlung nicht zu wiederholen. Wenn sich die negative karmische Kraft unserer destruktiven Handlungen weiterhin in Form subtiler negativer Energie auf unserem geistigen Kontinuum befindet, dann verwandelt unsere Absicht, die Handlungen nicht zu wiederholen, die subtile karmische Energie in ein negatives karmisches Potential. Dadurch ist es weniger wahrscheinlich, dass die karmische Kraft unseres früheren „Muster des Schreiens“ dieses Verhalten in naher Zukunft wieder in uns auslösen kann.
Erinnern Sie sich bitte daran, dass diese subtile karmische Energie, deren Existenz vom Gelug-Prasangika-System angenommen wird, weiterhin ein karmischer Impuls ist, der immer noch ein aktives, werfendes Karma wäre, wenn die motivierende Emotion stark genug ist. Im Vergleich zur Kraft eines subtilen karmischen Energieimpulses übt eine nichtstatischen Abstraktion wie ein karmisches Potential, einen weitaus geringeren Zwang aus.
(3) Drittens bestärken wir erneut die positive Ausrichtung, die wir uns durch die sicheren Richtung (Zuflucht) und Bodhichitta geben. Dies wird als die „ Kraft der Grundlage, auf die wir uns verlassen“ bezeichnet, durch die wir wieder mit beiden Beinen auf dem Boden kommen. Sichere Richtung und Bodhichitta ist die Richtung, die wir in unserem Leben einschlagen. Um sie dreht sich unsere ganze Existenz.
(4) Viertens unternehmen wir einige positive Handlungen um der negativen karmischen Hinterlassenschaft, die wir aufgebaut haben, entgegenzuwirken. Hier handelt es sich bei der positiven Handlung um die Vajrasattya-Meditation, die mit einer mehrstufigen Visualisierung durchgeführt wird. Kurz gesagt stellen wir uns vor, dass wir die gesamte negative karmische Kraft aus unseren Körper herausspülen und loslassen – wir bringen sozusagen „den Müll raus“. Während dieser Visualisierung rezitieren wir ein hundertsilbiges Mantra.
Es ist also nicht so, dass wir bloß irgendwelche „magischen Worte“ dahersagen, ohne dabei irgendetwas zu fühlen oder zu denken. Wenn wir das Mantra täglich einundzwanzigmal wiederholen, zusammen mit den kompletten vier Gegenkräften, einer richtigen Konzentration und der richtigen Mahayana-Motivation usw., dann wird die negative Kraft dieser bestimmten karmischen Handlung nicht wachsen und sich nicht vergrößern. Das liegt daran, dass die positive karmische Kraft, die wir durch die Anwendung der Gegenkräfte schaffen, der Schwere unserer destruktiven Handlungen entgegenwirkt und sie verringert. Wenn wir nichts tun, dann wächst die negative Kraft, die auf unserem geistigen Kontinuum lastet, von Tag zu Tag.
Die Schwere der Ergebnisse, die sich aus den karmischen Hinterlassenschaften entwickeln, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Manche Faktoren treten während wir die karmischen Handlungen vollziehen auf. Dies gilt beispielsweise für das Ausmaß an Leid, das wir anderen zufügen und für die Kraft unserer motivierenden Emotion. Andere Faktoren können sogar nach dem Abschluss der Handlung auftreten – z.B. die Anwendung von Gegenkräften. Nehmen wir an, dass wir uns nicht entschuldigen, nachdem wir mit unserem Partner gestritten haben. Dies wird dazu führen, dass Dinge wie Verstimmung, Zweifel usw. in unserer Beziehung täglich nur noch stärker werden. Wenn wir uns dagegen entschuldigen, werden die Nachwirkungen des Streits weniger schwer auf unserer alltäglichen Beziehung lasten. Aus diesem Grund ist es immer empfehlenswert, das Vajrasattva-Mantra mindestens einundzwanzig Mal am Tag zu rezitieren. Wenn wir das Mantra einmal kennen, braucht es hierzu wirklich nicht viel Zeit.
Wenn wir das Mantra hunderttausend Mal rein wiederholen – mit Bodhichitta, angemessener Konzentration und, optimalerweise, auch mit einem konzeptuellen Verständnis von Leerheit – dann können wir die durch unser destruktives Verhalten aufgebauten Netzwerke karmischer Kraft, auf die wir uns in der Reinigung konzentrieren, „provisorisch bereinigen“.
Der Mechanismus ähnelt dem, der erklärt, wie jegliche positive karmische Kraft vernichtet (tib. bcom) werden kann, die in vorhergehenden auf einen bestimmten Bodhisattva gerichteten konstruktiven Handlungen in diesem oder einem vorherigen Leben aufgebaut wurde. Dies kann durch destruktive körperliche, verbale oder geistige Handlungen geschehen, die sich gegen diesen bestimmten Bodhisattva richten und von Ärger motiviert sind. Der Ausdruck vernichten hat eine sehr spezielle Bedeutung. Die karmische Kraft unseres wütenden Verhaltens löscht (tib. med-pa) jegliche positive karmische Kraft, die durch positive, an diesen Bodhisattva gerichtete, Handlungen aufgebaut wurde. Sie beeinflusst jedoch nicht die positive, karmische Tendenz dieser Handlungen. Da sich diese positiven, karmischen Tendenzen noch entwickeln können, ist es für uns in der Zukunft wieder möglich, dass uns danach ist, konstruktiv gegenüber diesem Bodhisattva zu handeln und ein solches Verhalten auszuüben. Ohne ein unterstützendes Netzwerk positiver karmischer Kraft jedoch werden diese karmische Tendenzen sehr starke und spezielle externe und interne Umstände benötigen, um aktiviert zu werden und zu reifen. Folglich bezeichnet der Begriff löschen nicht, dass wir eine wahre Beendigung (tib. ‘gog-bden) der positiven karmische Kraft in Bezug auf diesen Bodhisattva erreicht haben, so dass wir nie wieder welche aufbauen können. Wir können wieder weiteres aufbauen, da unser wütendes Verhalten nicht unsere positiven, karmischen Tendenzen ihm oder ihr gegenüber ausgelöscht hat.
Weiterhin bedeutet das Auslöschen einer spezifischen positiven karmischen Kraft durch Ärger, dass diese positive karmische Kraft, wie auch immer die Umstände sein mögen, niemals zu dem Ergebnis heranreifen kann, zu dem sie normalerweise gereift wäre, wenn sie durch den Ärger nicht zerstört worden wäre. Die positive karmische Kraft kann aber in eine andere, viel schwächere Form des Glücklichseins heranreifen, als sie vorher hervorgerufen hätte und dieses Heranreifen kann deutlich verzögert sein.
Zusätzlich zu dieser Auswirkung, die unser wütendes Verhalten auf die karmische Hinterlassenschaften jeglichen vorhergehenden konstruktiven, auf diesen Bodhisattva gerichteten, Handlungen hat, schwächt es auch unser Netzwerk positiver karmischer Kraft, das durch vorheriges konstruktives Verhalten gegenüber allen anderen, aufgebaut wurde. Das bedeutet, dass die negative karmische Kraft unseres wütenden Verhaltens dazu führt, dass diese positiven Netzwerke schwächere oder nur geringe Resultate hervorbringen und ihr Reifen oft verzögert wird.
Hunderttausend Wiederholungen des Vajrasattva-Mantras mit den angemessenen Visualisierungen und dem richtigen Geisteszustand funktioniert ähnlich wie unsere negative karmische Hinterlassenschaft. In Bezug auf spezielle Formen destruktiven Verhaltens gegenüber bestimmten Individuen gilt: Wenn wir offen zugegeben haben, dass sie Fehler waren und wir die vier entgegenwirkenden Kräfte angewendet haben, dann löscht unsere Reinigungspraxis die Netzwerke negativer Kraft jener, auf diese Individuen gerichtete, Verhaltensformen. Sie beeinflusst nicht die davor aufgebauten negativen karmischen Tendenzen, die auf sie gerichtet sind und so können sie unter den richtigen Umständen zu weiterem, destruktivem, auf sie gerichtetes, Verhalten heranreifen. Unsere Vajrasattva-Übung schwächt auch die Netzwerke negativer, karmischer Kraft, die von anderen vorhergehenden destruktiven Handlungen herrühren, die wir uns nicht in Erinnerung gerufen haben oder an die wir in unserem offenen Eingeständnis nicht gedacht haben, doch sie löscht sie nicht. Es schwächt auch nur die Netzwerke negativer, karmischer Kraft von den destruktiven Handlungen die wir eingestanden haben, die aber auf andere Individuen gerichtet waren, als die, die wir genannt hatten.
Deshalb ist es wichtig, zu versuchen, sich so vieler spezifischer negativer Taten gegenüber Individuen wie nur möglich zu erinnern und sie zuzugeben, da die Wirkung stärker sein wird als nur ein vage formuliertes „jegliche, auf ein fühlendes Wesen gerichtete, Negativität“. Dennoch ist es wichtig, während der Vajrasattva-Reinigung so weit wie möglich zu denken. Wenn man also denkt „ alle, an fühlende Wesen gerichtete, Negativitäten“, müssen wir das auch wirklich meinen und unser Bestes geben, zu begreifen, was „alle Negativitäten“ und „ alle fühlenden Wesen“ tatsächlich mit einschließt. Wenn wir sie vage lassen und sie keinen emotionalen Wert für uns haben, wird die Reinigung begrenzt sein.
Auf jeden Fall ist jede Ebene der Reinigung nur provisorisch, wenn sie durch eine Mantra-Rezitation erreicht wurde, welche nicht von einer nichtkonzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit begleitet wurde. Es ist nur ein temporärer Aufschub des schweren Heranreifens unserer früher geschaffenen karmischen Hinterlassenschaften. Es gibt uns eine Atempause um weniger behindert an dem Weg zu arbeiten, so wie wenn wir eine wundervolle menschliche Wiedergeburt erlangen, mit den Ruhepausen und Bereicherungen, die sich für die spirituelle Entwicklung als höchst dienlich erweisen.
Selbst nach einer erfolgreichen Vajrasattva-Reinigung werden wir immer noch Begierde und eine herbeiführende Emotion oder eine herbeiführende Geisteshaltung erfahren, als gleichzeitig auftretende Bedingungen für die Aktivierung und das Heranreifen der karmischen Hinterlassenschaften im Allgemeinen. Unsere Vajrasattva-Meditation hat sie nicht beeinflusst. Da die auf unseren geistigen Kontinua zurückgelassenen karmischen Hinterlassenschaften aber schwächer sein würden, würden die Weiterexistenz-Impulse, die unser Begierde und unsere Herbeiführer erwecken würden und die die Hinterlassenschaft aktiviert haben, zu weniger tiefem Leiden führen. Sicher werden wir nicht für immer vom Unglücklichsein oder von schlechteren Wiedergeburten und unangenehmen Erlebnissen befreit werden, aber das größte Leid wird vorübergehend fort sein.
Da die Begierde und die herbeiführenden Emotionen und Geisteshaltungen die gleichzeitig auftretenden Bedingungen für das Auftauchen neuer karmischer Impulse sind, sind wir gewiss nicht von der Möglichkeit weiterer negativer karmischer Impulse in der Zukunft befreit und davon, neue negative karmische Hinterlassenschaften zu schaffen, wenn wir sie ausleben. Der Mechanismus ähnelt dem, was Asanga und andere Mahayana-Meister für das Wiederverbinden so genannter „abgeschlagener Wurzeln positiver Kraft (Wurzeln der Tugend)“ erläuterten. Nur die nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit kann uns für immer von jedem Karma, karmischen Hinterlassenschaften und vom karmischen Reifen – sowohl den negativen als auch den positiven Varianten – befreien. Beide binden uns an die unkontrollierbar wiederkehrende Wiedergeburt – Samsara.
Da unsere Vajrasattva-Übungen nicht notwendigerweise die Kraft unserer störenden Emotionen und Geisteshaltungen, einschließlich unseres Greifens nach einem soliden „Ich“, beeinflusst hat, werden einige unserer karmischen Impulse und Handlungen immer noch stark von ihnen motiviert sein. Folglich werden wir noch mehr werfendes Karma und seine Hinterlassenschaften schaffen, das in weiteren samsarischen Geburten reifen wird. Doch zwischenzeitlich haben wir eine vorläufige Ruhepause von schwierigen Bedingungen, die Hindernisse sein würden für unsere weitergehende Übung, uns vollkommen vom Karma zu befreien. Deshalb sind hunderttausend Wiederholungen des Vajrasattva-Mantras eine häufig empfohlene und praktizierte, effektive Vorbereitung für Tantra-Übungen.
Noch ein letzter Punkt bezüglich der Wiederholung des Vajrasattva-Mantras. Seien Sie bitte nicht abergläubisch in Bezug auf die Zahlen. Es ist nicht so, dass es nicht funktioniert, wenn wir statt einundzwanzig nur zwanzig machen oder, dass wir zwischen 99.999 und 100.000 den Jackpot knacken. So funktioniert es gewiss nicht. Es ist viel gesünder, wenn wir einige Wiederholungen am Tag machen, oder eine Menge über einen längeren Zeitraum hinweg. Es ist wie Atemzüge zählen: die Anzahl ist nicht wichtig. Es ist sehr leicht, bei den Zahlen hängen zu bleiben und ausschließlich von ihnen in Anspruch genommen zu werden.
Das endgültige Gegenmittel: Die nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit
Um uns für immer von alle Aspekten des Karmas zu befreien, so dass sie nie wieder auftauchen, brauchen wir die nichtkonzeptuelle Wahrnehmung von Leerheit. Nur sie wird zu einer wahren Beendigung von Karma führen.
Leerheit bedeutet Abwesenheit. Wir haben projiziert und uns vorgestellt, dass jeder von uns als ein solides substantielles „Ich“ existiert. Das ist das erste Glied. So fühlte es sich an und wir glaubten es. Unsere Projektionen entsprechen jedoch nichts Realem. Es gibt eine absolute Abwesenheit eines realen, soliden „Ichs“. Es existiert nicht und hat nie existiert. Es fühlt sich so an, wir haben ein Konzept davon, doch die eigentliche Sache existiert nicht. Unser Glaube, dass dieses solide „Ich“ existiert, zielt auf etwas ab, das existiert: das konventionelle „Ich“. Doch die Art von der wir glauben, dass es existiert, bezieht sich auf nichts Reales. Das konventionelle „ Ich“ existiert nicht als ein solides „Ich“, weil es diese Art zu existieren nicht gibt. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen, das es vielleicht deutlicher macht.
Wir sehen einen Mann in einem rot-weißen Anzug mit einem weißen Bart. Es sieht für uns so aus, und es fühlt sich so an, als sei er wirklich der Weihnachtsmann. Es kann jedoch kein Mann als Weihnachtsmann existieren, weil es die tatsächliche Person „der Weihnachtsmann“ nicht gibt. Wenn wir aufhören, diese unmögliche Existenzweise zu projizieren, sehen wir einfach einen Mann, der wie der Weihnachtsmann aussieht, der aber frei davon ist, als der tatsächliche Weihnachtsmann zu existieren. Wir wissen, dass es einfach wie eine Illusion ist: Die Erscheinung des Weihnachtsmannes entspricht nichts Realem.
Genauso erscheint auch dieses konventionelle “Ich“ als substantiell, und so fühlt es sich auch an. Doch das entspricht nicht der Realität, denn es gibt kein solides, substantielles „Ich“. Was wir wahrnehmen, ist nur ein konventionelles „Ich“, das als falsches „Ich“ zu existieren scheint, doch diese trügerische Erscheinung ist nur wie eine Illusion. Dies ist nicht nur bezüglich uns selbst wahr, sondern auch hinsichtlich aller anderen.
Dies ist nur eine einfache Einführung in die Leerheit. Es ist offensichtlich sehr kompliziert. Um eine wahre Beendigung aller Aspekte von Karma und der samsarischen Wiedergeburten zu erlangen, müssen wir uns nichtkonzeptuell in Bezug auf uns und auf andere auf die Abwesenheit dieser unmöglichen Art zu existieren konzentrieren – und zwar mit umfassenden und richtigem Verständnis.
Fortgeschrittene Ebenen des Verständnisses von Leerheit: Die fünf Ebenen des Pfadgeistes
Im Buddhismus gibt es fünf so genannte „Pfade“ um entweder befreit oder erleuchtet zu werden, je nachdem, auf welchem Pfad wir uns befinden. „Pfad“ bedeutet Pfadgeist. Ein Pfad stellt eine Ebene des Geistes dar, eine Ebene des Erlebens von etwas.
(1) Wir erreichen die erste Ebene des Pfadgeistes wenn wir als unsere hauptsächliche Motivation eine mühelose (tib. rtsol-med) Motivation entweder im Sinne der Entschlossenheit, frei zu sein (Entsagung), oder, zusätzlich hierzu, Bodhichitta haben. „Mühelos“ bedeutet hier, dass wir nicht mit mit bewusstem Bemühen durch eine Kette von logischen Schlussfolgerungen gehen müssen, damit wir dahin gelangen, es zu fühlen. Es entsteht automatisch. Bodhichitta als unsere hauptsächliche Motivation zu haben bedeutet, dass es sich bei uns immer manifestiert: wir haben unaufhörlich die Absicht, Erleuchtung zu erlangen und allen begrenzten Wesen zu helfen, egal ob wir uns dieser Hoffnung und dieses Zieles bewusst sind oder nicht.
Bevor wir diese erste Ebene des Pfadgeistes erreichen, haben wir vielleicht noch nicht die perfekte Konzentration eines beruhigten und zur Ruhe gekommenen Shamatha-Geistes (tib. zhi-gnas) erreicht. Der erste Pfadgeist wird der Pfadgeist des Aufbauens (tib. tshogs-lam) genannt, üblicherweise als „Pfad der Ansammlung“ übersetzt. Auf dieser Ebene des Geistes arbeiten wir daran, neben dem Aufbau andere guten Qualitäten, ein richtiges, konzeptuelles Verständnis von Leerheit aufzubauen während wir dabei mit Shamatha fokussiert sind. Wenn wir einen Shamatha-Zustand erreichen, der konzeptuell auf Leerheit fokussiert ist, erreichen wir die dritte von den drei Hauptebenen dieses Pfades, den fortgeschrittenen Pfad des Aufbauens.
Dann arbeiten wir daran, das verbundene, auf Leerheit konzentrierte Paar Shamatha und Vipashyana, aufzubauen. Die Vipashyana-Meditation ist ein außergewöhnlich wahrnehmungsfähiger Geisteszustand und muss nicht notwendigerweise auf Leerheit konzentriert sein. Wir können Vipashyana sogar vor dem Erlangen des Pfads des Aufbauens erreicht haben. Tatsächlich erlangen auch nichtbuddhistische Meditierende, auf eine Vielzahl von Objekten fokussierte, Shamatha und Vipashyana. Hier geht es darum, sich auf die Leerheit zu fokussieren. Natürlich ist es möglich, eine auf Leerheit fokussierte Meditationsart zu praktizieren, die Vipashyana ähnelt, bevor wir Shamatha erreicht haben. Wirkliches Vipashyana ist jedoch nur zu erreichen, wenn wir die vollkommene Konzentration von Shamatha erlangt haben.
(2) Haben wir das verbundene, auf Leerheit fokussierte Paar Shamatha und Vipashyana erreicht, haben wir den zweiten Pfadgeist erlangt, den Pfadgeist der Anwendung (tib. sbyor-lam), üblicherweise als der „Pfad der Vorbereitung“ übersetzt. Auf dieser zweiten Ebene des Pfadgeistes ist unser verbundenes Shamatha und Vipashyana konzeptuell auf Leerheit fokussiert und wir wenden dies weiter an, damit wir erreichen, dass das verbundene Paar nichtkonzeptuell auf Leerheit fokussiert ist. Wir können uns hier also nur auf die Leerheit durch eine korrekten Vorstellung von ihr fokussieren. Auf was würden wir uns sonst konzentrieren, wenn wir keine Vorstellung davon hätten, was Leerheit bedeutet? Es ist eine konzeptuelle Meditation. Es ist wichtig, nicht auf die konzeptuelle Meditation herab zu sehen.
Der zweite Pfadgeist hat vier Ebenen. Wenn wir die dritte, die Geduldsebene, erreichen, haben wir keine Angst mehr davor, unsere konventionellen Identitäten zu verlieren. Das ist wirklich eine sehr fortgeschrittene Ebene, da wir mit der zweiten Ebene dieses Pfadgeistes Shamatha und Vipashyana, fokussiert auf die Leerheit, sogar in unseren Träumen verbunden haben. Mit dieser dritten Ebene des Pfadgeistes der Anwendung, werden wir nicht mehr die schlechten Wiedergeburtszustände erleben. Wir könnten immer noch bessere Wiedergeburtszustände mit Leiden und Schmerz haben, aber wir werden beispielsweise nicht mehr als Kakerlake wiedergeboren.
Dies bedeutet, dass die Kraft der positiven karmischen Hinterlassenschaften unserer Leerheits-Meditation so stark geworden ist, dass sie die Kraft der Hinterlassenschaften unseres negativen werfenden Karmas ernsthaft geschwächt hat. Sie hat sie bis zu dem Punkt geschwächt, an dem diese negativen karmischen Hinterlassenschaften sich nicht mehr zu einer Wiedergeburt in einer der schlechteren Bereiche samsarischer Existenz reifen werden. Sie können nur zu schrecklichen Umständen und Erfahrungen in besseren samsarischen Wiedergeburten, oder sogar in diesem Leben, heranreifen. Überdies ist auch die Kraft unserer störenden Emotionen und Geisteshaltungen ausreichend geschwächt, so dass jegliche negativen karmischen Impulse oder Handlungen, die von ihnen motiviert sind oder begleitet werden, nicht mehr als werfendes Karma funktionieren. Wir bauen kein neues negatives werfendes Karma mehr auf.
Unsere Leerheits-Meditation hat jedoch noch nicht die karmischen Hinterlassenschaften unseres positiven werfenden Karmas auf weitere samsarische Wiedergeburten in besseren Zuständen beeinflusst. Auch hat sie noch nicht die Kraft unserer störenden Emotionen und Geisteshaltungen, die vielleicht immer noch unsere karmischen Impulse und Handlungen motivieren und begleiten, in dem Maße geschwächt, dass diese störenden Emotionen und Geisteshaltungen sie nicht mehr in ein werfendes Karma umwandeln.
(3) Der dritte Pfadgeist ist der Pfadgeist des Sehens (tib. mthong-lam), mit dem wir verbundenes Shamatha und Vipashyana, nichtkonzeptuell auf Leerheit fokussiert, haben. Wir müssen uns nicht länger auf Leerheit mithilfe einer Vorstellung von ihr fokussieren, sondern können uns jetzt frei von jeglichen Konzepten fokussieren.
Bei der Diskussion dessen, was auf dieser Ebene geschieht, muss unsere Erörterung etwas komplexer werden. Lassen Sie uns unsere Erörterung auf die Darstellung der Gelug und Karma-Kagyü des Prasangika-Madhyamaka-Lehrsystems beschränken. Die Sakya- und Nyingma-Systeme haben jeweils leicht unterschiedliche Darstellungen dieses Themas.
Erinnern Sie sich bitte daran, dass wir über die Unwissenheit darüber, wie Personen und alle Phänomene existieren, gesprochen haben, und dass sie zwei Ebenen hat: die doktrinär bedingte Unwissenheit und die automatisch erscheinende Unwissenheit. Vor dem Pfad des Sehens werden wir „ gewöhnliche Wesen“ (tib. so-so’i skye-bo) genannt. Haben wir diesen Pfadgeist erreicht, nennt man uns „Arya“ (tib. ‘phags-pa), ein hoch verwirklichtes Wesen, ein „Edler“. Gewöhnliche Wesen besitzen sowohl die doktrinär bedingte als auch die automatisch erscheinende Unwissenheit darüber, wie Personen existieren. Mit dem Pfadgeist des Sehens befreien wir uns von der doktrinär bedingten Unwissenheit. Ein „Arya“ erlebt jedoch immer noch automatisch erscheinende Unwissenheit – zumindest bis zu einer bestimmten späteren Ebene. Die automatisch erscheinende Unwissenheit sitzt tiefer als die doktrinär bedingte Form. Deshalb besitzen sie sowohl gewöhnliche Wesen als auch Aryas.
Nicht jede Unwissenheit ist das erste Glied des abhängigen Entstehens. Das erste Glied betrifft nur die Unwissenheit darüber, wie Personen existieren. Außerdem, obwohl sie sich auf dem geistigen Kontinuum eines gewöhnlichen Wesens befindenden, sind sowohl die doktrinär bedingte als auch die automatisch erscheinende Unwissenheit darüber, wie Personen existieren, das erste Glied; dagegen ist die automatisch erscheinende Unwissenheit darüber, wie Personen existieren, die sich auf dem geistigen Kontinuums eines Aryas befindet, jedoch nicht das erste Glied. Folglich besitzen wir als Arya, obwohl wir uns von dem Glied der Unwissenheit befreit haben, immer noch automatisch erscheinende Unwissenheit – nicht nur hinsichtlich Personen, sondern auch hinsichtlich der Dinge.
Weil wir als Arya das erste Glied losgeworden sind, sind wir frei von einem großen Brocken an Unwissenheit. Wir erzeugen nichts des zweiten Gliedes mehr, es gibt kein neues werfendes Karma, nicht einmal in seiner positiven Spielart. Dies liegt daran, dass die störenden Emotionen und Geisteshaltungen, die automatisch erscheinen, zu schwach sind, um selbst unsere positiven Impulse und Handlungen in werfendes Karma zu verwandeln. Daher, während wir noch nicht frei von Samsara sind, gibt es doch keine Erzeugung von neuem werfenden Karma.
Deshalb ist vom dritten Glied, dem mit werfendem Karma aufgeladenen Bewusstsein, nichts mehr übrig. Folglich gibt es auch keine Glieder, die aus dem Geworfenen entstehen oder die Glieder, die sich aus realisiertem neuen werfenden Karma ergeben. Wir haben allerdings weiterhin altes werfendes Karma in Form von Netzwerken karmischer Kraft und in Form von karmischen Tendenzen. Es ist zu kompliziert, hier ins Detail zu gehen. Wir können immer noch das alte werfende Karma aktivieren und hiervon Glieder, die aus dem Geworfenen resultieren und die sich aus dem Realisierten ergeben, erleben.
Während wir einen Pfadgeist des Sehens haben, erleben wir immer noch all die unterschiedlichen Ergebnisformen des Karmas, einschließlich Kontakbewusstsein und dem Empfinden eines Grades von Glücklichsein. Auch wenn die Begierde- und Herbeiführer-Glieder keine doktrinär bedingten Formen mehr haben, so haben sie immer noch die automatisch erscheinenden Formen. Wir sind befreit vom ersten Glied – von der doktrinär bedingten Unwissenheit darüber, wie Personen existieren und der automatisch erscheinenden Unwissenheit darüber, die auf dem geistigen Kontinuum eines gewöhnlichen Wesens entsteht. Laut der Gelug-Prasangika-Erläuterung jedoch, haben wir uns noch nicht von der Wurzel von Samsara befreit: der automatisch, auf dem geistigen Kontinuum eines Arya, erscheinende Unwissenheit nicht nur darüber wie Personen existieren, sondern auch darüber, wie alle Phänomene existieren. Obwohl wir also nicht mehr doktrinär bedingte Begierde, herbeiführende Emotionen oder Geisteshaltungen haben, die von doktrinär bedingter Unwissenheit herrühren würden, besitzen wir immer noch automatisch erscheinende Begierde und Herbeiführer, die von der automatisch erscheinenden Unwissenheit kommen.
Die Gelug-Nicht-Prasangika-Lehrsysteme und alle Lehrsysteme der Nicht-Gelug-Traditionen behaupten als Wurzel von Samsara keine Unwissenheit über die Realität aller Phänomene, sei sie auf dem geistigen Kontinuum eines gewöhnlichen Wesens oder eines Arya. Dies liegt daran, dass sie diese Unwissenheit als eine Verschleierung bezüglich allem, was man kennen kann, ansehen, welche die Allwissenheit verhindern. Sie sehen es nicht – wie die Gelug-Prasangka-Tradition es tut – als einen Schleier an, der eine störenden Emotion oder Geisteshaltung ist und die Befreiung verhindert.
Unwissenheit über die Realität
Doktrinär bedingt | Automatisch erscheinend | ||
---|---|---|---|
Gewöhnliche Wesen | Hinsichtlich Personen | erstes Glied | sowohl erstes Glied als auch Wurzel von Samsara |
Hinsichtlich aller Phänomene | weder erstes Glied noch Wurzel von Samsara | Wurzel von Samsara | |
Aryas | Hinsichtlich Personen | keine | Wurzel von Samsara |
Hinsichtlich aller Phänomene | keine | Wurzel von Samsara |
In Bezug auf Begierde besitzen wir immer noch die automatisch erscheinenden Formen aller drei Arten der Begierde:
-
die Begierde, nicht von den gewöhnlichen Formen des Glücklichseins getrennt zu sein
-
die Begierde, vom Unglücklichsein getrennt zu werden und
-
die Begierde, dass neutrale Empfindungen nicht degenerieren und die Begierde nach unserem Körper als beständige Basis für das Erleben von Glücklichsein und für das Nichterleben von Leid.
Bezüglich der Herbeiführer haben wir immer noch ihre automatisch erscheinenden Formen:
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Wunsch nach begehrenswerten Sinnesobjekten
-
eine verblendete Auffassung von einem vergänglichen Netzwerk, und
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eine extreme Auffassung
Wir haben jedoch nicht mehr:
-
eine verblendete Auffassung
-
die Aufrechterhaltung einer verblendeten Auffassung als die Beste,
-
oder das Aufrechterhalten einer verblendeten Moral oder eines verblendeten Verhaltens als die Beste
Diese drei verblendeten herbeiführenden Auffassungen haben nur doktrinär bedingte Formen.
Selbst ohne Konzepte können wir uns immer noch an unsere Körper als konstituierende Faktoren für die solide Identität des „Ichs“ klammern und nach diesem „Ich“ mit dieser soliden Identität, die ewig bestehen soll, greifen. Aber wir können nur auf Konzepten basierend die Auswirkungen unseres Verhaltens auf zukünftige Leben abstreiten, unsere Körper als schöne Quellen wahrer Freude betrachten, oder verzweifelt nach einem Wunder rufen, das uns vor unserem Tod rettet.
Wenn wir sterben, wird diese subtile, automatisch erscheinende Ebene der Begierde und der herbeiführenden Emotionen und Geisteshaltungen immer noch einen Weiterexistenz-Impuls erwecken, der die karmischen Hinterlassenschaften des alten, auf unseren geistigen Kontinua zurückgebliebenem, werfenden Karmas aktiviert. Wir werden immer noch samsarische Wiedergeburten erleben, die, unter dem Einfluss von Karma und störenden Emotionen und Geisteshaltungen, geworfen wurden. Es wird keine Wiedergeburt in eine der drei schlechteren Bereiche sein. Wir haben diese Möglichkeit vor langer Zeit ausgeräumt. Da wir eine starke Entschlossenheit haben, frei zu sein, starkes Bodhichitta, und starke Gebete, werden wir in eine günstige Wiedergeburt mit einem wertvollen menschlichen Leben geworfen werden, das es uns ermöglichen wird, auf dem Pfad der Erleuchtung weiter zu schreiten.
Dennoch, da wir unsere früher angesammelten karmische Hinterlassenschaften besitzen, können wir immer noch Unglück erleben, von einem Auto angefahren werden oder Krebs bekommen. Wir können sogar immer noch wütend werden und früheres, negatives Verhalten, wie das Anschreien von anderen, wiederholen. Da unsere destruktiven Handlungen jedoch nur von automatisch erscheinendem Ärger motiviert sind und nicht von der doktrinär bedingten Form, ist die Kraft der Impulse und Handlungen schwach. Sie ist nicht stark genug, um neues, werfendes Karma zu schaffen. Auch automatisch erscheinendes Verlangen und Anhaftung, die vielleicht unsere positiven Impulse und Handlungen motivieren, wie jemandem zu helfen, aus dem Bedürfnis heraus, gebraucht zu werden, wird auch kein neues, positives werfendes Karma mehr erzeugen. Wir sind jedoch immer noch im Samsara.
(4) Um uns aus dem Samsara zu befreien, müssen wir weiter an der Leerheit mit einem vierten Pfadgeist arbeiten, dem Pfadgeist des Gewöhnens (tib. sgom-lam), der üblicherweise mit „Pfad der Meditation“ übersetzt wird. Letztendlich gelangen wir an den Punkt, an dem das nichtkonzeptuell auf Leerheit fokussierten verbundene Shamatha und Vipashyana stark genug ist um unsere automatisch erscheinende Unwissenheit über alles auszuräumen: gleichermaßen über Personen als auch über alle Phänomene. An diesem Punkt befreien wir uns von den Wurzeln von Samsara.
Wenn wir auf dem Pfad nur gearbeitet haben um uns, motiviert von der Entschlossenheit frei zu sein, aus Samsara zu befreien, gelangen wir auf die Ebene eines Shravaka- oder eines Pratyekabuddha-Arhats. Haben wir auf dem Bodhisattva-Pfad gearbeitet, beenden wir die siebte der zehn Bodhisattva-Ebenen und stehen kurz davor, die achte zu betreten. Wir sind ein Bodhisattva-Arhat, aber noch kein Buddha.
Die verschiedenen Schulen, die die übliche Mahayana-Erklärung über Karma anerkennen, erklären alle leicht unterschiedlich, mit was wir auf jeder dieser Arya-Ebenen anfangen uns zu befreien, und mit was wir abgeschlossen haben, uns zu befreien. Sie stimmen jedoch alle darin überein, dass wir, wenn wir Arhatschaft erlangen, nicht länger Leiden erfahren oder uns zwangsweise danach ist, unsere früheren karmischen Muster oder Verhalten zu wiederholen. Aber wir haben das Nirvana mit Überrest erreicht (tib. lhag-bcas-kyi myang-‘ das). Bis wir sterben, und uns von dem Überrest der befleckten, samsarischen Körper, mit denen wir geboren wurden, befreien, können wir immer noch von einem Auto überfahren werden oder Krebs bekommen. Aber wir würden nicht leiden.
Wenn wir jedoch sterben, erlangen wir das Nirvana ohne Überrest (tib. lhag-med myang-‘das), das Parinirvana, und solche Dinge würden nie wieder geschehen. Wir würden mit Körpern aus Licht wiedergeboren werden. Diese Körper sind nicht samsarisch und nicht durch Begierde, einen Herbeiführer oder einen Weiterexistenz-Impuls geworfen. Wir sind jedoch immer noch nicht frei von unseren karmischen ständigen Gewohnheiten oder dem, was sich kontinuierlich aus ihnen entwickelt. Da die verschiedenen Schulen unterschiedliche Erklärungen diesbezüglich haben, werde ich hier jedoch nicht ins Detail gehen.
Laut den Gelug-Prasangika-Lehren bedeutet Nirvana mit Überrest, einen Überrest des Hervorbringens von Erscheinungen wahrer Existenz (tib. bden-snang). Nirvana ohne Überrest bedeutet, dass es ohne einen solchen Überrest ist. Arhats wechseln zwischen beiden, nicht nur für den Rest des Lebens in dem sie Arhatschaft erlangten, sondern in allen zukünftigen Leben bis hin zur Erleuchtung, wenn sie sich für immer von solchem Erscheinungs-Hervorbringen befreien. Sie erleben das Nirvana ohne Überrest nur durch die völlige Vertiefung (tib. mnyam-bzhag, meditative Ausgewognheit) in die Leerheit. Sie erleben das Nirvana mit Überrest zu jeder anderen Zeit als ihre nachfolgende Elangung (tib. rjes-thob, Periode der Nachmeditation), ob sie nun auf etwas anderes als die Leerheit meditieren oder ob sie gar nicht meditieren.
Daher, wenn Arhats Nirvana erreichen – ob sie Shravaka-, Pratyekabuddha- oder Bodhisattva-Arhats sind – sind sie befreit von allem karmischen Reifen der intermittierend reifenden karmischen Hinterlassenschaften (Netzwerke karmischer Kraft und karmische Tendenzen). Die Kontinuität ihrer Aggregate ist nicht länger befleckt. Da ihnen von ihrer eigenen Seite jegliche auffindbare definierende Charakteristik, die sie beflecken könnte, fehlt, sind sie nicht mehr befleckt. Jeder Augenblick ihrer Kontinuität kommt aus tiefem Bewusstsein (tib. ye-shes), nicht aus Unwissenheit. Laut dem Gelug-Prasangika-System ist das so, weil selbst die Unwissenheit darüber, wie alle Phänomene existieren, zu den Schleiern gehört, die die Befreiung verhindert, und Arhats eine wahre Beendigung dieser Gruppe von Schleiern erreicht haben. Nur wenn Aggregate direkt aus der Unwissenheit im vorigen Moment kommen, können sie als befleckt angesehen werden. Wenn Arhats in dem Leben, in dem sie Befreiung erlangten, sterben, werden sie jedoch, wie auch entsprechend der gängigen Mahayana-Lehren, mit Körpern aus reinem Licht wiedergeboren.
Auf dieser Ebene haben wir, laut Gelug-Prasangika, die wahre Beendigung von Unwissenheit und Karma erreicht, aber es bleiben uns immer noch die ständigen Gewohnheiten der Unwissenheit, karmische ständige Gewohnheiten und das, was sich kontinuierlich aus beiden entwickelt. Sie bewirken, dass unsere Wahrnehmung fortlaufend begrenzt ist und fortlaufend unfähig ist, sich gleichzeitig auf beide Wahrheiten zu fokussieren. Infolgedessen können wir anderen nicht so gut wie möglich nützen.
(5) Mit dem fünften Pfadgeist, dem Pfadgeist der keines weiteren Trainings mehr bedarf (tib. mi-slob lam) werden wir Buddhas, wenn wir auf dem Mahayana-Pfad vorangeschritten sind. Jetzt sind wir für immer dazu in der Lage, uns nichtkonzeptuell nicht nur auf Leerheit, sondern auch auf die beiden Wahrheiten gleichzeitig zu fokussieren. Dies befreit uns für immer von den ständigen Gewohnheiten der Unwissenheit und von den karmischen ständigen Gewohnheiten. Als erleuchtete Buddhas sind wir dazu in der Lage, anderen bestmöglich zu helfen.
Zusammenfassung des Reinigungsprozesses
Ich stelle diese komplizierten Ebenen verkürzt dar, um eine generelle Vorstellung der Stufen des Reinigungsprozesses zu geben, so dass wir keine falsche Hoffnungen bezüglich dessen haben, was auf dem Pfad passieren wird. Zusammenfassend gilt:
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Zunächst halten wir die karmischen Kräfte davon ab, jeden Tag stärker und stärker zu werden.
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Dann reinigen wir das Haus um uns von den Rückständen negativer karmischer Kräfte zu befreien, vor allem von den karmischen Hinterlassenschaften des negativen werfenden Karmas. Doch wir werden unmittelbar wieder damit beginnen, weitere negative Kraft, weiteres negatives werfendes Karma aufzubauen.
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Dann gelangen wir auf die Ebene, auf der wir nicht durch die karmischen Hinterlassenschaften des negativen werfenden Karmas in eine der schlimmeren Wiedergeburten geworfen werden.
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Als nächstes befreien wir uns vom ersten Glied. Wir erzeugen kein neues werfendes Karma mehr – weder negatives, noch positives.
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Dann lösen wir uns von der Wurzel von Samsara. Wir erleben keine unkontrollierbar wiederkehrenden Wiedergeburten mehr. Wir haben uns von der ganzen karmischen Hinterlassenschaft des werfenden Karmas befreit.
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Letztendlich werden wir erleuchtet. Jetzt überwinden wir alle unsere Beschränkungen und verwirklichen alle unser Potentiale um fähig zu sein, anderen so viel wie möglich zu nutzen.
Der Reinigungsprozess beinhaltet graduelle Abstufungen. Sie sind das Ergebnis des nichtkonzeptuellen Fokussierens auf Leerheit mit dem verbundenen Paar von Shamatha und Vipashyana. Wir können in einem Moment der Wahrnehmung nicht gleichzeitig Unwissenheit über die Realität und korrekte, nichtkonzeptuelle Wahrnehmung von Leerheit haben. Entweder verstehen wir die Leerheit oder nicht. Uns selbst von aller Unwissenheit und den ständigen Gewohnheiten der Unwissenheit zu befreien, ist eine Frage der Kraft und Dauer unseres nichtkonzeptuellen Fokussierens auf das Verständnis. Bodhichitta macht die Kraft unserer Wahrnehmung extrem stark. Sind wir fähig, diese stärkste aller Motivationen zu haben, den fokussiertesten Geist, und ihn die ganze Zeit nichtkonzeptuell auf Leerheit zu fokussieren, dann kehrt die Unwissenheit nie mehr zurück. Wir werden immer dieses Verständnis besitzen.
Wir haben eine mittelschwere Erklärung des Samsara-Prozesses, des Befreiungsprozesses aus dem Samsara und des Reinigungsprozesses bis hin zum Buddhaschaft, behandelt. Bitte beachten Sie, dass es auf viel komplexere Weise erläutert werden könnte, aber wir müssen schrittweise vorgehen.
Fragen über das geistige Karma
Wenn in unserem Kopf ein wütender Gedanke entsteht, können wir das so verstehen, dass der grobe Impuls, der durch diesen Gedanken erzeugt wird, der ist, der uns etwas tun oder sagen lässt und der subtile Impuls bleibt bei uns in unserem geistigen Kontinuum?
Wir müssen den konzeptuellen Rahmen, von dem aus Sie ihre Frage stellen, auseinander nehmen. In unseren westlichen Sprachen verwenden wir das Wort denken in einem sehr weiten Sinne. In dieser buddhistischen Darstellung müssen wir es begrenzen. Wenn wir über das Karma, das aus geistigen Handlungen entsteht, sprechen, wäre folgender Gedanke das Beispiel einer geistigen Handlung: „Er hat mich gestern nicht angerufen. Ich habe den ganzen Tag damit verschwendet zu Hause auf seinen Anruf zu warten. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, werde ich ihn dafür, dass er so rücksichtslos war, wirklich anschreien“. Diesen Gedankengang zu denken ist eine destruktive geistige Handlung. Die negative Emotion, die sie begleitet, ist etwas anderes. Wut ist die Motivation; sie ist nicht das negative Denken selbst.
Egal, auf welches Lehrsystem wir uns beziehen, das geistige Karma beinhaltet keine physischen Energieimpulse, weder grobe noch subtile. Es ist ausschließlich der geistige Drang, der einen Gedankengang hervorbringt und erhält. Es ist nie die karmische Handlung des Denkens.
Was ist, wenn ich etwas Böses zu jemandem sagen will, es aber nicht auslebe, aber derselbe Gedanke immer wieder kommt, bis er mich zur Handlung treibt?
Zunächst müssen wir die negative geistige Handlung von der negativen verbalen Handlung unterscheiden. Darüber nachzudenken ist eine geistige Handlung; die verbale Handlung ist, es tatsächlich zu sagen. Im Vorfeld darüber nachzudenken etwas zu tun – es zu planen – kann dazu führen, dass man es tatsächlich sagt, aber es muss nicht dazu führen. In der Diskussion über das Karma, haben wir vier Möglichkeiten: geplant und ausgelebt; geplant, aber nicht ausgelebt; nicht geplant, aber ausgelebt; und weder geplant, noch ausgelebt. Das schwerwiegendste karmische Potential entsteht, wenn man etwas plant und es dann auslebt.
Ist es dann richtig, dass selbst wenn ein Gedanke nicht zu einer Handlung führt, schon das Denken daran Karma schafft, das wir bereinigen müssen? Was ist, wenn wir im Traum jemanden töten? Niemand wird verletzt. Erzeugen wir trotzdem negatives Karma, das gereinigt werden muss?
Ja, zu beiden Ihrer Fragen. Im Falle wenn wir träumen, jemanden zu töten, selbst wenn der Traum mit dem Plan, eine Person zu töten, begann und dann tatsächlich dazu führte, diese Person im Traum zu töten, so wäre die negative, karmische Kraft schwächer, als wenn wir tatsächlich, in wachen Zustand, jemanden getötet hätten. Auch wenn die Handlung im Traum geplant und dann ausgeführt wurde, gab es keine wirkliche Basis – keine reale Person – auf die die Handlung gerichtet war und die durch unsere Handlung getötet wurde.
Wenn ich das Karma habe, entweder zu Hause oder in einem Krankenhausbett auf mehr oder weniger bewusste Weise zu sterben, was würden Sie vorschlagen, unter Berücksichtigung, dass ich kein sehr fortgeschrittener Übender bin? Sollte ich Shamatha praktizieren, oder eine Buddhafigur oder meinen Lama visualisieren?
Das Wichtigste zum Zeitpunkt des Todes ist es, auf die Zuflucht (unsere sichere Richtung) und auf Bodhichitta konzentriert zu bleiben. Bitte vergessen Sie nicht, dass Zuflucht nicht bedeutet: „Oh, Buddha, rette mich!“. Es bedeutet vielmehr: „Das ist die Richtung, in die ich weiter gehen möchte, die sichere Richtung, wie sie von Buddha, Dharma und Sangha gezeigt wurde. Ich möchte den ganzen Weg zur Erleuchtung gehen, um fähig zu sein, allen zu helfen. Möge ich eine voll ausgestattete menschliche Form erlangen, die mit allen Ruhepausen vom Leiden und allen Bereicherungen mit günstigen Umständen ausgestattet ist, die am förderlichsten dafür sind, den ganzen Weg bis hin zur Buddhaschaft, weiterzugehen, so dass ich für jeden wirklich die beste Hilfe sein kann. Möge ich immer von vollständig qualifizierten Lehrern angeleitet werden“. Um bei diesem Gedanken zu bleiben, können wir auf die Figur eines Buddhas oder unseres Lamas fokussiert bleiben. Oder, sollte dies zu schwer sein, können wir uns einfach auf den Gedanken „Möge ich fähig sein, allen zu nutzen“ konzentrieren.
Fazit
Ich kann nicht genug betonen wie wichtig es ist, realistisch zu sein „Was erwarten Sie von Samsara?“. Bis wir Arhats werden, werden wir nicht aufhören, uns manchmal unglücklich zu fühlen. Und wir werden nicht aufhören, krank zu werden, von Autos angefahren zu werden usw. bis wir einen Körper aus Licht erlangt haben. So lange wir nicht Arhatschaft erreicht haben, wird unser Erleben weiterhin rauf und runter gehen. Während wir allmählich Fortschritte machen wird auch die Achterbahn allmählich weniger schlimm, doch wir werden uns trotzdem auch weiterhin noch manchmal unglücklich über den Gang der Dinge fühlen und schlechter Laune sein und etwas erleben, von dem wir gerne hätten, dass es nicht geschehen würden. Wir sollten uns nicht mit falsche Hoffnungen über irgendwelche Wunder täuschen, noch uns von Leuten täuschen lassen, die uns erzählen, dass Wunder geschehen werden.
Wenn wir eine realistische Vorstellung vom Prozess haben, der zur Erleuchtung führt, dann stärken sich hierdurch unsere Entschlossenheit und unser Mut. Wir können denken: „Ich weiß, dass es schwierig sein wird und dass meine Stimmung rauf und runter gehen wird, aber ich werde trotzdem kraftvoll weiter nach vorne gehen. Ich werde nicht zulassen, dass mich das ablenkt“. Auf diese Weise können wir kontinuierlich und beständig auf die Befreiung und die Erleuchtung hinarbeiten, ohne dass wir aufgeben oder den Mut verlieren, wenn keine Wunder geschehen.
Widmung
Welches Verständnis auch immer wir erlangt haben, möge es tiefer und tiefer gehen, so dass wir den Prozess, der uns im Samsara hält, genauso wie die Stufen, durch die wir herauskommen, klarer erkennen. Welche positive Kraft aus dem Zuhören und dem Nachdenken über all das auch entstanden sein mag, möge sie als Ursache dafür dienen, dass wir fähig sind, auf realistische und beständige Weise zum Nutzen aller auf Befreiung und Erleuchtung hinzuarbeiten.