Verwirrung bezüglich der fünf Aggregate

Die Motivation für das Arbeiten mit den fünf Aggregaten 

Wir haben unsere Darlegung begonnen, indem wir untersucht haben, warum wir etwas über die fünf Aggregate lernen sollten, die jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen. Warum sind sie wichtig? 

Im Buddhismus ist die Herangehensweise üblich, zunächst den Nutzen abzuwägen, warum man etwas lernen oder entwickeln sollte. Sind wir erst einmal überzeugt davon, neigen wir dazu, ein echtes Interesse daran zu haben, es zu lernen oder entstehen zu lassen. Das trifft sowohl auf das Entwickeln von Liebe, Mitgefühl und den Wunsch anderen zu helfen zu, als auch darauf, ein klares, korrektes Verständnis der Wirklichkeit hervorzubringen. Kennen wir den Nutzen eines jeden dieser Faktoren, sowie die Gründe, warum man sie entwickeln sollte, können wir uns mit ganzem Herzen bemühen und mit Überzeugung ans Werk gehen. Dieses Interesse, der Enthusiasmus und die Überzeugung für etwas, wie die Meditation, und das Wissen, wie und warum es nützlich ist, trägt uns durch den eigentlichen Vorgang der Praxis.

Im traditionellen Buddhismus wird darauf hingewiesen, dass diese motivierende Richtlinie zu Beginn, in der Mitte und am Ende eines jeden Studiums und einer jeden Praxis hilfreich ist. Mit anderen Worten hilft sie uns, tatsächlich in eine Praxis einzusteigen, sie weiterzuführen und sie schließlich zu vollenden. Manchmal mögen wir die Lust daran verlieren zu praktizieren, zu meditieren oder zum Unterricht zu kommen, aber wenn wir diese Motivation erneut bekräftigen – uns also unseres Zieles, der zugrundeliegenden Emotion und dem Verständnis des Nutzens der eigentlichen Praxis, Meditation oder Unterrichts bewusst sind – werden wir bis zum Ende durchhalten. Natürlich mögen wir manchmal die Lust verlieren, aber wir lassen das nicht auf unsere Handlungen abfärben und geben einfach auf.

Außerdem ist es wichtig, dass unsere Motivation aufrichtig ist und wir sie wirklich fühlen und mit ganzem Herzen dahinterstehen. Streben wir beispielsweise nach Befreiung und Erleuchtung, haben jedoch keine Vorstellung, was dies bedeutet und sind nicht einmal überzeugt davon, dass es möglich ist, dies zu erreichen, wie können wir dann aufrichtig danach streben? Auf dieser Ebene könnten wir jedoch den Wunsch haben, eines Tages nach Befreiung und Erleuchtung zu streben und schließlich zu verstehen, worum es dabei geht, sowie irgendwann die Überzeugung zu erlangen, dass es möglich ist, dies zu erreichen. Des Weiteren können wir generell danach streben zu verstehen, dass es nicht nur möglich ist, sondern dass es für einen jeden von uns möglich ist, dies zu erreichen. Wir können danach trachten, hart auf dieses Ziel hinzuarbeiten, aber im Moment besteht unser Ziel vielleicht einfach nur darin, die Qualität unseres Lebens zu verbessern. Das ist es, was wir möglicherweise ehrlich empfinden und warum wir etwas über den Dharma lernen wollen.

Das Gleiche trifft auf das Entwickeln der Motivation zu, unsere zukünftigen Wiedergeburten zu verbessern, um sicherzustellen, eine kostbare menschliche Wiedergeburt zu erlangen. Sind wir nicht wirklich davon überzeugt, dass es so etwas wie die Wiedergeburt gibt und wissen nicht so recht, was eine Wiedergeburt ist, wie können wir dann ernsthaft danach streben, unsere zukünftigen Wiedergeburten zu verbessern. Das sind dann nur leere Worte. 

In der Dharma-Praxis ist es immer ausschlaggebend, vollkommen ehrlich gegenüber sich selbst zu sein. In dieser Situation mag unsere aufrichtige Motivation darin bestehen, ernsthaft daran zu arbeiten, dieses Leben und die Qualität dieses Lebens zu verbessern, da wir uns mit vielerlei Problemen und Schwierigkeiten konfrontiert sehen. Wir verstehen den buddhistischen Pfad und die anderen Ebenen der Motivation – zukünftige Wiedergeburten zu verbessern, sowie Befreiung und Erleuchtung zu erlangen – und wir betrachten unsere derzeitige Motivation als eine Stufe auf dem Weg. Wir wollen versuchen, diese fortgeschritteneren Motivationen zu entwickeln, aber es ist noch nicht an der Zeit. Ohne diese Ehrlichkeit ist unsere Praxis nicht wirklich aufrichtig. Wir sind nicht mit dem Herzen dabei.

Es ist jedoch unerlässlich, letztendlich Befreiung und Erleuchtung anzustreben. Erst wenn wir dieses letztendliche Ziel nach Befreiung und Erleuchtung haben, wie es im Buddhismus definiert wird, ist unsere Praxis eine buddhistische Praxis. Ansonsten sind wir keine echten Praktizierenden des Buddhismus, wenn wir lediglich buddhistischen Methoden und Lehren folgen, um nur dieses Leben zu verbessern. Wir nutzen den Buddhismus als eine Art psychologische Therapie und das ist in Ordnung, solange wir es eingestehen. 

Wenn wir buddhistische Methoden nutzen, um einfach nur unsere zukünftigen Leben zu verbessern, ohne das letztendliche Ziel und Verständnis der Befreiung und Erleuchtung zu haben, folgen wir ebenfalls nicht dem Buddhismus. Folgen wir einer westlichen Religion, wollen wir vielleicht lernen, wie man in den Himmel kommt. Eine Motivation des Verbesserns von zukünftigen Leben unterscheidet sich nicht sonderlich von diesem Wunsch, in den Himmel zu kommen, aber sie ist nicht buddhistisch. Um buddhistisch zu sein, muss man sie als Stufe auf dem Weg zu Befreiung und Erleuchtung betrachten.

Was ist Befreiung? Befreiung ist die Freiheit von unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt. Um nach Befreiung zu streben, muss man natürlich ein Verständnis und Glauben in Bezug auf die Wiedergeburt haben. Aber sogar wenn wir ein korrektes Verständnis von der Wiedergeburt haben, wie sie im Buddhismus dargestellt wird, und daran glauben, hat es wiederum nicht viel mit Buddhismus zu tun, einfach fortgesetzt ein kostbares menschliches Leben ohne den Wunsch anzustreben, der Wiedergeburt ein Ende zu setzen, da wir im Grunde an diesem Leben hängen und mehr in dieser Hinsicht erleben wollen.

Neben der wesentlichen Qualität einer aufrichtigen Motivation brauchen wir auch Aufrichtigkeit, was unsere begleitenden Emotionen betrifft. Einfach nur zu meinen, es wäre wunderbar und schön, diese Ziele zu erreichen, ist nicht das, worum es im Buddhismus geht. Die motivierenden Emotionen, die wir im Buddhismus entwickeln möchten, sind etwas ganz anderes. Vielmehr geht es darum, wirklich von unkontrollierbar sich wiederholenden Problemen angewidert zu sein und den tiefen Wunsch zu haben, sich tatsächlich aus dieser Situation zu befreien. Zusätzlich dazu haben wir Mitgefühl für andere und wollen ihnen helfen, sich ebenfalls von unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt zu befreien. Außerdem streben wir nach einer besseren, einer kostbaren menschlichen Wiedergeburt, da wir mit Schrecken an die Vorstellung einer niederen Wiedergeburt denken. Das wollen wir wirklich vermeiden, weil wir weiter dem spirituellen Pfad folgen und schließlich für alle eine bessere Hilfe sein wollen.

Untersuchen wir die drei Motivationen im Buddhismus, können wir erkennen, dass die Struktur bei allen gleich ist. Wir wollen immer von etwas frei werden und uns von den schrecklichen Wiedergeburten, von der Wiedergeburt im Allgemeinen, befreien. Außerdem wollen wir auch die Leiden aller anderen beseitigen, sowie unsere Unfähigkeit ihnen wirklich zu helfen. Wir lehnen etwas ab, begleitet von der Motivation zu denken, wie furchtbar es wäre, schlechtere Wiedergeburtszustände zu erfahren oder für immer in dem sich wiederholenden Samsara steckenzubleiben. Oder wir versetzen uns in die Lage der anderen und merken wie schrecklich es ist, dass alle anderen leiden und wir nicht wirklich etwas dagegen tun können.

Besteht unsere grundlegende emotionale Geisteshaltung darin, uns zu freuen, ist es am hilfreichsten, diese natürlich auftretende Emotion und Hingabe auf den Gedanken auszurichten, wie wunderbar es wäre, wenn wir schlechtere Wiedergeburten vermeiden, Befreiung von Samsara erlangen und jedem eine Hilfe sein könnten.  Dann nutzen wir unsere natürlich auftretende Emotion im buddhistischen Sinn auf korrekte Weise. Schließlich üben wir uns auch in den vier unermesslichen Geisteshaltungen des Mahayana-Buddhismus auf diese Weise, indem wir denken, wie wunderbar es wäre, wenn alle frei von Leiden und den Ursachen des Leidens wären, und wie wunderbar es wäre, wenn alle glücklich wären und die Ursachen des Glücks besitzen würden usw. Wir müssen das Studium der fünf Aggregate im Kontext dieser Art des motivierenden Ziels und der motivierenden Emotion angehen.

Rückblick 

Wie wir bereits erwähnt haben, besteht der Nutzen des Studiums der fünf Aggregate darin, dass er einen Rahmen für unsere gesamte buddhistische Praxis bietet. Die fünf Aggregate sind eine Art des Verstehens unserer Erfahrung in jedem Augenblick unseres Lebens, in jeder einzelnen Wiedergeburt. Um wahres Leiden und seine Ursachen zu verstehen, müssen wir einen Blick darauf werfen, was unsere Erfahrung ausmacht und in den fünf Aggregaten danach suchen, die unsere Erfahrung in jedem Augenblick bestimmen. Wollen wir eine wahre Beendigung der Leiden und dessen Ursachen erfahren, wird das auch in den Aggregat-Faktoren unserer Erfahrung stattfinden. Mit der Befreiung werden die Aggregate also frei von Leiden und den Ursachen des Leidens sein. Die Art von Geist, die wir entwickeln wollen und die zu dieser Beseitigung der Leiden und seiner Ursachen führen wird, ist etwas, das wir den fünf Aggregaten unseres Erlebens hinzufügen wollen und das jederzeit da sein soll.

Was ist die Hauptursache für unser Leiden, unsere Probleme und unsere Unfähigkeit, jedem auf vollkommene Weise als ein Buddha helfen zu können? Es ist unser mangelndes Gewahrsein bezüglich der Realität. Wir kennen sie nicht oder verstehen sie auf falsche Weise. Das Gegenmittel zum Beseitigen dieses mangelnden Gewahrseins ist das Entwickeln eines korrekten Verständnisses der Realität, ein Erkennen, wie die Dinge wahrhaft existieren. Wir wollen die Unwissenheit oder Verwirrung beseitigen, die in jedem Augenblick entsteht, und stattdessen in jedem Augenblick über ein korrektes Verständnis verfügen. Warum wollen wir das tun? Wenn wir ein wahres Verständnis der Wirklichkeit haben, wird das mit Sicherheit die Qualität unseres jetzigen Lebens verbessern. Indem wir die Leiden und Probleme erkennen, die wir in diesem Leben erfahren, in dem wir verwirrt sind und nicht wirklich wissen was vor sich geht, oder ein fälschliches Verständnis davon haben, kommen wir zu dem Punkt, an dem wir genug haben und daran arbeiten, unser Leiden zu beseitigen. 

Und denken wir einmal weiter, wollen wir diese Art der Verwirrung auch loswerden, weil sie zu schlechten Wiedergeburtszuständen führt. Warum ist das so? Je verwirrter wir sind, desto destruktiver handeln wir und die Konsequenzen davon sind noch mehr Leid und schlechte Wiedergeburten. Was müssen wir tun, um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen? Wir müssen uns von dieser Verwirrung lösen, durch die sich unsere Wiedergeburten fortsetzen, und das Verständnis der Realität erlangen, das Befreiung und unsere Fähigkeit hervorbringen wird, anderen bestmöglich zu helfen. Was auch immer unser Ziel ist, im Grunde wollen wir unsere fünf Aggregate und die Weise, wie wir das Leben erfahren, reinigen.

Um dies zu tun gilt es, dieses mangelnde Gewahrsein eingehender zu erforschen. Was ist es, das wir nicht wissen? Was verwirrt uns und führt zu unseren Problemen? Wir sind verwirrt in Bezug auf die fünf Aggregate. Es gibt mehrere Ebenen dieser Verwirrung, aber das allgemeine Problem besteht darin, wie wir unsere Erfahrungen verstehen, durchschauen und deuten. Das Problem ist, dass wir sie fälschlich auslegen. Dies geschieht auf vierfache Weise und diese vier nennt man „die vier fehlerhaften Betrachtungen“ – wir betrachten Dinge auf Weisen, die nicht der Realität entsprechen. Manchmal bezeichnet man sie auch als „nicht übereinstimmende Betrachtungen“.

Die vier fehlerhaften Betrachtungen 

Leiden als Glück betrachten

Die erste dieser fehlerhaften Betrachtungen besteht darin, Leiden als Glück zu betrachten. Zuvor haben wir bereits beschrieben, wie jeder Augenblick unserer Erfahrung mit einer Art unbefriedigendem Aspekt verbunden ist, aber wir erkennen nicht, dass dies ein Problem darstellt. Wir halten es für vollkommen normal, ja sogar für Glück.

Sehen wir uns das an dem Beispiel einer ungesunden Beziehung an. Leider hat sich fast jeder schon einmal irgendwann in einer ungesunden Beziehung befunden. In dieser Situation ist es oft so, dass wir es leugnen und nicht zugeben wollen, wie ungesund diese Beziehung ist. Aus Unsicherheit betrachten wir sie als Glück und denken: „ich bin so glücklich, du kannst mich ruhig weiter beschimpfen“. 

Natürlich ist das ein sehr grobes Beispiel, aber es gibt alle möglichen problematischen Situationen, mit denen wir uns zufriedenstellen und die wir als Quelle des Glücks ansehen. Meist haben wir Angst, dass es noch schlimmer werden wird, wenn wir sie aufgeben. Zum Beispiel fürchten wir uns, dass wir allein sein werden, wenn wir uns aus dieser ungesunden Beziehung lösen, und so mit einer noch schwierigeren Situation konfrontiert werden. Wir glauben, niemanden mehr zu finden und meinen, es wäre besser, diese ungesunde Beziehung zu haben, als gar keine. Auf diese Weise betrachten wir sie als Glück.

Und das tun wir mit allem, ist es nicht so? Vielleicht haben wir eine chronische Schlafstörung und statt zu erkennen, dass es sich um ein Problem handelt, sagen wir: „es ist schon in Ordnung, so ist das nun einmal“. Warum unternehmen wir nichts dagegen? Wir haben Angst, dass die unbekannte Alternative noch schlimmer sein könnte. Aus diesem Grund versuchen wir damit zurechtzukommen, anstatt es loszuwerden. Auf diese Weise betrachten wir Leiden als Glück. 

Denkt einen Augenblick darüber nach und versucht diese Verwirrung, die wir haben, zu erkennen.

[Pause]

Unsauberes als sauber betrachten

Die zweite Art der Verwirrung wird wörtlich mit „Unsauberes als sauber betrachten“ übersetzt. Das bezieht sich darauf, etwas Unreines als rein anzusehen. Auf der Ebene des Körpers denken wir natürlich oft, dass der Körper so sauber, schön und wunderbar ist. Wie jedoch der indische Meister Shantideva zu bedenken gab, würde jeder eine köstliche Nahrung, die wir in unseren Mund stecken, zerkauen und wieder ausspucken, als unrein betrachten. Und wenn diese Nahrung unser gesamtes Verdauungssystem durchläuft und auf der anderen Seite wieder herauskommt, würden wir sie erst recht nicht mehr als etwas Reines ansehen. Warum macht der Körper, wenn er doch so sauber und schön anzusehen ist, aus köstlicher Nahrung etwas Unreines und Abstoßendes? Werfen wir einen Blick ins Innere des Körpers, unter die Haut, ist das, was wir dort finden, ganz gewiss nichts Sauberes, Attraktives und Schönes. 

Es ist leicht, dieser Ebene der Erklärung zuzustimmen, aber man kann es auch in einem breiteren Rahmen betrachten. Vielleicht neigen wir dazu, Menschen und Situationen nur im Hinblick auf ihre guten Seiten zu sehen und die negativen außer Acht zu lassen. Hier geht es wieder darum, unsere Erfahrung, unsere fünf Aggregate zu untersuchen. Haben wir uns zum Beispiel verliebt, wollen wir keine negativen Aspekte dieser Person zugeben, sondern nur die positiven Seiten sehen. Oder wenn unser Baby etwas isst und den Brei im ganzen Gesicht verteilt, lachen wir und sagen: „wie süß“, während wir es bei einem anderen Baby einfach nur als eine Sauerei sehen.

Auch auf anderen Ebenen neigen wir dazu, so zu denken. Beispielsweise versuchen wir die Tatsache zu unterdrücken, dass unser Geliebter schnarcht oder schlecht riecht, wenn er schwitzt. Vielmehr richten wir unsere Aufmerksamkeit nur darauf, wie toll diese Person ist. Wir neigen dazu, so viele Dinge überzubewerten. Hier in Mexiko ist es zum Beispiel so, dass man, wenn man zu einem Essen eingeladen wird, den Gastgeber lobt, indem man sagt, es wäre das beste Essen, das man jemals gegessen habe. Oder wir beschreiben eine gesellschaftliche Veranstaltung als beste Party, auf der wir je gewesen sind. Tatsächlich mag es jedoch so einiges geben, das wir als unbefriedigend empfunden haben. 

Wir wollen jedoch nicht auf die schlechten Dinge schauen und so betrachten wir sogar die schlechten Seiten als schön und wunderbar. Wir streicheln ein kleines Hündchen und wenn es niest, denken wir: „ach wie süß“, obwohl uns ein Lebewesen gerade ins Gesicht geniest hat. Würden wir einen Betrunkenen festhalten, der uns anniest, wären wir nicht gerade begeistert. Die Nase unseres kleinen Kindes würden wir mit unserem Finger abwischen, was wir bei dem Betrunkenen sicherlich nicht tun würden.

Auf diese Weise betrachten wir Unsauberes als sauber oder Unreines als rein. Wir überbewerten Dinge und hätten es gern wie in einem Märchen – nicht wie in einem voller Monster und Hexen, die kleine Kinder fressen, sondern wie bei Bambi, wo alles einfach schön ist. Wir neigen dazu, Dinge auf diese Weise zu betrachten, obwohl sie nicht so schön sind. 

Das ist Verwirrung in Bezug auf das, was wir erfahren. Wir wollen nicht die Schattenseite oder die unangenehme Seite von Dinge sehen, sondern würden lieber in einer Fantasiewelt leben. Auf Deutsch würde man sagen: „ wir betrachten Dinge durch eine rosarote Brille“. Das ist die Bedeutung davon, Unsauberes als sauber zu sehen. Lasst uns darüber nachdenken und versuchen, es in unserer eigenen Erfahrung zu erkennen. 

[Pause]

Nicht-statisches als statisch betrachten

Die dritte dieser nicht übereinstimmenden Betrachtungen ist, nicht-statische Dinge als statisch anzusehen. Für gewöhnlich wird das mit „vergängliche Dinge als beständig anzusehen“ übersetzt, aber man darf nicht vergessen, was mit diesen Begriffen gemeint ist. Wir reden von Dingen, die sich von einem Augenblick zum nächsten ändern und die wir fälschlicherweise für unveränderlich halten. Oder wir meinen, etwas würde nur kurz andauern, obwohl es ewig ist. Die fehlerhafte Betrachtung ist in beide Richtungen möglich.

Vielleicht ist in dem, was jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmacht – die Aggregate – Depression. Dann denken wir, dass dieser Zustand der Depression, der Traurigkeit, der Trostlosigkeit immer gleich ist und sich nie ändert. Wir könnten meinen, er wird ewig andauern. Manchmal empfinden wir es so, nicht wahr? Sitzen wir auf dem Zahnarztstuhl, während der Zahnarzt in unserem Zahn herumbohrt, haben wir das Gefühl, es wird ewig dauern und nie aufhören. Wir merken nicht einmal, dass der Schmerz in jedem Moment etwas anders ist. Oder wenn wir jemanden kennenlernen und uns verlieben, haben wir oft dieses Gefühl, es wird für immer so bleiben; wir werden glücklich sein, bis an unser Lebensende oder bis in alle Ewigkeit. Das ist jedoch eine fehlerhafte Betrachtungsweise der Situation, denn natürlich werden sich die Dinge in jedem Augenblick eines jeden Tages ändern. Alles wird sich ändern und nichts dauert ewig.

Dieses Gefühl der Beständigkeit ist etwas, das wir alle erleben. Als Kind denkt man: „ich werde niemals erwachsen werden“, oder: „der Tag in der Schule wird nie enden“. Diese fehlerhafte Betrachtung richtet sich auf die fünf Aggregate unserer Erfahrung. Wir denken, dass sich das, was wir gerade erleben, nicht ändern und ewig andauern wird und hier ist der Schmerz das eindrücklichste Beispiel. 

Nehmt euch einen Moment Zeit, um über diese Art der fehlerhaften Betrachtung nachzudenken.

[Pause]  

Das, was nicht das Selbst ist, als Selbst betrachten 

Die vierte fehlerhafte oder nicht übereinstimmende Betrachtung ist, das konventionell existierende „Ich“ oder Selbst, das Teil unserer Aggregat-Faktoren ist, als ein solides „Ich“, eine solide „Seele“, zu betrachten, die auf unmögliche Weise existiert. Tatsächlich ist unser konventionelles Selbst jedoch nicht so eine Art von unmöglicher Seele oder unmöglichem „Ich“, das als Teil eines jeden Augenblicks unserer Erfahrung da ist. Wir denken jedoch, dass es so ist und es fühlt sich auch so an. Es scheint wirklich so zu sein, als wäre jeder von uns eine Seele oder eine Art von Entität, die ganz für sich existiert, und die, wenn wir an die Wiedergeburt glauben, nun in unseren Körper gekommen ist, sich mit all den Aspekten unseres Geistes und unseres Körpers synchronisiert hat und jetzt einfach da ist. Des Weiteren denken wir, dass dieses „Ich“ den Körper und den Geist als eine Art von Maschine benutzt, um sich damit zu bewegen, zu denken und zu kommunizieren. Wir glauben, dass es sich dann, nach einer bestimmten Zeit, wieder löst und einen anderen Körper und Geist findet. 

Auch wenn wir nicht an die Wiedergeburt glauben, meinen wir, es gäbe ein solides „Ich“, welches das wahre „Ich“ ist und dann haben wir das Gefühl, dass es sich nicht ändert. Abends gehen wir schlafen und wachen am nächsten Morgen wieder auf, und voila, da sind wir wieder! Wenn wir älter werden, haben wir keine Zweifel daran, dass wir das gleiche „Ich“ sind, das wir als junger Mensch waren. Es ist nur dieser Körper, der anfängt zu versagen, aber das „Ich“ ist nach wie vor das gleiche solide „Ich“, das dieselben Wünsche und Gewohnheiten hat. Wir fragen uns, warum uns all die Leute so ansehen und uns behandeln, als wären wir alt. Nichtsdestotrotz existieren wir aber nicht wirklich auf diese Weise. Diese Art des unmöglichen „Ichs“ ist ein Mythos. 

Auf einer subtileren Ebene denken wir, es gäbe ein „Ich“, das nur für sich und nicht in Bezug auf einen Körper oder einen Geist erkannt werden kann, weil es sich so anfühlt. Wir meinen: „Ich will, dass du mich liebst, nicht nur meinen Körper, meinen Geist, mein Geld oder meinen Besitz. Du sollst mich nur mir zuliebe lieben”, als gäbe es ein „Ich“, das unabhängig von einem Körper, einem Geist, einem Charakter, Eigentum und all diesen anderen Dingen geliebt werden kann. Das haben wir alle schon so empfunden, aber so etwas gibt es nicht. Wir stellen uns vor, dass es so eine Entität in jedem Augenblick unserer Erfahrung gibt, aber tatsächlich gibt es so etwas nicht. Es gibt ein „Ich“, aber es existiert nicht auf diese unmögliche Weise.

Das ist die vierte Art der fehlerhaften Betrachtung. Wir sollten uns bewusst darüber sein, dass der Irrglaube in den anderen Arten der fehlerhaften Betrachtung nicht schwer zu erkennen ist. Allerdings ist es äußerst schwierig zu verstehen, dass diese letzte fehlerhaft ist. Es ist eine entscheidende Sache, die durch das Verständnis der Leerheit oder Leere widerlegt wird. Bitte nehmt euch ein paar Minuten Zeit, euch darüber bewusst zu werden.

[Pause]

Fehlerhaften Betrachtungen ablehnen 

Es ist notwendig, eine realistische Geisteshaltung und ein realistisches Verständnis der fünf Aggregate zu haben. Wir müssen die fehlerhaften Betrachtungen, mit denen wir sie auf falsche Weise wahrnehmen und die nicht der Realität entsprechen, erkennen. Es gilt sich bewusst darüber zu werden, dass diese Ansichten absurd und fehlerhaft sind, und sich auf nichts Reales beziehen. Mit dem Verständnis, dass diese falschen Betrachtungsweisen, mit denen wir unsere Aggregate wahrnehmen, absurd sind und nicht der Realität entsprechen, widerlegen wir diese fehlerhaften Ansichten und lehnen sie ab. Wir beseitigen sie und ersetzen sie mit korrektem Verständnis.

Es reicht nicht aus, das fehlerhafte Verständnis einfach nur oberflächlich mit korrektem Verständnis zu ersetzen, insbesondere wenn es darum geht, wie wir existieren. Vielmehr müssen wir unser fehlerhaftes Verständnis mit der Erkenntnis ablehnen, dass es falsch ist, und genau nachvollziehen können, wie und warum es fehlerhaft ist. Dann können wir es mit korrektem Verständnis ersetzen. Lehnen wir unsere fehlerhafte Ansicht nicht mit dem rechten Verständnis ab, verdrängen wir sie lediglich, wenn wir versuchen, sie mit einer korrekten Sichtweise zu ersetzen, denn sie wird irgendwann wieder auftauchen. 

Nur zu verstehen, dass sie fehlerhaft ist und sie abzulehnen, setzt diesen Vorgang des Beseitigens jedoch lediglich in Gang. Wir müssen mit ganzem Herzen von der Falschheit überzeugt sein und dieses Verständnis dann in unser Leben integrieren. Intellektuell begreifen wir vielleicht, dass unsere fehlerhafte Sichtweise des „Ichs“ falsch ist, aber auf einer emotionalen Ebene empfinden wir die Dinge entsprechend dieser falschen Sichtweise. Dies gilt es zu überwinden und zu erkennen, dass es kein „Ich“ gibt, dass man unabhängig vom Körper, dem Charakter, dem Geist und dem Besitz lieben kann. Wir sind uns dessen bewusst, aber tief im Innern wollen wir dennoch, dass andere uns lieben. Man muss mit dieser Thematik wirklich vertraut sein, um sich von dieser fehlerhaften Sichtweise lösen zu können, damit sich nicht wieder auftaucht. 

Rückblick 

Um es noch einmal zu wiederholen: es ist notwendig, die erste fehlerhafte Betrachtung abzulehnen, bei der wir meinen, Glück zu erfahren. Mit anderen Worten müssen wir erkennen was es bedeutet, dass es in jedem Augenblick unserer Erfahrung Leiden gibt. Entweder wir erfahren etwas, das wir nicht mögen und wollen es loswerden, oder wir erfahren etwas, das wir mögen und wollen, dass es weiter andauert, aber das tut es nicht und kommt zu einem Ende. Es handelt sich nicht um Glück, denn wäre es wahres Glück, würde es immer schön sein, was es nicht ist. Vielmehr erfahren wir ein ständiges Auf und Ab; manchmal sind wir glücklich und dann wieder unglücklich. Unsere Gefühle ändern sich ständig und in jedem Augenblick unserer Erfahrung setzen wir diese Achterbahn fort. Das ist das so genannte alles umfassende Leiden. 

In ähnlicher Weise ist es notwendig, die Sichtweise, etwas als sauber und rein zu erleben, was nicht sauber und rein ist, abzulehnen und zu ersetzen. Wir meinen, unser Körper wäre so wunderschön, aber die Tatsache ist, dass er krank wird und keine schönen Dinge aus ihm herauskommen. Wir kaufen einen neuen Computer und denken, er wäre so toll und würde ewig funktionieren; tatsächlich wird er jedoch irgendwann kaputtgehen. Wir denken, das Leben wird so viel besser sein, wenn wir einen Computer haben, Emails schreiben können und ein Smartphone besitzen; aber im Grunde bringen uns diese Dinge jede Menge Leiden. Wir leiden, wenn diese Geräte nicht funktionieren und kaputtgehen, oder wenn wir ständig mit Werbung, Emails und Spam bombardiert werden. Wir sollten auch nicht vergessen, dass wir ständig durch unsere Smartphones unterbrochen werden. In diesen Beispielen ist das Glück an sich eine ziemlich problematische Sache, nicht wahr? Es ist schon komisch, dass wir manchmal denken, ein perfekter Urlaub wäre einer ohne Internet, Emails und unsere Smartphones.

Wir wollen auch die Sichtweise beseitigen, bei der wir denken, nichts was wir erfahren würde sich ändern, sondern alles würde ewig so bleiben. Zu guter Letzt geht es darum, das Gefühl abzulehnen, es gäbe eine Art solides „Ich“, und es mit dem Verständnis zu ersetzen, dass es so etwas nicht gibt. Obwohl wir von einem so genannten konventionellen „Ich“ reden, gibt es keine solche Kreatur, die wie eine außerirdische Entität in uns sitzt, in unseren Köpfen redet, Hebel und Strippen zieht, um den Körper zu bewegen und den Geist dieses oder jenes denken zu lassen.

Fragen 

Ich bin etwas verwirrt in Bezug darauf, wer denn nun Karma erfährt. Ich neige dazu, ein solides „Ich“ wahrzunehmen, das die Resultate des Karmas erlebt.

Das ist ganz normal. Es passiert jedem ganz automatisch. Es gibt die Kontinuität eines „Ichs“, aber man darf sich das nicht wie ein Gepäckstück auf einem Transportband am Flughafen vorstellen, das sich als solide Entität durch die Zeit bewegt.

Wenn wir ein solides „Ich“ und ein solides „Du“ negieren, widerlegen wir eine solche Entität, eine unmögliche Seele, die als „Ich“ oder „Du“ existiert, als wäre sie in Plastik eingehüllt und würde nur für sich existieren. Im Buddhismus wird gesagt, dass es so etwas nicht gibt. Wir existieren nicht wie Tischtennisbälle, von Plastik umschlossen, und sind nicht so statisch und beständig, als müssten wir unsere Integrität bewahren, um uns selbst treu zu bleiben. Keine Solidität zu besitzen, erlaubt uns, mit anderen Beziehungen einzugehen. Wäre das „Ich“ hingegen wie von Plastik umhüllt, würden wir wirklich isoliert sein und könnten nie zu einem anderen eine Verbindung aufbauen. Das „Ich“ wird in Bezug auf Beziehungen definiert.

Unser Glaube an ein imaginäres, unmögliches „Ich“ entsteht im Rahmen eines jeden Augenblicks unserer Erfahrung, im Kontext der fünf Aggregate. Das eigentliche oder konventionelle „Ich“, das es tatsächlich gibt, tritt ebenfalls im Kontext der fünf Aggregate auf. Unser erster Schritt, durch den wir uns von diesem Missverständnis über uns selbst befreien, besteht darin, die fünf Aggregate zu verstehen. Mit den fünf Aggregaten als Grundlage können wir dann über das Fehlen dieses unmöglichen „Ichs“ reden. Wir können untersuchen, wie dieses unmögliche „Ich“ nicht existiert, es jedoch trotzdem das eigentliche konventionelle „Ich“ gibt. Aber weil diese Sache der Existenz von dir und mir so wichtig und wesentlich ist, um Leiden zu überwinden, gilt es, dieses heikle und subtile Thema schrittweise und ordnungsgemäß anzugehen. Es ist notwendig, zunächst ein anfängliches Verständnis zu entwickeln, um dann eine Basis für ein stabileres und korrekteres Verständnis zu haben. Als Erstes sollten wir ein Verständnis von den fünf Aggregaten haben.

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