Kapitel 1: Aufzeigen von Methoden, sich vom Greifen nach dem Körper als etwas Beständigem zu befreien
Die ersten vier Kapitel zeigen, wie ihr euch [1] vom Greifen [2] nach den vier fehlerhaften Betrachtungsweisen befreit: etwas Unbeständiges als von Natur aus beständig, etwas von der Natur des Leidens als von der Natur des Glücks, etwas Unreines als von Natur aus rein und etwas, das frei von einer unmöglichen „Seele“ oder einem unmöglichen Selbst ist, als mit einer unmöglichen „Seele“ und einem unmöglichen Selbst versehen zu betrachten. Die Verse stellen dies in Hinblick auf den menschlichen Körper dar.
Kapitel eins spricht über die erste dieser fehlerhaften Betrachtungsweisen, indem es die Gewissheit des Todes und die Ungewissheit des Todeszeitpunkts diskutiert. Es warnt vor dem naiven Gedanken, dass ihr ewig leben würdet. Dann dehnt es dies auf den Tod von geliebten Personen, wie dem eigenen Sohn, aus. Es warnt vor Anhaftung an geliebte Personen, weil diese nur Schmerz bewirkt. Jeder muss Abschied nehmen, Abschied ist der natürliche Abschluss des Zusammentreffens. Entweder werdet ihr selbst zuerst scheiden oder die geliebte Person, doch die Trennung ist unausweichlich. Wenn ihr euch von Anhaftung, selbst an den eigenen Körper, befreit, dann gibt es bezüglich des Todes nichts zu fürchten. Zufrieden könnt ihr dann fort in ein Wald-Retreat gehen.
Kapitel 2: Aufzeigen von Methoden, um sich vom Greifen nach (dem Körper als etwas) Angenehmem zu befreien
Obwohl euer Körper unbeständig ist, müsst ihr euch doch um ihn kümmern. Doch bedenkt, warnt Aryadeva, er ist wie ein Feind, weil er ebenso Leiden und Schmerz bringt, wie Annehmlichkeit und Glück. Es ist sehr einfach, Leid und Unglück im Leben zu finden aber sehr schwierig, Glück zu finden. Der Grund dafür ist, dass die Ursachen für Leiden zahlreich, die Ursachen für Glück dagegen wenige sind.
Es ist die Natur des Körpers, dass er einem Leiden bringt, warum also soll man dann so anhänglich an ihn sein? Ihr erlebt Leiden durch Hunger, Krankheit, Alter und Tod. Und diese Leiden nehmen im Verlauf des Lebens nur noch zu. Glück wird von euren Gedanken bestimmt, doch bei samsarischen Wesen werden die eigenen Gedanken vom eigenen Leid und Unglück bestimmt. Und nichts ist in samsarischem Zustand überwältigender, als störende Emotionen und Unglücklichsein. Außerdem besteht der Körper aus den vier Elementen, welche naturgemäß miteinander in Konflikt stehen. Also bringt der Körper selbstverständlich Leiden, wie die Empfindung zu starker Hitze und Kälte.
Es ist wichtig, nicht durch zerstörerisches Verhalten negative Kraft aufzubauen, in der vergeblichen Hoffnung, dies würde euch wenig zeitweiliges, letztlich unbefriedigendes, körperliches Vergnügen einbringen. Wenn ihr den Körper als die Quelle des eigenen Vergnügens betrachtet, werdet ihr eure Anhaftung daran nicht überwinden. Unbeständige Dinge erfahren aber unweigerlich Schaden und zerfallen. Deshalb müsst ihr den Körper als Leiden betrachten.
Kapitel 3: Aufzeigen von Methoden, um sich vom Greifen nach (dem Körper als etwas) Reinem zu befreien
Ihr haftet an eurem Körper, oder, als heterosexueller Mann am Körper einer Frau, als etwas Angenehmen an, weil ihr ihn fälschlicherweise als rein betrachtet. Aber durch eure Anziehung und Anhaftung an einen Körper wird man niemals anhaltendes Glück finden. Selbst Hunde finden ihre Partner anziehend und hängen an ihnen, also ist nichts besonderes an der Person, die ihr so verlockend findet.
Obwohl Menschen anziehende gute Eigenschaften haben, haben sie auch unattraktive Aspekte, also vergesst diese nicht. Mit der Person, an der ihr hängt, werdet ihr nicht zusammen bleiben können und das Glück, das ihr findet, ist nicht das überragende Glück, das der Buddha lehrte. Wenn ihr den Unrat im Körper des Partners bedenkt ist es nicht absurd, so an einem Gefäß voller Exkremente zu hängen? Das Innere des Körpers ist niemals rein zu bekommen, ganz gleich, wie oft man das Äußere wäscht. Von Shantideva werden in dem Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ (tib. sPyod-‘jug, Skt. Bodhicaryavatara) im Kapitel über geistige Stabilität viele dieser Punkte wiederholt und weiter ausgeführt.
Kapitel 4: Aufzeigen von Methoden, um sich vom Greifen nach (dem Körper als mit) einem „Selbst“ (versehen) zu befreien (über das man Stolz empfindet)
Den nächsten Punkt bespricht Aryadeva, indem er einen König anspricht: Für einen König gibt es keinen Grund, stolz auf sein „Selbst“ zu sein. Das Land gehört dir nicht, weil es gemeinsam mit allen, die darauf leben geteilt wird. Du bist der Diener der Menschen, der von ihren Steuern bezahlt wird. Damit du sie beschützen und dich um sie kümmern kannst, müssen sie dich beschützen und umsorgen. Außerdem teilst du mit ihnen nicht nur ihren Steuerreichtum, sondern auch die negative Kraft, die sie im Dienst für dich, z.B. im Krieg, angesammelt haben. Wenn du die Menschen bestraft, ihnen Bedrängnis und Schmerz bringst, wie kann diese dann eine Quelle für dein eigenes Glück sein? Wie kannst du als König Glück finden, wenn du ständig andere ausbeutest und Kriege führst?
Deine hohe Stellung resultiert nicht aus der Kaste, sondern aus früheren karmischen Ursachen. Nichts an deiner Stellung im Leben ist inhärent, also bedenke, wie sich dein gegenwärtiges Handeln auf deine zukünftigen Wiedergeburten auswirken wird. Würde deine Tätigkeit die eigene wahrhaft existente Kastenzugehörigkeit bestimmen, könnte sogar ein Kastenloser als Brahmane oder Mitglied der königlichen Kaste betrachtet werden, wenn er als solcher arbeiten würde. Und falls du so stolz auf die eigene Autorität und Macht bist, betrachte andere Herrscher, die sogar noch mächtiger sind.
Kapitel 5: Aufzeigen des Verhaltens eines Bodhisattva
Es gibt keine Handlungen eines Buddha, die nicht Ursache für den Nutzen anderer sind. Der Grund dafür ist, dass Buddhas allwissend sind und wissen, was von Nutzen und was nicht von Nutzen ist. Außerdem werden alle Handlungen in Abhängigkeit von ihrer Motivation und Absicht nutzbringend. Also können Bodhisattvas durch ihre Motivation und Absicht sogar gewöhnlich schädliche Handlungen zu konstruktiven Handlungen machen.
Wie Ärzte sollen Bodhisattvas ihre Schüler in Übereinstimmung mit deren Neigungen und Bedürfnissen zähmen, statt mit ihnen zu kämpfen. Der Feind ist nicht der Patient, sondern die Krankheit. Also ist es am besten, anderen zuerst die Themen zu lehren, für die sie eine Vorliebe haben und nicht sofort die tiefgründigsten Themen, wenn sie für diese noch nicht bereit sind und wenn es ihren spirituellen Niedergang bewirken würden, diese zu hören.
So wie eine Mutter mit ihrem Kind besonders sorgsam und gütig wäre, wenn er oder sie krank ist, behandelt ein Bodhisattva jene besonders gütig, die emotional am aufgewühltesten sind. Es gibt niemandem, dem Bodhisattvas nicht helfen, einschließlich der Shravakas. Deshalb sind Bodhisattvas bereit, so lange zu bleiben, wie das Universum fortbesteht, um jeden zur Befreiung und Erleuchtung zu führen.
Um anderen zu helfen, nehmen Bodhisattvas jede Form an, sogar die eines Tieres. Also ist es wichtig, sie niemals zu missbilligen. Die positive Kraft, die von Bodhisattvas aufgebaut wird, ist enorm. Sogar während sie in einem samsarischen Zustand verweilen, leiden sie nie darunter. Bodhisattvas sind am glücklichsten, wenn sie geben können. Auch nur das Wort „Großzügigkeit“ zu hören, stimmt sie freudig. Deshalb vermeidet jene Geisteshaltung, mit der man anderen gibt, um etwas zu bekommen, weil sich dies nicht von einer geschäftlichen Transaktion unterscheidet.
Kapitel 6: Aufzeigen von Methoden, um sich von störenden Emotionen zu befreien
Die drei giftigen Emotionen und Geisteshaltungen sehnsüchtiges Verlangen, Ärger sowie Naivität bzw. engstirnige Ignoranz bewirken großes Leid. Die Aktivität des Verlangens besteht darin, dass ihr Dinge um euch herum ansammelt; die Aktivität des Ärgers ist, zu streiten und Dinge von euch zu entfernen und die Aktivität der Naivität ist, dass sie als Grundlage dient, welche das Aufflammen der anderen beiden bewirkt. findet ihr das Gewünschte nicht, erfahrt ihr Verlangen; besitzt ihr nicht die Kraft, das Unerwünschte zu überwinden, erfahrt ihr Ärger und versteht ihr die Wirklichkeit nicht vollständig, erfahrt ihr Naivität bzw. Engstirnigkeit. Einige Menschen erfahren jedoch gegenüber demselben Objekt Verlangen und einige Ärger. Also ist die emotionale Reaktion nicht im Objekt inhärent enthalten.
In Abhängigkeit von den störenden Emotionen, an denen sie am stärksten leiden, müsst ihr als Guru verschiedene Schüler unterschiedlich behandeln. Am besten ist es, Schüler, die voll Verlangen sind, als Diener zu behandeln und nicht ehrerbietig zu sein, dagegen Schüler mit Ärger wie Herrscher und voll Ehrerbietung. Jede der drei giftigen Emotionen hat große Nachteile. Deshalb sollen jene mit Naivität das abhängige Entstehen studieren. Jene mit Verlangen sollten dem Essen, der Unterhaltung und den anderen Dingen, an denen sie hängen, fernbleiben, und in der Nähe ihrer Gurus bleiben. Jene mit Ärger sollten bedenken, dass es niemals hilfreich ist, über jemanden oder etwas ärgerlich zu werden.
Viele der hier genannten Punkte über die Nachteile des Ärgers und seine Überwindung werden von Shantideva in seinem Kapitel über Geduld wiederholt und weiter ausgeführt. Ein Bodhisattva muss sich also von diesen drei störenden Geisteshaltungen befreien und anderen helfen, das Gleiche zu tun.
Kapitel 7: Aufzeigen von Methoden, um sich vom Verlangen nach angenehmen Objekten zu befreien, die Menschen begehren
Der Ozean des Leidens durch unkontrolliert wiederkehrende samsarische Wiedergeburt wird endlos sein, falls ihr nicht daran arbeitet, aus ihm heraus zu kommen. Jugend kommt vor dem Alter und dann wieder nach ihm, daher ist es unsinnig, sich daran zu klammern und Stolz darüber zu empfinden. Jugend, Alter und Tod sind wie Wettbewerber in einem Rennen darum, wer vorn liegt. Außerdem gibt es keine Garantie darüber, welche Art von Wiedergeburt auf die jetzige folgen wird. Während man unter dem Einfluss von störenden Emotionen und Karma steht, ist es also angebracht, in Furcht und Abscheu zu leben und ihnen, sowie der von ihnen kontrollierten ständigen Wiedergeburt, zu entsagen. Bemüht euch sich daher beim Hören, Nachdenken und Meditieren über den Dharma.
Samsarische Wiedergeburt umfasst die Leiden des Leidens, die Leiden des Wandels und ein Anwachsen karmischer Wirkungen: eine negative Handlung kann wiederholt viele verheerende Wirkungen hervorbringen. Außerdem gibt es keine Gewissheit, dass auch nur weltliches Glück aus konstruktivem Handeln entstehen wird, weil man seine positive Kraft durch Ärger zerstören kann. Auf jeden Fall kann weltliches Glück sei es vergangen, gegenwärtig oder zukünftig niemals zufrieden stellen, weil es unbeständig ist. Bemüht euch daher nicht nur um weltliches Glück und Genussobjekte. Die Weisen geben dieses Ziel auf.
Doch es ist nicht genug, die Arbeit für weltliches Glück und Sinnesobjekte in diesem Leben aufzugeben, weil das Klammern an dieses Ziel in zukünftigen Leben zurückkehren wird. Führt daher konstruktive Dharma-Handlungen nicht um den Lohn des Erfolges in späteren Leben aus. Dies zu tun ist wie das Hängen an Bezahlung dafür, dass man seine Arbeit gut macht. Betrachtet ihr alles weltliche Glück und alle weltlichen Sinnesobjekte so, als wären sie eine Illusion, könnt ihr das Klammern an sie überwinden und Befreiung sowie Erleuchtung erreichen. Also erfreut euch nicht an weltlichen Vergnügen.
Kapitel 8: Ausbildung von Schülern
So wie verschiedenartige Menschen nicht lange Freunde bleiben werden, werden jene, die Fehler in samsarischen Phänomenen sehen, jedes Verlangen verlieren, mit ihnen zu verweilen. Da jedes Objekt bzw. jede Person für verschiedene Leute ein Objekt von Anziehung, Abneigung bzw. Gleichgültigkeit sein kann, existieren Objekte und Menschen nicht aus eigener Kraft als wahrhaft anziehend. Ob etwas begehrenswert ist, wird ausschließlich durch geistige Bezeichnung festgelegt und nur darauf beruhend entsteht sie in Abhängigkeit. Also gibt es in keiner Beziehung zwischen zwei Personen so etwas wie eine wahrhaft existierende Verbindung zwischen ihnen, die ewig bestehen würde.
Über die Lehren zur Leerheit haben jene, die wenig positive Kraft aufgebaut haben, noch nicht einmal Zweifel; für jene mit positiver Kraft aber wird das samsarische Dasein mürbe. Also isst es notwendig, dass ihr vollständig die tiefsten Lehren über Leerheit versteht es gibt keinen anderen Weg, um Erleuchtung zu erreichen. Aber denkt nicht,, dass, wenn alles leer von wahrer Existenz ist, alles völlig nichtexistent sei und dass daher kein Nutzen im Bemühen um Befreiung läge. Indem ihr Handlungen ausführt, die ihr für wahrhaft existent haltet, erzeugt ihr für euch selbst weitere samsarische Wiedergeburten und Leiden; doch indem ihr Handlungen ausführt, deren Freiheit von wahrer Existenz ihr versteht, erreicht ihr Befreiung. Aber greift mit eurem Geist nicht nach Handlungen oder verschiedenen Positionen zu Leerheit, als seien sie wahrhaft existierende „Dinge“, die es anzunehmen oder zurückzuweisen gelte.
Schüler sollten gemäß ihres Leistungsvermögens geführt werden. Buddha lehrte Großzügigkeit für jene von geringstem Leistungsvermögen, ethische Disziplin für die von mittlerem und Leerheit für jene von überragendem Leistungsvermögen. Darüber hinaus sollten Schüler stufenweise geführt werden. Lehrt sie zuerst, sich von zerstörerischen Handlungen abzuwenden; auf der mittleren Ebene, sich vom Greifen nach einem groben Selbst abzuwenden und am Ende, sich von allen Sichtweisen einer wahrhaft begründeten Existenz abzuwenden. Es ist zu beachten, dass dieser Punkt auf Svatantrika-Weise als Verweis auf verschiedene Ebenen des Verständnisses der Leerheit verstanden werden kann, die für das Erreichen von Befreiung bzw. Erleuchtung benötigt werden, oder auf eine Prasangika-Weise, dass diese zwei Verständnisebenen jeweils aufeinanderfolgende Stufen sowohl beim Erlangen von Befreiung als auch beim Erlangen von Erleuchtung darstellen. Versteht ihr dann die Leerheit einer Sache, werdet ihr die Leerheit von allem verstehen.
Der Buddha lehrte die Leerheit jedoch nicht jedem in gleicher Weise. Eine Medizin ist nicht für jede Krankheit passend. Also lehrte der Buddha einigen Schülern, dass Phänomene eine wahrhaft begründete Existenz besitzen; anderen Schülern, dass einige Phänomenen wahrhaft begründete Existenz haben und andere nicht und wiederum anderen Schülern, dass gar nichts wahrhaft begründete Existenz besitzt. Es ist anzumerken, dass diese drei Erklärungsweisen die Grundlage der Einteilung von Buddhas Lehren in drei Runden der Übertragung sind – die so genannten „drei Drehungen des Dharmarades“. Selbst ein Verständnis der weniger ausgeklügelten Sichtweisen zur Leerheit ist von Nutzen, weil es euch das Erreichen besserer samsarischer Wiedergeburtszustände ermöglichen wird. Doch mit dem vollen Verständnis werden alle karmischen Samen verbrannt und ihr erlangt Befreiung.
Kapitel 9: Aufzeigen der Methoden, um statische wirksame Phänomene zu widerlegen
Die wirksamen Phänomene, die aus Ursachen und Umständen entstehen, können nicht mit wahrhaft begründeter Existenz statisch sein. Sie hängen von Ursachen und Umständen ab und bestehen nicht einfach überall und jederzeit. Kein wirksames Phänomen existiert ohne Ursache und deshalb kann es unmöglich ein statisches wirksames Phänomen geben, wie einen von der Nyaya-Schule angenommenen Schöpfergott.
Als nächstes widerlegt Aryadeva die Logik anderer fehlerhafter Systeme. Die Vaisheshikas meinen, dass etwas, wenn es geschaffen wird, unbeständig ist, und dass etwas beständig und statisch ist, falls etwas nicht geschaffen ist. Da ein „Atman“ d.h. eine Seele nicht geschaffen ist, ist es also beständig. Aryadeva widerlegt dies, indem er argumentiert, dass etwas, das geschaffen wird, dadurch existiert, doch wenn etwas nicht geschaffen ist, bedeutet das nicht automatisch auch, dass es als etwas Statisches existiert, denn nichtexistierende Dinge sind ebenso wenig geschaffen.
Zum Beispiel kann der statische Raum nicht, wie die Vaibhashikas behaupten, als etwas substanziell Existierendes betrachtet werden, mit der Begründung, dass er die Funktion erfülle, als Objekt seiner Wahrnehmung zu dienen, da statische Dinge überhaupt nichts bewirken. Außerdem kann statischer Raum nicht alles umfassend und teilelos sein, wie Vaisheshika meint, weil es stets Richtungsanteile gibt. Es ist weiterhin widersprüchlich, das Zeit sowohl statisch sein als auch wirksamen Phänomenen erlauben soll, gerade zu erscheinen oder nicht zu erscheinen, wie Vedanta behauptet, denn dann würde wiederum etwas Statisches eine Funktion ausüben. Im allgemeinen kann jegliche Ursache, die keine Wirkung besitzt, keine Ursache sein und so muss jede Ursache selbst eine Wirkung von etwas anderem sein, da die Fähigkeit einer Ursache, ihre Wirkung zu bewirken, durch Umstände verursacht wird. Also können Ursachen, wie z.B. Zeit, nicht statisch und beständig sein. Darüber hinaus können wirksame Phänomene nicht aus etwas Statischem und Nichtwirksamem entstehen, weil Phänomene, die durch einen Kausalprozess verbunden sind, Phänomene von gleicher Art sein müssen.
Allerkleinste Teilchen können nicht sowohl statisch sein als auch zugleich Objekte bilden, wie die Vaisheshikas behaupten. Denn das Zusammentreffen solcher Teilchen dient als Ursache für materielle Objekte, also sind solche Teilchen wirksame Phänomene. Solche Teilchen können auch nicht teilelos sein, wie Vaisheshika ebenfalls behauptet, da sie nicht auf einer Seite zusammen treffen könnten, falls sie teilelos wären. Shantideva wiederholt dieses letzte Argument ebenfalls in seinem Text, um damit die Vaibhashika-Annahme allerkleinster Teilchen zu widerlegen, die als teilelose wirksame Phänomene angenommen werden.
Wahre Beendigungen von Leiden können nicht nichtstatisch und unbeständig sein, doch sie existieren auch nicht wie von den Vaibhashikas behauptet als substanziell existierende statische Phänomene, welche die Funktion ausüben, als Objekt ihrer Wahrnehmung zu dienen. Darüber hinaus ist Befreiung mit keiner dieser beiden identisch. Außerdem bedeutet Nirvana ohne Überrest nicht, wie Vaibhashika sowie Sautrantika meinen, dass eine Person, die es erreicht, völlig nichtexistent würde. Es bedeutet, dass bei der Person, die Erleuchtung erlangt hat, kein Überrest des Greifens nach einem substanziell existierenden „Selbst“ oder einer substanziell existierenden „Seele“ verbleibt. Darüber hinaus existiert Nirvana selbst auch nicht substanziell.
Als unlogisch widerlegt Aryadeva außerdem die Samkhya-Behauptung eines wahrhaft existierenden beständigen befreiten „Selbst“ als etwas, dass Bewusstheit besitzt, weil sich ein solches Selbst laut Samkhya von allen Wahrnehmungsobjekten getrennt hat. Es kann kein Bewusstsein geben, ohne dass es sich über etwas bewusst ist. Die Nyaya-Position eines wahrhaft existierenden beständigen befreiten Selbst, dass ohne Bewusstheit ist, ist ebenfalls unlogisch; wie könnte ein solches Selbst je den Gedanken haben, auf das Erreichen von Befreiung hin zu arbeiten? Und auch wenn gewöhnliche, ungebildete Menschen keine dieser begirfflich gegründeten fehlerhaften Ansichten hegen, bedeutet das nicht, dass sie kein automatisch auftretendes Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz besitzen würden.
Kapitel 10: Aufzeigen von Methoden zur Widerlegung eines (statischen, unmöglichen) „Selbst“ bzw. „Seele“
Ein beständiges, statisches, wahrhaft existierendes „Selbst“ bzw. eine derartige „Seele“ zu behaupten, führt zu zahlreichen logischen Ungereimtheiten. Ein solches Selbst oder eine solche Seele kann nicht männlich, weiblich oder zweigeschlechtlich sein, wie Vaisheshika dies behauptet, denn sonst würde jeder immer mit dem gleichen Geschlecht wiedergeboren. Da die Elemente des Körpers darüber hinaus geschlechtslos sind, hätte ein Selbst, dass auf ihnen beruht, kein Geschlecht. Wäre ein Selbst zudem wahrhaft als „das Selbst“ vorhanden, müsste es das Selbst von jedem sein daher sollte dein Selbst ebenfalls das Objekt meiner eigenen Sorge sein, was es jedoch nicht ist. Ein Selbst kann auch nicht mit jeder Wiedergeburt Aspekte verändern und trotzdem statisch sein. Ein statisches Selbst könnte keine Körperbewegungen anregen, da ein statisches Objekt überhaupt nichts bewirken kann. Und wenn man ein statisches, beständiges Selbst behauptet, dem nicht geschadet werden kann, warum sollte man sich dann mit irgendwelchen Handlungen zur Vermeidung von Leiden abmühen?
Meint man wie die Nyayas, dass das Selbst für sich nicht bewusst ist, sondern Bewusstheit durch das Verbinden mit einem physischen Geist gewinnt, wie könnte es dann noch statisch und beständig sein, wenn es sich beim Verbinden mit einem Geist verändert? Meint man dagegen wie die Samkhyas, dass ein statisches beständiges Selbst inhärent bewusst ist, warum besteht dann die Notwendigkeit, dass es sich auf Wahrnehmungssensoren stützen muss, um die Sinneswahrnehmung eines physischen Objekts zu haben? Wenn ein bewusstes Selbst darüber hinaus statisch und beständig ist, sollte es niemals aufhören, sich bewusst zu sein, über etwas, dessen es sich bewusst ist.
Aryadeva fährt fort und widerlegt die Samkhya-Behauptung einer Urmaterie, die aus den drei Prinzipien von Glück, Unglück und Neutralität besteht und dennoch selbst keine Form eines Gewahrseins von etwas ist. Außerdem könnte ein Selbst, wie es die Nyaya-Vaisheshikas behaupten, welches das gesamte Universum und jegliche Zeit umfasst, weder hierhin kommen noch dorthin gehen. Und es ist unlogisch, dass obwohl das nicht-befreite Selbst eine Illusion und nicht wahrhaft existent ist, ein befreites Selbst wahrhaft existieren soll, wie einige Vedantins behaupten. Darüber hinaus kann die Unbeständigkeit von etwas nicht dessen wahrhaft existierende Verwandlung in ein wahrhaft existierendes Nichts bedeuten; sonst würde jegliche Unbeständigkeit eben dies bedeuten und es gäbe keine Kontinuität von irgendetwas, sobald der erste Augenblick von etwas endet.
Kapitel 11: Aufzeigen von Meditationen, um (wahrhaft existierende) Zeit zu widerlegen
Wären Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft statisch und wahrhaft vorhanden, wie die Vedantins behaupten, dann wären die nicht mehr existierende, die gegenwärtig existierende und die noch nicht existierende Vase alle ewig vorhanden und es bestünde keine Notwendigkeit, irgendetwas zu erzeugen. Nicht einmal ein Anteil oder ein Aspekt einer noch nicht existierenden Vase könnte sich zu einem Aspekt einer gegenwärtig existierenden Vase oder einer nicht mehr existierenden Vase verändern und dennoch immer noch statisch und wahrhaft als etwas noch nicht existierendes vorhanden sein. Falls ihr jedoch, wie die Nyaya-Vaisheshikas und Vaibhashikas behauptet, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seien unbeständig und dennoch wahrhaft existent, wie könnte sich dann irgendetwas von einer wahrhaft nichtvorhandenen Vase zu einer wahrhaft gegenwärtig existierenden Vase und dann zu einer wahrhaft nicht mehr länger existierenden Vase verändern?
Wenn wahrhaft existierende, schon vergangene Zeit unbeständig wäre und zu einem bestimmten Zeitpunkt vergehen müsste, wie könnte ein wahrhaft existierendes Schon-vergangen-Sein erneut vergehen? Würde es aber niemals vergehen, wie könnte es dann ein Zeitpunkt sein, der vergangen ist? Außerdem ist es unlogisch, anzunehmen, wie dies einige Vaibhashikas tun, dass die noch nicht existierende, gegenwärtig existierende und nicht mehr existierenden Vase wahrhaft existent und identisch mit der wahrhaft existierenden Vase selbst ist, weil dann alle drei Zeiten identisch wären und nichts zerfallen oder vergehen könnte.
Würde etwas noch nicht Existierendes bereits als wahrhaft existierende Zukunft bereits bestehen, bestünde für sein entstehen keine Notwendigkeit. Es würde bereits geschehen. Würden also die eigenen, noch nicht existierenden Gelübde bereits wahrhaft existieren, warum sollte man sich dann die Mühe machen und Anstrengungen unternehmen, um sie abzulegen?
Nimmt man wie die Sautrantikas an, die eigenen, noch nicht geschehenen Leiden würden als wahrhaft existierende statische metaphysische Entität existieren, dann wäre man bereits befreit und es bestünde keine Notwendigkeit zur Dharmapraxis, weil sie niemals zu gegenwärtig geschehendem Leiden werden könnten.
Behauptet man wie die Samkhyas die wahrhaft gleichzeitige Existenz von Ursache und Wirkung, so würde man keine Steine und Pfeiler benötigen, um ein Haus zu bauen. Hätte Zeit andererseits ein wahrhaft existierendes Auftreten, dann könnte sich kein Zeitpunkt jemals vom Zustand des Auftretens aus verändern. Wenn Zeit aber wahrhaft existent kein Auftreten hätte, könnte es kein Ende ihres Nichtauftretens geben und damit könnte nichts je auftreten oder geschehen.
Wahrhaft existierende Phänomene könnten auch nicht bei ihrem Auftreten schwache Unbeständigkeit besitzen und starke Unbeständigkeit bei ihrem Ende, denn falls sie wahrhaft existent von schwacher Unbeständigkeit wären, könnte sich dies niemals verändern. Außerdem könnten Phänomene nicht wahrhaft existierend auftreten und zugleich unbeständig sein, weil diese beiden Eigenschaften einander widersprechen. Falls etwas unbeständig ist, müsste es seinen Zustand verändern und es könnte sich nur von etwas Geschehendem zu etwas nicht mehr Geschehendem verwandeln. Doch falls etwas wahrhaft existierend geschieht, müsste es dies immer tun und also könnte es sich niemals in etwas nicht mehr Geschehendes verwandeln könnte also nicht unbeständig sein.
Darüber hinaus ist jede Erinnerung eine täuschende Wahrnehmung, weil eine bereits vergangene Wahrnehmung keinesfalls wieder auftreten kann.
Kapitel 12: Aufzeigen der Meditationen zur Widerlegung von (Anhaftung an verzerrte) Sichtweisen
Ein angemessenes Gefäß zum Empfangen der Lehren über Leerheit ist jemand, der rechtschaffen und unvoreingenommen ist, vernünftiges Urteilsvermögen besitzt und stark an Leerheit interessiert ist. Im Gegensatz dazu meinen jene, die unpassende Gefäße sind, dass es der Fehler des Buddha sei, falls sie die vier edlen Wahrheiten nicht verstehen können.
Es ist wichtig, sich an den Lehren über die Leerheit zu erfreuen, denn nur indem man sie versteht, kann man sich vom Leiden befreien. Indem man Vertrauen in Buddhas Lehren über die Leerheit gewinnt, kann man Zuversicht gewinnen, dass der Buddha auch eine gültige Quelle über äußerst verborgene Phänomene, wie z.B. Karma ist.
Nur jene, die wenig über Leerheit wissen, fürchten sich vor ihr. Der Grund dafür ist, dass sie nicht an Leerheit gewöhnt sind. Da solche Menschen jedoch an Ignoranz und Verwirrung gewöhnt sind, die zu weiteren Leiden führen, haben sie davor keine Furcht. Also ist es besser, jenen, die noch kein passendes Gefäß für die Leeren über Leerheit sind, zu lehren, es gäbe ein wahrhaft vorhandenes Selbst, denn wenn man ihnen voreilig Leerheit erklären würde, könnte es sein, dass sie sich vollständig vom Dharma abwenden.
Der Buddha lehrte Leerheit nicht zum Zweck der Debatte, aber dennoch verbrennt sie die verzerrten Sichtweisen von Kontrahenten. Wenn man Vertreter verzerrter Sichtweisen erblickt, deren engstirnige Ignoranz, trotz ihres Wunsches nach Befreiung, für sie nur weitere Leiden in Samsara bewirkt, wie könnte man da nicht Mitgefühl für sie entwickeln? Die Lehren über die Leerheit sind den Lehrmeinungen der Brahmanen und Jainas weitaus überlegen. Die Leiden, die sich die Jainas mit dem Zweck, Erleuchtung zu erlangen, selbst auferlegen, sind das Ergebnis ihres Karmas und sind gewiss kein Pfad zur Befreiung. Geburt als Brahmane und das als Kastenpflicht daraus resultierende Rezitieren der Vedas sind ebenso wenig ein Pfad zur Befreiung, weil auch dies ein Ergebnis von Karma ist. Im Gegensatz dazu lehrte der Buddha dass die Dharmapraxis schlicht von zweierlei Art ist: keinen Schaden zuzufügen und Leerheit zu verstehen. Also sollte jeder versuchen, ein Interesse an Leerheit zu entwickeln.
Kapitel 13: Aufzeigen von Meditationen zur Widerlegung (wahrhaft existierender) Wahrnehmungssensoren und Wahrnehmungsobjekte
Man erblickt nicht sämtliche Eigenschaften und Aspekte einer Vase, wenn man ihre sichtbare Form erblickt wie kann dann bloße visuelle Wahrnehmung einer Form die wahre Existenz eines Objekts begründen, das auch andere Eigenschaften, wie berührbare Tasteindrücke oder einen zu riechenden Geruch, besitzt? Wenn bloße visuelle Wahrnehmung die Vase wahrhaft wahrnehmen würde, dann sollte sie auch ihren Geruch wahrnehmen; und falls sie nicht wahrhaft sämtliche Eigenschaften der Vase wahrnimmt, kann sie überhaupt keine von ihnen wahrhaft wahrnehmen auch keine sichtbare Form. Die Vase besteht aus Teilen und Teile bestehen ohne Ende immer weiter aus Teilen. Da die kleinsten Teilchen, welche die Form einer Vase bilden, also nur Zuschreibungen aufgrund ihrer Teile sind, wie kann dann eine Zusammenfügung von nicht wahrhaft existierenden Teilen ein wahrhaft existierendes gesamtes Wahrnehmungsobjekt darstellen? Das gleiche gilt für die Klänge von Worten, die aus phonetischen Teilen gebildet sind und die größere Verbindungen, nämlich Sätze, bilden.
Sollten Form und Farbe einer Vase wahrhaft existierend verschieden sein, wie könnte die visuelle Wahrnehmung der Farbe einer Vase dann auch die Form wahrnehmen? Und wären sie wahrhaft existierend identisch, warum nimmt dann die Tastwahrnehmung der Form einer Vase im Dunkeln nicht auch ihre Farbe wahr? Erde kann als etwas festes und solides erblickt werden, aber auch von Tastwahrnehmung kann sie erkannt werden. Würde Erde jedoch wahrhaft als ein Objekt der visuellen Wahrnehmung existieren, könntet sie nicht auch ein Objekt der Tastwahrnehmung sein.
Falls eine Vase von ihrer eigenen Seite wahrhaft existierend als etwas wahrnehmbares entstehen würde, dann gäbe es keine Notwendigkeit für sie, mit der wahrhaft existierenden universellen Kategorie der Wahrnehmbarkeit verbunden zu sein, die die Nyaya-Vaisheshikas als Notwendigkeit für Wahrnehmung behaupten; die Vase wäre dann schon wahrnehmbar. Entstünde eine Vase aber als wahrhaft existierend nicht-wahrnehmbar, dann könnte sie auch nicht wahrgenommen werden, wenn sie mit solch einer universellen Kategorie verbunden wäre.
Wahrhaft existierende Augensensoren können keine wahrhaft existierenden sichtbaren Formen wahrnehmen, die wahrhaft von ihnen verschieden sind. Könnten wahrhaft sichtbare Formen von etwas wahrgenommen werden, das wahrhaft von ihnen verschieden ist, dann sollten sie auch von Hörsensoren wahrgenommen werden, weil auch jene von sichtbaren Formen verschieden sind. Darüber hinaus kann eine Sehwahrnehmung nicht wahrhaft vor dem Betrachten einer sichtbaren Form durch einen Augensensor existieren. Genauso wenig kann sie wahrhaft existieren, nachdem der Sensor die Form betrachtet hat. Letzteres gilt, weil das Sehen dann geschehen müsste, nachdem das Betrachten beendet wäre und während die Sensoren die Form gar nicht mehr betrachten würden. Würde eine Sehwahrnehmung dagegen zugleich mit dem Betrachten der sichtbaren Form durch den Augensensor eintreten, dann könnte das Betrachten der Form nicht mehr die Ursache sein für ihr Gesehen-Werden.
Der traditionellen allgemeinen indischen Deutung der Sinneswahrnehmung zufolge bewegt sich die Energie des Wahrnehmungssensors hinaus zu Sinnesobjekten, um diese wahrzunehmen, statt dass sich, wie nach Meinung der westlichen Wissenschaft, Sinnesinformation vom Objekt zum Sensor bewegt. Müsste sich die Energie eines wahrhaft existierenden Augensensors zum Objekt hin bewegen, um es zu betrachten, dann sollte es länger dauern, ein entferntes Objekt zu sehen, als ein nahe gelegenes Objekt. Und auch wenn es genauso lange dauern sollte, warum ist ein nahe gelegenes Objekt klarer als ein entferntes auf Grundlage eines wahrhaft existierenden Augensensors sollte dies bei beiden identisch sein.
Würde der Augensensor sich hinaus zu seinem Objekt hin bewegen, nachdem er es bemerkt hat, wozu müsste es dann noch gesehen werden es wäre schon gesehen worden. Und falls er sich hinaus bewegt, ohne es bemerkt zu haben, dann bewegt er sich zur Betrachtung eines Objekts hinaus, ohne zu wissen, dass er irgendetwas betrachten wird. Müsste sich die Energie des Augensensors aber nicht hinaus zum Objekt bewegen, dann sollte er jederzeit alles erblicken, ob es nun nah oder fern, offensichtlich oder verborgen ist. Er sollte außerdem fähig sein, sich selbst zu erblicken.
Da Augensensoren außerdem physische Materie sind, können Sie keine Art des Gewahrsein von etwas sein; und da Bewusstsein eine Art des Gewahrseins von etwas ist, kann es kein physisches Objekt sein, dass sich hinaus zu einem Objekt hin bewegt. Wie kann also Wahrnehmung als Ergebnis der Wechselwirkung von wahrhaft existierendem Bewusstsein, wahrhaft existierenden Wahrnehmungssensoren und wahrhaft existierenden Objekten geschehen? Dann führt Aryadeva mit Hörsensoren und hörbaren Klängen eine ähnlich Analyse durch. Es folgt, dass Wahrnehmung wie eine Illusion ist, die aufgrund von illusionsartigem Bewusstsein, illusionsartigen Sensoren und illusionsartigen Objekten entsteht.
Kapitel 14: Aufzeigen der Meditationen zur Widerlegung des Greifens nach Extremen
Ein wahrhaft existierendes wirksames Phänomen könnte nicht dadurch zustande kommen, dass es sich auf etwas anderes stützt, weil es dann schon völlig unabhängig aus eigener Kraft existieren müsste. Würde eine wahrhaft existierende Vase generell mit einer wahrhaft existierenden Form versehen sein, dann würde man eine Vase erblicken, wann immer man eine sichtbare Form betrachtet. Würden diese beiden als etwas wahrhaft Verschiedenes existieren, dann wäre eine Vase keine sichtbare Form.
Wären eine Vase und Existenz als universelle Kategorie beide als getrennte Arten wahrhaft existierender Phänomene wahrhaft existent, wie Nyaya-Vaisheshika behauptet, dann wäre es unsinnig, zu behaupten, dass eine Vase in einer Kategorie wahrhaft existiert, die von Existenz getrennt ist. Die Vase müsste dann wahrhaft nichtexistent sein. Dann widerlegt Aryadeva weitere Annahmen der Nyaya-Vaisheshikas, z.B. dass Substanzen in der Lage seien, ohne Qualitäten zu existieren, dass jedoch Qualitäten wie die Qualität der Anzahl, z.B. „eins“ oder „zwei“ zu sein nicht existieren könnten, ohne eine Substanz zu charakterisieren. Oder, dass Qualitäten nicht in der Lage seien, andere Qualitäten zu charakterisieren, denn die Qualität, eine Form zu sein sowie die Qualität, groß zu sein können eine Substanz charakterisieren; aber „groß“ kann nicht „Form sein“ charakterisieren und deshalb können Formen nicht groß sein.
Wäre wie die Sautrantikas meinen eine wahrhaft existierende Vase wahrhaft eins mit einer der acht Arten wahrhaft existierender Bestandteile-Teilchen, aus denen sie gebildet ist, dann müsste die Vase acht wahrhaft existierende Dinge statt einem sein. Es ist außerdem für die Teilchen der vier Elemente, welche die Fähigkeit zum Kontakt besitzen, unmöglich, sich mit den vier Teilchen des Form-Seins und so weiter zu verbinden, die diese Fähigkeit nicht besitzen und die Gesamtheit einer einzelnen Vase zu bilden.
Aryadeva fährt als nächstes mit der Widerlegung der Annahme fort, dass wahrhaft existierende Phänomene wahrhaft existierende definierende Merkmale besäßen, da diese beiden weder als wahrhaft gleich noch als wahrhaft verschieden von einander existieren können. Er widerlegt auch, dass wahrhaft existierende Gesamtheiten als Ansammlung wahrhaft existierender physischer Teile oder als Ergebnis einer Ansammlung wahrhaft existierender Ursachen existieren könnten. Er untersucht weiterhin, wie eine wahrhaft existierende Ansammlung wahrhaft existierenden Brennstoffs als Beispiel für das Element „Erde“ bzw. „Festigkeit“ gemeinsam mit wahrhaft existierender Luft und wahrhaft existierendem Feuer heiß werden soll. Falls es eine wahrhaft existierende Qualität des Feuer-Elements wäre, heiß zu sein, könnte diese nicht den Brennstoff charakterisieren, der ein Beispiel für das Erdelement ist. Aber muss ein Brennstoff nicht heiß werden, um zu brennen?
Dann erklärt Aryadeva, dass die Analyse „weder eins noch viele“ zur Widerlegung aller extremen Sichtweisen über Existenz, Nichtexistenz, beider oder keiner von beiden, angewendet werden sollte.
Kapitel 15: Aufzeigen der Meditationen zur Widerlegung des Greifens nach beeinflussten Phänomenen als endgültig (wahrhaft existent)
Beeinflusste Phänomene sind jene, die unter den Einfluss von Ursachen und Umständen stehen. Aryadeva analysiert nun, ob Entstehen letztendlich wahrhaft existiert.
Etwas, das zur Zeit der Ursache wahrhaft nichtexistent ist, kann zur Zeit der Wirkung nicht entstehen; würde aber zur Zeit der Ursache bereits eine wahrhaft existierende Wirkung existieren, dann gäbe es keine Notwendigkeit mehr für ihr erneutes Entstehen. Eine wahrhaft existierende Ursache kann keine wahrhaft existierende Wirkung hervorbringen, die wahrhaft das gleiche wie sie oder wahrhaft von ihr verschieden ist. Außerdem kann es kein wahrhaft existierendes Entstehen, Verweilen oder Vergehen geben, denn dann würden, sobald eines von diesen geschieht, die anderen beiden wahrhaft nichtexistent sein und könnten nie geschehen bzw. niemals geschehen sein.
Außerdem kann ein wahrhaft als eine Wirkung existierendes Phänomen nicht von etwas geschaffen werden, das wahrhaft das gleiche oder etwas wahrhaft anderes ist. Und falls etwas, das entsteht, wahrhaft neu ist, könnte es niemals alt werden. Da ein wahrhaft existierendes Entstehen, Verweilen und Vergehen weder getrennt und unabhängig noch gleichzeitig geschehen können, wann geschehen sie dann? Außerdem kann ein wahrhaft existierendes Entstehen, Verweilen und Vergehen nicht als wahrhaft getrennte Phänomene auf der Grundlage eines wahrhaft existierenden wirksamen Phänomens existieren sonst wären wirksame Phänomene statisch und beständig.
Darüber hinaus kann ein wahrhaft existierendes wirksames Phänomen nicht aus einem anderen, wahrhaft existierenden, wirksamen Phänomen entstehen, da es ja bereits wahrhaft existieren würde. Doch aus einem nichtwirksamen, statischen Phänomen kann es ebenfalls nicht entstehen. Und ein nichtwirksames Phänomen kann nicht aus einem anderen nichtwirksamen Phänomen entstehen wie soll es also ein wahrhaft existierendes Entstehen von irgendetwas aus irgendetwas geben?
Und wie könnte darüber hinaus etwas, das wahrhaft existiert und im Verlauf des Entstehens ist, schon wahrhaft als das existieren, was es sein wird? Was also ist es dann? Und ergibt es andererseits Sinn, zu behaupten, es gäbe einen zeitlichen Abstand zwischen dem Zeitpunkt, an dem die wahrhaft existierende Wirkung noch nicht existiert und der Zeit, zu der sie existiert und dass das Phänomen in dieser Zwischenzeit zur Hälfte als etwas wahrhaft Existierendes und zur Hälfte als etwas wahrhaft Nichtexistierendes existiert?
Wann also geschieht der Vorgang des wahrhaft existierenden Entstehens? Und wie kann ein wahrhaft existierendes Entstehen existieren, bevor ein Objekt wahrhaft entsteht? Und wie kann sich etwas wahrhaft Existierendes wahrhaft im Verlauf des Entstehens befinden, so als ob sein Entstehen als etwas wahrhaft von ihm Getrenntes existierte? Und wie kann ein Entstehen wahrhaft existieren, bevor es aufgetreten ist, um dann mit einem wahrhaft existierenden, noch nicht entstandenen Objekt verbunden zu werden und dieses Objekt durch diese Verbindung entstehen zu lassen?
Kapitel 16: Aufzeigen, wie man erreicht, dass Lehrer und Schüler, Gewissheit (über Leerheit) gewinnen
Zuletzt widerlegt Aryadeva wahrhaft existierende Logik, welche von allen buddhistischen Lehrmeinungsschulen außer der Prasangika-Schule angenommen wird. All diese Kapitel, erklärt Aryadeva, wurden geschrieben, um jede Begründung zu widerlegen, die jemand dafür anbringen könnte, dass Dinge nicht leer von wahrhaft begründeter Existenz seien, obwohl alles leer davon ist. Und selbst der Autor, das Thema und die Worte dieses Textes sind leer von wahrhaft begründeter Existenz. Um die Position anderer zu widerlegen und die eigene Position zu begründen oder zu beweisen, ist es notwendig, sich auf logische Argumentation zu stützen. Wenn ihr mithilfe logischer Analyse die eigenen Annahmen nicht als existierend auffinden könnt, müsst ihr verstehen, dass das, was ihr annehmt, überhaupt nicht existent ist.
Wir Prasangikas verwenden keine fehlerhaften Argumentationen, die selbst andere Buddhisten verwenden, so wie die Sautrantikas, die argumentieren, dass alles, was von bloßer, nunbegirfflicher Wahrnehmung wahrgenommen wird, wahrhaft existiert, weil es wahrgenommen wird. Außerdem behaupten wir nicht einmal, dass Leerheit wahrhaft begründete Existenz besitzt, was die Chittamatrin behaupten. Wenn eine Grundlage für Leerheit keine wahrhaft begründete Existenz besitzt, wie kann dann ihre Leerheit wahrhaft begründet sein? Und falls Leerheit als zu beweisende logische Position wahrhaft begründete Existenz besitzen würde, müsste auch die Gegenposition Nicht-Leerheit wahrhaft existieren, weil diese zwei Bestandteile einer Argumentation von einander abhängig sind. Da Leerheit jedoch nicht wahrhaft existent ist, ist Nicht-Leerheit dies ebenso wenig.
Würden wahrhaft existierende Phänomene tatsächlich existieren, dann müssten sie von gültiger Wahrnehmung wahrgenommen werden. Doch sie werden nie von gültiger Wahrnehmung wahrgenommen, wie sollten sie also im geringsten existieren? Und da es keine wahrhaft existierenden Phänomene gibt, ergibt es außerdem keinen Sinn, die Phänomene, in einige wahrhaft existierende und einige nicht wahrhaft existierende einzuteilen, wie dies die Chittamatrin tun. Und falls man die Prasangikas beschuldigt, sie würden behaupten, alles sei völlig nichtexistent, warum kann unsere Logik dann eure Positionen widerlegen? Falls ihr meint, unsere Prasangika-Logik sei widersinnig, warum könnt ihr dann keine Fehler darin finden? Falls ihr die eigene Position der Nicht-Leerheit nicht durch Logik beweisen könnt und sie korrekt sein soll, nur weil ihr dies behauptet, dann wäre jede Position korrekt, indem man einfach behauptet, es sei so.
Die Worte, die in logischen Argumentationen verwendet werden, besitzen ebenfalls keine wahrhaft begründete Existenz als etwas, das auf wahrhaft begründete Phänomene verweist. Und es ist unlogisch, einfach zu meinen, Leerheit würde wahre Existenz besitzen, weil diese durch wahrhaft existierende Argumentationsketten oder durch die Verwendung wahrhaft existierender Beispiele in Argumentationsketten zum Beweis von Leerheit bewiesen würde.
Würden Phänomene wahrhaft begründete Existenz besitzen, dann gäbe es keinen Nutzen durch das Verständnis von Leerheit, weil Leerheit fehlerhaft wäre. Doch der Buddha lehrte die Leerheit von wahrhaft begründeter Existent, weil sie zutreffend ist und ihr Verständnis Leiden beseitigt. Ob man also wahrhaft begründete Existenz, wahrhaft begründete Nichtexistenz, wahrhaft begründete Existenz-sowie-Nichtexistenz oder wahrhaft begründete Weder-Existenz-noch-Nichtexistenz behauptet: Leerheit widerlegt sie alle.
Aryadeva und der Text
Aryadeva wurde in Sri Lanka in eine Königsfamilie geboren und lebte von der Mitte des zweiten bis zur Mitte des dritten Jahrhunderts u.Z. Einigen Berichten zufolge wurde er aus einem Lotos geboren. In jungem Alter wurde er Mönch und studierte gründlich die Buddhistischen Schriften das Tripitaka bevor er nach Südindien aufbrach, um mit Nagarjuna im Shatavahana-Königreich des Königs Udayibhadra zu studieren. König Udayibhadra war der Empfänger von Nagarjunas „Brief an einen Freund“ (tib. bShes-pa’i spring-yig, Skt. Suhrllekha) und des Textes „Die Kostbare Girlande“ (tib. Rin-chen ‘phreng-ba, Skt. Ratnamali). Aryadeva begleitete Nagarjuna und studierte weiter mit ihm in Shri Parvata, den heiligen Bergen oberhalb des heutigen Nagarjunakonda-Tals in Andhra Pradesh, innerhalb des Shatavahana-Königreichs.
Zu dieser Zeit besiegte Matrcheta, ein Anhänger Shivas, jeden in Nalanda bei der Debatte. Aryadeva ging, um die Herausforderung anzunehmen. Unterwegs traf er eine alte Frau, die sich bemühte, besondere Kräfte zu verwirklichen und zu diesem Zweck das Auge eines gelehrten Mönches benötigte. Von Mitgefühl bewegt gab er eines seiner Augen, doch als sie es nahm, zerschmetterte sie es einfach mit einem Stein. Von da an war Aryadeva als Einäugiger bekannt. Aryadeva besiegte Matrcheta sowohl in der Debatte als auch in besonderen Kräften. Danach wurde Matrcheta zu seinem Schüler.
Aryadeva blieb viele Jahre in Nalanda. Später in seinem Leben kehrte er jedoch zu Nagarjuna zurück, welcher ihm all seine Lehren anvertraute, bevor er verstarb. Aryadeva baute viele Klöster in diesem Gebiet Südindiens und lehrte umfassend, wodurch er die Mahayana-Tradition und insbesondere die Madhyamaka-Lehren etablierte. Sein Text „Vierhundert-Verse-Abhandlung über die Handlungen des Yoga eines Bodhisattva“ (tib. Byang-chub sems-dpa’i rnal-‘byor spyod-pa bzhi-brgya-pa’i bstan-bcos kyi tshig-le’ur byas-pa, Skt. Bodhisattvayogacarya-catu:shataka-shastra-karika) ist kurz als „Die Vierhundert“ bekannt. Ebenso wie Nagarjuna schrieb auch Aryadeva Kommentare zum „Guhyasamaja Tantra“. Vor seinem Versterben vertraute Aryadeva die Lehren Rahulabhadra an.
Chandrakirti gehörte zur nächsten Schülergeneration nach Rahulabhadra. Er schrieb den berühmtesten indischen Kommentar für „Die Vierhundert“. Der Wurzeltext und dieser Kommentar wurden von Patshab Lotsawa (tib. Pa-tshab Nyi-ma grags, geb. 1055) ins Tibetische übertragen. Patshab Lotsawa war ein wesentlicher Übersetzer von Nagarjunas Werk, sowie von Guhyasamaja-Texten. Er überarbeitete die alte Übersetzung von Nagarjunas „Wurzelverse zum Madhyamaka, genannt ,Unterscheidendes Gewahrsein‘“ (tib. dBu-ma rtsa-ba shes-rab, Skt. Prajna-nama-mulamadhyamaka-karika) sowie Chandrakirtis Kommentar dazu, die „Ergänzung zu (Nagarjunas „Wurzelversen zum) Mittleren Weg“ (tib. dBu-ma-la ’jug-pa, Skt. Madhyamakavatara). Laut der Gelug-Tradition war er wesentlich für die Übertragung und die Etablierung der Prasangika-Sichtweise in Tibet verantwortlich.
Rendawa (tib. Red-mda’-ba gZhon-nu blo-gros) (1349-1412) schrieb den frühesten Kommentar über „Die Vierhundert“ und erklärte sie vom Blickwinkel der Sakya-Madhyamaka Lehrrichtung. Gyeltsabje (tib. rGyal-tshab rJe Dar-ma rin-chen) (1364-1432) schrieb den Gelug-Prasangika Kommentar.
Der Text enthält sechzehn Kapitel, jedes mit fünfundzwanzig Version. Die ersten acht Kapitel besprechen, wie man positive Kraft (Verdienst) für das Verständnis von Leerheit aufbaut, in dem es zeigt, wie man verzerrte Betrachtungsweisen der konventionellen Wahrheit korrigiert und wie störende Emotionen und Geisteshaltungen überwunden werden können. Die zweiten acht Kapitel zeigen, wie man gemäß der Madhyamaka-Lehrrichtung ein korrektes Verständnis der tiefsten Wahrheit erreicht.
[1] Aryadeva spricht mit dem Text seine Schüler an. Auch in der Zusammenfassung sind wir daher dieser Form der Anrede gefolgt.
[2] Die englische Formulierung „to grasp at“ hat mehrere Bedeutungen, u.a. auch mit dem „Geist zu ergreifen“, zu erfassen, aufzufassen. Der ursprüngliche tibetische Begriff hat die Bedeutungen: 1. Etwas auf eine bestimmte Weise wahrzunehmen und zu glauben, dass unsere Wahrnehmung auch der Wahrheit entspricht. 2. Etwas wahrzunehmen aber nicht zu glauben, dass es so existiert. Die Formulierung „greifen nach“ steht hier also immer für einen geistigen Vorgang.