Themen der Analyse: Karma, das Selbst und die Schuld

Die Themen der Untersuchung 

Unser Thema für dieses Wochenendseminar ist: „Karma: Wer trägt die Schuld?“ In dieser Darlegung geht es im Grunde um drei Dinge: Karma, das Selbst – das „Ich“ – und die Schuld. Wollen wir diese Frage untersuchen, gilt es zu analysieren und zu verstehen, was wir unter jedem dieser drei Dinge verstehen, denn es kann bei allen zahlreiche Missverständnisse geben. Wie wir durch die allgemeinen buddhistischen Lehren wissen, sind unsere Leiden darauf zurückzuführen, Missverständnisse in Bezug auf relevante Dinge in unserem Leben zu haben. Im Buddhismus geht es doch darum, Leiden zu beseitigen. 

In dieser besonderen Thematik besteht eine der großen Gefahren darin, Schuldgefühle zu haben. Wir denken an Karma und darüber, was wir getan haben, und kommen zu der Schlussfolgerung: „Ich, ich, ich – ich bin der oder die Schuldige. Ich bin so schlecht und muss für das, was ich getan habe, bestraft werden.“ Das sind Schuldgefühle und sie führen dazu, wirklich unglücklich zu sein. Tatsächlich denke ich, dass es ziemlich wichtig ist, diese Sache zu verstehen. Mit einem korrekten Verständnis der vier edlen Wahrheiten können wir eine wahre Beendigung – die dritte edle Wahrheit – der Schuldgefühle, des Unglücklichseins, des Leidens und der lähmenden Auswirkungen, die sie auf uns haben, erreichen.

Es besteht ein großer Unterschied, ob wir uns schuldig fühlen oder die Verantwortung dafür übernehmen, was wir tun und erleben. Das sind die Dinge, die wir untersuchen müssen, und das Werkzeug dafür ist die Analyse. Wir stellen Fragen, wie: „Was ist Karma? Was ist die buddhistische Sicht auf das Selbst? Worum geht es bei Schuldgefühlen und Verantwortung?“ 

Seine Heiligkeit der Dalai Lama betont stets die Wichtigkeit der Analyse und dem Ausführen analytischer Meditation. Um diese Analyse ausführen zu können, ist es natürlich notwendig, die relevanten Lehren über Karma korrekt zu kennen und zu verstehen, sowie die Werkzeuge für eine rationale Analyse zu haben. 

Was ist Karma? 

Zur Einleitung werden wir mit einem allgemeinen Überblick über die Themen beginnen, um die es bei unseren Untersuchungen in diesem Wochenendseminar geht. Das erste dieser drei Themen ist Karma. Was ist Karma?

Es gibt ziemlich viele Missverständnisse, was Karma betrifft. Im Grunde geht es beim Karma um die Zwanghaftigkeit, die mit unserem Verhalten verbunden ist. Wir haben eine zwanghafte Weise des Denkens, Sprechens und Verhaltens. Das Thema beim Karma ist nicht die Handlung selbst, und das ist der wichtigste Punkt von allen. Wir sollten uns gedanklich nicht nur auf die Handlung oder das Verhalten beziehen, sondern korrekt identifizieren, was das Problem beim Karma ist. Das Problem ist die zwanghafte Weise, wie wir unter dem Einfluss unserer Verwirrung und unserer störenden Emotionen handeln, sprechen und denken. Es ist außer Kontrolle. 

Wie kommt es zu diesem Missverständnis über die Bedeutung des Wortes „Karma“? Es liegt daran, dass das tibetische Wort für Karma auch das umgangssprachliche tibetische Wort für Handlung ist. Fragen wir Tibeter nach dem Wort für Karma, übersetzen sie es natürlich als „Handlung“. Analysieren wir jedoch Karma auf diese Weise, könnten wir denken, das Handeln sei das Problem, um Leiden zu überwinden, und wir müssten somit einfach nur damit aufhören, etwas zu tun, zu sagen oder zu denken und wären damit all unsere Probleme los. Das ist natürlich absurd. Ergibt es einen Sinn, einfach nichts mehr zu tun und dadurch Befreiung zu erlangen? Natürlich nicht. 

Dies ist Teil des Vorgangs der Analyse und des Hinterfragens, besonders was die Übersetzung von Begriffen betrifft, denn so viele unserer Missverständnisse entstehen durch die gebrauchten Übersetzungen. Sie können eine völlig andere Bedeutung haben, als die ursprünglichen Worte. Wenn etwas in den Lehren keinen Sinn ergibt, müssen wir uns immer eingehender damit befassen und versuchen, es zu verstehen. Haben wir Vertrauen in die Lehren und den Buddha, sind wir überzeugt, dass es kein Unsinn war, was Buddha lehrte. In den Lehren muss es um etwas gehen, was einen Sinn ergibt und es ergibt einfach keinen Sinn, dass das Problem darin besteht, irgendwelche Handlungen auszuführen.

Bitte nehmt euch eine oder zwei Minuten Zeit, um über diese Fragen nachzudenken: 

  • Was ist der Unterschied zwischen einer Handlung und den zwanghaften Aspekten unseres Verhaltens? 
  • Ist die Weise, wie wir handeln, das Problem oder geht es um etwas viel tieferes, als lediglich etwas zu tun? 
  • Wenn das Problem die Zwanghaftigkeit unserer Handlungen ist, sind unsere Handlungen dann außer Kontrolle? 
  • Befindet sich die Zwanghaftigkeit unter dem Einfluss meiner Unwissenheit und meiner störenden Emotionen – meiner Wut, meiner Gier und so weiter? 
  • Ist es wirklich die Zwanghaftigkeit, die das Problem ist? 
  • Gibt es einen Unterschied zwischen einer problematischen Handlung und der Zwanghaftigkeit hinter dieser Handlung? Denkt einmal darüber nach. Besteht das Problem darin, jemanden anzuschreien oder in der Zwanghaftigkeit hinter dem Anschreien? Vielleicht ist es manchmal hilfreich, jemanden anzuschreien. Oder besteht das Problem darin, keine Kontrolle über sich zu haben und zwanghaft zu schreien, wann immer uns etwas stört? Wir müssen das Problem identifizieren. Was ist das Problem? Das ist die erste edle Wahrheit: identifiziere das Problem. 

Wenn wir über Karma reden, sprechen wir nicht nur über destruktives Karma. Es gibt auch konstruktives Karma, aber warum ist es problematisch? Wenn jemand sein Haus saubermacht, ist daran ja nichts falsch. Tut es jemand jedoch auf zwanghafte Weise, ohne Kontrolle darüber zu haben, ist ständig am Putzen, findet immer wieder noch einen Fleck und macht sich große Sorgen, dass jemand etwas dreckig machen könnte, dann ist das Saubermachen so einer Person außer Kontrolle geraten. Es ist die Zwanghaftigkeit, die das Problem ist, und nicht die Handlung selbst.

Ich bin gern sehr direkt und das ist der wichtigste Punkt. Wenn wir dies am Ende des Seminars mit nach Hause nehmen könnten, dass das Problem in der Zwanghaftigkeit unseres Verhaltens besteht und unsere Zwanghaftigkeit das ist, woran wir arbeiten müssen, wäre das ziemlich gut. Es wäre wahrscheinlich hilfreich. Sprechen oder handeln wir zwanghaft aus Wut, Gier oder Anhaftung? Sind wir auf zwanghafte Weise Perfektionisten? Darum geht es beim Karma. Wir sollten erkennen, dass unsere Zwänge dazu führen, dass unsere Handlungen außer Kontrolle geraten. Denkt daher für einen Augenblick über all das nach.

[Pause]

Obgleich Karma diese spezielle Bedeutung hat, wenn wir über Karma reden, würden die meisten von uns auch die Resultate des Karma mit in die Diskussion hineinnehmen. Diesen Aspekt werden wir auch untersuchen. Was sind die Resultate unseres zwanghaften Verhaltens? Wegen unserem zwanghaften Verhalten sind wir zum Beispiel ständig unglücklich, haben andauern Probleme oder Schwierigkeiten. Die Resultate sind Teil des Gesamtpakets der Betrachtung von Karma. 

Die zwei grundsätzlichen Betrachtungsweisen von Karma der Nalanda-Tradition 

Es gibt zwei Erklärungen in Bezug auf Karma, die von den buddhistischen Meistern der indischen Nalanda-Klosteruniversität angeführt wurden. Die Theravada-Buddhisten haben ihre eigene Erklärung dazu, aber im Rahmen der Nalanda-Tradition gibt es zwei. 

  • Die ältere ist die Madhyamaka-Darstellung, die man in Nagarjunas Wurzelversen zum Mittleren Weg, genannt Unterscheidendes Gewahrsein findet und zu denen es Ausführungen von indischen Meistern des Sautrantika Svatantrika und des Prasangika gibt. Vasubandhu und seine Kommentatoren sind ebenfalls im Rahmen des Vaibhashika-Lehrsystems näher darauf eingegangen.  
  • Die andere Darstellung wurde von Asanga im Rahmen des Chittamatra-Systems präsentiert und von Vasubandhu gibt es dazu eine Sautrantika-Variante. 

Die Chittamatra-Erklärung ist viel einfacher und leichter zu verstehen. Normalerweise wird sie zuerst gelehrt, im Gegensatz zu den Darstellungen des Madhyamaka und des Vaibhashika, die viel komplexer und schwieriger zu verstehen sind. Das Problem ist jedoch, dass wir die Beziehung zwischen Karma und dem Selbst verstehen wollen, zwischen dem „Ich“ als dem Ausführenden des Karma und demjenigen, der die Resultate des Karma erlebt. Wenn wir das Selbst im Rahmen der Prasangika-Lehren zu diesem Thema analysieren, passt dieses Verständnis des Selbst nicht zur Chittamatra-Erklärung des Karma. Eine Prasangika-Erklärung einer Sache in der Formel muss zur Prasangika-Erklärung der anderen passen.

Wollen wir also das Selbst und dessen Bezug zum Karma aus der Sicht des Prasangika analysieren, müssen wir Karma aus derselben Prasangika-Sicht untersuchen. Ich werde hier nicht weiter darauf eingehen, warum diese zwei Systeme bezüglich der Prasangika-Sicht des Selbst und der Chittamatra-Diskussion über Karma nicht zusammenpassen. Es ist ziemlich komplex und dazu muss man die Lehrsysteme studieren. Im Verlauf des Seminars werde ich jedoch auf ein paar widersprüchliche Punkte eingehen. Es ist wichtig zu verstehen, warum es relevant und wichtig ist, das Verständnis des Selbst und das Verständnis des Karma an der gleichen philosophischen Basis auszurichten.

Destruktives, konstruktives und unspezifisches Verhalten und das Greifen nach einem selbst-begründeten „Ich“ 

Was ist im Rahmen der Prasangika-Sicht destruktives Verhalten? Es ist ein Verhalten unter dem Einfluss störender Emotionen und mit einem Greifen nach einem wahrhaft existierenden, selbst-begründeten „Ich“. Wir verletzen jemanden, weil „ich wütend bin“. Da gibt es Wut und das fälschliche Konzept von einem „Ich“. „Es muss nach meinem Willen gehen. Ich habe recht und du nicht.“  

Was das konstruktive Verhalten betrifft, so steht es ebenfalls unter dem Einfluss dieses Greifens nach einem wahrhaft existierenden, selbst-begründeten „Ich“, auch wenn es durch keine störende Emotionen beeinflusst wird. Das Ziel ist, keine Anhaftung und keine Wut zu haben, die als Emotionen da sind. Das heißt einfach, dass wir die guten oder schlechten Eigenschaften von Dingen nicht überbewerten, denn das ist es, worum es bei Anhaftung und Wut geht. 

Es gibt zwei Arten konstruktiven Verhaltens. Mit der einen sehen wir davon ab, auf destruktive Weise zu handeln, weil wir verstehen, dass wir damit Leiden hervorrufen werden. Wir wollen nicht das Resultat destruktiven Verhaltens erfahren und um das zu vermeiden, gilt es zu erkennen, dass hinter solch einem Verhalten das ständige Denken an ein wahrhaft existierendes „Ich“ steckt. Wir denken zwanghaft „ich will das nicht erfahren“. 

Die andere Art des konstruktiven Verhaltens besteht darin, tatsächlich jemandem zu helfen, doch auch hier kann es ein starkes Greifen nach dem „Ich“ geben. Wir denken zum Beispiel: „Ich will gut sein. Ich will perfekt sein. Ich will Erleuchtung erlangen. Ich möchte, dass Menschen mir danken und mich schätzen.“ Obwohl es keinen Einfluss von Wut und keine Überbewertung der Situation oder der positiven Eigenschaften mit Anhaftung oder Gier gibt, ist da dennoch dieses Greifen nach dem „Ich“: „Ich muss gut und perfekt sein. Nur ich kann alles richtig machen.“

Auch wenn wir etwas Unspezifisches machen, eine Handlung ausführen, wie spazieren zu gehen – was Buddha für sich weder als konstruktiv noch als destruktiv festlegte – wird es beruhend auf der Motivation und dem Ziel dahinter zu etwas Konstruktivem oder Destruktivem. Wir können auf einen Spaziergang gehen, um jemanden zu töten, jemandem zu helfen oder einfach um spazieren zu gehen. Das ist damit gemeint, dass eine unspezifische oder neutrale Handlung von der Motivation abhängt. Doch sogar das kann zwanghaft sein. Vielleicht meinen wir zwanghaft, jeden Tag um vier Uhr einen Spaziergang machen zu müssen, weil das unsere Zeit für körperliche Aktivitäten ist. Auf diese Weise geht es uns immer noch nur um uns: „ich muss jetzt spazieren gehen.“ 

Denkt einmal darüber nach. Wir meinen: „ich muss einkaufen gehen“ und dann lamentieren wir vielleicht, weil wir uns mit dem vielen Verkehr auseinandersetzen müssen. Sogar in diesen neutralen Handlungen gibt es immer noch dieses „Ich“. Ein perfektes Beispiel ist das eines kleinen Kindes: „Ich will nicht ins Bett gehen. Ich will das nicht essen.“ Das sind neutrale Handlungen, doch es dreht sich alles um „ich, ich, ich“.

Hinter all diesen Arten von Handlungen, ob sie nun konstruktiv, destruktiv oder unspezifisch sind, steckt das Greifen nach einem wahrhaft existierenden, selbst-begründeten „Ich“. Daher wollen wir unser Missverständnis über das Selbst, das „Ich“, dekonstruieren, weil es wesentlich ist, wenn wir nicht weiter unter dem Einfluss der Zwanghaftigkeit des Karma stehen wollen. Was auf all diese drei Verhaltensweisen zutrifft, ist das Greifen nach einem wahrhaft begründeten „Ich“: „ich mag nicht, wie du es machst“, „ich will perfekt sein“, „ich will nicht ins Bett gehen“. All dies dreht sich um unser Konzept eines „Ichs“. Karma basiert auf dieser Unwissenheit und dem mangelnden Gewahrsein darüber, wie wir tatsächlich existieren und daher ist es so zwanghaft.

Eine sich entwickelnde ganzheitliche Sicht des Dharma 

Dieses Verständnis der Zwanghaftigkeit des Karma, die auf Unwissenheit beruht, deutet auf ein ziemlich wichtiges Prinzip hin, das wir uns stets vor Augen halten sollten, wenn wir den Dharma studieren. Jede Lehre über ein bestimmtes Thema muss im Kontext des Systems verstanden werden, in dem sie erscheint. Es ist eine ganzheitliche Sicht. Ansonsten vermischen wir zwei oder drei Dinge miteinander und werden verwirrt, weil sie nicht auf den gleichen Annahmen beruhen. Das ist allerdings nicht so leicht, denn es setzt voraus, viel gelernt und studiert zu haben, um den Kontext des größeren Systems zu kennen, aus dem eine bestimmte Lehre stammt. 

Daher ist es wichtig, auch unser Verständnis der grundlegendsten Dinge im Dharma, wie Unbeständigkeit oder Karma, unser Thema, beim Lernen und Studieren immer wieder zu revidieren. Es ist notwendig, sie zu überprüfen, um ein immer tieferes Verständnis zu erlangen. Man sollte sich nie zufriedengeben, bis man Buddhaschaft erlangt hat. Das ist eines der Gelübde, das Studium und Verständnis nicht vorzeitig einzuschränken. Ich denke, eine angemessene Einstellung besteht darin, das gesamte Studium des Dharma als ein Abenteuer zu sehen, anstatt sich entmutigen zu lassen, weil wir so wenig verstehen, alles so kompliziert ist und es noch so viel mehr gibt. Stattdessen sollten wir uns damit befassen und die Einstellung haben, dass es da all diese fantastischen Dinge zu entdecken gibt und wir immer tiefer gehen können. 

Daher haben wir hier dieses Programm „Buddhismus entdecken“ und das ist ein gutes Wort, denn was immer wir entdecken ist wie ein Schatz, denn wenn wir das, was wir entdeckt haben, in unserem Leben anwenden, werden Probleme dadurch vermindert. Das ist der Sinn und Zweck des Dharma: das Leben einfacher zu machen. Wir hören all diese Werbung über Befreiung und Erleuchtung, doch es ist eine gute Werbung, wenn sie uns sagt, Befreiung und Erleuchtung für alle fühlenden Wesen zu erlangen. Vielen Menschen passiert es dann jedoch, dass sie es idealisieren und die Dharma-Praxis zu einem Alles-oder-Nichts wird. Entweder wir erlangen Erleuchtung oder es ist nicht zufriedenstellend. 

Dann denken wir vielleicht: „ich bin nicht gut genug. Was ich tue, ist nicht genug.“ Wir treiben uns an und zwingen uns, weil wir den Dharma und das, was wir im Dharma erreichen können, als alles oder nichts sehen. Ich glaube das ist ein großer Irrtum, denn dann hilft uns der Dharma nicht, sondern macht uns noch frustrierter, schuldiger und gibt uns das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Weil wir frustriert sind, treiben wir uns weiter an und rufen somit Stress hervor. Die Dharma-Praxis ist etwas, das nichts mit Stress zu tun haben sollte. Fühlen wir uns unter Stress gesetzt, werden wir aggressiv und damit stimmt etwas nicht.

Der Fortschritt ist nicht linear 

Wir sollten daran denken, dass der Dharma ein Pfad ist. Er ist ein Pfad zur Erleuchtung und es gibt Stufen auf diesem Pfad. Der Fortschritt ist niemals geradlinig. Das ist etwas, das ich immer betone. Es liegt in der Natur von Samsara, dass es immer auf und ab geht; daher wird es auch mit unserer Dharma-Praxis auf und ab gehen. Wir sollten nicht erwarten, dass es immer perfekt sein wird. Das ist es nicht. Wichtig ist, dass es egal ist, ob es auf oder ab geht. Wir haben einfach Ausdauer und werden, egal was kommt, weitermachen. 

Nach einiger Zeit sind wir dann zufrieden damit, dass es ein wenig besser wird. Es ist großartig ein paar kleine Fortschritte zu machen. Wir geraten nicht mehr so schnell aus der Fassung, sind ein bisschen freundlicher oder haben etwas mehr Geduld. Wir kommen mit unseren Eltern besser klar und das ist eine große Sache. 

Einer der Aspekte des Aufbauens positiver Kraft, des so genannten Verdiensts, ist die Freude. Wir erfreuen uns an den kleinen Dingen, die wir erreichen können. Wir bedauern nichts, denn dadurch wird die positive Kraft zerstört. Wenn wir beispielsweise denken: „ich habe nicht genug getan, ich war nicht gut genug“, bedauern wir die positiven Dinge, die wir getan haben, und das zerstört die ganze Energie. 

Die zwei Extreme des Beschuldigens und der Verantwortungslosigkeit 

Zwei Extreme gilt es zu vermeiden. Das eine Extrem ist, so kritisch mit uns ins Gericht zu gehen, dass wir meinen, wir wären nie gut genug. Wir sind keine Buddhas und daher können wir natürlich immer etwas besser machen; das steht außer Frage. Wir sollten aber nicht so hart gegenüber uns sein, uns verurteilen und denken, wir wären nicht gut genug. Damit fokussieren wir uns wieder nur auf das „Ich“. 

Die Dharma-Praxis sollte nicht zwanghaft sein und zu den Gefühl führen, perfekt sein und heute Abend Erleuchtung erlangen zu müssen. Das wird nicht passieren und damit machen wir uns selbst nur fertig. Das ist ein Extrem, das Extrem des Beschuldigens: „Ich bin zu faul, ich bin nicht gut genug usw.“ Das ist ein Extrem, ob es nun um unser allgemeines Verhalten oder um unsere Dharma-Praxis geht: Die Probleme sind dieselben. 

Das andere Extrem ist zu meinen: „Es ist egal. Ich kümmere mich nicht darum und kann tun, was ich will.“ Mit dieser Einstellung übernehmen wir keine Verantwortung für unsere Praxis oder unser Verhalten. 

Natürlich ist es nicht einfach, Zwanghaftigkeit zu überwinden und wir wollen kein angespannter und steifer Praktizierender sein, der sich immer wie ein Polizist selbst überwacht. Das ist doch ziemlich dualistisch, oder? Ein Teil von mir ist der Polizist und der andere Teil ist der schlechte Junge oder das schlechte Mädchen. Das führt zu großer Unzufriedenheit. Das andere Extrem, das wir vermeiden wollen, ist jedoch, zu nachsichtig in Bezug auf unsere Einstellung zu sein, mit der es uns egal ist, was wir tun und meinen, einfach nur das zu tun, wozu wir gerade Lust haben. Dann sind wir vollkommen zwanghaft.

Hier gilt es eine feine Balance zu finden, denn es ist notwendig, entspannt zu bleiben. Es ist eine gewisse Kunst, den Dharma zu praktizieren: entspannt, verantwortungsbewusst und nicht angespannt. Wir behandeln uns nicht wie Babys, aber auch nicht wie Kriminelle. Diese Balance gilt es zu finden. Haben wir keine großen Erwartungen, werden wir keine großen Enttäuschungen erleben. Das ist eine grundlegende Meditationsanweisung: keine Erwartungen und keine Enttäuschungen; wir tun es einfach und üben uns in Ausdauer.

Überlegungen zum Thema Karma und wer die Schuld trägt 

Daher ist die Sache des „Ichs“, das Verständnis des „Ichs“, wesentlich, wenn wir uns mit Karma befassen. Erkennen wir, dass die Zwanghaftigkeit unseres Verhaltens ein Problem ist, müssen wir die folgenden Fragen stellen:

  • Haben wir das Gefühl, uns selbst nicht davon abhalten zu können, auf bestimmte Weise zu handeln? Passiert das öfters? Ich denke, dadurch können wir das Problem identifizieren. Haben wir beispielsweise das Gefühl, dass wir es nicht vermeiden können, wütend zu sein und herumzuschreien oder zu versuchen, in allem was wir tun, perfekt zu sein?  
  • Passiert uns das oft, was sagt das über unser Konzept des „Ichs“?
  • Wenn wir denken, wir können uns selbst nicht davon abhalten, sind zwei „Ichs“ daran beteiligt und daran stimmt etwas nicht.  

Um sich mit diesem Thema des Karma und wer die Schuld trägt auseinanderzusetzen, gilt es zunächst zu verstehen, dass das Problem unsere Zwanghaftigkeit ist. Die zweite Sache, die wir erkennen müssen, ist, dass wir das Gefühl haben: „Ich kann mich selbst nicht davon abhalten, zwanghaft zu handeln.“ Hier kommen wir der Wurzel des Problems schon näher. Haben wir diese Sicht: „ich kann mich selbst nicht davon abhalten, so zu handeln“, können wir das Szenario des Polizisten-Ichs und des Kriminellen-Ichs erkennen, was nicht funktioniert. Aus diesem Grund ist das korrekte Verständnis des Selbst, wie ich existiere, so wesentlich, um sich mit Karma auseinandersetzen zu können. 

  • Nehmt euch eine Minute Zeit, um darüber nachzudenken, wie wir die Zwanghaftigkeit erleben, mit der wir auf bestimmte Weise handeln, sprechen oder denken. Neben dem Handeln und Sprechen können uns auch alle möglichen furchtbaren Gedanken unkontrollierbar durch den Kopf gehen.  
  • Wir fragen uns: „Kann ich mich selbst nicht davon abhalten, auf diese Weise zu handeln, zu sprechen oder zu denken?“  
  • Und wenn wir erfolgreich darin sind, uns selbst davon abzuhalten, erleben wir es dann auf eine dualistische Weise? Versucht das gute „Ich“ das schlechte „Ich“ aufzuhalten? Versucht der Polizist den Kriminellen zu stoppen?  
  • Wenn wir auf diese dualistische Weise denken, merken wir, dass wir uns selbst nicht stoppen können und auch wenn wir es tun, ist da trotz allem dieser Dualismus. Macht uns dieses dualistische Denken glücklich oder sind wir gestresst, verspannt und leiden?   
  • Denkt an all die Male, die wir zu uns sagten: „ich bin so ein Idiot“ oder „warum habe ich das gesagt oder getan?“  

[Pause]

Ich hoffe, wir können anfangen zu erkennen, was das Problem ist und womit wir uns hier auseinandersetzen müssen. Befassen wir uns mit den Fragen des Karma, geht es nicht nur darum, ein gutes Mädchen oder ein guter Junge sein zu wollen. Wir müssen viel tiefer gehen. 

Schuld versus Verantwortung 

Nachdem wir ein paar Untersuchungen zu Karma und der Beziehung zwischen Karma und dem Selbst oder „Ich“ angestellt haben, können wir uns nun der dritten Sache, der Schuld, zuwenden. Die Frage ist: 

  • Wenn wir uns nicht davon abhalten können, auf bestimmte Weise zwanghaft zu handeln, zu sprechen oder zu denken, wen trifft dann die Schuld. Sollen wir die Schuld bei uns selbst suchen oder bei anderen Menschen?  
  • Wenn du mich zum Beispiel genervt hast, ist es dann deine Schuld, dass ich dich angeschrien habe? Vielleicht beschuldigen wir auch äußere Faktoren, wie die Wirtschaft, und denken: „ich musste ja stehlen, weil die Wirtschaft so am Boden war.“  

Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, die Rolle des Selbst und die Rolle der Ursachen, Bedingungen und Umstände zu analysieren, die damit verbunden waren, Handlungen auszuführen und deren Resultate zu erfahren.

Abhängiges Entstehen 

Alles entsteht abhängig von Ursachen und Bedingungen. Das ist ein ganz grundlegendes Prinzip im Dharma. Weil alles abhängig von Ursachen und Bedingungen entsteht, ändert sich die gegenwärtige Situation fortwährend, denn die Ursachen und Bedingungen, die sie hervorgerufen und beeinflusst haben, ändern sich ebenfalls ständig. Darüber hinaus haben Dinge nicht nur eine Ursache. Das ist ein grundlegendes Prinzip im Karma: die Gesetze von verhaltensbedingter Ursache und Wirkung. Daher ist alles was wir erfahren nicht nur „meine Schuld“, sondern eine Kombination vieler Faktoren.

Ich erinnere mich an einen Teenager, der so ein niedriges Selbstwertgefühl hatte, dass er, wenn er zu einem Fußballspiel ging und seine Mannschaft verlor, dachte: „Sie haben verloren, weil ich da war; es war meine Schuld.“ Das ist doch völlig absurd oder nicht? Aus einer karmischen Perspektive müssen wir verschiedene Ursachen schaffen, damit bestimmte Dinge passieren und wir auf bestimmte Weise handeln. Unsere Erfahrungen und Handlungen entstehen aus Ursachen und Bedingungen, wie auch aus dem, was andere Menschen sagen und damit bestimmte Dinge, wie wirtschaftliche Faktoren, auslösen. Die Realität und unsere Erfahrung ist eine große Mischung oder ein Netzwerk aus abhängig entstehenden Faktoren. Nicht alles ist einfach „meine Schuld“.

Wenn wir beginnen, Dinge im Sinne von Schuld zu sehen und meinen: „es ist meine Schuld“, „es ist deine Schuld“ oder „die Schuld liegt bei der Gesellschaft“, bedeutet das, jemandem die Schuld zuzuweisen. „Ich bin der oder die Schuldige und daher bin ich ein schlechter Mensch“, „du bist der oder die Schuldige und deswegen bist du ein schlechter Mensch“ oder „die Gesellschaft hat Schuld und ist schlecht, weil sie mich auf diese Weise gezwungen hat zu handeln“. 

Denken wir: „ich trage die Schuld dafür, was ich erfahre“ meinen wir „ich bin schuld, ein schlechter Mensch und muss für das, was ich getan habe, bestraft werden, weil ich es verdiene“. Das ist ein völliges Missverständnis der buddhistischen Lehren über Karma. Es ist auch ein Missverständnis, diese Denkweise in einer Situation zu haben, in der wir meinen, der andere wäre schuldig und ein schlechter Mensch, und müsse daher bestraft werden, weil er mich dazu gebracht hat, das zu tun, was ich getan habe.“ Oder wir denken, die Schuld würde bei der Gesellschaft liegen, sie wäre schuldig und schlecht und müsse daher vernichtet und zerstört werden, weil sie uns dazu gebracht hat, das zu tun, was wir getan haben, wie beispielsweise hinauszugehen und zu stehlen.

Buddhistische Ethik 

Es ist wirklich wichtig zu verstehen, dass die buddhistische Ethik nicht auf Gesetzen basiert, die entweder durch Gott oder eine gesetzgebende Gewalt erschaffen wurden, und mit der wir Gesetzen folgen müssen und, wenn wir es nicht tun, schlecht oder schuldig sind und bestraft werden müssen. Das ist kein Buddhismus. Buddhistische Ethik basiert auf dem Verständnis, dass es zu Problemen und Leiden führen wird, wenn wir unter dem Einfluss von störenden Emotionen und den zwingenden Impulsen des Karma handeln. Auch wenn wir unter dem Einfluss des Ego handeln, wird das Probleme oder Leiden hervorrufen. 

Daher geht es uns darum, unterscheidendes Gewahrsein zu entwickeln und nicht ein Gehorsam gegenüber Gesetzen. Wir sollten zwischen dem unterscheiden, was zu Leiden und dem was nicht zu Leiden führen wird. Wenn wir nicht leiden wollen, werden wir nicht auf diese Weise handeln. So einfach ist das. Denkt einen Moment darüber nach, wer die Schuld dafür trägt, wie wir handeln. 

  • Fühlen wir uns schuldig? 
  • Meinen wir, andere hätten Schuld? 
  • Denken wir, die Gesellschaft trage die Schuld? 
  • Auch wenn wir uns mit dem Buddhismus befassen oder ihn studieren, vermischen wir ihn weiter mit einem anderen System, in dem es diese ganze Vorstellung der Schuld, gebrochener Gesetze und Bestrafung gibt?  
  • Denken wir: „ich bin schlecht und will gut sein, damit Mami, Papi und meine Lehrer mich mögen“ und „das wird mich zu einem guten Mädchen oder einem guten Jungen machen“?  

Nähern wir uns dieser Vorstellung des Karma auf diese Weise? Wenn das so ist, hat das nichts mit Buddhismus zu tun, sondern damit, es mit etwas anderem zu vermischen.

[Pause]

Urteilsfreies unterscheidendes Gewahrsein 

Es gibt einen großen Unterschied, ob wir Verantwortung für unser Verhalten übernehmen oder uns schuldig fühlen und uns Vorwürfe machen, wie wir handeln. Wir wollen nicht das schuldige, schlechte Kind sein, wenn es darum geht, wie wir mit unserem Verhalten fertig werden. Vielmehr wollen wir ein verantwortungsbewusster, urteilsfreier Erwachsener sein. Es gibt hier keinen Richter. Wir nutzen einfach unser unterscheidendes Gewahrsein in Bezug darauf, was hilfreich oder was schädlich ist und gehen in unserem Verständnis und unserer Analyse immer tiefer. 

Mit Selbstbeherrschung beginnen und sich an den stufenweisen Schritten erfreuen 

Ja, am Anfang üben wir uns einfach nur in Selbstbeherrschung. Doch dann gehen wir immer tiefer und befassen uns mit der Zwanghaftigkeit unseres Verhaltens und dem ganzen Aspekt, wie es uns damit geht, dass wir uns nicht davon abhalten können so zu handeln und wir untersuchen unser ganzes Konzept vom Selbst; wir gehen immer tiefer. 

Ich denke das Problem der mangelnden Selbstbeherrschung ist damit verbunden, sich nur auf Befreiung und Erleuchtung zu konzentrieren und sich nicht an dem Fortschritt zu erfreuen, den wir auf dem Weg zu unserem Ziel machen. Wir sollten stattdessen vermeiden zu denken, wir wären nicht gut genug, weil wir noch nicht erleuchtet sind. Die Analogie dazu ist, zu meinen, wir müssten die nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit mit perfekter Konzentration erlangen und alles darunter wäre irrelevant und daher geben wir uns gar nicht erst damit ab, Selbstbeherrschung bezüglich unseres zwanghaften Verhaltens zu üben.

Wenn wir in der Lage sind uns zu beherrschen, wenn wir das Gefühl haben, jemanden anzuschreien oder etwas Dummes zu sagen, merken wir, dass es da eine Lücke zwischen dem Gefühl gibt, etwas sagen zu wollen und es tatsächlich zu sagen. Wir halten einfach  inne und das ist Selbstbeherrschung. Wenn wir in der Lage sind das zu tun, ist es besser, als unkontrolliert andere anzuschreien, sie zu verletzen und irgendwelche dummen Dinge zu sagen, auch wenn es frustrierend sein kann und uns das Gefühl gibt, Polizisten zu sein. Sich einfach in Selbstbeherrschung zu üben ist ein Schritt zur letztendlichen Stufe, die wir zu brauchen meinen, doch wir müssen schrittweise vorgehen, um dorthin zu gelangen und uns an jeden von ihnen erfreuen. Wir sollten uns nicht schlecht fühlen, dass wir noch nicht auf der nächsten Stufe sind.

Im Westen leben wir in einer Gesellschaft, in der auf Schuld und Gesetzen, ob es nun göttliche oder bürgerliche Gesetze sind, so eine starke Betonung liegt und das führt zu all diesem niedrigen Selbstwertgefühl. Schuld hindert uns auch daran, uns zu erfreuen. Uns an kleinen Dingen zu erfreuen, die wir erreichen, anstatt zu meinen sie wären nicht gut genug, ist für uns im Westen eines der schwierigsten Dinge. Verbunden mit dem Verständnis der ganzen Thematik des Karma und wer die Schuld trägt, sollten wir ein Gefühl der Verantwortung entwickeln, anstatt Schuldgefühle zu haben. Wir sollten uns auch an allem erfreuen, was wir erreichen können. 

Diese Freude sollte nicht überheblich sein, aber es geht auch nicht darum, sich herabzusetzen. Wahrscheinlich ist das nicht etwas, das in der Praxis der Menschen ausreichend betont wird. Für viele von uns ist es nicht so leicht zu lernen, sich an Dingen zu erfreuen. Ein letzter Gedanke für diese Sitzung: Wenn wir uns selbst beschuldigen und meinen, nicht gut genug zu sein oder nicht genug getan zu haben, ist das im Grunde ein Hindernis dafür, es besser zu machen. Erfreuen wir uns stattdessen an den kleinen Dingen, die wir erreichen konnten, gibt uns das Selbstvertrauen und ein Selbstwertgefühl, was eine viel stabilere Basis dafür ist, weiterzugehen und weiteren Fortschritt zu machen.

Lasst das einen Moment einwirken und dann könnt ihr ein paar Fragen stellen.

[Pause]

Fragen und Antworten 

Wäre es richtig zu sagen, dass wir momentan wegen unserem Karma nicht besser praktizieren können? Ist es unser Karma, das es uns erlaubt, besser zu praktizieren? Wenn wir in der Lage sind, unser Karma langsam loszuwerden, könnten wir ja irgendwann besser praktizieren, aber ist es nicht so, dass ich es momentan nicht besser kann? 

Es ist recht interessant, einen Blick darauf zu werfen, was wir für unsere Grenzen halten und wie wir uns zuweilen selbst beschränken und meinen, wir könnten nicht mehr tun. Ich war für meinen Lehrer Serkong Rinpoche als Dolmetscher tätig und er pflegte mir zu sagen, dass ich, wie müde ich auch sei, immer noch fünf Minuten mehr machen könnte. Darin steckt viel Weisheit. Es kann allerdings auch sein, dass wir irgendein gesundheitliches Problem oder etwas in der Art haben, und unser Gehirn einfach an einem bestimmten Punkt aussetzt. Ich kenne jemanden mit einer Schädigung des Gehirns, der dieses Problem hat. Die meisten von uns können jedoch immer noch ein wenig mehr machen.

Ich mache zum Beispiel viel körperliches Training, Gewichtheben und solche Sachen. Immer noch ein wenig mehr zu machen ist wirklich wichtig, denn uns wird gesagt, beispielsweise eine bestimmte Anzahl Liegestütze zu machen und dann denken wir: „das schaffe ich auf keinen Fall.“ Dann werden wir jedoch ermutigt: „los komm, einen schaffst du noch“. Dann wird uns klar, dass es nur noch zwei sind, und obwohl wir schon richtig müde sind, können wir uns selber antreiben und es tatsächlich schaffen. 

Das zeigt uns, die wir solche Dinge tun, dass wir in der Lage sind noch ein wenig mehr zu leisten, als wir denken. Im Laufe der Zeit wird es dann immer mehr werden. Ich sehe hier einen Bodybuilder nicken. Ihr wisst also, was ich meine. Es gibt realistische Grenzen und selbst auferlegte Grenzen, die nur in unserer Sicht, die wir von uns selbst haben, existieren. Zwischen diesen Zweien gilt es zu unterscheiden.

Eine andere interessante Sache ist hier das Schamgefühl, was sich von dem Schuldgefühl unterscheidet. Es scheint, als würden Schamgefühle mit begrenzten und destruktiven Handlungen zu tun haben und uns helfen, in unserer Praxis fortzuschreiten. Können Sie etwas darüber sagen?

Es gibt zwei Geistesfaktoren, die stets in konstruktiven Handlungen vorhanden sein müssen, während das Gegenteil davon immer in destruktiven Handlungen zu finden ist. Das bezieht sich auf die Abhidharma-Lehren. In destruktiven Handlungen wird der Faktor manchmal als „ohne Schamgefühl“ übersetzt. Eine etwas genauere Übersetzung ist vielleicht „keine Selbstwürde oder kein Selbstwertgefühl“ und hier geht es darum, sich einfach nicht darum zu kümmern, wie sich unser Verhalten auf uns selbst und unser Selbstwertgefühl auswirkt. Der andere Geistesfaktor ist, dass es uns egal ist, wie sich unser Verhalten auf die größere Gruppe auswirkt, zu der wir gehören. Diese Anschauung ist in der asiatischen Kultur weit verbreitet. Sind wir Buddhisten und handeln destruktiv, erkennen wir beispielsweise, dass es eine schlechte Auswirkung auf das Ansehen aller Buddhisten, unserer Familie oder unseres Landes hat. Die westliche Vorstellung des Schamgefühls ist, was andere über uns denken, während die Betonung im Buddhismus mehr darauf liegt, wie ich über mich selbst denke.

Auf der anderen Seite wird konstruktives Verhalten stets von einem Selbstwertgefühl begleitet, sowie von einem Verständnis, wie sich unser Verhalten auf jene auswirkt, die uns nahestehen, wie unsere Eltern, Freunde, Familie, Religion und Gesellschaft. Einmal habe ich in meiner Klasse in Berlin die Frage gestellt, warum wir nicht einfach rausgehen und stehlen, mutwillig etwas zerstören und solche Dinge. Liegt es daran, dass wir Angst davor haben, in die Hölle zu kommen? Die Schüler meinten, nein, das wäre nicht die Motivation. 

Fragt euch selbst: „Warum gehe ich nicht raus und zerstöre mutwillig das Eigentum anderer Menschen?

Die Antwort, zu der jeder in meiner Klasse kam, war: „weil es sich nicht richtig anfühlt“. Habt ihr das auch gedacht? Ich sollte euch diese Frage stellen.

Ich habe keine Lust so etwas zu tun. Wofür? Ich denke, dass es leidvoll für andere wäre. 

Sehr interessant; es gibt ganz offensichtlich verschiedene Gründe. Die Klasse in Berlin kam aus buddhistischer Sicht zur korrekten Antwort, dass es sich einfach nicht richtig anfühlt, schlecht zu sein, andere zu verletzen und so weiter. Warum wollen wir andere nicht verletzen? Weil es einfach nicht richtig ist und wir diese Selbstwürde haben. Wir denken: „Ich würde mich nicht dazu herablassen, es zu tun. Ich halte mehr von mir, als einfach rauszugehen, alles zu zertrümmern und auf so gemeine und asoziale Weise zu handeln.“ Wenn wir sagen, dass wir nicht rausgehen, um mutwillig Dinge zu zerstören, weil wir keine Lust dazu haben, müssen wir uns die Frage stellen: „Was wäre, wenn wir Lust dazu hätten, würden wir es dann tun?“ Das scheint die Implikation dieser Antwort zu sein. 

In diesem Fall würde ich es tun, wenn mir danach wäre. 

Dann wäre das ein gutes Beispiel dafür, sich nicht darum zu kümmern und kein Selbstwertgefühl zu haben, was eine destruktive Handlung begleitet. Dieses Selbstwertgefühl ist eine Sache, die in der buddhistischen Ethik von zentraler Bedeutung ist, und sie bezieht sich darauf, was wir über die Freude, das positive Gefühl und den Respekt gegenüber uns selbst gesagt haben. Wenn wir uns selbst respektieren, ist es viel leichter Verantwortung dafür zu übernehmen, wie wir uns verhalten werden. Wenn wir keinen Respekt gegenüber uns und kein Selbstwertgefühl haben, ist es uns egal, wie wir uns verhalten.

In den nächsten Sitzungen dieses Seminars werden wir diese Themen des Karma, des Selbst und der Schuld weiter vertiefen.

Widmung 

Wir denken: „Mögen sich alle positive Kraft, alles positive Potenzial und alles Verständnis, die aus dieser Diskussion entstanden sind, immer weiter vertiefen und als Ursache dafür wirken, zum Wohle aller die erleuchtete Ebene eines Buddhas zu erlangen.“

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