Geistiges Bezeichnen und Zuschreiben

Um ein Verständnis von der Gelug-Prasangika-Darstellung des abhängigen Entstehens (tib. rten-’byung ’brel-ba) und der Leerheit der selbst-begründeten Existenz (tib. rang-bzhin-gyis grub-pa; inhärente Existenz) zu haben, ist es notwendig, die Unterschiede zu verstehen, die in dieser Schule zwischen der Zuschreibung, dem geistigen Bezeichnen und Benennen gemacht werden. Alle drei werden im Tibetischen mit dem gleichen Verb (’dogs-pa, Vergangenheitsform: btags-pa) ausgedrückt, was umgangssprachlich soviel bedeutet wie „zu binden“, „zuzuschreiben“ oder „verbunden zu werden“, „zugeschrieben zu werden“.

Diese dreifache Unterteilung ergibt sich durch die Gelug-Prasangika-Behauptung der drei Arten begriffsbestimmender, zugeschrieben erkennbarer Phänomene (tib. btags-yod):

  • zugeschrieben erkennbar als etwas, das auf einer Grundlage zugeschrieben wird (tib. rten-nas btags-pa’i btags-yod) – um solche Arten von Phänomenen geht es bei der „Zuschreibung“,
  • zugeschrieben erkennbar als etwas, das durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben wird (tib. rtog-pas btags-pa’i btags-yod) – um solche Arten von Phänomenen geht es beim „geistigen Bezeichnen“,
  • zugeschrieben erkennbar als etwas, das mit Namen und Markierungen bedacht wird (tib. ming-dang brda’i bzhag-pa’i btags-yod) – um solche Arten von Phänomenen geht es beim „geistigen Benennen“.

Der ursprüngliche Sanskrit-Begriff eines zugeschrieben erkennbaren Phänomens prajnaptisat setzt sich aus prajnapti und sat zusammen. “Prajnapti” ist das kausale Partizip im Passiv des Verbes, aus dem der Begriff “prajna, unterscheidendes Gewahrsein” hervorgeht und daher soviel bedeutet, wie „etwas, dessen Bestimmen (oder Erkennen) durch etwas anderes herbeigeführt wird“. “Sat” bezieht sich auf „Existenz“ und somit handelt es sich um „die Existenz von etwas, dessen Erkennen durch etwas anderes herbeigeführt wird“. Die tibetische Definition ist: ein gültig erkennbares Phänomen, das sich, wenn es wahrgenommen wird, auf die tatsächliche Wahrnehmung von etwas anderem – nämlich die Grundlage für die Zuschreibung (tib. gdags-gzhi) stützt:

  • entweder sowohl unmittelbar vorangehend als auch gleichzeitig,
  • oder nur unmittelbar davor, im Fall der Leerheit (Leere), dem Fehlen einer unmöglichen Seele (tib. bdag-med, Selbstlosigkeit) und den wahren Beendigungen (tib. ’gog-bden).

Gemäß dem Gelug-Prasangika ist das die grobe Ebene des zugeschrieben Erkennbaren. Die subtilste begriffsbestimmende Ebene bezieht sich auf alle drei Arten von Phänomenen, die abhängig von einer Grundlage für die Zuschreibung entstehen, nicht abhängig von ihrer Grundlage für die Zuschreibung existieren und nichts auf der Seite ihrer Grundlage für die Zuschreibung haben, wie ein individuelles definierendes charakteristisches Merkmal (tib. mtshan-nyid, Skt. lakshana), welches die Macht hat, dessen Existenz zu begründen. In diesem etwas subtileren Sinne übersetzt man den tibetischen Begriff “btags-yod” besser als „zugeschrieben existierend“ anstatt als „zugeschrieben erkennbar“, wie es für den groberen Sinn des Fachausdruckes der Fall ist. Aus der Sichtweise dieser subtileren Ebene sind alle drei Unterteilungen gleichbedeutend; aber aus der Sichtweise der groberen Ebene gibt es Unterschiede, und das ist es, was wir untersuchen wollen.

Zuschreibung 

Nichtstatische nichtkongruente beeinflussende Variablen und statische Phänomene

Nichtstatische nichtkongruente beeinflussende Variablen (tib. ldan-min ’du-byed), wie Personen, Zeitintervalle und die Vergänglichkeit (Nichtstatischsein), sowie bestimmte statische Phänomene, wie Leerheit und Raum, sind Phänomene, die Zuschreibungen auf einer Grundlage sind. Solche Arten von zugeschriebenen Phänomenen können nicht unabhängig von ihren Grundlagen für die Zuschreibung existieren; und in ähnlicher Weise können ihre Grundlagen für die Zuschreibung nicht unabhängig von dem existieren, was ihre Zuschreibungen für sie sind, denn sonst würden sie keine Grundlagen für ihre Zuschreibung sein. Und obwohl in den Lehrsystemen, die nicht zur Prasangika-Schule gehören, behauptet wird, die definierenden charakteristischen Merkmale solcher Phänomene wären in ihren Grundlagen für die Zuschreibung zu finden, wird das im Prasangika vehement widerlegt. Auf diese Weise sind nichtkongruente beeinflussende Variablen und bestimmte statische Phänomene „zugeschrieben existent“.

  • Eine nichtkongruente beeinflussende Variable ist ein nichtstatisches Phänomen, das weder die Form eines physischen Phänomens ist, noch eine Weise sich etwas gewahr zu sein, und welches nicht fünf Dinge mit anderem teilt, wie das kognitive Objekt mit dem Primärbewusstsein und den Geistesfaktoren, die es begleiten.

Eine Person (tib. gang-zag) kann beispielsweise nicht unabhängig von den fünf Aggregat-Faktoren der Erfahrung (tib. phung-po lnga; fünf Aggregate) existieren und die fünf Aggregat-Faktoren der Erfahrung können nicht unabhängig von einer Person existieren, die eine Zuschreibung für sie ist. Beziehen wir uns der Einfachheit halber auf die fünf Aggregate nur im Sinne von Körper und Geist, da man in jeder Wahrnehmung, in der nur eines der fünf Aggregate wahrgenommen wird, die Person ebenfalls gleichzeitig wahrnimmt.

Körper und Geist können nicht unabhängig als Körper und Geist existieren, ohne das es auch eine Person als dessen Zuschreibung gibt und ebenso kann auch eine Person nicht unabhängig von einem Körper und einem Geist existieren. Mit anderen Worten: etwas, das eine Zuschreibung auf einer Grundlage ist und die Grundlage, dessen Zuschreibung es ist, entstehen abhängig voneinander. Das Eine wird nicht durch das Andere geschaffen. Körper und Geist existieren nicht zuerst für sich und erschaffen dann eine Person, und auch eine Person existiert nicht zunächst für sich und erschafft dann einen Körper und einen Geist. Darüber hinaus erschafft auch ein konzeptueller Gedanke keine Person. Ein Fötus ist trotzdem eine Person, ob er sich nun über sich selbst als eine Person bewusst ist und denkt: „ich bin eine Person“ oder nicht. 

Es gilt jedoch unter nichtkongruenten beeinflussenden Variablen und statischen Phänomenen folgende zu unterscheiden: 

(1) Jene, die so lange andauern, wie ihre Grundlagen der Zuschreibung, beispielsweise eine Person als die Zuschreibung eines individuellen Kontinuums von fünf Aggregaten, oder die Vergänglichkeit, Leerheit oder der Raum eines Apfels. 

  • Eine Person dauert so lange an, wie das individuelle Kontinuum der fünf Aggregate, dem sie zugeschrieben ist, andauert: also ewig, ohne Anfang und Ende. 
  • Das Nichtstatischsein, die Leerheit und der Raum eines Apfels dauern so lange an, wie der Apfel, dem sie zugeschrieben sind, andauert: sie haben, zusammen mit dem Entstehen und Vergehen des Apfels, ein Anfang und ein Ende. 

(2) Jene, die zufällig und zu unterschiedlichen Zeiten aus der Grundlage entstehen und vergehen, durch die sie zu Zuschreibungen werden, wie Tendenzen, ständige Gewohnheiten und Objekt- und Hörkategorien. 

  • Die Tendenzen (tib. sa-bon) der störenden Emotionen, einschließlich jener des mangelnden Gewahrseins, und die ständigen Gewohnheiten (tib. bag-chags) des Greifens nach wahrhaft begründeter Existenz sind, grob gesagt, Zuschreibungen eines geistigen Kontinuums. Wie das geistige Kontinuum, für das sie Zuschreibungen sind, haben sie keinen Anfang, aber im Gegensatz zu ihren Grundlagen für die Zuschreibung können sie ein Ende mit einer wahren Beendigung dessen haben. 
  • Karmische Tendenzen, sowie Objekt- und Hörkategorien sind grob gesagt ebenfalls Zuschreibungen eines geistigen Kontinuums. Im Gegensatz zu dem geistigen Kontinuum, für das sie Zuschreibungen sind, haben karmische Tendenzen jedoch unmittelbar nach einer karmischen Handlung einen Anfang und können mit ihrer völligen Reinigung und wahren Beendigung ein Ende haben. Objekt-Kategorien, wie die Kategorie „Computer“, haben einen Anfang in unserem geistigen Kontinuum, wenn wir das erste Mal etwas über Computer erfahren; und Hörkategorien, wie die Kategorie des Klanges des Wortes „Computer“, haben einen Anfang, wenn wir das Wort erlernen. Alle Kategorien haben mit dem Erlangen der Erleuchtung in unserem geistigen Kontinuum ein Ende.
  • Das geistige Kontinuum, für das Tendenzen, ständige Gewohnheiten und Objekt- und Hörkategorien Zuschreibungen sind, dienen als Grundlagen für die Zuschreibung nur so lange, wie diese Zuschreibungen andauern. Vor dem Entstehen dieser Zuschreibungen und nach deren Ende existieren die geistigen Kontinua als geistige Kontinua, ohne Anfang und Ende, aber sie existieren nicht als Grundlagen für die Zuschreibung dieser Tendenzen, ständigen Gewohnheiten und Kategorien.   

Nichtstatische nichtkongruente beeinflussende Variablen und statische Phänomene sind als zugeschriebene Phänomene im groben Sinne auf zugeschriebene Weise erkennbar. Sehen wir zum Beispiel den Körper einer Person, umfasst das Objekt der Ausrichtung (tib. dmigs-yul), das dem erscheinenden Objekt (tib. snang-yul) der Wahrnehmung entspricht, sowohl den Körper als auch die Person; sie existieren untrennbar voneinander. Mit anderen Worten sehen wir die Kombination eines Körpers und einer Person als dessen Zuschreibung und diese Kombination erscheint in unserer Wahrnehmung. Ungeachtet dessen ist es so, dass wir zuerst den Körper explizit begreifen (tib. dngos-su rtogs-pa) und dann sowohl den Körper als auch die Person.

  • Ein Objekt zu begreifen bedeutet, es als korrekt und entschieden wahrzunehmen.
  • Mit explizitem Begreifen erscheint eine kognitive Erscheinung (tib. rnam-pa, ein geistiges Hologramm) des beteiligten Objektes (tib. ’jug-yul) in der Wahrnehmung.
  • Das beteiligte Objekt einer Wahrnehmung ist das wesentliche Objekt, mit dem sich die Wahrnehmung befasst.

So bestimmt man (tib. nges-pa) mit dem expliziten Begreifen zunächst den Körper, der einem erscheint: mit anderen Worten trennt man den Körper entschieden von allem anderen, das gleichzeitig in der Umgebung gesehen wird. Das explizite Begreifen wird also von dem impliziten Begreifen von „nichts anderes als sich selbst“ begleitet und zusammen mit ihm erfasst.

  • Diese Art des Begreifens von „nichts anders als sich selbst“ (tib. ldog-pa) nennt man einen „individuell charakterisierten Objekt-Ausschluss von etwas anderem“ (tib. don rang-mtshan-gyi gzhan-sel, Objekt-Ausschluss, Objekt-Isolator). Es handelt sich dabei um eine nichtstatische objektive Entität.

Mit dem expliziten Begreifen bestimmt man dann sowohl den Körper als auch eine Person. Indem man dies tut, schließt man damit aus, irgendetwas anderes, das eine Zuschreibung des Körpers ist, zu begreifen, wie beispielsweise dessen Vergänglichkeit. Im ersten Moment ist das beteiligte Objekt der Wahrnehmung dann der Körper und im zweiten Moment sind die beteiligten Objekte der Körper und die Person. Das ist der Fall, auch wenn die Kombination von Körper und Person als Zuschreibung dessen das Objekt der Ausrichtung und das erscheinende Objekt beider Augenblicke des expliziten Begreifens ist.

Die gleiche Analyse wird angewandt, wenn wir ein nichtstatisches Objekt und dessen Nichtstatischsein (die Vergänglichkeit) oder dessen Bewegung sehen. Zum Beispiel sehen wir ein Auto vorbeifahren und bestimmen mit unserem expliziten Begreifen im ersten Moment das Auto und im zweiten Moment, wenn es sich bewegt hat, sowohl das Auto als auch dessen Bewegung. Dennoch existieren, in dem Vorbeifahren des Autos, das Auto und die Bewegung nicht unabhängig voneinander.

Im Falle der nichtkonzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit existieren auch ein Objekt und dessen Leerheit nicht unabhängig voneinander. Wenn wir das Objekt sehen, bestimmen wir es im ersten Moment, während wir im zweiten Moment sowohl das Objekt als auch die unmögliche Existenzweise feststellen, die auf das Objekt projiziert wird. Im dritten Moment lösen wir uns mit dem korrekten und entschiedenen Verständnis, dass diese unmögliche Existenzweise nichts Realem entspricht, sowohl von dem Objekt, als auch von dieser unmöglichen Existenzweise. Wir begreifen lediglich dessen Leerheit – die völlige Abwesenheit dieser unmöglichen Art zu existieren. In diesem Fall stützt sich die Wahrnehmung der Leerheit auf eine unmittelbar vorangehende Wahrnehmung der Grundlage für die Zuschreibung, nämlich des Objektes, die jedoch nicht mit der gleichzeitigen Wahrnehmung der Grundlage stattfindet. 

  • Hier gilt es zu beachten, dass sich die obige Erklärung nur auf das Begreifen der Leerheit bezieht. Es bedeutet nicht, dass wir jedes Mal, wenn wir die Grundlage für die Zuschreibung einer Leerheit begreifen, ebenso dessen Leerheit erfassen. Jedes Mal, wenn wir beispielsweise unseren Körper sehen, nehmen wir nicht korrekt und entschieden dessen Leerheit wahr, solange es uns an unterscheidendem Gewahrsein in Bezug auf die Leerheit mangelt. 

Ganze Objekte

Zu den zugeschriebenen Phänomenen gehören auch ganze Objekte (tib. cha-can) als Zuschreibungen der physischen und/oder zeitlichen Bestandteile (tib. cha). Teile eines Ganzen können nicht als Teile dieses Ganzen unabhängig von dem Ganzen existieren, dessen Teile sie sind, und ein Ganzes kann nicht unabhängig von seinen Teilen existieren. Es mag nur ein Stück eines Kuchens übrigbleiben, wenn der Rest des Kuchens aufgegessen wurde, aber ein Stück eines Kuchens kann es nur abhängig davon als ein Stück geben, dass es einmal einen ganzen Kuchen gab, dessen Stück es ist.

Hier ein weiteres Beispiel: Sehen wir uns in einem Raum um, sagen wir konventionell, wir würden uns den Raum ansehen, obwohl wir immer nur einen Teil auf einmal sehen. Der Teil, den wir sehen, ist nicht ein Teil von nichts, sondern ein Teil des Raumes. Der Raum als ein Ganzes existiert nicht nur identisch mit dem Teil, den wir in unserem Blickfeld sehen, noch existiert er als etwas völlig Getrenntes von dem Teil, den wir sehen. Der Raum als ein Ganzes ist eine Zuschreibung der Teile und durchdringt alle Teile. Auch wenn ein Teil des Raumes vielleicht schon vor dem restlichen Teil gebaut wurde, existieren der Raum und seine Teile ungeachtet dessen abhängig voneinander. Der Fachausdruck dafür ist abhängig Entstehendes (tib. rten-cing ’brel-bar ’byung-ba); mit anderen Worten: etwas, das abhängig voneinander entsteht oder in Erscheinung tritt.

Die gleiche Analyse trifft auf ein Ganzes als eine Zuschreibung zeitlicher Bestandteile zu. Wir sehen uns zum Beispiel ein Fußballspiel an und sehen immer nur einen Moment des Spieles auf einmal; wir können nicht das gesamte Spiel in einem Augenblick sehen. Aber jeden Moment des Zusehens bezeichnen wir konventionell als „sich das Spiel ansehen“, trotz der Tatsache, dass wir nur einen zeitlichen Teil des Spieles sehen. Das gesamte Spiel ist nicht identisch mit jedem Moment des Spieles, noch existiert das Spiel als Ganzes getrennt von jedem Moment des Spieles. Vielmehr ist das ganze Ereignis eine Zuschreibung eines jeden Momentes dessen, was wir sehen und durchdringt oder erstreckt sich auf alle Augenblicke.

Im Gegensatz zu zugeschrieben erkennbaren Objekten, wie die Bewegung, nehmen wir jedoch nicht zuerst ein Teil von etwas wahr und dann, im nächsten Moment, sowohl diesen Teil als auch das Ganze, das eine Zuschreibung dessen ist. Wir nehmen ein Teil und das Ganze als eine Zuschreibung dessen gleichzeitig wahr. Betrachten wir den Teil eines Raumes, sehen wir gleichzeitig auch einen Raum; und wenn wir ein paar Momente eines Fußballspiels sehen, kann man sagen, dass wir uns ein Fußballspiel ansehen. Wir mögen zwar nicht jeden Teil eines Raumes oder das gesamte Fußballspiel gesehen haben; aber dennoch haben wir konventionell den Raum und das Fußballspiel angesehen.

Das gleiche trifft zu, wenn wir eine Person sehen. Obwohl wir jemanden vielleicht nur einen Moment oder eine kurze Zeit sahen, umfasst die Person als Ganzes und als gültig erkennbares Objekt nicht nur dieses gesamte Leben, sondern alle Leben, ohne Anfang und Ende. Treffe ich mich zum Beispiel mit Mary, sehe ich nicht nur einen Augenblick von Mary; in jedem Augenblick sehe ich Mary, die ein ganzes Leben hat, sowie zahllose frühere und zukünftige Leben, obwohl sie in jedem Moment dieser Begegnung etwas anderes tut oder sagt.

Außerdem sehe ich Mary als eine Zuschreibung des Form-Aggregates ihres Körpers. Obwohl ich die anderen vier Aggregate nicht wahrnehme, die Mary zugeschrieben sind – ihr Bewusstsein, ihre Gefühle, ihr auseinanderhaltendes Gewahrsein und ihre Emotionen – sehe ich Mary dennoch als eine Person, die eine Zuschreibung aller fünf Aggregate ist.

Konventionelle allgemein verständliche Objekte

In ähnlicher Weise umfassen die zugeschriebenen Objekte konventionelle Objekte (tib. tha-snyad-pa, Skt. vyavahara). Hierbei handelt es sich um Formen physischer Phänomene, die sich auf Informationen erstrecken, die durch alle Sinne und im Laufe der Zeit aufgenommen wurden, und welche Zuschreibungen der Daten eines jeden Sinnes in einem Augenblick sind. Solche Arten von konventionellen Objekten sind auch bekannt als „allgemein verständliche Objekte“ (tib. ’jig-rten-la grags-pa).

Sehen wir beispielsweise eine Apfelsine, nehmen wir nicht nur eine farbige Form wahr, sondern sehen auch eine allgemein verständliche Apfelsine, die noch andere charakteristische Sinneseigenschaften hat, wie einen Geruch, einen Geschmack und eine Tastempfindung. Darüber hinaus existiert eine allgemein verständliche Apfelsine nicht nur für einen Augenblick, obwohl wir sie immer nur einen Moment lang sehen. Ihre konventionelle Existenz erstreckt über eine gewisse Zeit.

Wie im Fall der Betrachtung eines Raumes und dem Zusehen eines Fußballspiels, ereignen sich das Sehen der farbigen Form einer Apfelsine und das Sehen der Apfelsine gleichzeitig. Vielleicht werden wir diese Apfelsine nie riechen, schmecken oder in unserer Hand halten; dennoch ist es so, dass wir, wenn wir eine orange farbige Form sehen, eine allgemein verständliche Apfelsine sehen, die man riechen, schmecken und halten kann.

Solche Phänomene als Ganzes und als allgemein verständliche Objekte nennt man „Sammelsynthesen“ (tib. tshogs-spyi).”

Es gibt auch Artsynthesen (tib. rigs-spyi), bei denen es darum geht, welche Art ein Objekt ist, obwohl wir vielleicht nicht wissen, um welche Art von Objekt es sich handelt, wenn wir es wahrnehmen. Ein Tier kann zum Beispiel nicht als ein Tier existieren, ohne eine bestimmte Art von Tier zu sein, wie ein Hund, eine Katze und so weiter. Ein Wort kann nicht einfach nur ein Wort sein, ohne das Wort einer bestimmten Sprache zu sein. Allgemeiner gesagt, kann ein gültig erkennbares Objekt nicht als ein gültig erkennbares Objekt existieren, ohne eine Art von gültig erkennbarem Objekt zu sein, wie eine Person oder eine Tür. Artsynthesen sind Zuschreibungen von Sammelsynthesen.

Die Frage ist jedoch: Wie können wir ein gültig erkennbares Objekt als eine Person und nicht als etwas anderes, wie eine Tür, nachweisen? Gemäß den Behauptungen des Gelug-Prasangika können wir nichts auf Seiten des Objektes finden, wenn wir es entweder vom Gesichtspunkt der oberflächlichen Wahrheit oder der tiefsten Wahrheit analysieren.

  • Die oberflächliche Wahrheit (tib. kun-rdzob bden-pa, Verdecker-Wahrheit, verschleierte Wahrheit, anscheinende Wahrheit) irgendeines Phänomens ist dessen Erscheinung mit einer eigenen Wesensnatur (tib. rang-gi ngo-bo) – einer Natur dessen, was es ist – die durch eine auffindbare, selbst-begründende Natur (tib. rang-bzhin-gyis grub-pa) festgelegt wird, die man aus mangelndem Gewahrsein (Unwissenheit) für wahr hält. Diese Erscheinung einer selbst-begründenden Natur ist trügerisch und falsch. Sie ist ein Verdecker (tib. kun-rdzob-pa); sie verdeckt eine tiefere Wahrheit in Bezug auf das Objekt. Die Erscheinung dessen, was etwas konventionell ist, mag korrekt oder falsch sein.
  • Die tiefste Wahrheit (tib. don-dam bden-pa) irgendeines Phänomens ist dessen tatsächliche Natur (tib. chos-nyid), also dessen Leerheit (Leere) einer Selbstnatur (tib. rang-bzhin) – die völlige Abwesenheit solch einer selbst-begründenden Natur, denn so etwas gibt es nicht.

Wir können nichts auf Seiten der Person oder dessen Grundlage für die Zuschreibung (ein Körper oder ein Geist) finden, das es als eine Person festlegt, entweder aus eigener Kraft oder in Verbindung mit dessen geistiger Bezeichnung als Person, noch können wir dessen Leerheit finden. Dennoch wird dadurch nicht entkräftet, dass es Personen als konventionelle Objekte gibt, die wir gültig wahrnehmen können. Die einzige Sache, die begründen kann, dass es Personen als konventionelle Objekte gibt, ist allein das geistige Bezeichnen.

Genauer gesagt werden konventionelle Objekte oder allgemein verständliche Objekte auch „Dharmas“ (tib. chos), Phänomene, genannnt. Ein Phänomen wird als etwas definiert, das von eigener Wesensnatur (tib. rang-gi ngo-bo ’dzin-pa) ist. Die einzige Sache, die begründen kann, dass Phänomene ihre eigene Wesensnatur dessen haben, was sie konventionell sind, ist allein das geistige Bezeichnen. Aus diesem Grund gilt es ein korrektes Verständnis davon zu haben, was genau geistiges Bezeichnen ist.

Geistiges Bezeichnen 

Kategorien und begrifflich implizierte Mitglieder der Kategorie

Geistiges Bezeichnen umfasst eine statische Kategorie und ein begrifflich impliziertes Mitglied der Kategorie (tib. zhen-yul, begrifflich impliziertes Objekt). Beide können nur begrifflich wahrgenommen werden. 

Es gibt zwei Arten von Kategorien oder, im Sinne der Mengenlehre, zwei Arten von Mengen: Hörkategorien (tib. sgra-spyi) und Objekt/Bedeutungs-Kategorien (tib. don-spyi).

  • Eine Hörkategorie wäre beispielsweise die Kategorie in Bezug auf den Klang des Wortes „Hund“.
  • Eine Objekt/Bedeutungs-Kategorie wäre zum Beispiel die Kategorie all der Objekte, die man als Hund klassifizieren kann, sowie als die Bedeutung der Hörkategorie „Hund“.

Jede dieser zwei Arten von Kategorien ist eine Zuschreibung eines begrifflich implizierten Mitglieds der Kategorie. Das heißt, eine Kategorie und ein begrifflich impliziertes Mitglied der Kategorie entstehen in Abhängigkeit voneinander. Keines von beiden erschafft das andere; keines von beiden kann unabhängig voneinander existieren; und keines von beiden kann unabhängig voneinander wahrgenommen werden.

Eine neue Objekt-Kategorie und ein begrifflich impliziertes Mitglied dieser neuen Kategorie, wie zum Beispiel der Objekt-Kategorie „dunkle Materie“, mag seine Existenz als gültig erkennbares Objekt mit der anfänglichen These von dunkler Materie beginnen. Da es sich jedoch um statische Phänomene handelt, wachsen Kategorien nicht aus Ursachen und Bedingungen, so wie eine Blume aus einem Samen, Wasser, Erde und Sonne heranwächst. Darüber hinaus ändern sie sich nicht von einem Augenblick zum nächsten, so wie eine Blume es tut, während sie wächst und dann verwelkt.

Die Bedeutung des „geistigen Bezeichnens“

Geistes Bezeichnen umfasst:

  • eine Kategorie,
  • ein begrifflich impliziertes Mitglied der Kategorie, dessen Zuschreibung die Kategorie ist, und
  • ein einzelnes Element, das der Kategorie als ein spezifisches Mitglied zugeordnet ist.

Mit dem geistigen Bezeichnen weist eine begriffliche Wahrnehmung durch geistiges Bezeichnen einem einzelnen Element das „begriffliche Gesamtpaket“ – das Konzept (tib. rtog-pa) – einer Kategorie und eines begrifflich implizierten Mitglieds dieser Kategorie zu. Das ist die Bedeutung des „geistigen Bezeichnens“. Es ist in etwa so, als würde man einer Sache eine andere hinzufügen.

Dinge, die einer Kategorie als dessen spezifische Mitglieder zugeordnet werden können, umfassen sowohl statische als auch nichtstatische Phänomene, jedoch müssen sie nicht zwangsläufig einer Kategorie zugeordnet werden, um gültig wahrgenommen werden zu können. Außer die Kategorien selbst können andere statische Phänomene und alle nichtstatischen Phänomene ebenfalls nichtkonzeptuell wahrgenommen werden.

  • Dinge, die mit der Gesamtheit einer Hörkategorie und einem begrifflich implizierten Mitglied der Hörkategorie geistig bezeichnet werden können, umfassen alle Vokalisierungen des Klanges eines Wortes in allen Aussprachen, Lautstärken und Akzenten. Hören wir beispielsweise jemanden das Wort „Hund“ sagen, tun wir dies durch geistiges Bezeichnen mit der Hörkategorie „Hund“ und einem begrifflich implizierten Mitglied dieser Kategorie, und sind in der Lage, es als den Klang „Hund“ zu verstehen, ganz egal, wie die Person ihn wiedergibt.
  • Die Struktur ist bei Objekt/Bedeutungs-Kategorien, wie der Objekt-Kategorie „Hund“ gleich, die auch die Bedeutungs-Kategorie der Hörkategorie „Hund“ ist. Dinge, die mit der begrifflichen Gesamtheit dieser Objekt/Bedeutungs-Kategorie und einem begrifflich implizierten Mitglied dieser Kategorie geistig bezeichnet werden können, umfassen eine große Auswahl von Tieren, die ziemlich unterschiedlich aussehen. Trotz allem sind wir jedoch in der Lage, sie durch geistiges Bezeichnen mit dieser begrifflichen Gesamtheit – diesem Konzept von einem „Hund“ – als Hunde zu erkennen.
  • Das trifft auch dann zu, wenn die Kategorie eine Nullgruppe ist: eine Kategorie, in der die Anzahl der Elemente, die dem Status eines spezifischen Mitglieds dieser Kategorie zugewiesen werden können, gleich null ist. Da gibt es zum Beispiel die Kategorie „dunkle Materie“, obwohl noch keine Elemente gefunden wurden, die mit dieser Kategorie und dem begrifflich implizierten Mitglied dieser Kategorie bezeichnet werden können. Im Falle der Kategorie „selbst-begründende Natur“ kann man keine spezifischen Mitglieder dieser Kategorie finden, da es nie welche gab und es auch keine gibt oder jemals geben wird. Aber dennoch kann es eine begrifflich implizierte Darstellung eines Mitglieds dieser Kategorie geben.

Konzeptuelle Wahrnehmung

Um unsere Darstellung etwas zu vereinfachen, werden wir die begriffliche Gesamtheit einer Kategorie als die Zuschreibung eines begrifflich implizierten Mitglieds einer Kategorie abkürzen und es als „ein Konzept“ bezeichnen.

Die konzeptuelle Wahrnehmung (tib. rtog-bcas) einer Sache geschieht stets durch das Medium eines Konzepts und erfordert, dass ein Konzept durch geistiges Bezeichnen einem einzelnen Phänomen zugewiesen wird. Die nichtkonzeptuelle Wahrnehmung (tib. rtog-med) ist im Gegensatz dazu eine Wahrnehmung ohne solch ein Zwischenmedium.

Betrachten wir zum Beispiel den Fall der Sammelsynthesen und Artsynthesen des konventionellen Objektes „ein Hund“. Wir können die Kombination von farbigen Formen sehen, sowie die Sammelsynthese und Artsynthese „Hund“, die ihnen als Grundlage zugeschrieben sind und somit existieren. Das ist die nichtkonzeptuelle Sinneswahrnehmung des konventionellen Objektes „ein Hund“. Obwohl es sich bei diesem Objekt konventionell um einen Hund handelt, hält die visuelle Wahrnehmung diesen Hund nicht von einer Katze oder etwas anderem auseinander; sie erkennt es lediglich als dieses individuelle Objekt, zusammen mit allen anderen, die sich ebenfalls im Blickfeld befinden.

Verbal oder nichtverbal mögen wir dann denken: „das ist ein Hund“. Das ist nun die konzeptuelle Wahrnehmung des konventionellen Objektes „ein Hund“. Während wir den Hund sehen, nehmen wir begrifflich das Konzept „ein Hund“ wahr und indem wir es mit dem zusammenbringen, was wir sehen, weisen wir das Konzept dem Hund durch geistiges Bezeichnen zu. Weisen wir dem konventionellen Objekt „Hund“ durch geistiges Bezeichnen das Konzept „ein Hund“ zu, ordnen wir das, was wir sehen, einer statischen Kategorie zu, als würden wir es in eine festgesetzte Schublade stecken.

Oft gibt es weitere Zusammenhänge in Bezug auf Konzepte von Dingen. In diesem Fall wären das die verschiedenen Bedeutungskategorien als das, was ein Hund für uns bedeutet, wie beispielsweise „süß“ oder „Gefahr“. Wenn wir das Tier jedoch einfach nur sehen, denken wir noch nicht: „das ist ein Hund“, obwohl das Tier tatsächlich ein Hund und keine Katze oder etwas anderes ist, und sehen auch noch keine Zusammenhänge.

Der Unterschied zwischen Zuschreiben und geistigem Bezeichnen

Der Unterschied zwischen der Zuschreibung und dem geistigen Bezeichnen lässt sich am besten veranschaulichen, indem man die nichtkonzeptuelle mit der konzeptuellen Wahrnehmung einer Person vergleicht.

Nichtkongruente beeinflussende Variablen, wie Personen, sind Zuschreibungen eines individuellen Körpers und Geistes. Um es zu vereinfachen, werden wir einfach von einer einzelnen Person als Zuschreibung eines individuellen lebendigen Körpers sprechen. Die Zuschreibung (eine Person) und dessen Grundlage für die Zuschreibung (ein lebendiger Körper) sind untrennbar voneinander. Wir können das Eine nicht ohne das Andere wahrnehmen. Als solches können die „Gesamtheit“ einer Person und der lebendige Körper, dessen Zuschreibung sie ist, entweder konzeptuell oder nichtkonzeptuell wahrgenommen werden. Auf diese Weise können wir an eine Person als ein zugeschrieben erkennbares Objekt denken oder sie sehen.

Eine Kategorie, wie „die Person“ und ein begrifflich impliziertes Mitglied der Kategorie „Person“, dessen Zuschreibung sie ist, sind ebenfalls untrennbar, aber die begriffliche Gesamtheit der zwei kann nur zugeschrieben konzeptuell und niemals nichtkonzeptuell erkannt werden. Diese begriffliche Gesamtheit – dieses Konzept „eine Person“ – wird mit konzeptueller Wahrnehmung durch geistiges Bezeichnen der Gesamtheit einer spezifischen, individuellen Person, sowie dem spezifischen, individuellen, lebendigen Körper, dessen Zuschreibung sie ist, zugewiesen. Als geistige Bezeichnung ist das Konzept gleichermaßen nur in der konzeptuellen und niemals in der nichtkonzeptuellen Wahrnehmung durch Zuschreiben erkennbar. Um es weiter zu vereinfachen beziehen wir uns auf die Gesamtheit einer spezifischen, individuellen Person als Zuschreibung eines spezifischen, individuellen, lebendigen Körpers einfach als eine „spezifische, individuelle Person“.

  • Wir können das Konzept „eine Person“ nicht wahrnehmen, ohne es konzeptuell mit geistigem Bezeichnen einem spezifischen Element zuzuweisen. In diesem Fall ist das Element, dem dieses Konzept durch Bezeichnen zugewiesen wurde, eine spezifische, individuelle Person. Wir können beispielsweise nicht an das Konzept, das wir von Mary haben, denken, ohne dass es durch geistiges Bezeichnen Mary zugewiesen wurde, ob Mary nun da ist, während wir an sie denken, oder nicht.
  • Wir können Mary jedoch nichtkonzeptuell wahrnehmen, wie wenn wir sie beispielsweise sehen, ohne Mary mit dem Konzept, das wir von ihr haben, geistig zu bezeichnen.

Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem Zuschreiben und dem geistigen Bezeichnen:

  • Die zwei Elemente einer Zuschreibung, die miteinander in Beziehung stehen, können nicht getrennt voneinander wahrgenommen werden.
  • Von den zwei Elementen, die durch geistiges Bezeichnen miteinander verbunden sind, wie jene einer spezifischen Person oder Personen im Allgemeinen, kann eine spezifische, individuelle Person getrennt von dem Konzept „eine Person“ erkannt werden, obwohl das Konzept „eine Person“ nicht getrennt von dem erkannt werden kann, dessen geistige Bezeichnung es ist.

Detaillierte Analyse der drei wesentlichen Komponenten des geistigen Bezeichnens 

Die geistige Bezeichnung

Technisch gesehen ist die Kategorie in einer konzeptuellen Wahrnehmung ein Ausschluss (tib. sel-ba, Skt, apoha) – genauer gesagt ein geistiger Ausschluss von etwas anderem (tib. blo’i gzhan-sel). Solch ein Ausschluss-Phänomen ist ein statischer Isolator (tib. ldog-pa, Spezifizierer), also „nichts anderes als“ (tib. ma-yin-pa-las log-pa) oder wörtlicher „das, was das Gegenteil davon ist, nicht etwas zu sein“. Durch „nichts anderes als“ wird ein Element als ein spezifisches, individuelles Mitglied einer Kategorie spezifiziert und isoliert, wie zum Beispiel: „nichts anders als ein spezifisches, individuelles Mitglied der Kategorie Person“. Solch ein Isolator wird als „ein Isolator, der ein individuelles Element spezifiziert“ (tib. rang-ldog) oder als „ein Isolator einer Kategorie“ (tib. spyi-ldog) bezeichnet. Diese zwei Begriffe sind von der Bedeutung her gleich.

Als ein Ausschluss von etwas anderem, ist ein Isolator ein Negierungs-Phänomen (tib. dgag-pa, durch Negierung erkanntes Phänomen) – ein gültig erkennbares Phänomen, bei dem ein zu negierendes Objekt explizit durch die konzeptuelle Wahrnehmung, die es wahrnimmt, abgegrenzt wird. Im Besonderen ist es ein implizierendes Negierungs-Phänomen (tib. ma-yin dgag): ein Ausschluss von etwas anderem, bei dem die Klänge der Worte, die das zu negierende Objekt abgrenzen und schließlich negieren, explizit oder sowohl explizit als auch implizit ein Bestätigungs-Phänomen und ein Negierungs-Phänomen in der Folge zurücklassen. Ein Bestätigungs-Phänomen (tib. sgrub-pa) ist ein Phänomen, das als ein gültig erkennbares Phänomen festgelegt wird, ohne dass ein zu negierendes Objekt explizit durch die Klänge der Worte, die es hervorbringt, abgegrenzt wird.

Um zu verstehen, wie etwas „in der Folge“ einer Negierung zurückgelassen wird (tib. bkag-shul), sollten wir die implizierende Negierung „die Person, an die ich denke, ist keine Frau“ betrachten. Das zu negierende Objekt ist „eine Frau“. Nachdem durch den Klang der Worte dieser Aussage ausgeschlossen wurde, dass es sich um eine Frau handelt, an die ich denke, folgert man dadurch explizit, dass es eine Person ist (ein Bestätigungs-Phänomen), an die ich denke, und keine Frau (Negierungs-Phänomen). Implizit wird durch den Klang der Worte dieser Aussage im Zuge dessen zurückgelassen, dass es ein Mann ist, an den ich denke, da ich an eine Person denke.

In der konzeptuellen Wahrnehmung einer Person erscheint die Kategorie „Person“ in der Wahrnehmung als geistiger Isolator „nichts anderes als eine Person“. Dieses implizierende Negierungs-Phänomen, das in Erscheinung tritt, lässt explizit die geistige Erscheinung (tib. snang-ba) einer Person zurück, sowie, dass es sich um nichts anderes als eine Person handelt, und somit wird implizit eine Person zurückgelassen.

Die geistige Erscheinung einer Person ist eine statische geistige Repräsentation einer Person. Sie kann nichts tun und hat als ein statisches Phänomen keine eigene Form. Dennoch erscheint in einer konzeptuellen Wahrnehmung eine Art geistige Form, ob diese konzeptuelle Wahrnehmung nun stattfindet, während man jemanden sieht oder einfach an ihn oder sie denkt. Da eine Person auch keine Form hat und durch Zuschreibung eines Körpers existiert, kann die statische geistige Repräsentation der tatsächlichen Person beispielsweise die geistige Form des Körpers annehmen, dem die Person zugeschrieben ist, sowie die geistige Form des Klanges seiner oder ihrer Stimme, oder einfach des geistigen Klanges des Namens der Person. Genau genommen kann die Person nicht getrennt vom Körper oder der Stimme, der sie zugeschrieben ist, wahrgenommen werden oder erscheinen. Betrachten wir nochmals den Fall der Person, die eine Zuschreibung des Körpers ist.

Die geistige Form, die in der konzeptuellen Wahrnehmung auftaucht, ist die des begrifflich implizierten Objektes (tib. zhen-yul) – ein geistiges Hologramm (tib. rnam-pa) der Form eines allgemein verständlichen Körpers mit einer Person als dessen Zuschreibungsphänomen als Grundlage für die Zuschreibung (tib. gdags-gzhi). Dieses begrifflich implizierte Objekt – eine nichtstatische objektive Entität – ist wiederum die Grundlage für die Zuschreibung der drei metaphysischen Entitäten: (1) die Kategorie „Person“, (2) der geistige Isolator „nichts anderes als eine Person“ und (3) die geistige Erscheinung (geistige Repräsentation) einer Person.

Das Gesamtpaket dieser drei statischen Phänomene und das nicht-statische begrifflich implizierte Objekt, das wir als eine „begriffliche Gesamtheit“ oder „ein Konzept“ bezeichnet haben, bilden die geistige Bezeichnung (tib. btags). Vereinfachend wird die geistige Bezeichnung oft einfach nur auf die Kategorie reduziert.  

Die Grundlage für die Bezeichnung

Die Grundlage für die Bezeichnung (tib. gdags-gzhi) der begrifflichen Gesamtheit einer Person ist eine allgemein verständliche Person als ein Zuschreibungsphänomen eines allgemein verständlichen Körpers, der entweder anwesend sein kann oder nicht, und auch wenn er anwesend ist, kann er gleichzeitig gesehen werden oder nicht. Hier gilt es zu beachten, dass der tibetische Begriff einer Grundlage für die Zuschreibung und einer Grundlage für die Bezeichnung derselbe ist.

Die Kategorie, die als geistiger Isolator erscheint, ist halb-transparent. Das geistige Bewusstsein nimmt durch sie auf halb-verdeckte Weise die explizit zurückgelassene geistige Repräsentation wahr, die dem geistigen Hologramm des begrifflich implizierten Objektes zugeschrieben ist, das der geistigen Repräsentation als dessen Grundlage für die Zuschreibung ihre Form gibt. Das geistige Hologramm des begrifflich implizierten Objektes ist vollkommen transparent.

Ist eine Grundlage für die Bezeichnung vorhanden und wird sie mit einer getrennten, nichtkonzeptuellen Sinneswahrnehmung wahrgenommen, welche die konzeptuelle Wahrnehmung begleitet, weist die konzeptuelle Wahrnehmung durch geistiges Bezeichnen die begriffliche Gesamtheit dieser Grundlage für die Bezeichnung zu und nimmt sie auf halb-verdeckte Weise durch die begriffliche Gesamtheit wahr. Durch diese halbe Verdeckung ist die Grundlage für die Bezeichnung, in diesem Fall eine allgemein verständliche Person als eine Zuschreibung eines allgemein verständlichen Körpers, nicht so klar, als wenn man die Person einfach sieht. Durch das begrifflich implizierte Objekt bezeichnet die begriffliche Gesamtheit die allgemein verständliche Person als ein spezifisches Mitglied der Kategorie „Person“.

Das Bezugsobjekt der geistigen Bezeichnung

Wie oben erklärt, lässt der geistige Isolator als implizierende Negierung explizit eine statische geistige Repräsentation eines Mitglieds einer Kategorie im Zuge der Negierung zurück – in unserem Beispiel die geistige Repräsentation einer Person. Implizit lässt er eine Person zurück, die nicht in der konzeptuellen Wahrnehmung erscheint. Diese implizit zurückgelassene Person ist das Bezugsobjekt (tib. btags-chos) der geistigen Bezeichnung. Es ist das, worauf sich die begriffliche Gesamtheit (das Konzept) einer Person auf der Grundlage einer allgemein verständlichen Person bezieht, die eine Zuschreibung des Körpers ist und als Grundlage für die Bezeichnung dient.

Die Erscheinung einer allgemein verständlichen Person als die Zuschreibung eines allgemein verständlichen Körpers, den wir sehen, und der die Grundlage für die Bezeichnung einer Person ist, ist eine konventionelle Wahrheit (tib. kun-rdzob bden-pa). Sie erscheint selbst-begründet (tib. rang-bzhin-gyis grub-pa) zu sein, durch die Kraft einer selbst-begründenden Natur (tib. rang-bzhin) und eines definierenden charakteristischen Merkmals, was man beides auf Seiten des Körpers als die Grundlage für die Zuschreibung der Person finden kann. All die Komponenten der ihr zugeschriebenen begrifflichen Gesamtheit scheinen auf gleiche Weise selbst-begründet zu sein.

Ein Bezugs-Ding

Ein Bezugs-Ding (tib. btags-don) ist ein tatsächliches selbst-begründetes Bezugsobjekt, das durch Analyse auffindbar ist und als eine fokale Stütze (tib. dmigs-rten) dient und das Bezugsobjekt stützt und trägt. Im Prasangika wird sogar die konventionelle Existenz solch eines Bezugs-Dinges widerlegt.

Zusammenfassung der drei wesentlichen Komponenten des geistigen Bezeichnens 

Die drei wesentlichen Komponenten des geistigen Bezeichnens sind demzufolge:

  • eine geistige Bezeichnung
  • eine Grundlage für die Bezeichnung
  • ein Bezugsobjekt der geistigen Bezeichnung

Eine Person existiert durch Zuschreibung eines Körpers. Das ist eine Tatsache in Bezug auf Personen, ob wir eine Person nun mit nichtkonzeptueller Sinneswahrnehmung sehen oder an sie mit konzeptueller geistiger Wahrnehmung denken. Mit der konzeptuellen Wahrnehmung einer Person wird jedoch eine geistige Bezeichnung einer bestimmten, individuellen Person als dessen Grundlage für die Bezeichnung zugewiesen.

Die geistige Bezeichnung ist die Gesamtheit einer begrifflich implizierten Person als eine Zuschreibung eines begrifflich implizierten Körpers und, dem zugeschrieben, eine begrifflich implizierte Person:

  • eine statische geistige Repräsentation einer Person, welche die Form des begrifflich implizierten Körpers annimmt,
  • ein statischer geistiger Isolator (nichts anderes als ein Mitglied der Kategorie „eine Person“), der diese Repräsentation als das festlegt, was sie explizit zurücklässt,
  • eine statische Kategorie einer Person, die als dieser geistige Isolator erscheint.

Hier gilt es zu beachten, dass die Form des Körpers dem geistigen Hologramm der Form entsprechen kann, das wir sehen, wenn die Person vor uns steht. Oder es kann eine willkürliche Form dessen sein, wie der Körper der Person aussieht und welche die Person lediglich repräsentiert, wenn sie abwesend ist und wir nur an ihn oder sie denken. Auch wenn sie der Form entspricht, die wir sehen, ist es nicht so, dass die Form, die wir sehen, das Objekt der Ausrichtung ist, das die begriffliche Wahrnehmung erscheinen lässt.

Das Bezugsobjekt, durch das der geistigen Bezeichnung der Kategorie „Person“ eine spezifische, individuelle Person als Grundlage für die Bezeichnung zugewiesen wird, ist die eigentliche, spezifische, individuelle Person als Mitglied der Kategorie „Person“. Genauer gesagt, ist das Bezugsobjekt (die konventionelle Person) das, was der geistige Isolator (als Isolator, der ein individuelles Element spezifiziert) implizit in seiner Folge zurücklässt, nachdem er alle anderen Mitglieder der Kategorie „Person“ ausgeschlossen hat. Mit einfacheren Worten ist das Bezugsobjekt des Konzeptes, das wir von Mary haben, wenn wir dieses Konzept auf Mary einfach als eine Person projizieren, Mary als eine Person, die dem Konzept entspricht, das wir von ihr haben.

Durch das geistige Bezeichnen wird somit der Mitgliedsstatus der Kategorie „Person“ der eigentlichen Person hinzugefügt (tib. sgro-‘dogs, projiziert). Jedoch wird durch das geistige Bezeichnen die Person nicht erschaffen. Die Person existiert durch Zuschreibung auf der Grundlage eines Körpers, ob die Person nun als Mitglied der Kategorie „Person“ geistig bezeichnet wird oder nicht.

  • Hinzufügen heißt, auf eine Sache etwas anderes zu projizieren oder etwas hinzugeben, was von Natur aus nicht da oder anwesend ist, wie wenn wir beispielsweise einem Pfeil eine Feder hinzufügen.

So wird die Existenz des Bezugsobjektes der geistigen Bezeichnung nicht wie ein Bestätigungs-Phänomens (tib. sgrub-pa) begründet.

  • Ein Bestätigungs-Phänomen ist ein Element, das man in Bezug auf das Begründen eines Elementes (weil es beispielsweise ein auffindbares charakteristisches Merkmal besitzt oder ein auffindbares Bezugs-Ding [tib. btags-don] ist), definiert, ohne dass ein zu negierendes Objekt durch den Klang, der es ausdrückt, explizit abgegrenzt wird.
  • Hier gilt es zu beachten, das die Begriffe „begründet“ (tib. grub-pa) und Bestätigungs-Phänomen (tib. sgrub-pa) im Tibetischen zwei Flexionen des gleichen Wortes sind.

Anstatt als Bestätigungs-Phänomen begründet zu werden, wird das Bezugsobjekt einfach als ein implizierendes Negierungs-Phänomen festgelegt. Das heißt jedoch nicht, man würde das Bezugsobjekt als ein Negierungs-Phänomen begründen. Vielmehr ist es einfach das, was implizit in der Folge des Negierungs-Phänomens „nichts anders als ein Mitglied der Kategorie“ zurückgelassen wird. Schließt man konzeptuell alles andere als das Bezugsobjekt aus, ist das Bezugsobjekt das, was übrig bleibt.

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