Entsagen des Klammerns an selbst-begründete Existenz

Die nächste Ebene der Entschlossenheit, frei zu sein, ist das Entsagen des Klammerns an selbst-begründete Existenz und stattdessen Leerheit zu unserem Hauptanliegen zu machen.

Was ein Buddha wahrnimmt 

Um dies zu verstehen, lasst mich ein wenig darauf eingehen, was ein Buddha tatsächlich wahrnimmt und worauf sich die Leerheit oder Leere bezieht. Ein Buddha ist allwissend. Das bedeutet, dass ein Buddha alle konventionellen Phänomene gleichzeitig kennt und sich dabei über die Leerheit eines jeden, über deren völlige Abwesenheit unmöglicher Existenzweisen, bewusst ist.

Was ein Buddha erkennt, wenn ein Buddha alle Phänomene gleichzeitig wahrnimmt, entspricht vielleicht dem, was Wissenschaftler als das Quanten-Universum beschreiben. Für die meisten von uns bedeutet das nicht wirklich viel, wenn wir von einem Quanten-Universum sprechen – also vielen Dank, aber was bedeutet es?

Der große Philosoph und Wissenschaftler Richard Feynman hat dazu ein sehr gutes Beispiel angeführt: Betrachten wir einmal diesen Raum. In diesem Augenblick befinden sich in diesem Raum alle möglichen Funkwellen, TV-Signale, Mobilfunksignale und Internetsignale des gesamten Planeten. Sie alle sind in diesem Raum vorhanden, in dem Sinne, dass sie alle zugänglich sind. Wir benötigen nur die jeweiligen Empfänger dafür. Hätten wir ein Radio, einen Fernseher oder eine Art Computer oder Mobiltelefon, das mit dem Internet verbunden ist, könnten wir jedes Signal empfangen, jeden Kanal einschalten, jede Webseite aufrufen und jede Nummer wählen. 

Wie ist das möglich? Es ist möglich, weil all diese Funkwellen und Signale in diesem Raum und auch sonst überall verfügbar sind. Und abhängig von unserem Gerät können wir das gesamte Feld aller möglichen Funkwellen zu einem Bild, einer Webseite oder einem Radiosender reduzieren. Denkt einmal darüber nach, denn das ist ein beachtliches Beispiel.

In gewissem Sinne wäre das, was ein Buddha wahrnimmt, wie das Empfangen aller möglichen Funkwellen, TV-Signale, Internet-Signale und so weiter – alles gleichzeitig, weil sie gewissermaßen alle hier sind, nicht wahr? Alles gleichzeitig wahrnehmen zu können, bedeutet jedoch nicht, dass es verwirrend ist. Ein Buddha kennt auch die Einzigartigkeit eines jeden Signals. 

Was ein Arhat wahrnimmt 

Wie sieht es mit einem Arhat aus? Ein Arhat wäre auch jemand, der ein gewisses Gerät benutzt und dieses Gerät würde das Feld auf ein Bild reduzieren. Das Gerät bezieht sich auf diese Arten von begrenzten Aggregaten, diese Art des begrenzten Körpers, mit den Sensoren, dem Gehirn und den lichtempfindlichen Zellen der Augen und so weiter, der, wie ein Radioempfänger oder ein Mobiltelefon das Feld zu einem Bild reduziert. Das ist wie die Beschreibung des Quanten-Universums: ein Beobachter reduziert das Quanten-Universum auf eine bestimmte Position von Teilchen oder Wellen.

Für Arhats scheint es, als wäre das, was sie durch ihr Gerät, also ihren Geist, empfangen, wie das, was auf diesem Computerbildschirm erscheint. Es kommt ihnen so vor, als würde das, was erscheint, in dieser Maschine und von sich aus entstehen. Das nennt man „selbst-begründete Existenz“. Aber Arhats wissen, dass es eine Illusion ist: das Bild erscheint auf diese Weise, aber es entsteht nicht wirklich ganz von sich aus im Innern des Computers. Wie eine Illusion scheint es, als wäre es von sich aus, seitens des Computerbildschirms begründet, unabhängig von all der Arbeit, die notwendig war, es zu produzieren, aber so ist das nicht wirklich, oder?

Greifen nach selbst-begründeter Existenz 

In ähnlicher Weise, wenn wir das Quanten-Universum mit unseren begrenzten Rezeptoren – unseren Augen, unserem Gehirn usw. – wahrnehmen, scheint es, als wäre alles selbst-begründet. Beispielsweise eine Person: hier ist sie, genau hier, unabhängig von allem, was vorher in ihrem Leben passiert ist. All die Ursachen und Bedingungen, die einen Einfluss auf die Weise hatten, wie diese Person denkt usw. – nichts davon erscheint. Das einzige, was für uns erscheint, ist das, was sich direkt vor unseren Augen befindet, so, wie die Webseite direkt vor unseren Augen auf dem Computerbildschirm erscheint, als wäre sie aus eigener Kraft entstanden.

Wenn wir eine Webseite auf dem Computerbildschirm sehen, scheint es nicht, als würde sie von abertausenden Stunden Arbeit abhängig sein, sowie von hunderten Menschen und all der Ausbildung und Schulung, die sie durchgehen mussten, um diese Webseite erstellen zu können. Nichts davon erscheint vor uns. Wie eine Illusion ist sie einfach da, ganz wie von selbst. Ein Arhat erkennt, dass dies wie eine Illusion ist, und er denkt nicht, die Webseite wäre einfach so da, selbst-begründet. Arhats wissen, dass Erscheinungen wie eine Illusion sind. 

Doch jemand, der kein Arhat ist, unterliegt noch immer der Unwissenheit oder dem mangelnden Gewahrsein und denkt, sie wäre tatsächlich auf den Computerbildschirm zurückzuführen und sei nicht mit all der Arbeit verbunden, die dafür notwendig war, sie zu erschaffen. Diese Erscheinungen, die unser begrenzter Geist hervorbringt, der das Quantenfeld reduziert, scheinen wie eine Illusion zu sein und mit mangelndem Gewahrsein oder Unwissenheit glauben wir, sie hätten wirklich eine selbst-begründete Existenz. 

Reden wir also über selbst-begründete Existenz, geht es um diese Sache. Wir reden über etwas auf Seiten des Computerbildschirms, das von sich aus, aus eigener Kraft, diese Webseite entstehen lässt, die wir sehen, unabhängig von all den Ursachen und Bedingungen, und unserem eigenen Gerät, mit dem wir sie betrachten. Unabhängig von alledem ist sie plötzlich da und wir glauben es – das ist das Greifen nach selbst-begründeter Existenz, Unwissenheit.

Das gilt es nun auf das alltägliche Leben zu beziehen. Vielleicht sagt jemand etwas zu uns und weil wir es durch unsere begrenzten Sensoren wahrnehmen, reduziert unser begrenzter Geist alles, was die Person betrifft, auf diese Worte, die sie gerade gesagt hat. Es scheint, als hätte sie es nur gesagt, weil sie ein schlechter Mensch ist und uns nicht mag. Und wir glauben, darum würde es tatsächlich gehen, und so werden wir wütend. „Wie kannst du so etwas zu mir sagen! Was soll das heißen?“ Da ist das Quantenfeld aller Einflüsse, Ursachen und Tendenzen, welche diese Person beeinflusst haben, aus vergangenen Leben, aus diesem Leben, von dem, was sie am Morgen getan haben, von allem, was ihre Ausbildung betrifft, usw. – da gibt es dieses riesige Quantenfeld und es hat sich zu dem reduziert, was sie gerade gesagt hat. Und es hat sich in Bezug darauf reduziert, wie ich es gehört habe. Es war nicht so, dass die Person es in ihrem Haus gesagt hat und ich es nicht gehört habe. Meine Erfahrung war, dass ich es hörte. Mein begrenzter Geist hat es auf meine Erfahrung, es zu hören, reduziert, mit dieser Interpretation: „Du bist ein schlechter Mensch.“ Ist es passiert? Ja, es ist passiert. Es war keine buchstäbliche Illusion, es war kein Nichts; ich habe es erfahren. 

Ein Buddha würde hingegen all die Einflüsse, Interaktionen und Tendenzen dieser Person wahrnehmen, und würde sich darüber bewusst sein, dass es für mich, wenn ich es mit meiner begrenzten Ausstattung wahrgenommen habe, aussieht, als wäre es selbst-begründet: diese Person scheint für mich ein wirklich schlechter Mensch zu sein und hat ohne irgendeinen Grund etwas Furchtbares zu mir gesagt. Ein Buddha weiß, dass es für mich so aussieht. Aber im Gegensatz zu einem Arhat, für den es ebenfalls so erscheint, sieht ein Buddha das gesamte Quantenfeld aller Einflüsse, alles, was mit dieser Person zu tun hat, sowie alle anderen, mit dem sie jemals Austausch hatte. 

Glauben wir an selbst-begründete Existenz, daran, dass es tatsächlich etwas gibt, was die mit unserer begrenzten Ausstattung wahrgenommene Erscheinung stützt, unterliegen wir all unseren störenden Emotionen. Durch all die störenden Emotionen kommt es zu unserem zwanghaften Verhalten – das ist Karma – welches zu all unseren Leiden und Problemen führt.

Was wird durch Leerheit widerlegt 

Was wird durch Leerheit widerlegt? Es wird widerlegt, dass es so etwas, wie selbst-begründete Existenz gibt. Es wird widerlegt, dass sich das, was wir auf dem Computerbildschirm, auf der Webseite sehen, in der Maschine befindet und aus eigener Kraft und von sich aus vollständig erscheint; oder dass sich der Fernsehkanal im Fernseher befindet und ganz von selbst einfach so da ist. Das ist unmöglich und die Leerheit widerlegt das. 

Was durch die Leerheit nicht widerlegt wird, ist, dass die Webseite auf dem Bildschirm erscheint oder dass wir Dinge auf die Weise sehen, wie sie für uns, mit unserer begrenzten Ausstattung erscheinen; das wird nicht durch die Leerheit widerlegt. Diese trügerische Erscheinung passiert, sie findet statt; aber sie existiert nicht auf die Weise, wie sie zu existieren scheint. 

Nehmt euch bitte einen Moment Zeit, dass einsinken zu lassen. Ich hoffe, dadurch wird diese ganze Erklärung der Leerheit, von selbst-begründeter Existenz und allwissenden Buddhas etwas verständlicher. Und bitte benutzt dieses Beispiel eures Mobiltelefons oder eures Computerbildschirms; es ist ein perfektes Beispiel. Was denkt ihr, was in dieser Maschine stattfindet?

[Pause]

Es ist wirklich lustig, wenn man einmal beginnt, darüber nachzudenken, oder? Die Person, mit der ich am Telefon spreche, befindet sich nicht im Telefon und redet mit mir. Die Menschen, die ich in meinem Fernseher sehe, befinden sich nicht wirklich im Bildschirm. Aber so scheinen die Dinge zu existieren. Es ist nicht, dass wir nichts sehen; wir sehen etwas, aber es ist wie eine Illusion. Es scheint, dass diese Stimme, die aus diesem dünnen, schwarzen, rechteckigen Ding kommt, als etwas existiert, was ganz von selbst einfach aus diesem Ding herauskommt. Aber woher kommt es? 

Entsagen selbst-begründeter Existenz 

Nun können wir über diese Art der Entsagung reden, die Entsagung selbst-begründeter Existenz und unseres Glaubens daran, dass die Weise, wie diese Bilder, die wir auf dem Bildschirm unseres Computers oder Telefons sehen, zu existieren scheinen – als wären sie dort aus eigener Kraft begründet – der Weise entsprechen, wie sie tatsächlich existieren.

Wovon wir mit Entschlossenheit frei sein wollen, ist, die selbst-begründete Existenz zu unserem Hauptanliegen zu machen. Wie wir mit einer Ausstechform aus einem großen Teig einen Keks ausstechen, stechen wir mit unserem Geist aus dem Quantenfeld aller möglichen Wellen, die sich in diesem Raum befinden, einen einzelnen Keks aus, der auf dem Bildschirm von allem anderen isoliert ist. Wir müssen diese Glaubensvorstellung, in der wir gefangen sind, entsagen, mit der wir meinen, die Erscheinungen, die unser Geist wie eine Ausstechform hervorbringt, würden der Realität entsprechen. Unser Hauptanliegen sollte der Leerheit gelten – der völligen Abwesenheit dieser unmöglichen Existenzweisen, dieser unmöglichen Weise des Begründens der Existenz von etwas.

Zu starke oder zu schwache Widerlegung selbst-begründeter Existenz 

Mit der zu starken Widerlegung würden wir schlussfolgern, dass gar nicht existiert. Damit widerlegen wir die konventionelle Existenz erkennbarer Phänomene; wir widerlegen, dass es etwas gibt, was tatsächlich auf dem Bildschirm erscheint. Wenn wir das widerlegen, leugnen wir Ursache und Wirkung. Dann gäbe es kein Resultat von irgendetwas, das wir tun – das ist die zu starke Widerlegung.

Mit der zu schwachen Widerlegung gibt es eine selbst-begründende Natur auf der Seite einer Sache, nicht durch sie selbst, aber in Verbindung mit geistigem Bezeichnen, durch welche die konventionelle Existenz dieses Phänomens begründet wird. Ein Beispiel dafür wäre, dass sich die Webseite tatsächlich auf Seiten des Computers befindet und es da etwas Selbst-Begründetes gibt, sie jedoch nur erscheinen wird, wenn ich die Adresse der Webseite eingebe. Sie erscheint also in Verbindung mit einer Einstellung, ist jedoch schon da – das wäre eine zu schwache Widerlegung. Versteht ihr, was ich meine? Es ist ziemlich subtil. 

Wir können Dinge nur durch geistiges Bezeichnen begründen – das habt ihr bestimmt schon einmal gehört, die Prasangika-Sichtweise. Doch was heißt das? All die Funkwellen, die SMS-Nachrichten, die Chats und Webseiten, all das befindet sich in diesem Raum. Wie begründen wir also die Tatsache, dass es diese oder jene Webseite gibt? Die einzige Weise sie zu begründen, besteht darin, die Adresse einzugeben und dann wird sie auf dem Bildschirm erscheinen. Auf diese Weise begründen, erklären oder beweisen wir dessen konventionelle Existenz; das ist geistiges Bezeichnen.

Hat das Eingeben der Adresse die Webseite erschaffen? Nein. Das geistige Bezeichnen erschafft keine konventionelle Existenz. Waren die Wellen dieser Webseite da? Nun, ja. Es ist nicht, dass sie aus dem Nichts kam. Aber wie erklären, begründen oder demonstrieren wir, mit unserer begrenzen Ausstattung, dass es diese Webseite gibt? Nun, wenn wir die Adresse eingeben, erscheint sie. 

Durch geistiges Bezeichnen weisen wir etwas einer Kategorie zu und benennen es mit einem Namen oder einem Wort, wie „menschliches Wesen“. Dann fragen wir uns, was ein menschliches Wesen ist, aber wie begründen wir, dass es solche Dinge, wie menschliche Wesen gibt? Nun, ein menschliches Wesen ist das, worauf sich die Kategorie und das Wort „menschliches Wesen“ beziehen. Ich kann also all die Ursachen und Bedingungen, die vergangenen Leben usw. runterbrechen und mich auf andere mittels einer Kategorie beziehen. Ich kann sie einer Kategorie „menschliches Wesen“ zuordnen und ihnen auch einen persönlichen Namen geben, was auch immer er sein mag. Genauso verhält es sich mit der URL einer Webseite.

Denkt einmal darüber nach. 

[Pause]

Ich hoffe, das ist eine nützliche Analogie. Es ist etwas, worüber man lange nachdenken kann, was die Folgen und Konsequenzen daraus sind usw.

Dabei gilt es zu bedenken, dass die gleiche Analyse für den allwissenden Geist eines Buddhas gilt, sowie für das so genannte „Quanten-Universum“, das ein Buddha wahrnimmt. Es gibt kein Quanten-Universum, das sich selbst-begründet hier in diesem Raum oder überall befindet und auf welche Gesamtheit dessen sich ein Buddha einstimmt. Und es ist auch nicht so, dass der allwissende Geist eines Buddhas selbst-begründet ist, oder dass er das Quanten-Universum erschafft. Das es so etwas wie das Quanten-Universum gibt, können wir nur dadurch begründen, dass es das ist, worauf sich der Begriff „Quanten-Universum“ bezieht, mit dem alle gültig erkennbaren, abhängig entstehenden Phänomene benannt werden. Darüber hinaus können wir die Existenz des Quanten-Universums und des allwissenden Geistes eines Buddhas nur abhängig voneinander bestimmen – also mit anderen Worten auch im Sinne des abhängigen Entstehens. Das ist die Formulierung der Leerheit als Nichtdualität, die viele Schulen des tibetischen Buddhismus, die nicht zum Gelug gehören, vertreten. 

Die Ursache und Nachteile des Greifens nach selbst-begründeter Existenz 

Die Ursache des Greifens nach selbst-begründeter Existenz ist die ständige Gewohnheit unseres Geistes, eine Erscheinung selbst-begründeter Existenz zu projizieren und ihm eine tatsächliche Existenz zuzuschreiben. Das ist die Gewohnheit, mit der wir das Universum mit unserer begrenzten Hardware betrachten; das haben wir seit ewigen Zeiten kontinuierlich gemacht. Weil wir alles mit einer begrenzten Hardware, mit einem Körper und einem Geist so genannter befleckter Aggregate, wahrnehmen, sieht es so aus, als wären Dinge direkt hier, aus sich selbst heraus, aus eigener Kraft begründet. Und das tun wir seit anfangsloser Zeit. Wegen der Trägheitskraft dessen, glauben wir ständig das, was wir sehen, also wie Dinge zu existieren scheinen, würde der Realität entsprechen.

Die Nachteile des Glaubens an selbst-begründete Existenz sind, dass wir wegen diesem mangelnden Gewahrsein oder dieser Unwissenheit alle möglichen störenden Emotionen und Geisteshaltungen entwickeln. Diese lösen unser zwanghaftes Verhalten aus, was dann die drei Arten des Leidens antreibt, die Befreiung und Erleuchtung verhindern. Die Nachteile sind also, dass dieses Greifen zu Leiden und Begrenztheit führt.

Hier gibt es eine Warnung: Wir müssen mit diesen Übungen der unermesslichen Liebe, des unermesslichen Mitgefühls usw. sehr vorsichtig sein, wenn wir uns gegenüber allen Wesen im gesamten Universum öffnen. Greifen wir weiter nach einem festen „Ich“, welches sich nun geöffnet hat, fühlen wir uns ziemlich verletzlich, was höchst beängstigend ist. Dieses Öffnen mit Liebe und Mitgefühl muss mit dem Dekonstruieren des festen „Ichs“ einhergehen, denn sonst fühlen wir uns entblößt und äußerst verletzlich.

Nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit 

Was streben wir eigentlich an? Wir streben nach nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit. Was bedeutet das? Leerheit ist die völlige Abwesenheit selbst-begründeter Existenz – sie ist unmöglich, so etwas gibt es nicht und gab es nie. Wir fokussieren uns also auf deren völlige Abwesenheit. Es gibt keine kleine Webseite innerhalb des Computers; da sind keine kleinen Leute, die sich bewegen und mit mir reden. Das ist unmöglich. 

Fokussieren wir uns auf konzeptuelle Weise darauf, reduzieren wir diese Tatsache gewissermaßen auf eine Schublade, die Schublade „so etwas gibt es nicht“, die Schublade der Leerheit. Das bezeichnet man als eine „Kategorie“, wir weisen es einer Kategorie zu. Wir müssen das Wort „Leerheit“ nicht in unserem Geist aussprechen, aber unser Geist muss die Leerheit dieser Kategorie zuweisen. 

Kann es in einer Kategorie verstanden werden? Ja, ich kann all diese farbigen Formen, die ich vor mir wahrnehme, betrachten und sie alle der Kategorie menschlicher Wesen zuweisen. Konventionell gesehen ist das korrekt. Ich betrachte nicht nur farbige Formen. Sie jedoch nichtkonzeptuell wahrzunehmen, wäre, sie ohne das Medium dieser Kategorien zu sehen, also mit anderen Worten das Feld nicht gleichzeitig auf eine Schublade zu reduzieren. Was es so schwierig macht, ist, dabei dieses Verständnis zu haben. Es ist schwierig, weil wir alles normalerweise im Sinne von Kategorien verstehen: menschliches Wesen, männlich, weiblich, hell, dunkel... Kategorien. Wir haben Wörter für sie. Tiere haben vielleicht keine Wörter dafür, aber auch sie nehmen Dinge durch Kategorien wahr: Nahrung, keine Nahrung. 

Überschätzen oder unterschätzen nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit 

Wir wollen das, was wir mit nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit anstreben, nicht überschätzen. Meinen wir, einfach nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit zu haben, würde uns von selbst Befreiung und Erleuchtung bringen, und zwar im ersten Augenblick, in dem wir sie haben, würden wir sie überschätzen. Vielmehr ist es notwendig, ein hohes Maß an positiver Kraft aufzubauen. Nach einer Zillion von Zeitaltern werden wir den ersten Moment nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit haben. Wir benötigen jedoch noch zwei weitere Zillionen von Zeitaltern: eine für die Befreiung und noch eine für die Erleuchtung. 

Nur das Verständnis der Leerheit für sich ist also nicht genug. Diese nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit muss von einem unglaublichen Maß an positiver Kraft gestützt werden, um dieser ständigen und anfangslosen Gewohnheit des Glaubens an den Unsinn, den unser Geist projiziert, entgegenzuwirken und ihn loszuwerden. Es erfordert eine enorme Kraft, eine wahre Beendigung dessen zu bewirken. Daher benötigen wir diese riesige Ansammlung positiver Kraft, sowie eine Ansammlung tiefen Gewahrseins, was eine immer größere Vertrautheit mit nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit ist. Sie werden für gewöhnlich als die „zwei Ansammlungen“ oder die zwei Netzwerke von Verdienst und Weisheit bezeichnet.

Wenn wir es unterschätzen, würden wir denken, die Wahrnehmung der Leerheit selbst-begründeter Existenz könne nur konzeptuell sein, niemals nichtkonzeptuell, und wir bräuchten noch etwas, um eine wahre Beendigung unseres mangelnden Gewahrseins, unserer Unwissenheit zu erreichen.

Der Nutzen nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit 

Was ist der Nutzen, diese nichtkonzeptuelle Wahrnehmung zu erlangen? Nun, es führt, zusammen mit dem Ansammeln der Netzwerke positiver Kraft und tiefen Gewahrseins, zu den wahren Beendigungen. Zunächst bewirkt es eine wahre Beendigung doktrinär bedingter Unwissenheit. Durch irgendein System wurde uns beigebracht, dass das, was erscheint, der Realität entspricht. Dem setzen wir erst einmal ein Ende und erkennen: „das war falsch“. 

Dann lösen wir uns von der automatisch erscheinenden Unwissenheit, die einfach von selbst auftaucht, weil es in dieser trügerischen Weise mit unserer begrenzten Hardware so zu sein scheint. Je mehr wir erkennen, dass es da nichts gibt, was diese Erscheinungsweise stützt – es gibt keinen kleinen Mann im Computer – und je mehr uns klar wird, dass dies nicht der Realität entspricht, desto eher wird der Geist irgendwann damit aufhören, es zu projizieren, und so lösen wir uns von dieser begrenzten Hardware. Das sind die Nutzen des Erlangens nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit: sie führt zu Befreiung und Erleuchtung, aber in Stadien.

Was tun wir, wenn wir diese nichtkonzeptuelle Wahrnehmung erlangt haben? Wir entwickeln sie immer weiter und machen uns immer mehr mit ihr vertraut, indem wir zunehmend tiefes Gewahrsein schaffen. Wir bauen also unser Netzwerk tiefen Gewahrsein auf und während wir das tun, sammeln wir auch immer mehr positive Kraft an.

Die Methode zum Erlangen dieser nichtkonzeptuellen Wahrnehmung stützt sich auf Argumentationsketten zum Erlangen konzeptueller Wahrnehmung. Es gibt fünf klassische Argumentationsketten, die für das Verständnis der Leerheit benutzt werden. Wir haben keine Zeit, sie durchzugehen, aber ich habe sie auf meiner Webseite. 

[Siehe: Begründung der Leerheit: Die fünf großen Madhyamaka-Argumente]

Durch die Logik dieser Argumentationsketten kommen wir zu der Schlussfolgerung, dass es so etwas, wie selbst-begründete Existenz, nicht gibt. Dinge werden nicht einfach so, von sich aus, begründet. Das ist unmöglich. 

Der Prozess des Erlangens nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit: Shamatha und Vipashyana 

Wie sieht der Vorgang zum Erlangen nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit aus? Zunächst erlangen wir durch Schlussfolgerung eine korrekte konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit. Dann erreichen wir Shamatha, einen still gewordenen und zur Ruhe gekommenen Geist, der konzeptuell auf Leerheit gerichtet ist – als vollkommene, auf die Leerheit gerichtete Konzentration. Danach erreichen wir eine Verbindung von Shamatha und Vipashyana, mit der wir uns konzeptuell auf die Leerheit richten. Vipashyana ist ein Geisteszustand von außergewöhnlicher Wahrnehmungsfähigkeit, der ohne diesen ganzen inneren Dialog alle Details und alle möglichen Begründungen wahrnimmt und gleichzeitig Leerheit begründet.

Zur gleichen Zeit gilt es, ein hohes Maß an positiver Kraft aufzubauen, indem wir eine Bodhichitta-Ausrichtung haben, die dann zur nichtkonzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit führen wird. 

Kann jemand ein Verständnis der Leerheit erlangen, ohne die Motivation zu haben, Samsara zu entsagen oder ohne die Entsagung von Samsara und ohne Bodhichitta? Wie weit kann man kommen? Die Antwort ist ja, man kann ein korrektes Verständnis der Leerheit haben, aber man kommt nur bis zum Shamatha der konzeptuellen Ausrichtung darauf. Man würde nicht bis zum Vipashyana kommen und mit Sicherheit keine nichtkonzeptuelle Wahrnehmung erlangen, weil man ein hohes Maß an positiver Kraft benötigt, um diese Zustände zu erreichen. Das würde also fehlen. Ein Professor könnte ein korrektes Verständnis der Leerheit haben und sie Menschen im Unterricht erklären, aber wenn er nicht die richtige Motivation hat, würde es nicht helfen, frei von Wut und Anhaftung zu werden, um es einmal ganz einfach auszudrücken. 

Wir können überzeugt sein, dass wir diese nichtkonzeptuelle Wahrnehmung durch Gewissheit in Bezug auf die Argumentationsketten und Logik erlangen können, sowie durch das Verständnis der Notwendigkeit für all diese positive Kraft. 

Das ist die Präsentation dieses doch recht schwierigen Themas: Entsagen des Klammerns an selbst-begründete Existenz und die Leerheit zu unserem Hauptanliegen zu machen.

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