Gibt es noch irgendwelche Fragen zu dem, was wir heute Morgen besprochen haben? Es ging darum, dass Leerheit die Abwesenheit von unmöglichen Existenzweisen oder unmöglichen Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung ist, und dass es sich um das gleiche Wort handelt, das in den indischen Sprachen für Null benutzt wird. Zudem haben wir gesehen, dass der Geist, den wir im Buddhismus als geistige Aktivität bezeichnen, individuell und subjektiv ist, und „Erscheinungen“, also so genannte geistige Hologramme, hervorbringt. Durch unsere gewohnheitsmäßige Verwirrung wird durch diese geistigen Hologramme etwas projiziert, was unmöglich ist, obwohl es auch Ebenen geben mag, die korrekt sind. Wenn wir uns dann auf dieses geistige Hologramm fokussieren, glauben wir unter dem Einfluss von Verwirrung, es würde der Realität entsprechen und aus diesem Glauben folgen dann bestimmte Emotionen, destruktives Verhalten usw.
Mit dem Verständnis der Leerheit negieren wir dann, dass dies durch etwas untermauert oder gestützt wird, indem wir sagen, es würde so etwas nicht geben. Mit anderen Worten scheint es, als würden wir uns auf etwas richten, das im Grunde unmöglich ist und durch nichts bekräftigt wird. Es beruht oder gründet also auf nichts Realem. Sobald wir erkennen, dass unsere fehlerhafte Projektion durch nichts gestützt oder getragen wird, hören wir auf, an diese Projektion zu glauben. Es ist, als würde man einen Ballon zum Platzen bringen. Und je mehr wir schließlich realisieren, dass diese Erscheinung völliger Unsinn ist, brechen wir früher oder später mit der Gewohnheit, diese falsche Erscheinung hervorzurufen. Irgendwann hören wir dann auf, mit unserem Geist, diese unsinnigen Projektionen zu fabrizieren.
Ob wir nun etwas projizieren und meinen, wir wären nicht gut genug oder schuldig in Bezug auf das, was unserem Kind passiert ist, oder ob es sich um etwas Subtileres handelt und wir alle Dinge betrachten, als wären sie in Plastik verpackt, für sich getrennt und selbst-begründet, ist der Vorgang, mit dem wir uns von einer dem zugrundeliegenden Basis befreien, der gleiche. Es gab niemals etwas, was diese falschen Erscheinungen gestützt und bekräftigt hätte. Es gibt also keine Hexen, die Menschen in Frösche verwandeln können. Es gibt keinen Weihnachtsmann und auch keinen perfekten Partner auf einem weißen Pferd, der irgendwo dort draußen auf mich wartet. Und vielleicht fangen wir an wie Babys zu weinen, wenn unsere Luftballons dieser Fantasievorstellungen platzen, aber so ist das Leben. Wir werden darüber hinwegkommen.
Es ist jedoch interessant zu sehen, wie hartnäckig wir sind. Wir wollen nicht glauben, dass es nicht so etwas wie eine Wirklichkeit gibt, die unserer Fantasie entspricht. Wir denken: Dieser Partner hat sich vielleicht nicht als der Prinz oder die Prinzessin auf dem weißen Pferd herausgestellt, aber der nächste wird es bestimmt und wenn dies nicht funktioniert hat, wird vielleicht das nächste funktionieren. Wir geben die Hoffnung für etwas nicht auf, das unmöglich ist und das könnte natürlich in viele Richtungen gehen. Wir könnten denken: „Wenn ich einfach hunderttausend Niederwerfungen mache, werde ich erleuchtet werden“, oder: „das hat vielleicht nicht funktioniert, aber wenn ich nochmal hunderttausend mache, wird es schon klappen.“ Nur die Niederwerfungen allein werden uns nicht zur Erleuchtung führen. Es ist notwendig, mehr als das zu tun und ich bin mir sicher, uns fallen viele Beispiele ein, die hier zutreffen würden. Wir sollten nicht einfach denken, Leerheit wäre eine theoretische Sache, die etwas mit abstrakter Philosophie zu tun hat. Es gibt so viele alltägliche Beispiele: „Wenn ich nur genug Geld hätte, wäre ich glücklich“, oder „wenn du mir nur oft genug sagen würdest, dass du mich liebst, würde ich mich vielleicht sicherer fühlen.“ Im Grunde geht es darum zu verstehen, was unmöglich ist.
Gab es dazu noch irgendwelche Fragen?
Hier geht es lediglich um geistige Konstrukte. Vielleicht haben wir beruhend auf diesen falschen geistigen Konstrukten ein Art schlechte Handlung begangen und empfinden daraufhin echte Schmerzen. Ist das nicht ein Beweis dafür, dass diese geistigen Konstrukte auf einer gewissen Ebene der Wahrheit entsprechen? Anscheinend gibt es diese geistigen Konstrukte und wir verstehen, dass sie irgendwie falsch sind, jedoch erfahren wir echte Resultate und wirkliche Schmerzen.
Nun, die geistigen Konstrukte existieren – wir sagen nicht, sie würden nicht existieren – und auch unser Glaube an sie existiert. Diese Dinge haben dann eine Wirkung. Was abwesend ist oder fehlt, ist, dass diese falschen Erscheinungen irgendetwas entsprechen oder sich auf etwas Reales beziehen. Es gibt aber kein bezeichnendes Ding, auf das sie sich beziehen. Wenn ich annehme, dass es Hexen gibt, die Menschen in Frösche verwandeln können, ist die Angst die ich erlebe ziemlich real und auch die furchtbaren Taten, die ich demzufolge gegenüber bestimmten Frauen begehen würde, wären sehr real. Es ist jedoch nicht real, dass es tatsächlich Hexen gibt, die Menschen in Frösche verwandeln können. Die Vorstellung ist da und auch das Konzept; diese Dinge existieren.
Übrigens sollte ich darauf hinweisen, dass es sich hierbei um eine buddhistische Methodik handelt, die darin besteht, extreme und völlig absurde Beispiele zu benutzen, wie eine Hexe, die Menschen in Frösche verwandeln kann. Denn wenn wir es uns an einem absurden Beispiel betrachten, bekommen wir eine allgemeine Vorstellung davon und schließlich können wir es dann auf andere Beispiele übertragen, die nicht so absurd scheinen, da wir im Grunde an sie glauben. Zum Beispiel glauben wir an den perfekten Partner, oder im Bereich der Kausalität meinen wir, einen wirklich guten Freund oder eine gute Freundin zu bekommen, wenn wir uns immer an die neuste Mode halten; das wäre hier eine kausale Verbindung.
Irgendwelche anderen Fragen?
Um noch einmal auf das Beispiel dieser Periskop-Sichtweise zurückzukommen: habe ich es richtig verstanden, dass sie korrekt ist? Habe ich also ein korrektes Verständnis der Leerheit, heißt das, ich habe trotzdem nur dieses kleine Blickfeld, jedoch ohne irgendwelche falschen geistigen Vorstellungen und habe ich dann Buddhaschaft erlangt, werde ich einen 360-Grad-Blickwinkel haben.
So ist das ungefähr. Es gibt verschiedene Ebenen des Verständnisses der Leerheit. Nehmen wir das Beispiel des Periskops, verstehen wir zunächst, dass die Dinge so nicht wirklich existieren, wenn wir durch das Periskop schauen. Am Anfang versuchen wir also, unsere Konzentration völlig darauf zu richten, dass es so etwas nicht gibt und das die Realität nicht auf diese Weise existiert. Das ist nur ein einfaches Beispiel. In dem Moment, in dem wir uns auf „so etwas nicht“ fokussieren, gibt es keine Erscheinung.
Es gibt keine Erscheinung?
Nein, es gibt keine Erscheinung. Es erscheint nichts.
Wir denken beispielsweise, es gäbe noch Schokolade im Haus. Wenn wir an diese Schokolade denken, erscheint vielleicht ein Stück Schokolade in unseren Gedanken und dann suchen wir danach in unserem Haus. Wir suchen und suchen, und schließlich finden wir zu unserem Leidwesen heraus, dass es keine Schokolade mehr gibt. Wir wollen es vielleicht nicht glauben und so suchen wir weiter, um sicherzugehen, und irgendwann geben wir dann auf. Es gibt keine Schokolade. Wir richten uns nun also darauf aus – wir schließen unsere Augen und fokussieren uns – und denken: „Nein, es gibt keine Schokolade.“ Was erscheint dann in unserem Geist? Wir denken einfach: „Es gibt keine.“ Was erscheint dann?
Vermutlich Schokolade.
Nein. Dann würdest du denken, es gäbe Schokolade. Es geht aber darum zu denken: „Es gibt keine“.
Nur eine leere Verpackung.
Das wäre: „keine Schokolade in der Verpackung.“ Denkt einfach: „Es gibt keine.“ Dann erscheint nichts, einfach gar nichts, null. Es gibt keine Schokolade.
Aber man kann doch nicht sagen, dass nichts erscheint.
Hier wird es wirklich tief philosophisch. Gibt es ein „Nichts“, das dann in Erscheinung treten kann? Das ist im Grunde keine so abwegige Diskussion, die besonders beim Thema Ursache und Wirkung ins Spiel kommt. Wenn von einem entstehenden Resultat die Rede ist, kann dann aus einem „Nichts“ „etwas“ werden? Beispielsweise gibt es zunächst „nichts“, was dann zu „etwas“ wird und wenn es aufhört, wird dann das „Etwas“ zu einem „Nichts“? Darüber zu reden, ist an sich gar nicht so abwegig und gewissermaßen kann es viele Auswirkungen nach sich ziehen, wie zum Beispiel bei der Abtreibung, bei der man denkt, da gäbe es etwas und wenn man es beseitigt, ist es ein Nichts.
Wir werden jedoch nicht darauf eingehen, wie so ein „Nichts“ aussieht. Es wird gesagt, es wäre wie ein leerer Raum, eine Leere, wie der Weltraum. Diese Analogien werden verwendet. Anfangs betrachten wir ein von einer Linie umrandetes Universum, das wir auf begrenzte Weise durch das Periskop wahrnehmen, als etwas, dass es so nicht gibt. Es ist nicht einfach nur so, dass nichts erscheint, sondern wir verstehen in diesem Zusammenhang, dass es sich um die Abwesenheit einer unmöglichen Existenzweise handelt. Es ist keine Abwesenheit eines Dinosauriers im Zimmer oder so etwas. Konzentrieren wir uns auf „keine Schokolade im Haus“ und „kein Dinosaurier im Haus“, ist die Erscheinung die Gleiche: einfach nichts. Unser Verständnis ist anders; einfach ausgedrückt kann man sagen, dass es mit einem Verstehen einhergehen muss. Daraufhin fokussieren wir uns einfach vollkommen auf „so etwas nicht“. Beschäftigen wir uns mit der Meditation über die Leerheit, kommt es darauf an, dass es so etwas nicht gibt. Wir sind überzeugt davon und haben ein vollständiges Verständnis in Bezug darauf.
Es tritt also nichts in Erscheinung – wir fokussieren uns auf „so etwas nicht“, treten zurück und obwohl wir weiterhin die Dinge durch das Periskop betrachten, erscheinen sie uns wie eine Illusion. Zunächst scheint es so, als wären diese Dinge alles, was es gäbe, aber das ist eine Illusion, denn so ist es nicht wirklich. Vielmehr ist es wie eine Illusion. Die Dinge scheinen auf eine Weise zu existieren, aber dem ist nicht so. Zu verstehen, dass Erscheinungen wie eine Illusion sind, ist eine Folge der völligen Vertiefung in „so etwas nicht“, der völligen Vertiefung in Leerheit. Anders ausgedrückt folgt der Vertiefung in Leerheit unmittelbar das Verständnis, dass Dinge wie eine Illusion sind. Wir befreien uns von der falschen Erscheinung und wenn sich diese falsche Erscheinung wiederholt, verstehen wir, dass sie wie eine Illusion ist. Der eigentliche Begriff dafür ist „nachfolgende Erlangung“ (tib. rjes-thob). Die nachfolgende Verwirklichung, die wir nach der völligen Vertiefung in Leerheit erlangen, besteht darin, alles als eine Illusion zu betrachten. Dieser Begriff „nachfolgende Erlangung“ wird normalerweise als „Periode der Nachmeditation“ übersetzt, aber diese Übersetzung ist irreführend. Nachmeditation heißt im Grunde: nach der völligen Vertiefung in Leerheit, aber es ist nicht so, als wären wir fertig mit der Meditation und würden aufstehen, obwohl es auch sein könnte.
Die Dinge erscheinen uns also wie in einem Periskop, aber wir sind uns bewusst, dass sie eine Illusion sind. Die Dinge existieren nicht wirklich auf diese Weise. Aufgrund meiner begrenzten Hardware erscheint es mir nur so. Ich kann nur durch diese zwei Löcher im vorderen Teil meines Kopfes schauen und sehe beispielsweise nicht, was sich hinter meinem Kopf befindet. Hier gibt es also körperliche und geistige Grenzen.
Nebenbei bemerkt gibt es, soviel ich weiß, Experimente, in denen dargestellt wird, was eine Fliege durch Fliegenaugen oder eine Spinne durch Spinnenaugen wahrnehmen kann. Sie besitzen diese facettenreichen Prismen und können in mehrere Richtungen schauen, denn ihre Augen sind nicht so glatt wie unsere. Da stellt sich für uns natürlich die Frage: „Hat denn dann eine Sichtweise mehr Gültigkeit als die andere?“ Und dann beginnen wir, das Ganze in Form von geistigen Hologrammen und Erscheinungen zu verstehen. Solange wir jedoch begrenzte Wesen sind, haben wir nur diese Periskop-Sichtweise. Wenn von fühlenden Wesen die Rede ist, bezieht sich das im Grunde auf begrenzte Wesen mit einem begrenzten Geist und einem begrenzten Körper, und in diesem Sinne ist ein Buddha kein fühlendes Wesen. Und auch wenn wir nicht daran glauben, sind wir auf diese Weise beschränkt und tatsächlich kann nur ein Buddha, der allwissende Geist eines Buddhas, wahrnehmen, wie alles miteinander verbunden ist.
Um es noch vereinfachter auszudrücken: in unserem gewöhnlichen Geist erscheinen die Dinge getrennt voneinander, als wären sie von Linien umrandet oder von Plastik umhüllt, wie in diesem Beispiel, in dem ich beschrieben habe, wie der Kopf dieser Person von dem Hemd der dahinter sitzenden Person unterschieden wird. Mit unserem begrenzten Geist können wir nur Dinge erscheinen lassen, als wären sie von Linien umrandet. Betrachten wir es dann im Sinne von Leerheit, wären wir uns bewusst darüber, dass es so etwas wie diesen Linien nicht gibt. Das ist absurd, denn Dinge existieren nicht auf diese Weise, von Linien umrandet. Mit unserem begrenzten Geist und unserem begrenzten Körper können wir Erscheinungen als etwas betrachten, das entweder von Linien umrandet ist, oder dass es so etwas wie diese Linien nicht gibt. Es ist nicht möglich, diese beiden Dinge gleichzeitig wahrzunehmen. Linien und keine Linien können nicht zur gleichen Zeit auftreten, also müssen wir zwischen diesen beiden wechseln. Wenn die Linien erscheinen, betrachten wir das als absurd und als etwas, das nichts Realem entspricht. Das ist das Beste, was wir hier tun können. Nur der allwissende Geist eines Buddhas, der nicht durch die Art von begrenztem Körper und begrenztem Geist limitiert ist, wie wir sie haben, kann Dinge ohne Linien erscheinen lassen und damit verstehen, dass es so etwas wie diese Linien nicht gibt.
Daher geht es bei der ersten edlen Wahrheit – der Wahrheit des Leidens, des wahren Leidens – um drei Arten von Leiden. Zunächst gibt es das Leiden des Schmerzes und Unglücklichseins, was oft auch nur als Leid des Leidens bezeichnet wird. Dann haben wir das Leiden oder Problem der Veränderung, was sich auf unser gewöhnliches Glücklichsein bezieht. Hier besteht das Problem darin, dass es nicht anhält, nie zufriedenstellend ist und wir nie genug davon haben. Wenn es dann endet, wissen wir nicht was als Nächstes kommen wird und daher haben wir diesbezüglich keine Sicherheit und keine Gewissheit. Und was uns anfangs Freude bereitet – wenn wir beispielsweise draußen an der Sonne sind – führt schließlich, um so mehr wir davon bekommen, zu Leid und wir wollen nur noch der Sonne entfliehen. Die dritte Art des Leidens ist das alles umfassende beeinflussende Leiden. Es ist „alles umfassend“ und schließt die ersten beiden Arten des Leidens und jeden Augenblick unserer Erfahrung, mit dem Auf und Ab von gewöhnlichem, unbeständigem und flüchtigem Glück und Leid, mit ein. Diese zwei, das Glücklichsein und das Unglücklichsein kommen und gehen und die Art von Leid ist bedingt, da es diese Zustände beeinflusst.
Worum geht es also? Es geht darum, dass wir einen unkontrollierbar sich wiederholenden begrenzten Körper und Geist bekommen und haben. Das ist Samsara: unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburt. Aufgrund dieser begrenzten Hardware erfahren wir die Höhen und Tiefen des Lebens. Diese begrenzte Hardware bringt eine begrenzte Art von Erscheinungen, falsche Erscheinungen, hervor und wir glauben an sie. Das führt dann dazu, dass wir alle möglichen störenden Emotionen haben. Beruhend darauf führen wir Handlungen aus und sie führen zu diesem Gefühl des Unglücklichseins oder dem Gefühl des flüchtigen Glücks. Es gilt also, sich von dieser unkontrollierbar sich wiederholenden Grundlage zu befreien und darin besteht im Grunde der Fokus der buddhistischen Praxis.
Sogar Tiere versuchen das Leid des Schmerzes zu vermeiden und daher ist es nichts Außergewöhnliches. Die zahlreichen Weltreligionen sind darauf ausgerichtet, sich von der gewöhnlichen, unbefriedigenden Art des weltlichen Glücks zu befreien, indem sie das Himmelreich anstreben. Daran ist also auch nichts Besonderes. Das Besondere am Buddhismus ist, dass es in ihm darum geht, sich von dieser unkontrollierbar sich wiederholenden Basis, unseren so genannten „befleckten Aggregaten“ (dem Körper und Geist), zu lösen. Sie sind befleckt mit Verwirrung, Unwissenheit oder mangelndem Gewahrsein, wie immer man es bezeichnen möchte. Sie entstehen auf dieser Grundlage, sind damit vermischt und bringen immer mehr davon hervor.
Diese Fragen sind nützlich, da sie zu weiteren Erläuterungen führen. Auf diese Weise sind unsere Ausführungen nicht linear und so können wir das Bild aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Das ist wirklich hilfreich, denn wir können Dinge zum einen durch lineare Darlegungen verstehen und zum anderen, indem wir verschiedene Teile zusammenfügen. Beide Arten des Lernens sind nützlich und wie ich bereits betont habe ist es notwendig sich wirklich zu bemühen diese Dinge zu verstehen, sie zusammenzufügen, sie in unserem Leben zu integrieren und sie zu analysieren.
Hier ist nun die Rede von drei verschiedenen Ebenen des abhängigen Entstehens und wenn wir von nichtstatischen Phänomenen sprechen, meinen wir Dinge, die sich ändern, ob sie nun ewig andauern und sich ständig ändern oder nur für kurze Zeit da sind. Außerdem werden diese Dinge von Ursachen und Bedingungen beeinflusst. Sie entstehen also in Abhängigkeit, wobei sich das Wort „entstehen“ nicht nur auf den ersten Augenblick bezieht, sondern auf jeden Moment, der in der Kontinuität einer Sache in Erscheinung tritt. Diese Dinge entstehen also in Abhängigkeit von Ursachen und Bedingungen. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir nicht nur davon reden, durch was etwas erschaffen wird, sondern dass alles, was wir hier analysieren, sich von einem Augenblick zum nächsten ändert. Beispielsweise ändert sich der Geisteszustand oder das Problem einer Person von einem Augenblick zum nächsten und jeder Augenblick entsteht auf der Grundlage oder in Abhängigkeit von verschiedenen Ursachen und Bedingungen.
Wir hatten das Beispiel der Magersucht unseres Kindes. Nun, was ist Magersucht? Es ist eine Sache, die sich nicht nur auf einen Moment bezieht, einfach auftaucht und dann da ist. Vielmehr handelt es sich um eine Verhaltensweise. Das Kind ist lebendig und sammelt 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, Erfahrungen und jeder Augenblick im Erleben des Kindes ist anders. Wir betrachten die Sache nicht nur durch eine Variable, durch die Kategorie „Magersucht“ oder „Bulimie“. Das Beispiel der Bulimie ist vielleicht etwas nachvollziehbarer, denn es hat etwas mit der so genannten „Ess-Sucht“ zu tun, bei der man zu viel oder auch ganz normal isst und sich danach übergibt. Jeder Augenblick wird natürlich durch Ursachen und Bedingungen beeinflusst. In unserem Beispiel hatten die Eltern das Gefühl, es wäre alles ihre Schuld. Und obwohl wir hier genau genommen nicht von Leerheit sprechen würden, müssen wir verstehen: es ist schlichtweg unmöglich, dass diese Situation so entstanden ist und sich jeden Augenblick auf diese Weise fortsetzt, mit uns, als den einzigen Schuldigen, die das Ganze verursacht haben. Denn wenn wir daran glauben, macht uns das äußerst unglücklich und trübselig. Wir fühlen eine so genannte Schuld und das wird wahrscheinlich dazu führen, die Situation nicht wirklich bewältigen zu können.
Wir können uns also fragen: Wie ist diese Situation entstanden und wodurch wird sie aufrechterhalten? Ist die Situation einfach so in Erscheinung getreten? Ist es vielleicht Schicksal? Hatten wir einfach Pech, oder war es eine Strafe Gottes? Was ist die Ursache? Wenn wir denken, es wäre einfach so passiert oder hatte keine richtige Ursache und wir können eh nichts dagegen tun, ergibt das nicht wirklich viel Sinn, denn meistens führt das dann zu der Frage: „Warum ich?“ Und das hat dann natürlich etwas damit zu tun, dass wir eine ganz falsche Vorstellung in Bezug darauf haben, wie wir existieren. Wir denken: „Ich bin so etwas Besonderes. Warum sollte es mir passieren?“ Wir messen also dem „Ich“ eine große Bedeutung bei.
Wenn wir uns dann ein bisschen mit dem Buddhismus beschäftigt haben, sagen wir: „Nun, es ist das Karma des Kindes. Das Kind hatte sich vielleicht in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit schädlich verhalten und hatte gewohnheitsmäßige störende Emotionen, störende Verhaltensweisen und ein niedriges Selbstwertgefühl.“ Und Magersucht und Bulimie haben etwas mit zwanghafter Kontrolle zu tun, bei der man immer alles im Griff haben will. Man will perfekt sein, ist es aber nicht und hat daraufhin ein niedriges Selbstwertgefühl. All diese Dinge sind an dieser kausalen Verbindung beteiligt. Die Situation ist in Abhängigkeit dessen entstanden und wird abhängig von all diesen karmischen Faktoren auf Seiten des Kindes aufrechterhalten. Das ist ganz einfach so.
Aber dann stellt sich die Frage: „Sind das alle ursächlichen Faktoren, die es hier gibt?“ Nein, das sind bei weitem nicht alle und wir sollten auch nicht denken: „Mein Kind hat das verdient und daher sollte es einfach den Mund halten und es akzeptieren, und wir ebenso.“ Das ist mit Sicherheit kein korrektes Verständnis in Bezug auf Karma. Jedoch sind bestimmte Situationen in der Vergangenheit im geistigen Kontinuum dieser Person aufgetaucht, und diese Person ist in diesem Leben mein Kind. All diese Situationen sind in Abhängigkeit von so vielen anderen kausalen Dingen in Erscheinung getreten, die sich in diesem und früheren Leben ereignet haben. Da gibt es also etwas auf Seiten des kausalen Ablaufes und es gibt bestimmte Dinge auf Seiten der Person, die die karmischen Resultate erfährt, welche die karmischen Tendenzen und Gewohnheiten zum Reifen bringen. Um all das geht es in den zwölf Gliedern des anhängigen Entstehens. Dies ist nicht wirklich der richtige Moment, um darauf näher einzugehen. Es gibt jedoch einen sehr komplexen Mechanismus in Bezug darauf, was karmische Tendenzen verursacht und sie im Zusammenhang mit unseren falschen Geisteshaltungen reifen lässt.
Hier in unserer Darlegung geht es jedoch um die Bedingungen. Man braucht bestimmte äußere Bedingungen – nicht nur innere, sondern äußere Umstände in der Umgebung – damit etwas Karmisches zur Reife kommen kann. Hier kommen wir nun zu dem Thema unserer Rolle als Eltern.
Die Beziehung zwischen Ursachen und Bedingungen, und wie sie aufeinandertreffen, ist ziemlich subtil und nicht einfach zu verstehen. Hier ein Beispiel einer falschen Analyse. Nehmen wir einmal an, ich habe das Karma, von einem Auto angefahren zu werden. Ist es nun mein Karma, dass den anderen dazu bringt, mich mit seinem Auto genau in dem Moment auf der Straße anzufahren? Ist das so? Nein. Aber wir könnten diese Vorstellung haben und fälschlicherweise daran glauben. Es ist also nicht so, dass mein Karma diese Umstände oder Bedingungen geschaffen hat.
Natürlich hätte ich nicht von einem Auto angefahren werden können, wenn nicht jemand mit einem Auto vorbeigekommen wäre. Es gibt also alle möglichen karmischen Gründe und Bedingungen – ob wir das nun karmisch oder auf eine andere Weise erklären – warum jemand mit dem Auto unterwegs war. Vielleicht musste er einkaufen fahren oder etwas anderes erledigen. Und er hätte nicht mit dem Auto fahren können, wenn es kein Benzin und keine Tankstellen geben würde. Es gibt so viele Dinge, von denen es abhängig ist, ein Auto fahren zu können. Darin besteht nun die Schwierigkeit: zu versuchen, diese Wirkungsweise zu verstehen. Ich habe das Karma von einem Auto angefahren zu werden, das von dir gefahren wird, und du hast das Karma, mich mit deinem Auto anzufahren. Wie stehen diese beiden Dinge zueinander in Verbindung? Nun, sie sind nicht nur von diesen zwei Karmas abhängig. Vielmehr waren zahlreiche andere Faktoren daran beteiligt: ich habe das Auto gekauft, ich musste einkaufen gehen und es gab eine Straße, die gebaut wurde. All diese Dinge haben hier ebenfalls etwas mit der kausalen Verbindung zu tun.
Zu denken: „Wenn ich meinen Partner nicht geheiratet hätte, wäre es nicht zu der Geburt meines Kindes gekommen und das Kind wäre nicht bulimisch“, ist doch einfach verrückt, oder nicht? Es gibt Kinder, die eine genetisch bedingte Neigung dazu haben, Alkoholiker zu sein. Man könnte also sagen: „Mein Partner war Alkoholiker und wenn ich ihn nicht geheiratet hätte, wäre es nicht zu der Geburt meines Kindes gekommen, das die Gene eines Alkoholikers hat. Es ist also alles meine Schuld, dass ich die Ehe mit dieser Person eingegangen bin. Ich habe den Falschen geheiratet.“ Das sind die Missverständnisse, die hier auftreten.
Es gibt jedoch unzählig viele Ursachen und Bedingungen, die einen Einfluss ausüben, und das bedeutet nicht, dass wir nicht auf gewisse Weise verantwortlich sind und eventuell an einigen Bedingungen beigetragen haben; jedoch nicht an allen. Wir denken: „Ich habe dieses Kind zur Welt gebracht. Nun, wenn ich ihm nicht Geburt gegeben hätte, würde das Kind nicht dieses Problem haben. Oder ich würde nicht das Problem haben, mich mit so einem Kind auseinandersetzen zu müssen.“ Dieses geistige Kontinuum, das als mein Kind geboren wurde, wäre dann als das Kind von anderen zur Welt gekommen. Vielleicht hatte es das Karma, als mein Kind geboren zu werden – wenn nicht in diesem Leben, dann in einem anderen. Oder es wäre als das Kind von anderen geboren worden, die sich dann mit den bulimischen Essstörungen, den Alkoholproblemen und was auch immer auseinandersetzen müssten. Für mich wäre dann vielleicht diese karmische Sache, so ein Kind zu haben, beendet, ich würde ein anderes Kind haben oder dieses Karma überwinden.
Wie dem auch sei, es ergibt keinen Sinn zu versuchen, die Frage der Schuld wegen einer bereits aufgetretenen Sache zu analysieren, insbesondere wenn wir ein falsches Verständnis in Bezug auf die Funktionsweise der Kausalität haben. Vielmehr geht es darum, die gegenwärtige Situation zu betrachten und sich zu fragen, wie man damit umgehen kann. Da sie in Abhängigkeit auftritt, entsteht auch jeder Augenblick in Abhängigkeit. Wie können wir dazu beitragen, keine Bedingungen hervorzurufen, durch die sich die Situation weiter fortsetzt. Wenn unser Kind Alkoholprobleme hat, sollten wir ganz offensichtlich kein Bier im Kühlschrank oder Wodka in der Bar herumstehen haben. Und wir sollten das Kind nie allein zu Hause lassen, wenn es bulimische Essstörungen hat, damit es nicht einfach eine ganze Schachtel Schokolade oder Süßigkeiten aufessen kann, was dann dazu führen würde, dass ihm schlecht wird und es sich übergeben muss. Am besten wir kaufen diese Dinge gar nicht erst, damit sie nicht zu Hause herumliegen. Auf diese Weise versuchen wir, keine Umstände zu schaffen, die das Problem weiter fortsetzen würden. Aber ob das Kind weiterhin bulimische Essstörungen hat oder nicht, hängt nicht allein davon ab, ob wir ständig zu Hause sind und kontrollieren, was das Kind isst und ob es nach dem Essen ins Bad geht, um sich zu übergeben. Uns sollte klar sein, dass ein Kind, insbesondere wenn es ein Teenager ist, immer einen eigenen Weg findet, egal wie sehr die Eltern auch versuchen, es zu kontrollieren.
Wir haben diese falsche Vorstellung und hier geht es nicht nur um Kausalität, sondern um ein tiefergreifendes Missverständnis, bei dem wir meinen, es gäbe ein „Ich“, das diese ganze Situation des Problems mit den Essstörungen des Teenagers irgendwie kontrollieren könnte. Wir meinen es kontrollieren zu können, wie wir aussehen und wollen die Kontrolle darüber haben, was in unseren Körper hineingeht und was wieder herauskommt. Auf diese Weise versuchen wir gut genug dafür zu sein, um von anderen Teenagern geliebt und akzeptiert zu werden.
Geht es um Magersucht?
Magersucht oder Bulimie. Bulimie ist das Gleiche. Man übergibt sich, um eine gute Linie zu bewahren; aber statt ständig zu hungern, entwickelt man so eine Anhaftung ans Essen, dass man sich erst einmal vollstopft und sich dann übergibt. Das sind zwei Arten von Essstörungen. Es handelt sich um ein ziemlich häufiges Problem bei Teenagern, das besonders durch diese super-dünnen Models noch verschärft wird. Mancherorts versucht man dem entgegenzusteuern, indem man klarstellt, dass es sich dabei nicht um das Schönheitsideal von jungen Mädchen handelt.
Es gibt also dieses „Ich“, das alles unter Kontrolle hat: wie man aussieht, was für einen Körper man hat; einfach alles. Und dann gibt es die Eltern, die denken, dass sie irgendwie alles kontrollieren könnten. Wir meinen, es gäbe dieses solide „Ich“, dass Dinge kontrollieren kann und bestimmt, was passieren wird. Es handelt sich um ein unzutreffendes Verständnis in Bezug darauf, wie ich existiere, wie das „Ich“ existiert, und ein Missverständnis in Bezug auf Ursache und Wirkung. Welches Verständnis wir auch immer haben, um die Situation zu dekonstruieren: es wird auf jeden Fall hilfreich sein.
Zu welchem Verständnis gelangen wir also, wenn wir diese Ebene des abhängigen Entstehens begreifen, das mit der Leerheit oder der Abwesenheit von etwas Unmöglichem in Zusammenhang steht? Wir verstehen, dass eine Situation durch tausende verschiedener Ursachen und Bedingungen in Erscheinung getreten ist und weiter andauert. Es geht nicht nur um mich, sondern auch um die Kinder in der Schule, die Modehefte und all die vielen Dinge, die diese Situation beeinflussen. Und es ist nicht so, als wäre ich nicht Teil dieser kausalen Verbindung, aber ich bin auch nicht ganz allein dafür verantwortlich. Man könnte meinen: „Nun gut, vielleicht könnte ich ein wenig dazu beitragen“, aber dann beginnt man sich schuldig zu fühlen, weil man denkt, man hätte nicht genug getan. Wir sollten jedoch eine realistische Vorstellung davon haben, was wir tun können. Wir könnten ein wenig dazu beitragen und zum Beispiel zu Hause sein, wenn unser Kind von der Schule kommt, damit es nicht in seine Esssucht verfällt, wenn niemand da ist. Wir können ein wenig helfen. Und wenn wir das noch nicht getan haben und unseren Zeitplan nicht darauf eingerichtet haben, damit jemand zu Hause ist, könnten wir das natürlich ändern. Aber was in der Vergangenheit geschehen ist, ist geschehen und nicht mehr zu ändern. Es bringt nichts, sich Vorwürfe zu machen oder sich schuldig zu fühlen. Wir können nur ändern, wie wir zukünftig handeln werden und das kann nur beruhend darauf geschehen, was realistisch ist.
Das ist direkt mit unserem Verständnis darüber verbunden, wie es sein würde, ein Buddha zu sein. Wenn wir Buddhaschaft erlangen, heißt das dann, dass wir die Kontrolle über alles haben werden, was anderen widerfährt? Nun, wir haben ein unbegrenztes Ausmaß an Mitgefühl gegenüber allen gleichermaßen; nicht nur gegenüber unserem Kind, das dieses Problem hat, sondern gegenüber allen. Und der Vorteil eines Buddhas ist, sich über all die unglaublich vielen Faktoren bewusst zu sein, die zu dieser Situation geführt haben, dass unser Kind beispielsweise diese Essstörungen hat – über all die Ursachen und Bedingungen, die anfangslos sind. Und ein Buddha ist sich, in Bezug auf die vielen Dinge, mit denen er in dieser Situation helfen könnte, über die Konsequenzen einer jeden Sache bewusst und so kann er entscheiden, welche Mittel am geschicktesten und hilfreichsten wären. Das ist natürlich von großer Wichtigkeit, wenn man weiß, welche Hilfe am besten ist. Aber nach wie vor wird das, was diesem Kind geschieht, nicht nur in Abhängigkeit der Taten eines Buddhas, sondern durch Millionen anderer Ursachen und Bedingungen hervorgerufen.
Es ist also überaus wichtig zu verstehen, dass die Dinge, die uns und anderen widerfahren, in Abhängigkeit von Ursachen und Bedingungen entstehen und wir keine völlige Kontrolle über sie haben. Aber wir sind auch in gewissem Maße verantwortlich und müssen Verantwortung übernehmen. Die Balance zwischen diesen zwei Arten des Verstehens ist äußerst wichtig. Ob die Rede nun von einer gescheiterten Beziehung ist oder davon, den Job zu verlieren, ob es darum geht, wie wir in der Schule sind oder wie wir in unserem Büro klarkommen – worum es auch geht: die Dinge entstehen in Abhängigkeit. Und auch wenn die Dinge für uns auf merkwürdige Weise zu existieren scheinen und wir meinen, etwas kontrollieren zu müssen oder denken, es wäre unsere Schuld, wird es durch nichts in der Realität gestützt.
Es reicht nicht, lediglich darüber nachzudenken und zu versuchen, es zu verstehen. Vielmehr müssen wir versuchen, überzeugt davon zu sein, dass das, worüber wir gesprochen haben, korrekt ist. Und nicht nur das, sondern wenn eine schwierige Situation auf uns zukommt, in der wir diese falsche Vorstellung in Bezug auf die Kausalität und die Rolle des „Ichs“ in dem Ganzen projizieren, sollten wir es erkennen und sagen: „Aha! Ich projiziere gerade etwas, das wirklich lächerlich ist“ – und dann den Ballon unserer Fantasie zum Platzen bringen.
Wenn wir denken: „Dieser Freund hat mich abgewiesen und das ist alles meine Schuld“ oder „es ist alles seine Schuld, er ist so ein schrecklicher Mensch“, müssen wir diesen Ballon zerplatzen lassen. Denn die Situation trat abhängig von vielen Dingen in Erscheinung: die andere Person war sehr beschäftigt, hatte eine Familienkrise, ein gesundheitliches Problem oder es gab ein technisches Problem – ihre Telefonleitung war unterbrochen, der Computer war kaputt, oder was auch immer. Es gibt so viele Dinge, die diese Situation beeinflusst haben könnten. Es geht nicht nur darum, das wir ein schlechter Mensch waren und etwas falsch gemacht haben, oder das diese andere Person sich so furchtbar benommen hat. Wenn wir den Ballon unserer Angst, Fantasie usw. zum Platzen bringen, werden wir zur Ruhe kommen. Wir lassen sozusagen all die Luft aus dem Ballon entweichen und das eröffnet uns die Möglichkeit, die Situation auf eine viel entspanntere Weise anzugehen. Geht es um einen Freund, der uns scheinbar abgewiesen hat, könnten wir ihn fragen: „Bist Du mir böse? Wenn ich etwas getan habe, das dich gekränkt hat, tut es mir leid.“ Oder wir fragen einfach: „Was ist los? Warum hast Du mich nicht kontaktiert?“ Und wir versuchen herauszufinden, welche anderen Faktoren damit verbunden sind.
Ich denke an das Beispiel von Eltern, die erwachsene Kinder haben, die weit weg von zu Hause leben und die Eltern nicht wirklich oft anrufen oder sie nicht oft genug besuchen. Die Eltern ärgern sich dann über ihre Kinder: „Warum rufen sie nicht an?“, denn sie erwarten es. Die Eltern sagen: „Es ist Muttertag und sie rufen nicht an. Warum haben sie sich nicht gemeldet?“ Das macht sie sehr wütend. Meine Mutter war eine sehr weise Frau, die vor ein paar Jahren starb. Sie hatte keine buddhistische Ausbildung bekommen, aber verfügte über tiefe Weisheit. Sie sagte ganz einfach: „Wenn man seine Kinder hören will, muss man sie anrufen. Man sollte nicht darauf warten, dass sie sich melden, denn dann ist man nur frustriert und wütend. Wenn man mit ihnen reden will, ruft man sie einfach an. Man kennt ja ihre Nummer.“
Hierbei handelt es sich wiederum um ein Verständnis der Kausalität. Sind wir nicht in der Lage, unsere Kinder dazu zu bringen, uns jede Woche anzurufen, warum dann die ganze Aufregung? Es gibt andere Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen, wenn wir Austausch mit unseren Kindern haben wollen. Es geht also wieder um abhängiges Entstehen in Bezug darauf, was möglich und was nicht möglich ist. Welche Rollen können wir spielen und welche nicht? Genauso verhält es sich mit dem magersüchtigen oder bulimischen Kind, oder jeder Situation, in der wir uns befinden. Auch wenn wir keine Buddhas sind und nicht wissen, was das Beste ist, geben wir unser Bestes, mit einem realistischen Verständnis darüber, welche Rolle wir spielen können. Wenn das Kind weiter leidet, ist das natürlich traurig, aber wir können nicht zaubern und auf magische Weise eine Lösung präsentieren, durch die dann alles besser wird. Den Ballon müssen wir zum Platzen bringen. Nehmen wir uns einen Moment Zeit, das einwirken zu lassen.
Wir sollten daran denken, dass es hier nicht nur darum geht, wie wir einen Einfluss darauf haben können, was einem anderen passiert. sondern auch darauf, was in unserem eigenen Leben stattfindet. Wir leben nicht in einem Vakuum, in Plastik eingekapselt, und sind völlig unberührt von anderen Menschen oder unserem Umfeld, dem Wetter oder allem, was sich um uns herum abspielt. Wir werden beeinflusst und müssen in Betracht ziehen, was möglich und was nicht möglich ist. Das Alter ist einer der Faktoren, und auch zahlreiche andere haben einen Einfluss darauf, was uns widerfährt und was wir tun können.
Gibt es irgendwelche Fragen dazu?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe. Was ist die Beziehung zwischen dem abhängigen Entstehen – wenn wir es als diese 360-Grad-Sichtweise betrachten – und der Leerheit oder der Null?
Welcher Zusammenhang besteht zwischen der 360-Grad-Sichtweise von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft usw. und der Leerheit? Wir haben das abhängige Entstehen – alles ist abhängig von allem anderen. Wir projizieren jedoch, dass Dinge lediglich als isolierte kleine Teile existieren, die sich selbst, unabhängig von allem anderen um sie herum, begründen. Diese Projektionen entsprechen jedoch nichts Realem, denn so etwas gibt es nicht, es ist abwesend. Wenn wir es ganz konkret im Sinne dieser 360 Grad betrachten, ist das, was erscheint, möglich und was ebenfalls da ist, ist nicht unmöglich; es ist eine Abwesenheit des Unmöglichen.
Betrachten wir es an der Analogie des Hundes. Sie ist zwar nicht exakt, aber sehen wir sie uns trotzdem an. Ich sehe einen Hund und er erscheint für mich. Wenn ich einen Hund sehe, weiß ich auch, dass es „keine Katze“ ist. Der „Hund“ ist also die Realität. Die Aussage: „keine Katze“ ist wahr, aber abwesend; hier gibt es eine Abwesenheit: keine Katze. Diese zwei Dinge treten zusammen auf. Wir können beides verstehen: „Hund“ und „keine Katze“. Genauso verhält es sich mit: „360 Grad“ und „nicht nur 20 Grad“. Obwohl das keine exakte Analogie ist, können wir uns auf diese Weise dem Verständnis nähern: „das, was möglich ist“ und „nicht das, was nicht möglich ist“.
Vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt aufzuhören; wir werden dann morgen weitermachen. Schließen wir nun mit einer Widmung. Wir denken: Möge alle positive Kraft und alles Verständnis, die daraus entstanden sind, als Ursache dienen, Erleuchtung zum Wohle aller zu erlangen.