Die Leere ist eine Abwesenheit von unmöglichen Existenzweisen

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Ich wurde gebeten, an diesem Wochenende über das Thema Leerheit zu sprechen, bei dem es sich natürlich um eine fortgeschrittene Thematik handelt, die nicht sehr leicht verständlich ist und um sie verstehen zu können, müssen wir sehr gut vorbereitet sein. Wenn wir mit anderen Worten keine gute Vorbereitung haben und nicht über die Voraussetzungen verfügen, sowie über eine Motivation, die stark genug dafür ist, es auch verstehen zu wollen, wird es etwas sehr Verwirrendes bleiben. Aus diesem Grund stellen wir hinsichtlich Ursache und Wirkung die Frage: Was werden die Ursachen dafür sein, ein Verständnis der Leerheit entwickeln zu können?

Man kann nicht sagen, dass dieses Verständnis lediglich auf der Basis einer sehr klaren Erörterung entstehen wird, oder weil wir so unglaublich intelligent sind, solch gute Voraussetzungen dafür haben, uns so sehr bemühen oder einfach über die guten und förderlichen Umstände verfügen. Vielmehr wird sich unser Verständnis abhängig von all diesen Faktoren entwickeln und daher ist es notwendig, gute Erklärungen zu finden. Zunächst ist es jedoch wichtig vorbereitet zu sein, um diese Ausführungen verstehen zu können und dafür sind wiederum förderliche Umstände nötig, in denen wir uns vorbereiten können. Obwohl ich nun versuchen werde, ein wenig über die Leerheit zu sprechen, sollten ihr euch nicht entmutigen lassen, wenn es euch schwer verständlich erscheint. Denn ganz egal wie klar die Ausführungen auch sein mögen, werden jene, die nicht darauf vorbereitet sind, sie nicht verstehen können; und im Gegensatz dazu wird man sie mit einer gewissen Vorbereitung verstehen können, auch wenn sie noch so verwirrend sein mag.

Wenn wir uns nun fragen, warum es notwendig ist, ein Verständnis von der Leerheit zu haben, können wir von einem Standpunkt oder einer gewissen Ebene aus betrachtet sagen, dass sie wichtig für uns ist, um Leiden zu überwinden. Das bezieht sich natürlich auf ein Verständnis von Ursache und Wirkung und dabei handelt es sich natürlich um eine komplexe Thematik. In den meisten Denksystemen werden Ursache und Wirkung auf einer physischen Ebene erklärt. Man stößt einen Ball an und dieser Ball bewegt sich dann in eine bestimmte Richtung – diese Art der Kausalität. In den theistischen Systemen wird wiederum Gott als Ursache für das Stattfinden verschiedener Dinge gesehen. Aber innerhalb der nicht-theistischen Ausführungen, nimmt der Buddhismus eine recht spezifische Stellung ein, denn hier geht es darum, dass unsere Erfahrungen durch die eigenen Handlungen herbeigeführt werden.

Jedoch reden wir hier nicht einfach nur davon, etwas wahrzunehmen, was sich in einem Raum befindet, wenn wir ihn betreten. Die Rede ist nicht von dieser simplen Ebene, denn das kann eigentlich jeder verstehen. Auch geht es nicht nur um physische Kausalität, und darum, sich beispielsweise den Fuß am Stuhl zu stoßen und dann Schmerzen zu empfinden. Vielmehr handelt es sich um die Ebene unseres Erfahrens von Glück und Leid, die durch unseren Geisteszustand, unsere Handlungen, hervorgerufen wird. Noch etwas präziser ausgedrückt, liegen die Ursachen in unserem Verhalten, der Art und Weise, wie wir handeln, sprechen (oder kommunizieren) und denken; und all dies wird sehr stark durch unsere Geisteshaltungen beeinflusst und geprägt.

Die Rede ist von störenden Geisteshaltungen und störenden Emotionen, und auch wenn es sich um positive Arten von Emotionen, wie Liebe und Mitgefühl handelt, liegt ihnen für gewöhnlich etwas Störendes, wie beispielsweise Anhaftung zugrunde. Hinter den störenden Emotionen und Geisteshaltungen steckt unsere Verwirrung und Unwissenheit in Bezug auf verschiedene Dinge, und das bezieht sich auf unsere Unwissenheit hinsichtlich Ursache und Wirkung. Worüber wir im Moment sprechen und wie wir uns, beruhend auf diesen Emotionen, verhalten, wird Glück und Leid für uns hervorrufen und wir sind uns nicht bewusst über diese ursächliche Beziehung oder verstehen sie auf falsche Weise.

Sehen wir uns das an einem Beispiel an, damit wir eine klarere Vorstellung davon bekommen, worum es hier geht. Vielleicht handele ich aufgrund von Wut – es läuft nicht so, wie ich es mir wünsche und dann werde ich wütend, schreie jemanden an und denke, wenn ich meinen Kopf durchsetze, werde ich glücklich sein. Entweder sind wir uns nicht bewusst darüber, dass dieses Verhalten, bei dem wir wütend werden und jemanden anschreien, dazu führt unglücklich zu sein, oder wir meinen es würde uns ganz im Gegenteil glücklich machen. Niemand ist jedoch glücklich, wenn er wütend ist, denn es handelt sich um ein sehr unangenehmes Gefühl. Und niemand ist glücklich, wenn er das Ziel unserer Wut ist, und es führt auch nicht dazu, im Gegenzug freundlich und nett gegenüber uns zu sein. Das ist nicht einmal auf kurze Sicht so, auch wenn der Andere tut, wozu wir ihn durch unser Geschrei auffordern. Außerdem entwickeln wir die Gewohnheit, auf alles, was wir nicht mögen, mit Wut zu reagieren, und so schaffen wir immer mehr unglückliche Erfahrungen. Wir sind uns dieser kausalen Beziehung also nicht bewusst. Der Buddhismus ist in diesem Sinne einzigartig, denn hier geht es um eine Art der Kausalität, ohne Gott und diese anderen äußeren Faktoren mit ins Spiel zu bringen.

Ist nun die Rede von Leerheit, handelt es sich dabei im wörtlichen Sinne um eine Abwesenheit. Das Sanskrit-Wort für Leerheit ist das gleiche Wort, was für die Zahl Null benutzt wird und das heißt nicht, es würde nichts existieren oder es gäbe so etwas wie die Kausalität nicht, wenn wir hier den Bezug zur Kausalität betrachten. Vielmehr bedeutet es, dass rein gar nichts unseren falschen Glauben darüber stützt, wie Kausalität funktioniert. Ich beschreibe die Leerheit also für gewöhnlich als eine Abwesenheit – eine völlige Abwesenheit von etwas Unmöglichem: von unmöglichen Existenz- oder Funktionsweisen.

Und es ist wichtig zu verstehen, dass es beim Geist eigentlich um geistige Aktivität geht. Die Rede ist nicht von einem Instrument oder Ding, das diese Aktivität ausführt, sondern von dieser Aktivität. Diese geistige Aktivität lässt Dinge erscheinen, kennt sie oder nimmt sie wahr – durch sie werden diese Erscheinungen auf die eine oder andere Weise betrachtet. Aufgrund von Verwirrung bringt diese geistige Aktivität dann Erscheinungen hervor, die unmöglich sind. Und obwohl unsere Verwirrung – also die Gewohnheit der Verwirrung – diese falschen Erscheinungen hervorbringt, wissen wir in unserer Verwirrung entweder nicht, dass es da in Wirklichkeit nichts gibt, oder wir glauben an diese falschen Erscheinungen und denken, sie würden der Realität entsprechen. Der Sinn und Zweck der Leerheit und unseres Verständnisses der Leerheit liegt nun darin, zu verneinen, dass diese Erscheinungen, auf die wir uns richten, von irgendetwas gestützt werden. In diesem Sinne gibt es da nichts, also Null, was ihnen zugrunde liegen würde.

Wenn wir von Erscheinungen reden, geht es nicht einfach nur um visuelle Erscheinungen. Zumindest im Englischen ist es so, dass wir kein wirklich gutes Wort dafür haben. Im Englischen würden wir beispielsweise sagen: „Mir erscheint es so, dass es nach meinem Willen gehen wird und ich glücklich sein werde, wenn ich dich anschreie.“ Das ist eine Erscheinung, denn es scheint so zu sein und fühlt sich so an. Vielleicht verbinde ich hier zwei Schritte miteinander. Der erste Schritt ist, dass es scheint so zu sein. Wenn es sich dann so anfühlt, glaube ich es und meine, dass es der Realität entspricht.

Ich könnte sagen: „Mir scheint, in meinem betrübten Zustand ein Schokoladeneis zu essen, wird mich glücklich machen.“ Es scheint so und ich denke auf diese Weise. Wir würden sagen, es taucht in meinem Geist auf und ich glaube, dass es wahr ist. Es fühlt sich tatsächlich so an, als wäre es wahr. Ich gehe also zum Kühlschrank oder in das Geschäft, kaufe mir ein Schokoladeneis und esse es in der Hoffnung, dass es mich glücklich machen wird. Danach fühle ich mich vielleicht ein bisschen glücklich, aber dieses Glücksgefühl hält gewiss nicht an und dadurch ist nicht all die Arbeit auf meinem Schreibtisch oder all das schmutzige Geschirr in der Spüle verschwunden. Diese Dinge sind immer noch da und auch das Problem besteht weiterhin. Unsere Hoffnung auf Glück und auf das, was uns glücklich machen würde, ist hier fehlgeleitet.

Der Sinn und Zweck die Leerheit zu verstehen ist zu erkennen, dass es sich, auch wenn uns Dinge auf bestimmte Weise erscheinen, um eine auf Verwirrung beruhende Projektion handelt. Bei der Leerheit geht es darum, was nicht da ist, was nie da war und auch nie da sein wird. Was eigentlich fehlt ist, dass das von der Realität gestützt wird, von dem ich denke, es wäre da. Es geht um eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung und das ist, auf ganz allgemeine Weise erklärt, ein Aspekt der Leerheit, eine Ebene der Leerheit. Für gewöhnlich beziehen wir uns mit der Leerheit im technischen Sinne nicht auf das Beseitigen von Ursache und Wirkung, was das einfache Verhalten betrifft. Denn wenn wir hier über schädliches Verhalten, destruktives Denken und störende Emotionen sprechen, die dazu führen, unglücklich zu sein, geht es dabei um die so genannte konventionelle oder relative Wahrheit der Dinge. Es bezieht sich auf das, was Dinge zu sein scheinen. Es erscheint uns also, als gäbe es diese Art von Verhalten und diese Art von Resultat. Und es erscheint uns, als würde diese Ursache zu jener Art von Resultat führen, als würde uns wütendes Verhalten glücklich machen.

Wir meinen, wenn wir unseren Freund oder Partner, den wir so lieben, jede Stunde anrufen, wird er uns noch mehr lieben und unsere Beziehung wird noch glücklicher sein. Es gibt zahlreiche Beispiele, die wir hier anführen könnten. Dies ist ein Beispiel des Anhaftens und Klammerns, bei dem wir meinen, es würde uns irgendwie glücklicher machen. Es geht darum, was etwas ist und das bezeichnen wir als relative oder konventionelle Wahrheit. Dieser Ausdruck „was etwas ist“, ist nicht wirklich präzise, aber es gibt für diese Sache keine einfache Lösung. Im Buddhismus sprechen wir jedoch auch von der tiefsten Ebene der Wahrheit der Dinge, bei der es darum geht, wie etwas existiert – nicht was existiert, wie in kausalen Beziehungen, sondern wie es existiert, also wie ich existiere, wie du existierst und wie alles existiert. Sprechen wir von Leerheit, streiten wir nicht ab, dass etwas existiert. Unsere geistige Aktivität lässt Dinge jedoch auf eine bestimmte Weise erscheinen und da gibt es nichts, wodurch es gestützt oder bekräftigt wird. Das geschieht, wenn sich unsere geistige Aktivität unter dem Einfluss der gewohnheitsmäßigen Verwirrung befindet.

Wir sprechen hier nicht auf abstrakte Weise darüber, wie Dinge existieren, sondern eher, wodurch die Existenz von etwas begründet wird. Dieses Konzept ist nicht wirklich einfach zu verstehen. Das Wort, das ich hier mit „begründen“ oder „die Existenz von etwas begründen“ übersetze, erscheint sowohl im Tibetischen als auch im Sanskrit in vielen verschiedenen grammatischen Formen und einige andere Formen dieses Wortes „drub“ (tib. sgrub, Skt. siddha) bedeuten, etwas zu realisieren oder zu verwirklichen. Beispielsweise gibt es diese verschiedenen Errungenschaften, die wir in der buddhistischen Praxis erlangen können, wie Mitgefühl für alle, ein allumfassendes Verständnis oder außersinnliche Wahrnehmung, und hier wird dieses Wort benutzt und bezieht sich darauf, etwas zu realisieren und es schließlich zu besitzen. Die Sadhana (tib. sgrub-thabs) ist im Tantra beispielsweise eine Methode, um sich selbst als eine dieser Buddha-Formen zu realisieren, es tatsächlich geschehen zu lassen und wirklich so zu werden.

Wenn ich also hier in der Erörterung der Leerheit das Wort „begründen“ benutze, geht es darum, wodurch die Existenz von etwas begründet wird. Was meinen wir eigentlich damit, wenn wir von diesem Verständnis der Verwirklichung reden? Diese Worte sind sehr schwer ins Englische zu übersetzen, und natürlich ist es in der lettischen oder in irgendwelchen anderen Sprachen nicht viel anders. Daher werde ich es etwas eingehender erklären. Sehen wir uns das an einem Beispiel an. Wir fragen uns, wodurch das „Ich“ als „Ich“ festgelegt wird. Was macht mich zu „mir“? Gibt es da etwas Besonderes, das mich zu „mir“ und nicht zu „dir“ macht? Nun, offensichtlich bin ich nicht du und ich bin auch nicht der Tisch. Wenn es etwas gibt, das mich zu „mir“ macht, wo ist es dann? Befindet es sich auf Seiten meines Geistes, oder auf Seiten meines Körpers? Was macht mich zu „mir“? Das ist hier das Thema der Leerheit, wenn wir von der tiefsten Ebene sprechen. Es scheint, als gäbe es etwas, das mich zu „mir“ macht, was im Grunde jedoch unmöglich ist. Und was die Leerheit betrifft, ist die Rede davon, dass es nichts gibt, was es bekräftigen oder untermauern würde, einfach null, nichts, eine völlige Abwesenheit.

Das ist nicht leicht zu verstehen und daher brauchen wir weitere Beispiele. Ich versuche hier auf eine ganz allgemeine Weise eine Einführung in die Thematik der Leerheit zu geben und gehe nicht von der Sichtweise eines bestimmten Lehrsystems aus. Sehen wir uns das am Beispiel des niedrigen Selbstwertgefühls an. Niedriges Selbstwertgefühl ist eine störende Geisteshaltung, sie kann zu ausgesprochen schädlichem Verhalten führen und selbstzerstörerisch sein. Wir könnten magersüchtig werden, weil wir denken: „Ich sehe furchtbar aus. Ich bin nicht gut genug und müsste viel dünner sein, damit ich geliebt und akzeptiert werde“, und damit beginnen wir zu hungern. Es gibt so viele neurotische Syndrome, die durch niedriges Selbstwertgefühl entstehen können und sie gründen auf der Verwirrung in Bezug darauf, wie wir existieren. Das ist jetzt ganz allgemein ausgedrückt und hier ist es notwendig, spezifischer zu werden.

Es ist also nicht nur so, als wäre ich nichtsnutzig oder nicht gut genug, sondern vielmehr, als wäre da etwas falsch an mir, was mich minderwertig macht, oder als wäre da etwas falsch an dir, weswegen du ein Idiot bist. In gewisser Weise beziehen wir uns damit auf die andere Person, indem wir sie verurteilen und als Idioten abstempeln. Wir schreien sie an und meinen, mit ihr stimme etwas nicht und das macht sie dann zu einem Idioten.

Natürlich können wir es etwas tiefgründiger analysieren und die Beziehung von Ursache und Wirkung betrachten. Welchen kausalen Bezug gibt es hier und wodurch wird jemand als ein Idiot oder als nicht gut genug festgelegt? Es ist jedoch nicht notwendig, hier in die technischen Einzelheiten zu gehen. Es geht hier wirklich nicht darum, etwas zu erschaffen, wie beispielsweise einen Tisch. Es ist viel subtiler als das.

Dieses Wort „begründen“ wird auch benutzt, wenn wir etwas beweisen, bestätigen oder bekräftigen wollen. Es gibt also dieses sehr komplexe Wort, dass wir hier benutzen und es ist sehr eng mit dieser ganzen Erörterung der Leerheit verbunden. Wenn wir mit der Leerheit und dem Verständnis der Leerheit arbeiten, besteht die einfachste Ebene darin zu verstehen, dass es da all diese Projektionen von etwas Unmöglichem gibt. Unsere geistige Aktivität, unser Geist erschafft all diese Projektionen von unmöglichen Beziehungen zwischen Dingen hinsichtlich der Kausalität – besonders was das Erfahren in unserem Lebens betrifft – sowie von unmöglichen Weisen des Begründens von Dingen, was sie sind und wie sie existieren. Sehen wir uns ein subtileres Beispiel an, denn ich denke, das hilft auch zu veranschaulichen, worum es hier geht.

Analysieren wir es von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus, können wir von elektromagnetischer Strahlung, sowie von Kraftfeldern, atomaren und subatomaren Teilchen sprechen. Sehe ich mich in diesem Raum um, bringt mein Geist eine Erscheinung hervor. Es gibt eine Erscheinung, die wie ein geistiges Hologramm ist. Das ist es, was ich sehe. Da gibt es all diese Photonen und Lichtstrahlen, die von der Netzhaut aufgenommen und durch die Neutronen in elektrische Impulse umgewandelt werden, bis zum Gehirn gelangen und dort zu einem geistigen Hologramm zusammengefügt werden. Das ist dann das, was ich sehe, und das ist eine Erscheinung, die wie ein geistiges Hologramm ist.

Wodurch wird der Körper dieser Person nun als verschieden vom Hintergrund festgelegt? Ich kann das Haar dieser Person sehen, es hat eine dunkle Farbe. Und hinter dem Kopf dieser Person, sehe ich das schwarze Hemd des Herrn, der im hinteren Teil des Raumes sitzt. Wenn es nun lediglich ein Haufen von Photonen sind, die aufgenommen werden, wodurch wird dann festgelegt, dass diese dunkelfarbige Form ein Teil des Kopfes dieser Person und die andere dunkelfarbige Form ein Teil des Hemdes jener Person ist? Gibt es da eine Linie, durch die der Kopf dieser Person umrandet und so als ein abgegrenztes Objekt begründet wird? Oder ist er von Plastik umhüllt und sondert ihn so von dem Hemd im Hintergrund ab? Was macht ihn zu einem Objekt? Was legt ihn als ein einzigartiges, individuelles Ding fest? Oder wird er einfach nur von Seiten des Geistes begründet? Auf einer subtileren Ebene geht es um diese Sache.

Was macht jemanden zu einem guten Menschen? Wodurch wird jemand als ein guter, schlechter, hübscher oder hässlicher Mensch festgelegt? Auf einer noch fundamentaleren Ebene sprechen wir auch davon, was etwas als eine Sache begründet. Wir kommen hier auf eine wirklich sehr subtile Ebene, wenn wir uns mit dem Verständnis der Leerheit befassen. Und wir müssen darauf zurückkommen, womit ich diese Diskussion begonnen habe: Was ist der Sinn und Zweck des Verstehens der Leerheit? Er besteht darin, das Leid und die Probleme zu beseitigen, die auftauchen, weil wir glauben es gäbe etwas, das unsere falschen Vorstellungen und unsere falschen Projektionen untermauern und stützen würde. Mit dem Verständnis der Leerheit erkennen wir, dass es nichts gibt, wodurch diese Projektionen bekräftigt werden. Es gab nie etwas und es wird nie etwas geben. Sie sind null, es gibt sie nicht. Daher ziehe ich im Englischen das Wort „voidness“ (Leerheit) dem Wort „emptiness“ (Leere) vor. Ich weiß nicht, ob es in der lettischen Sprache dafür auch zwei verschiedene Begriffe gibt. Es ist nichts leer in dem Sinne, als würde da eine Schachtel stehen, die leer ist. Leerheit bezieht sich vielmehr auf ein Nichts, es ist auch das Wort für Null. Es ist in dieser Hinsicht einfach nichts da.

Das bedeutet nicht, es würde rein gar nichts existieren, sondern vielmehr geht es um diese unmöglichen Dinge, die nicht existieren. Sie sind null, es gibt sie nicht. Unser Geist lässt Dinge jedoch auf diese unmögliche Weise erscheinen und leider glauben wir, es wäre wahr. Wir glauben, es wäre wahr, dass wir beispielsweise nicht gut genug sind, weil es sich wirklich so anfühlt. Und das Schlimme ist: je mehr wir daran glauben, umso mehr wird dieser Glaube verstärkt und dann fühlt es sich noch mehr danach an; und so setzt es sich von selbst immer weiter fort. Das ist dann ein Teil dessen, was wir als „Samsara“ bezeichnen: unkontrollierbar sich wiederholende Probleme. Diese Glaubenssätze: „Ich bin nicht hübsch genug“, „Ich bin nicht gut genug“, „Ich bin nicht dünn genug“ führen dann dazu, dass wir uns in selbstzerstörerischem Verhalten üben, auch gegenüber anderen, wie unserer Familie und das führt dann dazu, unglücklich zu sein. Wir sind unglücklich, weil wir uns als nicht gut genug empfinden, und je mehr wir daran glauben und dementsprechend handeln, um so unglücklicher sind wir demzufolge.

Vielleicht habt ihr dazu ein paar Fragen und dann können wir sehen, inwieweit ihr es verstanden habt oder nicht. Nehmen wir uns zunächst einen Moment Zeit, um das, worüber ich gerade gesprochen habe, einwirken zu lassen.

Mir fällt gerade ein Beispiel ein, das vielleicht hilfreich sein kann. Vielleicht glaube ich an so etwas wie Hexen, die über die Macht verfügen, Menschen in Frösche zu verwandeln, und weil ich daran glaube, habe ich Angst vor diesen Hexen. Wenn ich mich dann in meiner Stadt umsehe und mir Frauen auffallen, die nicht so wie alle anderen handeln, lässt mein Geist sie als Hexen erscheinen, die mich in einen Frosch verwandelt könnten. Auf Seiten dieser Frauen scheint es etwas zu geben, das sie zu Hexen macht – vielleicht ist es ein teuflischer Einfluss oder etwas Ähnliches – der sie als Hexe mit satanischen Kräften erscheinen lässt, durch die ich zu einem Frosch werden könnte. So lebe ich in furchtbarer Angst und durch diesen gewohnheitsmäßigen Glauben an Hexen erscheint es mir, dass verschiedene Frauen Hexen sind. In Bezug auf Ursache und Wirkung denke ich dann, dass ich, wenn ich diese Frau bei lebendigem Leib verbrenne, vom Einfluss des Teufels befreit werde. So gehe ich also umher und führe diese Hexenverbrennungen durch, verbunden mit der großen Angst und dem tiefen Glauben, sie bei lebendigem Leib zu verbrennen, würde uns alle davor bewahren, in eine Stadt voller Frösche verwandelt zu werden. Und auf diese Weise gibt es dann Hexenverbrennungen. Obwohl es also wegen meiner Gewohnheit und der Angst, die sie auslöst, so scheint, als gäbe es verschiedene Menschen, die als Hexen über diese Kräfte verfügen, würden wir mit dem Verständnis der Leerheit erkennen, dass da nichts ist, was dies in der Realität bestätigt. Diese Erscheinung entspricht nichts Realem. Da gibt es nichts, es gab nie etwas und es wird nie etwas geben.

Die gleiche Art der Analyse kann angewandt werden, wenn wir meinen, es gäbe einen perfekten Partner – einen Prinzen oder eine Prinzessin auf dem weißen Pferd – mit dem ich, wenn ich ihn treffe und heirate, für immer glücklich sein werde. Oder ich denke, es wird einfach fantastisch werden, wenn ich in diese wunderbare Stadt ziehe oder ich werde bis in alle Ewigkeit glücklich sein, wenn ich den perfekten Job finde. All das sind Fantasien und sie beruhen auf dem Glauben an etwas, das unmöglich ist. Shantideva beschreibt das an der schönen Analogie von Kindern, die weinen, wenn ihre Sandburgen, die sie am Strand gebaut haben, von den Wellen weggespült werden. Unsere Glaubensvorstellungen sind wie diese Sandburgen – es gibt nichts, was sie bekräftigt oder aufrechterhält.

Habt ihr dazu eventuell irgendwelche Fragen?

Im Grunde können wir also alles, was wir sehen und wahrnehmen, als eine Art dieser geistigen Projektion betrachten, die aus Gewöhnung entsteht und unserem Geist entspringt; vielleicht auch aus vergangenem Karma herrührt. Wenn ich beginne, es auf diese Weise wahrzunehmen und zu erkennen, dass es sich lediglich um Projektionen handelt, werde ich auch anfangen, mich dementsprechend zu verhalten und letztendlich Erleuchtung erlangen. Dann stellt sich die Frage, ob es sich vielleicht immer noch um diese Projektion, um den gleichen Film handelt, der da abläuft, er jedoch nicht wirklich real ist. Alles wird im Grunde nur durch unseren Geist bestimmt. Dinge sind nur für sich selbst weder schlecht noch gut; alles wird durch unseren Geist zugeordnet.

Hier müssen wir über das Thema des Hervorbringens von Erscheinungen reden. Ist die Rede von grundlegender geistiger Aktivität, also davon, worauf sich das Wort Geist bezieht, gibt es zwei Facetten oder zwei Aspekte, die in Bezug auf die zwei Wahrheiten von Dingen zusammenarbeiten. Wir bezeichnen sie als die „zwei Wahrheiten“. Bei der einen geht es darum, was es scheint zu sein, also was es ist, und bei der anderen, wie dessen Existenz begründet wird, also wie es existiert. Es geht darum, was es ist und wie es existiert. Es gibt viele verschiedene Arten der Erklärung dazu, wie wir diese Erscheinungen klassifizieren und das Hervorbringen von Erscheinungen einordnen, aber beschränken wir uns nur auf die Darlegung Tsongkhapas im Gelug-System, da wir uns hier in einem Gelug-Zentrum befinden.

Wir müssen zwischen korrekten Erscheinungen und verzerrten Erscheinungen unterscheiden. Laut den Erklärungen des Gelug-Systems bringt der Geist korrekte Erscheinungen hervor – oder ist dazu in der Lage, korrekte Erscheinungen hervorzubringen – aber dann werden verzerrte Erscheinungen zusätzlich dazu projiziert. Es handelt sich also um eine Übertreibung oder Hinzufügung; also um etwas, das zusätzlich hinzukommt. Das Wort bezieht sich auf eine Feder, die zusätzlich an einem Pfeil angebracht wird. Es gibt also etwas und darüber hinaus wird etwas zusätzlich hinzugefügt, was nicht da sein muss.

Sehen wir uns das an dem Beispiel von einem Mädchen oder einer Frau an, die eine männliche Frisur hat, männliche Kleidung trägt und ziemlich schmalbrüstig ist. Mir scheint es, dass es sich um einen Mann handelt. Tatsächlich ist es jedoch eine Frau, aber es ist schwer auszumachen. Ich sehe die Person aus einiger Entfernung und kann es nicht wirklich erkennen, und so scheint es mir, dass es sich in der Tat um einen Mann handelt. Da gibt es also die Erscheinung einer Frau, aber zusätzlich dazu wird die Erscheinung eines Mannes projiziert. Sie ist in dem Sinne täuschend, da sie wie ein Mann aussieht, aber sie ist auch verzerrt, weil es sich nicht um einen Mann, sondern um eine Frau handelt. Es gibt also eine korrekte Erscheinung und die Projektion einer falschen Erscheinung. Das Gleiche trifft zu in Bezug darauf, wie Dinge existieren: es gibt eine korrekte Erscheinung und die Projektion einer falschen Erscheinung. Die Wirkungsweise geistiger Hologramme, die sich darauf bezieht, wie wir und wie ein Geist gewissermaßen Dinge erkennt, bleibt die gleiche, ob es sich nun um ein gewöhnliches Wesen handelt, um einen Käfer oder um einen Buddha. Was ein Buddha nicht hat, sind diese falschen Projektionen; bei ihm ist alles fehlerfrei.

Dieses Beispiel eines Mannes und einer Frau ist wirklich interessant in Bezug darauf, wodurch festgelegt wird, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Wir sehen sie nicht nackt, beispielsweise in einer Sauna, sondern völlig bekleidet und gründen unser Verständnis und unsere Überzeugung darauf, dass wir sie aufgrund der Frisur, der Kleidung und der flachen Brust als Mann festlegen. Es scheint also, als würde es aufgrund der Erscheinung festgelegt werden, dass es sich um einen Mann handelt. Wer hat jedoch entschieden, dass eine bestimmte Frisur die eines Mannes oder die einer Frau ist? Wo kommt das her? Und das eine bestimmte Art der Kleidung die eines Mannes und eine andere Art der Kleidung die einer Frau ist. Das beste Beispiel ist wahrscheinlich das mit den Knöpfen: befinden sie sich auf der einen Seite, ist das die Kleidung eines Mannes, und auf der anderen Seite, die einer Frau. Wer hat das entschieden? Das ist eine Konvention. Sie wurde im Geist erschaffen. Einige Leute kamen zusammen und haben entschieden, was von Männern und was von Frauen getragen werden sollte, und dass Männer diese Frisur und Frauen jene Frisur haben sollten. Das wurde ganz und gar im Geist hervorgebracht. Es ist in ihm entsprungen und wird seitens einer Konvention, nicht seitens des Objektes herbeigeführt.

Es handelt sich um eine geistige Zuschreibung. Mein Lieblingsbeispiel ist folgendes: Man kommt in ein Zentrum, beispielsweise in ein Dharma-Zentrum, und dort gibt es zwei Toiletten. Von innen sind sie genau gleich, aber auf der einen Tür steht „Männer“ und auf der anderen „Frauen“. Und obwohl die Toilette der Männer vollkommen leer ist, würden die Frauen sie nicht benutzen, weil auf der Tür „Männer“ geschrieben steht. Das ist ein perfektes Beispiel. Eigentlich würden viele Frauen die Toilette der Männer benutzen; es sind eher die Männer, die nicht auf die Frauentoilette gehen.

Hier eine andere Analogie: Wir befinden uns hier und neben uns steht ein Buddha oder ein Bodhisattva. Dann sehen wir einen Tiger, der auf uns zuläuft und es ist eindeutig, dass er hungrig ist. Nehmen wir es korrekt wahr, um sagen zu können, dass er hungrig ist und uns wahrscheinlich fressen wird, wenn wir uns nicht bewegen? Wann nehmen wir es korrekt wahr und wann würden wir einer Täuschung unterliegen? Und würde ein Buddha den jagenden Tiger anders wahrnehmen, als wir, die wir samsarische Menschen sind?

Nun gut. Lasst mich das nochmal wiederholen, da ich nicht weiß, ob es richtig verstanden wurde. Wir stehen hier und sehen einen Buddha oder Bodhisattva. Ein Tiger kommt auf uns zu gerannt und es ist offensichtlich, dass der Tiger hungrig ist und uns auffressen wird. Handelt es sich nun hierbei um eine korrekte Wahrnehmung oder nicht? Und wie würde ein Buddha es im Gegensatz zu uns wahrnehmen?

Nun, wenn der Tiger wirklich hungrig ist und wir für den Tiger als Nahrung gelten, ist es sehr wahrscheinlich, dass er uns fressen wird. Aber man weiß nie. Der Tiger könnte auch einen Herzinfarkt bekommen, bevor er bei uns ankommt, aber nehmen wir einmal an, dass dies nicht passieren wird. Ein Buddha würde es sehen; das ist korrekt, und wir würden es ebenfalls sehen; auch das ist korrekt. Gehen wir nicht weiter darauf ein, was noch nicht stattgefunden und das der Tiger uns noch nicht aufgefressen hat. Aber zweifellos sehen wir, wie der Tiger auf uns zurennt.

Nun stellt sich die Frage, was zusätzlich dazu projiziert wird. Natürlich würde ein Buddha Mitgefühl haben, sowohl für den Tiger als auch für uns. Er hätte keine Angst und würde nicht einfach dastehen und zuschauen, sondern vielmehr auf eine Weise handeln, die in dieser Situation am angebrachtesten ist. Hier geht es nicht so sehr um die Erscheinung dessen, was passiert, die verzerrt werden kann. Würden wir denken, dieses Tier, das da auf uns zu gerannt kommt, wäre eine große süße Mitzekatze, die mit uns schmusen und uns ablecken wollte, anstatt uns zu fressen, wäre das natürlich eine ziemlich verzerrte Sichtweise. Vielleicht würde sich der Tiger auch durch den Einfluss des Buddhas besänftigen lassen und ihn nicht fressen, aber damit würden wir uns auf eine etwas alberne Ebene begeben. Der entscheidende Punkt ist, dass wir die Sache wahrscheinlich mit großer Angst erleben würden und diese Angst beruht auf etwas, das zusätzlich zu der Erscheinung dieses Tieres, das auf uns zurennt, projiziert wurde. Wir projizieren, dass es sich um ein Monster handelt, das auf uns zurennt und meinen, das solide Ich würde nicht mehr existieren, wenn es aufgefressen wird. Da kann es alle möglichen falschen Vorstellungen in Bezug darauf geben, wie wir existieren und was mit uns geschehen wird. Unterliegen wir nicht den Ängsten, die auf diesem Missverständnis beruhen, könnten wir auf verschiedene Weise handeln. Wir könnten uns selbst, wie ein großer Bodhisattva, dem Tiger als Nahrung zur Verfügung stellen, wie es Buddha in einem vergangenen Leben getan hat; wir könnten versuchen irgendwie zu vermeiden, von dem Tiger gefressen zu werden; oder wir könnten anfangen zu beten.

Das erinnert mich an einen meiner buddhistischen Lieblingswitze, den ich euch erzählen muss. In dem Witz geht es um einen Bären, aber wir können ihn auch mit einem Tiger erzählen. Der Tiger rennt also auf uns zu und während wir versuchen wegzulaufen, stolpern wir und fallen hin und so fangen wir an zu beten. Wir beten: „Möge der Tiger ein Buddhist sein, möge er ein Buddhist sein...“. Schließlich holt uns der Tiger ein und steht mit seinen Krallen über uns. Daraufhin hören wir den Tiger sagen: „Ich bringe diese Nahrung Buddha, Dharma und Sangha dar.“ Wir müssen also vorsichtig sein, worum wir bitten.

Gibt es irgendwelche anderen Fragen?

Stimmt es, dass dieses geistige Hologramm eines Buddhas gleich null ist?

Ob es stimmt, dass dieses geistige Hologramm eines Buddhas gleich null ist? Nein. Der Geist eines Buddhas funktioniert in Form von geistigen Hologrammen – das ist nicht das Problem – jedoch ist alles in Bezug auf das geistige Hologramm korrekt. Anstatt beispielsweise die Dinge völlig getrennt und isoliert voneinander zu betrachten, als wären sie mit Plastik umhüllt, würde ein Buddha sehen, wie alles miteinander verbunden ist. „Sehen“ heißt verstehen, wahrzunehmen. Buddha nimmt den Tiger nicht nur als diese Entität wahr, die auf mich oder dich zurennt, sondern sieht die gesamte Geschichte des Tigers; vielleicht hat er hungrige Junge oder ist selbst hungrig; vielleicht ist er kurz davor zu sterben, wurde sein ganzes Leben lang ständig gejagt und bedroht; und was die Person betrifft, die gleich gefressen werden wird, sieht er all die karmischen Ursachen und Dinge, die zu dieser Situation geführt haben. Buddha sieht also alle damit verbundenen Ursachen und Umstände der Vergangenheit und die daraus folgenden Auswirkungen.

Ein Beispiel, das ich oft benutze, besteht darin, von einem U-Boot aus durch ein Periskop zu schauen. Wenn man einen Blick durch dieses schmale Rohr wirft, hat man nur ein sehr kleines Sichtfeld und keinen 360-Grad-Blickwinkel. In ähnlicher Weise ist unsere Wahrnehmung mit der Art des Körpers, des Gehirns und der Hardware, die uns zur Verfügung stehen, sehr begrenzt. Wir sehen nur, was sich direkt vor unserer Nase befindet. Und so könnte es korrekt sein, was wir innerhalb dieses begrenzten Sichtfeldes sehen, jedoch ist es schlichtweg falsch zu denken, es wäre wie mit Plastik umhüllt, und das wäre alles. Es wird durch nichts gestützt, denn tatsächlich gibt es das gesamte Sichtfeld von 360 Grad, das ein Buddha wahrnehmen würde, denn er verfügt nicht über die begrenzte Hardware dieser Art von Körper, Gehirn und Geist, durch die man die Dinge nur wie durch ein Periskop sehen kann.

Das Dinge nur für sich existieren und in Isolation von allem anderen festgelegt werden, ist etwas, das es nicht gibt oder was unmöglich ist. Das ist ein wirklich wichtiger Punkt, den wir im nächsten Teil unserer Erörterung weiterentwickeln werden. Um es am Beispiel des Tigers zu verdeutlichen, sehen wir durch das Periskop lediglich ein Tier, das auf uns zurennt. Aber das ist nicht alles, was wirklich existiert, denn dieses auf uns zu rennende Tier hat seine eigene Geschichte, wir haben unsere Geschichte, da gibt es Jagdbeschränkungen, die globale Erwärmung, das Abholzen der Wälder, wodurch die Tiger vom Aussterben bedroht werden – also eine riesige Kombination von Faktoren, die es gibt. Wir sehen jedoch nur ein Tier, das auf uns zugerannt kommt. Und nicht nur das, sondern es scheint als würde es dieses Monster geben, das uns vernichten will.

Korrekt ist vielmehr, dass Dinge nicht eigenständig und isoliert von allem anderen, sondern auf abhängige Weise begründet werden. Man bezeichnet es als abhängiges Entstehen und wenn Dinge nicht nur aus eigener Kraft, sondern in Abhängigkeit von anderen Dingen entstehen oder sich entwickeln, können wir das auf drei Ebenen verstehen. Wir können es auf der Ebene von Ursache und Wirkung wahrnehmen: Dinge entstehen in Abhängigkeit von Ursachen und Bedingungen; wir können erkennen, dass Dinge in Abhängigkeit von Teilen entstehen; und wir können verstehen, dass Dinge abhängig davon entstehen, worauf sich Konzepte, geistige Bezeichnungen, Namen und Konventionen beziehen. Die dritte Ebene ist recht subtil und darüber werden wir morgen sprechen. Es handelt sich um die Thematik, die man normalerweise als „geistiges Benennen“ oder „Zuschreiben“ bezeichnet.

Leider sind diese beiden Begriffe auf Lettisch nur ein Wort.

Sehen wir uns zunächst die Ebene der Kausalität an. Da uns in diesem ersten Teil nur wenig Zeit bleibt, werde ich die Thematik nur kurz vorstellen und heute Nachmittag werden wir dann ausführlicher darüber reden.

Wie ich bereits schon heute morgen erwähnt habe, gibt es viele verschiedene Ebenen der Kausalität. Zum einen haben wir die rein physische Ebene: Man wirft einen Ball in die Luft und er kommt wieder hinunter, oder man sät einen Samen und daraus entsteht eine Blume. Es gibt also diese Art der Kausalität. Dann haben wir auch die Kausalität in Bezug auf unsere Erfahrung, wenn wir beispielsweise unseren Fuß am Stuhl stoßen und daraufhin Schmerzen erfahren. Außerdem gibt es die Erfahrung von Glück und Leid, die durch unser Verhalten, durch destruktives oder konstruktives Verhalten, hervorgerufen wird. Wenn wir uns den Fuß am Tisch stoßen, ist das eine ethisch neutrale Handlung, auch wenn es wehtut. Wir empfinden Schmerzen, aber man kann nicht sagen, es wäre eine destruktive oder konstruktive Handlung. Es ist einfach eine neutrale Handlung. Ist jedoch die Rede von dieser Ebene des Glücklich- oder Unglücklichseins, geht es dabei um etwas, das aus destruktivem oder konstruktivem Verhalten hervorgerufen wird.

Werden wir mit einer Situation im Leben konfrontiert, ergibt sich wiederum ein geistiges Hologramm von dem, was erscheint. Hier kommen wir also wieder zurück auf unsere geistigen Hologramme. Hier ein Beispiel von einem Bekannten: Nehmen wir einmal an, unser Kind ist magersüchtig oder hat bulimische Essstörungen. Bulimisch heißt, eine Ess-Sucht zu haben, sich beispielsweise mit Schokolade vollzustopfen und sich danach zu übergeben. Ist man magersüchtig, lehnt man Schokolade ab und hungert, aber es handelt sich um eine ähnliche Art der Essstörung. Sagen wir also unser Kind hätte diese Essstörung und wurde so krank, dass es ins Krankenhaus musste und praktisch verhungert ist. Es gibt hier die korrekte Erscheinung, dass das Kind diese Essstörung hat und dass es sowohl körperlich als auch mental wirklich krank ist. Wir könnten verstehen, dass das Kind krank ist und einen niedrigen Blutdruck und Puls hat; es ist praktisch vorbei und es ist die Auswirkung dieser Essstörung. Wir können diese Ebene der Kausalität verstehen, aber als Eltern erscheint für uns das geistige Hologramm, mit dem wir denken, es wäre alles unsere Schuld. Wir meinen, wir hätten als Eltern irgendetwas falsch gemacht und nehmen, zusätzlich zu all den Ängsten und Sorgen, die wir haben, die Schuld für das, was unserem Kind widerfahren ist, auf uns.

Das ist jetzt ein extremes Beispiel, aber wir könnten auch denken: „Mein Kind versagt in der Schule und es ist alles meine Schuld“, „Meine Beziehung mit dieser Person ist in die Brüche gegangen und es liegt alles an mir“ oder „es liegt alles an dir.“ Das ist also eine falsche Erscheinung der kausalen Beziehung, dessen, was hier stattfindet; und wir glauben, es würde der Realität entsprechen, es würde in der Realität durch etwas bekräftigt werden, das diese Erscheinung (es ist alles meine Schuld) als wahrhaft begründet. Obwohl wir hier nicht in einem technischen Sinne von Leerheit reden würden, könnten wir unser Verständnis der Leerheit in Bezug auf die Kausalität anwenden – das dies unmöglich und einfach falsch ist, wie es mir erscheint. Dazu ist es notwendig, ein Verständnis des abhängigen Entstehens zu haben und zu erkennen, dass alles aufgrund einer unglaublich großen Anzahl von Ursachen und Bedingungen herbeigeführt wird.

Und um diese falsche Erscheinung und das daraus resultierende unfassbare Leid und die Probleme wirklich dekonstruieren zu können, müssen wir diesen Vorgang des Dekonstruierens in vielen verschiedenen Richtungen angehen. Es gilt die zahlreichen unterschiedlichen Dinge zu erkennen, die unmöglich sind. Ist ein Resultat auf nur eine Ursache zurückzuführen? Wird es von einer Ursache hervorgerufen, die tatsächlich nicht im Einklang mit den Auswirkungen steht und hat auf diese Weise eine Ursache, die irrelevant ist? Ist das, was geschehen ist, auf nichts zurückzuführen? War es bereits vom Schicksal vorherbestimmt, lag es vielleicht an den Genen, dass dies passieren musste und hat es praktisch nur darauf gewartet, hervorzutreten und sich zu manifestieren? Wenn es sich so anfühlt, ist es wichtig, dies zu erkennen und zu analysieren – das es durch nichts gestützt wird und sich auf nichts Reales bezieht. Jedoch sollten wir nicht zu dem Punkt kommen und meinen, es gäbe gar nichts. Wenn diese Situation aus einer Million Ursachen und Bedingungen hervorgegangen ist, haben wir vielleicht zu einigen, also drei oder fünf von einer Million, beigetragen. Es ist also nicht so, dass wir selbst überhaupt keine Verantwortung übernehmen, aber es liegt nicht nur an den Fehlern, die wir als Eltern gemacht haben.

Das ist die allgemeine Einführung in diese Thematik des abhängigen Entstehens in Bezug auf die Kausalität und zusammen damit, in das Verständnis der Leerheit. Nach dem Mittagessen werden wir das im zweiten Teil weiter erforschen.

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