Vergänglichkeit in Bezug darauf, über den Tod, den Guru und das kostbare menschliche Leben nachzudenken

Die Wichtigkeit der Meditation über Vergänglichkeit und Tod 

Seine Heiligkeit der Dalai Lama wird bald einige überaus kostbare Belehrungen geben. Darüber habe ich mich mit meinem italienischen Freund unterhalten und wir kamen zu dem Schluss, vor diesen Belehrungen mit den Leuten darüber zu reden und ihnen zu helfen, sich darauf vorzubereiten. Ich kann etwas von meinem Wissen teilen und ihr könnt ebenfalls eure Gedanken dazu mit einbringen. Wir werden über die Vergänglichkeit sprechen. Die Meditation über die Unbeständigkeit ist überaus wichtig; doch viele Buddhisten, besonders im tibetischen Buddhismus, wollen sich gleich den höchsten Lehren zuwenden – der Leerheit und Bodhichitta. Dabei vergessen wir, schrittweise vorzugehen.

Ebenso vergessen wir das Beispiel des Lebens von Shakyamuni Buddha. Von den zwölf erleuchtenden Taten, die der Buddha ausführte, besteht eine darin, seinem Leben im Palast zu entsagen und ein Mönch zu werden. Er hatte verstanden, dass alles unbeständig ist und wir nicht für immer an Dingen hängen und festhalten können. Als ein gewöhnliches Wesen war Siddhartha Gautama durch diese Entdeckung bestürzt und er bekam es mit der Angst. Er dachte: „Ich habe diesen wunderschönen Palast, mit allem, was ich mir jemals wünschen könnte. Ein Mann, der jedoch einmal gut aussah, ist nun tot und musste all seinen Besitz hinter sich lassen. So wird es auch mir geschehen. Wie könnte ich zufrieden sein und glücklich leben? Alles, was ich als Glück bezeichne, kann ich nicht mitnehmen und es ist gewiss, dass ich mich davon trennen muss.“

Wir alle wollen das Schöne im Leben genießen und halten es für ausgesprochen wichtig. Auf einer grundsätzlichen Ebene besteht unser Wunsch darin, ein langes, glückliches Leben zu haben. Wäre es möglich, ewig zu leben, wären all die Dinge, die wir genießen, stets für uns da. So stellen wir uns das vor. Der physische Körper, den wir haben, besteht aus Fleisch und Blut, doch er ist nicht ewig und eines Tages werden wir uns von ihm verabschieden müssen. Ob wir nun an zukünftige Leben glauben oder nicht: wir müssen akzeptieren, dass wir, wenn wir einmal sterben, tot sind. Ob es eine zweite Chance für das Leben gibt oder nicht, ist eine Sache der Religion. Betrachten wir die Geschichte von Shakyamuni Buddha, so bestand seine anfängliche Motivation, Befreiung zu erlangen, darin, nicht sterben zu wollen. Wir können also sehen, wie wesentlich dieser Gedanke ist. Wir alle haben das Gefühl, nicht sterben zu wollen, und auch Buddha hatte es. Er erforschte so viele Methoden und schlussfolgerte schließlich: „Es ist dumm, sich um diesen Körper wie um eine Pflanze zu kümmern und ihn zu bewässern, denn er wird nicht ewig halten.“

Aber gibt es einen so genannten „Plan B“? Durch die Meditation fand der Buddha eine Methode mit unserem Bewusstsein zu arbeiten, die es uns ermöglicht eine Art der Kraft zu kultivieren, die auch andauern wird, nachdem dieses Leben endet. Unser physischer Körper ist wie ein Gasthaus; wir reisen hierhin und dorthin, und dann verlässt uns der Körper. Doch unser Bewusstsein ist etwas, das sich nach diesem Leben weiter fortsetzt. Spreche ich über das Bewusstsein und darüber, wie es wandert, sollten wir das nicht mit der Vorstellung einer Seele verwechseln. Bewusstsein ist nicht beständig. Es ist unbeständig, weil es sich in jedem Augenblick verändert.

Die Nutzen, über Vergänglichkeit und Tod nachzudenken 

Denken wir für einen Moment darüber nach. Wie viele Belehrungen haben wir erhalten? Wie viele schöne Dinge haben wir in diesem Leben gelernt? Doch ohne die Praxis der Vergänglichkeit können wir keine guten Praktizierenden werden. Unser Geist bleibt der gleiche, weil wir nicht über die Unbeständigkeit nachdenken. Und dann beginnt sich die Faulheit einzustellen. Wir tun, als würden wir ewig leben. Reden buddhistische Lehrer vor einem westlichen Publikum darüber, sich auf den Tod vorzubereiten, bekommen es die Menschen mit der Angst! Oft versuchen wir, dieses Thema zu vermeiden, aber das ist so dumm, denn der Tod ist unser letztlicher Bestimmungsort. Der Tod ist etwas, mit dem wir uns alle früher oder später konfrontieren müssen. Können wir uns ihm nicht stellen und könnten wir ihn irgendwie vermeiden, wäre das in Ordnung. Er ist jedoch etwas, das wir nicht ignorieren können.

Über den Tod nachzudenken hat zahlreiche Vorteile. Als der Buddha beispielsweise über das Leiden redete, sprach er auch über Vergänglichkeit. Um das Leiden besser verstehen zu können, müssen wir einen tieferen Blick auf die Vergänglichkeit werfen. Als der Buddha die Wahrheit des Leidens lehrte, sagte er, dass das Leiden, besonders das mit diesem Körper verbundene Leiden, vier Aspekte oder Eigenschaften hat. Unsere Körper sind ein Beispiel des wahren Leidens, weil sie unbeständig, leidvoll, leer und selbstlos sind. Gewöhnlichen Wesen, die sich nicht eingehender damit beschäftigen und kein tiefgründiges Wissen haben, erklärte er es auf diese Weise.

Im Hinduismus und einigen anderen Philosophien wird die Seele oder „Atman“ als etwas Beständiges betrachtet, das sich nie ändert. Der Körper ist zeitweilig und laut ihnen wandert die beständige Seele nach dem Tod weiter. Um unser Verständnis zu fördern und solche Missverständnisse zu korrigieren, lehrte der Buddha über die Vergänglichkeit und schließlich über das Leiden.

Es ist wichtig, die Logik, die in diesen Philosophien genutzt wird, zu verstehen und zu erkennen, um diesen Punkt zu veranschaulichen. Wir sollten überlegen, warum der Atman im Hinduismus beständig ist und was man dort unter „beständig“ versteht. Als Beispiel wird dort ein Haus mit einem leeren Raum im Innern angeführt. Würde man eine kleine Flasche im Innern des Hauses erschaffen, würde der Raum in der Flasche nicht erzeugt werden, sondern bereits existieren. Im Hinduismus hat man hinsichtlich des Atmans die gleiche Vorstellung. Der Atman ist beständig, weil er raumgleich ist. Wenn eine Person über die Aggregate eines Körpers und Geistes verfügt, ist der Atman da. Lösen sich die Aggregate auf, wandert der Atman weiter. Es ist, als würde man all die Flaschen zerbrechen, wonach der Raum in ihnen zu einem wird. Man kann nicht mehr sagen, dies wäre ein Raum, jener der zweite und so weiter. Das ist eine ziemlich schöne Logik!

Im Buddhismus ist die Herangehensweise jedoch völlig anders, denn es geht um die Kontinuität im Bewusstsein und darum, wie es funktioniert und den Körper selbst beeinflusst. Wir müssen uns hier nicht weiter vertiefen. Mein Punkt ist nur, dass es keinen einzelnen Praktizierenden gibt, der sich nicht in Vergänglichkeit übt. Das ist der Schlüssel! Egal ob sie den Traditionen des Hinayana, Mahayana, Tantrayana oder einer tibetischen Schule – Sakya, Kagyü, Nyingma, Gelug – folgen. Das definierende Merkmal eines echten Praktizierenden beginnt zweifellos mit der Praxis von Vergänglichkeit. Denken wir über die Vergänglichkeit nach, haben wir die Hoffnung, Entsagung zu erlangen, die Entschlossenheit, frei von unseren Leiden zu sein. Das ist alles. Erinnern wir uns nicht an die Vergänglichkeit, werden wir ziemlich gewöhnlich bleiben. Wir merken, dass das „Ich“ von gestern dem von heute gleicht.

Haben wir jedoch erst einmal ein tiefes Verständnis der Vergänglichkeit, werden wir uns ganz anders fühlen. Begeben wir uns zum Beispiel zu einer Brücke und beobachten den Fluss, gehen wir wie kleine Kinder ohne viel Wissen davon aus, dass der Fluss jeden Tag fließt. Für große Praktizierende ist das Verständnis jedoch völlig anders. Obwohl es so ist, als würde der gleiche Fluss fließen, wird sich das Wasser, das wir jetzt sehen, weiterbewegen und dann in einem anderen Teil des Flusses befinden. Daher empfehlen die großen Kadampa-Meister: „Wollt ihr euch wirklich in Vergänglichkeit üben, solltet ihr euch an einen Ort begeben, an dem ein Fluss fließt. Dort solltet ihr meditieren. Der Fluss bleibt nicht stehen, sondern fließt immer weiter und weiter.“

Die Gewissheit des Todes 

Würde ich fragen, ob Menschen sterben, wäre die Antwort darauf: „Ja, denn wenn wir geboren wurden, werden wir mit Sicherheit auch sterben müssen.“ Die meisten Menschen werden so antworten. Es ist gewiss, dass Menschen sterben werden. Die Antwort selbst ist jedoch nicht wirklich hilfreich für unsere Praxis. Wir könnten auch fragen: „Wissen wir denn, wann wir sterben? Können wir davon ausgehen, dass wir 60 oder 70 Jahre alt werden? Können wir garantieren, dass wir morgen noch leben werden?“ Nun, diese Fragen kann man eigentlich nicht beantworten.

Es gab große Kadampa-Meister, die eine Praxis mit ihrer Bettelschale ausführten. Das Mittagessen war die letzte Mahlzeit des Tages und nach dem Essen reinigten sie ihre Schale und stellten sie mit der Öffnung nach unten auf den Tisch, um damit auszudrücken: „Es gibt keine Garantie dafür, dass ich morgen noch leben werde.“ Das ist eine großartige Praxis, die zeigt, dass sie die Realität des Todes akzeptierten. Wenn wir die Realität sehen, werden wir sie akzeptieren müssen. Diese Kadampa-Meister, die große Praktizierende waren, zeigten dieses Beispiel ihren Schülern. Es bedeutet nicht, dass wir auf den Tod warten, sondern, dass der Tod zweifelsohne zu uns kommen wird.

Eine Person beginnt bereits zu sterben, sobald sie geboren wurde. Der Countdown beginn genau in diesem Moment. Manche von uns mögen meinen, über den Tod nachzudenken wäre nicht wirklich interessant. Sie sagen, in ihrem Kopf gäbe es nichts von Wert, und haben daher sie keine Angst davor, etwas zu verlieren und müssen somit nicht über die Unbeständigkeit oder das Sterben nachdenken. In diesem Fall können sie ihr Leben genießen, indem sie Drogen nehmen und auf Partys gehen. Sie sollten es einfach genießen! Haben wir jedoch etwas zu verlieren, etwas, das wir in unser nächstes Leben mit hinübernehmen wollen, wie all unser Wissen, unsere Erfahrung und unser Verständnis, sollten wir neugierig sein und uns fragen: „Können wir diese Art des Wissens und Verstehens mit uns nehmen?“

Wie man einen friedlichen Tod haben kann 

Wenn wir, wie Seine Heiligkeit der Dalai Lama, Mutter Theresa, Martin Luther King Jr. und Mahatma Gandhi, anderen nützen, ist das großartig. Mutter Teresa verrichtete so einen guten Dienst für die Menschheit und für Gott, und konnte mit dieser Überzeugung friedlich sterben. Diese Menschen sind populäre Anführer. Es gibt jedoch auch viele, die nicht so bekannt sind, aber genauso eine Arbeit tun, wie die Großen.

Seht euch nur einmal das Beispiel Seiner Heiligkeit des Dalai Lama an. Er ist jetzt fast 85 Jahre alt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Seine Heiligkeit täglich zwei- oder dreihundert Menschen trifft. Er gibt Ratschläge und führt seine Praxis aus, mit 85 Jahren! Obwohl ich nur in meinen 30igern bin, wäre ich nicht in der Lage, das gleiche wie Seine Heiligkeit der Dalai Lama zu tun. Er ist jedoch dazu in der Lage, weil er voller Mitgefühl ist.

Wir sollten über all diese großen Taten solch wunderbarer Menschen sprechen. Der Buddha sagte, die Prägungen der guten Eigenschaften, die wir kultivieren, werden in unserem Bewusstsein bleiben und sich weiter fortsetzen. Es gibt also Hoffnung für uns, denn es sind diese Prägungen unserer guten Taten und dem, was wir in diesem Leben gelernt und verstanden haben, die wir ins nächste Leben mitnehmen können. Denken wir ein wenig darüber nach, kann uns das wirklich motivieren.

Vor fünf Jahren haben ich einen Telefonanruf von meinem Freund bekommen, der mir von einer Frau erzählte, die in ihren Fünfzigern war und sich in einem Hospiz befand. Sie wollte gern einen tibetischen Meister treffen und erfuhr, dass ich in Calgary, Kanada, war, was sich in der Nähe ihres Wohnortes befand. Mein Freund informierte mich, dass sie mich gern treffen würde, wenn ich Zeit hätte, und so ging ich hin. Sie war überall mit Schläuchen und Kabeln verbunden, was bestimmt nicht gerade angenehm war. Es war eine traurige Situation, doch für mich wirkte sie ziemlich gelassen. Ich sagte ihr: „Man weiß nie, ich könnte morgen sterben und Sie leben vielleicht länger als ich. Es gibt keine Gewissheit. Weil Sie sich aber gerade hier in dieser Situation befinden, ist es äußerst wichtig, sich vorzubereiten. Es gibt keinen Grund vor dem Sterben Angst zu haben. Daher sollten Sie erst einmal die Angst auflösen.“

Ich sagte viele Dinge und sprach immer weiter, was eine Angewohnheit von mir ist. Sie hörte weiter zu. Als ich fertig war, lächelte sie mich an und sagte: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich habe keine Ängste. Ich habe fast 30 Jahre studiert und praktiziert. Jeden Tag habe ich daran gedacht, mich auf das Sterben vorzubereiten. Ich habe mir vorgenommen, so zu denken, wenn der Tod kommt. Sie erzählte mir, dass sie so viele Belehrungen von Kagyü- und Nyingma-Rinpoches bekommen hatte und fügte hinzu, dass ihre Meditation zwar nicht die beste aber ziemlich in Ordnung sei. Sie hatte einen wachsenden Hirntumor, der ihr große Schmerzen bereitete. Sie sagte: „Wenn ich die Schmerzen nicht aushalten kann, müssen sie mir Mittel geben, die mich bewusstlos machen.“ Sie machte sich Sorgen, in diesem Zustand nicht meditieren oder sich nicht darauf vorbereiten zu können, dieses Leben zu verlassen. Das war ihre große Sorge.

Mich überraschte sie und ich erinnere mich, dass ich dachte: „Hier ist ein großer Held.“ Danach hatte ich das Gefühl, ihr nichts wirklich Hilfreiches sagen zu können, da sie wahrscheinlich in einer zehnmal besseren Verfassung war, als ich. Doch dann fiel mir ein Text einer Debatte über große Bodhisattvas ein, die sich auf dem Weg in die meditative Versenkung befinden. Ihr Bewusstsein ist äußerst subtil und sie fokussieren sich einsgerichtet auf die Leerheit und sonst nichts. Es wird gestritten, ob diese Bodhisattvas über Bodhichitta verfügen. Es ist jedoch unstrittig, dass der Einfluss von Bodhichitta noch immer da ist, egal wie lange sie sich in Meditation versenken. Sie mögen sich einen Monat lang in Meditation befinden, während sie darauf warten, fühlenden Wesen zu nützen. Doch der Einfluss dieser Motivation, allen anderen zu nützen, ist da wie ein Wecker. Man stellt den Wecker und geht schlafen, aber manchmal hat man einen Wecker in sich und wacht auf, bevor der eigentliche Wecker klingelt! Das ist meine Erfahrung und vielleicht habt ihr alle das auch erlebt. Man schlägt den Wecker um fünf Minuten. Das gleiche geschieht mit diesen Bodhisattvas in der Meditation. Ihre Bodhichitta-Motivation ist ihr innerer Wecker.

Ich gab dieser Frau also folgenden Ratschlag: „Machen Sie ihre Meditation einige Zeit vor dieser Behandlung, die Sie durchgehen müssen und die Sie bewusstlos macht, und vielleicht werden Sie dann ganz sanft in ihrem nächsten Leben aufwachen.“ Meine Idee war, dass die Eindrücke ihrer Meditation eventuell als eine Art innerer Wecker funktionieren könnten. Sie erwiderte: „Das ist ein wirklich wichtiger Punkt;“ und fügte hinzu „ich habe eine kleine Opfergabe, die ich im Falle einer guten Antwort geben wollte; ansonsten nur eine Khata.“ So legte sie eine Spende in einen Umschlag und gab ihn mir.

Dieses Treffen mit ihr war ziemlich berührend. Meine Empfehlung ist, dass wir uns so auf den Tod vorbereiten sollten. Wir alle wollen außergewöhnlich werden und aus diesem Grund studieren und meditieren wir. Wir wollen etwas Besonderes werden und wir werden etwas Besonderes, indem wir einen inneren Wecker für unsere zukünftigen Leben stellen. Dies tun wir, indem wir mit unseren Studien, Meditationen und all unseren positiven Handlungen Eindrücke in unserem Geist pflanzen.

Beginnen, über Vergänglichkeit nachzudenken 

Wie fangen wir an, über Vergänglichkeit nachzudenken? Wie gehen wir es an „loszulassen“? Ein Lehrer hat mir eine ziemlich gute Erklärung dazu gegeben. Er hielt einige Euro-Scheine in seiner geschlossenen Faust und sagte: „Wir müssen loslassen“. Damit öffnete er seine Hand und alles viel heraus. Dann zeigte er jedoch eine bessere Methode: wir legen den Schein sanft auf unsere offene Handfläche. Praktizierende, die ein großes Verständnis der Vergänglichkeit haben, halten alles auf diese Weise, während gewöhnliche Leute ihre Faust zusammenballen. Wir wollen es nicht „loslassen“, weil alles herausfällt und wir es verlieren. Können wir jedoch unsere Hände nach oben öffnen und die Dinge auf diese schöne Weise halten, ist das bemerkenswert. Dieser Lehrer hat eine wirklich gute Beschreibung gegeben.

Vielleicht habt ihr etwas ganz Besonderes in eurem Leben gefunden und wollt es für immer festhalten. Wir sollten unseren Geist üben, indem wir über die Vergänglichkeit meditieren und dann werden wir wissen, wie wir es festhalten und auch wie wir es loslassen können.

Der Text 

Nun kommen wir zum Text. Ich habe von den Meistern noch keine Übertragung dieser Verse bekommen. Dennoch nutze ich diesen Text: ,,Sich in Meditation über Vergänglichkeit üben, in Versmaß” (tib. Mi-rtag sgom-tshul-gyi bslab-bya tshigs-su bcad-pa bcas) als tägliche Motivation und finde ihn ziemlich hilfreich. Aus diesem Grund möchte ich ihn gern mit euch teilen.

Ich kenne diesen großen Meister, der ihn verfasst hat, nur durch seine Worte. Sein Name ist Gungthangtsang Könchog Tenpe Drönme (tib. Gung-thang-tshang dKon-mchog bstan-pa'i sgron-me). Seine Biografie habe ich nicht gelesen, um zu sehen, wer er war, wer sein Meister war und warum er angesehen war. Dieser Text reicht, um seine Qualitäten zu kennen. Lasst uns also beginnen.

Den Gurus Ehrerbietung darbringen

(1) Im Himmelsraum der wunderbaren großen Glückseligkeit versammeln sich Eure wolkengleichen Formen, um die Wesen zu schulen, und lassen Belehrungen niederregnen, die tiefgründig und weitreichend sind – vor Euch, heilige Gurus, verbeuge ich mich und werfe mich nieder.

In diesem ersten Vers der Ehrerbietung an die Gurus gibt uns dieser große Meister zunächst eine Belehrung über die Gurus im Sinne ihres Dharmakaya-Aspektes. Reden wir über den Guru, richtet sich unser Fokus von Natur aus auf die gewöhnliche Person des Gurus. Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat diesen „gewöhnlichen“ Körper aus Fleisch und Blut. Ich sage nicht, dass es falsch ist ihn in diesem Aspekt zu sehen, aber wenn wir es tun, vergessen wir vielleicht uns im Wesentlichen auf seine tieferen Aspekte zu richten. Sein eigentlicher Aspekt ist sein Dharmakaya.

Dieser wunderschöne Vers beginnt mit einem Hinweis auf den eigentlichen Aspekt des Gurus: Im Himmelsraum der wunderbaren großen Glückseligkeit, wobei ich denke, dass „Himmel“ hier das Schlüsselwort ist. Die Worte „Himmel“ und „Raum“ werden oft benutzt, um die Leerheit, den Dharmakaya der essentiellen Natur, zu beschreiben. Warum ist die Leerheit des Gurus hier wichtig? Nun, vergessen wir den Guru für einen Moment und richten uns nur auf die Bedeutung der Leerheit in Bezug auf Phänomene im Allgemeinen.

Buddhisten reden darüber, dass alle Phänomene, also alles auf der Ebene der Leerheit entsteht. Es wird gesagt: „Aus der Leerheit erscheinen die Phänomene.“ Denken wir an das Herzsutra, so werden dort nicht nur die fünf Aggregate, sondern alle Phänomene analysiert. Wenn wir versuchen Phänomene zu analysieren, können wir nichts Solides finden.

Es gibt eine Geschichte des Buddhas, in der er die Leerheit untersucht. Die Einzelheiten muss ich mir zusammenreimen, aber ich liebe es, mir Dinge zusammenzureimen. Es fand also eine Prüfung statt und viele Schüler und große Gelehrte, vielleicht Shariputra und andere, nahmen daran teil. Buddha fragte: „Gebt mir eine Erklärung der Leerheit.“ Ein Schüler stand auf und gab eine Antwort, dann der zweite Schüler und so weiter. Buddha sagte: „Ja, das ist alles sehr gut.“ Dann kam einer der großen Gelehrten an die Reihe, eine Antwort zu geben. Buddha fragte wieder: „Gib mir eine Erklärung der Leerheit“, worauf dieser große Gelehrte nur Tränen in seinen Augen hatte und nichts sagen konnte. Shakyamuni Buddha drehte sich zu den anderen um und sagte: „Sehr her, das ist Leerheit.“

Ich erzähle euch diese Geschichte, um zu verdeutlichen, dass man nur erklären kann, wie sich die Leerheit anfühlt. Wenn ich einen wirklich leckeren Kuchen esse und mich mein Freund danach fragt, wie gut er war, kann ich nur sagen: „Der Kuchen war richtig lecker.“ Das ist die beste Antwort! Wir können allerdings nicht die Erfahrung oder den Geschmack der anderen Person vermitteln. Das wäre ziemlich schwierig! Wir sagen: „die Leerheit hat keine Form“, doch wir können Phänomene sehen und fühlen, aber es gibt keine feste Existenz. Sie haben keine selbst-begründete, inhärente Existenz.

Haben wir das Gefühl, dass etwas inhärent da ist oder dass etwas von Natur aus wunderschön ist und wir es so erfahren, ist dies die Ebene, wie ein gewöhnliches Wesen die Dinge wahrnimmt. Wie verhält es sich jedoch mit Arya-Wesen, jenen, die Leerheit direkt oder indirekt wahrnehmen? Sie sehen und fühlen wie wir, doch ihr Verständnis der Wirklichkeit ist völlig anders als unseres. Sehen wir sie an, scheinen sie genau wie wir zu sein. Sie tun, was wir tun – essen, schlafen, reden und belehren. In unserem täglichen Leben werden wir traurig, bekommen Angst, haben Sorgen und fühlen uns einsam, doch Aryas erfahren das Leben nicht auf diese Weise. Der Unterschied ist auf die Sichtweise der Aryas und die Verwirklichung der Leerheit zurückzuführen. Was auch immer diesen großen Wesen passiert: sie sehen stets glücklich aus.

Betrachtet nur einmal Seine Heiligkeit den Dalai Lama. Er hat sein Land verloren, und er hat seinen Thron verloren. Er war der Herrscher von Tibet. Dann kam China, besetzte Tibet, und er verlor alles. Stellt euch einen Augenblick lang mal jemanden vor, der die Geschichte Seiner Heiligkeit nicht kennt. Wenn man ihn ansieht, würde man nicht erkennen, dass Seine Heiligkeit ein außergewöhnlicher Mensch ist. Ich spreche nicht nur über die Konflikte innerhalb Tibets oder die Probleme der Tibeter in Indien, mit denen er sich befasst, denn er kümmert sich nicht nur um die Tibeter. Vielmehr nimmt er die Last der Probleme der ganzen Welt auf sich. Er ist die führende spirituelle Autorität, die sich zum Beispiel mit der Klimaerwärmung befasst.  Er hat so viel Energie in sich, was wirklich außergewöhnlich ist. Er ist dazu in der Lage, weil er alles wie eine Illusion sieht.

Wie kommt es, dass er alles als illusionsgleich betrachtet? Weil er gesehen hat, dass alles leer ist. Nichts existiert wahrhaft nur für sich und es gibt keine echte, unabhängig existierende Sache. Das verleiht ihm innere Kraft.

Der Zweck, einen Retreat über Leerheit zu machen, besteht darin, mehr innere Kraft und Energie zu bekommen, um anderen zu helfen. Das ist der wahre Sinn und Zweck, nicht weil wir versuchen, vor etwas zu fliehen. Der Sinn ist, bereit dafür zu sein, die Leerheit im Leben anzuwenden und allen anderen zu helfen, indem wir alles als illusionsgleich betrachten. Das ist doch ziemlich erstaunlich, nicht wahr? Ich glaube, es ist wirklich wichtig, das zu verstehen.

Die Gurus einladen 

Wenn Könchog Tenpe Drönme schreibt: „Im Himmelsraum der wunderbaren großen Glückseligkeit, bezieht er sich damit auf den Teil der Praxis des Einladens der Gurus, bei uns zu sein, indem wir ihren Dharmakaya-Aspekt, ihre Leerheit, erkennen. Wir können die Gurus wie Seine Heiligkeit den Dalai Lama nicht einfach einladen, indem wir sagen: „Komm her!“ Wir laden Seine Heiligkeit als den Dharmakaya ein. In unserer Praxis müssen wir die außergewöhnlichen Qualitäten Seiner Heiligkeit des Dalai Lama sehen und alles in den Dharmakaya Seiner Heiligkeit auflösen. Wir lösen all seine Qualitäten in den Dharmakaya auf, weil alles daraus erscheint; all seine außergewöhnlichen Qualitäten entstehen aus seiner Leerheit.

Ein anderer Aspekt dieser Zeile Im Himmelsraum der wunderbaren großen Glückseligkeit ist das Erschaffen eines Meditationsfeldes – eines Geisteszustandes für die Meditation über den Text. Große Glückseligkeit ist die Art von Geist, die wir mit dem Verständnis der Leerheit haben, und bezieht sich auf das Verständnis der Leerheit des Gurus, dem anderen Aspekt seines Dharmakayas.

Haben wir ein grundsätzliches Verständnis der Leerheit, bekommen wir ein Gefühl der Glückseligkeit. Ich glaube, dass unsere Dharma-Praxis nicht dem richtigen Kurs folgt, wenn es am Ende der Übung kein Gefühl von Glückseligkeit gibt. Egal welcher Dharma-Praxis wir folgen, wir befinden uns nicht auf dem richtigen Weg, bis wir diese Glückseligkeit haben. Ich rede nicht von der Großen Glückseligkeit, über die es im Tantra geht. Wir sollten nicht gierig sein! Zunächst streben wir die Sutra-Ebene der Glückseligkeit an und allmählich werden wir zu dieser Großen Glückseligkeit kommen. Sie wird manchmal in der Tantra-Praxis erfahren, aber es ist nicht notwendig, hier über Tantra zu reden. Auf der Sutra-Ebene gibt es ein Zitat von Nagarjuna, in dem es heißt: „Da alles leer ist, ist alles möglich“ oder so ähnlich. Alle guten Eigenschaften, einschließlich einem glückseligen Verständnis, treten in Erscheinung, weil alles leer ist.

Menschen, die ein grundlegendes Verständnis der Leerheit haben, denken nicht einfach nur „leer“, wenn sie über „Leerheit“ sprechen. Haben wir nicht viel Wissen über die Leerheit, kann es passieren, dass die Menschen denken, es ginge darum, dass etwas leer oder voll sei. „Leerheit“ bezieht sich jedoch nicht darauf, dass etwas in dem Sinne „leer“ ist, als würde man einen Raum voller Möbel leerräumen. Das korrekte Verständnis der Leerheit ruft Glückseligkeit hervor.

Wenn ich über die Leerheit rede und darüber, dass alles wie eine Illusion ist, denke ich an eine Erfahrung, über die ich lachen muss. Als ich einmal in Toronto war, habe ich die Niagarafälle besucht. Sie waren wunderschön und die Menschen fotografierten sich zusammen mit den herrlichen Regenbögen, die überall dort erschienen. Man hörte überall nur klick, klick, klick, und auch ich habe mir die Regenbögen angesehen, die wirklich schön waren. Doch so schön sie auch waren, niemand wollte hinunterspringen, um einen einzufangen. Es klingt ziemlich albern, aber der Impuls entstand in meinem Geist, einen zu ergreifen. Sie sahen so kompakt und echt aus. Ich dachte: „Dieser Regenbogen ist so wunderschön!“

Ein Regenbogen ist ein gutes Beispiel, das wir nutzen können, um alle Phänomene zu erklären. Es gibt schöne und hässliche Phänomene, doch im Grunde gibt es nichts, das man greifen oder festhalten kann. Das Greifen wäre ähnlich, wie das Gefühl, das ich mit dem Regenbogen hatte. Würde ich den Wasserfall hinunterspringen, um einen Regenbogen zu fangen, wäre ich der Dumme. Die großen Meister wollen im Grunde, dass wir so über die Leerheit nachdenken: Phänomene sind wie eine Illusion. Es ist etwas, das wir in unsere Praxis einbringen können. Die Niagarafälle werde ich wohl nie vergessen!

Mit der Zeile: Im Himmelsraum der wunderbaren großen Glückseligkeit sprechen wir also über die Leerheit, weil es um den Dharmakaya geht.

Der nächste Aspekt der Gurus, über den unser Autor spricht, ist ihr Aspekt als Sambhogakaya. Der Sambhogakaya ist der Körper eines Buddhas, der erscheint und von dem wir die tiefgründigen Lehren über die Leerheit sowie die weitreichenden Lehren über Bodhichitta erhalten. Er lehrt sie uns nicht direkt, sondern indirekt durch seine Emanationen, seine Nirmanakaya Körper.

Die nächste Zeile: versammeln sich Eure wolkengleichen Formen, um die Wesen zu schulen deutet auf diesen Sambhogakaya-Aspekt hin und bezieht sich auf den Wunsch der Gurus, allen fühlenden Wesen zu helfen. Die Wolken sind wie ein Sambhogakaya. Unsere Generation weiß eine Menge über Wolken und Regen. Früher waren die Bauern in der Lage, einfach in den Himmel zu schauen und anhand der Wolken zu erkennen, ob es regnen würde oder nicht. Hier geht es jedoch um eine andere Art von Wolken. Weil sie die individuellen Gefühle der Menschen kennen und den Wunsch haben, ihre Gebete zu erfüllen, werden durch den Dharmakaya der Gurus Wolken von Sambhogakaya-Formen erschaffen. Was sie tun, wird in der nächsten Zeile angedeutet: und lassen Belehrungen niederregnen, die tiefgründig und weitreichend sind. Wenn die Wolken beginnen, ihren Regen auszusenden, gibt es eine weitere Art der Glückseligkeit! Er hilft, den Pflanzen gut zu wachsen.

Warum werden die Belehrungen als tiefgründig und weitreichend bezeichnet? Ich habe in zahlreichen Büchern gelesen, warum die Leerheit tiefgründig und warum Bodhichitta weitreichend ist. Chandrakirti spricht mit viel Gefühl darüber, doch wir können am Beispiel Seiner Heiligkeit des Dalai Lama sehen, wie tiefgründig, weitreichend und wichtig die Belehrungen sind.

Einmal erwähnte Seine Heiligkeit bei einer Belehrung beiläufig: „Als ich jung war, wollte ich mit großer Begeisterung die Leerheit studieren und vertiefte mich mit etwa 25 Jahren in diese Thematik.“ In dem Alter hatte er das Gefühl, dass er letztlich ein umfassendes Verständnis erlangen würde, obwohl die Leerheit ein wirklich schwieriges Thema ist. Am Anfang mag es lange dauern, bis wir es verstehen, doch mit Bodhichitta geht es vielleicht schneller, etwas darüber zu lernen. Um es jedoch in die Praxis umzusetzen, benötigen wir fast den ganzen Rest unseres Lebens! Seine Heiligkeit wies mit diesem großartigen Kommentar ganz beiläufig darauf hin.

Als ich ihn dies sagen hörte, hatte ich das Gefühl, als wäre es eine ziemlich normale und offensichtliche Sache. Doch dann sah ich, dass mein Lehrer in dem Moment seine Hände in respektvoller Haltung zusammenlegte und sagte: „Jetzt spricht Seine Heiligkeit über seine eigene Erfahrung.“ Seine Heiligkeit beschrieb es auf wirklich praktische und bodenständige Weise.

Den Guru laden wir am besten genauso ein, wie wir die Buddhas und Bodhisattvas in unserer Praxis anrufen. Aber wahrscheinlich gibt es in der westlichen Kultur keinen Manjushri oder Avalokiteshvara, den ihr anruft und einladet, wenn ihr bestimmte Praktiken macht. Jedenfalls scheint es komisch, Seine Heiligkeit einfach mit den Worten: „komm bitte her“ einzuladen. Man sollte es mit dem größten Respekt tun.

Ich schaue mir gern Bollywood-Filme an und da gibt es eine lustige Geschichte, die ich mit euch teilen möchte. Es handelt sich um einen Film, in dem eine Familie ihren Gott mit großer Hingabe verehrt. Dann wird der Sohn sehr krank und fällt ins Koma, worauf die Mutter in einen Tempel geht, die Glocke läutet und sagt: „Bis jetzt war meine Hingabe wirklich groß. Ich habe dem Shiva Lingam jeden Tag Blumen und Milch dargebracht. Ich habe so viele Dinge getan und das ist es, was ich nun von Dir bekomme!“

Es ist äußerst komisch, denn sie beginnt, mit einem Gott zu schimpfen! Aber es ist ein Film und natürlich passiert ein Wunder und der Sohn erholt sich. Es scheint, als würden die Hindu-Götter etwas Schelte brauchen, um an die Arbeit zu gehen! Im Buddhismus funktioniert das nicht; es ist genau andersherum. Wir zeigen gegenüber den Buddhas, Bodhisattvas und Gurus Respekt. Im Hinduismus ist es eigentlich auch nicht so; das war ja nur ein Film.

Diejenigen von uns, die den Buddhismus schon eine Weile praktizieren, wissen, dass es Verpflichtungen gibt, den Gurus Respekt zu erweisen. Und die Menschen, die keine solchen Verpflichtungen haben und neu im Buddhismus sind, sollten ebenfalls respektvoll sein. So rufen wir unsere Gurus an und laden sie ein: wir tun es mit gefalteten Händen.

Im Vers heißt es dann: vor Euch, heilige Gurus, verbeuge ich mich und werfe mich nieder. Das ist etwas, das man sowohl im Hinduismus als auch im Buddhismus tut. Auch in Vietnam, Korea und all den buddhistischen Ländern sehen wir eine Form des Verbeugens oder Niederwerfens. Im Westen sieht man es nicht so oft, dass sich jemand verbeugt oder niederwirft. Wir haben viel mehr Wertschätzung für unsere eigenen guten Eigenschaften. Alles ist in unserem Kopf gespeichert – unsere Intelligenz, unser Ego – alles ist dort eingeschlossen. Und aufgrund dessen sind wir so stolz, wenn wir sagen: „Ich habe an der Harvard University studiert und dort meinen Titel bekommen.“ Wir sagen es ganz direkt!

Aber warum ist das Verbeugen wichtig? Das ist etwas, das wir wissen sollten, denn wenn eine Praxis keine Bedeutung hat, müssen wir ihr nicht folgen. Wir verbeugen uns, wenn wir eine Qualität in jemandem sehen, die so kostbar ist. In gewisser Weise verlieben wir uns in diese Eigenschaft, die wir selbst nicht haben. Nehmen wir einmal an, jemand betritt den Raum, wie zum Beispiel ein großes Wesen, Seine Heiligkeit der Dalai Lama. Wenn Seine Heiligkeit in dem Raum kommt, bleiben wir nicht einfach sitzen und sagen: „Hallo, Seine Heiligkeit der Dalai Lama!“ Das würden wir nicht tun. Um im Westen unseren Respekt zu erweisen, stehen wir auf. An Orten wie Tibet, Japan und Korea verbeugen sich die Menschen, weil der Kopf der höchste Punkt, unser oberstes Körperteil ist. Wir verbeugen uns, um Respekt zu zeigen.

Niederwerfungen haben ebenfalls eine große Bedeutung. Unsere gefalteten Hände bewegen sich von der Spitze unseres Kopfes, dem Scheitel, mit dem Gebet nach unten: „Möge ich in der Zukunft eine Scheitelkrone wie der Buddha haben.“ Wir richten uns auf all die Qualitäten, die körperlichen und geistigen, die so schwer zu kultivieren sind. Um anderen zu nutzen, müssen wir die gleichen Qualitäten erlangen, wie der Buddha. Dann werfen wir uns auf den Boden, denn im Grunde waren wir bis jetzt am Boden! Wir denken: „Ich möchte nicht mehr am Boden bleiben. Ich kann fliegen. Ich möchte vollkommen erleuchtet werden.“ Dann stehen wir wieder auf. Darin steckt so viel Bedeutung. Das Wichtigste ist, wie wir uns an die Qualitäten des Gurus zu Beginn unserer Praxis erinnern. Ich glaube, der Rest kommt dann ganz automatisch.

Die kostbare menschliche Wiedergeburt 

(2) Diese glückliche Geburt, die so selten erlangt wird, kann leicht verloren gehen, ohne Früchte zu tragen. Beschreite also den Pfad zur Befreiung, solange es noch möglich ist, und lasse dich dazu von diesem Rat, der wie ein Peitschenschlag ist, antreiben.

Was meint der Autor mir dieser glücklichen Geburt? Das ist hier die große Frage. Es geht weiter mit: die so selten erlangt wird. Die erste Hälfte ist die Frage und die zweite Hälfte die Antwort. Es gab einen großen Meister, der nach China ging und seine Lehren über die kostbare menschliche Wiedergeburt mit den Worten begann: „Diese glückliche Wiedergeburt, die so selten erlangt wird.“ Nachdem er mit seinen Belehrungen fertig war, sagten die Chinesen: „Wir sollten mit Rinpoche zur U-Bahn oder dem Bahnhof gehen, wo es große Ansammlungen von Menschen gibt! Die Bevölkerungszahl in China geht in die Millionen und wir haben ein Problem mit der Überbevölkerung!“ Vielleicht dachten sie: „Rinpoche hat in Tibet nur ein paar Menschen gesehen, aber nie diese Menschenmassen, wie wir sie in China haben.“ Wir sollten also genau hinschauen, was diese Zeile wirklich bedeutet. Wir sollten es untersuchen.

Haben wir ein kostbares menschliches Leben? Für die Westler ist es meiner Ansicht nach besser, dies zunächst zu überprüfen. Wir können darüber debattieren, wenn ihr nicht das Gefühl habt, dass sie kostbar ist. Die Menschen, die hier sind, um etwas über den Buddhismus zu lernen, denken vielleicht, Dharamsala wäre ein Land der Möglichkeiten, um glücklich zu werden oder etwas Kostbares in diesem Leben zu bekommen. Indirekt sagen sie, im Westen geboren zu werden, sei keine glückliche Wiedergeburt! Andererseits wollen so viele Tibeter in den Westen gehen. Vielleicht heute nicht mehr, aber vor hundert Jahren sagte man in China: „Wir gehen in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.“ Die Chinesen wollten unbedingt mit dem Schiff in die Vereinigten Staaten gelangen, was heute nicht mehr der Fall ist, oder? Wenn die Tibeter heutzutage in die USA kommen, sagen sie, es wäre ein Ort, an dem man ein guter Mensch und glücklich sein könne. Doch solange wir nichts über die Befreiung von Samsara lernen, können wir dies nicht erreichen, egal wo wir uns befinden.

Uns geht es nicht nur darum, wegen dem Leiden dieses Lebens von Samsara frei zu werden. Wollen wir einfach nur dem Leiden entkommen und uns keine Gedanken über unser nächstes Leben machen, könnten wir auch einfach Tabletten nehmen und schlafen gehen! Vielleicht fühlen wir uns dann besser, wenn wir aufwachen, aber dann bekommen wir Kopfschmerzen und müssen wieder Tabletten nehmen und weiterschlafen. Buddha sagte jedoch, dass die völlige Beendigung von Leiden möglich ist. Wenn wir einmal diese wahre Beendigung erreicht haben, können wir uns von dem Leiden verabschieden! Verstehen wir das, erkennen den Wert davon und wissen, dass wir mit dem kostbaren menschlichen Leben, über das wir momentan verfügen, eine Möglichkeit haben, dies zu erreichen, werden wir entdecken welches Glück wir haben, praktizieren zu können.

Dann werden wir all diese anderen Menschen nicht bewundern, die Millionäre und Milliardäre sind, aber ihr Leben nicht dazu benutzen, Samsara zu entkommen, sondern denken: „Die Armen!“ Sie mögen zwar momentan recht glücklich sein, aber in ein paar Tagen könnten sie alles verlieren. Ein Milliardär verliert vielleicht seinen Reichtum und hat das Gefühl, nicht weiterleben zu können. Ich erinnere mich an einen Artikel, den ich mit 16 oder 17 las, als ich noch im Kloster lebte. Er handelte von einen Geschäftsmann in Delhi, der mit seiner Firma Gebäude entwarf und sie verkaufte. Lange Zeit war er recht erfolgreich, doch dann, eines Tages, ging er bankrott und die Bank wollte alles konfiszieren. Er hätte mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in ein Heim ziehen müssen und war aufgrund seines Egos und seiner Bekanntheit nicht dazu in der Lage. Er rief seine Frau und die Kinder und sagte zu ihnen: „Heute werden wir richtig gut essen.“ Daraufhin bereitete er ein großes Festessen und vergiftete sie alle. Nachdem sie gestorben waren, versuchte er Selbstmord zu begehen, doch der Nachbar bekam Wind davon, dass irgendetwas nicht stimmte und verhinderte es.

Wir mögen dieses Leben betrachten und sagen: „dieser Typ ist so dumm.“ Doch wenn wir einen ehrlichen Blick auf uns selbst werfen, werden wir etwas Ähnliches finden. Vielleicht nicht genau die gleiche Situation, doch wir haben diese Samen in uns. Jeder Same oder jede Tendenz ist in uns. Uns allen sind unser Ansehen, unser Reichtum, unser Ruhm und so weiter wichtig. Nichts ist falsch an diesen Dingen für sich, doch wenn die Menschen ihre Aufmerksamkeit nur darauf richten, wird ihr Verständnis zerstört. Alles wird durch ihren unwissenden Geist befleckt. Wir mögen sagen, dass ein Kind, welches in eine Familie von Millionären oder Milliardären geboren wird, wirklich Glück hat, doch ob es letztendliches Glück oder auch nur normales Glück haben wird, ist eine große Frage. Es ist nicht garantiert. Wenn große Meister sterben, beten sie: „Möge ich in einer Familie wiedergeboren werden, die nicht sonderlich wohlhabend ist und der es nicht um Ansehen und Reichtum geht.“ Sie wollen auch nicht in einer Familie Geburt nehmen, die so arm ist, dass sie betteln müssen. Stattdessen beten sie: „Möge ich in einer mittelständischen Familie wiedergeboren werden.“ Das ist ihr Gebet. Sie beten also, dass es weitere Möglichkeiten geben wird, daran arbeiten zu können, sich aus Samsara zu befreien. Oder sie beten, mit wirklich großer Entschlossenheit wie Buddha Shakyamuni Erleuchtung zu erlangen.

Das Beste aus unserem kostbaren menschlichen Leben machen 

Die nächste Zeile, unser kostbares menschliches Leben kann leicht verloren gehen, ohne Früchte zu tragen, setzt meine Erklärung fort. Da wir über Möglichkeiten reden, können wir den Tod als etwas sehen, das unsere Möglichkeiten beendet. Der Tod ist nicht nur ein Zustand, in dem sich Körper und Bewusstsein voneinander trennen, sondern auch ein Zeitpunkt, an dem wir die kostbaren Möglichkeiten verlieren, die wir haben. Die großen Meister verstehen ihn auf diese Weise. Beim gewöhnlichen Tod geht es darum: „Was wird mit all meinen schönen Dingen passieren? Was geschieht mit meinem Geld auf dem Konto?“ Die großen Meister hingegen sehen den Tod folgendermaßen: „Gut, nun muss ich wirklich Ruhe bewahren, um meine nächste Gelegenheit zu finden, damit ich weiteren Fortschritt auf dem Pfad machen kann. Ohne inneren Frieden werde ich kein friedvolles nächstes Leben bekommen.“ Sie wollen eine reibungslose Wiedergeburt. So denken sie über den Tod.

Somit gehen sie, wenn sie sterben, nicht mit leeren Händen. Im Grunde können wir das, was wir an der Universität lernen nicht mit uns nehmen, auch wenn es die Harvard University ist und wir dort einen Titel bekommen. Auch die Geshes oder Khenpos, die Mönche, die in den großen Klöstern studieren, bekommen Titel. Meisten fallen wir in noch größere Unwissenheit, sobald wir diesen Titel haben! Wir sagen vielleicht: „Jetzt bin ich der oder die Gelehrteste.“ Dieses Stück Papier wird ganz wichtig.

Genauso verhält es sich mit Geld. Modi, unser indischer Premierminister, zeigte uns die Leerheit von Geld. Es war eine merkwürdig Sache. Die Menschen dachten: „Ich habe Geld, Geld, Geld.“ Doch dann, eines Abends um halb 9 sagte er in Indien: „Von nun an wird es keine 1000- und 500-Rupie-Scheine mehr geben.“ Er nannte es „Geldentwertung“. Wir waren alle ziemlich verdutzt und fragten uns: „Was? Morgen werden wir dieses Geld einfach wie Abfall wegwerfen?“

Das war im Grunde eine große Lehre. Wir können es nicht mit uns nehmen. Was wir mitnehmen, sind Eindrücke und Prägungen, beispielsweise von unserer Wut. Das nehmen wir mit in unsere zukünftigen Leben. Mit unserer Anhaftung und dem starken Klammern schaffen wir ebenfalls Prägungen, die wir mit uns nehmen. Darauf sollten wir achten. Im Text wird gesagt, dass wir nicht mit leeren Händen und ohne positive Prägungen gehen sollten. Es ist wichtig, sehr achtsam in Bezug auf unsere Handlungen zu sein, die sich in unser Bewusstsein prägen. Aus diesem Grund ist ethisches Verhalten so wichtig.

Gehen wir weiter zur dritten und vierten Zeile. In der dritten Zeile heißt es: Beschreite also den Pfad zur Befreiung, solange es noch möglich ist. Wir müssen also daran arbeiten und praktizieren, damit wir die Befreiung erlangen können „solange es noch möglich ist“. Das ist die Möglichkeit, die wir haben. Und lasse dich dazu von diesem Rat, der wie ein Peitschenschlag ist, antreiben! Das bedeutet: „Hör auf mich!“ Was immer wir für gewöhnlich schätzen, hat meist nicht viel Wert. Wir sollten also daran denken, was wertvoll ist und was nicht. Er sagt: „Ich gebe dir einen Rat.“ Diese Peitsche ist nicht dazu da, um uns auszupeitschen. Ich weiß nicht, ob diese Übersetzung wirklich korrekt ist, denn mein Englisch ist nicht so gut. Im Tibetischen sprechen wir von einem „Haken der Ermutigung“, wie sie ihn in Indien benutzen, um Elefanten zu führen. Wenn jemand seine Sache nicht sehr gut macht, ermutigen wir ihn, indem wir sagen: „Wenn du das nicht tust, wirst du dies nicht bekommen. Und wenn du das tust, wirst du dies bekommen.“ Das ermutigt die Person und treibt sie an. Es ist also wie ein Haken der Ermutigung und nicht etwas, mit dem wir ausgepeitscht werden sollen. Keine Angst!

Widmung 

Morgen werden wir ein paar mehr Verse durchgehen und sie besprechen. Ich werde mein bestes geben, um sie euch in meinem gebrochenen Englisch vorzulesen. Wenn ihr etwas nicht versteht, könnt ihr mich einfach fragen, worum es denn da geht. Ich werde versuchen, es klar und deutlich zu erklären. Hier können wir, glaube ich, erstmal aufhören.

Lasst uns die Widmung machen. Ich brauche euch nicht beizubringen, wie man widmet. Ihr könnt eure Widmung auf das ausrichten, was euch am wichtigsten ist. Wir widmen die Verdienste, die wir zusammen angesammelt haben, um in der Zukunft weiter Verdienste zu schaffen. Wir haben über die Vergänglichkeit gesprochen. Dieser Ratschlag über die Vergänglichkeit ist nicht nur für Buddhisten oder religiöse Praktizierende. Es ist ein Rat für jeden, besonders für Menschen, die sterben und vielleicht große Ängste deswegen haben. All dies kann uns ermutigen.

Die Vergänglichkeit ist ein wirklich wichtiges Thema zum Lernen. Wenn es euch passt, denkt: „Ich werde mehr über die Vergänglichkeit und den Tod herausfinden.“ Das ist eine großartige Sache. Bitte erfreut euch auf diese Weise und widmet es Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, damit er ein gesundes und langes Leben hat. Und betet für jene, die Belehrungen von Seiner Heiligkeit über Madhyamaka empfangen, dass sie sie verstehen mögen und ihre Praxis auf sanfte Weise ausführen. Bitte betet auf diese Weise. Vielen Dank und bis morgen.

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