Interview mit der Ehrwürdigen Dr. Chönyi Taylor

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Study Buddhism hat sich mit der Ehrwürdigen Dr. Chönyi Taylor in den schönen Gärten des Kopan Klosters zusammengesetzt, um über die Konvergenz der westlichen und buddhistischen Psychologie zu sprechen, sowie über die Wissenschaft der Abhängigkeiten und wie man sie überwinden kann, und den Unterschied zwischen Glück und Vergnügen.
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Es ist Frühling in Kathmandu, Nepal, der Heimat vieler alter und heiliger buddhistischer Stätten. In dieser Jahreszeit kann die Luftverschmutzung der ständig größer werdenden Stadt erdrückend sein, doch das Kopan-Kloster befindet sich auf einer Anhöhe, von der man das Tal überblicken kann und ist eine Oase des Friedens, abseits des geschäftigen Treibens. Ich bin hier in den wunderschönen Gärten und möchte eine Person treffen, über die ich viele gute Dinge gehört habe und deren Buch ich in Vorbereitung auf das Interview gelesen habe: die Ehrwürdige Chönyi Taylor.

Die Ehrwürdige Chönyi Taylor, geboren als Diana Taylor, ist eine tibetische buddhistische Nonne, Lehrerin und Psychologin, die dafür bekannt ist, eine Brücke zwischen westlicher und buddhistischer Psychologie, insbesondere im Bereich der Abhängigkeit, zu schlagen.

Während Dr. Taylor in ihrer Heimat Melbourne, Australien, Psychologie studierte, befasste sie sich auch unter der Anleitung von Lama Yeshe und Lama Zopa Rinpoche, den Mitbegründern des Kopan-Klosters und der Stiftung zur Bewahrung der Mahayana-Tradition, mit dem Buddhismus. Nach einer beeindruckenden beruflichen Kariere in Psychologie und Palliativmedizin wurde sie im Jahr 1995 von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama ordiniert. Jetzt setzt sie als eine buddhistische Nonne ihre Arbeit fort, Menschen mit westlicher Psychologie und buddhistischen Methoden zu helfen, um inneren Frieden zu erlangen.

Dr. Taylor ist momentan Dozentin und Betreuerin für die „Australian Association of Buddhist Counsellors and Psychotherapists“ und ehrenamtliche Dozentin in psychologischer Medizin an der Sydney University. Ihr Buch über die Sucht: „Die Buddha-Therapie: Süchte mental besiegen“ kombiniert kognitive Therapien mit buddhistischen Lehren und eignet sich zum Selbststudium, wie auch als Teil eines geführten Programms für alle, die den Kreislauf von Süchten durchbrechen wollen, was auch immer sie sein mögen.

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Study Buddhism: Sie haben einen Doktortitel in Psychologie und sind eine ordinierte Nonne, haben somit ihren Fuß sowohl in den fachlichen als auch den spirituellen Bereichen. Wo treffen sich für Sie die buddhistische und die westliche Psychologie?

Wenn wir mit dem Studium des Buddhismus beginnen, merken wir, dass es äußerst praktische Lehren gibt, die uns mit den Dingen helfen können, die wir hier und jetzt erleben. Denn obwohl wir den Buddhismus als eine Religion bezeichnen, ist er im Grunde eine Psychologie.

Lama Yeshe sprach vom Buddhismus als der Wissenschaft des Geistes, da es sich dabei um Psychologie handelt und die Menschen, ungeachtet ihres kulturellen Hintergrundes, im Großen und Ganzen gleich sind. Der Grund dafür, dass Menschen wütend werden, Angst bekommen, frustriert sind, unglücklich werden oder verschiedenen Arten der Sucht verfallen, ist auf allgemeine Vorgänge im Geist zurückzuführen.

Indem wir diese Vorgänge studieren, lernen wir, wie wir den Geist nutzen, um ihn zu ändern. Ich denke, der Buddha war ein ziemlich guter Psychologe. Einmal habe ich vor Psychologen einen Vortrag gehalten und gesagt, dass der Buddha der allererste Psychologe für kognitive Verhaltenstherapie war, denn seine Techniken waren die gleichen. Sie werden im Buddhismus benutzt und sie funktionieren, weil wir menschliche Wesen sind. Ob es sich nun um CBT (engl.: Cognitive Behavioral Therapy), also kognitive Verhaltenspsychologie handelt, wie wir sie in der westlichen Psychologie nennen, oder um die buddhistischen Varianten dessen, spielt keine Rolle, denn es funktioniert trotz allem. „Wie denke ich darüber? Ist meine Denkweise korrekt oder nicht? Was kann ich tun, um nicht übertrieben zu reagieren? Was kann ich tun, um damit aufzuhören?“ Das sind CBT-Fragen, aber es sind auch buddhistische Fragen.

Das ist wirklich spannend. Obwohl sie tausende Jahre voneinander getrennt und auf ganz anderen Kontinenten entwickelt wurden, ähneln sich diese zwei Systeme laut Ihrer Erklärung scheinbar in vielfacher Hinsicht. Wo weicht dann die westliche Psychologie von den buddhistischen Lehren über den Geist ab?

Der Buddhismus und die westliche Psychologie treffen sich im Sinne dieser Verhaltensmuster, die wir ändern wollen. Beide haben Methoden, die sich damit befassen, doch der Buddhismus geht da noch einen Schritt weiter, wo die westliche Psychologie aufhört. Der Buddhismus sagt, dass es nicht nur möglich ist, diese Muster zu ändern, sondern dass es möglich ist, sie vollständig und unumgänglich loszuwerden. Man mag weiterhin ein paar Schmerzen haben, wenn man sich das Bein bricht, aber man wird wegen dieser Erfahrung keine negativen Emotionen erleben. Man wird nicht wütend oder verärgert sein, weil man sich das Bein gebrochen hat.

Die Geisteszustände, die mit dem Schmerz einhergehen, werden also vollständig beseitigt und weil sie beseitigt wurden, können wir immer mehr positive Eigenschaften entwickeln. Bezogen auf diese Lehren können wir den ganzen Weg gehen und den Geist völlig von allen negativen Eigenschaften reinigen. An diesem Punkt werden wir ein Buddha, was doch eine schöne Vorstellung ist!

Es gibt also ein Kontinuum, was genauestens in den Texten beschrieben wird und etwas langweilig sein kann, wenn man sich nicht wirklich für die Wege interessiert, auf diese höheren Ebenen zu gelangen. Betrachtet man jedoch einige dieser Lamas, besonders Seine Heiligkeit den Dalai Lama, fragt man sich, wie er zu dem geworden ist, der er ist. In seiner ganzen Ausbildung ging es schon als Kind um Mitgefühl und Weisheit, sowie darum, wie man Mitgefühl entwickelt und nutzt. Man kann das in seinen Augen sehen und in seinen Belehrungen hören, wenn man jemals die Gelegenheit hatte, Seine Heiligkeit zu treffen. Ich bekam diese Möglichkeit und man wird von ihm wie ein sehr enger und persönlicher Freund behandelt.

Es würde einen riesigen Unterschied machen, wenn wir mit jedem so umgehen könnten, doch im Westen wird Mitgefühl nicht als sonderlich nützlich betrachtet. Als wir begannen, die Tiere zu studieren, betrachtete Darwin sie als wild und grausam, weil sie sich von anderen Tieren ernähren und auf diese Weise überleben: das ist die natürliche Selektion. Worüber Darwin jedoch nicht sprach, war die Güte der Tiere. Wir haben nichts über das Muttertier erfahren, das seine Jungen füttert. Es gab kein Internet und wir sahen nicht diese erstaunlichen Bilder von Tieren verschiedener Arten, die sich umeinander kümmern.

Ich habe ein Bild, welches ich in meinen Workshops nutze: auf der einen Hälfte kann man einen Affen sehen, der einen Hund rettet; der Hund wird von dem Affen gehalten. Und auf der anderen Seite sieht man einen Hund, der einen Affen rettet; der Hund trägt den Affen in seinem Maul und bringt ihn in Sicherheit. Die Fotos sind von verschiedenen Tieren, aber sie illustrieren, dass Mitgefühl, genau wie Aggression, Teil der natürlichen Ordnung ist.

In der westlichen Psychologie beginnt man erst zu erkennen, wie wichtig Mitgefühl ist. Besonders in Bezug auf die Sucht wird es immer deutlicher, dass Menschen, die darunter leiden, oft aus Situationen kommen, in denen sie niemals irgendwelches Mitgefühl bekommen haben.

Sie haben erwähnt, dass in der westlichen Psychologie mehr die Betonung auf der Arbeit mit dem Geist liegt und weniger auf der Entwicklung eines gütigen Herzens, während im Buddhismus ein starker Fokus auf beides gelegt wird: auf Weisheit wie auch auf Mitgefühl. Welche Rolle spielt der Geist in der Entwicklung von Güte und Mitgefühl? 

Der Geist wird im Buddhismus als etwas definiert, das klar und wissend ist.

„Klarheit“ des Geistes bedeutet, dass all die Gedanken und Konzepte vom Geist getragen werden können, so wie der leere Raum ein Objekt tragen kann. „Wissen“ ist natürlich der Gewahrseinsteil des Geistes. Im Buddhismus ist der Geist verschieden vom Körper. Man kann den Geist nicht in einer Kernspintomografie untersuchen. Damit könnte man lediglich sehen, dass im Gehirn etwas passiert, aber nicht, was dort stattfindet. Der Geist kann nur untersucht werden, indem man ihn beobachtet. 

Beobachten wir unseren Geist und erkennen die Muster, beginnen wir zu erkennen, dass andere Menschen ebenfalls ähnliche Muster haben. Dadurch entwickeln wir auch mehr Verständnis für andere Menschen. Je mehr wir unseren eigenen Geist betrachten und untersuchen, desto mehr verstehen wir unsere Reaktionen, wie wenn wir in einer Situation wütend auf jemanden werden, der uns den Platz weggenommen hat. In solch einer Situation gilt es, das Ego herauszunehmen, was nicht einfach ist, wenn wir uns mittendrin befinden. Daher ist es wichtig zu üben. Nehme ich das Ego heraus, sage ich: „Gut, jemand sitzt auf diesem Stuhl. Ich dachte, ich würde mich dorthin setzen können. Die Person will nicht aufstehen und daher muss ich mir einen anderen Platz suchen.“ Es ist ganz einfach.

Es gibt keine Wut, die Situation wird lediglich betrachtet und die Reaktionen werden untersucht. Wir müssen uns darin üben, damit aufzuhören, frustriert, eifersüchtig und wütend wegen Dingen zu sein. Daher ist es notwendig, den Geist zu studieren.

Dr Chönyi Taylor bewundert eine große Stupa in den Gärten des Kopan-Klosters in Kathmandu, Nepal, 2017.
Als ein Experte in westlicher und buddhistischer Psychologie haben sie ein Buch geschrieben: „Die Buddha-Therapie: Süchte mental besiegen“, das eine beliebte praktische Anleitung dafür ist, uns von der Umklammerung negativer Gewohnheiten und Süchte zu befreien, die uns davon abhalten, ein sinnvolles Leben zu führen. Könnten Sie zusammenfassen, was eine Sucht eigentlich ist? 

Eine Sucht ist einfach ein Muster, eine Gewohnheit. Sie ist auf unser Ego zurückzuführen, das sagt: „Ich werde nicht glücklich sein, wenn ich nicht eine bestimmte Sache bekomme.“ Und das Ego macht das immer wieder in Bezug auf etwas. Man kann nach vielen Dingen süchtig sein, wie ein schnelles Auto zu fahren, Alkohol oder Drogen zu konsumieren, aber auch nach Schokolade.

Eine Gewohnheit bezeichnen wir als „Sucht“, wenn sie sich schädlich für uns auswirkt. Und wenn sie schlecht für uns ist, wird sie auch schlecht für andere Menschen sein.

Könnte man sagen, dass die Sucht im Sinne der buddhistischen Philosophie mit Karma verbunden ist?

Sucht kann sehr viel mit Karma zu tun haben, weil sie durch das Karma der Vergangenheit geschürt werden kann und auch, weil die Sucht das Karma erschafft, die gleiche Sache in der Zukunft zu wiederholen.

Vielleicht hatten wir in unserem früheren Leben eine große Vorliebe für Schokolade, doch unsere Familie war sehr arm. Wir bekamen selten Schokolade und es war jedes Mal eine große Sache, wenn sich die Gelegenheit ergab. Jedes Mal, wenn wir welche bekamen, waren wir überglücklich. Das könnte in unserem nächsten Leben bereits den Wunsch nach Schokolade hervorrufen und immer, wenn wir welche essen, wird dieser Wunsch dann verstärkt. Die Annahme wird dadurch vertieft, dass Schokolade uns glücklich macht, und das Ego selbst wird darin bestärkt, indem es sagt: „Ich muss glücklich sein“. 

Dieser Wunsch ist ein grundlegendes buddhistisches Konzept und eine der Ursachen unserer Unzufriedenheit. Somit kann man leicht erkennen, wie eine extreme Version des Wunsches, wie die Sucht, destruktiv sein könnte. Wie passt die Sucht in die buddhistischen Lehren?

Im Buddhismus geht es im Grunde um Suchtverhalten und darum, suchtfördernde Muster aufzulösen.

Von den drei großen Leiden ist eines die Unwissenheit, die eindeutig ist. Ein anderes ist die Wut, die ebenfalls klar ersichtlich ist. Das Dritte wird normalerweise mit „Anhaftung“ übersetzt, doch diese Anhaftung ist nicht die gleiche Anhaftung, wie in der westlichen Psychologie der Bindungstheorie von John Bowlby. Vielmehr ist es eine Sucht, ein Greifen, ein „Haben-müssen“.

Sie lehren, dass wir drei Werkzeuge benötigen, um zwanghaftes Verhalten zu ändern: Achtsamkeit, Selbstbeobachtung und Gleichmut. Können Sie uns etwas über diese Werkzeuge sagen? 

Ich begann Kurse zu geben, in denen ich mein westliches Wissen mit meinem buddhistischen Wissen abglich, um eine schrittweise Anleitung zu entwickeln und Methoden zu finden, die funktionieren würden.

Zunächst beginnt man mit Atemübungen. Der nächste Schritt ist dann Wege zu finden, mitten in einem Muster innezuhalten, was nicht gerade einfach ist. Man hält inne, erkennt das Gedankenmuster und macht die Atemübung. Danach fragt man sich, warum man dieses Muster hat. Das Muster ist eine Gewohnheit und wir versuchen sie aufzulösen. Während wir uns keine Sorgen um gute Gewohnheiten machen, sind schlechte Gewohnheiten eine Störung. Es gibt auch neutrale Gewohnheiten, wie sich beim Autofahren von einer manuellen auf eine automatische Schaltung umzugewöhnen.

Ich bin viele Jahre mit einer manuellen Schaltung gefahren und als ich dann auf ein Automatikgetriebe wechselte, begann mein Fuß ständig nach dem Kupplungspedal zu suchen, was es nicht gab. Sogar jetzt, 15 Jahre später, fange ich manchmal noch an, mit dem Fuß nach der Kupplung zu suchen, weil ich nicht nachdenke. Um dieses Muster aufzulösen, ist es notwendig sich daran zu erinnern, dass wir in dieses Muster fallen, und wir können uns auf immer früheren Stufen daran erinnern.

Neben der Achtsamkeit und der Selbstbeobachtung ist das dritte Werkzeug der Gleichmut. Gleichmut bedeutet im Wesentlichen, eine emotional gleichmütige Herangehensweise an Dinge zu haben. Ist man also süchtig nach Schokolade und sieht welche irgendwo liegen, würde man als ein Schokoladensüchtiger ganz automatisch sagen: „Her damit!“, und wenn uns jemand zuvor kommt, würden man meinen: „Das ist nicht fair!“ In der westlichen Psychologie kann man das als „Dramatisieren“ bezeichnen, ein Begriff, der von Jon Kabat-Zinn geprägt wurde.

Mit Gleichmut würden wir einfach sagen: „Hier gibt es Schokolade, vielleicht kann ich mir welche nehmen; nicht so schlimm, wenn nicht.“ Gleichmut ist ein Teil des Lernens, nicht durch dieses Ego beeinflusst werden zu müssen. Gibt es also kein Ego, greifen wir nicht nach der Schokolade.

Was Schokolade betrifft, die ich liebe, so würde ich nicht sagen, dass ich süchtig nach ihr bin. Aber gleichzeitig habe ich manchmal ein Verlangen danach, besonders nach einem langen Tag und wenn ich gerade vor dem Fernseher sitze. Die meisten von uns denken wahrscheinlich nicht an Schokolade, wenn es um das Thema Sucht geht, aber wie würden wir vorgehen, wenn wir die Sucht nach Schokolade überwinden wollen? 

Viele Menschen sind süchtig nach Schokolade! Stellt euch Folgendes vor: Ihr wisst, dass die Schokolade oben im Küchenschrank liegt und ihr habt dort einen geheimen Vorrat, damit es welche gibt, wenn ihr das Bedürfnis danach habt. Ihr habt euch entschieden, eure Sucht nach Schokolade aufzugeben, doch an diesem Tag habt ihr viel gearbeitet, seid müde und wollt eine kleine Belohnung. Ihr geht also in die Küche, streckt euren Arm aus und öffnet den Schrank mit all der Schokolade. Doch während diesem Vorgang erinnert ihr euch plötzlich, dass ihr versprochen habt, dies nicht mehr zu tun. Nun gilt es, über diesen Moment zu meditieren, an dem ihr die Tür öffnet und darüber, was da genau passiert. Ihr macht das immer wieder und erinnert euch daran, dass ihr keine Schokolade mehr essen wolltet.

Nachdem ihr darüber meditiert habe, das Muster des Öffnens des Küchenschranks zu lösen, löst ihr das Muster, den Arm dorthin auszustrecken. Sobald wir den Arm dorthin ausstrecken, machen wir eine ähnliche Meditation. Wir halten inne, bevor wir es tun und üben das immer wieder.

Eventuell ist es uns möglich, zu dem Punkt zu gelangen, an dem wir die Küche betreten und wenn wir einmal dort sind, können wir vielleicht sogar zu dem Moment zurückkehren, an dem wir unsere Arbeit beenden und erkennen, dass wir müde sind. Wir üben diese Dinge auf jeder Ebene und dadurch werden die tiefsitzenden Muster aufgelöst.

Haben wir das getan, werfen wir einen Blick auf die Emotionen hinter den Mustern. Oft ist es so, dass wir uns über uns selbst ärgern. Strecken wir den Arm nach der Schokolade aus, werden wir wütend und sagen: „Ich bin so dumm! Warum habe ich das getan? Ich wollte es doch nicht mehr tun! Ich bin ein hoffnungsloser Fall“ usw. Dann geht es uns noch schlechter, was unseren Wunsch nach der Schokolade noch verstärkt.

Sind diese Gewohnheiten so tief verwurzelt, mögen sich manche von uns fragen, wie man überhaupt versuchen kann, Suchtverhalten zu überwinden. Was würden Sie dazu sagen?

Es ist kein Problem, solange es für uns oder andere nicht schädlich ist. Wirkt es sich für uns selbst oder andere schädlich aus, wird es problematisch. Nicht jede Gewohnheit ist also eine Sucht. Es ist ein Problem, sobald wir beginnen, anderen Schaden zuzufügen. Die Menschen nehmen „Crystal“ (Crystal Methamphetamin), damit sie das ganze Wochenende Party machen können, ohne müde zu werden. Sie denken nicht einmal darüber nach, dass sie vielleicht paranoid werden, jemanden töten oder gelähmt werden könnten. Es kommt ihnen überhaupt nicht in den Sinn.

Es ist wichtig, sich darüber bewusst zu werden, wozu die Sucht führt, und Verantwortung dafür zu übernehmen. In der Gesellschaft gibt es viele Menschen, die sagen: „Ich muss keine Verantwortung für andere übernehmen.“ Beginnen wir, uns mit Mitgefühl zu beschäftigen, erkennen wir, dass Mitgefühl genau wie Aggression ein Bedürfnis der Menschen ist und daher sollten wir uns fragen, wie wir es entwickeln können. 

Ein kleines Tier kann nicht ohne eine Mutter aufwachsen, die es füttert. Das ist nicht möglich. Jemand hat uns durch die Güte seines Herzens diese Fähigkeit gegeben. Sie haben das für uns getan, und was tun wir? Wir gehen einfach herum und ruinieren alles. Welche Auswirkung wird das haben? Wir ruinieren andere Menschen, sie werden wütend und werden ebenfalls andere Menschen ruinieren und dann eskaliert das Ganze. Üben wir uns jedoch in Güte, werden die Menschen ihre Einstellung uns gegenüber ändern und dann werden andere Menschen ihre Einstellung gegenüber ihnen ändern, was ebenfalls eskaliert.

Einfach indem wir jemanden anlächeln, den wir treffen, können wir eine treibende Kraft für Änderungen in dieser Welt sein. Man muss nicht der Präsident der Vereinigten Staaten sein, der Premierminister von Australien, wo ich herkomme, oder irgendein anderes hohes Tier. Wir können diese Welt ändern, indem wir einfach Menschen anlächeln.

Lächeln sie zurück, können wir uns freuen, dass es sie berührt hat. Wenn sie nicht zurücklächeln, haben sie vielleicht gerade irgendein Problem, an dem sie arbeiten. Das Lächeln wird es jedoch besänftigen, anstatt es noch zu verschlimmern. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Macht des Mitgefühls als wesentlichen Faktor im Entwickeln menschlicher Beziehungen zu erkennen.

Dr. Chönyi Taylor, lächelnd und umgeben von Blumen, nach unserem Interview in den Gärten des Kopan-Klosters in Kathmandu, Nepal, 2017.
Heutzutage sind viele von uns mit einem etwas neueren Phänomen konfrontiert: der Sucht nach sozialen Medien. Forscher haben darauf hingewiesen, dass sie süchtiger machen können, als Alkohol und Drogen, da wir durch unser Smartphone so leichten und ständigen Zugang zu Social-Media-Plattformen haben. Was sind ihre Gedanken zu den zahlreichen jungen Leuten, die ein starkes Bedürfnis haben, ihr Leben öffentlich zu dokumentieren und die jede Gelegenheit nutzen, um Selfies zu machen? 

Die Sucht nach sozialen Medien ist im Grunde ziemlich kurios, denn Jugendlichen ging es ja schon immer darum zu wissen, wie sie anderen gegenüber aussehen. Sie stehen stundenlang vor dem Spiegel während sie sich anziehen oder betrachten einen winzigen Pickel und fragen sich, wie sie ihn loswerden können oder ob das Kleid für die derzeitige Mode die richtige Länge hat.

Daher denke ich nicht, dass diese Einstellung nur etwas mit sozialen Medien zu tun hat. Meiner Meinung nach ist sie ein Teil des Geistes der Menschen, die soziale Medien benutzen, und nun ein wirklich effektives Werkzeug dafür haben. Ich weiß nicht, was diese Kinder am Ende mit all diesen Selfies machen werden. Kopieren sie sie auf eine Festplatte, die sie dann schließlich ins Meer werfen?

Sie wollen sie sich bestimmt nicht zehn Jahre später noch einmal ansehen. Als man begann Bücher zu schreiben, machten sich die Menschen große Sorgen, dass diese Bücher eine negative Auswirkung auf den Geist haben würden und sie nicht mehr in der Lage sein würden, sich an etwas zu erinnern, da sie ja alles in einem Buch nachlesen könnten. Die Menschen dachten, in den Büchern würden Dinge geschrieben stehen, die sie eigentlich nicht lesen sollten usw. Darüber kann man im Internet Aussagen finden.

Ich denke, dass die Menschen, die süchtig nach ihren Bildschirmen sind, im Grunde an etwas hängen, das sie von der Gesellschaft fernhält. Verbringt jemand zum Beispiel viel Zeit mit Lesen, machen wir uns keine Sorgen über eine Lesesucht. Genau genommen kann das, genau wie das Internet, auch eine Flucht sein. Ich glaube das Internet ist ein ausgesprochen mächtiges Werkzeug und kann auch für viele gute Dinge benutzt werden.

Die buddhistischen Lehren sagen, dass wir alle dem Glück hinterherjagen, es jedoch an den falschen Orten suchen. Wir bleiben an Dingen hängen, die uns statt dauerhaftem Glück nur zeitweiliges Vergnügen schenken. Entsteht die Sucht daher durch Verwirrung in Bezug auf das Glücklichsein? 

Vergnügen und Glück werden oft miteinander verwirrt und Glück wird häufig als Synonym für Vergnügen benutzt. Vergnügen bedeutet lediglich, dass mir heiß ist und jemand mir ein Eis gibt. Es ist für eine Weile erfrischend und das genieße ich. Habe ich das Eis aufgegessen, ist mir wieder heiß.

Im Glücklichsein gibt es jedoch eine Qualität, die tiefgreifender ist als das. Das Glücklichsein ist ein Geisteszustand, der im Gegensatz zum Vergnügen, ausnahmslos immer in uns ist. Dieses Glücklichsein bezieht sich auf die Freude, andere Menschen zu sehen, die glücklich sind, etwas erreichen oder von ihrem Leid auf irgendeine Weise frei werden. Dieses Glück ist auch auf das Erkennen der großen Güte zurückzuführen, die wir von anderen Menschen erfahren, über die wir uns meistens nicht bewusst sind.

Wenn ich meine Roben ansehe: Woher kommen sie denn? Es ist eine Kombination aus Nylon und Baumwolle. Das Nylon wird in einer Fabrik hergestellt und diese Fabrik wurde von Menschen errichtet. Andere Menschen haben die Baumwolle gepflückt, die Baumwolle musste verarbeitet werden, alles wurde zusammengefügt und dann gefärbt. Nur an der Herstellung meiner Roben waren zahllose Menschen beteiligt. Und ohne diese Menschen würde ich diese Roben nicht haben.

Normalerweise denken wir, wir wären allein und niemand würde sich um uns kümmern. Erkennen wir jedoch diese große Güte anderer, füllt sich unser Herz mit Freude, denn wir sind uns darüber bewusst, nicht allein zu sein, und erkennen, Teil eines riesigen Systems zu sein, in dem es Güte gibt.

Und dann gibt es das Glücklichsein, welches wahrscheinlich die tiefgreifendste Form des Glücklichseins ist, mit dem wir realisieren, dieses Ego nicht zu brauchen, das wir für so notwendig hielten, das Ego, von dem wir dachten es wäre in uns und welches wir beschützen müssten. Wir sehen ein, dass diese ganze Sache ein Mythos ist. Es existiert nicht. Dann werden all die Reaktionen, all die Wut, Eifersucht usw. bedeutungslos.

Diese Reaktionen haben wir dann nicht mehr und auch keine negativen Gefühle gegenüber anderen. Dann werden sie wahrscheinlich auch viel weniger negative Gefühle gegenüber uns haben und weil wir keine negativen Gefühle gegenüber anderen haben, sind wir immer glücklich. Das geht einfach immer so weiter und es gibt keinen Grund dafür, unglücklich zu sein.

Was das Verhindern von Geisteszuständen betrifft, die wir nicht haben wollen, so haben viele Arten der Sucht eine Auswirkung auf das Gehirn und die Neurochemie des Gehirns. Befindet man sich also in einem depressiven Geisteszustand, wählt man vielleicht eine Droge, die Serotonin erhöht oder die uns so richtig aufdreht, wie Amphetamine. Dadurch bekommen wir dann für einen bestimmten Zeitraum das Gefühl glücklich zu sein und oft ist es so, dass man etwas mehr nehmen muss, weil sich das Gehirn an das positive Gefühl gewöhnt.

Eine sehr häufige Form der Sucht ist zu sagen: „Ich gönne mir ein Bier, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme; das wird mich beruhigen und dann werde ich mich besser fühlen.“ Ein Glas mag nicht so schlimm sein, doch dann wird es mehr und wirklich ein Problem. Wenn das passiert, denken wir, unser Glück ergibt sich aus der Tatsache, einen Vorrat an Bier dort im Kühlschrank zu haben. Das wird uns glücklich machen, aber dieses Glück dauert nicht an. Das Glück kommt nicht durch den Alkohol oder das Hinsetzen und Ausruhen, obwohl es vielleicht einen Einfluss auf das Serotonin haben mag; Glücklichsein ist ein Geisteszustand. Doch weil materielle Dinge den Geist nicht ändern, werden die Drogen selbst dies nicht tun können. Wir können den Geist nur ändern, indem wir seine Funktionsweise beobachten, seine Gewohnheiten, und die negativen Gewohnheiten, unser Suchtverhalten, zu positiven Gewohnheiten der Weisheit und des Mitgefühls machen.

Dr. Chönyi Taylor in den Gärten des Kopan-Klosters in Kathmandu, Nepal, 2017.
Ich stelle mir vor, dass die Sucht oft von einem Schamgefühl begleitet wird. Kann so ein Gefühl die Menschen dazu bringen, ihre Sucht anzugehen oder hindert es sie, nach Hilfe zu suchen?

Das Schamgefühl der Sucht entsteht ganz natürlich, wenn die Menschen sich über die Auswirkung ihrer Sucht auf sie selbst und andere Menschen bewusst werden. Oft ist es so, dass Menschen, die sich nicht mit ihrer Sucht auseinandersetzen wollen, sagen: „Es ist egal, ich schäme mich nicht deswegen“, aber im Innern tun sie es doch. Sie haben große Schamgefühle deswegen.

Mit solchen Gefühlen kommen heftige Selbstvorwürfe: „Nun steckst du wieder bis zum Hals drin. Du warst bei den Anonymen Alkoholikern und wolltest nicht mehr trinken, aber jetzt, nach drei Wochen, tust du es wieder.“ Diese äußerst selbstkritische Haltung verschlimmert das Schamgefühl und macht es noch schwieriger und tiefgreifender. Vielleicht hat diese Person nie die Art der Güte und des Mitgefühls bekommen, um die es geht, wenn wir von Müttern reden, die sich um ihre Kinder kümmern und sie füttern.

Aber das ist an diesem Punkt notwendig: Güte gegenüber sich selbst, jedoch nicht in dem Sinne, dass es egal ist, ob man das Problem hat oder nicht, sondern indem man nicht selbstkritisch ist. Diese Art des Verurteilens ist ziemlich schädlich.

Wenn wir all diese negativen Emotionen studieren, die wir haben und die uns so immense Schwierigkeiten bereiten, bekommen wir Hinweise darauf, wie unser Ego uns kontrolliert. Manchmal, wenn ich hier im Kloster über diese Dinge spreche, sage ich zu den Leuten: „Ich will, dass ihr euren Geist beobachtet, wenn ihr runter zum Abendessen geht. Beobachtet euren Geist auf jedem Schritt des Weges und wie ihr auf die anderen Menschen in eurer Umgebung reagiert.“ 

Dann stehen sie in einer langen Schlange an und an diesem Tag gibt es vielleicht Pommes. Und jeder mag Pommes! Die ersten Leute in der Schlange nehmen vielleicht ziemlich viel und der Berg von Pommes frites wird immer kleiner. Was denken diejenigen, die ganz am Ende der Schlange stehen? „Wie können diese Leute mehr nehmen, als ihnen zusteht? Das ist nicht fair! Warum kann ich nicht auch welche haben?“ All diese Fragen entstehen durch dieses Ego.

Daher ist der Buddhismus ausgesprochen praktisch, wenn man versteht, wie man ihn anwendet. Warum nerve ich mich? Warum schreie ich morgens, sobald ich aus meinem Schlafzimmer komme, jeden im Haus an? Ich habe bereits schlechte Laune und weiß schon, wie der Tag wird. Es ist mein Ego, das mir sagt, dass die Dinge nicht so laufen werden, wie wir es wollen. Und es ist immer die Schuld der anderen. Es ist nie unsere Schuld, sondern immer ihre! Solange wir nicht innehalten und uns mit dem Geist beschäftigen, können wir nicht sehen, wie er funktioniert.

Könnten Sie zum Abschluss dieses Interviews eine ganz kurze geführte Meditation für unsere Leser mit uns teilen.

Dies wäre eine kurze Meditation, um einfach einen Moment innezuhalten:

Wir erlauben unserem Geist zur Ruhe zu kommen. 

Das heißt, alle Gedanken loszulassen: alle Ängste, die wir in Bezug auf die Sucht haben mögen, alle Dinge, die wir uns vorgenommen haben und alle Verhaltensweisen, die wir als schlecht ansehen.

Wir kommen zur Ruhe und erkennen, dass es auch viel Gutes in uns gibt.

Wenn wir uns beruhigen, wird der Geist klar. In dieser Klarheit können wir dem Guten erlauben, an die Oberfläche zu treten. Wir können der Liebe erlauben zu erscheinen, dem Glück anderer, der Vergebung unserer selbst, der einfachen Freude, dass es in dieser Welt so viel gibt, über das wir uns freuen können.

Wir erlauben dem Geist, sich zu beruhigen, klar zu sein, das Gute zu erkennen, sich daran zu erfreuen, da zu sein, und bedanken uns, diese Möglichkeit zu haben, das zusammen tun zu können, und dass jeder Moment der Freude ein Moment ist, in dem wir die Welt ändern können.

Seid also glücklich!

Vielen Dank für Ihre Zeit und für die faszinierenden Einblicke in den Geist der Sucht und wie wir die Kraft unseres zwanghaften Verhaltens überwinden können.
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