Interview mit Matthieu Ricard

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Der bekannte buddhistische Mönch Matthieu Ricard sprach mit Study Buddhism über sein Leben und seine Arbeit in seinem Zuhause im Shechen Tennyi Dargyeling Kloster in Nepal.
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Matthieu Ricard ist vieles: ein buddhistischer Mönch, der Autor mehrerer Bestseller, ein Übersetzer für Seine Heiligkeit den Dalai Lama, ein talentierter Photograf und ein Wissenschaftler.

Inspiriert von den großen tibetischen buddhistischen Meistern, die er während seiner Promotion in Zellgenetik traf, beendete er seine Studien und zog dann in den Himalaya, wo er seit den letzten 45 Jahren lebt. Er ist einer der ersten Langzeit-Meditierer, die in dem wissenschaftlichen Forschungsprogramm unter Laborbedingungen teilnahmen, in dem die Auswirkungen der Liebende-Güte-Meditation auf das Gehirn untersucht werden. Seine einzigartigen Laborergebnisse haben ihm in den gängigen Medien den Spitznahmen „glücklichster Mann der Welt“ eingebracht.

Alle Einnahmen von Matthieu Ricards Bücher und Fotos gehen als Spende an „Karuna-Shechen“, der humanitären Organisation, die er im Jahr 2000 gründete, um der benachteiligten Bevölkerung der Himalaya-Regionen Indiens, Nepals und Tibets zu helfen. In diesem Interview spricht er mit Study Buddhism darüber, warum er eine vielversprechende wissenschaftliche Karriere für das Mönchtum aufgegeben hat, welche Rolle der Altruismus spielt, um aus der Welt einen besseren Ort zu machen, und warum wir uns alle für das Recht der Tiere einsetzen sollten.

Study Buddhism: Sie haben am renommierten „Pasteur Institue“ beim Nobelpreisträger François Jacob Zellgenetik studiert, als Sie den buddhistischen Pfad betraten. Können Sie uns sagen, was Sie zum Buddhismus geführt hat? 

Matthieu Ricard: Als ich 20 war, habe ich Dokumentationen von Arnaud Desjardins über all die großen tibetischen Meister gesehen, die vor der chinesischen Invasion Tibets flohen und überall im Himalaya lebten. Ich hatte das Gefühl, da gab es 20 Ausgaben von Sokrates und Franz von Assisi, die in unserer Zeit lebten, und hatte einen wirklich großen Wunsch sie zu treffen. Ich reiste im Juni 1967 nach Darjeeling und traf Kyabje Kangyur Rinpoche, meinen Wurzellehrer, aber auch den Sechzehnten Karmapa, sowie Dudjom Rinpoche und viele andere große Meister dieser Zeit.

Während ich im Pasteur Institute an meiner Promotion arbeitete, reiste ich sechs Jahre zwischen Indien und Frankreich hin und her. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass mein Geist ständig nach Darjeeling wanderte, wenn ich im Pasteur Institute war und das Pasteur Institute vollkommen vergaß, wenn ich in Darjeeling war. Ich hatte das Gefühl, dass dies keine gute Situation war und nach dem Abschluss meiner Promotion entschied ich, für immer in Darjeeling zu bleiben. Ich verbrachte dort sieben Jahre, ohne nach Europa zurückzukehren.

War der Übergang von solch einer vielversprechenden wissenschaftlichen Karriere zum Leben eines Schülers in Indien leicht?

Bei der Wissenschaft geht es um eine gründliche Auseinandersetzung mit der Realität, der Wahrheit. Es gibt die Wissenschaft, den Bereich der äußeren Phänomene – Biologie und Physik – und es gibt die Wissenschaft des Geistes, bei der es im Buddhismus geht, der Wissenschaft des Erforschens der Ursachen des Leidens und wie man sie behebt. Ich dachte, es wäre gut, sein Leben damit zu verbringen, besonders mit der unfassbaren Inspiration und Gegenwart großer erleuchteter Meister.

Was kann der Buddhismusden Menschen in der heutigen Zeit denn genau bieten?

Ich meine, dass der Buddhismus die so genannte wichtigste Frage des Lebens anspricht, nämlich: „Warum sollte ich weiterleben?“ Vielleicht weiß man, dass man kein langweiliges und sinnloses Leben führen will. Aber wenn man 20 ist, weiß man womöglich nicht, was die beste Weise ist, das Leben zu nutzen. Mir wurde klar, dass ich mein Leben nicht vergeuden wollte, als ich meine Lehrer traf. In der Gegenwart dieser großen Meister hatte ich ein Gefühl für die Richtung. Man sieht vor sich, was am Ende des Pfades liegt. Der Botschafter wurde zur Botschaft: das lebendige Beispiel befindet sich genau vor dir.  

Ich betrachte es als ungeheures Glück, wenn wir die Gelegenheit haben, dem Dharma zu begegnen und große Lehrer zu treffen. Wir besitzen dieses kostbare menschliche Leben und es ist wunderbar, weil es uns die Intelligenz gibt, herauszufinden, was die Ursachen des Leidens sind und zu versuchen, diese Ursachen zu beseitigen. Dennoch sind wir oft ziemlich verloren.

Es ist großes Glück, wenn wir einen authentischen Lehrer treffen, jemanden mit Mitgefühl, Wissen und Weisheit, einen wahrhaft authentischen Lehrer, und dank diesem Lehrer den Pfad betreten, ihn Schritt für Schritt weitergehen und uns von den Ursachen des Leidens lösen. Das ist ein großes Glück und wir sollten es schätzen, wenn wir es haben, und es gut nutzen.  

Es liegt an uns, wie viel Entschlossenheit, wie viel Überzeugung, wie viel wir von unserem ganzen Wesen hineinstecken. Es liegt an uns, aber zumindest der Pfad ist klar.

Für Sie scheint er gut funktioniert zu haben. Schließlich wurden sie in den großen Medien als „der glücklichste Mann der Welt“ bezeichnet! Wie kam das zustande?

Das ist der größte Witz der Welt! Es begann mit einem Journalisten, der eines Morgens nicht wusste, was er schreiben sollte. Es hatte etwas mit den Studien in Richard Davidsons Labor in Madison zu tun, an denen ich teilnahm, um die Auswirkungen von Mitgefühl auf das Gehirn zu untersuchen. 

Matthieu Ricard bei der Teilnahme an Studien in der University of Wisconsin, wo Neurowissenschaftler 256 Sensoren an seinem Kopf anbrachten, um die Gammawellen des Gehirns zu messen. Aufnahme: Jeff Miller/University of Wisconsin-Madison.

Sie fanden bei mir und später bei vielen größeren Meditierenden heraus, dass es eine ziemlich starke Aktivierung von Gamma-Frequenzen im Gehirn gab. Diese Gamma-Frequenzen und die Bereiche des Gehirns, die aktiviert werden, sind auch mit dem Wohlbefinden verbunden. Gut! Am Ende gab es 25 Meditierende.

Wie kann man sagen, ich wäre von 7 Milliarden Menschen der glücklichste? Das ist natürlich Unsinn und nicht schwer zu verstehen. Aber ich bin auch nicht wirklich unglücklich, was ich, glaube ich, meinen Lehrern zu verdanken habe, denn auch wenn ich so faul bin, bemühe ich mich, ihre Anweisungen seit einem halben Jahrhundert in die Praxis umzusetzen. Ich hätte es natürlich noch viel besser machen können, aber das Wenige, was ich getan habe, hat zumindest dazu beigetragen, das Leben zu genießen und ich schätze es wirklich, auf diesem Pfad zu sein.

Ihr Vater, der bereits verstorbene Jean-Francois Revel, war ein herausragender Philosoph, der damals Schwierigkeiten mit Ihrer Entscheidung hatte, Ihre vielversprechende wissenschaftliche Karriere aufzugeben, um ein buddhistischer Mönch zu werden. Das Buch „Der Mönch und der Philosoph“ ist eine Aufzeichnung der Dialoge zwischen Ihnen und Ihrem Vater über ihre unterschiedlichen Sichtweisen und ihre Bemühungen, die Gedanken und Standpunkte des anderen zu verstehen. Neben anderen Themen erforschen Sie die buddhistische Philosophie und Glaubensvorstellungen durch die Linse des westlichen philosophischen Denkens und der Tradition ihres Vaters. Ist es für buddhistische Praktizierende nützlich, sich gut mit westlicher Philosophie auszukennen oder ist es nur eine verwirrende Ablenkung?

Das hängt davon ab, welchen Pfad man geht und welche Art der Praxis man ausführt. Ist man eher ein Denker und Meditierer und folgt den Instruktionen des eigenen Lehrers, denke ich nicht, dass man westliche Philosophie benötigt, besonders wenn man ein östlicher Praktizierender ist. Auch innerhalb des Buddhismus braucht man keine umfangreichen philosophischen Voraussetzungen.

Studiert man auf der anderen Seite östliche und buddhistische Philosophie, die im Madhyamaka gipfelt, und befasst sich dazu mit dem Studium der Logik, ist man gezwungen, sich auch mit anderen Sichtweisen zu befassen. Daher ist es hilfreich, eine Vorstellung von den wichtigsten Trends in der wesentlichen Philosophie zu haben, um die eigene Denkweise zu entwickeln und ein paar Ungereimtheiten zu zerstreuen, die man im eigenen Verständnis der buddhistischen Philosophie haben mag.

Wird man dann mit Argumenten konfrontiert, wird das den eigenen Geist schärfen. Buddhistische Philosophen debattierten mit hinduistischen Philosophen und das war sehr hilfreich für sie, um ihre eigenen Sichtweisen mit Klarheit zu begründen und festzulegen. Ich glaube, es ist tatsächlich von großem Nutzen, dasselbe mit anderen Philosophien zu tun.

Sie sind der Autor des Bestsellers „Glück“, ein Buch, das sich auf wissenschaftliche Studien, westliche Literatur und Philosophie, sowie buddhistisches Gedankengut bezieht. Was ist Glück und was ist Leid? Worin unterscheiden sie sich?

Nun, wir kennen das Leid etwas besser, nicht wahr? Von den Menschen bis hin zu kleinen Tieren will niemand leiden, doch oft können wir das Leid nicht als solches erkennen. Häuftig ist das, was wir als „Glück“ bezeichnen, im Grunde Leid. Es gibt einige versteckte Ursachen des Leidens, wie Unwissenheit, Anziehung, Abneigung, Hass, Eifersucht, Stolz. Das sind Geistesgifte, die Leid verursachen.

Was ist Glück? Nun, letztendlich ist es die völlige Freiheit von geistigen Schleiern: Erleuchtung! Natürlich ist das für die meisten von uns eine schwierige Sache; es ist ein langer Weg und nicht alles oder nichts. Jeder Schritt auf dem Pfad in die richtige Richtung schwächt die Ursachen des Leidens allmählich ab. Wird man frei von Feindseligkeit, Stolz, Eifersucht und starken obsessiven Wünschen, verringert man die Ursachen des Leidens und jeder Augenblick des Lebens wird angenehmer.

Erlangt man die Erleuchtung, hat man, wie Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt, völlige Ruhe. Bis dahin benötigen wir kontinuierliche Bemühung.

Matthieu Ricard mit einigen der jungen Mönche, die von Karuna-Shechen, der von ihm im Jahr 2000 gegründeten gemeinnützigen Organisation, gefördert werden.
Sie haben die Geburt der Meditations- und Achtsamkeitsbewegung im Westen vor vielen Jahrzehnten miterlebt. „Achtsamkeit“ findet man heutzutage überall und sogar Firmen bieten ihren Angestellten Kurse dazu an. Ist das eine positive Entwicklung?

Als Jon Kabat-Zinn vor etwa 35 Jahren mit MBSR („mindfulness-based stress reduction“) oder „Achtsamkeitsbasierter Belastungsreduktion“ in Krankenhäusern begann, war das ein enormer Dienst an der Menschheit, da er damit hunderte Krankenhäuser erreichte, in denen die Menschen litten. Das war nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Pfleger nützlich, die damit ihre eigenen Schwierigkeiten auf viel gesündere und nützlichere Weise durchgehen konnten.

„Achtsamkeit“ kann man heutzutage überall finden. Was die Firmen betrifft, so könnte man die Menschen dort fragen, warum sie denn achtsamer sein wollen. Geht es schlicht und ergreifend darum, ohne Rücksicht effizienter zu sein? Ich glaube fest daran, dass die Komponente des Wohlwollens, des Mitgefühls, des Altruismus ganz natürlich damit verbunden ist, wenn man das MBSR-Training korrekt ausführt. Es kommt jedoch nicht so eindeutig zum Ausdruck, wie es meiner Meinung nach geschehen sollte, besonders in der Geschäftswelt. Ist man am Wohlergehen anderer interessiert, kann man nicht rücksichtslos sein. Es kann einen achtsamen Scharfschützen und einen achtsamen Psychopathen geben, aber keinen fürsorglichen Scharfschützen und fürsorglichen Psychopathen.

Wir müssen damit beginnen, achtsam zu sein und gleichzeitig Mitgefühl entwickeln und kultivieren. Achtsamkeit und Mitgefühl kommen zusammen, denn um Mitgefühl und altruistische Liebe zu praktizieren, ist es notwendig, achtsam zu sein.

Während das Hauptaugenmerk in dem Buch „Glück“ auf individuellem Glücklichsein lag, plädieren Sie in Ihrem Buch „Allumfassende Nächstenliebe“ dafür, dass nur eine altruistische Gesellschaft die Welt zu einem besseren Ort machen und die Herausforderungen an unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert lösen kann. Was ist Altruismus und wie ergänzt es unser Streben nach individuellem Glück?

Selbstisches Glück funktioniert nicht. Denken wir den ganzen Tag nur an uns, werden wir trübselig und in der Tat machen wir alle um uns herum ebenfalls unglücklich. Es fühlt sich falsch an und steht nicht in Übereinstimmung mit der Realität. Wir sind keine abgetrennten Entitäten, die Glück in einer kleinen Seifenblase oder in einer kleinen Ecke für sich erschaffen können, während andere dabei keine Rolle spielen. In der Realität ist alles voneinander abhängig und der höchste Geisteszustand, die zufriedenstellendste Emotion von allen ist altruistische Liebe, Güte, Mitgefühl und Wohlwollen.

„Altruistisch“ heißt, andere zu schätzen und sich dafür zu interessieren, ob es ihnen gut geht oder ob sie leiden. Findet man heraus, dass es etwas gibt, was ihrem Wohlergehen und Glück weiterhelfen oder ihr Leid mindern könnte, wird man es tun wollen. Vielleicht wird man nicht in der Lage dazu sein, aber es ist die Absicht, die altruistisch ist. Altruismus ist die Motivation. Natürlich wird, wenn möglich, unsere Handlung folgen.

Das ist die beste Weise, anderen zu nützen. Und im Gegenzug, als Bonus sozusagen, ist es der beste Weg, um Glück zu finden! Das ist wie eine zusätzliche Auswirkung. Unser eigenes Glück ist damit verbunden, das Glück der anderen zu verwirklichen. Wir müssen jedoch aufpassen! Denn wenn uns die anderen völlig egal sind und wir nur gehört haben: „Wenn wir anderen Gutes tun, werden wir glücklich sein“, und und einem Bettler Geld geben, obwohl er uns vollkommen egal ist, wird es nicht funktionieren, denn es geht nicht nur um die Handlung. Die eigentliche Wärme kommt von echtem Altruismus, in dem es uns nicht um uns selbst sondern um die anderen geht.

Schaut nur auf Seine Heiligkeit den Dalai Lama, der ständig nur von einem redet: Mitgefühl, Mitgefühl, Mitgefühl! Ob wir fünf Minuten oder zehn Jahre Zeit zum Meditieren haben: die Praxis sollte altruistische Liebe sein.

Ich habe Seine Heiligkeit oft darüber scherzen hören, dass wir, wenn wir wirklich selbstsüchtig sein wollen, alle Altruismus praktizieren sollten, damit wir, wie Sie sagten, selbst diese wunderbaren Nutzen bekommen! Können Sie eine kurze Meditation empfehlen, um Altruismus zu entwickeln?

Eine kurze Meditation über altruistische Liebe ist folgende:

  • Lasst euren Geist zur Ruhe kommen, indem ihr für ein paar Minuten euren Atem beobachtet. 
  • Dann füllt ihr euren Geist, eure ganze geistige Umgebung, mit liebevoller Güte und Mitgefühl. Ihr denkt: „Möge diese Person, an die ich gerade denke – dieses kleine Kind, dieses Elternteil, diese Person, der ich auf der Straße begegnet bin – möge diese Person glücklich sein, mögen sich die positiven Vorsätze dieser Person erfüllen, möge diese Person von Leiden verschont bleiben. Wenn diese Person leidet, möge die Ursache des Leidens dieser Person beseitigt werden.“ 
  • Erzeugt ein Gefühl des Wohlwollens und bewahrt Achtsamkeit im Mitgefühl. 
  • Wird man abgelenkt, kommt man wieder zurück, nimmt es ab, lässt man es wieder aufleben.

Ich denke, dass ist eine Art der Meditation, die andere und uns selbst von Nutzen sein kann.

Ein Porträt von Matthieu Ricard: Buddhistischer Mönch, Menschenfreund, Autor und Fotograf.
Vielen Dank für diese prägnante und unglaublich hilfreiche Meditation. Sie haben erklärt, dass der Altruismus in der Motivation liegt und er noch viel wertvoller ist, wenn wir tatsächliche Handlungen folgen lassen können. Ist Meditation ohne Handlung trotz allem nützlich oder könnten wir sie als übertriebene Selbstkontemplation oder eine Art Weltflucht betrachten?

Wir sollten spirituelle Praxis und Meditation keinesfalls als etwas Selbstsüchtiges sehen! All die großen Meister der Vergangenheit haben Zeit im Retreat verbracht. Mein Lehrer Khensur Rinpoche war 30 Jahre im Retreat! Kyabje Trulshik Rinpoche fast genauso lang. Und mein Lehrer Kangyur Rinpoche verbrachte so viele Jahre im Retreat. Wie kann es selbstsüchtig sein, wenn die Praxis darin besteht, Selbstbezogenheit und Egoismus aufzulösen? Es ist, als würde man jemandem, der für viele Jahre ein riesiges Krankenhaus baut, sagen: „All diese Arbeit mit der Elektrik, dem Verlegen von Rohren und dem Zement hilft doch niemandem. Geh einfach auf die Straße und hilf dort.“ Das wäre dumm! Es ist so viel hilfreicher, wenn das Krankenhaus fertig ist. Ebenso kann man sehen, wie viel mehr man fühlenden Wesen helfen kann, wenn man wie Khensur Rinpoche oder Seine Heiligkeit der Dalai Lama wird. Im Fall Seiner Heiligkeit, ist dies das Resultat, wenn man 60 Jahre lang 4 Stunden am Tag praktiziert und Zeit im Retreat verbringt.

Anderen von Nutzen zu sein ist im Grunde unsere eigene Entwicklung zur Erleuchtung. Schließlich gehen wir im Großen Fahrzeug, dem Mahayana, nicht einfach nur davon aus, ein Buddha zu werden, sondern betrachten es als unser Ziel, Buddhaschaft zu erlangen, um für die Wesen erleuchtete Aktivitäten zu entfalten, damit wir ihnen helfen können, ihre Leiden zu beseitigen. Das ist ein entscheidender Punkt.

Ein Buddha hat auch die Fähigkeit, das Karma fühlender Wesen zu sehen und zu verstehen, wie viele Leben wir in Samsara, in der Unwissenheit, bereits umhergewandert sind. Er ist in der Lage, ihnen die Lehren zu vermitteln, die sie benötigen und die für sie angemessen sind, um dem tückischen Kreislauf von Samsara zu entkommen. In gewisser Weise können wir fühlenden Wesen letztendlich nur helfen, indem wir selbst durch Meditation auf dem Pfad fortschreiten.

Andernfalls beheben wir nur Symptome und befassen uns nicht mit der eigentlichen Ursache des Leidens, der Unwissenheit, dass alle Phänomene leer von inhärenter Existenz sind. Dadurch entstehen Verblendungen, wir verfestigen und vergegenständlichen die Welt und hängen in Anziehung und Abneigung fest, was zu endlosem Leiden führt.

Sie sind ein starker Verfechter von Tierrechten und ermutigen Menschen zu einer fleischlosen Ernährung, worüber sie das Buch „Plädoyer für die Tiere“ geschrieben haben. Warum behandeln wir Menschen die Tiere auf so furchtbare Weise?

Unter den Menschen gibt es viele, die leiden, aber die Weise, wie wir Tiere heutzutage behandeln, ist einfach nur schrecklich.

Sechs Millionen Tiere werden jede Stunde für den menschlichen Konsum getötet.

Das ist wirklich eine riesige Menge an Tieren und Töten. In einer Woche sind das mehr Todesfälle als die menschlichen Verluste aller Kriege zusammen. Moralisch gesehen gibt es da ganz klar eine ethische Kluft. In unserer menschlichen Zivilisation haben wir großen Fortschritt gemacht – wir haben die Sklaverei und die Folter abgeschafft – doch was die Tiere betrifft, so instrumentalisieren wir sie.

Warum tun wir das? Betrachten wir sie nicht wirklich als fühlend und denken, sie hätten keine echten Empfindungen und Gefühle? Gibt es einen Unterschied zwischen dem menschlichen und dem tierischen Geist?

Natürlich gibt es einen Unterschied im Grad der Intelligenz. Was fühlende Wesen betrifft (also Wesen, die zwischen Glück und Leid unterscheiden können), so sagen viele große Wissenschaftler unserer Zeit, wie Christof Koch, ein hartgesottener Reduktionist und Schüler von Francis Crick mit der „Cambridge Declaration on Consciousness“, dass „höhere Tiere“ tatsächlich über Bewusstsein verfügen und manche Tiere, wie Vögel, vielleicht sogar Bewusstsein durch andere Pfade entwickelt haben, als Primaten und Menschen.

Matthieu Ricard, der Autor von „Ein Plädoyer for die Tiere“, mit einer Gans auf dem Arm.

Tauben und Krähen sind unglaublich intelligent. Geradschnabelkrähen können Werkzeuge herstellen und Werkzeuge, die ihnen in Laboren gegeben werden, auf neue Weise nutzen, wie sie es in der Natur normalerweise nicht tun. Sie sind außergewöhnlich schlau, doch sie haben keine Stirnhirnrinde. Im Sinne reiner Intelligenz können Tiere Dinge tun, die wir nicht tun können: Fledermäuse können Dank ihres Sonars im Dunkeln fliegen und Zugvögel können 10.000 Kilometer fliegen und sich dabei an den Sternen oder polarisierten Lichtern orientieren. Wir können das nicht. Jeder hat die Fertigkeiten, die er braucht, um zu überleben. Was aber das Bewusstsein betrifft, so gehen wir davon aus, dass es bei Tieren und Menschen gleich ist.

Haben sie eine abschließende Botschaft für ihre Leser?

Wie gesagt, ist es ein immenses Glück, wenn wir die Chance haben, dem Dharma zu begegnen und große Lehrer zu treffen. Es ist ein großes Glück, einen authentischen Lehrer, jemanden mit Mitgefühl, Wissen und Weisheit zu begegnen und wenn wir dieses Glück haben, sollten wir es schätzen und gut nutzen.

Aber wir sollten andere fühlende Wesen nicht vergessen – es geht nicht nur um unsere eigene Befreiung, was ausgesprochen begrenzt wäre. Wir sollten alle anderen fühlenden Wesen, einschließlich Tiere, miteinbeziehen, da auch sie nicht leiden wollen.

Vielen Dank für Ihre Zeit und alles, was Sie tun, um Glück und Geistesfrieden in der Welt zu verbreiten!
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