Entmutigung überwinden

Verse 15 und 16

Vers 15: Nicht den Mut verlieren, wenn man über Bodhichitta meditiert

Sich an die Buddha-Natur erinnern um Entmutigung zu überwinden

Und wenn in mir Gefühle der Entmutigung aufsteigen, will ich die herausragenden Aspekte des Geistes preisen.

Dieser Vers spricht ein wesentliches Problem an, das auftritt, wenn wir über Bodhichitta meditieren wollen, nämlich Entmutigung und das Gefühl: „Das ist zu viel für mich, ich kann das nicht.“ Der Ratschlag in diesem Zusammenhang lautet, die herausragenden Aspekte des Geistes zu preisen – damit sind die grandiosen Aspekte des Geistes gemeint, insbesondere die verschiedenen Aspekte der Buddha-Natur. Uns auf die Aspekte der Buddha-Natur unseres Geistes zu konzentrieren kann uns dabei helfen, Entmutigung zu überwinden. Ich werde diese Aspekte gleich kurz erklären.

Wie können wir mit Ermutigung umgehen – das ist eine wichtige Frage. Um über Bodhichitta meditieren zu können, müssen wir wissen, wie wir solchen Anfechtungen gegenübertreten können. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung und der von anderen, die sich damit beschäftigt haben, finde ich Tsongkhapas allgemeinen Ratschlag dazu, wie man etwas visualisiert, sehr hilfreich. Er erklärt, dass wir zunächst ein allgemeines inneres Bild von etwas brauchen, sodass wir eine Art Objekt haben, auf das wir uns ausrichten können. Wenn wir uns zunehmend besser konzentrieren können, werden die Einzelheiten automatisch hinzukommen. Doch am Anfang sollten wir uns um die Einzelheiten keine Sorgen machen; zu viele Einzelheiten wirken anfangs bloß frustrierend.

Ich denke das ist auch ein sehr hilfreicher Ratschlag dafür, wie wir über Bodhichitta meditieren. Im Tantra, wenn wir uns selbst als Buddha-Form visualisieren, richten wir uns im Wesentlichen auf das Gefühl von so genanntem „göttlichen Stolz“ aus, d.h. eine hohe Selbstachtung mit dem Gefühl, dass wir tatsächlich eine Buddha-Form sind: „Das bin ich“. Nichtsdestotrotz sind wir uns vollkommen darüber im Klaren, dass das, was wir dabei „ich“ nennen, eine Buddha-Form ist, zu der wir werden können, und zwar auf der Grundlage aller Ursachen dafür in unserem geistigen Kontinuum. Die Buddha-Form selbst erscheint nur vage im Zentrum unserer Aufmerksamkeit; die Einzelheiten sind nicht klar zu erkennen, aber die Überzeugung, dass wir diese Buddha-Form sind, ist sehr stark. Etwas Ähnliches können wir auch in Bezug auf Bodhichitta empfinden. Dabei richten wir uns auf unsere individuelle Erleuchtung aus, die noch nicht stattgefunden hat, die aber aufgrund ihrer Ursachen, den Faktoren der Buddha-Natur in unserem geistigen Kontinuum, stattfinden kann. Unser erleuchteter Zustand, den wir anstreben, erscheint nur vage im Zentrum unserer Aufmerksamkeit; die Einzelheiten sind nicht klar zu erkennen. Aber wir sind fest überzeugt, dass wir diesen Zustand erreichen werden, um allen anderen zu nutzen.

Anfangs werden wir ziemlich frustriert sein, wenn wir überlegen, was Erleuchtung eigentlich bedeutet und was es heißt, alle Qualitäten eines Buddha zu besitzen – imstande zu sein, jedem einzelnen Lebewesen im Einklang damit zu nutzen, was es gerade braucht, eine Sprache zu sprechen, die jeder versteht, sich in Abertausende Formen zu vervielfachen usw. Wenn wir versuchen, dem zu entsprechen, können wir leicht den Mut verlieren. Ich denke, es ist keineswegs hilfreich, gleich am Anfang zu versuchen, uns all die Qualitäten eines Buddha, die wir erreichen wollen, detailliert vorzustellen. Was wir brauchen, ist vielmehr eine allgemeine Vorstellung davon, worin die Erleuchtung besteht, auf die wir uns ausrichten, zusammen mit dem Gefühl, dass dies wirklich unsere eigene zukünftige Erleuchtung ist.

Anfangs müssen wir den Zustand von Bodhichitta in Geist und Herz zunächst Schritt für Schritt aufbauen. Erst wenn wir weiter auf dem Pfad fortgeschritten sind, stellt sich dieser Geisteszustand von selbst ein. Aufgebaut wird er entweder durch die siebenteilige Meditation über Ursachen und Wirkungen oder die Meditation, in der wir unsere geistige Einstellung uns selbst und anderen gegenüber gleichsetzen und austauschen. Hier ist nicht die Zeit dafür, im Einzelnen zu erklären, wie man in diesen Meditationen vorgeht, aber im Hinblick auf das Gefühl, das wir dadurch hervorbringen wollen, geht es im Wesentlichen darum, ein immenses Gefühl von Offenheit zu entwickeln und das Ausmaß dessen, woran uns gelegen ist, ganz weit auszudehnen.

Ob das damit verbundene Gefühl sehr intensiv ist, ist anfangs nicht so wichtig. Es wird mit der Zeit an Intensität zunehmen. Dafür gilt das Gleiche wie für eine Visualisierung: Je mehr wir sie üben, umso klarer wird sie. In der Bodhichitta-Meditation geht es einfach darum, den Bereich unseres Geistes zu öffnen: „Alle sind gleich, und deswegen ist mir an jedem gleichermaßen gelegen.“ Verfangen Sie sich nicht in Einzelheiten, etwa indem Sie überlegen: „Auch die Kakerlaken?“, „Und was ist mit den Mücken?“ „Wie sieht es mit den Höllenwesen aus?“ Das sind bloß Details. Worum es geht, ist, den Geist zu öffnen, seinen Horizont zu erweitern und diese Offenheit, die Weite seines Ausdehnungsbereichs, zu vergrößern.

Dann fügen wir dieser Offenheit eine gefühlsmäßige Qualität hinzu: „Ich möchte glücklich sein und alle anderen auch. Ich möchte nicht leiden und alle anderen auch nicht. In dieser Hinsicht sind wir alle gleich.“ Auch dieses Gefühl des Wunsches nach Glück und des Wunsches, nicht unglücklich zu sein, lassen wir weit über die Grenzen unserer gewöhnlichen Auffassung von „ich“ hinausgehen. Wir öffnen den Geist und lassen dieses Gefühl ausstrahlen. Dann fügen wir den Gedanken hinzu: „Um wirklich dafür sorgen zu können, dass ich und alle anderen glücklich sind, muss ich Erleuchtung erreichen – muss ein jeder Erleuchtung erreichen“ und verbinden dies mit dem intensiven Gefühl „Das will ich wirklich tun – für mich und für alle anderen.“

Dabei ist es, als gäbe es in uns eine Sonne von Liebe, Mitgefühl und Fürsorge für andere, die auf jeden scheinen und jeden zum Blühen, zur Erleuchtung, bringen möchte. Wir möchten die Begrenzungen loswerden, die unser Herzensanliegen nur auf uns selbst beschränken, und die Vorstellung nähren, dass das Strahlen der Sonne sich unendlich weit erstreckt. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, wie weit – „Sind es tausend Kilometer, Millionen Kilometer, 20 Millionen Lichtjahre?“ Das ist nicht der Punkt. Wesentlich ist, zu versuchen, ein Gefühl der Unendlichkeit zu spüren, grenzenlos auszustrahlen, unbegrenzte Liebe, unermessliches Mitgefühl, uneingeschränkte Anteilnahme. Darin liegt der Sinn dieser Übung: einen unermesslich weiten Geist, ein unermesslich weites Herz zu entwickeln.

Sodann denken wir: „Erleuchtung – das ist es, was ich erreichen muss.“ Auch dabei brauchen wir nicht auf sämtliche Einzelheiten zu achten, wichtig ist ein allgemeines Gefühl dafür. Das allgemeine Gefühl bezieht sich darauf: „Das ist der höchstmögliche Zustand, die höchste Ebene der Evolution, auf der alle meine Einschränkungen beseitigt sind.“ Versuchen Sie einfach, ein entsprechendes Gefühl der Ausdehnung zu empfinden. Es spielt keine Rolle, wie lange es dauert, diese Erleuchtung zu erreichen. Auch in Bezug auf die Zeit empfinden wir dieses Gefühl der Ausdehnung. Es gibt einen unermesslich weiten Bereich, der alle Dimensionen umfasst – räumliche und zeitliche Dimensionen, Dimensionen der Entwicklung und Dimensionen von Qualitäten. Machen Sie sich auch in diesem Zusammenhang keine Sorgen über die Details. Konzentrieren Sie sich vor allem auf dieses Gefühl von Weite, von warmherziger Weite. Das ist es, was „maha“ in dem Wort „Mahayana“ bedeutet: weit ausgedehnt.

In dieser Weite erscheint dann – wie eine Illusion – die Form eines Buddha. Ob wir uns dabei selbst als Buddha-Gestalt visualisieren, wie im Tantra, oder die Gestalt vor uns im Raum visualisieren, spielt keine große Rolle. Wir können uns das Ganze auch in der Art der Mahamudra-Meditation so vorstellen, dass einfach die Natur des Geistes selbst, die Klarheit des Geistes selbst für das steht, was wir zu erreichen versuchen. Auch das ist etwas, worauf wir uns in solch einer Meditation konzentrieren können. Wir haben also einen doppelten Fokus: die immense Weite und etwas, das sie repräsentiert. Es wirkt wie ein Magnet; wir werden einfach zu dieser riesigen Ausdehnung und dieser Repräsentation hingezogen. Das ist es, worauf wir uns mit Bodhichitta ausrichten.

Bodhichitta ist also nicht einfach bloß Mitgefühl – etwa im Sinne von: „Ach, jener arme Mensch dort auf der Straße; ich will ihm helfen.“ Bodhichitta reicht viel, viel weiter. Das ist der Geisteszustand, den wir entwickeln wollen. Er treibt uns Tränen in die Augen. Unser Herz ist so voll davon, dass es uns schier überwältigt. Es ist ein wirklich außergewöhnlicher Geisteszustand.

Das ganze Thema, ob Erleuchtung möglich ist oder nicht, ist recht schwierig. Es ist ausgesprochen schwierig, allein durch Logik völlige Überzeugung davon zu gewinnen. Wir geben dem also einen Vertrauensbonus. Auf diese Weise gehen wir – vor allem wir Westler – auch an das Thema Wiedergeburt heran. Mit anderen Worten, wir sagen: „Nehmen wir einmal an, dass es möglich ist. Arbeiten wir mit dieser Hypothese und schauen, was dabei herauskommt. Ich werde mich in Geduld fassen, denn ich verstehe, dass das wirklich schwer zu erkennen ist und die Überzeugung davon nicht leicht zu erreichen ist. Es wird Jahre dauern, dahinzugelangen. Und es wird ganz bestimmt nicht ein ‚Hallelujah, jetzt ist der Glaube über mich gekommen‘ sein.“ Aber wir befassen uns damit. Wir gewöhnen unseren Geist an die Vorstellung.

Womit arbeiten wir dabei? Mit der Buddha-Natur, heißt es hier. Was bedeutet das? Buddha-Natur ist ein Faktor bzw., genauer gesagt, ein Netzwerk von Faktoren, dass diese endlose Entwicklung ermöglicht.

  • In unserem geistigen Kontinuum gibt es Aspekte, die zum Wachsen angeregt und entwickelt werden können. Es gibt zum Beispiel eine natürliche Warmherzigkeit, den Instinkt, für jemanden zu sorgen, die natürliche Qualität des Geistes, Energie nach außen zu strahlen – die Fähigkeit des Geistes, zu verstehen, zu kommunizieren, zu empfinden – sowie das Netzwerk positiver Kraft und tiefen Gewahrseins, die unserem geistigen Kontinuum zugeschrieben sind.
  • Es gibt auch die andauernde Buddha-Natur. Das ist die Leerheit des Geistes. Auch sie ist ein Aspekt der Buddha-Natur. Die Leerheit des Geistes ermöglicht Veränderung und Entwicklung.
  • Die dritte Art von Faktor der Buddha-Natur ist die Fähigkeit des Geistes, dass er inspiriert werden kann, sich zu entwickeln und zu wachsen: Wir sind nicht wie ein Stein.

Uns intensiv mit diesen drei Aspekten der Buddha-Natur zu befassen macht uns Mut. Wir erkennen, dass wir aufgrund dieser Faktoren Erleuchtung erreichen können.

Kurz gesagt, wir haben eine gewisse Vorstellung von den Qualitäten eines Buddha, die wir in uns selbst entwickeln möchten, aber wir versteifen den Blick darauf nicht, denn sonst verlieren wir den Mut. Wir kultivieren einfach das Gefühl, dass es tatsächlich möglich ist, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln, und dass die Faktoren, die die Ursachen dafür sind, Erleuchtung zu erreichen, wirklich vorhanden sind. Wenn wir dieses Gefühl haben und unser Geist das Ausmaß dieser enormen Weite annimmt, dann können wir anfangen, tatsächlich über Bodhichitta zu meditieren.

Wenn wir beruhend auf dieser Grundlage, der Buddha-Natur, vorgehen und unser Geist offen für diese Weite ist, werden wir nicht den Mut verlieren. Das Verständnis, was Buddhaschaft wirklich bedeutet, und die Überzeugung, dass es wirklich möglich ist, sie zu erreichen, werden sich später einstellen. Die Hauptsache ist dieses Gefühl von Weite, das Gefühl von Warmherzigkeit, das damit verbunden ist, und das grundlegende Vertrauen, dass das notwendige Arbeitsmaterial vorhanden ist.

Verfallen Sie nicht in den Geisteszustand, der besagt „Ich kann das nicht; das ist zu viel für mich; ich kann das unmöglich schaffen.“ Damit identifizieren Sie sich mit dem begrenzten „Ich“. Statt den göttlichen Stolz zu kultivieren, kultivieren Sie dann den Stolz des samsarischen „Ich“. Das ist nicht von Nutzen – was insbesondere dann klar wird, wenn wir uns an die Leerheit dieses „Ich“ erinnern können: „Das ist Unsinn, das ist nicht die Art, wie ich beschaffen bin.“ Im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht unsere zukünftige Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat – wir wissen, dass wir noch nicht dort sind. Es ist nicht so, dass wir uns etwas vormachen.

Entmutigung dadurch vermeiden, dass man über Leerheit (Leere) meditiert

Und über die Leerheit der zwei (Zustände) meditieren.

Um Ermutigung zu vermeiden, ist es ratsam, auch über die Leerheit des unzulänglichen samsarischen Zustands zu meditieren, in dem wir nicht imstande sind, jedem gleich zu helfen, und über die Leerheit des erleuchteten Zustands, den wir anstreben. Leerheit, oft auch „Leere“ genannt, bedeutet die völlige Abwesenheit unmöglicher Arten zu existieren. Es ist nicht so, dass einer dieser beiden Zustände unserer selbst – der samsarische oder der erleuchtete – wie ein in sich geschlossener Tischtennisball existiert: ein Tischtennisball, der das arme begrenzte „Ich“ ist, das unmöglich jemandem helfen kann, oder wenn überhaupt, dann nur auf belanglose Weise, und ein anderer Tischtennisball, der unerreichbar oben am Himmel schwebt: die unrealisierbare Erleuchtung. Beide Zustände entstehen gemäß Ursachen und Umständen.

Die Voraussetzungen für Erleuchtung sind vorhanden, nämlich die Faktoren der Buddha-Natur. Um Erleuchtung zu erlangen, kommt es lediglich darauf an, genügend positive Kraft aufzubauen und tiefes Gewahrsein zu entwickeln. Das tun wir, indem wir anderen helfen und uns mit dem korrekten Verständnis der Leerheit vertraut machen, nämlich indem wir erkennen, dass die Dinge im Zusammenhang mit Ursachen und Wirkungen entstehen, also auch in Abhängigkeit von den Anstrengungen, die wir unternehmen.

Dieses Verständnis hilft uns, die Entmutigung zu überwinden, die darin besteht, dass wir all das für unmöglich halten, und stattdessen eine realistische Einstellung zu entwickeln – wie es bereits in Zusammenhang mit freudiger Tatkraft zur Sprache kam: Wir akzeptieren die Tatsache, dass es schwierig sein wird. Wir machen uns nichts vor: Es wird schwierig werden. Aber gibt es irgendetwas anderes im Leben, das lohnender wäre? Im Vergleich mit der Entwicklung des Bodhichitta-Zieles ist alles andere unbedeutend. Shantideva bringt das in seinem ersten Kapitel, „Die Vorzüge des Erleuchtungsgeistes“, sehr schön zum Ausdruck.

(I.12) „Alle anderen (Arten) konstruktiven (Handelns) gleichen der Bananenstaude: nachdem sie Früchte hervorgebracht haben, sind sie unwiderruflich erschöpft. Doch der Bodhichitta-Baum bringt immerfort Früchte hervor, er geht niemals ein und wächst immer weiter.“

Selbst wenn es nicht möglich wäre, Erleuchtung zu erreichen – und das ist der Zweifel, den wir gegenwärtig hegen, wir schwanken unentschlossen hin und her: „Ist es möglich oder nicht? Es hört sich einfach zu fantastisch an …“ -, so ist das nicht von entscheidender Bedeutung. Und ob es nun tatsächlich erleuchtete Wesen gibt oder je welche existiert haben, spielt auch keine Rolle. Auf jeden Fall können wir anerkennen, dass wir uns weiterentwickeln und zunehmend entfalten können. Das können wir insgesamt so darstellen: „Das höchste Ausmaß, das wir in unserer Evolution erreichen können – nennen wir es doch einfach ‚Buddhaschaft‘.“

Die Wichtigkeit der Inspiration durch den spirituellen Lehrer, damit man nicht den Mut verliert

Ich denke, das ist eine gute Einstellung, um anzufangen. Ich sage keineswegs, dass dies das letztgültige Verständnis wäre, aber so kann man anfangen. So können wir uns auf den Weg machen; sonst bleiben wir nur in der kleinen Bretterbude von „Ich kann das nicht“ und „ich Arme/r“ stecken. Wir können den Zustand eines Buddha jetzt noch nicht nachvollziehen; das übersteigt unsere Vorstellungskraft. Deswegen wird immer betont, wie wichtig die spirituellen Meister sind. Um es mit Sakya Panditas Worten zu sagen: Der spirituelle Meister ist wie ein Vergrößerungsglas, das die Strahlen der Sonne so konzentriert, dass Feuer in unserem Geist entfacht werden kann. Die Sonne in dieser Analogie ist natürlich der Buddha.

Durch die spirituellen Meister, etwa durch Seine Heiligkeit den Dalai Lama oder auch andere, die noch nicht so weit fortgeschritten sind, bekommen wir ein Gefühl dafür, zu was ein Mensch sich entwickeln kann. Das inspiriert uns. Wir treten dadurch in Kontakt mit derjenigen höheren Stufe, zu der wir persönlich Verbindung aufnehmen können, und streben danach, diese zu erreichen. Auf diese Weise entwickeln wir uns immer weiter. Gegenwärtig können wir natürlich nicht direkt mit dem Buddha und all seinen Qualitäten in Beziehung treten. Das überfordert uns bei weitem. Zerbrechen Sie sich darüber also nicht den Kopf, o.k.?

Wenn wir in der Meditation konventionelles Bodhichitta entwickeln – wenn unser Geist sich auf eine unendliche Reichweite einstellt -, dann verbinden wir als nächstes diese Weite mit dem Verständnis der Leerheit, das sich ebenfalls unendlich weit erstreckt. Auf diese Weise beginnen wir, beides zusammenzufügen. Mit dem Verständnis der Leerheit erkennen wir, dass nichts so existiert wie ein Tischtennisball, dass vielmehr alles in wechselseitiger Abhängigkeit miteinander verbunden ist und in seiner Qualität von allem anderen in allen Dimensionen von Raum und Zeit beeinflusst wird. Diese Reichweite des Mahayana ist sehr wichtig – während wir gleichzeitig einen gewissen Fokus haben.

Deswegen ist es hilfreich, sich eine Buddha-Form oder so etwas vor Augen zu führen: Dadurch hat der Geist etwas, worauf sich die Aufmerksamkeit konzentrieren kann. Wenn der Geist sehr weit und umfassend ist, kann man sich leicht in dieser Weite verlieren. Wir versuchen also, eine Ausgewogenheit von Weite und Fokus – Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf eine Buddha-Form – zu entwickeln, insbesondere weil zu der Meditation noch ein Glücksgefühl hinzukommt. Ohne einen Fokus für die Aufmerksamkeit kann man dann leicht in eine Art Verzückung fallen – ein Wonnegefühl, quasi wie ein kleiner Hund, der auf dem Rücken liegt, alle Viere von sich gestreckt, und sich den Bauch kraulen lässt.

Vers 16: Entmutigung vermeiden, indem wir alles, was wir erleben, in Verbindung mit der Leerheit bringen

Alles wie eine Illusion betrachten

Wann immer in einer Situation ein Objekt der Anhaftung oder Feindseligkeit erscheint, will ich es wie eine Illusion oder Projektion betrachten;

Diese Aussage setzt voraus, dass man bereits vertieft über das Verständnis der Leerheit meditiert hat. Wann immer wir es mit einer Situation zu tun haben, die unseren Geist aufwühlt, empfiehlt es sich, sie wie eine Illusionzu betrachten, um so zu vermeiden, dass wir den Mut verlieren . Wenn Schwierigkeiten und Hindernisse für uns auftreten, sehen wir sie wie Illusionen an, so, als würde es sich um einen Traum handeln. Wenn wir aus dem Traum erwachen, löst er sich auf – obwohl er aufgetreten ist, ist er vorbei. Wir werden uns dann vielleicht noch daran erinnern, aber es ist nicht mehr etwas, das jetzt stattfindet. Wenn ein Geisteszustand oder eine Stimmung oder Situation auftritt, die uns entmutigen, wissen wir also, dass das nichts Feststehendes ist. Es ist durch bestimmte Ursachen und Umstände entstanden, und es wird vorbeigehen, wie ein Traum.

Das macht uns Mut. Alles wie eine Illusion oder Projektion zu betrachten ermutigt uns, uns davon nicht irreführend zu lassen. Es ist, als würden wir einen Horrorfilm anschauen. Wenn wir uns einen Horrorfilm anschauen, bekommen wir möglicherweise Angst; aber wir wissen, dass es nur ein Film ist – auf dem Bildschirm erscheinen Schauspieler in einer bestimmten Aufmachung – und so können wir unsere Angst verringern. Der Ratschlag, der hier zur Sprache kommt, kann sehr hilfreich sein. Etwas geschieht, das uns entmutigt oder Schwierigkeiten bereitet. Wir veranstalten keinen Riesenwirbel, sondern machen uns klar: „Das ist aufgrund bestimmter Ursachen und Umstände so gekommen. Es scheint, als wäre es von fester Beschaffenheit, aber diese Erscheinungsweise ist wie eine Illusion“, und dann versuchen wir, etwas zur Anwendung zu bringen, was dem entgegenwirkt, und auf diese Weise mit der Situation umzugehen.

Zum Beispiel folgendermaßen: Wenn wir in Indien sind und einen Skorpion in unserem Schuh finden, rasten wir nicht aus oder machen einen Riesenwirbel darum. Es ist insofern eine Illusion, als es sich nicht um eine Art schreckliches Monster handelt. Man hebt den Schuh auf, geht nach draußen, leert ihn aus und entfernt den Skorpion. Man geht wieder hinein, zieht den Schuh an und fertig. Was ist so schlimm daran?

Ähnlich kann man mit Entmutigungen und schwierigen Situationen umgehen. „Gut, sie ist aufgetaucht. Das ist so ähnlich wie ein Skorpion in meinem Schuh. Ich muss irgendwie damit umgehen. Wenn es von Vorteil ist, dass ich mich erst einmal beruhige, nehme ich mir die Zeit dafür. Das ist keine so große Sache.“

Unangenehme Worte wie ein Echo und Schädigungen als das Reifen von früherem Karma betrachten

Wann immer ich unangenehme Worte höre, will ich sie wie ein Echo betrachten; und wann immer meinem Körper Schaden zuteil wird, will ich dieses als (Ergebnis meines) früheren Karmas betrachten.

Dieser Vers steht in Übereinstimmung mit dem Text über Geistestraining (Training der Geisteshaltungen), den Atishas Lehrer Dharmarakshita verfasst hat, nämlich mit der Aussage, dass es einem Echo gleicht, wenn wir unangenehme Worte hören. Garstige Worte, die wir selbst gesprochen haben, kommen als Echo zu uns zurück und wir hören sie nochmals. Und wenn meinem Körper Schaden zuteil wird – nun, das ist ein (Ergebnis meines) früheren Karmas. Wir haben sozusagen einen Bumerang geworfen, und nun ist er zurückgekehrt. Wir haben alle unsere Probleme selbst geschaffen. Andere Menschen können die entsprechenden Umstände dazu beigetragen haben, aber die Voraussetzungen dafür, dass wir auf diese Umstände treffen, haben wir geschaffen.

Auf diese Weise versuchen wir, mit Situationen umzugehen, ohne etwas Entsetzliches daraus zu machen, etwa: „Du entsetzlicher Mensch – du hast etwas getan, das mir in die Quere kommt.“ Wenn jemand uns etwas getan hat, das uns missfällt, können wir ihn einfach mitteilen: „Das ist nicht hinnehmbar. Könnten Sie sich bitte in der ein oder anderen Hinsicht anders verhalten?“ Wenn es sich um einen vernünftigen Menschen handelt, wird er solch eine Mitteilung berücksichtigen. Wenn es sich nicht um einen vernünftigen Menschen handelt und unseren Einwand nicht berücksichtigt, versuchen wir, unser Verhalten so weit wie möglich darauf einzustellen, während wir gleichzeitig Grenzen setzen. Die Grenzen dessen, was akzeptabel ist, ziehen wir in Übereinstimmung damit, was nicht zerstörerisch ist.

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