Gleichmut in Bezug auf das, was wir im Leben getan haben

Einführung

Ich möchte über ein Problem sprechen, das unter Westlern recht typisch ist, nämlich das Problem einer negativen Einstellung gegenüber uns selbst, eines niedrigen Selbstwertgefühls. Das kann im Extremfall so weit gehen, dass wir uns selbst nicht nur nicht mögen, sondern sogar hassen.

Es ist sehr bemerkenswert, dass es sich hier nicht um ein universelles Problem zu handeln scheint, das weltweit auftritt. Tibetern zum Beispiel ist ein geringes Selbstwertgefühl ganz fremd und es kommt ihnen sehr sonderbar vor. Ich habe einmal an einer Konferenz mit Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama und einer Gruppe von Psychologen teilgenommen. Das Thema des niedrigen Selbstwertgefühls und Selbsthasses kam auf, und seine Heiligkeit war sehr überrascht: Davon hatte er noch nie gehört. Er fand es sehr schwer zu glauben, dass westliche Menschen tatsächlich diese Art Einstellung gegenüber sich selbst haben. Wir waren ungefähr 20 Teilnehmer bei dieser Konferenz. Seine Heiligkeit fragte jeden von uns, ob er ein niedriges Selbstwertgefühl habe, und jeder im Raum antwortete mit „Ja“. Seine Heiligkeit war völlig schockiert.

Man kann natürlich Vermutungen darüber anstellen, was die Gründe dafür sind, dass dieses niedrige Selbstwertgefühl bei Tibetern oder auch bei Indern nicht so oft zu finden ist. Ich habe 29 Jahre lang in Indien gelebt, und eine Theorie, die mir dazu einfiel, hat damit zu tun, wie die Kinder dort aufwachsen und erzogen werden, Ich denke, dass das nicht nur auf Tibeter und Inder zutrifft, sondern auch auf die Menschen im mittelalterlichen Europa, und gewiss auch in anderen Teilen Asiens, Afrika und Lateinamerika. In traditionellen Gesellschaften sind Säuglinge und Kleinkinder immer bei ihrer Mutter oder einer älteren Schwester. Sie werden entweder auf den Rücken der Mutter gebunden oder, in Indien, auf der Hüfte getragen – sie haben ständig diesen Körperkontakt. Ich denke, dadurch fühlt sich das Baby, vor allem wenn es noch sehr klein ist, ziemlich sicher.

Denkt daran, wie viele moderne Abendländer mit ihren Babys umgehen: Sie lassen sie allein in ihrem Bettchen liegen und nur wenn sie schreien, werden sie – hoffentlich – hochgehoben und auf diese Weise belohnt. In dem Kinderbett allein liegen gelassen zu werden, erzeugt, so meine ich, ein grundlegendes Gefühl von Verlassenheit und Unsicherheit.

Und denkt an die Kinderwagen oder Buggys, in denen die Menschen im Westen Babys spazieren fahren. Das Baby wird vor der Mutter oder dem Vater hergeschoben. Da sitzt nun das kleine Kind, vielleicht ein Jahr alt, und schaut auf den Straßenverkehr, wo riesige Laster und Fahrzeuge an ihm vorbeidonnern, denen es allein gegenübersitzt. Ich bin sicher, dass das sehr beängstigend ist. In traditionellen Gesellschaften hingegen ist das Baby auf den Rücken der Mutter oder des Vaters gebunden, so fühlt es sich sicher und beschützt. Ich denke daher, dass unsere Art, die Kinder aufwachsen zu lassen, dem Kind schon in einem sehr frühen Alter das Gefühl geben kann: „Mit mir ist was nicht in Ordnung.“ Ich meine, dass das dazu beiträgt, sich selbst gegenüber ein ungutes Gefühl zu entwickeln.

Ob diese Hypothese nun stimmt oder nicht, weiß ich nicht, aber es scheint zumindest ein Faktor zu sein, warum diese Einstellung so verbreitet ist bei modernen Menschen, die auf westliche Weise aufgewachsen sind, und in traditionellen Gesellschaften nicht so oft zu finden ist. Dazu kommt, dass wir in einem System, in dem so viel Konkurrenzkampf und Leistungsdruck herrscht wie in den heutigen westlichen Ländern, häufig das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein, wenn wir im Konkurrenzkampf nicht als Gewinner dastehen.

Jedenfalls ist dieses niedrige Selbstwertgefühl, dieser Selbsthass, ein Problem, das vielen von uns zu schaffen macht. Wenn wir uns die buddhistischen Lehren anschauen, wird deutlich, dass darin alles darauf abzielt, uns zu helfen Leiden zu überwinden, indem wir die Ursachen für die Leiden loswerden. Wenn also ein niedriges Selbstwertgefühl, eine negative Einstellung gegenüber sich selbst, Leiden und Unglück bewirkt und wir starkes Vertrauen in die buddhistischen Lehren haben, muss es buddhistische Methoden geben, die wir darauf anwenden können und die uns helfen, das zu überwinden.

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