Ausgangspunkte für das Verständnis der zwei Wahrheiten

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Das Verständnis der der Vaibhashika- und Sautrantika-Behauptungen der zwei Wahrheiten und die Existenzweise, die jede Art von wahrem Phänomen besitzt oder nicht, dient als ein Ausgangspunkt für das Verständnis der Behauptungen der Mahayana-Lehrsysteme. Lasst uns diesen Punkt anhand einiger Variablen in Bezug auf die zwei Wahrheiten illustrieren.

Die zwei Wahrheiten 

Vaibhashika

Die zwei Wahrheiten bilden zwei Gruppen von gültig erkennbaren Phänomenen. 

  • Oberflächliche wahre Phänomene sind jene Dinge, die ihre Identität verlieren, wenn sie physisch zerlegt oder konzeptuell analysiert (genauestens untersucht) werden. 
  • Tiefste wahre Phänomene sind jene Dinge, die ihre Identität nicht verlieren, wenn sie physisch zerlegt oder konzeptuell analysiert werden. 

Oberflächliche wahre Phänomene umfassen nur nicht-statische Phänomene, jedoch nicht alle nicht-statischen Phänomene. Ein Tisch verliert seine Identität, wenn er in seine Bestandteile und Teilchen zerlegt wird. Dagegen ist sogar der winzigste Moment des Glücklichseins auch Glück. Tiefste wahre Phänomene umfassen alle statischen Phänomene und manche nicht-statischen Phänomene. Sogar der winzigste Teil eines statischen Raums ist auch Raum und, wie bereits erwähnt, ist sogar der winzigste Moment nicht-statischen Glücklichseins auch Glück. 

 Sautrantika

Die zwei Wahrheiten bilden ebenfalls zwei Gruppen von gültig erkennbaren Phänomenen. 

  • Oberflächliche wahre Phänomene sind jene Dinge, dessen Existenzweise der logischen Analyse nicht standhält. Logische Analyse findet nur in konzeptueller Wahrnehmung statt. Solche Phänomene sind nicht objektiv existierend, außerhalb des Rahmens konzeptueller Wahrnehmung, auffindbar. 
  • Tiefste wahre Phänomene sind jene Dinge, dessen Existenzweise der logischen Analyse standhält. Sie sind objektiv existierend, außerhalb des Rahmens konzeptueller Wahrnehmung, auffindbar. Sie können mit nicht-konzeptueller bloßer Wahrnehmung (tib. mngon-sum tshad-ma) wahrgenommen werden.

Oberflächliche wahre Phänomene umfassen nur statische Phänomene, sowohl Kategorien und Arten der Selbstlosigkeit. Tiefste wahre Phänomene umfassen alle nicht-statischen Phänomene.

Die Vaibhashika-Behauptung der zwei Arten wahrer Phänomene in Bezug darauf zu verstehen, ob eine Sache ihre Identität beibehält oder nicht, wenn sie physisch zerlegt oder konzeptuell analysiert wird, dient als ein Ausgangspunkt für das Verstehen der Sautrantika-Behauptung. Im Sautrantika werden die zwei wahren Phänomene nur in Bezug darauf präsentiert, ob sie der konzeptuellen Analyse standhalten oder nicht, doch die zwei Wahrheiten werden in Bezug darauf definiert, ob eine Sache ihre Existenzweise außerhalb des Rahmens konzeptueller logischer Analyse beibehält oder nicht. Im Vaibhashika wird analysiert, ob eine Sache, wenn sie konzeptuell analysiert wird, ihre Identität innerhalb des Rahmens ihrer konzeptuellen Wahrnehmung beibehält oder nicht. 

Chittamatra

Die Lehrsysteme des Vaibhashika, Sautrantika und Chittamatra vertreten, dass alle gültig erkennbaren Phänomene ihre Existenz von sich aus begründen (tib. rang-ngos-nas grub-pa). Ihre Existenz kann durch die Kraft von etwas begründet werden, das auf dessen Seite zu finden ist. Im Vaibhashika und Sautrantika vertritt man, dass es zwei Arten von Phänomenen gibt, die auf diese Weise begründet werden: oberflächliche wahre Phänomene und tiefste wahre Phänomene. Im Chittamatra vertritt man hingegen zwei Wahrheiten über jedes auffindbar begründete Phänomen, während jede Wahrheit durch eine andere Ebene der gültigen Wahrnehmung auffindbar ist, die dasselbe Phänomen genauestens untersucht. Hier gilt es zu beachten, dass „genauestens untersuchen“ (tib. dpyod-pa) derselbe Begriff ist, der auch mit „analysieren“ übersetzt wird. 

  • Oberflächliche Wahrheiten über Phänomene sind jene Dinge, die letztendlich durch eine gültige Wahrnehmung gefunden werden – nämlich einer, die mit mangelndem Gewahrsein (Unwissenheit) befleckt ist – und mit der genauestens untersucht wird, was konventionell ist. 
  • Tiefste Wahrheiten über Phänomene sind jene Dinge, die durch eine gültige Wahrnehmung gefunden werden – nämlich einer, die unbefleckt von Unwissenheit ist – und mit der genauestens untersucht wird, was am tiefsten ist. 

Oberflächliche Wahrheiten umfassen alle nicht-statischen Phänomene – abhängige Phänomene (tib. gzhan-dbang) – und einige statische Phänomene – vollkommen konzeptuelle Phänomene (tib. kun-btags), wie Kategorien. Tiefste Phänomene umfassen nur einige statische Phänomene – vollkommen begründete Phänomene (tib. yongs-grub), nämlich Arten der Leerheit (Leere), Arten der Selbstlosigkeit und wahre Beendigungen

Die Sautrantika-Behauptung der zwei Arten wahrer Phänomene in Bezug darauf zu verstehen, ob eine Sache der genauesten Untersuchung durch Logik in konzeptueller Wahrnehmung standhält und dennoch außerhalb der konzeptuellen Wahrnehmung nicht-konzeptuell wahrgenommen werden kann, dient als ein Ausgangspunkt für die Chittamatra-Behauptung. Im Chittamatra werden die zwei Wahrheiten über jedes Phänomen bezüglich der Art der Phänomene mit ihrer Existenzweise definiert, die man findet, wenn man die zwei verschiedenen Arten von Geist genauestens untersucht. Der befleckte Geist findet die Erscheinungsweise der Sache als eine Art von Phänomen – ein abhängiges Phänomen oder ein vollkommen konzeptuelles. Der unbefleckte Geist findet die Existenzweise der Sache als eine andere Art von Phänomen – ein vollkommen begründetes.   

Svatantrika   

Im Svatantrika werden die zwei Wahrheiten genauso wie im Chittamatra definiert, wobei in jeder dasselbe Phänomen enthalten ist, obgleich es nicht unbedingt denselben Fachausdruck hat. Im Svatantrika werden jedoch die Erscheinungsweise und Existenzweise der Phänomene, die man durch das Analysieren findet, anders als im Chittamatra definiert; und im Svatantrika, Yogachara-Svatantrika und Sautrantika-Svatantrika, haben alle ihre eigenen Behauptungen, was diese Punkte betrifft. In unserer Diskussion werden wir uns nur mit der Sautrantika-Svatantrika-Darstellung befassen, die wir einfach als „Svatantrika“ bezeichnen werden.

Ein Beispiel dafür, wie das Chittamatra-Verständnis als ein Ausgangspunkt für das Svatantrika dient, ist folgendes: Im Chittamatra wird behauptet, dass eine der Existenzweisen von Formen physischer Phänomene gefunden wird, wenn man ihre Erscheinungsweise in ihrer nicht-konzeptuellen Wahrnehmung genauestens untersucht und eine andere ihrer Existenzweisen gefunden wird, wenn man die Erscheinungsweise in ihrer konzeptuellen Wahrnehmung genauestens untersucht. Im Svatantrika wird behauptet, dass die Existenzweise aller Phänomene nur gefunden werden kann, wenn man ihre Erscheinungsweise im Kontext ihrer konzeptuellen Wahrnehmung genauestens untersucht. 

Prasangika

All die vorangegangenen Lehrsysteme behaupten, dass alle gültig erkennbaren Phänomene ihre Existenz von sich aus begründen. Im Prasangika wird solch eine Existenz widerlegt; auf Seiten irgendeines Objektes gibt es nichts Auffindbares, dass seine Existenz begründet. Daher können die zwei Wahrheiten nicht im Sinne der zwei Wahrheiten über auffindbare Phänomene definiert werden. Im Prasangika werden die zwei Wahrheiten lediglich im Sinne der beteiligten Objekte (tib. ‘jug-yul) der zwei Ebenen gültiger Wahrnehmung definiert, die im Chittamatra und Svatantrika unterschieden werden. Ein „beteiligtes Objekt“ ist das Hauptobjekt, mit dem sich eine Wahrnehmung befasst, und existiert auf die Weise, in der die Wahrnehmung dessen Existenz erfasst. Somit sind die zwei Wahrheiten nicht zwei Wahrheiten über auffindbare Phänomene, die von zwei verschiedenen Arten des untersuchenden Geistes wahrgenommen werden. 

  • Oberflächliche Wahrheiten sind jene Dinge, die die gültige Wahrnehmung, welche die konventionelle Natur gültig erkennbarer Phänomene genauestens untersucht, als ihre beteiligten Objekte erfasst. 
  • Tiefste Wahrheiten sind jene Dinge, die die gültige Wahrnehmung, welche die tiefste Natur gültig erkennbarer Phänomene genauestens untersucht, als ihre beteiligten Objekte erfasst. 

Oberflächliche Wahrheiten umfassen alle Phänomene, sowohl nicht-statische als auch statische, einschließlich Leerheiten, welche die beteiligten Objekte der gültigen Wahrnehmung sind, befleckt mit mangelndem Gewahrsein, die sie genauestens untersuchen. Tiefste Wahrheiten umfassen die statischen Phänomene – nämlich Leerheit, Selbstlosigkeit und wahre Beendigung – welche die beteiligten Objekte der gültigen Wahrnehmung sind, nicht befleckt mit mangelndem Gewahrsein, die sie genauestens untersuchen. 

Im Svatantrika wird vertreten, dass die Existenzweise aller auffindbaren Phänomene, die nur im Sinne ihrer konzeptuellen Wahrnehmung gefunden werden können, eine Kombination einer Existenzweise ist, die man auf Seiten des erscheinenden Objektes findet, und einer Existenzweise, die seitens des konzeptuellen Geistes begründet wird, der sie genauestens untersucht. Dies dient als ein Ausgangspunkt für die Prasangika-Behauptung, dass die Existenzweise aller Phänomene nur seitens der konzeptuellen Wahrnehmung begründet werden kann, die sie genauestens untersucht.

Die Existenz, die ausschließlich begründet wird, indem man sie durch konzeptuelle Wahrnehmung zuschreibt, und die Existenz, die durch individuelle definierende charakteristische Merkmale begründet wird 

Vaibhashika

Die Begriffe „von sich aus begründete Existenz“ und „durch individuelle definierende charakteristische Merkmale begründete Existenz“ (tib. rang-gi mtshan-nyid-kyis grub-pa) findet man normalerweise nicht in der Vaibhashika-Darstellung. Dies steht jedoch im Einklang mit den Vaibhashika-Behauptungen, dass sowohl tiefste als auch oberflächliche wahre Phänomene ihre Existenz auf diese Weisen begründen. Im Vaibhashika vertritt man auch, dass nichts eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz (tib. rtog-pa btags-tsam-gyis grub-pa) hat. Das liegt daran, dass alles eine substantiell begründete Existenz (tib. rdzas-su grub-pa) besitzt.

Sautrantika

Im Sautrantika wird vertreten, dass sowohl tiefste als auch oberflächliche wahre Phänomene ihre Existenz durch individuelle definierende charakteristische Merkmale begründen, die auf Seiten des Phänomens zu finden sind. 

  • Oberflächliche wahre Phänomene (statische Phänomene – sowohl Kategorien als auch Arten der Selbstlosigkeit) haben eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz. Im Sautrantika wird durch den Begriff „ausschließlich“ (tib. tsam; lediglich, nur) einzig die „nicht durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz“ ausgeschlossen. Das schließt nicht die Existenz von Kategorien und der Selbstlosigkeit aus, die auch durch ihre von sich aus auffindbaren individuellen definierenden charakteristischen Merkmale begründet wird. 
  • Tiefste wahre Phänomene (nicht-statische Phänomene) haben keine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz. 

Chittamatra

Die Chittamatra- (Nur-Geist) Definition der Existenz, die durch individuelle definierende charakteristische Merkmale begründet wird, schreibt vor, dass Phänomene nicht eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz haben. Im Chittamatra werden durch den Begriff „ausschließlich“ sowohl die nicht durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz, als auch die durch individuelle charakteristische Merkmale begründete Existenz ausgeschlossen.

  • Abhängige Phänomene (oberflächliche wahre nicht-statische Phänomene) begründen ihre Existenz allein durch individuelle definierende charakteristische Merkmale, weil ihnen eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz fehlt. 
  • Vollkommen konzeptuelle Phänomene (oberflächliche wahre statische Phänomene wie Kategorien) haben charakteristische Merkmale, denn sonst könnten sie nicht voneinander unterschieden werden. Dennoch kann ihre Existenz nicht durch die Kraft ihrer definierenden charakteristischen Merkmale begründet werden. Die Existenz vollkommen konzeptueller Phänomene wird ausschließlich dadurch begründet, durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben zu sein. 
  • Vollkommen begründete Phänomene (tiefste wahre Phänomene, wie Leerheiten) begründen ihre Existenz durch ihre individuellen definierenden charakteristischen Merkmale. Ihnen fehlt eine Existenz, die ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründet ist.    

Svatantrika

Im Svatantrika wird vertreten, dass alle gültig erkennbaren Phänomene – sowohl oberflächliche Wahrheiten als auch tiefste Wahrheiten – eine durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz haben, jedoch keine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete. Wie in den zuvor besprochenen Lehrsystemen, schließt der Begriff „ausschließlich“ die nicht durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz aus. Zusätzlich schließt er im Svatantrika die durch individuelle definierende charakteristische Merkmale begründete Existenz aus. Alle Phänomene begründen ihre Existenz, durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben zu sein, in Verbindung mit ihren von sich aus individuell definierenden charakteristischen Merkmalen. 

Prasangika

Im Prasangika wird vertreten, dass alle gültig erkennbaren Phänomene – sowohl oberflächliche Wahrheiten als auch tiefste Wahrheiten – eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz haben. Im Prasangika wird durch den Begriff „ausschließlich“ nicht nur die nicht durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz ausgeschlossen, sondern auch die durch individuelle charakteristische Merkmale begründete Existenz, ob durch diese charakteristischen Merkmale allein oder in Verbindung damit, durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben zu sein. 

Zusammenfassung

Alle Lehrsysteme sind sich darin einig, dass etwas durch die eigene Selbstnatur begründet ist (tib. rang-bzhin-gyis grub-pa, selbst-begründete Existenz, auffindbare begründete Existenz, inhärente Existenz), wenn es eine von sich aus begründete Existenz hat. Solche eine Existenzweise wird als Existenz definiert, die durch die Tatsache begründet wird, dass ein „Bezugs-Ding“ (tib. btags-don) – das eigentliche „Ding“, auf das man sich durch einen Namen oder ein Konzept bezieht, das den Namen oder Konzepten von etwas entspricht – auffindbar ist, wenn man danach sucht. Das „Bezugs-Ding“ ist auf Seiten des Objektes auffindbar, das benannt wird. In allen Lehrsystemen, die nicht zum Prasangika gehören, geht man davon aus, dass alle gültig erkennbaren Phänomene eine auffindbar begründete Existenz haben, ob sie nun auch eine durch eigene individuelle charakteristische Merkmale begründete Existenz haben oder nicht.

  • Wenn etwas im Vaibhashika auf diese Weise auffindbar ist, hat es eigene individuelle definierende charakteristische Merkmale, die dessen Existenz aus eigener Kraft begründen. Nichts wird auch durch eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschriebene Existenz begründet. 
  • Wenn etwas im Sautrantika auf diese Weise auffindbar ist, hat es eigene individuelle definierende charakteristische Merkmale, die dessen Existenz aus eigener Kraft begründen, ob etwas nun eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz hat oder nicht. 
  • Wenn etwas im Chittamatra auf diese Weise auffindbar ist, hat es nicht unbedingt eigene individuelle definierende charakteristische Merkmale, die dessen Existenz aus eigener Kraft begründen. Solche Merkmale sind nur vorhanden, wenn dessen Existenz nicht ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründet ist. 
  • Wenn etwas im Svatantrika auf diese Weise auffindbar ist, hat es notwendigerweise solche individuell definierenden charakteristischen Merkmale. Nichts hat eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz abhängig davon, solche eigenen individuell definierenden charakteristischen Merkmale zu haben. Dennoch wird die durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschriebene Existenz zusammen mit solchen auffindbaren individuellen definierenden charakteristischen Merkmalen begründet. 
  • Im Prasangika ist nichts auf diese Weise auffindbar. Alles hat eine ausschließlich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben begründete Existenz. Keine Existenz wird durch die Kraft von auffindbaren individuellen definierenden charakteristischen Merkmalen auf Seiten eines Objektes begründet – weder durch die Kraft dieser Merkmale allein noch durch die Kraft von ihnen zusammen mit der Kraft der Zuschreibung – denn solche auffindbaren charakteristischen Merkmale gibt es nicht. Widerlegt man die von deren Selbstnatur begründete Existenz – gleichbedeutend mit der von der eigenen Seite eines Phänomens begründeten Existenz – umfasst diese Widerlegung die durch die individuellen definierenden charakteristischen Merkmale auf Seiten eines Phänomens begründete Existenz.

Substantiell begründete Existenz 

Die substantiell begründete Existenz (tib. rdzas-su grub-pa) ist eine Existenz, die durch etwas begründet wird, das die Fähigkeit hat, eine Funktion zu erfüllen (tib. don-byed nus-pa). Sie ist durch die Kraft von etwas begründet, von sich aus eine substantielle Entität (tib. rdzas, Skt. dravya) zu sein.

Das Wort für substantielle Entität bedeutet auch „Ursprungsquelle“. Substantiell begründete Phänomene haben die Fähigkeit, von sich aus begründet als Ursprungsquelle für die Funktion zu dienen, die sie erfüllen.

[Siehe: Eigenständig erkennbare und zugeschrieben erkennbare Objekte]   

Vaibhashika

Im Vaibhashika wird vertreten, dass sowohl oberflächliche wahre Phänomene als auch tiefste wahre Phänomene, was nicht-statische und statische Phänomene umfasst, in dem Sinne eine substantiell begründete Existenz haben, dass sie alle als die Ursprungsquelle und die fokale Bedingung für deren Wahrnehmung dienen.

Sautrantika

Im Sautrantika wird widerlegt, dass solche Phänomene eine substantiell begründete Existenz haben, weil oberflächliche wahre Phänomene allesamt als statische Phänomene definiert werden, was sowohl Kategorien als auch Arten der Selbstlosigkeit umfasst. Die Ursprungsquelle ihrer gültigen Wahrnehmung befindet sich auf Seiten des Geistes, der sie wahrnimmt. 

Tiefste wahre Phänomene, die sich auf alle nicht-statischen Phänomene beziehen, haben eine substantiell begründete Existenz und dienen als die Ursprungsquelle nicht nur ihrer gültigen Wahrnehmung, sondern auch ihrer Resultate. Formen physischer Phänomene sind beispielsweise substantiell begründet und erzeugen Auswirkungen, auch wenn sie von niemandem wahrgenommen werden. Als die Ursprungsquelle für ihre Wahrnehmungen existieren sie in dem Moment vor ihrer Wahrnehmung. Resultate entstehen abhängig von Ursachen auf der Basis, dass Ursachen substantielle Entitäten sind.

Chittamatra

Im Chittamatra (Nur-Geist) stimmt man dem Sautrantika zu, dass nur nicht-statische Phänomene eine substantiell begründete Existenz haben, aber klassifiziert sie als oberflächliche Wahrheiten, nicht als tiefste Wahrheiten. Im Gegensatz zum Sautrantika dienen sie jedoch nicht als die Ursprungsquellen für ihre Wahrnehmungen; sie dienen nur als die Ursprungsquellen ihrer Resultate. Resultate entstehen abhängig davon, dass sie eine substantielle Entität sind.

Die Ursprungsquelle der Wahrnehmung nicht-statischer Phänomene ist nicht äußerlich, auf Seiten dieser Objekte, begründet, denn im Chittamatra wird vertreten, dass man die äußere Existenz von Formen physischer Phänomene zum Beispiel nicht begründen kann, bevor ihre Erscheinungen in ihrer Wahrnehmung entstehen. Vielmehr stammen nicht-statische Objekte der Wahrnehmung, das Primärbewusstsein und Geistesfaktoren in ihren Wahrnehmungen zusammen mit den nicht-kongruenten beeinflussenden Variablen, die Zuschreibungen auf ihrer Grundlage sind, alle von der gleichen Ursprungsquelle ab, nämlich einer karmischen Tendenz (tib. sa-bon, Samen) für die Wahrnehmung. Diese karmischen Tendenzen sind selbst nicht-kongruente beeinflussende Variablen, die Zuschreibungen des grundlegenden Bewusstseins (tib. kun-gzhi rnam-shes, Skt. ālayavijñāna) der Person sind, die sie wahrnimmt. 

Oberflächliche Wahrheiten umfassen auch die statischen Phänomene, die vollkommen konzeptuell sind, wie Kategorien. Als statische Phänomene entstehen sie nicht aus Ursprungsquellen, noch funktionieren sie als Ursprungsquellen von Resultaten. Sie haben keine substantiell begründete Existenz. Ihre Existenz wird als etwas begründet, das die essentielle Natur (tib. ngo-bo) der konzeptuellen Wahrnehmungen hat, die sie als ihr kognitives Objekt erfassen. Somit existieren sie und finden nur als die erscheinenden Objekte (tib. snang-yul) der konzeptuellen Wahrnehmungen statt. 

Tiefste Wahrheiten umfassen die statischen Phänomene, die vollkommen begründet sind, wie Leerheiten. Auch sie entstehen nicht aus Ursprungsquellen und dienen nicht als Ursprungsquellen für Resultate. Sie haben ebenfalls keine substantiell begründete Existenz. Sie besitzen dieselben essentiellen Naturen wie die oberflächlichen Wahrheiten, die als deren Grundlage für die Zuschreibung dienen. Da ihre Grundlage für die Zuschreibung aus derselben Ursprungsquelle entsteht, wie das Bewusstsein und die Geistesfaktoren, die sie wahrnehmen, werden Leerheiten ebenfalls als „Nur-Geist“ betrachtet. 

Svatantrika

Im Sautrantika Svatantrika wird vertreten, dass oberflächliche Wahrheiten, die nicht-statische Phänomene sind, eine substantiell begründete Existenz haben und nicht nur als die Ursprungsquelle für ihre gültige Wahrnehmung dienen, sondern auch für ihre Resultate – wiederum als ein abhängiges Entstehen ihrer Existenz als substantielle Entitäten. 

Dass nicht-statische Phänomene die Ursprungsquelle ihrer Wahrnehmung sind, muss geklärt werden. Formen physischer Phänomene existieren außerhalb der Wahrnehmungen, die sie wahrnehmen, sowohl der nicht-konzeptuellen als auch der konzeptuellen, doch ihre Existenz kann nicht außerhalb des Rahmens ihrer Wahrnehmung begründet werden. Im Gegensatz zum Chittamatra kann ihre Existenz jedoch nicht im Rahmen ihrer nicht-konzeptuellen sensorischen Wahrnehmung begründet werden. Sie kann nur im Rahmen ihrer konzeptuellen Wahrnehmung begründet werden. In ihrer konzeptuellen Wahrnehmung wird ihre Existenz von sich aus, durch ihre individuell definierenden charakteristischen Merkmale begründet, jedoch nur in Verbindung mit deren Zuschreibung auf der Grundlage dieser charakteristischen Merkmale durch konzeptuelle Wahrnehmung.  

Oberflächliche Wahrheiten, die statische Phänomene, wie Kategorien, sind, und tiefste Wahrheiten, wie Leerheiten, die statisch sind, haben keine substantielle Existenz. Die Ursprungsquelle für ihre gültige Wahrnehmung ergibt sich von Seiten des Geistes, der sie wahrnimmt. 

Prasangika

Weil man im Prasangika die Existenz widerlegt, die von Seiten der Phänomene begründet wird, widerlegt man dort auch die substantiell begründete Existenz. Somit haben weder oberflächliche Wahrheiten noch tiefste Wahrheiten eine substantiell begründete Existenz. Man akzeptiert im Prasangika jedoch, dass konventionell gesehen die nicht-statischen Phänomene unter den oberflächlichen Wahrheiten Wirkungen erzeugen. Die Leerheit negiert oder entkräftet nicht das abhängige Entstehen von Ursache und Wirkung. Die Fähigkeit des Erfüllens der Funktion zum Hervorbringen von Auswirkungen oder Resultaten wird jedoch nicht durch etwas begründet, was auf Seiten nicht-statischer Phänomene zu finden ist, wie ihre Existenz als substantielle Entitäten. Die konventionelle Existenz von oberflächlichen Wahrheiten und tiefsten Wahrheiten kann ausschließlich im Rahmen ihrer Zuschreibung durch konzeptuelle Wahrnehmung begründet werden. 

Zusammenfassung

Phänomene mit einer substantiell begründeten Existenz begründen ihre Existenz von sich aus und durch ihre Selbstnatur. Weil jedoch in allen Systemen, außer dem des Prasangika, behauptet wird, dass die Existenz von allen Phänomenen von sich aus begründet wird, haben in diesen Systemen alle Phänomene, auch wenn ihnen eine substantiell begründete Existenz fehlt, eine von sich aus begründete Existenz. 

  • Im Vaibhashika haben sowohl oberflächliche als auch tiefste wahre Phänomene, was nicht-statische und statische Phänomene umfasst, in dem Sinne eine substantiell begründete Existenz und erfüllen die Funktion, die Ursprungsquelle ihrer Wahrnehmung zu sein, dass sie die fokale Bedingung für ihre Wahrnehmung sind. 
  • Im Sautrantika haben nur nicht-statische tiefste wahre Phänomene eine substantiell begründete Existenz. Sie erfüllen die Funktion, nicht nur die äußerlich begründeten Ursprungsquellen ihrer Wahrnehmung zu sein, sondern auch die Ursprungsquellen ihrer Resultate und Auswirkungen. 
  • Im Chittamatra haben nur oberflächliche Wahrheiten, die nicht-statische Phänomene sind, eine substantiell begründete Existenz. Sie erfüllen nicht die Funktion, die Ursprungsquelle ihrer Wahrnehmung zu sein, aber haben die Funktion, ihre Resultate und Auswirkungen hervorzubringen. 
  • Im Svatantrika haben ebenfalls nur die oberflächlichen Wahrheiten, die nicht-statische Phänomene sind, eine substantiell begründete Existenz. Sie erfüllen die Funktion, die Ursprungsquelle ihrer Resultate und Auswirkungen zu sein. Obwohl sie auch als die Ursprungsquelle ihrer Wahrnehmung wirksam sind, kann ihre Existenz nur im Rahmen ihrer Zuschreibung durch konzeptuelle Wahrnehmung der auffindbaren Grundlage ihrer individuell definierenden charakteristischen Merkmale begründet werden.     
  • Im Prasangika hat nichts eine substantiell begründete Existenz. Nicht-statische Phänomene bringen Auswirkungen und Resultate nicht auf der Grundlage hervor, eine substantielle Entität zu sein. Abhängiges Entstehen funktioniert nur, weil alle Phänomene frei von einer durch eine Selbstnatur begründeten Existenz und somit frei von einer Existenz als substantielle Entitäten sind.
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