Rückblick
In unserer Darlegung der Selbstleerheit im Kontext der Gelug-Behauptungen haben wir gesehen, dass wir über unmögliche Existenzweisen von Personen und von allen Phänomenen sprechen können. Zunächst richten wir unser Verständnis darauf, dass es da ein Selbst gibt, das nicht widerlegt wird und in dem Sinne existiert, dass es aktiv ist und die Resultate seiner Handlungen erfährt. Es existiert jedoch nicht auf die Weise einer unmöglichen, falschen „Seele“. Es existiert nicht auf die Weise einer groben unmöglichen „Seele“, wie sie von den nicht-buddhistischen indischen Schulen der Philosophie vertreten wird, also als etwas, das unbeeinflusst oder statisch ist, sich nie ändert, ein teileloser Monolith ist und völlig unabhängig von einem Körper und einem Geist existieren kann, wenn es befreit wird. Solch ein Ding gibt es nicht. Wenn wir glauben, selbst als solch eine grobe, unmögliche „Seele“ oder solch ein grobes, unmögliches „Ich“ zu existieren, sind die störenden Emotionen, die aufgrund dieser Glaubensvorstellung entstehen, als „doktrinär bedingte störende Emotionen“ bekannt.
Wir haben jedoch auch ein tieferes, subtileres Missverständnis; es scheint, als würden wir als ein eigenständig erkennbares „Ich“ existieren und wenn wir meinen, dies würde der Realität entsprechen, nennt man die störenden Emotionen, die aufgrund dieser Glaubensvorstellungen entstehen, „automatisch auftretende störende Emotionen“. Außerdem haben wir gesehen, dass wir diese zwei Arten des Glaubens, dieses Missverständnis, allein mit dem Verständnis überwinden können und erkennen, dass es „so etwas nicht gibt“ – oder die Leerheit solch einer Seele in Verbindung mit einer Person – und mit der richtigen Motivation der Entsagung können wir laut aller Schulen, außer der Vaibhashika und der Gelug-Prasangika, Befreiung erlangen. Im Gelug-Prasangika heißt es, dass auch dieses Verständnis nicht genug ist, um Befreiung zu erlangen, während man im Vaibhashika davon ausgeht, dass man lediglich mit der Verwirklichung der Leerheit der groben unmöglichen „Seele“ von Personen Befreiung erlangen kann.
Wollen wir gemäß der Mahayana-Schulen Erleuchtung erlangen, ist es notwendig, die Leerheit aller Phänomene, einschließlich von Personen, zu verstehen und hierbei geht es um eine Abwesenheit einer viel subtileren falschen Existenzweise. Laut dem Gelug-Prasangika, benötigen wir dieses Verständnis auch, um Befreiung zu erlangen, da wir aufgrund dieses mangelnden Gewahrseins der Leerheit aller Phänomene nach wie vor störende Emotionen haben, auch wenn wir die Leerheit dessen verstanden haben, was in anderen Systemen als „die grobe und subtile unmögliche Seele von Personen“ bezeichnet wird. Nach Ansicht der anderen Mahayana-Schulen haben wir weiterhin störende Emotionen, die zwar „nicht-störend“ genannt werden, aber als „störend“ gelten, wenn wir Befreiung erlangt haben. Im Grunde geht es um dieselben störenden Emotionen; sie werden nur mit anderen Namen bezeichnet.
Wie wir gesehen haben, bestehen einige der Hauptunterschiede der diversen Schulen in ihrem Gebrauch der Terminologie und ihrer Weise, sie zu definieren. Es gibt zahlreiche, besondere Begriffe, auf die wir in unserem Studium der Selbstleerheit und der Anderesleerheit stoßen werden, die in den verschiedenen indischen Lehrsystemen und von den Interpretationen der tibetischen Traditionen dieser Lehrsysteme unterschiedlich definiert werden. Wenn wir die in einer bestimmten tibetischen Tradition formulierten Definitionen einer Schule von Lehrsystemen nicht kennen, werden wir verwirrt, besonders, wenn wir die Definition einer anderen Schule von Lehrsystemen oder einer anderen tibetischen Tradition mit ins Spiel bringen.
Wahrhaft begründete Existenz im Vaibhashika und im Sautrantika
Einer der verwirrendsten Begriffe ist „wahre Existenz“ (tib. bden-par grub-pa, Skt. satyasiddha). Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass wir in dieser ganzen Diskussion über unmögliche Existenzweisen nicht wirklich über die Existenzweise selbst reden, sondern darüber, durch was begründet wird, dass etwas existiert, durch was es bewiesen oder aufgezeigt wird. Das ist in erster Linie das Gelug-Verständnis des Wortes drubpa (tib. grub-pa, Skt. siddha) – „begründen“ . Auf der anderen Seite versteht man in vielen Systemen, die nicht zum Gelug gehören, drubpa in manchen Zusammenhängen als „begründen“ im Sinne von „die Existenz von etwas erschaffen“. Bleiben wir jedoch bei der Gelug-Darstellung.
Wahre Existenz, wie sie im Vaibhashika, Sautrantika und Chittamatra definiert wird, ist wörtlich eine „wahrhaft begründete Existenz“. Sie existiert wirklich und wird gültig als wahr begründet. Aus der Sicht des Madhyamaka gibt es keine wahrhaft begründete Existenz. Wir denken, sie würde wahrhaft existieren, aber das tut sie nicht. Im Grunde ist sie falsch.
Was nun im Vaibhashika wahrhaft begründet, dass etwas existiert, ist, dass dessen Existenz von sich aus begründet wird. Im Vaibhashika betrachtet man diese Existenzweise als gleichbedeutend mit substantiell begründeter Existenz (tib. rdzas-su grub-pa), welche eine Existenz ist, die durch etwas begründet wird, das die Fähigkeit hat, eine Funktion auszuüben. Im Vaibhashika ist die Existenz von sowohl statischen als auch nicht-statischen Phänomenen in dem Sinne wahrhaft begründet, dass sie, auch wenn statische Phänomene, wie Raum, nichts tun, als ein Objekt ihrer Wahrnehmung aktiv sind.
In den monastischen Gelug-Lehrbüchern werden zwei verschiedene Behauptungen wahrhaft begründeter Existenz gemäß dem Sautrantika präsentiert:
- In den Jetsünpa-Lehrbüchern wird die Vaibhashika-Definition wahrhaft begründeter Existenz als gleichbedeutend mit substantiell begründeter Existenz akzeptiert, jedoch dessen Bedeutung einer von sich aus begründeten Existenz abgelehnt. Beruhend darauf haben nur nicht-statische Phänomene eine wahrhaft begründete Existenz, weil nur sie tatsächlich ein Resultat hervorbringen. Sie sind objektive Phänomene (tib. rang-mtshan) und existieren vor jeder Wahrnehmung von ihnen. Statische Phänomene, wie Raum, Kategorien und sogar das Fehlen einer unmöglichen „Seele“ einer Person, haben nach dieser Definition keine wahrhaft begründete Existenz. Es sind metaphysische Phänomene (tib. spyi-mtshan), dessen Existenz nur als die Bezugsobjekte der Konzepte begründet werden können, mit denen sie konzeptuell bezeichnet werden, oder als die Bezugsobjekte der Worte, mit denen sie konzeptuell benannt werden.
- In den Panchen-Lehrbüchern akzeptiert man die Vaibhashika-Definition wahrhaft begründeter Existenz als von sich aus begründete Existenz, lehnt aber dessen Gleichwertigkeit mit substantiell begründeter Existenz ab. Beruhend darauf haben sowohl nicht-statische als auch statische Phänomene eine wahrhaft begründete Existenz.
Wahrhaft begründete Existenz im Chittamatra
Nun kommen wir zu den Mahayana-Systemen und ich bitte euch, etwas Geduld zu haben, denn ich gebe euch nur die Hauptpunkte dieser Systeme gemäß ihren Gelug-Darstellungen. Natürlich könnten wir viele Jahre damit zubringen, diese Systeme zu studieren, sowie Varianten dieser Systeme, in denen von verschiedenen tibetischen Traditionen und Meistern Einzelheiten vertreten werden. Sie sind keineswegs einfach, aber wir werden einen Blick auf die Hauptpunkte werfen, damit ihr einen kleinen Geschmack davon bekommt.
Im Chittamatra – und hier geht es, wie gesagt, um Gelug-Chittamatra – wird wahrhaft begründete Existenz anders definiert, als im Sautrantika und Vaibhashika. Zu den Phänomenen, die eine wahrhaft begründete Existenz haben, zählen nur jene, die als „letztendliche Phänomene“ (tib. don-dam-pa) bekannt sind. Ein letztendliches Phänomen ist ein Phänomen, das in der völligen Vertiefung eines Aryas erscheint.
Die völlige Vertiefung eines Aryas ist nicht nur auf Leerheit gerichtet; sie hat zwei sich abwechselnde Phasen – einen ununterbrochenen Pfadgeist (tib. bar-chad-med lam) und einen befreiten Pfadgeist (tib. rnam-grol lam). Mit einem ununterbrochenen Pfadgeist richtet sich ein Arya auf das mangelnde Gewahrsein und die störenden Emotionen, die mit einem der 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten verbunden sind und wendet das Verständnis der Leerheit auf sie an. Mit einem befreiten Pfadgeist ist der Geist des Aryas von dem Teil der emotionalen Schleier (tib. nyon-sgrib) befreit, der mit diesem mangelnden Gewahrsein verbunden ist. Somit sind sowohl nicht-statische Phänomene als auch Leerheiten letztendliche Phänomene, weil beide in der völligen Vertiefung eines Aryas erscheinen und daher beide eine wahrhaft begründete Existenz haben.
Im Chittamatra werden zwei Ebenen der Leerheit aller Phänomene vertreten. Die gröbere Leerheit besteht darin, dass in der Sinneswahrnehmung das Objekt und die Weisen, sich des Objektes gewahr zu sein – also das Sinnesbewusstsein und all seine begleitenden Geistesfaktoren, die beide wahrhaft begründete Existenz haben – frei davon sind, aus verschiedenen Ursprungsquellen (tib. rdzas) zu stammen. Sie stammen beide aus der gleichen Ursprungsquelle, einer karmischen Tendenz oder einem Samen (tib. sa-bon).
In allen buddhistischen Lehrsystemen, außer dem des Vaibhashika, wird vertreten, dass in unserer Wahrnehmung ein geistiges Hologramm – wörtlich ein geistiger Aspekt (tib. rnam-pa) eines Objektes erscheint, wenn wir uns etwas gewahr sind – und dass dieses geistige Hologramm vom Geist erzeugt wird. Das müssten wir sogar aus einer westlichen Sicht akzeptieren. Aus einer westlichen Sicht ist es ja so: Wenn wir etwas sehen, treffen Photonen auf das Auge, es werden Neuronen abgefeuert, und was wir tatsächlich wahrnehmen, ist wie ein geistiges Hologramm.
Im Sautrantika wird vertreten, dass die Ursprungsquelle des Objektteils des Hologramms ein äußeres Objekt ist, das objektiv vor dessen Wahrnehmung existiert, und jede der kognitiven Komponenten auf ihre eigene individuelle Tendenz zurückzuführen ist. Im Chittamatra wird widerlegt, dass solche kognitiven Objekte begründet werden können, die äußerlich vor ihrer Wahrnehmung existieren. Wie könnte man das beweisen, ohne sie wahrzunehmen oder ohne das ein Gerät sie aufzeichnet oder misst? Die einzige Weise, die Existenz eines Objektes zu begründen, das mit unseren Sinnen wahrgenommen wird, ist mit dem Geist, der sie wahrnimmt. Somit ist Chittamatra die Nur-Geist-Schule.
Wenn ich mit meinen Studenten daran arbeite, fordere ich sie zum Beispiel heraus, zu beweisen, dass wir alle im gleichen Raum sitzen. Das können wir an sich nicht beweisen. Würden wir alle ein Polaroid-Bild von diesem Raum machen, hätten wir – wenn sich 50 Menschen hier befinden – 50 verschiedene Bilder und es wäre nicht der gleiche Raum.
Diese grobe Leerheit bezieht sich somit nur auf nicht-statische Phänomene, die in den Chittamatra-Systemen als „abhängige Phänomene“ (tib. gzhan-dbang) bezeichnet und zuweilen mit „von anderem beeinflusste Phänomene“ übersetzt werden. Sie entstehen abhängig von der Kraft von Ursachen und Bedingungen. Sie umfassen Formen physischer Phänomene, Weisen, sich etwas gewahr zu sein, und nicht-statische Zuschreibungsphänomene, wie Alter und Personen. Sie alle sind letztendliche Phänomene und haben somit eine wahrhaft begründete Existenz.
Definierende charakteristische Merkmale
Im Chittamatra wird, wie gesagt, etwas dadurch als wahrhaft existierend begründet, dass es dem Geist eines Aryas in völliger Vertiefung nicht-konzeptuell erscheint. Das sind letztendliche Phänomene. Diese letztendlichen Phänomene haben ein definierendes charakteristisches Merkmal (tib. mtshan-nyid) auf ihrer eigenen Seite, das ihre Existenz aus eigener Kraft als individuelle gültig erkennbare Phänomene unabhängig davon begründet, die Bezugsobjekte der Konzepte zu sein, mit denen sie konzeptuell bezeichnet werden und die Bezugsobjekte der Namen oder Worte zu sein, mit denen sie konzeptuell benannt werden. Dieses definierende charakteristische Merkmal begründet, dass diese Phänomene wahrhaft existieren und dass sie nicht nur vollkommen konzeptuelle Phänomene (tib. kun-brtags-pa), wie statische Kategorien, sind. Vollkommen konzeptuellen Phänomenen, wie Kategorien, fehlt solch ein definierendes charakteristisches Merkmal und sie können nur im Kontext ihrer Zuschreibung in konzeptueller Wahrnehmung als existierend begründet werden. Wahrhaft begründete Existenz bedeutet somit wahrhaft nicht-zugeschriebene Existenz.
Hier müssen wir jedoch vorsichtig sein, da es auch nicht-statische Phänomene gibt, die Zuschreibungsphänomene sind, wie Personen und das Alter. Sie haben eine wahrhaft begründete, nicht-zugeschriebene Existenz, da sie sowohl konzeptuell als auch nicht-konzeptuell gültig wahrgenommen werden können. Vollkommen konzeptuelle Phänomene sind statische Phänomene, wie Kategorien und Raum, die nur konzeptuell wahrgenommen werden können.
Das sind viele Fachbegriffe, die nicht gerade einfach sind. Lasst mich versuchen, es etwas verständlicher zu machen: Wir denken an einen Elefanten durch die vollkommen konzeptuelle statische Kategorie „Elefant“. Die Kategorie „Elefant“ ist imaginär, aber versteht sie bitte nicht als eine auffindbare Sache, die sich irgendwo in unserer Vorstellung befindet. Sie existiert nur in dem Zusammenhang, in einer konzeptuellen Wahrnehmung einem geistigen Hologramm geistig zugeschrieben zu werden, das für uns einen Elefanten repräsentiert, wenn wir uns einen vorstellen. Die Kategorie und die konzeptuelle Repräsentation werden nur durch den Geist projiziert.
Die konzeptuelle Repräsentation eines Elefanten hat jedoch, da sie die subtile Form eines physischen Phänomens ist, eine definierende Eigenschaft auf ihrer Seite, die sie als ein individuelles gültig erkennbares Objekt begründet, doch diese definierende Eigenschaft hat nicht die Kraft, dieses geistige Hologramm als einen Elefant zu begründen. Das geistige Hologramm ist frei von dieser unmöglichen Existenzweise. Das ist hier die andere Art der Leerheit, die subtile Leerheit. Das geistige Hologramm ist frei davon, eine Plattform zu sein, der eine geistige Bezeichnung, ein Konzept oder ein Name zugeschrieben werden kann und die dadurch das geistige Hologramm als das begründen kann, worauf sich die Bezeichnung, das Konzept oder der Name tatsächlich beziehen.
Vergleicht das mit dem Sehen eines Elefanten. Wenn wir einen Elefanten sehen, können wir nicht begründen, dass der Elefant irgendwo da draußen existiert, bevor wir ihn sehen, bevor irgendjemand ihn sieht oder bevor ihn eine Videokamera aufnimmt; es gibt keine Möglichkeit, ihn auf diese Weise zu begründen und daher hat er keine äußerlich begründete Existenz. Obgleich jedoch die Quelle dieser Wahrnehmung des Elefanten, unseres Sehens dieses Elefanten, auf einen karmischen Samen des Sehens eines Elefanten zurückzuführen ist, ist das, was wir sehen, wenn wir ihn sehen, nicht einfach nur vollkommen imaginär. Wir projizieren nicht nur einen imaginären Elefant, sondern sehen tatsächlich einen Elefant. Es ist wahrhaft ein Elefant und es gibt eine definierende Eigenschaft auf Seiten dieses Objektes, dieses geistigen Hologramms, die es aus eigener Kraft begründet, nicht nur als ein gültig erkennbares Objekt, sondern auch als einen individuellen Elefant. Dasselbe gilt für die Leerheit dieses Elefanten, diese Abwesenheit der Erscheinung, die auf eine andere Ursprungsquelle zurückzuführen ist, als die ihrer Wahrnehmung. Diese Leerheit der äußeren Existenz hat auch eine individuelle definierende Eigenschaft auf ihrer Seite, die wahrhaft ihre Existenz sowohl als ein gültig erkennbares Objekt, aber auch als eine Leerheit begründet. Ein Arya nimmt diese Leerheit nicht-konzeptuell wahr. Sie wird als ein „vollkommen begründetes Phänomen“ (tib. yongs-su grub-pa) bezeichnet. Sie ist eine statische Tatsache; sie tut nichts.
Kurzum sind in diesem System sowohl abhängige Phänomene als auch vollkommen begründete Phänomene wahrhaft existent. Sie sind nicht imaginär; sie sind nicht wie die statische Kategorie „Elefant“, die damit verbunden ist, sich einen Elefant vorzustellen. Die Existenz abhängiger Phänomene und vollkommen begründeter Phänomene wird nicht-zugeschrieben und ausschließlich durch die Kraft ihrer eigenen individuell definierenden charakteristischen Merkmale auf ihren Seiten begründet.
Abhängige, vollkommen konzeptuelle und vollkommen begründete Phänomene
Eine Leerheit ist jedoch nicht die gleiche Art eines letztendliches Phänomens, wie ein abhängiges Phänomen, weil eine Leerheit nicht dieselbe Wesensnatur (tib. ngo-bo) hat, wie ein abhängiges Phänomen, auch wenn sie, genau wie ein abhängiges Phänomen, ein definierendes charakteristisches Merkmal auf eigener Seite hat, das ihre Existenz aus eigener Kraft begründet. Das Fokussieren eines Aryas auf abhängige Phänomene führt nicht zur Befreiung oder Erleuchtung, sondern nur das Fokussieren eines Aryas auf Leerheit.
Darüber hinaus fehlt abhängigen Phänomenen die Art der Existenz, die vollkommen konzeptuelle Phänomene haben, denn abhängige Phänomene haben ein definierendes charakteristisches Merkmal auf eigener Seite, das ihre Existenz begründet. Andererseits fehlt vollkommen konzeptuellen Phänomenen, wie konzeptuellen Kategorien, solch ein definierendes charakteristisches Merkmal. Ihre Existenz kann nur durch ihr Auftreten in konzeptuellen Wahrnehmungen begründet werden, in denen sie konzeptuellen Repräsentationen von Dingen geistig zugeschrieben werden, die zu diesen Kategorien gehören.
Zusammenfassend sind abhängige Phänomene aus dieser Sicht frei davon so zu existieren, wie vollkommen begründete Phänomene existieren, und vollkommen begründete Phänomene sind frei davon so zu existieren, wie abhängige Phänomene existieren. Ich weise darauf hin, weil diese Struktur auch in anderen Darstellungen der Anderesleerheit erscheint, auch wenn es eher schwer es, dies nur nach einmaligem Hören zu verstehen.
Ich folge übrigens der traditionellen Art der Erklärung, in der alles bis jetzt Besprochene relativ leicht verständlich ist. Das wirklich Schwierige habe ich für diese letzte Sitzung aufgehoben; habt also etwas Geduld. Fast immer, wenn wir Erklärungen von tibetischen Lamas hören, besonders über Themen wie Leerheit und von Lehrern wie Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, können wir der letzten Vorlesung nur schwer folgen, weil sie nicht so leicht zu verstehen ist. Seine Heiligkeit geht diesen schwierigen Lehrstoff ganz schnell durch, denn auch wenn er ihn langsam durchgehen würde, wären die meisten Leute nicht in der Lage, ihn zu verstehen. Und den Menschen, die ihn verstehen – wie den älteren Lehrern, die an den Belehrungen teilnehmen – hilft es, damit sie den Lehrstoff anderen Schülern später viel langsamer erklären können. Das ist die Methode, der ich hier folge.
Wahrhaft begründete Existenz im Madhyamaka Svatantrika
Sehen wir uns nun die Svatantrika-Behauptungen über wahrhaft begründete Existenz an, wiederum gemäß der Gelug-Darstellung. Svatantrika ist eine Untergruppe innerhalb des Madhyamaka.
Bis hierhin haben wir gesehen, dass man im Vaibhashika die wahrhaft begründete Existenz als eine Existenz definiert, die durch die eigene Seite von etwas begründet wird, und sie mit der Existenz gleichsetzt, die durch die Fähigkeit begründet wird, ein Resultat hervorzubringen. Gemäß dem Vaibhashika haben alle Phänomene, sowohl nicht-statische als auch statische, eine wahrhaft begründete Existenz. In den Jetsünpa-Lehrbüchern wird vertreten, dass man im Sautrantika nur den Teil der Vaibhashika-Behauptung akzeptiert, dass wahrhaft begründete Existenz eine Existenz ist, die durch die Fähigkeit von etwas begründet wird, ein Resultat hervorzubringen. Laut dieser Definition sind nur nicht-statische Phänomene wahrhaft begründet. In den Panchen-Lehrbüchern wird vertreten, dass man im Sautrantika nur den Teil der Vaibhashika-Behauptung akzeptiert, dass wahrhaft begründete Existenz eine Existenz ist, die durch die eigene Seite von etwas begründet wird. Laut dieser Definition haben sowohl nicht-statische als auch statische Phänomene eine wahrhaft begründete Existenz.
Im Chittamatra wird wahrhaft begründete Existenz als eine Existenz definiert, die durch das Erscheinen in der völligen Vertiefung eines Aryas begründet wird. Durch den Gebrauch dieser Definition, lehnt man im Chittamatra die Jetsünpa-Sautrantika-Behauptung ab, dass allen statischen Phänomenen eine wahrhaft begründete Existenz fehlt und vertritt, dass nicht nur nicht-statische Phänomene, sondern von den statischen Phänomenen auch Leerheiten eine wahrhaft begründete Existenz haben, obgleich sie anderen statischen Phänomenen fehlt. Somit lehnt man im Chittamatra auch die Panchen-Sautrantika-Behauptung ab, dass alle statischen Phänomene eine wahrhaft begründete Existenz haben.
Im Svatantrika wird dann die wahrhaft begründete Existenz als eine Existenz definiert, die lediglich durch die Kraft eines definierenden charakteristischen Merkmals begründet wird, das auf Seiten eines Objektes zu finden ist. Durch den Gebrauch dieser Definition, lehnt man im Svatantrika die Chittamatra-Behauptung ab, dass nicht-statische Phänomene und Leerheiten eine wahrhaft begründete Existenz haben. Nichts hat eine wahrhaft begründete Existenz, weil es so etwas nicht gibt. Im Svatantrika lehnt man auch die Chittamatra-Behauptung ab, dass die Existenz statischer Phänomene außer Leerheiten lediglich durch die Kraft begründet wird, das Bezugsobjekt konzeptueller Bezeichnungen und Worte zu sein. Nichts begründet seine Existenz nur durch die Kraft, das Bezugsobjekt einer konzeptuellen Bezeichnung (also eines Konzeptes) zu sein, und durch die Kraft, das Bezugsobjekt eines Wortes zu sein, weil es auch so etwas nicht gibt. Stattdessen vertritt man im Svatantrika, dass die Existenz aller Phänomene, sowohl nicht-statischer als auch statischer, durch eine Kombination der Kraft eines auf eigenen Seiten auffindbaren, individuell definierenden charakteristischen Merkmals und durch die Kraft, das Bezugsobjekt einer konzeptuellen Bezeichnung und eines Wortes begründet wird.
Mit anderen Worten wird die Existenz nicht nur durch ein individuell definierendes charakteristisches Merkmal auf eigener Seite begründet. Vielmehr muss es dieses individuell definierende charakteristische Merkmal zusammen mit dem geben, worauf sich eine geistige Bezeichnung bezieht, wenn sie konzeptuell diesem definierenden charakteristischen Merkmal zugeschrieben wird. Kurzum wird die Existenz von etwas nicht nur dadurch begründet, das zu sein, worauf sich eine geistige Bezeichnung bezieht, und nicht nur durch ein individuell definierendes charakteristisches Merkmal auf Seiten des Objektes, das ein gültiges Bezeichnen des Objektes erlaubt, sondern durch die Kombination dieser zwei.
Es muss also ein definierendes charakteristisches Merkmal auf Seiten des Objektes geben. Sagen wir einmal, es muss etwas auf Seiten des „Ichs“ geben, was mich zu „mir“ macht und nicht zu „dir“. Im Chittamatra heißt es, dass es etwas auf Seiten des „Ichs“ gibt, das mich ausmacht, ungeachtet dessen, dass das „Ich“ das ist, worauf sich das Wort „Ich“ oder ein Name, den wir bekommen, wie Sascha oder Lena, bezieht. Im Svatantrika widerspricht man dem. Wir stimmen zu, dass es dieses definierende charakteristische Merkmale auf Seiten eines Objektes gibt, doch wir müssen auch den Bezug zum Geist mit ins Spiel bringen; es ist also das, worauf sich ein Wort oder Konzept beruhend darauf bezieht, diesem Haken, diesem individuell definierenden charakteristischen Merkmal zugeschrieben zu sein.
Wahrhaft begründete Existenz im Madhyamaka Prasangika
Im Prasangika lehnt man die Svatantrika-Behauptung ab, dass die Existenz von Phänomenen nur durch die Kraft begründet werden kann, das Bezugsobjekt einer geistigen Bezeichnung, eines Konzeptes oder einer Kategorie zu sein, die konzeptuell der Grundlage eines auffindbaren individuell definierenden charakteristischen Merkmals auf Seiten eines Objektes zugeschrieben werden kann, oder durch die Kraft, das Bezugsobjekt eines Wortes zu sein, mit dem man die Grundlage solch eines definierenden charakteristischen Merkmals benennt. Man lehnt ab, das es ein auffindbares individuell definierendes charakteristisches Merkmal auf Seiten eines Objektes gibt und behauptet stattdessen, dass die Existenz eines Phänomens nur begründet werden kann, lediglich das Bezugsobjekt einer geistigen Bezeichnung, eines Konzeptes oder einer Kategorie zu sein, mit der man eine Grundlage der Bezeichnung konzeptuell bezeichnet, oder lediglich das Bezugsobjekt eines Wortes zu sein, mit dem man eine Grundlage der Benennung benennt. Im Prasangika ist wahrhaft begründete Existenz gleichbedeutend mit der Existenz, die durch ein individuell definierendes charakteristisches Merkmal auf Seiten eines Objektes entweder aus eigener Kraft allein oder durch die eigene Kraft zusammen mit geistigem Bezeichnen oder Benennen begründet wird.
Außerdem wird in allen weniger anspruchsvollen Lehrsystemen vertreten, dass alle Phänomene eine selbst-begründete Existenz (tib. rang-bzhin-gyis grub-pa) haben, die oft als „inhärente Existenz“ übersetzt wird. Diese Existenz wird dadurch begründet, dass etwas das auffindbare Bezugs-Ding (tib. btags-don) ist, welches von Seiten eines Objektes durch eine selbst-begründende Natur (tib. rang-bzhin) begründet wird. Dieses Bezugs-Ding wird als die fokale Stütze (tib. dmigs-rten) betrachtet, die das Bezugsobjekt (tib. btags-chos) eines konzeptuellen Bezeichnens mit einer geistigen Bezeichnung, eines Konzeptes oder einer Kategorie, oder dem Benennen mit einem Wort oder einem Namen trägt oder aufrechterhält. Im Prasangika nutzt man „wahrhaft begründete Existenz“ auch als ein Synonym für selbst-begründete Existenz und betrachtet die durch ein individuell definierendes charakteristisches Merkmal begründete Existenz als Existenz, die durch ein selbst-begründetes individuell definierendes charakteristisches Merkmal begründet wird.
Was ist zum Beispiel Liebe? Alles, was man sagen kann, ist, dass Liebe das ist, worauf sich das Wort „Liebe“ auf der Grundlage bestimmter Emotionen bezieht, die bestimmte Klassen von fühlenden Wesen erfahren. Nun, wir können uns die Definition von Liebe im Wörterbuch ansehen und eine definierende Eigenschaft finden, doch sie wurde von jemandem erdacht. Sie war nicht bereits auf Seiten der Liebe selbst-begründet da. Jeder von uns erfährt das, was wir „Liebe“ nennen, ganz anders. Was ich erfahre und „Liebe“ nenne, ist nicht dasselbe, was du vielleicht erfährst und als „Liebe“ bezeichnest, und jedes Mal, wenn ich sie erfahre, kann sie anders sein. Was gibt es auf Seiten der Emotion, das sie zu Liebe macht? Das Einzige, das die Existenz der Liebe begründet, ist das Wort „Liebe“, das wiederum nur eine Kombination bedeutungsloser Laute ist, die jemand als ein Wort bezeichnet und dem man eine Bedeutung und eine Definition verliehen hat, die ebenfalls erdacht wurden.
Gibt es so etwas wie Liebe? Ja, aber was ist sie? Alles, was wir sagen können, ist, dass sie das ist, worauf sich das Wort oder Konzept „Liebe“ bezieht. Es bezieht sich auf etwas. Wir erfahren sie, doch es gibt nichts, das diesem Wort oder Konzept entspricht und sich irgendwo in unserem Kopf oder sonst irgendwo als ein Bezugs-Ding befindet, wie in Plastik eingehüllt, mit einer ihm zugeschriebenen Definition. Doch das ist es, was ein Wörterbuch andeutet. Es gibt all diese kleinen Kategorien wie winzige Schubladen in unserem Kopf: hier die Schublade mit dem Namen „Liebe“, hier die Schublade mit dem Namen „Güte“ und dort die Schublade mit dem Namen „Glücklichsein“. Dinge existieren nicht auf diese Weise, in Schubladen, begründet durch die Kraft von etwas Auffindbarem auf ihrer Seite. Es handelt sich um eine unmögliche Existenzweise, dass dieses Bezugs-Ding in dieser Schublade ganz für sich existiert, unabhängig von allem, und einfach aus eigener Kraft da ist und zu dem wird, was es ist.
Mit Sicherheit denken die meisten von uns, dass es etwas in uns geben muss, das uns ausmacht. Diese ganze Idee, dass wir so besonders wären oder der andere so besonders wäre, wenn wir von jemandem fasziniert sind, und dass es etwas auf Seiten des anderen gibt, das ihn ausmacht und so besonders macht – so etwas gibt es nicht. Dennoch ist jeder und alles individuell. Es ist nicht gerade leicht zu verstehen, dass alles seine Individualität behält, diese Individualität aber nicht durch etwas auf Seiten des Objektes begründet wird.
Aus dieser Reihe immer präziserer Definitionen wahrhaft begründeter Existenz und immer subtileren Analysierens, wie Dinge existieren und wie sie nicht existieren, können wir erkennen, dass unser Verständnis der Leerheit, die Abwesenheit dessen, was unmöglich ist, immer subtiler wird. Natürlich müssen wir eine lange Zeit damit arbeiten, um tatsächlich das Greifen nach diesen unmöglichen Existenzweisen zu erkennen, das jeder von uns von Natur aus hat. Damit diese Bemühung erfolgreich ist, müssen wir, wie ich bereits betont habe, einen enormen Vorrat an positiver Kraft aufbauen, den wir mit Bodhichitta unserem Erlangen der Erleuchtung widmen.
Konzeptuell wahrgenommene und nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit
Gelug-Svatantrika-Darstellung
Der nächste Punkt, den wir hier hinzufügen müssen, ist der Unterschied zwischen den so genannten mit Worten fassbaren letztendlichen Phänomenen (tib. rnam-grangs-pa’i don-dam) und den nicht mit Worten fassbaren letztendlichen Phänomenen (tib. rnam-grangs ma-yin-pa’i don-dam). Diese Unterscheidung stammt aus dem Svatantrika. „Mit Worten fassbar“ bedeutet, dass sie zu jenen Dingen gezählt werden, die konzeptuell erscheinen und erkannt werden können; „nicht mit Worten fassbar“ bedeutet hingegen, dass sie nicht zu jenen Dingen gezählt werden können, die konzeptuell erscheinen und erkannt werden können.
Hier geht es um letztendliche Phänomene, im Gelug Svatantrika reden wir also nur über Leerheiten. Wenn wir uns konzeptuell auf die Leerheit wahrhaft begründeter Existenz richten, erscheint eine konzeptuelle Repräsentation einer Leerheit wie ein konventionelles Objekt mit einem definierendem charakteristischen Merkmal, in etwa wie ein Haken. Dieses auffindbare definierende charakteristische Merkmal hat die Kraft, die Existenz der Leerheit als ein konventionelles Objekt bezüglich darauf zu begründen, konzeptuell mit der Kategorie „Leerheit“ bezeichnet und korrekt mit dem Wort „Leerheit“ benannt zu werden.
- Diese konzeptuelle Repräsentation einer Leerheit wird wegen diesem Haken-ähnlichen definierenden charakteristischen Merkmal korrekt mit der Kategorie „Leerheit“ konzeptuell bezeichnet.
- Die konzeptuelle Repräsentation einer Leerheit kann korrekt mit dem Wort „Leerheit“ konzeptuell bezeichnet werden, weil dieses Haken-ähnliche definierende charakteristische Merkmal die Definition des Wortes „Leerheit“ ist.
Somit ist die konzeptuell wahrgenommene Leerheit ein mit Worten fassbares letztendliches Phänomen; sie kann zu den Dingen gezählt werden, die erscheinen, konzeptuell erkannt und mit Worten bezeichnet werden können.
Wenn wir uns nicht-konzeptuell auf die Leerheit richten, entsteht keine Erscheinung der Leerheit als konventionelles Objekt mit einem auffindbaren definierenden charakteristischen Merkmal. Es entsteht und erscheint lediglich eine völlige Abwesenheit und kein konventionelles Objekt. Diese völlige Abwesenheit hat kein auffindbares definierendes charakteristisches Merkmal auf ihrer Seite, das die Kraft hat, die letztendliche Existenz der Leerheit zusammen mit einem korrekten konzeptuellen Bezeichnen mit der Kategorie „Leerheit“ und dem korrekten Benennen mit dem Wort „Leerheit“ zu begründen. Sie hat keinen „Haken“, an die sich die Kategorie „Leerheit“ hängen und sie konzeptuell bezeichnen kann, oder keinen Haken, an den sich das Wort „Leerheit“ hängen und es konzeptuell benennen kann. Daher ist die nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit ein nicht mit Worten fassbares letztendliches Phänomen; sie kann nicht zu jenen Dingen gezählt werden, die erscheinen, konzeptuell erfasst und mit Worten benannt werden kann. Sie ist jenseits von Worten und Konzepten.
Wenn wir die Begriffe „mit Worten fassbare letztendliche“ und „nicht mit Worten fassbare letztendliche“ in die Prasangika-Darstellung der konzeptuell wahrgenommenen Leerheit und der nicht-konzeptuell wahrgenommenen Leerheit importieren, können sie uns helfen, den Unterschied zwischen den Darstellungen des Gelug und jenen, die nicht zum Gelug gehören, zu verstehen.
Prasangika-Darstellung
Ein großer Unterschied zwischen den Behauptungen des Gelug-Prasangika und des Nicht-Gelug-Prasangika bezüglich der Leerheit besteht in dem zu negierenden Objekt. In beiden ist man sich darin einig, dass dieses Objekt eine konzeptuelle Fabrikation (tib. spros-pa) ist und das sowohl die nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit, als auch die Leerheit, die nicht-konzeptuell wahrgenommen wird, getrennt von der konzeptuellen Fabrikation (tib. spros-bral) sind. Beide stimmen auch zu, dass das konventionelle Objekt eine wahrhaft begründete Existenz zu haben scheint. Wir haben bereits die Gelug-Definition der wahrhaft begründeten Existenz erklärt. Für die Nicht-Gelug bezieht sich die grobe Ebene wahrhaft selbst-begründeter Existenz auf eine Dualität wahrgenommener Objekt und des Geistes, der sie wahrnimmt, die unabhängig voneinander durch die Kraft einer selbst-begründenden Natur (tib. rang-bzhin) begründet werden, die jeweils auf ihrer Seite auffindbar ist.
Im Kontext der Wahrnehmung unterscheidet man im Gelug zwischen der Erscheinung dessen, was konventionelle Objekte sind, und ihrer Existenzweise – wahrhaft selbst-begründete Existenz – auch wenn diese zwei in Bezug darauf, wie Phänomene existieren, untrennbar sind. Im Nicht-Gelug vertritt man, dass die zwei auch im Kontext der Wahrnehmung untrennbar sind. Wegen diesem Unterschied vertritt man im Gelug, dass sich die konzeptuelle Fabrikation nur auf wahrhaft selbst-begründete Existenz bezieht und nicht auf die korrekte Erscheinung dessen, was konventionelle Objekte sind. Im Nicht-Gelug vertritt man, dass konventionelle Objekte als Ganzes betrachtet – also die Erscheinung dessen, was sie sind, und deren wahrhaft selbst-begründete Existenz – konzeptuelle Fabrikationen sind. Somit werden mit der Leerheit für die Gelug nur wahrhaft selbst-begründete Existenz und keine konventionellen Objekte negiert, während für die Nicht-Gelug mit der Leerheit die Existenz konventioneller Objekte negiert wird, die irgendetwas anderes als bloße konzeptuelle Fabrikationen sind. Das ist die subtile Ebene wahrhaft begründeter Existenz.
Im Kontext konzeptuell wahrgenommener Leerheit wird im Gelug erklärt, dass eine konzeptuelle Repräsentation einer Leerheit erscheint und sie wahrhaft selbst-begründete Existenz zu haben scheint. Das implizierte Objekt (tib. zhen-yul) der konzeptuellen Repräsentation wahrhaft selbst-begründeter Existenz gibt es nicht. So etwas, wie wahrhaft selbst-begründete Existenz, gibt es nicht; sie ist nur eine konzeptuelle Fabrikation. Andererseits ist das implizierte Objekt dessen, was die Leerheit zu sein scheint, dasselbe, was nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit zu sein scheint; es ist keine konzeptuelle Fabrikation. Aus diesem Grund vertritt man im Gelug-Prasangika, dass es keinen Unterschied zwischen konzeptuell wahrgenommener und nicht-konzeptuell wahrgenommener Leerheit gibt.
Im Kontext konzeptuell wahrgenommener Leerheit wird in den Nicht-Gelug-Traditionen im Allgemeinen erklärt, dass eine konzeptuell fabrizierte Leerheit als ein konventionelles Objekt entsteht. Ihr impliziertes Objekt existiert nicht. Aus diesem Grund vertritt man im Nicht-Gelug-Prasangika, dass konzeptuell wahrgenommene Leerheit und nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit nicht dasselbe sind.
Sowohl im Gelug als auch im Nicht-Gelug ist man sich einig, dass Objekt-Kategorien (tib. don-spyi), wie die Kategorie „Leerheit“, gleichbedeutend mit dem sind, was als „Konzept“ bezeichnet werden kann – das Konzept der „Leerheit“. In beiden ist man sich auch einig, dass Kategorien oder Konzepte die Grundlage für das Benennen mit Worten, wie dem Wort „Leerheit“, sind und dass die nicht-konzeptuelle Wahrnehmung nicht mit Kategorien, Konzepten oder Worten verbunden ist. Da man im Gelug davon ausgeht, dass es keinen Unterschied zwischen konzeptuell wahrgenommener und nicht-konzeptuell wahrgenommener Leerheit gibt, vertritt man keine Leerheit, die jenseits von Worten und Konzepten ist. Da man im Nicht-Gelug die nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit als verschieden von der konzeptuell wahrgenommenen Leerheit hält, vertritt man die nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit als jenseits von Worten und Konzepten.
In unserem Streben nach einer großen gemeinsamen Theorie dieser buddhistischen Behauptungen würde ich postulieren, dass die Gelug-Behauptung der Leerheit auffindbarer Bezugs-Dinge, welche die fokale Stütze der Bezugsobjekte des geistigen Bezeichnens sind, gleichbedeutend mit der Nicht-Gelug-Behauptung der Leerheit konventioneller Objekte ist, die irgendetwas anderes als bloße konzeptuelle Fabrikationen sind. Ein konventionelles Objekt, das nicht bloß eine konzeptuelle Fabrikation ist, wäre ein auffindbares Bezugs-Ding und beide Darstellungen der Leerheit könnten als „die Leerheit wahrhaft selbst-begründeter Existenz“ bezeichnet werden. Diese Theorie muss jedoch weiter analysiert werden.
Von konzeptueller Wahrnehmung der Leerheit auf nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit übergehen
Eine wesentliche Frage für alle Lehrsysteme und ihre Interpretationen der tibetischen Traditionen ist, wie man von einer konzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit zu ihrer nicht-konzeptuellen Wahrnehmung gelangt. Um die verschiedenen Behauptungen zu verstehen, ist es notwendig zu wissen, dass in allen Darstellungen des Prasangika die Leerheit der vier Extreme (tib. mtha’-bzhi) vertreten wird: (1) die Leerheit wahrhaft selbst-begründeter Existenz, (2) die Leerheit dieser Leerheit, (3) die Leerheit sowohl wahrhaft selbst-begründeter Existenz und der Leerheit dieser Leerheit, sowie (4) die Leerheit weder wahrhaft selbst-begründeter Existenz noch deren Leerheit. In allen tibetischen Traditionen wird auch vertreten, dass konzeptuell wahrgenommene Leerheit wie ein konventionelles Objekt und somit mit wahrhaft selbst-begründeter Existenz erscheint. Indem wir uns dieser Punkte bewusst sind, werden wir die Gelug-Behauptung und die Behauptung einiger Meister mancher Nicht-Gelug-Traditionen untersuchen.
Im Gelug-Prasangika wird erklärt, dass konzeptuell wahrgenommene Leerheit und nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit dasselbe sind. Da die konzeptuell wahrgenommene Leerheit mit wahrhaft selbst-begründeter Existenz erscheint, hinterlässt die konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit dieser Leerheit keine selbst-begründete Existenz, die dann wahrgenommen werden kann. Indem man die Leerheit der vier Extreme, eine nach der anderen, konzeptuell wahrgenommen hat, bekommt man Zugang zur nicht-konzeptuellen völligen Vertiefung in die Leerheit eines Aryas, in der es kein Erscheinen einer selbst-begründeten Existenz gibt.
Im Nicht-Gelug-Prasangika wird erklärt, dass konzeptuell wahrgenommene Leerheit und nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit nicht dasselbe sind. Wie zuvor erwähnt, bezeichnet man die nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit im Nyingma als „jenseits von Worten und Konzepten“; im Jonangpa wird sie als „jenseits von Existenz und Nicht-Existenz“ bezeichnet. Die konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit jeder der vier Extreme, ob eines nach dem anderen oder alle gleichzeitig, bringt die konzeptuelle Fabrikation einer Leerheit als ein konventionelles Objekt hervor. Manche Nicht-Gelugpas, wie der Nyingma-Meister Mipam (tib. ‘Ju Mi-pham ‘Jam-dbyangs rnam-rgyal rgya-mtsho), vertreten, dass sowohl die konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit jedes der vier Extreme, eines nach dem anderen, als auch die konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit aller vier Extreme gleichzeitig, ohne sie eines nach dem anderen wahrzunehmen, einen Zugang zur nicht-konzeptuellen völligen Vertiefung in Leerheit eines Aryas ermöglichen. Andere Nicht-Gelugpas, wie der Sakya-Meister Gorampa (tib. Go-rams-pa bSod-nams seng-ge), vertreten, dass sogar die konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit aller vier Extreme gleichzeitig keinen Zugang zur nicht-konzeptuellen völligen Vertiefung in Leerheit eines Aryas ermöglichen. Obgleich solche konzeptuelle Wahrnehmung eine Grundvoraussetzung ist, benötigt man zusätzliche Methoden, um Zugang zu dem tiefen Gewahrsein dieser völligen Vertiefung zu finden.
Selbstleerheit und Anderesleerheit
Es gibt mehrere verschiedene Sichtweisen der Selbstleerheit und Anderesleerheit, die man in den Nicht-Gelug-Traditionen finden kann – insbesondere im Nyingma, Karma Kagyü, Rime und in den Jonang-Traditionen. Nicht alle Nyingma- und Kagyü-Meister vertreten jedoch die Anderesleerheit und jene, die sie vertreten, tun es nicht auf die gleiche Weise. Wir haben nicht genug Zeit, all die verschiedenen Behauptungen im Einzelnen durchzugehen und daher werde ich nur auf ein paar wichtige Punkte eingehen.
Die Systeme der Anderesleerheit widerlegen die Selbstleerheit nicht. Sie vertreten die Gültigkeit beider, der Selbstleerheit und der Anderesleerheit.
- Manche dieser Systeme vertreten beide Leerheiten als gleichwertig.
- Manche vertreten, dass sich die Selbstleerheit auf die Anderesleerheit bezieht, und andere meinen, sie würde sich nicht auf sie beziehen.
- Manche meinen, die Selbstleerheit sei das, was während der Phase der nicht-konzeptuellen völligen Vertiefung eines Aryas wahrgenommen wird, und Anderesleerheit, was während der Phase der nichtkonzeptuellen nachfolgenden Erlangung eines Aryas wahrgenommen wird.
- Einige vertreten, beide Leerheiten hätten eine letztendliche Bedeutung (tib. nges-don),
- während andere meinen, die Selbstleerheit hätte eine interpretierbare Bedeutung (tib. drangs-don). Zunächst muss die Selbstleerheit verstanden werden, was dann zur Anderesleerheit als Lehre der definitiven Bedeutung führt.
Im Gelug werden Selbstleerheit und Anderesleerheit nicht vertreten. Daher ist es falsch, die Gelug-Prasangika-Behauptung der Leerheit wahrhaft selbst-begründeter Existenz als Selbstleerheit zu betrachten, wie sie von den Nicht-Gelug-Systemen vertreten wird, besonders da einige Nicht-Gelug-Meister die Gelug-Prasangika-Behauptung als „falsche Selbstleerheit“ bezeichnen.
- In einigen Nicht-Gelug-Systemen wird die Selbstleerheit als Leerheit konventioneller Objekte vertreten, die wahrhaft als konventionelle Objekte selbst-begründet werden – anders ausgedrückt: als die Leerheit konventioneller Objekte, die etwas anderes als konzeptuelle Fabrikationen sind.
- Manche meinen, die Selbstleerheit sei die Leerheit einer Dualität wahrgenommener Objekte und des Geistes, der sie wahrnimmt, die unabhängig voneinander durch die Kraft einer selbst-begründenden Natur begründet werden, die auf jede ihrer Seiten zu finden ist.
- Andere betrachten die oben genannten zwei Standpunkte als zwei Ebenen der Selbstleerheit.
Was die verschiedenen Behauptungen der Anderesleerheit betrifft, so besteht ein wichtiger Punkt, den wir nicht vergessen sollten, darin, dass auch wenn in vielen der Nicht-Gelug-Systeme ein Unterschied zwischen konzeptuell wahrgenommener Leerheit und nicht-konzeptuell wahrgenommener Leerheit vertreten wird, wird in keinem von ihnen die nicht-konzeptuell wahrgenommene Leerheit, die jenseits von Worten und Konzepten oder jenseits von Existenz und Nicht-Existenz ist, als „Anderesleerheit“ bezeichnet. Sie wird der Geist des klaren Lichts oder Rigpa genannt, durch die diese Leerheit als „Anderesleerheit“ wahrgenommen wird. Allerdings vertreten sie, dass sowohl der Geist des klaren Lichts oder Rigpa, als auch die Leerheit, die sie wahrnimmt, beide nicht mit Worten fassbare letztendliche Phänomene sind. Sie bilden den „Leib für einen So-Gegangenen“ (tib. de-bzhin snying-po, Skt. tathāgatagarbha) – normalerweise als die „Buddha-Natur“ bezeichnet. In den Nicht-Gelug-Systemen wird auch vertreten, dass der Geist des klaren Lichts oder Rigpa mit allen guten Eigenschaften ausgestattet ist.
Im Karma-Kagyü differenziert man zwei Arten von Behauptungen der Anderesleerheit: Sphäre-Anderesleerheit (tib. dbyings gzhan-stong; „Weite-Anderesleerheit“) und Klarheit-Anderesleerheit (tib. gsal-ba gzhan-stong; „Leuchtkraft-Anderesleerheit“). Diese Klassifizierung kann auf all die verschiedenen Sichtweisen der Anderesleerheit angewandt werden. Diese zwei Arten der Behauptungen schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus.
- Die Weite-Anderesleerheit beschreibt den Geist des klaren Lichts als eine Realitätssphäre (tib. chos-dbyings, Skt. dharmadhātu), die frei von konzeptueller Fabrikation ist.
- Die Klarheit-Anderesleerheit beschreibt den Geist des klaren Lichts oder Rigpa als eine Ebene des Geistes, die frei von flüchtigen Makeln ist, die alle äußerlich und etwas anderes sind als sie.
Folgendes gilt für die verschiedenen Darstellungen der Klarheit-Anderesleerheit:
- Manche behaupten, die flüchtigen Makel seien gröbere Ebenen des Geistes.
- Manche übernehmen die Chittamatra-Terminologie der drei Arten charakterisierter Phänomene – vollkommen konzeptuell, abhängig und vollkommen begründet. Sie vertreten, dass der Geist des klaren Lichts der Anderesleerheit vollkommen begründet und frei von flüchtigen Makeln ist, die vollkommen konzeptuelle Phänomene und abhängige Phänomene sind.
- Manche betrachten die flüchtigen Makel auf unwissende Weise und meinen, die Dualität wäre vollkommen konzeptuell und daher falsch.
Aus alledem können wir erkennen, dass es eine große Vielfalt von Behauptungen zur Selbstleerheit und Anderesleerheit gibt. Außerdem gibt es zahlreiche Kritiken dieser verschiedenen Behauptungen.
- Manche werden von jenen angeführt, die selbst keine Anderesleerheit vertreten und manche von jenen, die sie vertreten.
- Manche Kritiken richten sich auf das Gelug, als wären dessen Behauptungen jene einer falschen Selbstleerheit und einer falschen Anderesleerheit,
- während andere Kritiken an die Befürworter der Behauptungen der Anderesleerheit gerichtet werden.
Einige der bekanntesten Kritiken sind jene, die an die Systeme der Klarheit-Anderesleerheit gerichtet sind, welche die Chittamatra-Terminologie der drei Arten charakterisierter Phänomene übernehmen. Wie ihr euch erinnert, wird im Chittamatra vertreten, dass abhängige Phänomene frei davon sind, vollkommen konzeptuelle Phänomene zu sein, und vollkommen begründete Phänomene frei davon, wie abhängige Phänomene zu sein. Im Gelug-Prasangika können wir diese Begriffe in Bezug auf ein Phänomen benutzen. Was nun hinsichtlich dieses Phänomens vollkommen begründet ist, ist dessen Leerheit (dessen tiefste Wahrheit); was abhängig ist, ist dessen konventionelle Wahrheit oder relative Wahrheit; und was vollkommen konzeptuell ist, ist dessen Erscheinen als wahrhaft selbst-begründete Existenz. Doch alle drei sind frei von wahrhaft selbst-begründeter Existenz.
In den anderen Systemen der Anderesleerheit, in denen diese Chittamatra-Terminologie übernommen wird, verwendet man sie gemäß der Chittamatra-Darstellung der Nicht-Gelug. Jede der drei Arten charakterisierter Phänomene umfasst eine Art von Geist und die Objekte, die er wahrnimmt. Abhängige Phänomene sind frei davon, vollkommen konzeptuell zu sein. Vollkommen konzeptuelle Phänomene sind Dinge, die wir nur konzeptuell wahrnehmen können, sowie der konzeptuelle Geist, der sie wahrnimmt.
Abhängige Phänomene sind Dinge, die wir nicht-konzeptuell wahrnehmen können und der nicht-konzeptuelle Geist, der sie wahrnimmt. Jene, die wir nicht-konzeptuell wahrnehmen können, entstehen aus Ursachen und Umständen. Sie sind nicht-statisch und nicht wie Dinge, die wir nur konzeptuell wahrnehmen können und die statisch sind. Wenn wir ein abhängiges Phänomen wahrnehmen – etwas, das aus Ursachen und Bedingungen entsteht, wie unsere Hand – sehen wir es nicht-konzeptuell und somit ist es frei von konzeptuellen Gedanken und Kategorien.
Der Geist des klaren Lichts in solchen Systemen der Anderesleerheit ist vollkommen begründet. Er ist sogar frei von diesen abhängigen Phänomenen – mit anderen Worten ist er sogar frei von unseren gröberen Ebenen des Geistes, auf denen es eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung gibt, wie wenn wir die Hand mit dem Sehbewusstsein sehen. Nun, das ist in Ordnung und niemand – nicht einmal jemand, die keine Anderesleerheit vertritt – fechtet an, dass der Geist des klaren Lichts so ist.
Solche Sichtweisen der Anderesleerheit werden jedoch kontrovers, wenn sie, anstatt nur aus einer epistemologischen Sicht, also aus einer Sicht des Geistes klaren Lichts, der frei von bestimmten Arten der Wahrnehmung und deren Objekten ist, auch aus einer ontologischen Sicht, also aus der Sicht des Geistes klaren Lichts, der frei von den Existenzweisen ist, die diese gröberen Ebenen des Geistes projizieren und wahrnehmen, vertreten werden.
Wie wir gesehen haben, vertritt man in den Prasangika-Systemen, die nicht zum Gelug gehören, die Leerheit, die jenseits von Worten und Konzepten ist, als ein nicht mit Worten fassbares letztendliches Phänomen. Solch eine Leerheit ist jenseits der Leerheit der vier Extreme – der Leerheit wahrhaft selbst-begründeter Existenz, der Leerheit dieser Leerheit wahrhaft selbst-begründeter Existenz, der Leerheit sowohl wahrhaft selbst-begründeter Existenz und der Leerheit dieser Leerheit, sowie der Leerheit weder wahrhaft selbst-begründeter Existenz noch deren Leerheit. In diesem Zusammenhang gibt es zwei Ebenen der wahrhaft selbst-begründeten Existenz, die widerlegt werden:
- Grobe wahrhaft selbst-begründete Existenz ist die Dualität wahrgenommener Objekte und des Geistes, der sie wahrnimmt, die unabhängig voneinander begründet werden. Solch eine Dualität ist das, was von einem konzeptuellen Geist wahrgenommen wird und beide Arten dieses Geistes sowie diese Dualität sind vollkommen konzeptuell.
- Die subtile wahrhaft selbst-begründete Existenz ist die Existenz konventioneller Objekte, die wahrhaft als konventionelle Objekte begründet werden. Solche wahrhaft begründeten konventionellen Objekte sind das, was durch einen nicht-konzeptuellen Geist wahrgenommen wird und beide Arten dieses Geistes und diese konventionellen Objekte, die wahrhaft als konventionelle Objekte begründet werden, sind abhängige Phänomene.
Die kontroversen Systeme der Anderesleerheit vertreten, dass die Existenzweise des Geistes klaren Lichts jenseits der vier Extreme ist. Sie ist jenseits davon, frei von beiden Ebenen wahrhaft selbst-begründeter Existenz zu sein, sie ist jenseits davon, frei davon zu sein, frei von beiden Ebenen wahrhaft selbst-begründeter Existenz zu sein und so weiter. Wie existiert er also? Seine Existenzweise ist nicht mit Worten fassbar und sie kann zu keinem dieser Extreme gezählt werden. Es muss eine Existenzweise sein, die jenseits all dieser Extreme ist, und da der Geist des klaren Lichts von Yogis in der Meditation erfahren wird, kann man nicht sagen, er wäre vollkommen nicht-existent.
Um das Extrem des Nihilismus zu vermeiden, wird in diesen Systemen der Anderesleerheit vertreten, dass der Geist des klaren Lichts wahrhaft existent ist. Doch „wahrhaft existent“ bedeutet hier nicht wahrhaft existent, wie es in der Gelug-Prasangika-Weise definiert wird, noch wie es in den zwei Nicht-Gelug-Prasangika-Weisen definiert wird. Der Geist des klaren Lichts ist wahrhaft existent, weil er im Gegensatz zu vollkommen konzeptuellen Phänomenen, welche der Analyse nicht standhalten können – man kann sie nicht finden, wenn man sie analysiert – der Analyse standhalten kann. Er ist statisch, unveränderlich, stabil, ewig und ein reflexives tiefes Gewahrsein, das mit allen guten Eigenschaften ausgestattet ist. Er ist in dem Sinne jenseits von abhängigem Entstehen, dass er jenseits davon ist, abhängig von Ursachen und Bedingungen zu entstehen – er ist frei davon, ein abhängiges Phänomen zu sein.
Der große Einwand dieses Standpunktes der Anderesleerheit ist hier, dass er normalerweise nicht klar erklärt wird. Weil er nicht klar erklärt wird, besteht eine Schlussfolgerung darin, dass es einen wahrhaft existierenden, transzendenten Bereich gibt – den Bereich des transzendent existierenden Geist des klaren Lichts – und alles andere existiert nicht wirklich. Das reduziert das System im Wesentlichen auf den Vedanta – Brahman existiert wahrhaft und alles andere unserer relativen Welt, die fälschlicherweise als getrennt von Brahman wahrgenommen wird, ist eine Illusion; sie existiert überhaupt nicht.
Diese kontroverse Sicht der Anderesleerheit wird von Jonangpa, Rime und dem heutigen Karma-Kagyü vertreten. Weil man diese Erklärungen im Gelug für unklar hält, wirft man ihnen vor, den Geist des klaren Lichts in Bezug auf die Gelug-Prasangika-Definition wahrhaft selbst-begründeter Existenz für wahrhaft existent zu halten. Die einzige annehmbare Sicht der Anderesleerheit ist eine, in der akzeptiert wird, dass der Geist des klaren Lichts selbst-leer ist, jedoch in dem Sinne frei von dem zu sein, was im Gelug als wahrhaft selbst-begründete Existenz vertreten wird.
Sowohl im Karma-Kagyü als auch im Jonangpa unterscheidet man zwischen einer korrekten und einer fehlerhaften Sicht der Anderesleerheit. Im Karma-Kagyü heißt es: „Wir vertreten keine fehlerhafte Sicht, die Sicht des Jonangpa ist eine fehlerhafte Anderesleerheit.“ Die Jonangpa-Sicht ist fehlerhaft, weil man im Jonangpa der Ansicht ist, dass der Geist des klaren Lichts, wie die Buddha-Natur, in begrenzten Wesen auf der grundlegenden Ebene mit jenem der Buddhas auf der resultierenden Ebene identisch ist. Wäre das der Fall, wären die begrenzten Wesen laut dem Karma-Kagyü nicht begrenzt, sondern wären bereits Buddhas. Das ist absurd.
Die Jonangpas sagen: „Wir vertreten keine fehlerhaft Sicht. Nur Nicht-Buddhisten vertreten fehlerhafte Sichtweisen.“ Das ist vergleichbar mit den Buddhisten, die den Bonpos Tieropfer vorwerfen, während die Bonpos sagen: „Wir haben das nie getan. Es ist etwas, das nur die Schamanen in Tibet vor dem Bön taten.“
Das sind einige der Themen, um die es bei der Selbstleerheit und der Anderesleerheit geht. Wie ich zu Beginn gesagt habe, müssen wir etwas vorsichtig sein, besonders wenn wir uns mit den Sichtweisen der Anderesleerheit befassen, denn oft ist die Beschreibung der großen Meister in den Texten etwas unklar und verwirrend, wie Seine Heiligkeit der Dalai Lama betont. Ihre Meditationserfahrung mag wirklich gültig gewesen sein, doch ihre Beschreibung war nicht die beste.
Negierungs-Phänomene
Auf einen großen Teil der ganzen Darlegung bin ich noch nicht eingegangen, aber wir haben auch nicht wirklich Zeit dafür, denn es ist noch komplizierter als das, worüber ich gerade gesprochen habe. Es geht um Negierungs-Phänomene (tib. dgag-pa), aber das werden wir ein andermal durchnehmen müssen.
Bei diesem Thema handelt es sich um die verschiedenen Arten von Objekten und wie wir sie wahrnehmen. Es ist ein ziemlicher Unterschied, ob ich weiß, dass dies eine Tasse ist, oder meine Uhr hochhalte und sage: „das ist keine Tasse“. Woher wissen wir denn, dass es keine Tasse ist? Darum geht es in dieser Thematik der Negierungs-Phänomene und sie ist ausgesprochen relevant, wenn es darum geht, dass etwas „nicht wahrhaft existent“ ist. Wie um alles in der Welt können wir das wissen? Dieses ganze Thema der Negierungs-Phänomene ist, wie gesagt, auch wesentlich in der Debatte über Selbstleerheit und Anderesleerheit.
Gemeinsame Grundlage der verschiedenen Sichtweisen
Betrachten wir die verschiedenen Sichtweisen der Selbstleerheit und Anderesleerheit auf unvoreingenommene Weise und gestehen (wie jeder es tut) ein, dass es tatsächlich eine fehlerhafte Sicht der Anderesleerheit gibt – niemand wird sagen, dass er dies glaubt – und werfen einen Blick darauf, was die verschiedenen korrekten Sichtweisen der Anderesleerheit sind, ist es, trotz ihrer Unterschiede, nicht schwer zu beschreiben, was wir verstehen und erreichen müssen, um Erleuchtung zu erlangen. In all den Sichtweisen akzeptiert man, dass man einen Geist des klaren Lichts mit einer nicht-konzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit manifestieren muss, um Erleuchtung zu erlangen. Das trifft unabhängig davon zu, wie wir die Attribute dieses Geistes klaren Lichts beschreiben und wie wir die Leerheit spezifizieren, die durch ihn wahrgenommen werden muss.
Zusammenfassung
Gehen wir, um es noch einmal zusammenzufassen, auf einige Punkte zurück, die ich in der ersten Vorlesung gemacht habe. Ist unsere Einstellung gegenüber diesem Thema, über das wir gesprochen haben, insbesondere in dieser letzten Sitzung: „Das ist zu viel. Ich kann das nicht verstehen. Warum ist es so kompliziert?“, sind wir noch nicht bereit, die Leerheit zu verstehen. Wie die großen indischen Meister gesagt haben, müssen wir dieses Thema mit all seinen Feinheiten lieben, um einen Geist zu haben, der offen genug ist, um es wirklich zu erforschen und zu verstehen. Ansonsten haben wir überhaupt kein Interesse daran, über Leerheit zu meditieren. Ist unsere Motivation jedoch stark genug, verstehen wir, dass es wirklich notwendig ist, all das zu verstehen. Es ist nicht so einfach, aber wenn wir wirklich nicht nur unser Leiden, sondern auch das Leiden von allen anderen beseitigen wollen, sollten wir es verstehen. Indem wir dann mehr positive Kraft aufbauen, indem wir mehr über die Anfangsthemen (Vergänglichkeit und diese Dinge) nachdenken, werden wir schließlich, mit der Inspiration von einem spirituellen Lehrer, ein Interesse entwickeln, das stark genug ist, und eine Geisteshaltung, die empfänglich genug ist, um wirklich tief in dieses Thema einzutauchen.
Versucht bitte zu vermeiden, eine so genannte fehlerhafte Sicht der Anderesleerheit zu haben, die darin besteht, den Geist des klaren Lichts (oder ein reines Land, einen transzendentalen Bereich) zu einem Bereich der Faulheit zu machen und zu meinen, nur intensiv genug beten und den großen Guru mit Superkräften finden zu müssen, um sofort in dieses transzendentale Paradies zu gelangen, wo alles perfekt und schön sein wird. Das ist ein Mythos und wie es so schön heißt, ist jeder Widerstand zwecklos! Es gibt keinen einfachen Weg für Faule, der aus Samsara herausführt.
Eine letzte Frage:
Sind sich alle Schulen darin einig, dass Leerheit jenseits konzeptueller Gedanken ist?
Nein, sind sie nicht. Alle Schulen sind sich darin einig, dass es notwendig ist, eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit zu haben. Wie ich anhand dieser mit Worten fassbaren und nicht mit Worten fassbaren letztendlichen Phänomenen erklärt habe, sagen manche, dass die Leerheit, die wir konzeptuell und nicht-konzeptuell verstehen, dieselbe Leerheit ist, während andere sagen, dass sie es nicht ist. Alle sind sich jedoch darin einig, dass wir Leerheit nicht-konzeptuell verstehen müssen. Sogar diese Schulen, in denen von Leerheit jenseits von Worten und Konzepten gesprochen wird, muss man – und das ist vollkommen essenziell – zuerst eine konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit haben, um darüber hinaus die nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit zu haben. Hier kommt das Negierungs-Phänomen mit ins Spiel; um „keine Tasse“ zu kennen, müssen wir zunächst „eine Tasse“ kennen.
Lasst uns hier mit einer Widmung enden. Wir denken: möge alles Verständnis und alle positive Kraft, die aus dieser Diskussion entstanden sind, immer tiefer und tiefer gehen, und als Ursache dafür dienen, dieses Thema tief, vollständig und schließlich nicht-konzeptuell zu verstehen, um tatsächlich Befreiung und Erleuchtung zum Wohle aller Wesen erlangen zu können.