Die Begriffe Hinayana (kleines Fahrzeug oder bescheidenes Fahrzeug) und Mahayana (großes Fahrzeug oder umfassendes Fahrzeug) stammen aus den Prajnaparamita-Sutras („Die Sutras des weitreichenden unterscheidenden Gewahrseins , Sutras von der Vollkommenheit der Weisheit“). Es sind zwei ziemlich abwertende Begriffe, die das Mahayana hinaufsetzen und das Hinayana herabsetzen. Jedoch haben alternative Begriffe viele andere Unzulänglichkeiten, und deshalb werde ich hier diese allgemein üblichen Begriffe verwenden.
Das Hinayana umfasst achtzehn Schulen. Die wichtigsten für unsere Zwecke sind Sarvastivada und Theravada. Theravada ist die eine heute noch in Sri Lanka und Südostasien vorhandene Schule. Sarvastivada war weit verbreitet in Nordindien, als die Tibeter begannen, dorthin zu reisen und der Buddhismus in Tibet eingeführt wurde.
Es gab zwei Hauptsysteme im Sarvastivada, die auf philosophischen Unterschieden beruhten: Vaibhashika und Sautrantika. Die Hinayana-Lehrsysteme, die an indischen Klosteruniversitäten wie beispielsweise Nalanda und später von tibetischen Mahayanisten studiert wurden, stammen von diesen zwei Schulen ab. Die in Tibet praktizierte Übertragungslinie von Mönchsgelübden kommt aus einer anderen Sarvastivada-Unterkategorie, dem Mulasarvastivada..]
Buddhas und Arhats
Es gibt einen recht deutlichen Unterschied zwischen Darstellungen von Buddhas und Arhats im Hinayana und Mahayana. Beide stimmen überein, dass Arhats, oder befreite Wesen, begrenzter sind als Buddhas oder erleuchtete Wesen. Das Mahayana formuliert diesen Unterschied vermittels von zwei Arten von Schleiern: die emotionalen Schleier, die die Befreiung verhindern und die kognitiven, die die Allwissenheit verhindern. Arhats sind nur frei von den ersten, während Buddhas frei von beiden sind. Diese Unterscheidung gibt es nicht im Hinayana. Sie ist eine reine Mahyana-Darlegung.
Sowohl Hinayana als auch Mahayana erklären, dass man für die Befreiung oder Erleuchtung die nichtkonzeptuelle Wahrnehmung des Nichtvorhandenseins einerunmöglichen „Seele“ benötigt. Solch ein Fehlen wird oft als „Selbstlosigkeit“ bezeichnet, anatma in Sanskrit, der hauptsächlich benutzen indischen Sprache für die Schriften des Sarvastivada und Mahayana; anatta in Pali, der Sprache für die Schriften des Theravada. Die Hinayana-Schulen erklären dieses Nichtvorhandenseineiner unmöglichen„Seele“ nur in Bezug auf Personen, nicht auf alle Phänomene. Personen haben keine „Seele“, atman, die von nichts beeinflusst wird, keine Teile hat und von Körper und Geist getrennt werden und die allein wahrgenommen werden kann. Solch eine Seele ist „unmöglich“ Allein durch das Verständnis, dass es diese Art von „Seele“ in Bezug auf Personen nicht gibt, kann man entweder ein Arhat oder ein Buddha werden. Der Unterschied besteht darin, wie viel positive Kraft oder sogenannten „Verdienst“ man aufbaut. Weil Buddhas die erleuchtende Bodhichitta-Ausrichtung entwickelt haben, haben sie viel mehr positive Kraft aufgebaut als Arhats.
Das Mahayana erklärt, dass Buddhas das Nichtvorhandensein einer unmöglichen „Seele“ in Bezug auf alle Phänomene und ebenso auf Personen verstehen. Sie nennen dieses Nichtvorhandensein „Leerheit“. Die verschiedenen indischen Schulen des Mahayana unterscheiden sich im Hinblick auf die Frage, ob Arhats auch die Leerheit der Phänomene verstehen. Innerhalb des Mahayana erklärt die Prasangika-Madhyamaka-Schule, dass sie sie verstehen. Aber die vier tibetischen Traditionen erklären diesen Punkt auf die Prasangika-Sichtweise Bezug nehmend unterschiedlich. Manche sagen, dass die Leerheit der Phänomene, wie sie von Arhats verstanden wird, sich von der, wie sie Buddhas verstehen, unterscheidet; manche sagen, dass die beiden Leerheiten dieselben sind. Einige sagen, dass der Bereich der Phänomene, auf die sich die Leerheit der Phänomene bezieht, für Arhats begrenzter ist als für Buddhas; einige behaupten, er sei identisch. Es ist hier nicht notwendig, in alle Details zu gehen.
Weitere Punkte in Hinblick auf Buddhas und Arhats
Die Erklärungen von Hinayana und Mahayana in Bezug auf Arhats und Buddhas unterscheiden sich noch auf viele andere Weisen. Der Theravada-Buddhismus zum Beispiel erklärt, dass einer der Unterschiede zwischen einem Shravaka oder „Zuhörer“, der die Befreiung eines Arhats anstrebt, und einem Bodhisattva, der die Erleuchtung eines Buddhas anstrebt ist, dass Shravakas bei buddhistischen Lehrern studieren, während Bodhisattvas dies nicht tun. Der historische Buddha Shakyamuni beispielsweise hat nicht bei einem anderen Buddha studiert. Er studierte ausschließlich bei nicht-buddhistischen Lehrern, deren Methoden er letztendlich verwarf. Laut dem Theravada-Buddhismus zeigt die Tatsache, dass das Verständnis und die Verwirklichung des Buddha nicht aus der Nachfolge eines buddhistischen Lehrers stammt, dass die Weisheit des Buddha die eines Arhats übersteigt.
Darüber hinaus bemühen sich Bodhisattvas darum, universelle buddhistische Lehrer zu werden; dies tun Shravakas nicht, obwohl sie als Arhats sehr wohl Schüler unterrichten. Laut Theravada jedoch übertreffen Buddhas Arhats, weil sie geschickter die Methoden anwenden, die andere zur Befreiung führen und in der Breite ihrer Lehrmethoden. Buddhas zeichnen sich gegenüber den Arhats auch in ihrer Allwissenheit aus und sind in der Lage, eine Kenntnis von allem zu haben, indem sie, je nach Wunsch, ihre Aufmerksamkeit auf die betreffende Angelegenheit richten. Die Kenntnis der Zukunft ist jedoch begrenzt, da der Buddha keine feststehende Zukunft akzeptierte, und was die Vergangenheit betrifft, erinnern sich Buddhas durch die Perspektive ihrer eigenen Vergangenheit.
Gemäß der Vaibhashika-Schule des Hinayana sind Buddhas in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in vollem Maße allwissend, aber kennen trotzdem immer nur eine Sache auf einmal. Laut Mahayana bedeutet Allwissenheit, alles gleichzeitig zu wissen. Dieses folgt aus der Ansicht, dass alles miteinander verbunden und voneinander abhängig ist; wir können nicht nur von einem Informations-Teil sprechen, das völlig unanhängig vom Rest wäre.
Das Hinayana sagt, dass der historische Buddha zu seinen Lebzeiten die Erleuchtung erlangt hat und dass, ähnlich wie bei einem Arhat, sein geistiges Kontinuum mit seinem Tod endete. Daher lehren laut Hinayana Buddhas nur während der restlichen Lebenszeit, in der sie erleuchtet sind. Sie emanieren nicht in zahllose Weltsysteme und lehren ewiglich, wie das Mahayana erklärt. Nur das Mahayana behauptet, dass der historische Buddha die Erleuchtung in einem vorherigen Leben vor vielen Äonen erlangte, indem er bei buddhistischen Lehrern studierte. Ihm wurde die Erleuchtung unter dem Bodhibaum nur gezeigt als eine von zwölf erleuchtenden Taten eines Buddhas. Eine ältere Version dieser Beschreibung eines Buddha stammt aus der Mahasanghika-Schule des Hinayana, eine weitere der achtzehn Hinayana-Schulen, aber man findet sie nicht im Saravastivada oder Theravada.
Was Buddhas betrifft, so ist ein weiterer großer Unterschied, dass es nur im Mahayana die drei Körper eines Buddha gibt – Nirmanakaya, Sambhogakaya und Dharmakaya. Das Hinayana sagt lehrt diese nicht. Daher ist also die Vorstellung eines Buddhas im Hinayana und Mahayana von beträchtlichem Unterschied.
Die Arten von Pfadgeist die zu Befreiung und Erleuchtung führen
Hinayana und Mahayana erklären beide, dass die Stufen des Fortschritts bis zum gereinigten Zustand oder „Bodhi“ eines Arhats oder Buddhas erfordern, dass fünf Ebenen von Pfadgeist entwickelt werden – die sogenannten „fünf Pfade“. Dies sind ein Pfadgeist des Aufbauens oder Pfad der Ansammlung, ein Pfadgeist der Anwendung oder Pfad der Vorbereitung, ein Pfadgeist des Sehens oder Pfad des Sehens, ein Pfadgeist des Sich-Gewöhnens oder Pfad der Meditation und ein Pfad, der keinen weiteren Trainings mehr bedarf oder ein Pfad, des Nicht-Mehr-Lernens. Shravakas und Bodhisattvas, die einen Pfadgeist des Sehens erreichen, werden beide zu Arhats, zu hoch verwirklichten Wesen. Beide haben eine nichtbegriffliche (nichtkonzeptuelle) Wahrnehmung der sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten.
Hinayana und Mahayana stimmen beide überein, dass ein Pfadgeist des Sehens sowohl Arya Shravakas als auch Arya Bohisattvas von doktrinär bedingten störenden Emotionen befreit, während ein Pfadgeist des Gewöhnens sie von automatisch erscheinenden störenden Emotionen befreit. Die erst genannten störenden Emotionen basieren auf dem Lernen einer Reihe von Darlegungen einer der nicht-buddhistischen indischen Schulen, während die letzteren automatisch in jedem hochsteigen, Tiere eingeschlossen. Die Reihe der störenden Emotionen, von denen sich Shravakas und Bodhisattva Aryas befreien, ist Teil einer längeren Liste geistiger Faktoren. Jede Hinayana-Schule hat ihre eigene Liste geistiger Faktoren, während das Mahayana noch eine andere Liste aufführt. Viele der geistigen Faktoren werden in jeder Liste anders definiert.
Hinayana und Mahayana sind sich beide einig, dass der Fortschritt durch die fünf Arten von Pfadgeist die Übung der siebenunddreißig Faktoren, die zu einem gereinigten Zustand führen erfordert. Ein „gereinigter Zustand“ oder „Bodhi“ bezieht sich entweder auf die Arhatschaft oder die Buddhaschaft. Diese siebenunddreißig Faktoren schließen die vier festen Ausrichtungen der Vergegenwärtigung, die acht Zweige eines Arya-Pfadgeistes (der edle achtfältige Pfad) und so weiter ein. Sie sind ausgesprochen wichtig. Im Anuttarayoga Tantra werden die siebenunddreißig durch Yamantakas vierunddreißig Arme sowie seinen Körper, seine Rede und seinen Geist dargestellt wie auch durch die Dakinis im Körpermandala von Vajrayogini. Die siebenunddreißig sind ein üblicher Satz von Praktiken. Die Einzelheiten jeder Praxis sind jedoch im Hinayana und Mahayana oft unterschiedlich.
Sowohl Hinayana als auch Mahayana erklären, dass die Idee vom Stromeingetretenen, vom einmalig Umkehrenden, vom nicht mehr Umkehrenden und vom Arhat sich auf die Stufen des Pfades eines Arya-Shravakas bezieht, jedoch nicht auf den Pfad eines Arya-Bodhisattvas. Daher haben Stromeingetretene nichtbegriffliche Wahrnehmung der sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten, die die nichtbegriffliche Wahrnehmung des Nichtvorhandenseins einer unmöglichen „Seele“ von Personen einschließen. Wir sollten nicht meinen, dass ein Stromeingetretener eine Anfängerstufe sei. Daher seien Sie misstrauisch, wenn jemand behauptet, er habe den Zustand eines Stromeingetretenen erreicht.
Das Hinayana gibt keine ausführliche Erläuterung zu den Arten von Bodhisattva-Pfadgeist. Das Mahayana hingegen erklärt, dass der Pfad eines Arya-Bodhisattvas zur Erleuchtung ein Voranschreiten durch die Entwicklung der zehn Stufen des Bhumi-Geistes erfordert. Diese Geistesstufen betreffen nicht den Shravaka-Pfad.
Sowohl Hinayana als auch Mahayana stimmen überein, dass das Voranschreiten auf dem Bohisattva-Pfad zur Erleuchtung länger dauert, als das Voranschreiten auf dem Shravaka-Pfad zur Arhatschaft. Jedoch erwähnt nur das Mahyanana das Aufbauen der zwei erleuchtungsbildenenden Netzwerke – der zwei Ansammlungen – durch drei Zillionen von Äonen hindurch. „Zillion“, üblicherweise als „zahllos“ übersetzt, steht für eine begrenzte Anzahl, auch wenn wir nicht in der Lage wären, sie zu zählen. Aber Shravaks können in nur drei Lebzeiten Arhatschaft erlangen. Im ersten Leben wird man zum Stromeingetretenen, im nächsten Leben ein einmalig Umkehrender und im dritten Leben wird man ein nicht mehr Umkehrender, erlangt die Befreiung und wird ein Arhat. Dies ist ziemlich verlockend für viele Menschen.
Die Behauptung, das Arhats egoistisch seien, klingt wie eine Werbung für Bohisattvas. Sie soll eigentlich ein Extrem aufzeigen, das es zu vermeiden gilt. In den Sutras steht, dass Buddha seine sechzig Arhatschüler zum Lehren aufrief. Wären sie tatsächlich egoistisch gewesen, hätten sie sich nicht darauf eingelassen. Jedoch können Arhats anderen nur in begrenzterem Maße helfen, als Buddhas dies können. Beide aber können nur denen helfen, die das Karma haben, dass ihnen von den jeweiligen Arhats oder Buddhas geholfen wird.
Bodhisattvas
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Hinayana-Schulen erklären, dass man den Bodhisattva-Pfad geht, bevor man ein Buddha wird. Sowohl Hinayana als auch Mahayana haben Versionen der Jataka-Erzählungen, die die vorherigen Leben von Buddha Shakyamuni als Bodhisattva beschreiben. Seit König Siri Sanghabodhi im dritten Jahrhundert u.Z. haben sich viele Könige von Sri Lanka sogar selbst Bohisattvas genannt. Natürlich ist dies etwas schwierig nachzuvollziehen, denn in gewissem Ausmaß gab es im damaligen Sri Lanka auch das Mahayana. Ob diese Idee von Bodhisattva-Königen schon vor dem Einfluss des Mahayana existierte, ist schwer zu sagen, aber es gab sie. Noch überraschender ist, dass im fünften Jahrhundert u.Z. die Ältestenvon Anuradhapura, der Hauptstadt Sri Lankas, den großen Thervada-Abhidharma-Meister Buddhaghosa zur Reinkarnation des Bodhisattvas Maitreya erklärten.
Das Mahayana erklärt, dass es tausend Buddhas in diesem „glücklichen Zeitalter“ gibt, die universale Religionen begründen werden und dass es in anderen Weltzeitaltern noch viel mehr Buddhas gegeben hat und geben wird. Das Mahayana erklärt weiter, dass jeder Mensch ein Buddha werden kann, weil jeder die Faktoren der Buddha-Natur in sich trägt, die diese Verwirklichung ermöglichen. Das Hinayana sagt nicht aus über die Buddha-Natur. Allerdings werden in Theravada-Schriften hunderte von Buddhas der Vergangenheit erwähnt. Ein Theravada-Sutta zählt sogear die Namen von siebenundzwanzig auf. Alle von ihnen waren Bodhisattvas, bevor sie Buddhas wurden. Das Theravada erklärt, dass es auch in der Zukunft unzählige Buddhas geben wird, darunter Maitreya als den nächsten und dass jedermann ein Buddha werden kann, wenn man die zehn weitreichenden Geisteshaltungen praktiziert.
Die zehn weitreichenden Geisteshaltungen
Im Mahayana wird gesagt, dass die zehn weitreichenden Geisteshaltungen nur von Bodhisattvas, nicht aber von Shravakas praktiziert werden. Dies rührt daher, dass im Mahayana eine weitreichende Geisteshaltung oder „Vollkommenheit“ definiert wird als eine Geisteshaltung, die von der Kraft der Bodhichitta-Ausrichtung getragen wird.
Entsprechend des Theravada gilt jedoch: so lange die zehn Geisteshaltungen von der Kraft der Entsagung, der Entschlossenheit frei zu sein, getragen werden, ist Bodhichitta nicht notwendig, damit die Praxis weitreichend ist und als Ursache für die Befreiung dient. Daher erklärt der Theravada, dass sowohl Bodhisattvas als auch Shravakas die zehn weitreichenden Geisteshaltungen praktizieren. Außer den zugrunde liegenden verschiedenen motivierenden Zielen besteht der andere Hauptunterschied zwischen der Praxis der zehn weitreichenden Geisteshaltungeneines Bohisattvas oder eines Shravakas im Grad der Intensität. Also hat jede der zehn weitreichenden Geisteshaltungen drei Stufen oder Grade: normal, mittel und am höchsten. Die höchste Praxis von Großzügigkeit wäre zum Beispiel, wenn man einer hungrigen Tigerin seinen Körper zum Fressen geben würde, so wie es der Buddha in einem früheren Leben als Bodhisattva getan hat.
Die Liste der zehn weitreichenden Geisteshaltungen unterscheidet sich auch leicht im Theravada und Mahayana. Im Mahayana sind es die folgenden:
- Großzügigkeit
- ethische Selbstdisziplin
- Geduld
- freudige Ausdauer
- geistige Stabilität
- unterscheidendes Gewahrsein
- Geschicklichkeit bezüglich der Mittel
- Gebet der Aspiration
- Stärken
- tiefes Gewahrsein.
Im Theravada lässt in der Liste geistige Stabilität, Geschicklichkeit bezüglich der Mittel, Gebet der Aspiration, Stärken und tiefes Gewahrsein aus und nennt stattdessen die Folgenden:
- Entsagung
- Wahrhaftigkeit
- Entschlossenheit
- Liebe
- Gleichmut.
Die vier unermesslichen Geisteshaltungen
Sowohl Hinayana als auch Mahayana lehren die Praxis der vier unermesslichen Geisteshaltungen Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut. Beide definieren Liebe als den Wunsch, dass andere Glück und die Ursachen von Glück erfahren mögen und Mitgefühl als den Wunsch, dass sie frei von Leid und den Ursachen von Leid sein mögen. Im Hinayana jedoch werden diese unermesslichen Geisteshaltungen nicht mittels einer Argumentationskette entwickelt, wie zum Beispiel dass alle Wesen unsere Mütter waren und so weiter. Vielmehr beginnt man damit, denen Liebe zu schicken, die wir ohnehin schon lieben und weitet diese Liebe dann aus auf andere.
Die Definitionen von unermesslicher Freude und Gleichmut unterscheiden sich im Hinayana und Mahayana. Im Hinayana bezieht sich unermessliche Liebe auf die Freude am Glücklichsein anderer ohne Eifersucht und mit dem Wunsch, dass dieses zunehmen möge. Im Mahayana ist unermessliche Freude der Wunsch, dass andere die Freude nicht endender Erleuchtung erfahren mögen.
Gleichmut ist der Geisteszustand, der frei von Anhaftung, Ablehnung und Gleichgültigkeit ist. Im Theravada ist es Gleichmut gegenüber dem Ergebnis unserer Liebe, unseres Mitgefühls und unserer Freude. Das Ergebnis unserer Versuche, anderen zu helfen hängt tatsächlich von ihrem Karma und ihren Anstrengungen ab; trotzdem akzeptiert der Theravada, so wie das Mahayana, die Möglichkeit der Übertragung positiver Kraft, „Verdienst“ auf andere. Wir wünschen ihnen, dass sie glücklich und frei von Leiden sein mögen, befinden uns aber trotzdem in einem Zustand von Gleichmut gegenüber dem, was tatsächlich passiert. Das liegt daran, dass wir wissen, dass sie selbst die Arbeit tun müssen. Im Mahayana bedeutet unermesslicher Gleichmut, allen anderen Wessen zu wünschen, dass sie frei von Anhaftung, Ablehnung und Gleichgültigkeit sein mögen, weil diese störenden Emotionen und Geisteshaltungen ihnen Leiden bringen.
Obwohl für das Erreichen des befreiten Zustands eines Arhats die Entwicklung von Liebe und Mitgefühl notwendig ist, erfordert es nicht, dass man einen außergewöhnliche Entschluss oder eine Bodhichitta-Ausrichtung entwickelt. Der außergewöhnliche Entschluss ist der Geisteszustand, der einen die Verantwortung übernehmen lässt, anderen zu helfen zu Befreiung und Erleuchtung zu gelangen. Die Bodhichitta-Ausrichtung ist der Geisteszustand, mit dem man Erleuchtung erlangen will, um das Ziel des außergewöhnlichen Entschlusses zu erfüllen. Da das Hinayana wenige Erklärungen in Bezug auf den Bodhisattva-Pfad enthält, erläutert es diese zwei Geisteshaltungen nicht. Das Mahayana beschreibt die Meditationspraktiken, die ihrer Entwicklung dienen sehr detailliert.
Das Hinayana betont somit die Entwicklung der vier unermesslichen Geisteshaltungen als eine Art und Weise, die ihnen entgegengesetzten störenden Emotionen in sich selbst zu überwinden. Liebe ist das Gegenteil von Böswilligkeit; sie befreit einen zeitweise von Gedanken der Feindseligkeit, Aggression oder Verärgerung sowie Angst oder Furcht. Mitgefühl ist das Gegenteil davon, eine grausame oder schädliche Einstellung zu haben. Freude oder Mitfreude ist der Gegensatz zu Eifersucht, Gleichmut ist das Gegenteil von Erwartung, Enttäuschung und Gleichgültigkeit. Außerdem entwickelt man im Theravada diese vier Geisteshaltungen zuerst in Bezug auf sich selbst, bevor man sie auf andere richtet. Im Mahayana liegt das Schwergewicht eher darauf, was andere erfahren, als darauf, was man selbst ihnen gegenüber erfährt.
Die zwei Wahrheiten
Das Hinayana sagt nichts in Bezug auf das Nichtvorhandensein einer (unmöglichen) „Seele“ der Phänomene oder Leerheit aus. Aber es ist es auch nicht so, dass das Hinayana nichts über die Natur aller Phänomene im Allgemeinen aussagen würde. Das Hinayana tut dies mit seiner Darstellung der zwei Wahrheiten hinsichtlich aller Phänomene. Der Wegbereiter für das Verständnis der Leerheit der Phänomene ist das Verständnis der zwei Wahrheiten. Im Mahayana sind die zwei Wahrheiten zwei Tatsachen, die dasselbe Phänomen betreffen. Im Hinayana sind die zwei Wahrheiten zwei Gruppen von Phänomenen. Es gibt oberflächlich oder konventionell wahre Phänomene und tiefste oder letztendlich wahre Phänomene.
In der Sarvastivada-Tradition erklärt die Vaibhashika-Schule, dass oberflächlich wahre Phänomene diejenigen physischen Objekte und geistigen Phänomene sind, deren konventionelle Identität verloren geht, wenn wir sie in ihre Teile zerlegen. Wenn wir zum Beispiel unsere Hand in ihre Atome zerlegen oder einen Gedankengang in seine einzelnen Momente, sehen wir nicht mehr eines der Atome als unsere Hand an oder einen jener Momente als den Gedankengang. Für zutiefst wahre Phänomene gilt: Wenn wir sie zerlegen, können wir dennoch weiterhin ihre konventionelle Identität erkennen. In der Vaibhashika-Schule wird gesagt, dass alle Atome, aus denen ein physisches Objekt besteht, sowie auch die kürzesten Wahrnehmungsmomente ohne Teile sind; sie sind die letztendlich kleinsten Dinge. Sie behalten ihre Identität, ganz gleich, wie sehr man sie analysiert oder zerlegt. Es ist wichtig zu verstehen, dass das, was wir sehen, die oberflächlich wahren Phänomene sind, aber dass die Dinge auf der tiefsten Ebene aus Atomen und Momenten stehen. Es ist nachvollziehbar, wie dies zu dem Verständnis führt, dass die oberflächliche Ebene wie eine Illusion ist.
Gemäß dem Sautrantika-System sind oberflächlich wahre Phänomene metaphysische Entitäten, unsere Projektionen auf Objekte, wohingegen die tiefsten wahren Phänomene die tatsächlichen objektiven Dinge selbst sind. Hier beginnt man zu verstehen, dass unsere Projektionen wie eine Illusion sind. Wenn wir uns von Projektionen frei machen können, sehen wir rein objektiv, was ist. Unsere Projektionen sind wie eine Illusion.
Gemäß dem Theravada sind oberflächliche wahre Phänomene zugeschriebene Phänomene. Dies bezieht sich sowohl auf Personen als auch auf physische Objekte, egal ob innerhalb oder außerhalb des Körpers. Die tiefsten wahren Phänomene sind das, worauf die Zuschreibung sich bezieht. Der Körper und die physischen Objekte sind Zuschreibungen, die auf den Elementen und Sinnesfeldern gründen, die wir wahrnehmen. Was ist eine Orange? Ist sie das Aussehen, der Geruch, der Geschmack, die physische Empfindung? Eine Orange ist das, was auf all diesem zugeschrieben wird. Gleichermaßen ist eine Person das, was man auf die Aggregat-Faktoren von Körper und Geistes zuschreiben kann. Die sechs Arten Primärbewusstseins und die geistigen Faktoren sind die tiefsten wahren Phänomene, weil eine Person auf ihnen zugeschrieben bzw. auf ihrer Grundlage bezeichnet wird.
Obwohl keine der Hinayana-Schulen etwas über die Leerheit der Phänomene aussagt, erklären sie doch, dass es wichtig ist, tiefste wahre Phänomene nichtkonzeptuell zu verstehen, um Befreiung zu erlangen. Daher ist der Geschmack mehr oder weniger derselbe wie in der Auseinandersetzung damit im Mahayana.
Theravada hat auch eine ganz andersartige Erklärung in Bezug auf Karma, die man nicht in den Saravastivada-Schulen oder im Mahayana findet, aber wir werden an dieser Stelle nicht darauf eingehen.
Zusammenfassung
Nach dieser Einführung beginnen wir zu erkennen, wie die Theravada- und Sarvastivada-Schulen des Hinayana tatsächlich den wahren Geschmack der buddhistischen Lehren haben. Dies kann uns helfen, den Fehler zu vermeiden, den Dharma aufzugeben, indem wir sagen, dass manche der Unterweisungen Buddhas keine buddhistischen Lehren seien. Wenn wir verschiedene Schulen wirklich von ihrem Standpunkt aus gesehen verstehen, entwickeln wir großen Respekt für alle Unterweisungen Buddhas. Dies ist sehr wichtig.