Samkhya, Nyaya und Buddhismus über die Eigenschaften eines Atman, eines Selbst

Lasst uns die Erklärungen des Samkhya, Nyaya und Buddhismus über die verschiedenen Eigenschaften des Atman, des Selbst, miteinander vergleichen.

Behauptungen zur Wahrnehmung  

Samkhya-Behauptung zur Wahrnehmung

Im Samkhya wird gesagt – und das ist wirklich interessant, denn es klingt wie unser westlicher wissenschaftlicher Standpunkt – dass die Wahrnehmung von Dingen ein rein physisches Phänomen ist und gewissermaßen nur das Gehirn und die Gehirnwellen betrifft. Laut dem Samkhya gibt es eine physische Fähigkeit des Empfindungsvermögens, das bei der Wiedergeburt in den groben Körper eingeht und das, was wir im Westen als Gehirn und Nervensystem bezeichnen würden, in gewisser Weise aktiviert. Die Wahrnehmung ist die physische Aktivität des Gehirns und des Nervensystems, und durch sie werden nun Dinge wahrgenommen, weil sie durch diese subtile physische Fähigkeit des Empfindungsvermögens aktiviert wurde. 

Weil das Atman den Körper bewohnt, kommt es in Kontakt mit dieser physischen Fähigkeit des Empfindungsvermögens. Obgleich es die Qualität des Gewahrseins hat, ist das Atman unfähig irgendetwas selbst wahrzunehmen und aus Unwissenheit identifiziert es sich somit mit dieser physischen Fähigkeit des Empfindungsvermögens und nutzt sie, Dinge wahrzunehmen. Doch die Wahrnehmung von Objekten ist nach wie vor ein rein physisches Phänomen. 

Wie gesagt, klingt diese Samkhya-Erklärung der Wahrnehmung als ein rein physisches Phänomen ein wenig wie die wissenschaftliche Erklärung der Wahrnehmung, die wir im Westen haben. Die Kognitionswissenschaft reduziert alles auf die Funktion der verschiedenen Teile des Gehirns, ob sie nun über Gehirnwellen, neuroelektrische Impulse oder was auch immer redet. 

Wie gehen wir mit dieser wissenschaftlichen Beschreibung dessen um, was geistige Aktivität ist? Ist die Wahrnehmung lediglich diese oder jene Art von Gehirnwellen, die von verschiedenen Teilen des Gehirns erzeugt werden und sonst nichts? Welche Beziehung hat das „Ich“ dazu? Wer sind wir, wenn das alles ist, was Wahrnehmung ausmacht? Denken wir, dass wir identisch mit dieser geistigen Aktivität sind? Sogar im Samkhya geht man davon aus, dass dies nicht korrekt ist, auch wenn wir für gewöhnlich so denken. Sind wir diejenigen, die diese Aktivität kontrollieren, die sie stattfinden lassen oder ist das „Ich“ nur der passive Beobachter dieser physischen Aktivität des Gehirns? Nimmt das „Ich“ irgendetwas wahr? Gibt es eine subjektive Komponente der Wahrnehmung oder läuft sie nur ganz mechanisch ab, wie die Funktionsweise eines Computers?

So analysieren und arbeiten wir mit dieser „Purva-paksha“-Herausforderung des Samkhya-Standpunktes. Wir können erkennen, dass die Fragen, die hier auftauchen, überhaupt nicht leicht sind. Als buddhistische Praktizierende, die im 21. Jahrhundert leben, müssen wir uns mit der Wissenschaft auseinandersetzen. Wir können die Wissenschaft nicht einfach negieren. Seht nur all die Treffen, die Seine Heiligkeit der Dalai Lama mit Wissenschaftlern hat, und er sagt: „Buddhismus und Wissenschaft passen gut zusammen. Wenn es irgendwelche wissenschaftlichen Beweise gibt, die eine Behauptung des Buddhismus widerlegen, wie die Abhidharma-Behauptung, die Erde wäre quadratisch und flach, werden wir sie aufgeben und sie aus dem Buddhismus verbannen.“

So erkennen wir also Dinge gemäß dem Samkhya. Als ein Atman haben wir passives Bewusstsein, das nichts selbst erkennt. Wir erkennen Dinge nur, indem wir einen Körper bewohnen und uns mit dessen physischer Fähigkeit des Empfindungsvermögens, wie einem Gehirn und Gehirnwellen, verbinden.

Nyaya-Behauptungen zur Wahrnehmung

Im Nyaya sagt man, das Atman, das kein Gewahrsein hat und nichts erkennt, nehme Dinge durch seine Verbindung mit subtilen Teilchen des Gewahrseins wahr, habe jedoch von Natur aus kein Bewusstsein. Hier ist die Rede von winzigen subtilen Teilchen, was immer sie auch sein könnten. Es gibt ein winziges subtiles Teilchen namens „Gewahrsein“.

Im Nyaya gibt es eine ziemlich interessante Philosophie, in der alles zu erkennbaren, konkreten Entitäten gemacht wird – zu grundlegenden Phänomene, Eigenschaften, Aktivitäten und Beziehungen. Dieses System vergleiche ich immer mit zwei Bällen und einem Stab, der sie verbindet. Wir denken zweifellos immer so, wenn wir über „unsere Beziehung“ reden. Habt ihr manchmal dieses Problem, zu denken: „du hast gar keinen Bezug zu unserer Beziehung“ oder „wie stehst du eigentlich zu unserer Beziehung?“, als wäre die Beziehung eine konkrete Sache, die ein konkretes „Du“ und ein konkretes „Ich“ miteinander verbindet. Dann gibt es plötzlich dieses andere „Ich“, das getrennt davon ist und einen Bezug dazu haben sollte, was unsere Beziehung ist. Wenn wir einmal darüber nachdenken, ist das schon ziemlich merkwürdig. Das ist die Nyaya-Schule, der Nyaya-Standpunkt.

Wenn es ein „Ich“, dieses Atman, gibt, das sich nichts gewahr und ein getrenntes winziges Teilchen des Gewahrseins ist, dann ist dieses „Ich“ gemäß dem Buddhismus wie ein blinder Mann. Wie um alles in der Welt stellt das Atman eine Verbindung mit diesem winzigen Teilchen des Gewahrseins her, um Dinge zu erkennen? Ist es wie eine blinde Person mit einem Stock? Durch den Stock erkennt der Blinde, wo es eine Stufe gibt. Erkennt das Selbst Dinge auf diese Weise, indem es eine Art der Verbindung mit einem Geist-Teilchen herstellt, oder einem Gehirn, falls es uns schwerfällt, Geist-Teilchen zu akzeptieren? Das ist wirklich interessant, nicht wahr? Welche Verbindung besteht dann zwischen dem „Ich“ und dem Gehirn, und wie wird sie hergestellt? Habt ihr jemals darüber nachgedacht?

Das sind die Einwände seitens des Buddhismus bezüglich des „Purva-paksa“ oder der anderen Seite. Im Buddhismus reden wir über das Selbst und widerlegen ein unmögliches Selbst. Doch dann kommt dieser kleine „Purva-paksha“ mit ins Spiel. Dieser andere Gegner, ein Samkhya- oder Nyaya-Gegner, fordert uns beim Debattieren heraus und sagt: „Nun, was ist mit dem Gehirn? Was ist mit Gehirnwellen?“ Daraufhin gilt es das Gehirn und die Gehirnwellen in Bezug auf das „Ich“ zu erklären. Wie erkennen wir etwas? Wenn nur das Gehirn Dinge erkennt, wie tut es das? Wenn man es in ein Glas steckt, weiß es nichts. Wie wird es aktiviert? Gibt es da ein kleines Geist-Teilchen, das wir ins Gehirn hineinstecken oder injizieren, woraufhin das Gehirn funktioniert? Oder injizieren wir ein „Ich“ mit der Eigenschaft des Bewusstsein in das Gehirn, woraufhin es funktioniert? Ist dieses „Ich“, das wir dazugeben, ein Bewusstsein? Oder ist dieses „Ich“ etwas, das kein Bewusstsein hat und was wir injizieren, woraufhin es plötzlich Dinge erkennt, weil es mit dieser Lebenslinie verbunden ist? 

Diese „Purva-paksa“-Fragen ergeben sich aus den Standpunkten des Samkhya und des Nyaya. Über diese Dinge lassen sie uns nachdenken. Wie erkennen wir etwas?

Buddhistische Behauptungen zur Wahrnehmung

Wie bereits erklärt, heißt es im Buddhismus, dass das Atman, das nicht zu widerlegende Selbst, sich in dem Sinne über Dinge bewusst ist, ein Zuschreibungsphänomen auf der Grundlage des Bewusstseins zu sein. Es ist ganz einfach so, und das Gehirn, Gehirnwellen und diese Dinge als physische Gegenstücke der Wahrnehmung sind diesbezüglich kein Widerspruch. Im Buddhismus wird das Phänomen der geistigen Aktivität als bloßes Entstehen eines geistigen Hologramms und einer kognitiven Beschäftigung beschrieben – das ist die buddhistische Definition. Es gibt zwei subjektive Weisen, dasselbe Ereignis, die Wahrnehmung von etwas, zu beschreiben. Wir können dasselbe Ereignis auch objektiv im Sinne von Materie und Energie beschreiben, die damit verbunden sind, also Gehirnwellen und die Grundlage dafür: das Gehirn, ein Nervensystem und all diese Dinge. Damit gibt es kein Problem. Das ist nur ein weiteres Teil des Gesamtbildes, aber wir reduzieren den ganzen Vorgang der Wahrnehmung nicht nur auf das Gehirn, noch auf das „Ich“, das etwas tut.

Behauptungen zur Wiedergeburt  

Der nächste Punkt: Das Atman ist unter dem Einfluss der Unwissenheit bezüglich seiner wahren Natur mit Wiedergeburt verbunden. Das vertreten alle drei Systeme – Samkhya, Nyaya und der Buddhismus. Wir gehen die Wiedergeburt durch, weil wir uns nicht gewahr sind; wir wissen nicht, wie wir existieren oder verstehen es auf falsche Weise.

Laut dem Samkhya geht das Atman selbst keine Wiedergeburt durch. Nur der subtile Körper wird wiedergeboren – im Hinduismus, wie beispielsweise dem Advaita Vedanta, der sich später entwickelt hat, vertritt man etwas Ähnliches. Gemäß dem Samkhya besteht der subtile Körper aus einer physischen Fähigkeit des Empfindungsvermögens, einer physischen Fähigkeit der Selbstwahrnehmung, einer physischen Fähigkeit des Geistes, fünf physischen Fähigkeiten der Sinneswahrnehmung, fünf physischen Fähigkeiten der Handlungen und fünf subtilen Elementen der bloßen sensorischen Information. In gewisser Weise besteht der subtile Körper also aus subtilen Elementen und verschiedenen physischen Fähigkeiten, welche die groben physischen Elemente des Körpers, den er bei der Wiedergeburt bewohnt, irgendwie aktivieren. Beim Tod zerfällt der grobe physische Körper der Wiedergeburt, aber diese physischen Fähigkeiten der Wahrnehmung und die subtilen Elemente setzen sich fort und gehen in einen neuen groben Körper ein. Das Atman ist statisch und somit tut es nichts. Er verbindet sich nur in jedem Leben mit diesem subtilen Körper und identifiziert sich aus Unwissenheit mit seiner physischen Fähigkeit des Empfindungsvermögens, doch es ist das Gesamtpaket des subtilen Körpers, das weitergeht.

Das klingt ein wenig wie die buddhistische Erklärung der Wiedergeburt in der höchsten Tantra-Klasse. Gemäß dem allgemeinen Anuttarayoga-Tantra ist das, was von einem Leben zum nächsten wandert, das Gesamtpaket des subtilsten Geist klaren Lichts und des subtilsten Energiewindes als dessen physischer Stütze. Im Kalachakra fügt man dem noch die subtilste Rede und den subtilsten Energietropfen, der Spuren der subtilsten Elemente enthält, mit hinzu. Bei der Wiedergeburt verbindet sich dieses Gesamtpaket mit den groben Elementen von Same und Eizelle, wenn man als Mensch oder Tier wiedergeboren wird, und diese groben Elemente dienen dann als Grundlage für die geistige Aktivität, die dementsprechend gröber wird. 

Gehen wir damit nun zum Samkhya-Extrem? Ist dieses subtilste Gesamtpaket die buddhistische Entsprechung des subtilsten Körpers, wie er im Samkhya vertreten wird, und meinen, es wäre das, was von einem Leben zum nächsten wandert, und das „Ich“ sei ein statisches Ding, das sich einfach irgendwie damit verbindet? Denken wir so über die Wiedergeburt, wenn wir von diesem Gesamtpaket des subtilsten Geistes und des subtilsten Energiewindes hören, das sich von einem Leben zum nächsten fortsetzt – besonders wenn wir diese Gesamtheit für die Buddha-Natur halten? Meinen wir, dieses Gesamtpaket, das von einem Leben zum nächsten wandert, sei das „Ich“? Wenn nicht, was ist dann das „Ich“ in Beziehung zu alledem? Das sind die „Purva-paksha“-Fragen, die durch die Anuttarayoga-Tantra-Erklärung auftauchen.

Der Unterschied zwischen den buddhistischen und den nicht-buddhistischen Standpunkten ist der, dass das Atman, das nicht zu widerlegende Selbst, nicht identisch mit dieser Gesamtheit ist. Es ist auch kein statisches Phänomen, entweder mit oder ohne Bewusstsein, das sich selbst mit dieser Gesamtheit verbindet, sondern eine vollkommen getrennte Entität davon. Das Selbst, das nicht zu widerlegende Atman, ist vielmehr ein Zuschreibungsphänomen auf der Grundlage dieses Gesamtpaketes und während jeder Wiedergeburt ein Zuschreibungsphänomen auf der Grundlage der Aggregate, die sich mit dieser Wiedergeburt entwickeln. Sogar wenn es befreit oder erleuchtet wird, ist es immer noch ein Zuschreibungsphänomen auf der Grundlage dieser Gesamtheit.

Die buddhistische Widerlegung der drei definierenden Eigenschaften des doktrinär bedingten Selbst  

Was ist mit den drei definierenden Eigenschaften des Atman, die im Kontext des doktrinär bedingten Greifens nach einem unmöglichen Atman, eines unmöglichen Selbst oder einer unmöglichen Seele widerlegt werden – statisch, teilelos und bei der Befreiung unabhängig von einem Körper und Geist existierend? Was sind die Samkhya- und Nyaya-Standpunkte dazu, sowie die buddhistische Widerlegung dieser Standpunkte?

Der Samkhya-Standpunkt

Im Samkhya geht man davon aus, dass das Atman statisch ist: es wird durch nichts beeinflusst und ist vollkommen passiv. Weil es statisch und daher passiv ist, kann es nichts tun und nichts wahrnehmen, da das Handeln und Wahrnehmen erfordert, nichtstatisch zu sein und sich jeden Augenblick zu ändern. Das Atman ist nur dieses statische, passive Gewahrsein, das kein Objekt hat. Es ist sich über nichts gewahr. Dennoch vertritt man im Samkhya, dass das Atman, das Selbst, die Resultate des Karma erfährt, da es mit dieser physischen Fähigkeit des Empfindungsvermögens verbunden ist und diese physische Fähigkeit die groben Elemente des Gehirns aktiviert, Gehirnwellen von Glück und Leid zu erzeugen, die als das Resultat karmischen Potenzials entstehen. Der offensichtliche Widerspruch zwischen dem Atman, dem Selbst, das statisch ist, aber dennoch die Resultate des Karma erfährt, wird im Samkhya so erklärt, dass diese Erfahrung von Glück und Leid als Resultat von Karma lediglich eine Illusion ist. 

Wie verhält es sich mit der Eigenschaft, teilelos zu sein? Im Samkhya vertritt man physische Materie, „prakriti“, und sagt, alle physische Materie, die in 24 verschiedene Arten klassifiziert wird, seien „Störeinflüsse“ – das ist der Fachausdruck – physischer Materie. Physische Materie besteht aus drei konstituierenden Eigenschaften – sattva, rajas und tamas – den so genannten „triguna“, den drei Eigenschaften, die wie Stränge in einem Seil miteinander verschlungen sind. Diese drei Eigenschaften findet man auch in der ayurvedischen Medizin. Es gibt viele Weisen, diese Drei zu definieren. Jedenfalls werden diese Drei gestört und geraten aus dem Gleichgewicht; diese Störungen bezeichnet man als „Störeinflüsse“ und die 24 Arten davon bilden das physische Universum. Das heißt, dass alle physischen Phänomene Teile haben. Das Atman, das im Samkhya „Purusha“ genannt wird, besteht hingegen nicht aus diesen drei Bestandteilen, sondern ist teilelos. 

Dann denken wir: „Gibt es eigentlich irgendetwas ähnliches dazu im westlichen Denken und in der Wissenschaft? Ja, denn wenn wir uns einmal atomare und subatomare Teilchen ansehen, so gibt es positive, negative und auch neutrale Ladungen, was sich auf Elektronen, Protonen und Neutronen, sowie auf subatomare Teilchen bezieht. Alle Materie besteht aus positiven, negativen oder neutralen Teilchen, sowie subatomaren Teilchen, und sie befinden sich nicht im Gleichgewicht, weil es verschiedene Kombinationen unter ihnen gibt. Die drei einzelnen Ladungen ändern sich nie; es ist nur so, dass sie in unterschiedlichen Kombinationen vorkommen. Beziehen wir uns gedanklich auf diese Analogie, ist die Samkhya-Behauptung hinsichtlich der Urmaterie gegenüber unserer westlichen Denkweise gar nicht so fremd. Wenn man diese Drei „rajas, sattva und tamas“ nennen will, ist das in Ordnung. Das sind nur Namen, aber in der westlichen Wissenschaft gibt es etwas ähnliches. Es ist also nicht so fremd.

Das Selbst ist anders. Es besteht nicht aus positiven, negativen und neutral geladenen Teilchen, wenn wir es in eine westliche Denkweise übersetzen wollen. Denken wir so über das „Ich“? Gibt es Gehirnwellen? Ja, natürlich. Die Quantenmechanik sagt uns, dass etwas eine Welle und ein Teilchen sein kann. Daher könnten sogar Gehirnwellen diese positiven, negativen und neutralen Teile haben. Doch das Selbst besitzt nicht diese Art von Teilchen – es hat keine elektrische Ladung. So sind wir nicht.

Das Atman, das Selbst, ist nicht nur statisches, passives Gewahrsein, welches durch nichts beeinflusst wird und nicht aus rajas, sattva und tamas-Teilchen besteht. Im Samkhya geht man auch davon aus, dass es nach der Befreiung weiter völlig unabhängig und getrennt von Urmaterie und all dessen Störeinflüssen, diesen drei „Gunas“, einschließlich Gehirnwellen und materiellen Phänomenen, existiert. Wenn es befreit ist, existiert es völlig getrennt davon.  

Das ist das Atman, das Selbst, mit diesen drei Eigenschaften, wie es vom Samkhya vertreten und vom Buddhismus widerlegt wird. Das statische Selbst dauert ewig an, ohne sich je zu ändern, besteht nicht aus diesen drei Bestandteilen, die alle Materie ausmachen und kann völlig getrennt von Materie existieren. Aus Unwissenheit identifiziert es sich mit der physischen Fähigkeit des Empfindungsvermögens, die Teil des subtilen Körpers ist, doch das ist nicht das, was es ist. Es war nie identisch mit dieser subtilen physischen Fähigkeit; das war eine Illusion.

Denken wir wirklich so? Ist es unsere Verwirrung, dass wir uns aus Unwissenheit mit diesem Körper und all diesen störenden Emotionen identifizieren? Ist es eine Illusion, zu meinen es gäbe da ein „Ich“, das völlig getrennt davon und nur Gewahrsein ist? Das ist etwas, worüber man nachdenken kann.

Der Nyaya-Standpunkt

Im Nyaya wird ebenfalls behauptet, dass das Selbst statisch ist. Es wird durch nichts beeinflusst und es hat keinerlei Gewahrsein. Es kennt und tut Dinge nur durch eine bedingte, also zeitweilige Beziehung. Es ist nicht wie die Beziehung zwischen dem Ganzen und den Teilen, die immer da ist. „Bedingt“ bedeutet, dass diese Beziehung abhängig von Unwissenheit stattfindet. Wegen dem Einfluss der Unwissenheit ist dieses Selbst, dieses Atman, das statisch ist, nichts erkennt und nichts tut, wie durch Stäbe mit einer Liste von neun Eigenschaften verbunden: sensorisches Gewahrsein, Glücklichsein, Unglücklichsein, der Wunsch nach etwas, der Abneigung gegenüber etwas, Bemühung, Gewohnheiten, moralische Kraft für Glück und unmoralische Kraft für Leid. 

Das Selbst, das Atman, ist ebenfalls teilelos, was bedeutet, dass es keine innewohnende Qualität eines Ganzen und seinen Teilen hat; es ist nicht wie ein Objekt mit Teilen. Das bezieht sich auf die fünf Arten inhärenter, unveränderlicher Beziehungen, von denen eine die Beziehung zwischen einem Ganzen und seinen Teilen ist. Diese Beziehungen sind wie Stäbe, die zwei Bälle miteinander verbinden. Das Selbst ist also nicht durch solch einem Stab mit diesen neun bedingten Eigenschaften verbunden. 

Darüber hinaus existiert das Selbst, wenn es befreit ist, vollkommen unabhängig von diesen neun Eigenschaften. Gemäß dem Nyaya muss es diese Eigenschaften nicht haben. Es kann unabhängig von ihnen und unabhängig von jeglicher Verbindung mit einem Geist-Teilchen oder den materiellen Teilchen eines Körpers existieren. Wir müssen nur aufhören, uns mit diesen Eigenschaften und Teilchen zu verbinden. Wir hören damit auf, indem wir erkennen, dass wir diese Verbindung nicht eingehen müssen, und dann sind wir frei, wir sind befreit.

An was denke ich dabei? „Wie werde ich Befreiung erlangen? Nun, ich werde mich einfach nicht mehr mit einem Körper und einem verwirrten Geist verbinden und kann unabhängig von ihnen existieren. Sowieso bin ich nicht wirklich mit ihnen verbunden; sie sind nicht wirklich das, was mich ausmacht.“ So könnten wir denken. Wir könnten meinen, befreit zu sein, wenn wir das tatsächlich richtig verstanden haben. 

Das wird im Buddhismus widerlegt. Mit dem Nyaya-Verständnis sind wir noch nicht befreit. Wir denken zwar, wir wären es, aber sind es nicht. Wir sind nach wie vor voller Gier und werden immer noch wütend. „Aber ich transzendiere das doch alles.“ Wirklich? Denken wir so?

Der buddhistische Standpunkt

Was sagt der Buddhismus dazu? Der Buddhismus sagt, dass das Selbst nicht statisch ist. Es ist nicht-statisch und ändert sich ständig. Es tut ständig Dinge und beeinflusst immer andere Dinge, auch wenn wir befreit und ein Arhat geworden sind und auch, wenn wir Erleuchtung und Buddhaschaft erlangt haben.

Was tun Arhats? Sie meditieren zum Beispiel. Sie tun nicht einfach nichts. Sie existieren nicht einfach in einer Art Schwebezustand. Es gibt zwei Arten von Arhats. Es gibt Arhats, die sich in Buddhafeldern befinden und im Grunde meditieren; das ist es, was sie tun. Manchmal erfahren sie eine Art Glückseligkeit, und manchmal sind sie weder glücklich noch unglücklich, sondern in einem neutralen Gefühlszustand, wenn sie sich in einem vertieften Dhyana-Zustand der Konzentration befinden. Offensichtlich leiden sie nicht, doch sie tun etwas; sie erfahren etwas und erkennen etwas. Die anderen Arten von Arhats entwickeln Bodhichitta, kehren in unsere Bereiche zurück und arbeiten daran, Erleuchtung zu erlangen.

Auch Buddhas tun natürlich Dinge. Sie helfen anderen. Sie sind allwissend und kennen unser Karma. Sie wissen, wie sie uns bestmöglich helfen können, um Erleuchtung zu erlangen. Sie wissen also Dinge.

Im Buddhismus wird gesagt, dass das Selbst Teile hat. Warum hat es Teile? Weil es ein Zuschreibungsphänomen auf der Grundlage eines individuellen Kontinuums der fünf Aggregate ist, die sich ständig ändern: Körper, Geist, Empfindungen des Glücklich- und Unglücklichseins und so weiter. Es hat also zeitweilige Teile, da es in jedem Moment ein Zuschreibungsphänomen auf der Grundlage eines anderen Netzwerkes von Komponenten der fünf Aggregate ist. Das Selbst hat auch verschiedene Aspekte, verschiedene Teile im Kontext eines jeden dieser Netzwerke von Aggregaten – wie das Selbst im Kontext eines Familienlebens, eines Geschäftslebens, eines Sportlebens und so weiter. 

Außerdem kann das Selbst nie getrennt oder unabhängig von seiner Grundlage, den fünf Aggregaten, existieren, nicht einmal wenn es befreit ist und auch nicht, wenn es ein Buddha ist. Es gibt verschiedene Arten von Aggregaten. Anstatt der fünf Aggregate, die durch karmisches Potenzial und dergleichen mit Verwirrung verbunden sind, verfügen Buddhas über reine, unbefleckte Aggregate. Sie haben nach wie vor Körper. Wie verhält es sich mit den Formkörpern, dem Nirmanakaya und dem Sambhogakaya? Sie haben Körper aus äußerst subtilem Licht, aber es sind nach wie vor Körper. Sie haben Bewusstsein; sie erkennen Dinge, zwar auf einer Ebene des reinen Gewahrseins, einer Rigpa-Ebene oder einer Ebene des klaren Lichts, doch sie haben Bewusstsein. Sie haben stets unbefleckte Glückseligkeit, also eine reine Art von Gefühlen. Sie haben die fünf Arten des tiefen Gewahrseins: Sie kennen die Individualität von Dingen und sie wissen, wie sie helfen können. Das sind Teile der reinen Aggregate. Ob wir nun über sie als Repräsentationen der fünf Dhyani-Buddhas oder als die fünf Arten der so genannten Buddha-Weisheiten, die fünf Arten des tiefen Gewahrseins, reden – sie verfügen über sie. Es gibt kein Selbst eines Buddhas, das so existieren und getrennt von einer Grundlage der Zuschreibung erkannt werden kann.

Das wird im Buddhismus gesagt. Das Selbst ist nicht-statisch, ändert sich von einem Augenblick zum nächsten, während es Dinge tut und erkennt. Es hat Teile, weil es ein Zuschreibungsphänomen auf einer Grundlage ist, die Teile hat: die Aggregate, wie Körper, Geist usw. Es kann niemals unabhängig von einer Grundlage der Zuschreibung, einem Körper und einem Geist, existieren. Es kann unabhängig von einer unreinen Grundlage existieren. Doch nur weil es unabhängig von einer unreinen Grundlage existieren kann, bedeutet nicht, dass es unabhängig von irgendeiner Grundlage – also einer reinen – existieren kann.

Hier gilt es vorsichtig zu sein, wenn wir uns dem Buddhismus nähern, denn es stimmt, dass wir das Selbst nicht mit einem Körper verbinden wollen, der krank und alt wird, und mit dem wir immer wieder die Kindheit und all diese Dinge durchgehen müssen. Dann denken wir: „Vielleicht ist es besser, gar keinen Körper zu haben.“ Wir wollen keinen Geist haben, der begrenzt ist und nicht alles weiß, mit dem wir nur sehen, was sich direkt vor unseren Augen befindet und so weiter. Was denken wir also? Denken wir, dass wir davon befreit werden könnten? Aber was dann? Wie geht es dann weiter? Dieses „was dann“ ist kein großes Nichts, wie im Samkhya und Nyaya, wenn das Selbst Befreiung erlangt. Doch wir denken vielleicht, es wäre ein großes Nichts, wenn wir als ein Arhat Befreiung oder als ein Buddha Erleuchtung erlangen – wir gehen ein in ein transzendentales Nirvana. So verhält es sich jedoch nicht und auf diesen möglichen „Purva-paksha“-Irrglauben gilt es zu achten.

Widerlegen eines unmöglichen Selbst, um Befreiung zu erlangen  

Für Samkhya, Nyaya und Buddhismus gilt gleichermaßen, dass Befreiung von dem Leiden Samsaras, unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt, erlangt wird, wenn man das Selbst, das Atman, als falsches, unmögliches Selbst existierend widerlegt. In all diesen Systemen ist die Rede von einem unmöglichen Selbst, dass es zu widerlegen gilt. Vielleicht nutzt man nicht den gleichen Ausdruck dafür, aber bei allen gibt es dieses Merkmal. 

Um Befreiung zu erlangen, gilt es im Samkhya zu verstehen, dass das Atman zwar die Eigenschaft bloßen passiven Gewahrseins hat, dies jedoch nicht dasselbe ist, wie die physische Fähigkeit des Empfindungsvermögens, welche die Wahrnehmung von Objekten ermöglicht und als Teil des subtilen Körpers von einem Leben zum nächsten wandert. Doch aus Unwissenheit – weil das Atman, das Selbst, einfach nicht weiß, dass dies falsch ist – identifiziert es sich mit dieser Fähigkeit. Wir denken, das bin „ich“. Es gilt also zu verstehen, dass dies falsch ist und wir mit der Befreiung ohne Körper und Geist, durch die Objekte wahrgenommen werden, weiter existieren. 

Denken wir also, wir wären unser Geist, sollten wir vorsichtig sein, nicht den Samkhya-Standpunkt einzunehmen, denn in einigen buddhistischen Lehrsystemen wird gesagt, dass die definierenden Eigenschaften des Selbst in seiner Grundlage der Zuschreibung zu finden sind. Diese Gefahr könnte bestehen, wenn wir denken, wir müssten lediglich erkennen, dass die definierenden Eigenschaften des Selbst nicht im geistigen Bewusstseins lokalisiert sind und wir weiter als ein Selbst existieren werden, das unabhängig von einem Körper und Geist ist, jedoch die definierende Eigenschaft passiven Gewahrseins ohne Objekt beibehält. 

Was Nyaya betrifft, so ist es notwendig zu verstehen, dass das Atman, das Selbst, nicht von Natur aus mit den Eigenschaften der Wahrnehmung, des Glücklichseins, des Leidens usw., noch mit einer physischen Grundlage verbunden ist. Die Beziehungen, die uns mit diesen Eigenschaften und der Materie verbinden, sind einfach wie Stäbe, die Holzblöcke miteinander verbinden. Sie sind bedingt, zeitweilig und nicht notwendig. Wir erlangen Befreiung, wenn wir erkennen, dass wir von Natur aus nicht diese Beziehungen haben, die uns mit diesen Eigenschaften und der physischen Materie verbinden. Dann können wir uns von ihnen trennen. 

Aber ist das nicht eine Realitätsflucht? Meinen wir, dass es bei der Entsagung darum geht, mit all diesem Müll, diesem Samsara, nichts zu tun haben zu wollen und sich davon loszusagen? Wie würden wir das denn tun? Sagen wir einfach: „Ich habe jetzt nichts mehr damit zu tun“? Das ist ein Trugschluss. Wenn wir nur sagen, dass wir nichts mehr damit zu tun haben, könnten wir trotz allem noch wütend werden. 

Im Buddhismus geht es darum zu verstehen, dass das Atman nicht dasselbe ist, wie das unmögliche Selbst. Es ist mit den Aggregaten, dessen Zuschreibungsphänomen es ist, nicht identisch, noch völlig getrennt von ihnen. Das Selbst und die Aggregate sind „weder eins noch viele“. Ich bin mir sicher, ihr habt das in eurem Studium des „Madhyamakavatara, Eintritt in den Mittleren Weg“ gelernt. Das Selbst ist ein Zuschreibungsphänomen auf der Grundlage von Körper und Geist, den fünf Aggregaten. Es kann nicht unabhängig von seiner Grundlage existieren oder erkannt werden und daher ist es weder identisch mit seiner Grundlage, noch etwas, das völlig verschieden und unabhängig von seiner Grundlage ist. 

Behauptungen zum befreiten Selbst  

Wie verhält es sich nun mit dem befreiten Atman, dem nicht zu widerlegenden Selbst? Das befreite Atman fährt ewig damit fort zu existieren. Jeder sagt das, doch wie fährt es fort zu existieren?

Laut dem Samkhya setzt sich das Selbst, das Atman, als bloßes passives Bewusstsein ohne ein Objekt fort. Es durchdringt das gesamte Universum. Es erfährt kein Glück oder Leid. Es tut nichts und ist völlig getrennt von allen materiellen Phänomenen.

Gemäß dem Samkhya gibt es also Urmaterie und die materiellen Phänomene, die dessen Störeinflüsse sind und das gesamte Universum durchdringen, was ewig geschieht. In der westlichen Wissenschaft geht man ebenfalls davon aus, aber dort spricht man von Teilchen, Energie, Strahlung oder dergleichen. Im Samkhya fügt man jedoch hinzu, dass es auch immaterielle befreite Atmane gibt, die ebenfalls das Universum für immer durchdringen. Es wird nicht gesagt, dass alle eins werden; das ist nicht die Samkhya-Philosophie. Diese Behauptung taucht in einigen späteren Hindu-Philosophien auf, doch nicht im Samkhya, das ihnen vorausgeht. Diese befreiten Atmane sind individuell und nicht alle eins. Es gibt also sowohl materielle Phänomene als auch individuelle immaterielle Atmane, die das gesamte Universum durchdringen. Die Atmane sind bloßes passives Gewahrsein ohne irgendwelche Objekte, während die materiellen Phänomene selbst gar kein aktives Gewahrsein haben.  

Das ist im Grunde ziemlich interessant, wenn wir einmal darüber nachdenken. Würden wir das gerne sein, nur dieses passive Gewahrsein, welches das gesamte Universum durchdringt, aber nichts weiß? Für manche Menschen ist das vielleicht attraktiv. Jedenfalls ist das gemäß dem Samkhya der Zustand der Befreiung. Wir sind weder glücklich noch unglücklich. Wir empfinden nichts, tun nichts und wissen nichts, doch wir haben trotz allem Gewahrsein. Es klingt ein wenig so, als würde man unter Drogen stehen.

Im Nyaya wird gesagt, das befreite Selbst habe keine Eigenschaften, kein Bewusstsein, gar nichts. Es ist weder glücklich noch unglücklich und tut nichts. Hier ist der Unterschied zwischen Nyaya und Vaisheshika:

  • Gemäß dem Nyaya hat das Selbst die Größe eines winzigen Partikel ohne Teile, in etwa so, wie ein Lebensfunke oder ähnliches. 
  • Im Vaisheshika geht man, wie im Samkhya, davon aus, dass es das gesamte Universum durchdringt, jedoch nicht mit allen materiellen Phänomenen verbunden ist. 

Im Wesentlichen bezieht sich der Unterschied zwischen Samkhya, Nyaya und Vaisheshika darauf, ob das befreite Selbst das gesamte Universum durchdringt oder nur ein winzig kleines Teilchen ist. Wenn es nur ein winziges Teilchen ist, hat es kein Gewahrsein, aber wenn es das gesamte Universum durchdringt, hat es Bewusstsein oder nicht. 

Was sagt der Buddhismus dazu? Der Buddhismus sagt, dass das befreite Selbst nach wie vor Dinge erkennt. Arhats tun nach wie vor Dinge – sie meditieren, auch wenn sie sich gerade in einem Buddhafeld befinden – und sie erkennen weiter Dinge. 

Wie zuvor erwähnt gibt es zwei Arten von Arhats. Es gibt jene, die sich nur in den Buddhafeldern befinden und nichts tun, außer zu meditieren. Und dann gibt es jene, die Bodhichitta entwickeln, in unsere Bereiche zurückkehren und weiter dem Bodhisattva-Pfad folgen. Sie können das tun.

Wenn wir hören, das Arhats, die auf dem so genannten „Hinayana“-Pfad, dem Shravaka-Pfad, nach Befreiung streben, selbstisch sind, sollten wir verstehen, dass sich dies nicht auf den Pfad der Meditation bezieht, den Hinayana-Praktizierende folgen. Der Pfad ist nicht selbstisch. Theravada-Buddhisten üben sich beispielsweise unermüdlich in Metta-Meditation – „Metta“ ist das Pali-Wort für Liebe. Sie meditieren über die vier unermesslichen Geisteshaltungen – Liebe, Mitgefühl, Gleichmut und Freude. Sie tun all das. 

Es ist nicht so, dass der Hinayana-Pfad der Meditation frei von Liebe und Mitgefühl ist; hier geht es vielmehr um das Resultat. Wonach sie streben ist Arhatschaft, einen friedvollen Zustand, in dem sie sich nicht aktiv in Handlungen des Mitgefühls und dem Helfen anderer üben. Es ist dieses Ziel, das selbst-orientiert ist, und nicht der Pfad. Um diesen Punkt gibt es jede Menge Verwirrung, weil er in vielen Darstellungen nicht wirklich klar ist, nicht einmal in klassischen Mahayana-Texten. Ich denke es ist notwendig, diesen Unterschied zu machen; ansonsten sind wir unfair gegenüber den Hinayana-Traditionen, wie dem Theravada. Es zeigt einfach unsere Unwissenheit gegenüber dem Theravada, wenn wir sagen, dass sie keine Meditation über Liebe und Mitgefühl haben, denn es gibt sie.

Manche Arhats bleiben also in den Buddhafeldern. Sie üben sich nicht darin, anderen mit Mitgefühl zu helfen, doch sie sind in der Lage Bodhichitta zu entwickeln und können in unsere Bereiche zurückkehren. Sie können neben der Meditation auch andere Dinge tun und sie haben nach wie vor Gefühle. Ob diese Gefühle befleckt oder unbefleckt sind – nun, es gibt viele verschiedene Definitionen dieser Begriffe, aber hier werden wir nicht weiter auf sie eingehen. Wie dem auch sei, Arhats erfahren immer noch entweder Glück oder ein neutrales Gefühl, das frei von Glück oder Leid ist, je nachdem, in welche Meditation sie vertieft sind. Die höheren Dhyana-Versenkungen sind nicht mehr mit Glück oder Leid verbunden, sondern mit einem neutralen Gefühl, das ein Zustand jenseits dieser beiden ist. In den niedrigeren Zuständen des Dhyana gibt es noch immer Glücksgefühle. Arhats erfahren das eine oder andere dieser zwei Gefühle. 

Arhats sind nach wie vor mit einem Körper verbunden. Wenn sie sterben und diesen groben Körper verlassen, mit dem sie Befreiung erlangen, bekommen sie, wenn sie in ein Buddhafeld gehen, einen Körper aus subtilen Teilchen. Es ist nicht der subtilste, wie der Körper eines Buddha. Manchmal wird er als „geistiger Körper“ bezeichnet, doch im Grunde wird gesagt, dass er einem Körper aus subtilen Teilchen ähnelt, nicht den subtilsten, aber in etwa so, wie ein Traumkörper. Diese Art von Körper haben sie in einem Buddhafeld. 

Das ist wirklich sehr interessant. Wenn sie erleuchtet werden, behält das Atman eines Buddhas, das Selbst eines Buddas, seine Individualität bei. Shakyamuni Buddha ist nicht Maitreya Buddha, und Maitreya Buddha ist nicht Shakyamuni Buddha. Sie sind individuell. Darüber hinaus durchdringt ihr Geist – ihre geistige Aktivität – das gesamte Universum, denn ein Buddha ist allwissend. Weil die geistige Aktivität eines Buddha das gesamte Universum durchdringt und weil der subtilste Energiewind, der die Grundlage für diese geistige Aktivität ist, untrennbar davon ist, durchdringt der Körper eines Buddhas, der aus dem subtilsten Energiewind besteht, ebenfalls das gesamte Universum. Daher kann sich ein Buddha in einer Zillion Formen überall gleichzeitig manifestieren.

Dann denken wir: „Oh, was ist das? Gleicht das den Samkhya- oder Vaisheshika-Behauptungen eines befreiten Atman, der das Universum durchdringt?“ Nein, es ist nicht das gleiche wie diese Behauptungen. Das befreite Selbst mag laut dem Samkhya und dem Vaisheshika das gesamte Universum durchdringen, doch es ist getrennt vom Universum. Es ist sich nicht gewahr über etwas im Universum, es tut nichts oder interagiert mit nichts und niemandem im Universum. Der allwissende Geist eines Buddha ist sich andererseits gleichzeitig über alles und jeden im Universum gewahr, und die Körper eines Buddha interagieren mit allen Wesen und zeigen ihnen den Pfad zur Erleuchtung. Da gibt es also einen großen Unterschied. 

Schlussfolgerung  

Das sind einige der grundsätzlichen Fragen, die sich gleichermaßen auf den Buddhismus und die indischen nicht-buddhistischen Systeme beziehen, jedoch mit unterschiedlichen Interpretationen, wie wir es nur in Bezug auf dieses eine Thema gesehen haben, das in all diesen Systemen behandelt wird: die Frage des Selbst, des Atman. Es gibt auch andere Themen, die von allen besprochen werden, wie Karma und Kausalität. Gibt es einen Schöpfer oder nicht? All diese Fragen werden in den buddhistischen Texten mit der Methode des „Purva-paksha“, den Einwänden der anderen Seite, behandelt.

Wir können sehen, dass es wirklich wichtig ist, die Standpunkte dieser Einwände ernst zu nehmen und sie nicht einfach als etwas abzutun, was irgendwelche Leute vor vielen Jahrhunderten geglaubt haben, weil sie dumm waren. Ein wirklich guter Debattierer – es gibt viele berühmte Geschichten über sie in den tibetischen Klöstern – kann den Standpunkt einer dieser indischen nicht-buddhistischen Schulen einnehmen, und keiner der anderen buddhistischen Studenten, Geshes oder Khenpos kann ihn widerlegen oder im Debattieren besiegen. Sie waren so gut darin, den anderen Standpunkt zu vertreten und deswegen sind diese Standpunkte alles andere als dumm. Mein eigener Lehrer Serkong Rinpoche wies mich immer zurecht, indem er sagte: „Du bist einfach arrogant, wenn du denkst, sie seien dumm.“ Es sind keine dummen, sondern wirklich ausgesprochen intelligente Sichtweisen, die äußerst gefestigt sind.

Sie alle befassen sich mit den gleichen Fragen. Jede Schule in der indischen Philosophie, einschließlich dem Buddhismus, kämpft mit den gleichen Problemen und jede meint die Lösung gefunden zu haben. Um also den Buddhismus richtig zu verstehen, ist es notwendig, ihn im Kontext der anderen indischen Denksysteme und der „Purva-paksha“-Debatten zwischen ihnen zu verstehen.  

Nun mögen wir sagen, dass vielleicht die Buddhisten arrogant sind, wenn sie meinen: „mit euren Standpunkten seid ihr nach wie vor wütend und gierig, während wir es mit unseren nicht sind.“ Doch alles, was wir tun können, ist uns das Ergebnis, die Lehren und Methoden eines jeden Systems anzusehen, um eine Antwort darauf zu finden.

Wir sollten wirklich beginnen, ernsthaft über all diese „Purva-paksha“-Standpunkte nachzudenken. Beim Debattieren geht es nicht nur darum, wer einen Wettkampf in Logik gewinnt. Das ist nicht der Punkt. Worum geht es also? Es geht darum, Leiden zu beseitigen. In all diesen Diskussionen geht es darum, Leiden zu beseitigen. Das ist das Anliegen aller, auch dieser indischen nicht-buddhistischen Schulen. Wir müssen analysieren, wie man dieses Ziel erreicht. Vielleicht denken wir, dass es lediglich darum geht, sich von allem loszusagen, in eine Höhle zu gehen, sich in höhere Zustände der Konzentration zu begeben und zu denken: „Ich muss mich nicht mit all diesen Sinnesobjekten der Begierde und mit diesen störenden Gedanken über sie befassen. Ich werde mich in meiner Meditation einfach in ein transzendentales Reich begeben.“ Doch was ist das? Damit gehen wir in der Meditation in einen der Formbereiche oder in einen formlosen Bereich. In den Schriften heißt es ganz deutlich: „Sich in einem solchen Zustand zu befinden, mag lange andauern, aber irgendwann wird man von dieser Ebene wieder herabfallen.“ Wir haben also nicht wirklich eine Lösung gefunden, wenn wir uns in einen tiefen, Trance-ähnlichen meditativen Zustand begeben.

Wir sollten untersuchen: „Würde ich durch das Glauben dieser Sichtweisen Befreiung von Leiden und den Ursachen des Leidens erlangen?“ Wir können nicht einfach sagen, das dieses Verständnis mangelndes Gewahrsein oder Unwissenheit beseitigt, da jeder das Unwissen anders definiert. Es ist notwendig, einen genaueren Blick auf die störenden Emotionen, wie Wut, Gier, Anhaftung und Eifersucht zu werfen. Werde ich durch dieses Verständnis frei von ihnen? Befreit es mich von der Zwanghaftigkeit des Karma?

Was Karma betrifft, so kommt es zu zahlreichen Missverständnissen, wenn das Wort als „Handlung“ übersetzt wird. Das ist nicht die Bedeutung und in keinem der Systeme bedeutet es Handlungen. Das Problem ist, dass das tibetische Wort für Karma [las] das umgangssprachliche Wort für Handlungen ist. Daher übersetzen es Tibeter ins Englische als „actions“ (wörtl. Handlungen), da es sich dabei um das umgangssprachliche Wort handelt, aber die Bedeutung ist eine andere. Warum bedeutet es etwas anderes? Denkt einmal logisch darüber nach. Wären Handlungen die Ursache unseres Leidens, müssten wir einfach nur aufhören etwas zu tun – wir müssten aufhören zu meditieren, zu essen und sogar zu atmen – und damit wären wir befreit. Das ist natürlich absurd und daher können es nicht nur die Handlungen sein, denen wir ein Ende setzen müssen.

Worum es beim Karma geht – und hier will ich keine große Vorlesung über Karma anfangen – ist die Zwanghaftigkeit unseres Verhaltens. Es ist der Zwang, der uns antreibt, gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen und Muster zu wiederholen. Es ist dieser Zwang, von dem wir uns lösen müssen, der Zwang entweder auf destruktive oder auf positive Weise zu handeln. Es geht auch um die Denkweise: „Ich muss ein guter Mensch sein.“ Diese Zwanghaftigkeit eines Perfektionisten ist ziemlich neurotisch. Wie viel Leid bringt es mit sich, wenn wir meinen, alles kontrollieren zu müssen. Auch wenn wir uns auf zwanghafte Weise reinigen oder saubermachen, können unser Körper oder unser Zuhause nie sauber genug sein. Es gibt da ein schönes tibetisches Sprichwort: „Egal wie sehr wir einen Kothaufen reinigen, er wird nie sauber werden.“ Das trifft es so ziemlich auf den Punkt. Es ist also die Zwanghaftigkeit, die wir loswerden müssen.

Dann sollten wir uns fragen: „Wenn ich nur denke, dass ich getrennt von allem bin und mich um nichts mehr sorgen muss, weil ich über allem stehe, wird mich das von meinem zwanghaften Verhalten befreien? Wird es mich von meiner Selbstbezogenheit, meinem Ärger und meiner Wut über Dinge befreien? Letztendlich läuft es darauf hinaus, in unserer Praxis zu erkennen, was die Resultate sind. Selbstverständlich muss unsere Praxis korrekt und nicht nachlässig sein. Eine nachlässige Praxis führt zu nachlässigen Resultaten, während eine ordentliche Praxis ordentliche Resultate hervorbringt. Das ist doch ganz einfach, oder?

Ein anderer Punkt ist folgender: Wir sollten nicht denken, dass diese indischen nicht-buddhistischen Systeme und Praktiken keinen Nutzen haben und uns nicht helfen, uns zumindest in gewissem Maße von Leiden zu befreien. Die Frage ist, inwiefern sie uns helfen können.

Wir sind eine Menge Lehrstoff durchgegangen, ich weiß, aber das war die kurze Version dessen, was ich vorbereitet hatte und nur ein Versuch, ein wenig vom Wesentlichen zu erörtern, um was es hier geht. Wenn ihr mehr über die Einzelheiten der Samkhya- und Nyaya-Systeme erfahren wollt, könnt ihr auf meiner Webseite darüber nachlesen. Es gibt viele Auflistungen. Besonders im Nyaya geht es darum, Dinge aufzuzählen – all die verschiedenen Qualitäten, all die verschiedenen Eigenschaften, all die verschiedenen Arten von Entitäten und so weiter.

Samkhya ist das eigentliche Glaubenssystem, gemäß dem das Kalachakra sich strukturiert, da es das populärste nicht-buddhistische Denksystem der Zeit war. Es wird so strukturiert, um den Menschen zu helfen, Anhaftung an dieses System zu überwinden. Diese 24 Arme des Kalachakra sind beispielsweise die gereinigten Formen der 24 Arten materieller Phänomene. Im Kalachakra-System der Astrologie werden sogar sattva, rajas und tamas erörtert. Es ist auf eine Weise strukturiert, die Anhängern des Samkhya ein Gefühl der Sicherheit gibt, doch dann wird gesagt: „man kann es allerdings auch transformieren.“

Zwischen dem Buddhismus und diesen Systemen gibt es zahlreiche Ebenen des Dialogs und des Austausches, und ihren „Purva-paksa“-Standpunkten Aufmerksamkeit zu schenken wird uns helfen, Genauigkeit und Gewissheit bezüglich der buddhistischen Behauptungen der gleichen Fragen zu erlangen.

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