Die zehn Geistesfaktoren, die jeden Augenblick unserer Erfahrung begleiten

Einen ruhigen Geist und eine fürsorgliche Geisteshaltung haben 

In der Entwicklung ausgewogener Sensibilität gibt es viele verschiedene Variablen, bei denen es darum geht, die Extreme zu überwinden, gegenüber uns selbst und anderen entweder unsensibel oder überempfindlich zu sein. Das hat etwas damit zu tun, welche Aufmerksamkeit wir Situationen schenken, wie wir auf sie erwidern, und welche Auswirkungen unser eigenes Verhalten hat. 

Sowohl für die Aufmerksamkeit als auch für das Erwidern brauchen wir einen ruhigen Geist und eine fürsorgliche Geisteshaltung. Wir müssen in der Lage sein Aufmerksamkeit zu schenken und folglich ist es notwendig, unseren Geist von jeder Art der Ablenkung, des Kommentierens, der Urteile und vorgefassten Meinungen, sowie irrelevanter Emotionen, wie Furcht und Nervosität, zu lösen und zu beruhigen. All das gilt es zur Ruhe kommen zu lassen, um achtsam sein und auf angemessene Weise mit unseren Taten und emotionalen Empfindungen erwidern zu können. Denken wir natürlich an etwas anderes oder sind wirklich nervös oder ängstlich, ist es schwer aufmerksam zu sein und somit schwierig, auf ausgeglichene, angemessene Weise zu erwidern.

Das gleiche gilt für die fürsorgliche Geisteshaltung. Eine fürsorgliche Geisteshaltung zu haben heißt, die andere Person zu respektieren und zu verstehen, dass sie ein menschliches Wesen ist und genau wie wir Gefühle hat. Sie wird durch das, was wir tun, beeinflusst. Ihre Gefühle werden verletzt, wie auch unsere Gefühle verletzt werden und so weiter. Es ist ganz klar: kümmern wir uns nicht um die andere Person oder die Situation, in der sie steckt, und darum, wie sie sich fühlt usw., schenken wir ihr gewiss keine Aufmerksamkeit, und auch wenn wir es bemerken, bemühen wir uns nicht, ihr zu erwidern.

Das sind die zwei Flügel des gesamten Trainings der ausgewogenen Sensibilität: der ruhige Geist und die fürsorgliche Geisteshaltung.

Uns selbst vom Inhalt unserer geistigen Aktivität distanzieren 

In gewisser Weise müssen wir uns von dem Inhalt unserer Erfahrung und von unserer geistigen Aktivität Abstand nehmen, um diese ausgewogene Sensibilität entwickeln zu können. Das gilt es auf korrekte Weise zu verstehen, denn es kann etwas irreführend sein.

Es ist nicht wirklich einfach, jemandem hilfreich zu sein, wenn wir stets wütend auf ihn oder sie werden und immer klammern und Forderungen stellen, selbstsüchtig sind und so weiter. Aus diesem Grund ist es notwendig, sich von dieser Ebene etwas distanzieren und beruhigen zu können, um zu einer tiefgründigeren Ebene zu gelangen. Auf dieser tieferen Ebene können wir Zugang zu den grundlegenden Faktoren finden, über die wir alle verfügen, um auf ausgewogene Weise zu erwidern und aufmerksam zu sein. Das bedeutet, dass wir der grundlegenden geistigen Aktivität, die gerade stattfindet, Achtsamkeit schenken müssen, und nicht deren Inhalt.

Auf der grundlegendsten Ebene ist diese geistige Aktivität das Erscheinen eines geistigen Hologramms von etwas, das wir wahrnehmen, wie ein Anblick, ein Klang, ein Geruch oder gar eine Emotion. Es gibt ein geistiges Hologramm und eine Art der geistigen Beschäftigung. Dabei handelt es sich im Grunde um die gleiche Aktivität; wir haben sie nur auf zweierlei Weise beschrieben. Es ist beispielsweise nicht so, dass ein Gedanke auftaucht und wir ihn dann denken. Das Entstehen eines Gedankens und das Denken des Gedankens ist das gleiche. Es gibt kein getrenntes „Ich“, das etwas beobachtet, kontrolliert oder geschehen lässt. Wir haben keinen kleinen Geist, der wie eine Maschine ist, und dieses „Ich“, das an einer Tastatur herumspielt, Gedanken erscheinen und das Sehen stattfinden lässt. Es geschieht einfach.

Natürlich sind wir die Person, die denkt und sieht. Es ist nicht jemand anderes, und es ist auch nicht so, dass da niemand ist. Aber sogar wenn wir denken: „Was soll ich jetzt tun?“ oder „Was halten die Leute von mir?“ ist alles, was passiert, ein auftretender Gedanke, dessen Inhalt ein geistiger Klang dieser Worte ist. Es gibt kein kleines „Ich“, das in unserem Kopf wie in einem Raum sitzt, dies denkt und Knöpfe drückt, worauf dann der Gedanke erscheint. Betrachten wir uns jedoch selbst als dieses kleine Wesen, das wie ein Außerirdischer in unserem Kopf sitzt, führt das zu großer Angst und Unsicherheit. Was werden die Menschen über dieses kleine „Ich“ denken? Wie geben wir diesem „Ich“ Sicherheit und was müssen wir tun, damit Leute uns mögen? 

Wir beschäftigen uns mit etwas, was eine ziemliche Einbildung ist. Die Wissenschaft würde dem natürlich zustimmen. Man kann kein kleines „Ich“ finden, das irgendwo in unserem Kopf, oder im Herzen sitzt, wenn wir es auf tibetische Weise betrachten. Es gibt niemanden dort hinten, der durch unsere Augen schaut. Dennoch ist es niemand anderes, der denkt, wenn wir uns fragen: „Was halten die Leute von mir?“ Konventionell gesehen tun wir das natürlich. Wir sind verantwortlich dafür, was wir denken, tun und sagen.

Wie man mit anderen auf feinfühlige Weise umgeht 

Wenn diese geistigen Hologramme erscheinen, müssen wir natürlich auch überprüfen, ob sie eine trügerische oder eine korrekte Erscheinung sind, um angemessen erwidern zu können. Um dies zu tun, können wir mit den grundlegenden Merkmalen dieser geistigen Aktivität arbeiten. Hierbei ist es jedoch wiederum äußerst wichtig, es nicht so zu sehen, als gäbe es da ein kleines „Ich“ in unserem Kopf, welches die Knöpfe und Hebel bezüglich all dieser Komponenten unserer geistigen Aktivität betätigt. Das „Ich“ ist kein getrenntes dualistisches Ding, das nun die Kontrolle übernehmen wird und darüber waltet, was vor sich geht. 

Würden wir mit diesen Sachen auf diese sehr dualistische Weise arbeiten, würden wir zu so genannten Kontrollfreaks werden, was dann recht künstlich und überhaupt nicht natürlich ist. Wir sollten es nicht wie ein soziales Netzwerk oder das Benutzen von mobilen Geräten betrachten. Es ist nicht so, dass es hier dieses „Ich“ gibt, und wir mit einem „Du“ als einer Erscheinung oder einem Namen auf einem Bildschirm kommunizieren werden, indem wir bestimmte Tasten und Knöpfe drücken. Um wirklich feinfühlig gegenüber anderen zu sein, und uns nicht durch die Illusion eines „Ichs“ hinter einem Computerbildschirm distanzieren, ist es notwendig einen zwischenmenschlichen Austausch zu haben. Es ist wirklich wichtig, dies zu erkennen.

Viele Menschen verfallen diesem ganzen Phänomen der virtuellen Kommunikation mit anderen durch Facebook, Emails und Text-Nachrichten. Es ist spannend, einen Blick nach innen zu richten: Wie kommunizieren wir mit anderen? Wie verändert sich unser Konzept des Kommunizierens und der Feinfühligkeit gegenüber anderen, besonders, wenn wir unsere Geräte ausschalten können, wenn uns nicht nach Austausch ist? Sind wir wirklich feinfühlig gegenüber jemanden, dem wir nur mit ein paar abgekürzten Worten Nachrichten senden?

Vielleicht ist es hilfreich, sich ein oder zwei Minuten Zeit zu nehmen und den Blick nach innen zu richten. Manche von uns befassen sich vielleicht gar nicht mit dieser Art des Kommunizierens, aber viele von uns tun es. Welche Geisteshaltung haben wir? Wie erleben wir es, auf diese Weise zu kommunizieren? Ist das wirklich unser Konzept von Kommunikation und Austausch mit anderen? Hat der Einfluss des Benutzens solcher Medien unsere Art des persönlichen Austausches verändert? 

Und wie aufmerksam sind wir gegenüber jemandem, wenn wir ständig wissen wollen, was gerade auf unserer Facebook-Seite los ist und ob wir Nachrichten bekommen haben? Wie aussagekräftig ist unsere Erwiderung, wenn sie auf „Daumen hoch“ und „Gefällt mir“ begrenzt ist? Ist das alles, was wir in unserer Kommunikation mit anderen erwarten: eine bestimmte Anzahl von „Likes“ zu sammeln und mehr „Likes“ auf unserer Seite zu haben, als ein anderer?

Nehmen wir uns einen Moment Zeit, um über unsere eigene, persönliche Situation nachzudenken. Eine spezifische Anweisung mag darin bestehen, zu überprüfen, wie oft wir im Laufe des Tages auf unsere Emails oder unsere Facebook-Seite schauen. Wie oft checken wir unsere Text-Nachrichten und wie schnell antworten wir darauf, ungeachtet dessen was wir gerade tun oder mit wem wir zusammen sind? Berücksichtigen wir, dass wir die andere Person bei dem, was sie tut, unterbrechen, wenn wir ihr eine Nachricht senden? Achten wir überhaupt darauf? Denken wir eigentlich darüber nach? Auf den Computerbildschirm zu starren, ist, als würden wir in den Spiegel schauen. Im Grunde ist es, als würden wir uns selbst sehen und wir scheinen so wichtig zu sein, dass wir jeden mit dem, was wir sagen wollen, stören können.

Bitte nehmt euch einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken.

Ich glaube die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen können, ist, dass echte zwischenmenschliche Kommunikation eine Direktheit, eine tatsächliche Beteiligung und eine Einsatzbereitschaft erfordern, sich auf die andere Person einzulassen. Es geht nicht darum, diese Absicherung zu haben, einfach unser Gerät ausschalten zu können, wenn uns nicht danach ist, uns mit jemandem auseinanderzusetzen.

Die ersten fünf Geistesfaktoren 

Wenn wir mit dieser geistigen Aktivität arbeiten und unsere Erfahrung hinsichtlich der von einem Augenblick zum nächsten stattfindenden geistigen Aktivität betrachten, erkennen wir, wenn wir es analysieren, dass es in jedem Augenblick unserer Erfahrung viele Komponenten gibt, die daran beteiligt sind. Diese Komponenten sind das, was wir als Geistesfaktoren bezeichnen und gemäß der buddhistischen Analyse gibt es zehn von ihnen, die ständig aktiv sind. Lernen wir diese zu identifizieren und in jedem Augenblick unserer Erfahrung, wenn wir uns mit anderen oder auch nur mit uns selbst auseinandersetzen, zu erkennen, bemerken wir auch, ob sich jeder von ihnen im Gleichgewicht befindet. Befinden sie sich im Einklang oder ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten und muss korrigiert werden?

Ich kann nicht genug betonen, dass wir dies nicht als ein getrenntes „Ich“ tun, das wie ein Lehrer oder Polizist beobachtet, urteilt und dann fordert, diese und jene Veränderungen vorzunehmen, sondern tun es einfach. 

Sehen wir uns das an einem einfachen Beispiel oder einer Demonstration an: Dreht bitte euren Kopf einer Wand zu. Wie haben wir das genau getan? Gab es da ein Gefühl eines getrennten „Ichs“ in uns, das eine Entscheidung getroffen und dann den Kopf wie bei Marionette bewegt hat? Ich habe meine Zweifel, dass wir es so erlebt haben. Wir haben es einfach getan und unseren Kopf gedreht.

Nehmen wir einmal an wir merken, dass wir dem, was diese Person sagt, nicht wirklich Aufmerksamkeit schenken und nur denken: „Oh, mir reicht es langsam. Ich wünschte, sie würde endlich aufhören zu reden.“ Wie können wir das ändern? Wir halten inne und tun es einfach. Wir sind ganz einfach aufmerksamer. Es ist nicht so, als gäbe es da ein „Ich“, das ein Rad an der Aufmerksamkeitsmaschine drehen muss, mit einem „Ich“ als dem Kontrollierenden, einem anderen „Ich“, das kontrolliert werden muss und ein drittes „Ich“ dazu bringt, aufmerksamer zu sein. So ist das nicht. Wir tun es einfach.

Ergibt das einen Sinn? Könnt ihr damit etwas anfangen? Es klingt ganz einfach, aber genau genommen ist es nicht so einfach, besonders wenn wir unter Angst leiden. Wir denken: „Was soll ich tun? Werde ich es richtig machen? Ich will keinen Fehler begehen.“ Dann fühlt es sich so an, als gäbe es da ein „Ich“, das manipulieren und kontrollieren muss, nicht wahr? Erleben wir Dinge auf diese Weise und mit all diesen Ängsten, ist das kein sehr glücklicher Geisteszustand, sondern ziemlich unangenehm.

Das heißt nicht, wir wären nicht sorgfältig. Natürlich sind wir sorgfältig, aber wir müssen es nicht auf diese dualistische, kontrollierende Weise sein. Wir tun es einfach und auf diese Weise arbeiten wir mit den Geistesfaktoren. Wir schenken der anderen Person mehr Aufmerksamkeit oder Interesse. Wir tun es ohne zu kommentieren, wie langweilig es vielleicht ist, was sie sagt. Auch wenn es langweilig ist, spielt das keine Rolle. Hält die andere Person das, was sie sagt, für wichtig genug, zeigen wir Interesse.

Gehen wir nun diese zehn Geistesfaktoren durch. Hierbei handelt es sich nicht um die traditionelle, sondern um eine leicht abgewandelte Reihenfolge, die in diesem Training hilfreich ist.

Dränge

Zunächst haben wir einen Drang (tib. sems-pa). Ein Drang ist der Geistesfaktor, der, während wir uns auf ein Objekt fokussieren, unser Bewusstsein und dessen andere begleitende Geistesfaktoren dazu bringt, im nächsten Augenblick eine Aktion gegenüber oder mit diesem Objekt auszuführen. Man kann es fast als so etwas wie einen Magneten oder eine Lokomotive betrachten. Wir haben einen Drang uns am Kopf zu kratzen. Wir haben einen Drang in diese Richtung zu schauen. Wir haben einen Drang unsere Position auf dem Stuhl zu verändern. Wie ein Magnet werden wir in die Richtung des nächsten Augenblicks gezogen, um etwas zu tun. Das können wir klar erkennen, wenn wir mit jemandem Austausch haben. Wir mögen einen Drang haben davonzulaufen und der Person zu sagen, sie solle endlich Ruhe geben. Diesen Drang können wir jedoch kontrollieren oder auf eine Weise lenken, was dann dazu führt, einen Drang zu haben, still zu sitzen und geduldig dem zuzuhören, was sie sagt. In manchen buddhistischen Systemen wird dieser Drang mit Karma identifiziert.

Auseinanderhalten                                                                                                                                               

Dann haben wir das Auseinanderhalten (tib. ‘du-shes), bei dem es darum geht, wie wir mit einem Sinnesbereich umgehen. Da gibt es beispielsweise einen Sinnesbereich des Sehens oder Hörens und wir müssen in der Lage sein, bestimmte Merkmale innerhalb dieses Sinnesbereiches zu erkennen. Würden wir den visuellen Sinnesbereich als eine riesige Anzahl von Farbpixeln oder, etwas grober ausgedrückt, von farbigen Formen sehen, müssen wir in der Lage sein, ein Merkmal zu erkennen, um diese Pixel und farbigen Formen einer Sache zuzuordnen, denn sonst könnten wir uns nicht damit auseinandersetzen. Wir müssen ihr nicht unbedingt einen Namen geben - das wäre konzeptuell. Und wir müssen ihr auch nicht unbedingt eine Bedeutung geben, denn das wäre ebenfalls konzeptuell. 

Im begrifflichen Denken halten wir etwas auseinander, wenn wir erkennen, dass etwas zu diesem oder jenem Namen oder zu dieser oder jener Kategorie passt. Befassen wir uns jedoch mit jemandem, müssen wir natürlich in der Lage sein, seinen Kopf vom Hintergrund zu unterscheiden, denn sonst ist es bedeutungslos. Oder wenn es eine Gruppe von Menschen gibt und wir eine Person ansprechen wollen, ist es notwendig, die farbigen Formen, die ihren Kopf ausmachen, das visuelle Bild ihres Kopfes und den anderer Menschen in ihrer Nähe auseinanderzuhalten. Wir setzen es nicht einfach irgendwie zusammen.

Wir können jedoch auch auf einer viel feineren Ebene in Bezug auf den Gesichtsausdruck oder die Körperhaltung eines Menschen unterscheiden. Wir geben dem Ganzen keinen Namen, sondern erkennen einfach bestimmte Dinge, was uns dann natürlich mehr Information dazu gibt, wie wir mit der Person umgehen können. Sieht sie gelangweilt aus, gestresst, krank, oder müde? Auf diese Weise erkennen wir etwas und schaffen Kategorien. Erst einmal gilt es den Ausdruck ihres Gesichtes zu erkennen. Dann müssen wir natürlich den Klang ihrer Stimme und den Klang des Straßenverkehrs auseinanderhalten. Es ist notwendig zu versuchen, den Ton der Stimme zu erkennen, denn dadurch bekommen wir viele Informationen über den emotionalen Zustand der Person, und wie gestresst oder selbstbewusst sie ist. Das wird recht deutlich durch die Weise wie jemand spricht. Dies gilt es unter all dem anderen zu erkennen.

Der Drang bringt uns dazu, uns die Person anzusehen oder den Klang ihrer Stimme zu hören und innerhalb des Sinnesbereiches erkennen wir dann bestimmte Merkmale.

Aufmerksamkeit

Der nächste Faktor ist die Aufmerksamkeit (tib. yid-la byed-pa). Wie viel Aufmerksamkeit werden wir dem schenken, was wir wahrnehmen? Etwas seine Aufmerksamkeit zu schenken heißt, sich innerhalb eines bestimmten Sinnesbereiches mit einem spezifischen Objekt, Gemütszustand oder Gedanken zu befassen. Die Aufmerksamkeit ist Ursache dafür, dass wir uns auf dieses Objekt konzentrieren oder es auf bestimmte Weise betrachten. Wir können auf sorgfältige oder auf entspannte Weise aufmerksam sein. All diese Geistesfaktoren können auf einer Skala sehr ausgeprägt oder nicht so ausgeprägt sein. So könnten wir äußerst aufmerksam sein oder einer Sache nur sehr wenig Aufmerksamkeit schenken.

Wie befassen wir uns mit diesem Objekt? Dann kommen anderen Geistesfaktoren hinzu. Setzen wir uns auf sehr kritische und urteilende Weise damit auseinander? Beschäftigen wir uns ganz offen damit? All diese Dinge beschreiben, wie wir einem Objekt Aufmerksamkeit schenken.

Kontaktbewusstsein

Als nächstes kommt ein etwas schwieriger Faktor, den wir als Kontaktbewusstsein (tib. reg-pa) bezeichnen. Normalerweise übersetzt man diesen Begriff mit „Kontakt“, aber hier geht es nicht um körperlichen Kontakt, sondern um einen Geistesfaktoren. Er wird folgendermaßen definiert: er unterscheidet, ob das Objekt der Wahrnehmung angenehm, neutral oder unangenehm ist. Das dient als Grundlage dafür, das Objekt mit einem glücklich, unglücklichen oder neutralen Gefühl zu erleben.

Wir können eine Person von einer anderen unterscheiden und sie als ein angenehmes Objekt ansehen und infolgedessen sind wir glücklich, dieses Objekt, diese Person zu sehen. Ein anderes Beispiel besteht darin, ein paar Worte zu hören und sie als angenehme oder unangenehme Worte zu betrachten. Hören wir unangenehme Worte, sind wir vielleicht unglücklich, oder ist es nur Gerede, bla, bla, bla, dann ist es neutral und wir sind weder hocherfreut, noch zutiefst betroffen. 

Denken wir einmal darüber nach, ist es doch im Grunde sehr interessant. Hier geht es nicht darum, urteilend zu sein. Denkt einmal darüber nach. Wenn wir jemandem begegnen, ist es angenehm oder unangenehm diese Person zu sehen? Es könnte sich um die gleiche Person handeln. Manchmal ist es angenehm sie zu sehen und manchmal nicht und dann sind wir zuweilen glücklich oder unglücklich sie zu sehen. Aus buddhistischer Perspektive würden wir das als karmische Situation beschreiben. Wir könnten es jedoch auch ausweiten und sagen, dass es durch viele ursächliche Faktoren beeinflusst wird und es irgendwie angenehm ist, wenn wir mit dieser Person, diesem Objekt oder diesen Worten in Kontakt kommen. Sind wir gerade beschäftigt, haben gerade gut gegessen oder was auch immer, wird das einen Einfluss darauf haben, wie wir mit einer Erfahrung in Kontakt kommen, nicht wahr?

Es gibt viele Variablen, die einen Einfluss darauf haben können, wie wir mit jemanden in Kontakt kommen. Tun wir es auf angenehme oder unangenehme Weise, auf schöne oder nicht so schöne Weise? Ist es beispielsweise angenehm unser Kind zu sehen oder ist es unangenehm? Wir könnten gerade ziemlich beschäftigt sein und dann kommt unser Kind, um uns zu nerven, viel Wirbel zu machen oder ähnliches, und dann ist es unangenehm. Es wird jedoch durch die Tatsache beeinflusst, dass wir gerade viel zu tun haben und mit etwas anderem beschäftigt sind. Im Grunde denken wir nur an uns und wollen nicht gestört werden. Würden wir jedoch dem Kind mehr Interesse schenken, wäre es nicht mehr unangenehm das Kind zu sehen. Es ist angenehm das Kind zu sehen, weil wir an seinem Wohlergehen interessiert sind.

All diese Dinge beeinflussen sich gegenseitig. Sie stehen miteinander in Wechselwirkung. Hätten wir mehr Interesse an einer Person, würden wir den Ausdruck ihres Gesichtes und den Ton ihrer Stimme erkennen und diesen Dingen Aufmerksamkeit schenken. Das würde uns dann helfen, auf angemessene Weise erwidern zu können. Die geistige Aktivität funktioniert einerseits so, dass sie Informationen aufnimmt und so müssen wir einfach mehr Informationen aufnehmen. Die Informationen sind da und es ist einfach nur notwendig, sie auseinanderzuhalten und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken.

Ein Grad an Glück oder Leid empfinden

Es gibt das Kontaktbewusstsein und dann haben wir das Empfinden (tib. tshor-ba) was sich darauf bezieht, einen Grad an Glück oder Leid zu empfinden. Dabei muss es nicht um dramatische Gefühle von Glück oder Leid gehen. Es könnte sich auch um eine ganz unbedeutende Ebene handeln, was es meistens auch ist. All diese Dinge finden fortwährend statt.

Betrachten wir zum Beispiel das Gemälde an der Wand; es ist ein angenehmes Kontaktbewusstsein und wir sehen es uns gern an. Ein paar Augenblicke später ist es nicht mehr so angenehm und wir wollen es nicht weiter ansehen. Es ist nicht so, dass wir wirklich traurig oder glücklich sind, sondern einfach genug davon haben, sodass der Drang kommt, den Kopf zu bewegen und ein anderes Bild anzusehen.

Ein anderes Beispiel ist, jemandem beim Reden zuhören. Wir erlegen es als angenehmes Kontaktbewusstsein und hören gern zu. Es fühlt sich gut an. Glück kann einfach auch die Dimension eines angenehmen Gefühls sein. Fühlt es sich dann jedoch nicht mehr so gut an, sind wir verdrossen und der Drang kommt hoch wegzuschauen oder verbal an etwas anderes zu denken. Dann schenken wir dem anderen keine Aufmerksamkeit mehr und anstatt eine Bedeutung hinter den Klängen zu erkennen, die aus dem Mund der Person kommen, werden sie zu einem Hintergrundgeräusch. Wir merken, wie wir uns fühlen, und erkennen, dass uns langweilig ist und wir müde und unruhig sind. Zumindest im Englischen machen wir diesen Unterschied, wenn wir die Worte von jemandem hören, ihm jedoch nicht wirklich zuhören.

Diese fünf Faktoren erkennen  

Das sind die ersten fünf Geistesfaktoren. Zuerst bringt uns der Drang wie ein Magnet dazu, eine bestimmte Handlung mit einem Objekt auszuführen. Es könnte natürlich Willenskraft geben und wir könnten uns entscheiden, ein Objekt zu betrachten. Entscheidung ist ein anderer Aspekt, der dem, was wir tun, eine Bestimmtheit verleiht. Aber sogar wenn wir die Willenskraft haben etwas zu tun, geht sie nicht von einem getrennten „Ich“ aus, das in unserem Kopf sitzt und die Entscheidung trifft. Sie ist einfach Teil eines jeden Augenblicks. Um es nochmal zu wiederholen: es gibt den Drang, das Auseinanderhalten, die Aufmerksamkeit oder Beschäftigung mit dem Objekt, das angenehme oder unangenehme Kontaktbewusstsein und das Empfinden verschiedener Grade von Glücklichsein und Unglücklichsein. Nachdem wir die ersten fünf aufgezählt haben, sollten wir uns etwas damit vertraut machen, worum es hier geht.

Wenn wir uns etwas ansehen, ist es vielleicht angenehm und wir sind zufrieden damit, es zu betrachten. Dann kommt jedoch der Drang, etwas anderes anzusehen, und dann wieder etwas anderes. Es gibt ständig einen Drang, der eine Änderung in dem bewirkt, was wir wahrnehmen. 

Seht euch im Raum um und bitte dreht nicht einfach nur den Kopf herum. Seht euch etwas an und achtet darauf, wie das Gefühl hochkommt, es nicht weiter ansehen zu wollen und etwas anderes zu betrachten. Das passiert ganz natürlich.

Wenn ihr müde seid eine Sache zu betrachten und den Blick etwas anderem zuwendet, unterscheidet ihr es von der Wand? 

Es gibt Gemälde in diesem Raum, in denen wir bestimmte Farben auseinanderhalten und die wir zu etwas zusammensetzen können. Hier gibt es einen Lotus und dort einen Buddha. Wir tun das schon bevor wir ihm einen Namen geben. Wir müssen ihm in unserem Kopf keinen Namen geben, denn wir wissen, dass es ein Lotus ist. Zunächst fügen wir es als etwas zusammen und konzeptuell passt es dann in die Kategorie Lotus. All das ist nichtverbal und dieses Auseinanderhalten findet ständig statt.

Wir können recht achtsam sein oder kaum Achtsamkeit schenken. Es gibt sogar eine Art der Aufmerksamkeit, mit der wir etwas nicht weiter ansehen wollen. Nach ihr kommt der Drang, etwas anderes zu betrachten. Bleibt unser Blick bei dieser Sache, könnten wir sagen, dass es angenehm ist und wir es gern ansehen. Wir fühlen uns gut und es fühlt sich gut an, sie anzusehen. Dann ist es nicht mehr so angenehm und wir richten den Blick auf etwas anderes.

Es ist sogar noch interessanter, wenn wir es in Bezug darauf betrachten, jemandem zuzuhören oder mit jemandem zusammen zu sein. Während ihr dem zuhört, was ich oder der Übersetzer gerade sagt, gibt es da einen Drang zuzuhören oder einen Drang etwas anderes zu tun? Während wir dasitzen und zuhören, kann es Dränge geben, etwas anderes zu tun, wie unsere Sitzposition zu verändern, uns am Kopf zu kratzen, über etwas anderes nachzudenken oder Notizen zu machen. 

Unterscheiden wir lediglich den Klang der Worte und geben im eine Bedeutung? Unsere Aufmerksamkeit könnte abgelenkt sein, während wir dem Geräusch des Straßenverkehrs lauschen. Worauf achten wir? Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Klang der Worte oder auf das Gefühl in unseren Knien, die anfangen wehzutun? Worauf achten wir? Das ändert sich ständig, nicht wahr? An unserem Hinterkopf gibt es vielleicht ein Gefühl des Juckreizes, wir wollen uns kratzen und der Drang, sich dort zu kratzen, kommt hoch. 

Ist es angenehm, dem Klang meiner Stimme oder der des Übersetzers zuzuhören? Fühlen wir uns glücklich und wohl, oder fühlen wir uns nicht sonderlich wohl dabei? Wenn wir kein Englisch verstehen, ist dann zum Beispiel die Erfahrung, dem Englischen zuzuhören, genauso, wie jene, dem Übersetzer zuhören, der in der Sprache spricht, die man versteht?

Das ist ein wirklich spannendes Thema. Was ist angenehm und was ist unangenehm? Jemand könnte eine recht angenehme Stimme haben und obwohl es nicht sehr angenehm ist, ihm zuzuhören, sind wir sehr interessiert. Manche Übersetzer sprechen auf sehr langweilige und ausdruckslose Weise und es ist nicht wirklich angenehm ihnen zuzuhören. Tatsächlich kann es wirklich langweilig sein ihnen zuzuhören, aber sind wir wirklich interessiert, weil wir wissen wollen, was da gesagt wird, ist es trotz allem angenehm. 

Diese Faktoren können auf vielfältige Weise zusammenpassen. Weil unser Interesse größer ist, wird es sich über die Tatsache hinwegsetzen, dass es nicht so angenehm ist, einer Stimme zuzuhören. Dies fällt in den Bereich der Aufmerksamkeit. Wie schenken wir etwas unsere Aufmerksamkeit? Tun wir es es, weil etwas wichtig ist, oder weil es unwichtig ist? Jemand mag eine monotone und langweilige Stimme haben, aber wenn wir seine Worte als wichtig erachten, schenken wir der Bedeutung des Gesagten unsere Aufmerksamkeit und sehen über unser Gefühl bezüglich seiner Stimme hinweg.

Das ist eine Art der Situation. Einer Übersetzung zuzuhören ist nicht etwas, das wir ständig machen. Aber wahrscheinlich haben wir ständig Austausch mit Menschen, wenn wir nicht gerade völlig isoliert und allein leben. Manchmal kann die Weise, wie andere reden, ziemlich unangenehm sein. Es gibt Menschen, die sich beispielsweise andauernd wiederholen oder so leise reden, dass wir uns wirklich anstrengen müssen, um ihnen zuzuhören. Vielleicht ist ihre Stimme aber auch so laut, dass wir das Gefühl haben, sie würden uns wegblasen. Was empfinden wir in so einer Situation als wichtig oder unwichtig? Ist es der Ton der Stimme, die Tatsache des ständigen Wiederholens oder das Problem, über das sie mit uns reden wollen? 

Wie schenken wir also unsere Aufmerksamkeit? Worin liegt der Schwerpunkt unserer Aufmerksamkeit? All diese Dinge sind Variablen und sie können sich ändern. Das ist das Wesentliche oder der Sinn und Zweck dieser Art des Trainings: zu sehen, dass es in jedem Augenblick unserer Erfahrung all diese Faktoren gibt, und bis jetzt haben wir erst über fünf von zehn gesprochen. Sie alle wirken aufeinander ein und beeinflussen sich gegenseitig; sie alle können verändert werden. Jeder ist eine Variable und kann auf das Optimieren unserer Gesundheit oder den nutzbringenden Austausch mit jemandem abgestimmt werden, was ich als „ausgewogene Sensibilität“ bezeichne.

Außerdem ist es wichtig, nicht nur gegenüber der anderen Person sondern auch gegenüber uns selbst feinfühlig zu sein. Wir müssen eine Ausgewogenheit erreichen und das sollten wir bedenken, wenn wir diese Geistesfaktoren anpassen. So können wir zum Beispiel auch erkennen, dass wir ziemlich müde sind und dies ein recht unangenehmes und nicht so schönes Gefühl ist. Wir können es ignorieren und versuchen, der Müdigkeit keine Aufmerksamkeit zu schenken. Doch manchmal nimmt sie Überhand und dann versuchen wir beim Gähnen nicht den Mund zu öffnen, was wirklich unangenehm ist. Zuweilen gilt es in solch einer Situation feinfühlig gegenüber uns selbst zu sein. Wenn die andere Person über all ihre Probleme und Schwierigkeiten redet, kann es notwendig sein zu sagen, dass wir sehr müde sind und nicht mehr so richtig folgen können. Natürlich entschuldigen wir uns und bringen zum Ausdruck, dass wir wirklich gern weiter zuhören würden, aber erschöpft sind und uns nicht mehr konzentrieren können. Wir brauchen eine kleine Pause oder reden vielleicht morgen weiter. Ansonsten schenken wir der anderen Person keine Aufmerksamkeit, und wenn wir wirklich aufrichtig sind, werden die meisten Menschen positiv darauf erwidern und einverstanden sein.

Dies sind also die ersten fünf Geistesfaktoren, und wir sollten uns einen Moment Zeit nehmen, all das einwirken zu lassen. Um noch einmal auf die Liste zurückzukommen: wir haben Dränge, das Auseinanderhalten, die Aufmerksamkeit, das Kontaktbewusstsein und das Empfinden verschiedener Grade von Glück oder Leid. Um diese Dinge zu erkennen, gilt es einfach das Jetzt, diesen Moment, zu analysieren.

Was macht unsere Erfahrung in diesem Moment aus? 

Worin besteht der Drang? 

Was würden wir gern tun? 

Was erkennen wir? Ist es unsere Laune, etwas an der Wand, oder ein Geräusch? Was erkennen wir? 

Welche Art der Aufmerksamkeit schenken wir dem und allem anderen? 

Ist sie angenehm oder unangenehm? Empfinden wir ein schwaches Gefühl des Wohlbefindens, des Glücks, des Unwohlseins oder des Leids? Was passiert gerade?

Wenn wir dies analysieren, ist es ziemlich klar, dass es kein getrenntes „Ich“ von all dem gibt. Gibt es da ein „Ich“, das kein Gefühl der Freude hat, das nichts auseinanderhält, keine Dränge hat, einfach leer ist und dann irgendwie eine Verbindung zu dem Gefühl des Glücks oder Leids aufnimmt, etwas erkennt oder den Drang hat, etwas zu tun? Ist es ein „Ich“, das für sich betrachtet, völlig getrennt von all dem existiert? Wenn wir es analysieren, ist es ziemlich unmöglich, dass es so ein „Ich“ gibt.

Trotzdem fühlen wir uns glücklich. Es ist nicht jemand anders, der gerade glücklich ist und es ist auch nicht nur das Glücklichsein. Natürlich sind wir glücklich, aber es geht nicht um ein „Ich“, das völlig getrennt davon ist, glücklich oder unglücklich zu sein, und dann einen Raum betritt und eine Verbindung mit einem Gefühl des Glücks oder Leids aufbaut. Das hat große Konsequenzen, was unser emotionales Leben betrifft, besonders wenn wir von dieser Suche nach Glück besessen sind, als gäbe es ein „Ich“, das von dem Gefühl des Glücklichseins oder Unglücklichseins völlig abgetrennt ist und nun eine Verbindung zu dem Gefühl des Glücklichseins aufbauen will. Das kann zu großen Sorgen und Kummer führen. Natürlich wollen wir glücklich sein. Jeder möchte das. Dafür müssen wir jedoch einfach nur das tun, was es braucht, um glücklich zu sein. 

Hier ist eine Analogie in Bezug auf den Computer recht hilfreich, denn zuweilen brauchen wir einfach einen Systemneustart. Diese Stimmung, in der wir uns gerade befinden, oder diese übermäßige Betonung auf das „Ich“, ist wie ein Programm, das nicht richtig funktioniert. Hinter all dem, was wir erfahren, steckt diese sehr subtile Ebene des Geistes, die verantwortlich für das Fortsetzen unserer Erfahrung ist. Um neu zu starten, gehen wir zu dieser sehr subtilen Ebene und machen einen Neustart in einer anderen Stimmung. Wir beginnen einfach ganz frisch und lernen, wie wir dies tun können. So einen Neustart kann man jederzeit machen, sogar recht schnell. Es ist nichts Exotisches.

Wir brauchen diese Fähigkeit, wenn wir mit jemandem Austausch haben und plötzlich sehr erregt, gereizt oder nervös sind. Unsere Schultern heben sich, unsere Stimme ist ganz laut und dann erkennen wir: „Fehler! Fehler! Fehlfunktion!“ Dann machen wir einen Neustart. Wir beruhigen uns wieder, senken unsere Schultern und so weiter. Haben wir es einmal gelernt, dauert es nur eine Mikrosekunde und sind wir dann ruhiger, können wir viel entspannter reden. So gehen wir damit um: Wir tun es einfach.

Das ist es, was wir entwickeln, wenn wir erst einmal begonnen haben, mit diesen Geistesfaktoren zu arbeiten und erkennen, dass unsere Stimmung, unser Geisteszustand und all diese Dinge geändert werden können. Wir müssen es nicht kontrollieren. Wir tun es einfach und sind vollkommen dazu in der Lage.

Die nächsten fünf Geistesfaktoren  

Sehen wir uns die nächsten fünf Geistesfaktoren an. 

Interesse

Der erste dieser nächsten fünf Faktoren ist das Interesse oder die Beachtung (tib. mos-pa). Die „Beachtung“ ist kein einfacher Begriff, aber er ist die tatsächliche Übersetzung dieses Wortes. Es ist nicht das tibetische oder Sanskrit-Wort für Interesse, aber es ist gleichbedeutend damit. Bei der Beachtung geht es darum, ein Objekt zu erfassen, das auf einer gewissen Ebene gute Eigenschaften hat. Das ist die Definition. Erkennen wir an, dass etwas auf einer gewissen Ebene gute Eigenschaften hat, bezeichnen wir dieses Objekt als interessant. Wenn etwas interessant ist, haben wir ein Interesse daran und würden ihm Aufmerksamkeit schenken. Sehen wir nicht so viele gute Eigenschaften in ihm, ist es nicht wirklich interessant. Das Interesse ist im Grunde eine Variable, die aussagt, ob wir Qualitäten in etwas erkennen können.

Vielleicht sind wir mit jemandem zusammen, der auf ziemlich langatmige Weise redet, sich ständig wiederholt und so weiter. Wir haben erkannt, dass wir uns langweilen und haben einen Drang, den Raum zu verlassen. Wir haben kein Interesse an dem, was die Person sagt. Das heißt, wir halten das, was sie sagt, nicht für interessant oder qualitativ. Worum geht es uns hier? Geht es uns nur um den Klang ihrer Stimme und die Tatsache, dass sie sich wiederholt, ist es wahrscheinlich nicht sonderlich interessant. Betrachten wir jedoch ihren Gemütszustand und versuchen zu erkennen, was sie eigentlich sagen will, und haben wir noch dazu eine fürsorgliche Haltung gegenüber der Person, erkennen wir die guten Eigenschaften und interessieren uns für sie.

Diese Variable des Interesses steht im Zusammenhang damit, einen bestimmten Aspekt zu erkennen, der Qualitäten hat, die wir als wichtig erachten und für die wir uns interessieren. Das können wir ganz leicht beobachten, wenn wir in ein Geschäft gehen. Vielleicht sehen wir ein schönes Kleid oder eine Jacke und achten auf die Qualität des Materials, den Schnitt, das Design und so weiter. Steht uns jedoch nur eine begrenzte Menge an Geld zur Verfügung, ist das Design für uns nicht ausschlaggebend. Viel interessanter ist dann die Qualität, die wir für den Preis bekommen. Ist der Preis gut oder nicht? Wir sehen dann: „Dies ist im Angebot, und es ist gute Qualität. Das ist wirklich interessant.“ Darum geht es uns und darauf richten wir unsere Aufmerksamkeit. Dass es dieses Kleidungsstück vielleicht nicht in unserer Lieblingsfarbe gibt, können wir akzeptieren.

Um es noch einmal zu wiederholen: das Interesse ist ein Faktor, bei dem es darum geht, was wir für qualitativ und wichtig halten. Dinge sind uns aufgrund vieler Faktoren mehr oder weniger wichtig, wie in unserem Beispiel in Bezug darauf, wie viel Geld wir haben und ob wir modebewusst sind oder nicht. Was wir für wichtig halten, wird durch zahlreiche Dinge beeinflusst. Haben wir zum Beispiel nicht so viel Zeit, um stundenlang herumzusuchen, kaufen wir vielleicht das erste, was wir sehen, wenn es einigermaßen passt. Es ist interessant welche Wahl wir treffen, wenn das Geschäft in fünf Minuten schließt oder wenn wir ausreichend Zeit zum Einkaufen haben. Das ist eine ganz andere Variable, nicht wahr? Was wir als wichtig erachten und wie viel Aufmerksamkeit wir Dingen schenken, hängt also von so vielen Ursachen und Bedingungen ab.

Vergegenwärtigung

Der nächste Faktor wird normalerweise mit Vergegenwärtigung (tib. dran-pa) übersetzt. Hierbei handelt es sich um einen schwierigen Begriff, den ich als geistigen Klebstoff bezeichne. Es ist die geistige Aktivität, an einem Objekt festzuhalten, wenn wir uns mit unserer Aufmerksamkeit darauf fokussieren. Mit der Aufmerksamkeit beschäftigen wir uns mit dem Objekt und mit der Vergegenwärtigung halten wir sie dort und lassen nicht los. Sie hilft uns, nicht loszulassen, während unser Geist natürlich fortwährend abschweift. Es ist die Vergegenwärtigung, mit der wir arbeiten wollen, um bei diesem Objekt zu bleiben und unsere Aufmerksamkeit dort zu halten.

Oft müssen wir wirklich daran arbeiten, unsere Aufmerksamkeit auf dem zu halten, was die Person gerade sagt. Wir benötigen diesen geistigen Klebstoff, um nicht an etwas anderes zu denken, besonders, wenn wir den Drang anderer Gedanken oder Kommentare, wie „das ist wirklich albern“ oder „das ist ziemlich langweilig“ bemerken. Dann gibt es die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit zurückzubringen und schließlich halten wir sie mit der Vergegenwärtigung fest.

Das Spektrum ist recht groß. So kann die Vergegenwärtigung ein sehr beständiges oder ein recht schwaches Festhalten sein. Sie könnte auch zu ausgeprägt sein, als würden wir die Person erdrücken wollen. Auch das ist ein Fehler. Sie muss ausgewogen, also nicht zu ausgeprägt und nicht zu schwach sein.

Der Faktor der Aufmerksamkeit hängt damit zusammen. Worauf richten wir unsere Aufmerksamkeit in Bezug auf diese Art der Vergegenwärtigung? Menschen mit Überempfindlichkeit sind oft sehr aufmerksam. Sie hören ganz genau zu und warten darauf, dass die andere Person etwas sagt, was sie als beleidigend oder verletzend empfinden. Das ist eine äußerst unausgewogene Art der Vergegenwärtigung.

Konzentration 

Als nächstes haben wir den Geistesfaktor der Konzentration (tib. ting-nge-‘dzin). Die Konzentration ist das geistige Fixieren auf das Objekt; anders ausgedrückt bleiben wir bei dem Objekt. Mit der Vergegenwärtigung halten wir an dem Objekt fest und mit der Konzentration bleiben wir beim Objekt. So könnten wir zum Beispiel bei dem Objekt mit unserer Aufmerksamkeit bleiben, aber nur ganz schwach daran festhalten. Das sind zwei verschiedene Variablen.

Hier ein Beispiel, das wir alle kennen: Wir sehen fern oder schauen uns einen Film an, aber nicken ein, obwohl wir das Programm sehen wollen, weil es wirklich interessant ist. Wir versuchen tatsächlich festzuhalten. In diesem Fall ist die Vergegenwärtigung stark, aber wir können nicht dabei bleiben. Die Konzentration ist nicht da und so schlafen wir ständig ein. Hier geht es um zwei verschiedene Variablen, zwei verschiedene Geistesfaktoren.

Unterscheidung 

Der nächste Faktor ist die Unterscheidung oder das unterscheidende Gewahrsein (tib. shes-rab). Die Unterscheidung fügt dem, was wir erkennen, eine Gewissheit hinzu; das ist die Definition. Dieser Begriff wird normalerweise mit Weisheit übersetzt, aber diese Übersetzung kann ziemlich irreführend sein. Wir erkennen ein Merkmal und bestimmen, dass es dies und nicht jenes ist. Mit der Unterscheidung treffen wir maßgeblich eine Wahl zwischen zwei Alternativen. Es ist dies und definitiv nicht jenes. Ich werde dies tun und nicht das. Es ist nützlich und nicht schädlich.

Natürlich können wir vollkommene Gewissheit in Bezug auf etwas haben, uns jedoch völlig irren. Was wir unterscheiden muss nicht unbedingt korrekt sein. So haben wir vielleicht ein Gespräch mit jemandem, und stellen den Ton seiner Stimme, seinen Gesichtsausdruck und so weiter, fest. Es besteht eine Gewissheit diesbezüglich; wir sind uns gewiss, dass er verärgert ist. Wir sind überzeugt, dass er emotional aufgewühlt ist, aber es könnten auch einfach nur Kopf- oder Bauchschmerzen, also eine rein körperliche Sache, sein und gar nichts Emotionales. Was noch schlimmer ist: wir könnten meinen, er würde sich wegen uns, wegen etwas, was wir getan haben, ärgern. In Wahrheit ist er jedoch wütend auf etwas ganz anderes. Vielleicht hat er im Laufe des Tages ein Glas fallen lassen, das Glas ist zerbrochen, und er ärgert sich darüber. Es hat also gar nichts mit uns zu tun. 

Um jedoch zu wissen und zu entscheiden, was zu tun ist, wie wir erwidern sollen und um zu interpretieren, was wir wahrnehmen, haben wir dieses unterscheidende Gewahrsein. Es fügt unserem Erkennen eine Gewissheit hinzu. Das passiert ständig und das ist schon ziemlich bemerkenswert. Wir betrachten diese farbigen Formen an der Wand und erkennen sie, indem wir eine bestimmte Gruppe von farbigen Formen zusammenfügen und sie konzeptuell der Kategorie „Tür“ zuordnen. Wir sind uns ziemlich sicher, dass es sich um eine Tür handelt und laufen hindurch. Wir können uns auch irren und gegen eine Wand laufen! Es ist schon erstaunlich, dass wir diese Gewissheit haben müssen, um durch die Tür gehen zu können. Sollten wir dies als Weisheit bezeichnen? Sogar eine Kuh ist dazu in der Lage. Sie kann durch die Stalltür laufen und rennt nicht gegen die Wand.

Teilnehmer: Manchmal handelt es sich um eine Glaswand.

Wenn es Glas wäre, hätte die Kuh, obwohl sie die Wand und die Öffnung im Stall mit Gewissheit nichtkonzeptuell auseinanderhalten könnte, vielleicht nicht das korrekte begriffliche Bezugssystem, um das, was sie sieht, zuzuordnen, wie ein Vogel, der gegen eine Fensterscheibe fliegt. Beiden haben kein Konzept von einer Fensterscheibe. In dem Fall handelt es sich dann um fehlerhafte Unterscheidung und Betrachtung. Ihre Gewissheit, dass es sich um einen offenen Raum handelt, ist fehlerhaft und sie halten es fälschlicherweise für eine Öffnung. Manchmal passiert uns das mit dem Glas auch.

Absicht 

Der letzte Faktor dieser fünf ist die Absicht (tib. ‘dun-pa). Die Absicht ist der Wunsch oder Vorsatz eine bestimmte Handlung gegenüber oder mit einem spezifischen Objekt auszuführen. Ein Drang treibt uns jedoch an sie zu begehen, nicht die Absicht selbst. Die Absicht könnte beispielsweise der Wunsch sein, ein bestimmtes Objekt zu besitzen. Wir haben das Objekt von anderen auseinandergehalten und unterschieden, sodass wir nun sicher sind, dass es das ist, was wir haben wollen. Es gibt die Absicht, es zu haben, etwas mit ihm zu tun oder ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Wir erkennen ein bestimmtes körperliches Gefühl. Wir unterscheiden es mit Gewissheit und ordnen es der korrekten konzeptuellen Kategorie dessen zu, was es ist. Nehmen wir einmal an, es handelt sich um Hunger. Was folgt ist die Absicht, ein Ziel zu erreichen, wie zu dem Kühlschrank zu gehen, die Tür zu öffnen und etwas zum Essen herauszunehmen. Das ist ganz einfach und es geschieht ständig.

Wie diese zehn Faktoren im Umgang mit uns selbst und anderen zum Einsatz kommen 

All diese Geistesfaktoren sind an unseren Interaktionen mit andern und wie wir mit uns selbst umgehen beteiligt. Wir müssen in der Lage sein zu erkennen, wie wir uns fühlen und unterscheiden können, um was es sich tatsächlich handelt. Wir brauchen Gewissheit und die Absicht, wie wir damit umgehen werden.

All die körperlichen Empfindungen, die wir erfahren, das Spüren des Stuhls unter uns, der Kleidung auf unserer Haut, die Temperatur im Raum - in all dem nehmen wir wahr, dass unsere Schultern nach oben gezogen sind. Wir erkennen, dass unsere Schultern oben sind. Das ist eine körperliche Empfindung. In den Schultern gibt es eine Anspannung. Als nächstes fügen wir dem Ganzen eine Gewissheit hinzu, dass die Muskeln in unseren Schultern angespannt sind und wir die Schultern nach oben ziehen. Daraus folgend kommt die Absicht, sie fallen zu lassen und zu entspannen. 

Die Arbeit mit diesen Geistesfaktoren ist sehr nützlich. Worauf werden wir achten? Was halten wir für interessant? Es ist interessant, was unsere Muskeln tun und wie es sich anfühlt, wenn unsere Muskeln Stress ausgesetzt sind. Warum ist es interessant? Es handelt sich um eine Eigenschaft, die wichtig ist, weil wir uns dadurch gestresst fühlen. Daher lassen wir sie nach unten fallen.

Wiederholen wir noch einmal unsere zweite Gruppe der fünf Geistesfaktoren: Interesse, Vergegenwärtigung, Konzentration, Unterscheidung und Absicht. Das sind dann insgesamt zehn.

Abschließende Bemerkungen 

In unserer nächsten Sitzung werden wir Fragen in Bezug auf diese Faktoren beantworten. Das ist immer die beste Weise, eine neue Sitzung nach dem Mittagessen zu beginnen, weil alle, einschließlich mir, müde sind und es somit etwas interessanter wird. Was ist an diesen Geistesfaktoren interessant? Welches sind die guten Eigenschaften? Das gibt dann den Zuhörern eine Möglichkeit etwas zu sagen und teilzunehmen. Ich bin gespannt darauf und freue mich zu hören, was andere dazu denken. Es ist eine gute Eigenschaft sich dafür zu interessieren, was andere Leute denken, was sie zu sagen und welche Antworten sie haben. Auf diese Weise werden wir uns etwas mehr den Fragen und Antworten und nicht so sehr der Müdigkeit zuwenden, die wir nach dem Essen haben, besonders wenn es warm ist, wie an so einem sonnigen Sommertag.

Diese Geistesfaktoren sind mit jedem einzelnen Augenblick unserer Erfahrung verbunden und wenn wir uns ihrer bewusst sind, könnten wir Situationen auf eine Weise gestalten, welche die Erfahrung optimieren würde. Obwohl es sich so anfühlen mag, als gäbe es ein getrenntes „Ich“ in unserem Kopf, das sich überlegt, wie man das Interesse der Leute an einem heißen Tag nach dem Mittagessen hochhalten kann, ist es nicht so. Es gibt nur den Denkprozess, der stattfindet. Gedanken kommen hoch, was man machen und wie man mit Dingen umgehen könnte. Entscheidungen werden getroffen und wir führen sie einfach aus. Es ist nicht so, dass es ein getrenntes „Ich“ gibt, das nichts damit zu tun hat hier zu sein und diese Vorlesung zu geben, und dann entscheidet, auf diese oder jene Weise zu handeln. Obwohl es sich so anfühlen mag, ist es trügerisch. 

Lasst uns hier aufhören und dann in der nächsten Sitzung weitermachen.

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