Sitzung vier, Tag zwei: Geschichte der Vinaya-Übertragungslinien
Bhikkhu Sujato, Abt des Santo Forest Klosters, Sydney, Australien
„Der Ursprung der drei vorhandenen Vinaya-Übertragungslinien: Theravada, Dharmaguptakaka und Mulasarvastivada“
Indische Ordinations-Übertragungslinien entstanden nicht auf Grund einer formalen Spaltung im Sangha, was trotz einer gegenteiligen Darstellung in der frühesten Chronik von Sri Lanka, „Die große Chronik“ (Pali: Dipavamsa), von konservativen Theravadins vertreten wird. Überdies gab es nie einen Mahayana-Vinaya oder Ordinations-Übertragungslinien. Die Ordinations-Übertragungslinien stammten entweder aus dem Theravada oder waren eng mit ihm verbunden, und sie entwickelten sich durch die geografische Streuung. Der Theravada leitet sich aus der Mission des Sohns und der Tochter des Herrschers Ashoka, Mahinda und Sanghamitta, in Sri Lanka ab. Der Dharmaguptaka stammte gemäß des österreichischen Gelehrten Erich Frauwallner aus der Mission des griechischen Mönchs Yonaka Dhammarakkhita, die er gemeinsam mit dem Bruder von Ashoka, Tissa, vornahm, welcher als Dolmetscher in Baktrien, nordwestlich von Indien, fungierte. Die Dharmaguptaka-Belehrungen sind den Unterweisungen des Theravada sehr ähnlich und können als der nordwestliche Zweig des Theravada bezeichnet werden. Zwar entstand der Mulasarvastivada erst zu Anfang des 8. Jh. n.u.Z., nichtsdestotrotz war nach Frauwallner sein Sitz Mathura. Passagen, die diese Schule mit Kaschmir in Verbindung bringen, sind spätere Einfügungen. Mathura war für die Theravadins und Dharmaguptakas ein Gebiet für Meditations-Retreats. Obwohl die Lehren des Mulasarvastivada ziemlich unterschiedlich sind, lebten die drei Vinaya-Gemeinschaften in Mathura friedlich nebeneinander. Basierend auf der Nähe der drei Vinaya-Übertragungslinien sollte diese Harmonie in der heutigen Zeit fortgesetzt und Unterschiede in der Ordinations-Vorgehensweise als nicht so wesentlich erachtet werden.
Dr. Hema Goonatilake, Präsidentin des Zentrums für buddhistische Quellen, frühere Universität von Kelaniya, Sri Lanka
„Die ununterbrochene Übertragungslinie des singhalesischen Bhikkhuni-Sangha zwischen dem 3. und 11. Jahrhundert“
Die Bhikkhuni-Ordination, die von Sanghamitta, der Tochter des Herrscher Ashokas eingeführt wurde, bestand in Sri Lanka ungebrochen bis 1017 n.u.Z. Somit verfügten die Bhikkhunis aus Sri Lanka, die an der Dualen-Sangha-Ordination von Bhikkhunis für chinesische Nonnen in Nanjing im Jahr 433 n.u.Z. teilnahmen, über eine ununterbrochene Übertragungslinie. Zuvor wurden chinesische Bhikkhunis durch einen Einzel-Sangha, der nur aus Dharmaguptaka-Bhikkhus bestand, ordiniert.
Genauso wie es in den vier Hauptklöstern in Sri Lanka vier Theravada-Vinaya-Übertragungslinien gab, wurden die Bhikkhu-Gelübde jeweils etwas unterschiedlich interpretiert, auch kam es vermutlich zu geringfügigen Abweichungen innerhalb der verschiedene Bhikkhuni-Übertragungslinien. Obwohl die Wiederbelebung der Theravada-Bhikkhuni-Ordinations-Übertragungslinie in Sri Lanka die Wiederordination der Bhikkhunis vom Dharmaguptaka zum Theravada zur Folge hatte – in Übereinstimmung mit dem Dalhikamma-stärkenden Verfahren, welchem die vier Theravada-Bhikkhu-Sanghas folgten- wäre es wünschenswert, die Mulasarvastivada-Bhikshuni-Ordination durch ein Einzel-Sangha-Verfahren wieder einzuführen.
Prof. Dr. Le Manh That, Vietnamesische buddhistische Universität, Ho Chi Minh Stadt, Vietnam
„Zur Geschichte des buddhistischen Nonnenordens in Vietnam“
Die historischen Berichte über die vietnamesischen Bhikshunis sind nur lückenhaft, über viele Zeitphasen der Geschichte ist wenig bekannt. Der früheste Hinweis ist im 2. Jh. n.u.Z. zu finden. Im Laufe der Geschichte waren Frauen, die in Vietnam ordiniert wurden, vor allem aus der Oberschicht und hatten bereits ein Familienleben geführt, bevor sie Nonnen wurden.
Roseanne Freese, amerikanisches Ministerium für Landwirtschaft, Dienst für ausländische Landwirtschaft
„Die erste Bhikshuni-Ordination in Ostasien: Einem neuen Lebensstil ans Licht verhelfen“
Die Vinaya-Texte sowohl für Mönche als auch für Nonnen wurden zur selben Zeit nach China gebracht. Die Bhikshu- und Bhikshuni-Ordination wurde jedoch bereits davor auf der Grundlage von Handbüchern, die in China zusammengestellt wurden, durchgeführt. 375 n.u.Z. wurden die ersten chinesischen Bhikshunis mittels der Einzel-Sangha-Methode nach dem neu übersetzten Mahasanghika-Bhikshuni-Vinaya ordiniert. Die Gültigkeit dieser Ordination wurde zu dieser Zeit von Dao Chang dennoch angezweifelt.
382 n.u.Z. war die vollständige Übersetzung des Tripitaka ins Chinesische abgeschlossen, nahezu 300 Jahre später als die Ankunft des Buddhismus in China. Danach waren die vollständigen Dharmaguptaka-Vinaya-Texte im Chinesischen zugänglich. Auf Grund der Ankunft von Bhikshunis aus Sri Lanka und der dualen-Sangha-Dharmaguptaka-Bhikshuni-Ordination von 300 chinesischen Frauen 434 n.u.Z., die sie und chinesische Dharmaguptaka-Bhikshus abhielten, gab es keine weiteren Zweifel an der Gültigkeit der Ordination.
Prof. Dr. Yu-chen Yi, Nationale Tsing Hua Universität, Hsinchu, Taiwan
„Das Ordinations-System im späten kaiserlichen China“
Während der sechsten dynastischen Periode (317-589 n.u.Z.) stand der buddhistische Sangha in China unter kaiserlichem Schutz. Während der Sui- und Tang-Dynastien (581-901 n.u.Z.) entwickelte die zentrale Regierung eine bürokratische Struktur, um die Mönche und Nonnen zu registrieren und die monastischen Angelegenheiten zu überwachen. So stellte die Regierung Ordinations-Zertifikate (Chin. dudie) an Mönche und Nonnen nach einer nationalen Sutra-Prüfung aus, und sie erhielten dann die vollständige Ordination. Diese Zertifikate ermöglichte es den Besitzern, Land zu bestellen und so wurden diese Ordinations-Zertifikate bald zu einer Art Geldersatz.
Während der fünften Dynastie und der Song-Periode (907-1206 n.u.Z.) errichtete die Regierung nationale Ordinations-Foren und verlangten den kostspieligen Ankauf von drei Ordinations-Zertifikaten für Mönche und Nonnen. Die Regierung führte auch drei getrennte Ordinations-Foren ein, um dort die Novizenordination, die vollständige Ordination und die Bodhisattva-Gelübde zu gewähren. Während der Yuan-Dynastie (1206-1368 n.u.Z.) führten die mongolischen Herrscher das Abbrennen von drei bis zwölf Räucherstäbchen auf den Köpfen von han-chinesischen Bhikshus und Bhikshunis ein, um sie von den nicht-han-chinesischen Ordinierten unterscheiden zu können.
Während der Ming-Dynastie (1368-1644 n.u.Z.) wurde von allen Bhikshu- und Bikshuni-Kandidaten gefordert, teure Ordinations-Zertifikate zu kaufen. Während der Qing-Dynastie (1644-1911 n.u.Z.) schaffte der Staat den Verkauf von Ordinations-Zertifikaten ab und dezentralisierte das Ordinations-System. Nichtsdestotrotz erhielt sich der Staat einen gewissen Standard der Kontrolle durch ein amtliches Ordinationsritual. Örtliche Klöster errichteten Ordinations-Foren und erhöhten den Preis der Ordination, die sie selbst erteilten. Frauen unter vierzig Jahren war es nicht gestattet die Ordination zu erhalten. Die Nonnen mussten offiziell registriert werden, was sich als nützlich erwies, um sie sie und ihre Rechte zu beschützen.
Von allen chinesischen Bräuchen wäre die Aufzeichnung amtlicher Ordinations-Berichte zukünftig für die Tibeter hilfreich.
Dr. Hyangsoon Yi, Universität Georgia, Athens, Georgia, USA
„Wechselfälle im Orden buddhistischer Nonnen während des Choson-Korea“
Die duale-Dharmaguptaka-Bhikshuni-Ordination wurde im Paekche- (Baekje-) Königreich von Korea (18 v.u.Z. – 660 n.u.Z.) mindestens 588 n.u.Z. eingeführt als dort die ersten japanischen Bhikshunis mittels dieses Verfahrens ordiniert wurden. Es ist kein historisches Material für das Silla-Königtum (57 v.u.Z. – 935 n.u.Z.) und das Koguyo (Goguryeo) Königtum (37 v.u.Z. – 668 n.u.Z.) vorhanden. Während der Koryo- (Goryeo-) Dynastie (918 – 1392 n.u.Z.) war der Buddhismus Staatsreligion, und es kann daraus gefolgert werden, dass sich das duale-Sangha-Ordinations-Verfahren für Bhikshunis während dieser Zeit erhalten hat. Während der Choson- (Joseon-) Dynastie (1392-1910 n.u.Z.) wurde der Buddhismus durch den starken Einfluss des Konfuzianismus ernsthaft beschränkt. Den Bhikshus war verboten, die Hauptstadt zu betreten, und sie mussten für die Ordination bezahlen. Nur Witwen mit verheirateten Kindern, die die dreijährige Trauerperiode abgeschlossen hatten, war es gestattet, Nonnen zu werden. Unverheirateten Frauen war es nicht erlaubt, ordiniert zu werden und Frauen allgemein war es verboten, Tempel zu besuchen. Die Bhikshuni-Ordination setzte sich fort, wurde aber vermutlich durch eine einzel-Sangha-Methode ohne die vorherige Shikshamana-Phase durchgeführt. Die Beziehung zwischen den Lehrern der Nonnen sowie der Schülerinnen war vom konfuzianischen Respekt wie er den Eltern entgegengebracht wird, geprägt.
Prof. Dr. David Jackson, Kurator des Rubin-Museums für Kunst, New York, New York, USA; früher Universität von Hamburg, Deutschland
„Strategien zur Erhaltung der gefährdeten Ordinations-Traditionen in der Sakya Schule“
Die Sakya-Tradition des tibetischen Buddhismus hält zwei unterschiedliche Mulasarvastivada-Ordinations-Übertragungslinien durch den kaschmirischen Abt Shakyashribhadra (1140 – 1225 n.u.Z.) aufrecht. Eine Übertragungslinie verbreitete sich letztlich zu den vier monastischen Gemeinschaften der Sakya, die andere Übertragungslinie wurde von Sakya-Pandita weitergegeben. Manchmal war die eine oder andere Unter-Übertragungslinie seltener zu finden. Um sie zu erhalten, gaben Bhikshus ihre alte Ordination auf und nahmen eine neue Ordination in der seltenen Übertragungslinie wie im Fall des Sakya-Meisters Mangto Ludrub-Gyatso (tib. Mang-thos Klu-sgrub rgya-mtsho) im späten 16. Jh., an. Dies befand sich im Widerspruch zu dem Theravada-Dalhidhamma-stärkenden-Verfahren, welches eine zweite Bhikshu-Ordination erlaubt, ohne die frühere Ordination aufzugeben. In einigen Fällen drückten die Sakya-Meister ein Auge zu, um eine Übertragungslinie unter schwierigen Umständen zu erhalten, z.B. wurden statt fünf Bhikshus lediglich vier bei dem Ordinations-Verfahren eingesetzt. So wie diese Ordination allgemein akzeptiert wurde, so braucht es auch Flexibilität in Bezug auf die Mulasarvastivada-Bhikshuni-Ordination.
Prof. Dr. Jan-Ulrich Sobisch, Universität Kopenhagen, Dänemark
„Bhikshuni-Ordination: Überlieferungslinien und Ordinationsabläufe als Instrumente der Macht"
Da der Buddha die Ordinationsabläufe selbst mehrere Male geändert hat, ohne dass dies die vorhergehenden Ordinationen ungültig gemacht hätte, macht die bloße Tatsache, dass Ordinationen in Übereinstimmung mit dem durchführt wurden, was zuvor als Regel festgelegt wurde, diese Ordinationen zu richtig durchgeführten. Mit anderen Worten: Wenn die Vorschrift autoritativ geändert wurde, ist der neue Ordinationsablauf genauso korrekt wie der vorherige.
Da die Überlieferungslinien der vollen Mönchsgelübde nicht ohne Lücke in ihrem indischen Teil zurückverfolgt werden kann – zu wenig Linienhalter erscheinen in der Überlieferungslinie, um überzeugend ein ganzes Millennium zu überbrücken – ist die Tatsache, dass die Mönche von den Nonnen eine solche Rückverfolgung verlangen entweder Ausdruck des eigenen Unwissens über den Stand der Dinge in Bezug auf den Beginn ihrer eigenen Überlieferungslinie oder lediglich eine aus einer Machtposition heraus resultierende unfaire Forderung. Es wäre ehrlicher, die Gültigkeit der Ordination einem Ablauf zugrunde zulegen, der autonom und autoritativ von einem bestehenden Sangha festgelegt wird, da dieser Vorgang genau das ist, was sich in den männlichen Sanghas anscheinend viele Male ereignet hat.