Siebenteiliges Bodhichitta: Gleichmut

Rückblick 

Heute ist der zweite Teil unserer siebenteiligen Meditation über Ursache und Wirkung zum Hervorbringen von Bodhichitta. Gestern haben wir uns als Einführung einige Faktoren angesehen, die mit dem Hervorbringen der Bodhichitta-Ausrichtung verbunden sind. Wir haben uns in erster Linie auf das konventionelle oder relative Bodhichitta konzentriert, mit dem wir uns auf unsere individuelle Erleuchtung richten, die noch nicht stattgefunden hat, die aber auf der Basis unserer Faktoren der Buddha-Natur stattfinden kann. 

Wir haben uns einige der Merkmale angesehen, die Bodhichitta so tiefgründig und wichtig machen, weswegen es von großen Meistern in hohem Maße als außergewöhnlichstes Juwel gepriesen wird. Es ist nicht notwendig alles zu wiederholen, was ich gestern gesagt habe, aber es ist wirklich wichtig, ein gutes Verständnis davon zu haben, was Bodhichitta ist, sowie es zu respektieren und nicht für geringfügig zu halten. Außerdem ist es wichtig zu verstehen, dass wir viel Arbeit hineinstecken müssen, wenn wir es wirklich tiefgehend und ernsthaft entwickeln wollen. Aus diesem Grund ist es auf der fortgeschrittenen Ebene der Motivation zu finden und ist nicht etwas, mit dem wir beginnen.

Bodhichitta ist nicht Teil der anfänglichen Ebene der Motivation, obwohl man diesen Eindruck bekommen kann, wenn man sich die vielen Gliederungen des Lam-rim ansieht, in denen Zuflucht und Bodhichitta gleich zu Beginn der vorbereitenden Übungen vorzufinden sind. Gleich zu Beginn damit konfrontiert zu werden, setzt offenbar voraus, dass wir über diese Dinge bereits verfügen. Es ist notwendig den Kontext zu verstehen, in welchen diese Lam-rim-Lehren gegeben werden, die man in den großen Werken finden kann. Sie sind für Menschen gedacht, die bereits dieses ganze Material durchgegangen sind und es lediglich in Vorbereitung auf das Empfangen einer Art der tantrischen Initiation erneut wiederholen. Das ist der eigentliche Kontext des Lam-rim chen-mo, Pabongkas Präsentation etc. 

In vielen Texten geht es, was die Struktur des Lam-rim betrifft, schon zu Beginn um die Beziehung zum spirituellen Lehrer, sowie darum, sich auf ihn als die Wurzel des Pfades zu stützen. Wenn ich jedoch Lehren über die Beziehung zum spirituellen Lehrer gebe, betone ich stets, dass die Wurzel nicht der Same des Pfades ist. Die Wurzel ist dort, wo bereits eine Pflanze wächst, und das, wodurch man genährt wird. Der spirituelle Lehrer ist somit jemand, der uns inspiriert, und nicht das, womit wir tatsächlich beginnen.

Ich habe mir eine interessante alte Kadampa-Darstellung des Stufenpfades von einem Kadampa-Meister namens Sangwayjin angesehen, der ein Vorreiter von Tsongkhapas Lam-rim war und auf den Tsongkhapa im Grunde sein Lam-rim chen-mo aufgebaut hat. Dort wird es, zu meiner Freude, noch etwas deutlicher dargestellt. Laut ihm besteht die Basis, mit der wir den Pfad antreten, darin, einen zuversichtlichen Glauben in die Drei Juwelen zu haben, sowie Vertrauen in den Wert der Praxis und so weiter. Damit fangen wir an – also zunächst mit dem Wunsch, etwas verbessern zu wollen. Dann geht es weiter mit Wissen über den Dharma und Vertrauen darin, dass der Pfad ein hilfreicher und gültiger sein wird. Damit beginnen wir und das ist die Basis des Pfades. Die Wurzel – also das, was uns nährt – ist dann der spirituelle Lehrer.

Wie dem auch sei, die Bodhichitta-Lehren werden im Lam-rim erst auf einer sehr fortgeschrittenen Ebene vorgestellt. Wollen wir also die verschiedenen Methoden praktizieren – und da gibt es zwei Methoden zum Entwickeln der Bodhichitta-Ausrichtung: die siebenteilige Meditation über Ursache und Wirkung sowie jene des Gleichsetzens und Austauschens unserer Einstellung uns selbst und anderen gegenüber – müssen wir die Tatsache akzeptieren, dass wir zunächst auf den anfänglichen und mittleren Ebenen der Lehren und Schulungen eine gewisse Stabilität gewinnen müssen. 

Gleichmut 

Es ist recht interessant, wie die siebenteilige Meditation über Ursache und Wirkung aufgebaut ist. In der USA werden die Etagen eines Gebäudes normalerweise so nummeriert, dass sie mit der ersten Etage beginnen. Nun, hier in Seattle macht man es wie in Europa, wo es ein Erdgeschoss gibt, über dem es dann mit Etage eins, zwei und drei weitergeht. Die Lehren dieser siebenteiligen Meditation sind ebenso angeordnet: es gibt eine Basis-Ebene, die vor der ersten Stufe kommt. Diese Basis-Ebene ist der Gleichmut.

Der Gleichmut, um den es hier geht, ist jener, den man auch als so genannter Hinayana-Praktizierender entwickelt, was bedeutet, dass er im Einklang mit den anfänglichen und mittleren Ebenen der Motivation steht. Es ist notwendig, diesen Punkt zu verstehen und ernstzunehmen. Was ist das Ziel dieser Praxis des Gleichmuts? Es besteht darin, Anziehung, Ablehnung oder Abneigung und Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen zu überwinden, wobei sich „andere“ eigentlich nicht nur auf Menschen, sondern auf alle fühlenden Wesen bezieht.

Da ich mir nicht so sicher bin, ob der Begriff „fühlende Wesen“ so gut ist, ziehe ich es vor, von „begrenzten Wesen“ (engl. „limited beings“) zu reden, was sich leider in manchen Sprachen so anhört, als ginge es um „behinderte Wesen“. Der Begriff ist nicht einfach zu übersetzen. Es geht hier um zwei Begriffe: zum einen um „semchen“ (tib. sems-can) und zum anderen um „luchen“ (tib. lus-can). „Semchen“ ist jemand, der einen „Sem“ (tib. sems), einen begrenzten Geist, hat. Ein Buddha hat keinen „sem“, keinen begrenzten Geist. Häufig halten Menschen die Buddhas für fühlende Wesen, aber sie gehören nicht zu dieser Gruppe. Die Wesen mit einem begrenzten Geist sind jene, denen wir helfen wollen, Erleuchtung oder Befreiung zu erlangen. „Luchen“ ist ein Wesen mit einem begrenzten Körper. Ein Buddha besitzt nicht diese Art von „lu“ (tib. lus), oder Körper. Für den Körper eines Buddhas gibt es ein anderes Wort.

Im Grunde wollen wir das Bevorzugen überwinden – also sich zu manchen hingezogen und von anderen abgestoßen zu fühlen, sowie gegenüber anderen gleichgültig zu sein. Das umfasst alle begrenzten Wesen in all den verschiedenen Lebensformen. Das führt uns dann natürlich zu der Frage, ob diese anderen Bereiche tatsächlich existieren oder nicht, was nicht einfach zu beantworten ist. Vielleicht sollte ich etwas dazu sagen. Aber um meinen Gedanken abzuschließen: der eigentliche Kontext, in dem wir Gleichmut erlangen, besteht darin, störende Emotionen gegenüber anderen zu überwinden. Darum geht es bei dieser Art des Gleichmutes. Es gibt auch eine andere Art, die sich mit dem Gleichsetzen unserer Einstellung gegenüber anderen befasst. Das ist diese Mahayana-Weise des Entwickelns von Gleichmut. Sie hat etwas damit zu tun, niemanden zu favorisieren, wenn wir unsere Liebe und unser Mitgefühl auf andere richten, also nicht manche näher als andere zu sehen.

Hier ist der Fokus jedoch, störende Emotionen gegenüber anderen zu überwinden. Das bedeutet, dass es im Grunde notwendig ist, die Motivation der mittleren Ebene zu betonen, also den Wunsch, sich selbst aus Samsara zu befreien.

Wir wollen also diese störenden Emotionen loswerden – aber darauf werde ich noch zurückkommen. 

Andere Bereiche der Existenz anerkennen 

Lasst mich nur ein paar Worte über diese verschiedenen Bereiche sagen, denn ich denke, viele Menschen haben Schwierigkeiten damit, zu glauben, dass sie existieren. Ich denke darüber im Sinne von einem Gefühl des Glücklichseins und des Unglücklichsein, wobei ich dies nicht von meinen Lehrern oder anderen gehört, sondern es nur selbst so analysiert habe. Sprechen wir über das Reifen von Karma, reden wir davon, dass Karma unter anderem zu Glück und Leid heranreift; das ist die allgemeine Auffassung. Ist die Rede von Glück, geht es um unser samsarisches Glück, welches nicht andauert. Es könnte ein körperliches oder ein geistiges Gefühl von Glück sein und es kann alle möglichen anderen Sinnesempfindungen begleiten.

Betrachten wir dann beispielsweise den Bereich unserer Sinneswahrnehmungen, die wir als Menschen haben, so sind sie wegen unserer begrenzten Hardware, unseres Körpers, ziemlich eingeschränkt. Nehmen wir einmal den Bereich des Sehens: Wir sind weder in der Lage, ultraviolettes oder infrarotes Licht, noch irgendetwas in der Dunkelheit zu sehen. Manche Tiere können im Dunkeln viel besser sehen als wir. Hunde können Geräusche höherer Frequenzen wahrnehmen und sind auch in der Lage, sehr viel besser zu riechen als wir. Aus diesem Gedankengang können wir schlussfolgern: nur weil bestimmte Teile eines Spektrums der Sinneswahrnehmung nicht durch die menschlichen Sinne erfahren werden können, heißt dies nicht, dass sie gar nicht durch geistige Aktivität erkannt werden können. 

Freude und Schmerzen sind nicht dasselbe wie Glücklichsein und Unglücklichsein; es sind körperliche Empfindungen. Glücklichsein und Unglücklichsein sind Geistesfaktoren, welche diese Empfindungen begleiten. Normalerweise reden wir hinsichtlich dieser verschiedenen Bereiche von Freuden und Schmerzen, die dort erfahren werden, obwohl es eigentlich um das Glücklichsein und das Unglücklichsein geht, welche in diesen Bereichen als hauptsächliches Resultat von Karma erlebt werden. Beziehen wir uns dennoch auf Freuden und Schmerzen, können wir sehen, dass der menschliche Körper nur ein gewisses Maß daran erfahren kann. Wird der Schmerz zu stark, werden wir ohnmächtig. Vielleicht stehen wir erst einmal unter Schock und dann fährt der Körper runter.

Das gleiche gilt für die Freude. Ist sie zu intensiv, kommt es ganz automatisch und fast unfreiwillig zu einem Mechanismus, der dieses Glück zerstört und beendet. Das kann man an der sexuellen Freude sehen: Wir eilen auf den Orgasmus zu, der die Intensität der Freude zu einem Ende kommen lässt, was bei Männern der Fall ist. Dann gibt es das Beispiel des Juckreizes, das ich liebe. Habt ihr jemals darüber nachgedacht, was ein Juckreiz ist? Er ist eine intensive Freude, denn er tut nicht weh, sondern ist genussvoll. Er ist jedoch zu intensiv und daher sind wir gezwungen, uns zu kratzen, um ihn zu beenden.

Das ist übrigens der Schlüssel, um mit chronischem Juckreiz fertigzuwerden. Ich hatte vor einiger Zeit so etwas und es dauerte vier oder fünf Jahre an. Ich spürte ihn ganz intensiv in meinem Nacken und auf der Kopfhaut und manchmal juckt es noch immer. Der einzig Weg, damit zurechtzukommen, bestand darin, sich zu entspannen und die Freude des Juckreizes zu genießen. Kein Arzt hatte eine Behandlung dafür oder eine Idee, was es war, und dies war die einzige Möglichkeit; und es war gar nicht leicht. Die Wesensnatur eines Juckreizes ist jedoch die Freude.

Weil unser Körper begrenzt ist, können wir nur einen bestimmten Bereich innerhalb des Spektrums von Freude und Schmerzen, sowie Glücklichsein und Unglücklichsein, erfahren. Sind wir zu unglücklich, begehen wir Selbstmord und in vielfacher Hinsicht tun wir es auch, wenn wir zu glücklich sind, weil alles vollkommen öde ist. Es gibt also keinen logischen Grund dafür, warum es keine physische Grundlage geben sollte, auf der wir andere Bereiche erfahren könnten. Jede geistige Aktivität ist, ganz allgemein gesagt, in der Lage, den gesamten Bereich oder das Spektrum von Sinnesempfindungen mit all den verschiedenen Arten von Sinnen zu erfahren und somit das gesamte Spektrum von Freude und Schmerzen, sowie dem dazugehörigen Glück und Leid, zu erleben. Es so zu betrachten, hilft mir, etwas mehr mit der Vorstellung der Existenz dieser anderen Lebensformen anfangen zu können.

Wir sprechen hier über unsere eigenen individuellen geistigen Kontinua und darüber, was sie erfahren können. Man bräuchte natürlich die dementsprechende Hardware, den passenden Körper mit den jeweiligen Sinnesorganen, um mehr auf der einen oder anderen Seite der verschiedenen Bereiche wahrzunehmen, die mit diesen Sinnen verbunden sind. So zu denken, kann meiner Meinung nach hilfreich sein, etwas mehr mit diesen verschiedenen Lebensformen anfangen zu können.

Ich glaube, gegenüber der Tradition wäre es vollkommen unfair, diese verschiedenen Lebensformen auf die psychologischen Zustände innerhalb des Menschenbereiches zu begrenzen. Von den Lehren über Karma können wir sagen, dass es Überreste aus vergangenen Leben in jedem der verschiedenen Bereiche gibt und daher sehen wir in diesem Leben einige Spuren davon. Diese Meinung vertritt man jedoch nicht in allen Lehren über diese anderen Bereiche.

Ich denke, dieser Punkt ist von besonderer Bedeutung, wenn wir über Gleichmut, Mitgefühl sowie darüber reden, allen helfen zu wollen, um Erleuchtung zu erlangen. Wir wollen nicht, dass unsere Auffassung in Bezug auf alle Wesen eine exklusive ist. Vielmehr sehen wir sie als geistige Kontinua, also individuelle geistige Kontinua, welche in ihrer Anzahl begrenzt sind, von denen es aber unglaublich viele gibt, und die weder Anfang noch Ende haben. Es sind unzählig viele, aber ihre Anzahl ist begrenzt und somit werden keine neuen erschaffen. Würden wir so denken, müssten wir uns damit beschäftigen, wer sie erschafft und woher sie eigentlich kommen. Dieses Konzept eines Schöpfer gibt es im Buddhismus nicht. 

Entsagung entwickeln 

Wir denken an alle individuellen Wesen – begrenzte Wesen mit einem begrenzten Geist, begrenzten geistigen Aktivitäten und begrenzten Körpern, welche diese Aktivität unterstützen – und wir wollen Gleichmut gegenüber ihnen entwickeln. Dafür gibt es eine Standard-Methode, aber ich möchte mich nicht nur mit ihr befassen, denn dann wären wir in fünf Minuten fertig. Damit diese Methode funktionieren kann – was soviel bedeutet, wie, keine Anhaftung, Abneigung oder Gleichgültigkeit gegenüber allen individuellen Wesen zu haben – muss sie im Kontext der Schulung der mittleren Ebene verstanden werden. Auf der mittleren Ebene der Schulung wird Entsagung betont. Was ist Entsagung?

Die wörtliche Übersetzung des Wortes für „Entsagung“ ist „Entschlossenheit“. Hier handelt es sich um das Wort „nay-jung“ (tib. nges-'byung), also „bestimmt“ (tib. nges), gewiss oder entschlossen zu sein. Worauf bezieht sich unsere Entschlossenheit? Wir sind entschlossen, uns von Samsara zu befreien. Wir sind entschlossen, Befreiung zu erlangen und Samsara zu entkommen. Hier gibt es zwei Richtungen: etwas zu erreichen, also Befreiung, und etwas zu beseitigen, also Samsara.

Um es ganz einfach auszudrücken, wollen wir bestimmte Sachen aufgeben. Jedoch reden wir nicht davon, Objekte oder Dinge aufzugeben, sondern vielmehr ist hier die Rede davon, die Weise aufzugeben, wie wir Dinge erleben. Der Buddhismus handelt schließlich davon, dass es wegen der Weise, wie wir Dinge erleben, Leiden und Ursachen für diese Leiden gibt. Wir wollen in der Lage sein, Dinge ohne Leid zu erleben, also ohne das Schaffen von Ursachen des Leidens. Stattdessen wollen wir Dinge mit einem Verständnis erfahren, welches dann zu Mitgefühl usw. führt.

Das bedeutet nicht, die Dinge, die wir erleben, würden objektiv dort draußen und völlig unabhängig existieren. Aber, wie bereits erwähnt, reden wir darüber, wie wir begründen, dass etwas existiert und nicht über die Weise, wie es ganz allgemein existiert. Lassen wir dies jedoch für den Augenblick beiseite. Wie erfahren wir Dinge? Das ist es, was wir aufgeben wollen: Dinge mit Anhaftung, Abneigung und Naivität zu erfahren. Das sind die drei giftigen Geisteshaltungen oder Emotionen.

Bei der Anhaftung wollen wir zum Beispiel das, was wir haben, nicht loslassen. Beim Begehren, welches eine andere Seite dieser störenden Emotion ist – sie wird in verschiedenen indischen Texten von diesem Standpunkt aus unterschiedlich definiert – wollen wir etwas bekommen, was wir nicht haben. Hier ist es wichtig, dass diese giftigen Emotionen oder Geisteshaltungen dazu führen, Dinge auf leidvolle Weise zu erleben – sie führen zu Problemen.

Mit der Entsagung gibt es, wie mit jeder Motivation, sowohl ein Ziel als auch eine emotionale Komponente. Das Ziel ist Befreiung und die emotionale Komponente ist Überdruss. Wir sind uns dieser Situation des Leidens überdrüssig, die einfach immer wieder hochkommt. Wir reden nicht darüber, genervt oder wütend deswegen zu sein und zu meinen: „Ich bin so dumm, weil es so läuft“. Dieser Geisteszustand ist nicht förderlich, wenn wir uns aus den Leiden befreien wollen, denn auch hierbei handelt es sich um einen störenden Geisteszustand, wenn wir uns nerven, weil wir so dumm sind. Stattdessen sind wir überdrüssig.

„Überdruss“ ist, glaube ich, ein gutes Wort. Aber ich denke, es gibt hier auch noch eine andere Sache: es langweilt uns auch. Wir empfinden diese Situation so langweilig und sind uns ihrer so überdrüssig, dass wir es einfach nur bedauerlich finden und uns schließlich entscheiden, etwas dagegen zu unternehmen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man auf diese Weise tatsächlich mit dem Trinken, dem Rauchen oder was auch immer es sein mag aufhören kann. Wir sagen uns, dass es absurd und bedauerlich ist. Wir wollen nicht wie die Polizei sein und wütend auf uns werden. Das funktioniert nicht. Ist es jedoch einfach nur langweilig und nicht mehr interessant, sind wir dessen überdrüssig. Wir haben genug davon, wollen dem ein Ende setzen und eine Möglichkeit haben, damit aufzuhören.

Entsagung muss also ein Geisteszustand sein, der nicht störend ist und das ist nicht so einfach. Oft verbinden wir Entsagung mit einem Gefühl der Schuld oder des Beraubens. Wir meinen, uns selbst überwachen zu müssen, was jedoch nichts mit Entsagung zu tun hat, sondern mit einem neurotischen Versuch, etwas aufzuhalten. Das ist es jedoch, was wir aufgeben und von dem wir müde werden müssen: uns wie ein Polizist zu benehmen. Es ist notwendig, einen Überdruss in Bezug auf die Gefühle der Anziehung, der Abneigung und der Gleichgültigkeit gegenüber anderen zu entwickeln, sowie gegenüber den Problemen, die daraus entstehen. Wir müssen die Probleme und Leiden erkennen, die daraus entstehen, denn warum würden wir sie sonst aufgeben wollen? Warum würden wir davon frei werden und Gleichmut gegenüber allen entwickeln wollen?

Es ist gar nicht notwendig, auf all die Probleme einzugehen, die entstehen, wenn wir so sehr an jemandem hängen, wütend wegen jemandem sind oder völlige Gleichgültigkeit gegenüber jemandem empfinden, was andere uns dann übelnehmen und woraus sich alles mögliche entwickelt. Ich bin mir sicher, dass wir alle schon solche Probleme hatten, die auf jede dieser drei Geisteshaltungen gegenüber anderen zurückzuführen sind. 

Die drei höheren Schulungen 

Die Schulung der mittleren Ebene der Praxis zeigt, wie man die drei giftigen Geisteshaltungen überwindet. Bevor wir also mit Bodhichitta zur fortgeschrittenen Ebene gehen, benötigen wir etwas Training auf der mittleren Ebene, was die drei höheren Schulungen umfasst: ethische Disziplin, Konzentration und das, was ich als „unterscheidendes Gewahrsein“ bezeichne.

Ich mag den Begriff „Weisheit“ nicht, da er von vielen Übersetzern benutzt wird, um zahlreiche verschiedene buddhistische Begriffe zu übersetzen. All diese Begriffe bedeuten jedoch nicht dasselbe. Übersetzen wir das Wort als „Weisheit“, wird einfach nur alles miteinander vermischt, wobei der eigentliche Begriff an Wert verliert. In diesem Fall handelt es sich um „unterscheidendes Gewahrsein“, also das Gewahrsein oder Verständnis, durch welches man zwischen dem unterscheidet, was richtig und was falsch ist, was Realität und was Fantasie ist, was hilfreich und was schädlich ist. Es gibt viele verschiedene Bereiche, auf die sich dieser Begriff beziehen kann.

Unterscheidendes Gewahrsein ist von der Definition her der Geistesfaktor, der dem Auseinanderhalten eine Bestimmtheit verleiht. Ich ziehe es vor, diesen Geistesfaktor, der oft mit „Erkennen“ (engl. „recognition“) übersetzt wird, mit „Auseinanderhalten“ (engl. „distinguishing“) zu übersetzen. Es geht ganz und gar nicht um das Erkennen. Erkennen impliziert (zumindest im Englischen), ein Objekt bereits vorher gekannt zu haben, sich nun daran zu erinnern und ihm Namen oder Konzepte zuzuweisen, welche wir ihm bereits vorher zugewiesen haben. Um diesen Geistesfaktor geht es hier nicht, sondern um das Auseinanderhalten. Wir bestimmen ein gewisses charakteristisches Merkmal von etwas und unterscheiden es beispielsweise vom Hintergrund.

Sehe ich die farbige Form des Gesichts einer Person – was alles ist, was ich im Grunde sehe: eine farbige Form – so muss ich in der Lage sein, sie von den farbigen Formen der Wand und den sie umgebenden Menschen zu unterscheiden, um in irgendeiner Weise etwas mit der Information anfangen zu können, die aufgenommen wird. Darum geht es beim Unterscheiden oder Auseinanderhalten. Wir unterscheiden ein Objekt vom Hintergrund. Mit dem unterscheidenden Gewahrsein fügen wir dem eine Bestimmtheit hinzu: „Es ist dies und nicht jenes.“ Daher unterscheiden wir zwischen dem, was hilfreich und was schädlich, was richtig und was falsch ist usw.

Es ist immer wichtig, auf die Definitionen zurückzugreifen, denn sonst verstehen wir nicht wirklich, worauf sich all diese Begriffe tatsächlich beziehen. Dann haben wir, beruhend auf den englischen oder deutschen Wörtern, die wir nutzen, um diese Begriffe zu übersetzen, alle möglichen irreführenden Vorstellungen. Die Tibeter haben dasselbe Problem, denn wenn sie nicht die Definitionen kennen, können sie auch verwirrt darüber sein, was ein Begriff wirklich bedeutet.

Die Bedeutung der drei höheren Schulungen – ethische Disziplin, Konzentration und unterscheidendes Gewahrsein – wird für gewöhnlich metaphorisch erklärt. Um die Wurzel von etwas abzuschneiden, benötigen wir eine scharfe Axt – das ist das unterscheidende Gewahrsein; um es tatsächlich zu schneiden, müssen wir in der Lage sein, immer die Markierung zu treffen – das ist Konzentration; und um die Axt anheben zu können, brauchen wir Kraft – das ist ethische Disziplin. Wir brauchen alle drei. Diese Metapher wird hier benutzt und sich ist wirklich gut.

Wir benötigen Disziplin, um nicht unter den Einfluss von Anziehung, Abneigung und Gleichgültigkeit zu geraten. Sind wir beispielsweise mit einer Gruppe von Menschen zusammen und unser bester Freund oder ein Geliebter kommt in den Raum, ist es notwendig die Disziplin zu haben, nicht einfach zu dieser Person zu laufen und alle anderen zu ignorieren. Dafür habe ich ein gutes Beispiel. Einmal war ich, irgendwo im Westen, als Übersetzer für den alten Serkong Rinpoche tätig und eine meiner Cousinen, die in dieser Stadt lebte und die ich seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, kam etwas später. Da saß ich nun und übersetzte. Ich konnte nicht einfach aufstehen und hinübergehen, um sie zu begrüßen, was sie etwas verärgerte, weil ich ihr nicht gleich entgegenlief. In solchen Situationen brauchen wir Disziplin, um nicht aufzustehen und zudem Konzentration, um fokussiert bei dem zu bleiben, was wir tun. Ich musste mich auf das Übersetzen konzentrieren und darauf achten, dass mein Geist nicht bei meiner Cousine war, die ich seit einigen Jahren nicht gesehen hatte.

Diese Disziplin ist wirklich nötig, um Gleichmut zu entwickeln. Zumindest brauchen wir Selbstbeherrschung, um andere nicht zu ignorieren. Das ist etwas, das ständig passiert, nicht wahr? Ich erlebe es so: Leute kommen zu mir und stellen Fragen, aber dann muss ich auf die Toilette, zum nächsten Treffen gehen, mit anderen Leuten sprechen oder was auch immer. Das führt zu der Tendenz, die Person zu ignorieren oder sie zu unterbrechen. Vielleicht ärgern wir uns auch über sie, besonders, wenn sie immer weiter redet und nicht zum Punkt kommt. Dafür benötigen wir natürlich Geduld. In unserer Diskussion hier ist jedoch die Disziplin wichtiger, diese Person nicht zu ignorieren oder auf die Uhr zu schauen und zu sagen: „Bitte geh“ oder noch Schlimmeres – irgendwelche Worte, die uns gerade in den Sinn kommen.

Es ist also notwendig, Disziplin und Konzentration zu haben, sowie allen gleichermaßen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, ob es uns nun interessiert, was sie sagen, oder nicht. Schließlich stellen sie eine Frage und für sie ist sie wichtig. Warum würden sie sonst fragen? Vielleicht fragen sie auch nur, um anzugeben, aber das ist etwas anderes. Wie dem auch sei, wir sollten alle ernst nehmen. Darauf läuft es mit diesem Gleichmut hinaus – bevor wir daran denken können, Liebe und Mitgefühl für alle zu haben, müssen wir sie ernst nehmen.

Das ist eine Geisteshaltung, die ich immer wieder in dem von mir entwickelten Sensibilitätstraining „Ausgewogene Sensibilität entwickeln“ betone. „Du bist ein menschliches Wesen“ – ich rede hier über Menschen, aber man könnte auch den Hund mit einbeziehen – „und du hast Gefühle, genau wie auch ich Gefühle habe. Genauso, wie die Weise, mit der du mich behandelst und mit mir sprichst, meine Gefühle beeinflusst, so hat auch die Weise, wie ich dich behandle und mit dir spreche, einen Einfluss auf deine Gefühle“. Daher: „So, wie ich möchte, dass du mich als menschliches Wesen respektierst und meine Gefühle ernst nimmst, sollte ich auch dich und deine Gefühle respektieren, mich um dich sorgen und dich nicht verletzen“ und so weiter. Wir entwickeln die so genannte „fürsorgliche Geisteshaltung“.

Das ist die Grundlage hier: alle gleichermaßen ernstzunehmen. Dann können wir Liebe, Mitgefühl und all die anderen Dinge entwickeln. Um dies tun zu können, ist es notwendig, Gleichmut gegenüber allen zu haben.

Anziehung, Abneigung und Gleichgültigkeit überwinden 

Was wollen wir dann mit diesem Gleichmut überwinden? Wir wollen Anziehung, Abneigung und Gleichgültigkeit überwinden. Diese Dinge beruhen darauf, sehnsüchtiges Verlangen und Anhaftung, Wut und Feindseligkeit oder Naivität zu haben. Aus Naivität ignorieren wir andere.

Hier ist es wiederum wichtig, sich die Definitionen anzusehen.

Was ist Anhaftung oder Verlangen? Mit Verlangen oder Begehren wollen wir, wie bereits erwähnt, etwas, was wir nicht haben. Mit Anhaftung wollen wir das, was wir bereits haben, nicht loslassen. Mit Gier wollen wir noch mehr. All diese Dinge sind Aspekte dieser störenden Emotion. Anhaftung beruht auf dem Überbewerten der guten Eigenschaften einer Sache. Hier, im Falle einer Person, heben wir die guten Eigenschaften übermäßig hervor und identifizieren die Person dann ausschließlich mit diesen Qualitäten. Diese Qualitäten mögen da sein oder auch nicht, aber wir heben sie übermäßig hervor oder fügen vielleicht noch welche hinzu, die sie gar nicht hat, und ignorieren die negativen Eigenschaften völlig. Dann denken wir mit einem starken Ich-Gefühl: „ich will es haben“ und „ich will es nicht verlieren“.

Bei Wut oder Abneigung betonen oder heben wir die negativen Eigenschaften übermäßig hervor. Dann denken wir: „ich will es loswerden“ oder „ich will es nicht haben“. Das „Ich“ ist also wiederum sehr ausgeprägt.

Mit Naivität oder Gleichgültigkeit, welche aus der Naivität stammt, schenken wir den Eigenschaften der Person aus dem einen oder anderen Grund im Wesentlichen keine Beachtung; entweder sind wir zu beschäftigt, sie sind uns egal oder interessieren uns nicht. Wir könnten auch Angst haben;  das ist ist weiterer Grund, warum wir andere ignorieren. Wir könnten Angst davor haben, einen Fehler zu machen oder davor, dass die Person uns verletzen oder enttäuschen wird. Es könnte viele Variationen der Furcht geben. Und wir sind naiv in Bezug auf die Tatsache, dass die Person ein menschliches Wesen ist, genau wie wir Gefühle hat und sowohl gute als auch negative Eigenschaften besitzt, was dann zu Gleichgültigkeit führt.

Wir haben also Anziehung, Abneigung und Gleichgültigkeit. Um sie zu überwinden, ist es notwendig, sich den Lehren über unterscheidendes Gewahrsein auf der mittleren Ebene zuzuwenden. Nur diese Übung des Gleichmutes durchzugehen – sich einen Freund, einen Feind und einen Fremden vorzustellen und darüber nachzudenken, wie uns der Freund in einem früheren Leben verletzt und der Feind und der Fremde geholfen haben – ist zwar sehr schön, aber sie bewirkt nicht viel, wenn wir keine tiefere Ebene des Verständnisses darüber haben, was dies wirklich bedeutet, und nicht überzeugt von der Logik sind, warum sie uns zu einem Zustand des Gleichmutes führen sollte.

Bitte haltet den Gleichmut nicht für etwas Geringes. Es ist unglaublich schwierig, gleichmütig zu sein. Viel einfacher ist es, ihn zu überspringen und einfach nur Liebe und Mitgefühl für die Menschen zu entwickeln, die wir mögen, oder für irgendwelche „armen leidenden Wesen“ und zu denken, dass wir ihnen helfen werden. Sind wir jedoch wirklich bereit, beispielsweise die Wunden eines Leprakranken zu waschen? Wollen wir uns tatsächlich die Hände schmutzig machen, wenn wir jemandem helfen? Denken wir: „Ich werde etwas Geld geben“, „ich werde jemanden bezahlen es zu tun“, oder wollen wir es wirklich tun?

Das ist nicht so einfach. Wenn man einmal eine dieser Organisationen von Mutter Theresa besucht und sieht, was sie dort tun und mit welchen Menschen sie arbeiten, beginnt man, die eigene Ebene des Mitgefühls, der Liebe und Bereitschaft zu überdenken, mit denen man anderen hilft. 

Geistige Kontinua 

Kehren wir aber wieder zum geistigen Kontinuum zurück, denn dies ist der Schlüssel. Das geistige Kontinuum ist anfangs- und endlos. Es ist nicht so leicht, dies zu verstehen und tatsächlich überzeugt zu sein, dass dies der Fall ist. Jedoch werden viele Gründe dafür gegeben, wie Ursache und Wirkung funktioniert. Kann es denn eine Ursache geben, die aus nichts entsteht, eine Ursache, die ganz plötzlich zu etwas führt, oder muss es immer eine vorangegangene Ursache geben? Anders ausgedrückt: Kann etwas aus nichts entstehen? Und kann etwas zu nichts werden, ohne jegliche Auswirkungen? Aus der buddhistischen Sichtweise ist das unmöglich.

Wir haben also diese anfangslosen geistigen Kontinua von Augenblicken der Erfahrung, die einer nach dem anderen stattfinden. Dann können wir uns der Person zuwenden – dies ist eine Person, ein Individuum. Im geistigen Kontinuum entstehen die verschiedenen Arten von Impulsen, welche durch störenden Emotionen in Erscheinung treten, die wiederum auf mangelndes Gewahrsein, Unwissenheit oder Verwirrung zurückzuführen sind. Diese verschiedenen Impulse führen dann zu diversen impulsiven Verhaltensweisen. Sie müssen es aber nicht. Wir müssen all diesen Impulsen, die entstehen, nicht nachgeben. Vielleicht haben wir den Impuls, jemanden anzuschreien, aber geben ihm nicht nach und tun es nicht. Es ist jedoch der auftretende Impuls, der das Karma ausmacht, und in den meisten Fällen geben wir diesen Impulsen nach.

Diesen Impulsen nachzugeben, führt zu bestimmten Konsequenzen. Gewisse Gewohnheiten und Tendenzen werden geschaffen, sowie auch gewisse positive und negative Potenziale (oder karmische Kräfte). Positive und negative Potenziale werden normalerweise als „Verdienst“ und „Sünde“ übersetzt, welche, wie ich gestern schon erwähnt habe, ziemlich irrelevante und irreführende Konzepte aus dem Christentum mit ins Spiel bringen. Es ist die positive und die negative Kraft, die mit den geeigneten Bedingungen zu der Erfahrung von etwas anderem in diesem geistigen Kontinuum führen wird. 

Die Grundlage der Zuschreibung ausweiten 

Wir haben geistige Kontinua. Was ist mit dem „Ich“, der Person, um die es hier geht? In jedem dieser individuellen geistigen Kontinua gibt es ein „Ich“ als eine Zuschreibung. Das „Ich“ ist eine Zuschreibung des geistigen Kontinuums. Hier können wir ein ganz einfaches Beispiel nutzen: ein Film. In einem Film gibt es einen Moment nach dem anderen. Wir sehen den „Krieg der Sterne“ nicht in einem Moment. Es handelt sich um eine Zuschreibung eines gesamten Films, einer ganzen Abfolge von Bildern. Oder ein Jahr – ein Jahr ist eine Zuschreibung von Tagen und Momenten. Ein Jahr findet nicht auf einmal statt. Genauso ist das „Ich“ nicht nur eine Zuschreibung eines Augenblicks, sondern einer ganzen Kontinuität von Augenblicken. Es ist wie der Name eines individuellen Films.

Was ist dann dieses „Ich“? Wir müssen verstehen, dass dieses „Ich“ nicht etwas Statisches ist – also „statisch“ im Sinne, dass es sich nicht ändert und durch nichts beeinflusst wird. Es ist nicht etwas, das teilelos ist; es ist kein Monolith, ohne verschiedenartige Aspekte. Es ist auch nichts, was getrennt vom geistigen Kontinuum ist, das davonfliegen und in ein anderes geistiges Kontinuum eingehen könnte oder so etwas in der Art. Diese Art der Ebene des „Ichs“ ist unmöglich.

Das „Ich“ oder die Person ist auch nichts eigenständig Erkennbares – um es einmal von der nächsten, subtileren Ebene zu betrachten. Mit anderen Worten können wir eine Person nicht getrennt von etwas kennen, das wir von der Grundlage der Zuschreibung der Person, die erscheint, kennen. Wir sagen Dinge, wie: „Ich möchte mich selbst kennen.“ Was kennen wir? Im Grunde ist es einfacher, dies in Bezug auf andere Menschen zu verstehen: „Ich kenne Barbara.“ Was kennen wir? „Ich sehe Barbara.“ Was sehen wir? Wir können Barbara nicht sehen, ohne eine körperliche Form zu sehen. Auf der Basis einer körperlichen Form können wir Barbara sehen; wir sehen nicht nur Barbara. Wir sagen: „Ich kenne Barbara.“ Aber was kennen wir? „Ich kenne Barbaras Namen.“ In diesem Fall kennen wir Barbara in Verbindung mit einem Namen. „Ich kenne ihren Charakter, ich weiß wie sie aussieht.“ Wir können an sie nicht einfach nur so denken – also ohne etwas zu kennen, auf dessen Grundlage sie eine Zuschreibung ist. Eine Person kann nicht eigenständig und nur für sich erkennbar sein.

Wir schaffen uns viel Leid, indem wir uns gedanklich auf das eigenständig erkennbare „Ich“ beziehen. Gern beschreibe ich es auch an folgendem Beispiel: „Ich will, dass man mich um meiner selbst willen mag, nicht wegen meines Aussehens, meines Körpers, meines Reichtums, meines Wissens oder diesen Dingen. Ich möchte, dass man mich nur wegen mir liebt.“ Was um alles in der Welt bedeutet das? Wie kann uns jemand getrennt von der Grundlage der Zuschreibung des „Ichs“ lieben?

Das ist das subtile unmögliche Selbst einer Person. Es führt uns zu einem Prasangika-Madhyamaka-Verständnis, dass es eine enge Beziehung zwischen dem „Ich“ und der Grundlage der Zuschreibung gibt. Die Grundlage der Zuschreibung ist das geistige Kontinuum der geistigen Aktivität, die ohne Anfang und Ende von einem Augenblick zum nächsten stattfindet. Weil es ein Hindernis für den Gleichmut darstellt, ist es hier wesentlich, dass wir jede Person nur mit dem identifizieren, was wir gerade in diesem Moment oder dieser Phase sehen – es muss nicht unbedingt nur ein Augenblick sein. Wir sehen sie als einen Freund, einen Feind, einen Fremden – oder sogar jenseits dieser Bezeichnungen, als ein menschliches Wesen oder eine Mücke. Das sind nur Phasen der Person, des geistigen Kontinuums.

Was hier geschieht, ist, dass wir die Grundlage der Zuschreibung der Person begrenzen. Wir sehen nicht die gesamte Grundlage der Zuschreibung. Und sogar innerhalb dieser begrenzten Phase des geistigen Kontinuums, in der wir nur einen bestimmten kurzen Zeitintervall betrachten, begrenzen wir die Grundlage noch weiter, indem wir lediglich die guten Eigenschaften sehen, sie überbewerten und vielleicht noch welche hinzufügen, die gar nicht da sind, indem wir nur die schlechten Eigenschaften sehen, sie übermäßig betonen und welche hinzufügen, die es gar nicht gibt, oder indem wir alle Eigenschaften, die da sind, ignorieren und die Person aufgrund dieser noch begrenzteren Basis bezeichnen.

Der Schlüssel zum Gleichmut ist Verständnis. Es geht nicht darum, uns eine Art Disziplin aufzuerlegen und zu denken: „Ich werde einfach hier sitzenbleiben und nicht hinübergehen, um meine Cousine zu begrüßen und damit all diese anderen Leute zu ignorieren.“ Auch reicht es nicht, einfach zu denken: „Ich werde es nicht tun, weil sie alle menschliche Wesen sind; sie wollen glücklich und nicht unglücklich sein.“ Das geht nicht tief genug. Es mag funktionieren, aber wir benötigen etwas, das ein wenig tiefer geht, um wirklich zu verstehen, was damit gemeint ist und damit diese Meditation über den Gleichmut eine Wirkung hat. Warum ist das so? Weil es etwas damit zu tun hat, vergangene Leben und damit andere Grundlagen mit ins Spiel zu bringen, denen wir die Person zuschreiben können – wie beispielsweise: „Dieser Freund muss mich in einem früheren Leben verletzt haben.“ Auf diese Weise weiten wir die Grundlage der Zuschreibung aus.

Verstehen wir es, die Grundlage in Bezug auf das Bezeichnen und die Grundlage der Bezeichnung oder die Grundlage der Zuschreibung und die Leerheit der Person auszuweiten, indem wir uns bewusst darüber sind, dass die Person nicht getrennt von der Basis existiert oder erkannt werden kann, wird es etwas einfacher, mit diesem Gleichmut zu arbeiten und festzustellen, dass es sinnvoll ist, ihn zu entwickeln. Es handelt sich nicht um eine übermenschliche, buddhistische Sache und ist wahr, obgleich wir auch die konventionelle Wahrheit respektieren müssen. 

Respektieren der konventionellen Wahrheit 

Wenn man dieses Verständnis der Leerheit hat: „Ich werde jede Person der Gesamtheit ihres geistigen Kontinuums zuschreiben, anstatt nur kleinen Teilen davon, und jeden im Sinne all dieser geistigen Kontinua sehen, die anfangs- und endlos sind, ist es wichtig, nicht den Blick auf die konventionelle Ebene zu verlieren: „Dieses Individuum ist nun mein Baby und ich muss ihm mehr Aufmerksamkeit widmen, als den Ameisen, die in meiner Küche herumkrabbeln.“ Wir sollten nicht den Blick auf die konventionelle Wahrheit verlieren, also wo die anderen im Moment sind und welche Beziehung wir zu ihnen haben.

Gleichmut kann dazu führen, die Menschen, die uns nahestehen, zu verletzten, wenn wir die konventionelle Ebene ignorieren. Das ist etwas, worauf wir achten müssen. Ich kenne Menschen, die Kinder haben, sich aber sozial engagieren und all ihre Zeit damit verbringen, den Armen zu helfen oder was auch immer sie tun, und dann die eigenen Kinder ignorieren. Ihre Kinder fühlen sich ignoriert. Sie sagen: „Meine Mutter“ oder „mein Vater ist ständig weg und hilft diesen anderen Menschen, aber was ist mit mir?“

Es ist wichtig, die konventionelle Wahrheit nicht zu ignorieren oder abzulehnen. Aus diesem Grund wird in den Lehren gesagt, dass wir natürlich Gleichmut gegenüber allen entwickeln, sowie die Bereitschaft, allen gleichermaßen zu helfen – und bei dem Gleichmut, von dem hier die Rede ist, geht es darum, nicht emotional aufgewühlt zu sein, sich nicht zu manchen wie zu einem Magneten hingezogen und von anderen abgestoßen zu fühlen. Der Magnet hat keine Wirkung auf Steine oder Pflanzen; wir fühlen uns also weder angezogen noch abgestoßen – es gibt keine störende Emotionen – aber wir helfen trotz allem jenen, denen wir am besten helfen können und mit denen wir eine stärkere Verbindung haben.

Ist jemand gegenüber uns völlig verschlossen und nicht empfänglich, gibt es nicht viel, was wir tun können. Das ging sogar dem Buddha so; was können wir also erwarten, wozu wir selbst in der Lage sein sollten? Es ist immer ziemlich ernüchternd, es am Beispiel des Buddhas zu betrachten. „Nicht jeder mochte den Buddha. Wie kann ich da erwarten, dass alle mich mögen werden?“ Das ist ein gutes Beispiel, das ziemlich hilfreich ist, wenn Menschen uns nicht mögen. Wir bemühen uns so sehr, Bodhisattvas zu sein, und die anderen denken, wir wären Idioten und kritisieren uns. 

Gleichmut auf der Grundlage der Vernunft 

Der Schlüssel zum Entwickeln dieses Gleichmutes besteht darin, eine Art Verständnis zu entwickeln. In den Schriften finden wir zwei Methoden zum Entwickeln von Gleichmut. Die erste ist die Seite der Methode. Mit ihr entwickeln wir zunächst Liebe und Mitgefühl. Beruhend darauf entwickeln wir dann den Wunsch: „Ich möchte ein Buddha werden, damit ich allen anderen helfen kann“, was dann dazu führt, sich bewusst zu werden, dass wir das Verständnis der Leerheit benötigen, um dazu in der Lage zu sein und Buddhaschaft zu erlangen. Das ist eine Methode. Bei der anderen Methode, welche für jene mit einer intellektuellen Neigung ist, kommt das Verständnis der Leerheit zuerst. Beruhend auf diesem Verständnis wird es dann offensichtlich, dass man Liebe und Mitgefühl gegenüber allen haben muss.

Seine Heiligkeit sagt immer, dass diese zweite Weise des Entwickelns von Gleichmut stabiler ist. Obwohl wir auf einer emotionalen Ebene weitermachen und erfolgreich darin sein können, ist sie etwas unbeständig, denn wir könnten emotional aus der Bahn geworfen werden. Haben wir jedoch zumindest ein grundlegendes Verständnis, hilft dies, sich zu erden. Und, wie gesagt, ist der Schlüssel das geistige Kontinuum – also nicht den Blick auf das gesamte geistige Kontinuum zu verlieren.

Das verbindet uns dann recht gut mit Entsagung. Betrachten wir uns selbst im Sinne eines geistigen Kontinuums, welches anfangs- und endlos ist, merken wir, dass es immer dasselbe ist, ständig diese Höhen und Tiefen mit weltlichem Glück und Leid durchzugehen, die nie zufriedenstellend sind und sich immer nur auf und ab bewegen. Wir wollen das alles umfassende Leiden loswerden, welches die Grundlage für dieses Auf und Ab aufrechterhält – samsarische Wiedergeburt.

Denken wir über unser eigenes geistiges Kontinuum auf diese Weise und sind entschlossen, frei von diesem wirklich furchtbaren Film zu werden, der sich einfach immer nur wiederholt, betrachten wir auch andere auf diese Weise. Die Liebe und das Mitgefühl, die wir gegenüber anderen entwickeln, und der Wunsch, ihnen zur Befreiung zu verhelfen, muss darauf beruhen, sie im Sinne ihres gesamten geistigen Kontinuums zu sehen, des gesamten individuellen geistigen Kontinuums. Mit Gleichmut beginnen wir also schon, andere als geistige Kontinua zu sehen, anstatt sie nur mit dem zu identifizieren, was wir im Moment sehen. 

Fragen 

Vielleicht habt ihr ein paar Fragen dazu, bevor wir zur eigentlichen Methode kommen, die vielleicht viele von euch schon kennen, denn man kann sie in zahlreichen Büchern finden.

Können Sie noch einmal kurz zurückgehen und die weniger stabile Methode beschreiben?

Die weniger stabile Methode zum Entwickeln von Liebe und Mitgefühl ist die, welche nur auf Emotionen basiert. In ihr gehen wir all diese Dinge durch, wie: „jeder ist schon einmal meine Mutter gewesen; sie alle waren so gütig zu mir“ usw., was nicht wirklich auf umfassende Weise zu diesem Gleichmut führt. Auf einer emotionalen Ebene ist es tatsächlich gar nicht so leicht zu sagen: „Nun, ich werde von anderen nicht angezogen oder abgestoßen sein, noch werde ich sie ignorieren“, und sich dann zu entschließen, sich dementsprechend zu verhalten. Dies auf einer rein emotionalen Basis zu tun, ist wirklich schwierig. Ohne ein Verständnis darüber zu haben, sehe ich nicht, wie man das umsetzen kann, ohne sich mit Disziplin wie ein Polizist zu benehmen.

Ich denke, aus diesem Grund ist die Basis unbeständig, um so genannte große Liebe und großes Mitgefühl zu entwickeln, was bedeutet, sich damit auf alle zu richten, egal wie sie sich momentan gerade gegenüber uns verhalten. Betrachten wir es aus der Sicht des geistigen Kontinuums, verstehen wir, dass sie schon alles mit uns gemacht haben. Das was sie also gerade getan haben, ist demnach nichts Besonderes.

Mit dieser wackeligen Basis des Gleichmutes geht man auf einer emotionalen Ebene dazu über, zu sagen: „alle waren schon einmal meine Mutter“ usw. Es ist schwer, dies tatsächlich zu glauben, wenn man es nicht im Sinne des geistigen Kontinuums sieht, was keinen Anfang hat.

Wir können jedoch auch eine Dharma-light-Version daraus machen und denken: „Jeder könnte mich mit nach Hause nehmen, mir eine Mahlzeit anbieten und sich wie eine Mutter um mich kümmern“. Auf diese Weise würden wir andere nur in Bezug auf dieses Leben sehen, aber das ist schwer auf die Mücke oder die Ameise anzuwenden. Mit dieser Version neigen wir dazu, unseren Fokus nur auf Menschen zu richten; sie ist also ziemlich begrenzt. Mit dem Wunsch: „Ich möchte, dass jeder glücklich und niemand unglücklich ist“, neigen wir dazu, uns nur auf jene zu konzentrieren, die wir mögen. Vielleicht können wir es etwas ausweiten, aber trotz allem ist es nicht beständig, weil wir, wenn wir wirklich große Liebe und großes Mitgefühl haben wollen, es auf alle richten müssen, also ohne Anziehung, Abneigung oder Gleichgültigkeit, wobei wir hier noch nicht einmal über Bodhichitta reden.
Das führt uns natürlich zu all den Texten über Lojong, der Schulung der Geisteshaltungen – nichts als Gegenleistung und kein Danke zu erwarten. Wenn mich mein geliebtes Kind, für das ich so viel getan habe, mich ignoriert und furchtbar behandelt, werde ich diese Person als einen Lehrer sehen. All diese Dinge kann man in den „Siebenunddreißig Bodhisattva-Praktiken“ und den Lojong-Texten, der Schulung der Geisteshaltungen, finden. Das sind ernsthafte Techniken. Diese Dinge geschehen im echten Leben: Wir helfen Menschen und sie können die Hilfe nicht wertschätzen, sondern ignorieren uns im Gegenzug. Wir erwarten zumindest eine Art der Dankbarkeit oder Anerkennung und denken: „sei doch wenigstens nett zu mir!“ Dahinter steckt eine störende Emotion.

So etwas gefährdet unser Mitgefühl, unseren Wunsch, anderen zu helfen und so weiter. Dann beginnen wir damit, ihnen zu helfen, um das Gefühl zu haben, gut oder nützlich zu sein, oder damit unser Leben einen Sinn hat. Schließlich werden wir fast zu Vampiren, die ihr Selbstwertgefühl daraus ziehen, anderen zu helfen. So handeln Vampire; es ist Ausbeutung auf subtile Weise. Wieder läuft es auf das Verständnis der Leerheit hinaus. „Was begründet meine Existenz? Existiere ich, weil ich jemandem etwas bedeute? Existiere ich deswegen? Begründet das meine Existenz? Existiere ich, weil ich anderen helfen kann?“ Denkt einmal darüber nach.

Viele ältere Menschen sterben aus Bedeutungslosigkeit; das ist dokumentiert worden. Ist ihr Leben bedeutungslos und besucht sie niemand mehr im Altersheim, sterben sie aus Bedeutungslosigkeit. Es geschieht einfach nichts und alles, was sie tun, ist den ganzen Tag fernzusehen. Es gibt da nichts. Hier ist der Irrglaube: „Was mich existieren lässt, ist, dass ich für andere von Bedeutung bin und sie sich um mich kümmern.“ Biologisch gesehen ist das natürlich notwendig. Es tut mir leid, aber Biologie ist Samsara. Aus samsarischer Sicht stimmt es, dass wir, insbesondere Kleinkinder und ältere Menschen, Aufmerksamkeit und Austausch mit anderen brauchen. Wir sind davon vollkommen abhängig. Allerdings begründet dies nicht unsere Existenz.

Das sind ganz tiefgreifende Punkte, über die wir nachdenken sollten. Daher ist es falsch, über unmögliche Existenzweisen zu reden und sich damit auf Weisen der Existenz zu beziehen, um wieder darauf zurückzukommen, worauf ich vorhin angespielt habe. Diese Übersetzung des Begriffs ist nicht korrekt, denn es geht um Wege des Begründens oder Beweisens der Existenz.

Was begründet, dass es so etwas wie Liebe gibt? Es gibt ein ganzes Spektrum von Emotionen, die nicht nur in meinem geistigen Kontinuum auftauchen, sondern in jenen von allen anderen. Gibt es in diesem riesigen Ozean der Emotionen etwas, das wie in Plastik gehüllt ist und Liebe darstellt – ein Gefühl, das ich und alle anderen empfinden oder hervorbringen müssen? Nein. Was begründet denn, dass es Liebe gibt? Wir haben das Word oder Konzept „Liebe“. Jemand hat das Wort aus bedeutungslosen Lauten zusammengesetzt und eine Definition dafür erschaffen. Dadurch wird begründet, dass es Liebe gibt. Nichts anderes begründet sie; es handelt sich lediglich um eine Konvention. Das bedeutet nicht, dass es so etwas nicht gibt; die Konvention bezieht sich auf etwas. Es gibt jedoch nichts auf Seiten des emotionalen Spektrums, das dem Wort entspricht. Würde es etwas geben, das dem Wort entspricht, befände es sich in einer Art Schublade. Nichts existiert jedoch auf diese Weise. Die Schublade „Liebe“ begründet nicht, dass Liebe existiert, denn so etwas gibt es nicht; das ist unmöglich.

Das ist geistiges Bezeichnen, die Prasangika-Sichtweise. Was begründet, dass Dinge existieren? Lediglich das, worauf sich die Worte auf der Basis der Grundlage für die Bezeichnung beziehen. Es gibt kein Bezugs-Ding, nichts in einer Schublade auf Seiten des Objektes, was dem Wort entsprechen würde. Das ist, kurz zusammengefasst, Prasangika, Gelug Prasangika. Andere tibetische Traditionen definieren Prasangika anders; darüber müssen wir uns im Klaren sein. Tsongkhapa war ein ziemlich radikaler Reformer. Er änderte und modifizierte das Verständnis von fast allem, was vorher kam. Er war ausgesprochen revolutionär. 

Ich finde, dass ich ziemlich faul werde, wenn ich nach mehr Gleichmut strebe. Wenn ich versuche, alle als gleich anzusehen, denke ich: „Gut, ich muss nicht danach streben, Teil ihres Lebens zu sein, weil ich sie in Bezug auf ihr Leben in allen möglichen Situationen sehen kann.“ Was heißt das für mich, hinsichtlich der sozialen Verantwortung und Gruppen, wie der Buddhistischen Friedensbewegung, die konkrete Dinge tun, um anderen zu helfen, aber nicht unbedingt etwas an ihrer Umgebung im Sinne von Gleichmut ändern wollen?

Die Frage ist, ob dieser Gleichmut, wenn wir versuchen, ihn zu entwickeln, etwas von unserer sozialen Verantwortung wegnimmt, weil wir meinen, dass wir für andere und sie für uns alles sein können – um die Frage einmal in einem Satz zusammenzufassen.

Mit meiner Antwort komme ich auf das zurück, was ich bereits gesagt habe: Wir sollten nicht den Blick auf die konventionelle Wahrheit dessen verlieren, wo sich jeder im Moment befindet und wozu wir gegenwärtig in der Lage sind. Es besteht ein Unterschied zwischen der Bereitschaft, allen gleichermaßen zu helfen, beruhend auf dem Gleichmut, mit dem wir alle als gleich betrachten – das ist der Mahayana-Gleichmut – und dem, worauf wir uns hier konzentrieren, nämlich der Gleichmut, sich nicht durch Anziehung, Abneigung und Gleichgültigkeit gegenüber anderen emotional aus der Ruhe bringen zu lassen. Darum geht es hier. Trotzdem respektieren wir die konventionelle Wahrheit. Wir fragen uns selbst: „Was kann ich tun? Zu wem habe ich eine Verbindung? Wer ist empfänglich? Wer ist offen gegenüber mir? Wo kann ich am besten etwas beisteuern?“ Das tun wir dann.

Diesen persönlichen Ratschlag habe ich von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama bekommen. Als ich sagte: „Ich befasse mich mit so vielen verschiedenen Projekten und so vielen unterschiedlichen Dingen“ und ihn fragte: „Was soll ich tun?“ antwortete er: „Finde das, was du tun kannst, wozu kaum ein anderer in der Lage ist, worin du wirklich gut bist, was gebraucht wird, und tue es. Mit den anderen Dingen kannst du dich ein wenig beschäftigen, aber lege den Schwerpunkt auf das, wo du einen seltenen Beitrag leisten kannst und worin du gut bist.“ Auf diese Weise respektieren wir die konventionelle Wahrheit. Wir sehen, wer empfänglich ist.

Sind wir in einer Position, anderen zu helfen, kommen vielleicht viele Leute, die uns um Hilfe bitten. Wie entscheiden wir dann auf der Basis von Gleichmut? Das ist die Herausforderung des Gleichmutes. Dieser Gleichmut ist frei von störenden Emotionen. Das heißt, wir sollten nicht genervt sein, wenn wir dreißig E-Mails mit der Bitte bekommen, dieses oder jenes zu erklären, was wohl fünf Seiten dauern würde. Wenn wir auf der anderen Seite dann aber eine Mail von unserem besten Freund bekommen, sind wir bereit, uns hinzusetzen, in einen Chat-Raum zu gehen und dieser Person alles Mögliche zu schreiben. Hier findet dieser Gleichmut seine Anwendung.

Wir sehen, wo wir bestmöglich helfen können, wo jemand empfänglich ist, wozu wir in der Lage sind und etwas zu einer Antwort beisteuern können. Das ist es, was Seine Heiligkeit sagte. Wir können etwas zu einer Frage sagen und die Person dann auf weitere Quellen verweisen. Gibt es keine anderen Quellen, schenken wir der Antwort mehr Aufmerksamkeit. Gleichzeitig ignorieren wir unsere engen Freunde nicht, die ebenfalls unsere Aufmerksamkeit haben wollen. Das ist oft ein ziemlicher Balanceakt. Es ist nicht einfach, ein anstrebender Bodhisattva zu sein und allen helfen zu wollen. Unsere Zeit und Energie sind begrenzt. Aus diesem Grund wollen wir Buddhas werden.

Und das ist die größte Antriebskraft: dass wir im Moment begrenzt sind. Wir haben eine begrenzte Hardware. Wir werden müde, wir werden alt, unser Gedächtnis wird schwächer, die Energie nimmt ab und die Gesundheit lässt nach. Wie ermüdend! Außerdem hat es so lange gedauert, auf diese Ebene zu gelangen, auf der wir in der Lage sind, irgendwie hilfreich zu sein. Wir wollen nicht wieder den ganzen Weg zurück zum Startfeld gehen und von vorn beginnen müssen; das Spiel ist wieder vorbei und alles fängt von Neuem an. Erreichen wir einen Punkt, an dem wir all die notwendigen Mittel haben, einen effektiven Beitrag leisten zu können, müssen wir wieder von vorn beginnen. Das ist doch völlig ermüdend. Davon wollen wir also freiwerden.

Das wollen wir loswerden. Es sind nicht nur die Manifestationen, die damit verbunden sind: wir wollen deren Basis loswerden. Und das ist nicht so leicht, was ich bereits versucht habe anzudeuten, denn wir hängen an unseren Freunden, wir hängen an unserem Komfort, und deswegen lehnen wir Menschen ab, die lästige Forderungen stellen und ähnliches. Es nervt uns, wenn wir zu sehr beschäftigt sind; wir geraten unter Stress und das ist furchtbar. Wir müssen ein Gefühl dafür entwickeln, dass es einfach furchtbar ist, bevor wir Gleichmut entwickeln können.

Darum ging es mir. Stürzen wir uns gleich in die Einstellung: „Ich denke nicht nur an mich selbst“ und „Hier sind die fortgeschrittenen Lehren. Ich bin fortgeschritten“ und „Lasst uns alle hinsetzen und über Liebe und Mitgefühl meditieren“ – weil es uns ein gutes Gefühl verleiht – wird unser Gleichmut nicht beständig sein. Er mag etwas hilfreich sein, aber er wird keine Beständigkeit haben. Wir wollen etwas Beständiges – es sei denn, wir sind nur daran interessiert, Dharma-light zu trinken. Dharma-light ist völlig in Ordnung, wenn das unser Getränk ist, aber wir sollten es als Dharma-light anerkennen. 

Die eigentliche Meditation über Gleichmut 

Bei der eigentlichen Meditation denken wir an drei verschiedene Menschen. Wir werden bei den Menschen bleiben und nicht die Kakerlaken mit ins Spiel bringen. Das wäre eine viel radikalere Ebene der Meditation über Gleichmut.

Zuerst denken wir an jemanden, den wir wirklich sehr mögen. Kämen wir in den Raum, würden wir zu der Person hinüberlaufen, sie umarmen und küssen, um ihr all unsere Aufmerksamkeit zu schenken und alle anderen zu ignorieren. Wir würden uns einfach entschuldigen und mit dieser Person verschwinden.

Dann denken wir an eine Person, bei der wir sagen würden: „Oh nein!“, wenn sie hereinkäme – also jemanden, den wir aus dem einen oder anderen Grund wirklich gern meiden würden oder den wir richtig nervend finden.

Schließlich denken wir an eine Person, die uns völlig fremd ist. Normalerweise wählen wir dafür Leute aus einer Zeitschrift aus – jedoch nicht gerade Models mit so einem bestimmten „Blick“. Wir wählen einfach irgendjemanden, vielleicht eine Person auf der Straße oder einen Ticketverkäufer im Kino, also jemanden, den wir nicht einmal als eine Person betrachten. Hier, in diesem Land, sind alle freundlich und führen kurze Gespräche miteinander, auch wenn sie sich gar nicht kennen. Ich Deutschland, wo ich lebe, tun die Menschen das nicht. Wie dem auch sei, man könnte sich jemanden vorstellen, den wir als Mensch völlig ignorieren.

Es gibt zwei Situationen. Die eine besteht darin, nur an diese Menschen zu denken und die andere, sich mit ihnen auseinanderzusetzen – beispielsweise wenn jemand wirklich nervend ist, wie ein Telefonverkäufer, der uns anruft. Was ist der Unterschied in unserer Haltung gegenüber dem Anruf eines Telefonverkäufers und unseres besten Freundes? Das ist ein gutes Beispiel. Ist der Telefonverkäufer jemand, der in einem früheren Leben unsere Mutter gewesen ist, der glücklich und nicht unglücklich sein will, und der nicht möchte, dass wir ihn verfluchen? Wie fühlt er sich dabei?

Wir denken an jede dieser Personen, eine nach der anderen, nachdem wir sie ausgewählt haben. Wir können uns ein Foto ansehen, wenn das einfacher ist. Ansonsten können wir einfach an sie denken, sie visualisieren oder was auch immer.

Fokussieren wir uns auf die Person, die wir mögen und an der wir so hängen, lassen wir dieses Gefühl der starken Anziehung entstehen: „Du bist wirklich ein toller Mensch und ich würde gern mit dir zusammen sein.“ Wir wollen auf die Person zugehen und bei ihr sein; wir wollen sie nicht verlieren. Dann halten wir für einen Moment inne und fragen uns selbst: „Warum empfinde ich so? Tue ich es, weil die Person freundlich mir gegenüber war? Tue ich es, weil es sich gut anfühlt, mit ihr zusammen zu sein? Schenkt sie mir Aufmerksamkeit oder ist es, weil ich dieses oder jenes von ihr bekomme?“ Was sind die Gründe?

Darüber habe ich bereits gesprochen, über die Grundlage der Bezeichnung und dass wir die Person diesen Dingen zuschreiben. Wir könnten abwägen, ob diese Dinge korrekt oder falsch sind. Das ist hier eine Variante: zu sehen, ob wir die Qualitäten überbewerten oder sie uns nur ausdenken, indem wir meinen: „Sie ist der wunderbarste Mensch der Welt!“, was sie wahrscheinlich gar nicht ist. Ziemlich interessant wird es, wenn wir denken: „Ich will, dass diese Person mich liebt.“ Was ist aber mit anderen? „Sie zählen nicht. Ich will, dass sie mich liebt und mir Aufmerksamkeit schenkt.“

Habt ihr jemals diese Dokumentation über die Pinguine in der Antarktis gesehen? Ich habe den Titel der Dokumentation vergessen, aber da gibt es diese riesige Ansammlung von hunderttausenden Pinguinen, die alle gleich aussehen. Dann denken wir: „Ich will, dass genau dieser mich liebt – „dieser Pinguin und nicht irgendein anderer.“ Auf dieses Weise rücken wir unsere Selektivität ein wenig ins rechte Licht und können erkennen, dass im Grunde alle gleich sind. Es ist ein hilfreiches Bild; ich finde es jedenfalls nützlich.

Dann geht es darum, die Grundlage für die Bezeichnung auszuweiten, um einmal die gleichen Begriffe wie zuvor zu benutzen. Wir betrachten die anderen im Sinne eines früheren Lebens, wenn wir diese Meditation mit einem früheren Leben verbinden wollen, wie es normalerweise gemacht wird: „In einem vergangenen Leben haben sie mich so sehr verletzt. Sie haben mein Blut getrunken“ – wir stellen uns also all diese schönen Dinge vor (auch Mücken trinken unser Blut, nicht nur Vampire) – „und in zukünftigen Leben können sie ebenfalls scheußlich zu mir sein.

Sind wir an einer Dharma-light-Version interessiert, können wir denken: „Bevor ich sie kannte, waren sie Fremde und konnten mich sehr verletzen.“ Jene, an denen wir am meisten hängen und die wir wirklich lieben, sind die, welche uns am meisten verletzen können. Ignorieren sie uns oder weisen uns zurück, tut das viel mehr weh, als wenn ein Fremder uns ignoriert oder abweist. Diese Person ist daher tatsächlich eine potentielle Quelle unglaublichen Leids. Daran denken wir nicht, wenn wir uns in jemanden verlieben. Sich in jemanden zu verlieben, führt zu großem Ungleichgewicht. Es fühlt sich gut an – das ist der täuschende Teil – aber wenn diese Person uns ignoriert oder verlässt, nicht unsere Erwartungen erfüllt oder uns nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt, wird dieses schöne Gefühl ganz schnell ziemlich schmerzhaft.

Wir beziehen uns also gedanklich auf eine größere Grundlage für die Bezeichnung. „Laufe ich einfach nur zu dieser Person und setze all meine Hoffnungen in sie, könnte ich ziemlich enttäuscht und verletzt werden. Eigentlich laufe ich nur der sprichwörtlichen Sirene in die Arme, dem Kannibalen-Geist, der mich essen wird, wenn ich ankomme.“ Wir bedienen uns dieser Art von Bildern. Dann entschließen wir uns, gegenüber dieser Person Gleichmut zu bewahren – keine Anziehung zu haben. Das ist äußerst schwierig, wenn unser Gleichmut nur auf Emotionen basiert. Visualisieren wir diese Person oder sehen uns ihr Foto an, ist es gar nicht leicht, keine Anhaftung ihr gegenüber zu haben.

Es gibt jedoch Gegenmittel, um diese störenden Emotionen zu überwinden. Hier arbeiten wir insbesondere mit den störenden Emotionen der Anziehung, Anhaftung, des Verlangens und der Gier: wir wollen mehr Zeit von dieser Person, als sie uns geben kann oder will. Wir sind gierig gegenüber der Person, von der wir fasziniert sind. Nur zu sagen: „Ich werde sie ab jetzt ohne diese Dinge betrachten“ ist nicht leicht, oder? Wir haben dem gegenüber einen ziemlich starken inneren Widerstand. Daher wird ein Verständnis der Leerheit, ein Denken in Bezug auf das geistige Bezeichnen, das geistige Kontinuum und diese Dinge hilfreich sein. „Wer ist es, an dem ich so hänge? An was hänge ich genau?“ Auf diese Weise versuchen wir, die Person ohne Anhaftung, Begehren und Gier zu betrachten.

Dann werfen wir einen Blick auf die Person, die wir nicht mögen. Sie als unseren Feind zu bezeichnen, ist für viele von uns etwas zu übertrieben. Vielleicht kennen wir niemanden, den wir wirklich als einen „Feind“ bezeichnen könnten, aber wir kennen mit Sicherheit Menschen, die wir nicht mögen, mit denen wir nicht zusammen sein wollen und die wir lieber vermeiden würden. Wir haben also eine Abneigung gegenüber dieser Person. „Abscheu“ ist auch ein hilfreicher Begriff. Wir wollen mit dieser Person keine Gemeinschaft haben; wir mögen sie nicht. Und wir folgen wieder dem gleichen Vorgang. Wir lassen das Gefühl der Abneigung oder Abscheu hochkommen. Wir müssen erkennen, dass wir diese störende Emotion gegenüber der Person haben. Daher lassen wir sie entstehen. Es ist nicht so, dass wir uns darin schulen wollen, diese störende Emotion zu empfinden; vielmehr wollen wir sie erkennen und uns vor Augen führen.

Dann halten wir inne, bevor diese Emotion überhandnimmt. Wir drücken die Pause-Taste und fragen: „Warum empfinde ich das?“ Vielleicht ist es, weil die Person etwas getan hat, was ich nicht mag, weil sie mich verletzt hat oder Dinge einfach anders macht, als ich. Es könnte wirklich etwas ganz Harmloses sein. „Diese Person nervt mich, weil sie die Pampelmuse abschält und wie eine Apfelsine isst, anstatt sie auszulöffeln.“ Das ist jedoch ziemlich albern. Aber wie oft nerven wir uns wegen Menschen, die Dinge anders machen als wir? „Sie lassen das Geschirr über Nacht stehen und waschen es morgens ab. Das ist nicht gut.“ Wir ärgern uns über diese Person. „Das Geschirr muss sofort abgewaschen werden.“ Tatsächlich fangen wir selbst schon an, den Tisch sauberzumachen und das Geschirr zu waschen, wenn die Mahlzeit noch nicht einmal beendet ist.

Wir untersuchen also wieder die gleichen Dinge: Wir messen einer negativen Eigenschaft zu große Bedeutung bei und ignorieren die guten Eigenschaften. Außerdem denken wir, dass diese Person in vergangenen Leben oder früher nett zu uns war und in der Zukunft eine freundliche Einstellung gegenüber uns haben könnte. Jemand, den wir nicht mögen, könnte unter anderen Umständen ein guter Freund werden und uns helfen. Wir betrachten die Person also wieder ohne diese Abneigung, ohne diese Abscheu. Es muss keine große Wut sein, sondern könnte einfach nur Abneigung oder Abscheu sein.

Dasselbe tun wir mit der Person, die wir als einen Fremden betrachten, eine Person, der wir vielleicht begegnet sind, von der wir jedoch nichts wissen. Wer erinnert sich schon an die Person, die uns die Eintrittskarte im Kino verkauft hat? Wer erinnert sich daran, wie sie aussah, geschweige denn, was für eine Person es war? Wir fragen uns wieder: „Warum ignoriere ich diese Person? Nun, sie hat nichts Besonderes getan und war weder freundlich noch unfreundlich mir gegenüber. Im Grunde ist sie ein Nichts. Die Eintrittskarte hätte ich auch an einem Automaten bekommen können.“ Was tun wir hier? Wir ignorieren all die Qualitäten dieser Person. Wir denken also: „In der Vergangenheit hätte sie wirklich freundlich gegenüber uns sein können. In der Zukunft könnte sie unser bester Freund werden. Jeder beste Freund, den wir haben, war einmal ein Fremder und so könnte auch diese Person ein kostbares Juwel sein.“ Diese Art der Bildsprache wird benutzt. Wir versuchen, sie ohne Gleichgültigkeit zu betrachten und sie nicht zu ignorieren.

Die Weise, wie wir jede dieser drei Personen betrachten, ist nicht die Mahayana-Weise des Entwickelns einer ausgewogenen Einstellung, mit der wir denken: „Sie alle wollen glücklich und nicht unglücklich sein und sind diesbezüglich gleich.“ Wir untersuchen nicht ihre positiven Aspekte, um mit Gleichmut, ohne Gefühle von nah und fern, eine ausgewogene Einstellung zu entwickeln. Vielmehr betrachten wir sie ohne die störenden Emotionen und ebnen den Boden – das ist das Bild, welches hier benutzt wird. Es gibt zwei Arten des Gleichmutes. Einer ist frei von den störenden Emotionen und mit dem anderen haben wir eine ausgeglichene Geisteshaltung gegenüber allen – wir räumen ein, dass alle gleichermaßen glücklich und nicht unglücklich sein wollen; wir bevorzugen also niemanden. Das ist die Mahayana-Methode.

Danach stellen wir uns alle drei Personen zusammen vor. Oft empfehle ich, dass wir sie uns vorstellen, wie sie zusammen mit uns am Tisch sitzen und wir mit diesen drei Personen zusammen essen – jene, in welche wir verliebt und von der wir vollkommen fasziniert sind; die Person, die wir nicht ausstehen können und die widerlich und lästig ist; und den Müllmann, der den Müll abholt. Wie würden wir damit umgehen? Sind wir wirklich in der Lage uns das vorzustellen, können wir erkennen, wie widersprüchlich unsere Emotionen sind. Hier sind diese drei Menschen zusammen – wie würden wir damit umgehen?

Wenn wir es ernsthaft machen, ist das wirklich ziemlich herausfordernd: sich vorzustellen, mit diesen drei Personen zusammen am Tisch zu sitzen. Um es noch etwas farbiger zu gestalten, könnten wir einen kläffenden Hund und eine Mücke mit hinzufügen. Es auf diese Ebene zu bringen, auf der wir Gleichmut gegenüber der Mücke und unserem besten Freund haben, ist wirklich ziemlich fortgeschritten und jenseits der Vorstellungskraft der meisten von uns. Aber das ist es, was wir hier tatsächlich entwickeln sollten. Es ist keine einfache Sache.

Wir stellen uns dann also diese drei Personen vor und entwickeln Gleichmut. Dann stellen wir die Überlegung an: „Was ist der Unterschied zwischen jemandem, der mir heute geholfen und mich gestern verletzt hat und einer Person, die mich heute verletzt hat und mir gestern half?“ Es gibt keinen Unterschied. Es ist nur eine Frage, wann uns jemand geholfen und wann er oder sie uns verletzt hat. Jeder hat uns jedoch unzählige Male verletzt und geholfen, wenn wir von anfangsloser Zeit und einem anfangslosen geistigen Kontinuum ausgehen. In Indien drückt man es aus, indem man sagt: „same, same“ (sprichwörtlich für: „es ist alles das gleiche“). Nichtsdestotrotz verlieren wir nicht den Blick auf die konventionelle Ebene, die konventionelle Wahrheit dessen, was im Moment stattfindet und wie wir unsere Zeit in Anbetracht unserer Beschränktheit verbringen.

Das ist die Meditation und sie nur für einige Minuten auszuführen, wird ihr kaum gerecht. Sie erfordert einiges an Arbeit, an emotionaler Arbeit. Emotional ist sie ausgesprochen schwierig. Daher ist meine Empfehlung zu versuchen, wenn möglich, ein Verständnis der Leerheit und des geistigen Bezeichnens im Vorhinein zu haben. Das wird uns helfen, diese Meditation nicht so emotional herausfordernd und überwältigend zu machen.

Üben wir diese Meditation ernsthaft und wählen die richtigen Leute – eine Person, nach der wir verrückt sind, eine andere, die wir nicht ertragen können und den Niemand – werden wirklich starke Emotionen hochkommen. Wir wollen hier keine leichten Beispiele auswählen. Möchten wir mit dieser Meditation etwas erreichen, sollten wir effektive Beispiele aussuchen. Und es wird eine große emotionale Herausforderung werden, die man leicht aufgeben kann. „Ich kann unmöglich diesen Gleichmut entwickeln. Ich liebe diese Person und will diese Liebe nicht aufgeben. Warum sollte ich damit aufhören, diese Person zu lieben? Es fühlt sich so schön an, mit ihr zusammen zu sein. Die Gemeinschaft mit ihr macht mich so glücklich. Warum sollte ich die gleiche Einstellung gegenüber einer Mücke oder dieser nervenden Person auf der Arbeit, dem lauten Nachbarn oder diesem Typen haben, der mich versucht, auf der Straße zu überholen?“

Ohne ein Verständnis, welches dieser Meditation zugrunde liegt, wird es emotional richtig schwierig werden, Gleichmut zu entwickeln. Daher handelt es sich um eine fortgeschrittene Meditation. Sie befindet sich auf der fortgeschrittenen Ebene, nicht auf der anfänglichen. Man sollte es nicht auf die leichte Schulter nehmen, dass sie auf der Schulung der anfänglichen und mittleren Ebenen aufbaut.

Das bringt uns zum Ende unserer Sitzung. Lasst uns also hier enden und dann nach dem Mittag weitermachen.

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