Rückblick
Heute morgen haben wir über die grundlegende Ebene oder die Basis für die siebenteilige Meditation über Ursache und Wirkung zum Entwickeln der Bodhichitta-Ausrichtung gesprochen. Wir haben gesehen, dass es sich hierbei um Gleichmut handelt, die Art des Gleichmuts, mit der wir frei von Anhaftung oder Anziehung, Ablehnung oder Abneigung, sowie Gleichgültigkeit gegenüber den verschiedenen Menschen sind. Wie es hier, in den vier Unermesslichen, heißt, ist es der Gleichmut, der frei von „Voreingenommenheit, Anhaftung und Wut“ ist. Tatsächlich kann man es noch etwas genauer ausdrücken: er ist frei von Anhaftung, Feindseligkeit und Naivität, mit der wir andere ignorieren.
Wir haben gesehen, dass die Grundlage für diesen Gleichmut darin besteht, Samsara zu entsagen – Entsagung in Bezug auf das Aufgeben dieser störenden Emotionen, die wir gegenüber den verschiedenen Wesen haben. Wir müssen bereit sein, sie aufzugeben, um zumindest Befreiung anzustreben. Entsagung ist die Grundlage, auf der wir Bodhichitta entwickeln. In diesem Vers einer inneren Mandala-Opferung heißt es:
Die Objekte der Anhaftung, Abneigung und Gleichgültigkeit, Freunde, Feinde und Fremde, meinen Körper, Besitztümer und Freuden bringe ich ohne ein Gefühl des Verlustes dar.
Darüber haben wir heute morgen gesprochen – diese Dinge ohne ein Gefühl des Verlustes zu opfern, also ohne zu denken: „Eigentlich will ich Samsara nicht loslassen. Ich will nicht auf die Nähe von Freunden oder das Ablehnen von Menschen verzichten, die ich nicht mag“ und so weiter.
Bitte nehmt sie mit Freude an.
Was ist damit gemeint? Nun, diesen Dingen zu entsagen, sollte ein Gefühl der Freude, ein Gefühl der Freiheit hervorrufen.
Und inspiriert mich und andere, frei von den drei giftigen Geisteshaltungen zu sein.
Es ist nicht so, dass wir all unsere Freunde den Buddhas übergeben – sie brauchen unsere Freunde nicht. Und wir schenken ihnen auch nicht die Menschen, die uns nerven, wie unsere lauten Nachbarn oder die schwierigen Menschen auf der Arbeit. Vielmehr bringen wir sie der Befreiung dar. Wir opfern sie den Drei Juwelen der Zuflucht. Darüber haben wir gestern gesprochen – die wahre Beendigung unserer Probleme und den wahren Geist oder Pfadgeist, der uns zu dieser Beendigung führt. Wir bringen sie dieser sicheren Ausrichtung dar: „Mögen sie in der Lage sein, diese Richtung einzuschlagen.“ Wir bekräftigen also nicht nur unsere eigene Entsagung und Bereitschaft, diese Beendigungen und diesen wahren Pfadgeist selbst zu erlangen, sondern unseren Wunsch, auch andere auf diese Ebene zu führen.
Vielleicht sollte ich am Rande etwas über die allgemeine Mandala-Opferung sagen, da ich nicht weiß, wie sehr ihr damit vertraut seid. Es wird gesagt:
Diesen Boden, mit Duftwasser besprengt und Blumen bestreut, mit Berg Meru, den vier Ländern sowie Sonne und Mond,visualisiere ich als Buddha-Land und bringe ihn als Opfergabe dar. Mögen sich alle Wesen an diesem reinen Land erfreuen.
Wisst ihr, worauf sich das bezieht? Es bezieht sich auf den Sambhogakaya. Der Sambhogakaya unterweist alle Arya-Bodhisattvas in einem reinen Land und er lehrt sie Mahayana, bis Samsara endet. Was bringen wir also anderen dar? Wir bringen ihnen diese Ebene eines reinen Landes dar, auf der alles förderlich ist. Und da es sich hierbei um eine Mandala-Opferung zum Empfangen von Lehren handelt, bitten wir sie mit anderen Worten: „Unterrichtet mich auf eine Weise, die wirklich förderlich ist, um, wie in einem reinen Land, Lehren vom Sambhogakaya empfangen zu können. Wir stellen uns unser gesamtes Umfeld auf diese Weise vor. Wir befinden uns nun in einem perfekten Bereich, der förderlich für das Empfangen von Lehren ist, und denken: „Mögen alle solch eine Situation haben“ und dies bringen wir dann dar. Im zweiten Vers denken wir dann: „Ich bringe es allen dar, ohne manche Menschen von diesem reinen Land auszuschließen und nur an meine Freunde zu denken.“ Diese Verse der Mandala-Opferung sind wirklich sehr bedeutsam.
Meditation über Gleichmut
Es mag hilfreich sein, hier eine kleine Meditation einzufügen, da ich darum gebeten wurde. Auf jeden Fall ist es überaus hilfreich, dies zu tun. Wie gesagt, ist es völlig in Ordnung, nur ein wenig über Gleichmut zu meditieren, aber es ist nicht etwas, dem wir uns lediglich fünf Minuten widmen, bevor wir zu den nächsten Stufen übergehen. Es wäre wirklich bemerkenswert, wenn wir tatsächlich echten Gleichmut erlangen könnten. Wie dem auch sei, lasst es uns versuchen. Da wir nicht so viel Zeit haben, werde ich keine allzu lange Übung machen, aber wir können es für fünf bis zehn Minuten üben. Wir könnten all die Stadien durchgehen, die ich erklärt habe, und jede der drei individuellen Personen visualisieren, die wir ausgewählt haben – eine, die wir sehr mögen, eine andere, die wir nicht ertragen können, und eine dritte, die wir ignorieren und nie wirklich als eine Person gesehen haben.
Wie wählen wir diese Leute aus? Nun, wir könnten Personen aus unserem Leben nehmen. Es ist wirklich interessant festzustellen, wie wir an belebten Orten – ob am Flughafen, im Supermarkt oder wo auch immer – gern Menschen ansehen, die wir hübsch finden. Was Menschen betrifft, die wir abstoßend finden, so sehen wir einfach weg, und andere ignorieren wir vollkommen. Das ist ein Hinweis darauf, wie sehr unser Geist durch diese drei giftigen Geisteshaltungen, diese drei störenden Geisteshaltungen, beeinflusst wird.
Wir könnten auf sehr dramatische Beispiele in unserem Leben zurückgreifen, aber auch weniger dramatische wählen, wie beispielsweise einfach Menschen, die uns ins Auge fallen. Warum fallen sie uns ins Auge? Vielleicht erfreut es uns, eine hübsche Person anzusehen, was ja nicht gleich eine sexuelle Dimension haben muss. Manche Leute sehen einfach gern kleine Kinder an, weil sie so süß sind. Was immer es ist, das wir gern sehen – es spielt eigentlich keine große Rolle. Versucht in der Meditation an den Punkt zu kommen, der wahrlich herausfordernd ist, nämlich alle drei gleichzeitig zu betrachten.
Ich würde empfehlen, dass wir versuchen, diese Meditation im Licht dessen auszuführen, was ich über geistige Kontinua erklärt habe – also eine Person auf der Grundlage des Ganzen, des gesamten geistigen Kontinuums, zu betrachten. Wir sehen sie nicht nur beruhend darauf, wo sie in ihrem geistigen Kontinuum momentan gerade ist, und sehen auch nicht nur ihre guten oder schlechten Eigenschaften oder das, was wir als einen Mangel an Qualitäten wahrnehmen. Das passiert im Grunde, wenn wir gegenüber anderen Anhaftung, Abneigung oder Gleichgültigkeit empfinden: wir limitieren die Grundlage für die Bezeichnung der Person. Lasst uns sehen, ob es hilfreich ist, die Tatsache zu verstehen, dass geistige Kontinua anfangs- und endlos sind, um mit dieser emotional herausfordernden Meditation zurechtzukommen, denn es handelt sich um eine Tatsache; zumindest ist es wahr, was die buddhistischen Behauptungen in Bezug auf geistige Kontinua betrifft.
[Meditation]
Welchen Geisteszustand hinterlässt das bei uns, wenn wir mit dieser Praxis erfolgreich sind? Üben wir die Meditation über den Gleichmut mit der Entwicklung einer ausgewogenen Einstellung gegenüber allen, was die Mahayana-Weise dieser Methode ist, hinterlässt das bei uns eine Bereitschaft, allen gleichermaßen zu helfen – also nicht bestimmte Menschen zu bevorzugen, weil wir sie mehr mögen als andere. Wenden wir uns der Meditation über den Gleichmut zu, mit der wir die störenden Emotionen beseitigen, was der Praxis entspricht, die wir hier machen, hinterlässt das bei uns etwas viel Wesentlicheres. Der Punkt ist nicht, einfach nichts zu fühlen, obgleich man denken mag, dass es bei dieser Methode letztendlich darauf hinausläuft. Vielmehr hinterlässt sie bei uns einen friedlichen Geisteszustand. Für gewöhnlich wird dies mit dem so genannten Hinayana-Pfad in Zusammenhang gebracht, welcher den Theravada und viele anderen Formen der achtzehn Nikaya-Schulen des frühen Buddhismus („nikaya“ ist der Pali-Begriff) mit einschließt, wobei der Theravada eine davon ist, die man im Mahayana als Hinayana bezeichnet. Die Meditation hinterlässt bei uns also einen friedlichen Geisteszustand – friedlich in einem positiven Sinn der Offenheit gegenüber allen; nicht einfach nur Gleichgültigkeit gegenüber anderen.
Ich denke, eines der Dinge, mit denen wir den Zustand unseres Geistes abschätzen können, ist unsere Energie. Stellen wir uns die Person vor, die wir so sehr mögen und mit der wir zusammen sein wollen, sowie jene, die wir ganz und gar nicht mögen und mit der wir keine Zeit verbringen wollen, und auch die Person, die wir völlig ignorieren, weil sie uns nichts bedeutet, empfinden wir wahrscheinlich keine besondere Form von Energie – „ich werde auf sie zulaufen“ oder „von ihr werde ich mich fernhalten.“ Dennoch merken wir vielleicht, wenn wir ruhig genug sind, dass es da eine Anspannung gibt. In unserer Energie gibt es eine Art der Anspannung, wenn wir diese drei Leute betrachten. Unseren Geisteszustand kann man dann nicht gerade als friedlich bezeichnen und das ist ein Hinweis darauf, dass wir weiter an uns arbeiten müssen.
Ein friedlicher Geisteszustand – „Nirvana bedeutet Frieden“ – würde zur Folge haben, sich mit diesen drei Personen ohne Anspannung konfrontieren zu können. Wir wären einfach völlig entspannt und offen. Es gäbe keine Anspannung, keine emotionalen Konflikte. Das streben wir an und es ist nicht leicht, dies zu erreichen. Auch hier können wir unseren Erfolg mit dieser Praxis messen, indem wir einen Blick auf unsere Energie werfen. Ich denke, die Anspannung ist hier ein nützliches Maß.
Schritt Eins: Mutter-Gewahrsein
Dann kommen wir zum ersten Schritt der siebenteiligen Meditation über Ursache und Wirkung. Dieser Schritt ist nicht gerade einfach und wenn wir uns nicht über frühere Leben, anfangslose Leben, anfangs- und endlose geistige Kontinua und so weiter bewusst sind, ist er äußerst schwierig. Üblicherweise wird er folgendermaßen übersetzt: „erkennen, dass alle schon einmal unsere Mutter gewesen sind“ und wörtlich handelt es sich dabei um das „Mutter-Gewahrsein“. Dieser Schritt geht damit einher, den Aspekt, diese Eigenschaft zu erkennen, solch eine Beziehung mit jedermanns geistigem Kontinuum gehabt zu haben.
Es ist hilfreich logisch zu beweisen, dass jeder irgendwann schon einmal unsere Mutter gewesen ist. Einige Leute in meinem Unterricht in Berlin haben wir dazu herausgefordert und einen logischen Beweis dafür erstellt, dass jeder schon einmal in einem früheren Leben unsere Mutter gewesen ist. Das haben wir dann von einem hochrangigen Geshe überprüfen lassen, der sagte, dass man das für gewöhnlich nicht versuchen würde zu beweisen, der Beweis jedoch tatsächlich überzeugend war. Bevor ich euch den Beweis gebe, würde ich gern wissen, ob jemand von euch sich vorstellen kann, wie man denn beweisen könnte, dass alle schon einmal in einem früheren Leben unsere Mutter gewesen sind. Es ergibt nicht wirklich Sinn zu versuchen, alle als jemanden zu sehen, der oder die schon einmal unsere Mutter gewesen ist, wenn es dafür keine logische Grundlage gibt. Wie würdet ihr an die Sache herangehen, um es zu beweisen?
Vielleicht, weil jeder eine unbegrenzte Anzahl von Leben hat und es unendlich viele Wesen gibt. Wenn das so ist, wie kann es dann nicht sein, dass jeder schon einmal unsere Mutter gewesen ist.
Falsch! Wenn es unendlich viele Leben und unendlich viele Wesen gibt, warum könnten dann nicht alles schon einmal unsere Mutter gewesen sein? Nein, die Parameter stimmen nicht, die Parameter des Systems sind falsch. Zunächst muss man die Parameter richtigstellen. Die Parameter sind: unbegrenzter Zeitraum, begrenzte Anzahl von Wesen – es gibt keine unbegrenzte Anzahl von Wesen, denn dann könnte man nie „alle“ erreichen – und alle Wesen sind gleich. Mit diesen drei Parametern des Systems, muss man sich dem Ganzen mathematisch nähern und beweisen, dass alle schon einmal unsere Mutter gewesen sind.
Was bedeutet „gleich" in diesem Sinne?
Was bedeutet „gleich“ in diesem Sinne? Das ist eine gute Frage. Jeder ist in dem Sinne gleich, dass wir alle in Samsara umherwandern und aufeinander einwirken. Es ist nicht so, dass manche in einer Ecke von den anderen isoliert wurden und nur miteinander zu tun hatten. Wir könnten uns auch die Situation vorstellen, dass „jede Person in fast jedem Leben schon einmal unsere Mutter gewesen ist“, obgleich wir wahrscheinlich von mehreren Müttern reden müssten, denn wir könnten sterben, während eine Mutter noch lebt und dann von einer anderen Mutter geboren werden. Allerdings könnten wir auch bei der gleichen Mutter wiedergeboren werden, wenn sie nicht zu alt ist. Wir müssen also zumindest von mehr als einer ausgehen. Aber warum ist dies nicht der Fall, dass wir nur eine oder nur einige wenige Mütter hatten?
Es ist schon verrückt, dass jeder schon einmal unsere Mutter gewesen ist, nicht wahr? Es ist wirklich merkwürdig.
Man müsste meinen, dass wir in jedem dieser Leben eine Mutter haben.
Wir haben eine Mutter in jedem dieser Leben. Gehen wir von einem unbegrenzten Zeitraum aus, könnten wir auch zuweilen durch Hitze und Feuchte geboren worden und somit einige Male aus einem Lotus hervorgegangen sein.
Ich glaube, man müsste auch hinzufügen, dass die Lebensspanne unbestimmt ist, denn wäre sie es nicht, hätte man das Problem, dass eine Mutter möglicherweise immer unsere Mutter gewesen ist.
Ist die Lebensspanne unbestimmt? Das ist nicht unbedingt der Fall. Ich denke, wir müssten sagen, dass die Lebensspanne unmöglich unbegrenzt sein kann. Im nördlichen Kontinent ist es zum Beispiel festgelegt, dass die Lebensspanne eintausend Jahre betragen wird. Eine festgelegte aber nicht unbegrenzte Lebensspanne ist also erlaubt.
Es ist möglich, dass jeder unsere Mutter gewesen ist, aber es ist nicht unbedingt wahr.
Oh! Es ist möglich, dass jeder unsere Mutter gewesen ist, aber es ist nicht unbedingt wahr. Ist das zufriedenstellend für die Entwicklung von Bodhichitta? Das führt uns zu einem großen „vielleicht“.
Könnte es sein, dass es noch nicht geschehen ist, es jedoch geschehen wird?
Es hat noch nicht stattgefunden, wird aber stattfinden? Ich denke, wenn wir von anfangsloser Zeit reden, ist es damit getan und wir brauchen dies nicht postulieren. Zeit ist anfangslos – das ist eine ziemlich lange Zeit. Es gab also genug Zeit für alle, um einmal unsere Mutter gewesen zu sein.
Sogar wenn man davon ausgehen würde, dass jeder nur vielleicht – aber nicht unbedingt – einmal unsere Mutter war, ist man vielleicht auch in der Lage, Bodhichitta zu entwickeln, denn man würde nicht wissen, wer unsere Mutter gewesen ist und wer nicht, und man würde es nicht darauf ankommen lassen jemanden auszulassen, der vielleicht unsere Mutter gewesen ist.
Das ist ein interessanter Punkt. Hier geht es um Folgendes: Auch wenn wir davon ausgehen, dass jeder nur vielleicht unsere Mutter gewesen ist, könnten wir trotz allem Bodhichitta entwickeln, weil wir nicht wüssten, wer unsere Mutter gewesen ist und wer nicht – es gäbe kein kleines Häkchen neben jedem, der es gewesen ist – und wir würden es nicht darauf ankommen lassen, jemanden zu übergehen.
Setzen wir damit voraus, dass wir Bodhichitta darauf basieren werden, dass alle schon einmal unsere Mutter gewesen sind?
Ja.
Auch wenn sie nicht unsere Mutter waren, so waren sie doch alles andere und gütig gegenüber uns.
Hier wird gesagt: um Bodhichitta zu entwickeln, ist es nicht notwendig zu erkennen oder sich bewusst darüber zu sein, dass alle einmal unsere Mutter gewesen sind, wobei das „Erkennen“ darauf hindeutet, sich daran zu erinnern; es geht also um das Gewahrsein – denn es gibt auch andere Methoden. Mit anderen Methoden zum Entwickeln von Bodhichitta denken wir an die Güte anderer, auch wenn sie nicht unsere Mutter gewesen sind.
Nun, hier haben wir ein Meditationssystem – die siebenteilige Meditation über Ursache und Wirkung – welches als ein in sich vollständiges System gilt, das effektiv für das Entwickeln von Bodhichitta ist. Wir gehen also davon aus, dass wir keine anderen Methoden zum Entwickeln von Bodhichitta mit ins Spiel bringen müssen und dass diese funktionieren wird.
Wie ich gestern klar gemacht habe, gibt es einige Gefahren, vor denen wir uns in Acht nehmen müssen – nämlich zu denken „sie waren freundlich gegenüber mir“ und damit dazu zu neigen, das „Ich“ etwas hervorzuheben. Abgesehen davon geben wir dieser Methode einen Vertrauensvorschuss und betrachten sie als wirksame Methode, als effektives Hilfsmittel zum Entwickeln von Bodhichitta.
Ich habe gehört, dass es als „gütig wie eine Mutter“ übersetzt wird. Güte wird demnach als eine Eigenschaft anerkannt, die typisch für eine Mutter ist.
Er sagt, dass er von Versionen dieser Meditation gehört hat, in denen gesagt wird, dass jeder gütig wie eine Mutter ist. Ich denke, das geht in die Dharma-light-Richtung. So könnte man es auch üben. Wie gesagt, besteht die echte Dharma-light-Version, die ich auch unterrichtet habe, darin, zu denken: „Ein jeder könnte uns zu sich nach Hause einladen, uns etwas zu Essen geben und nett zu uns sein.“
Was interessant ist: manche meiner Schüler in Deutschland, wo ich momentan lebe, sind alt genug, um Eltern zu haben, die Nazi-SS-Offiziere waren und somit schreckliche Dinge taten. Dennoch wurden diese Kinder mit Nahrung und Kleidung versorgt und die Väter haben sich um sie gekümmert. Viele von ihnen haben allerdings erhebliche Probleme, aber lassen wir das beiseite.
Ich denke, wir sollten es wörtlich nehmen, wenn wir davon ausgehen, dass alle schon einmal unsere Mutter gewesen sind. Wir neigen dazu, bei empfohlenen Methoden Ausnahmen zu machen, wenn es um jene geht, die von ihren Müttern vernachlässigt oder missbraucht wurden, oder die eine besonders schwierige Beziehung mit ihnen hatten und daher emotionale Blockaden gegenüber dieser Meditation haben. Wie ich aber schon gesagt habe, ist dies keine Meditation für Anfänger. An diesem Punkt in unserem Dharma-Training haben wir uns sicher schon mit den Problemen befasst, die wir mit unseren Müttern hatten. Wenn wir es bis jetzt noch nicht getan haben... Hallo! Versuchen wir nicht, Dharma zu praktizieren? Es stimmt jedoch, dass die Beziehung zu unseren Eltern eine der größten Herausforderungen ist.
Wir können auch dazu übergehen, uns vorzustellen, dass alle unsere besten Freunde waren, dass alle schon einmal unser Vater waren oder wer immer es ist, mit dem wir uns befassen wollen. Das ist nicht so relevant. Die Vorstellung der Mutter hat jedoch eine besondere Bedeutung, weil sie uns zumindest als Fötus nicht abgetrieben hat. Das ist die minimale Ebene und das war ziemlich gütig von ihr. Das würde uns aber dazu führen, über Abtreibung nachzudenken, worauf wir hier jedoch nicht eingehen werden.
Handelt es sich bei dem Ganzen nicht um ein Werkzeug, in dem Sinne, dass es eigentlich egal ist, ob wir es beweisen können oder nicht? Was würde denn passieren, wenn wir glauben, dass alle Wesen, jede Ameise, die wir gesehen haben, unsere Mutter gewesen ist? Wie würde es uns verändern. Daher ist es doch ein Werkzeug.
Das ist ein wirklich guter Punkt. Wäre es nicht genug, diese Sichtweise als ein Werkzeuge zu benutzen – um im Zweifelsfall erst einmal zu sehen, was passieren würde, wenn wir tatsächlich alle als jemanden betrachten würden, der schon einmal unsere Mutter gewesen ist.
Am Anfang habe ich diese Art von Wertzeug benutzt, wenn ich mich mit dem Thema der Wiedergeburt beschäftigt habe. Damals wusste ich nichts über die Wiedergeburt. Wie bereits erwähnt, glaube ich, dass wir die buddhistischen Lehren über das Selbst, welches wiedergeboren wird, verstehen müssen, bevor wir wirklich Vertrauen in die buddhistischen Lehren über die Wiedergeburt haben können. Dennoch geben wir dem ganzen einen Vertrauensvorschuss und sehen, was daraus folgt. Diesem Vorgang bin ich jedenfalls gefolgt. Dasselbe tun wir, wenn es darum geht zu denken, dass jeder schon einmal unsere Mutter gewesen ist. Dann werden wir jedoch mit der Kritik von uns oder anderen konfrontiert, dass wir uns nur mit Propaganda einer Gehirnwäsche unterziehen. Es mag hilfreiche Propaganda sein, aber viele Menschen denken vielleicht, ihre Propaganda wäre hilfreich und nützlich, während sie es gar nicht ist. Ich denke also, einen logischen Beweis zu haben, wäre nützlich.
Es gibt allerdings wirklich viele Dinge, bei denen man nicht so tun kann, als gäbe es logische Beweise dafür, wie all diese rätselhaften Dinge im Buddhismus, die nur schwer zu glauben sind, wie beispielsweise die Übertragungslinie. Woher kommen diese Mahayana-Lehren? Nagarjuna begab sich unter den Ozean und brachte die Prajnaparamita-Lehren von den Nagas, die sie unter dem Ozean bewahrt hatten. Wirklich? Und Asanga besuchte den Tushita-Himmel und erhiert dort bestimmte Lehren von Maitreya. Er lernte sie auswendig und brachte sie zurück zur Erde. Im Tushita-Himmel verbrachte er nur einen Morgen, aber auf der Erde waren fünfzig Jahre vergangen – das klingt, als wäre er in einem Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit gereist. Wie gehen wir mit solchen Dingen um? Wie akzeptieren wir sie und sind dann kritisch gegenüber Menschen, die sagen, sie hätten ihre Lehren von allen möglichen ungewöhnlichen Quellen, wie Madame Blavatsky, erhalten, die behauptete, ihre Lehren von den Mahatmas im Himalaya bekommen zu haben, die ihr Briefe sandten. Wie gehen wir damit um? „Das sind legitime Lehren“ – diese Aussage ist nicht gerade leicht zu akzeptieren, ganz und gar nicht.
Auf einer Konferenz von Nonnen, an der ich diesen Sommer in Hamburg teilgenommen hatte, wies ein westlicher Gelehrter darauf hin, dass Menschen so eine große Sache aus Übertragungslinien machen, die echt und ungebrochen sein muss. Er sagte: „Betrachtet man nur einmal die Anzahl von Namen der Menschen in der Übertragungslinie der Ordination, von der Zeit Buddhas bis hin zu der Zeit, als der Buddhismus nach Tibet gebracht wurde, sieht man, dass jede dieser Personen im Durchschnitt 220 Jahre gelebt haben muss, damit die Übertragungslinie ungebrochen ist.“ Dann sagt man: „Wie bitte? Einen Moment mal, was ist eine Übertragungslinie?“
Es gibt also viele Dinge, bei dessen näherer Betrachtung wir uns fragen: „Baue ich wirklich meine ganze spirituelle Praxis auf irrationalen Glaubensvorstellungen auf? Was tue ich da eigentlich?“ Es wäre also gut, zumindest für einige Dinge, die wir tun, einen rationalen Beweis vorlegen zu können, um die Gewissheit zu haben, nicht völlig verrückt zu sein. Nur zu sagen: „Es funktioniert doch und daher spielt es keine Rolle, ob es ein Märchen ist oder nicht“ ist auch völlig in Ordnung. Allerdings fühle ich mich immer etwas bessern, wenn zumindest etwas davon eine so genannte logische, solide Basis hat. Zu Beginn geben wir dem Ganzen allerdings einen Vertrauensvorschuss.
Wie dem auch sei, hier ist der Beweis, den wir erbracht haben: unbegrenzte Zeit, eine begrenzte Anzahl von Wesen, jeder ist gleich. „Wenn ein Wesen meine Mutter gewesen ist, dann waren alle schon einmal meine Mutter, weil alle gleich sind. Wenn ein Wesen nicht meine Mutter gewesen ist, dann war es niemand, weil alle gleich sind. Zumindest der tibetische Geshe, der einer der Lehrer in der Debattier-Schule in Dharamsala ist, fand diesen Beweis angemessen. Es war einer meiner sehr guten Schüler, der zu dieser Schlussfolgerung kam.
Es scheint, diese Forderung, alle Wesen als gleich anzusehen, ist etwas vage.
Vielleicht ist das so. Ich bin gewiss kein Mathematiker, daher weiß ich es nicht. Wenn wir einen Behälter mit Teilchen eine unbegrenzte Zeit lang schütteln, würde nicht ein jedes mit einem anderen irgendwann in Berührung kommen? Ich denke, das verstehen wir hier unter „gleich“.
Man kann es auch anders ausdrücken. Ich erinnere mich, dass es eine begrenzte Anzahl von Sauerstoffmolekülen gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass man gerade das gleiche Sauerstoffmolekül wie Platon eingeatmet hat, ist also hoch.
Nur um es noch einmal zu wiederholen: Wenn es nur eine bestimmte Anzahl von Sauerstoffmolekülen gibt – womit man davon ausgeht, dass nicht noch mehr erzeugt und andere ausgeschlossen werden – ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir das gleiche Sauerstoffmolekül einatmen, das auch Platon eingeatmet hat.
Gut. Warum nicht? Das bringt uns jedoch zu einer wirklich komplizierten Diskussion über die Zeit und ich möchte nicht dorthin abschweifen, weil es ein komplexes Thema ist. Im Prasangika wird jedoch die Existenz eines Objektes als gemeinsamer Nenner widerlegt, welches sich durch die drei Zeiten bewegt. „Gemeinsamer Nenner“ bezieht sich auf das gleiche Objekt, die gleiche Sache, die es in der Vergangenheit gab, die jetzt gegenwärtig da ist und die auch in der Zukunft da sein wird. Es geht also darum, dass es ein objektiv existierendes Sauerstoffmolekül gibt, das in gewisser Weise beständig ist und sich durch die Zeit bewegt. Platon hat es eingeatmet und nun atme ich das gleiche auch ein. Diese Art von Objekt als gemeinsamer Nenner wird von einem Unterzweig des Vaibhashika vertreten, aber im System des Prasangika widerlegt man es. Wir sollten also etwas vorsichtig sein, wenn wir diese Analogie benutzen, denn das würde heißen, dass die gleiche substantiell existierende Person, die in der Vergangenheit als meine Mutter aktiv war, nun als jemand wirkt, der nicht meine Mutter ist. Die Tatsache der Unbeständigkeit, dass Dinge sich kontinuierlich ändern, wird hierbei nicht berücksichtigt.
Gut, genug mit unseren logischen Beweisen. Aber zumindest fühle ich mich etwas bessern, wenn ich eine Art vernünftiger Grundlage habe, um jeden als jemanden zu sehen, der schon einmal meine Mutter gewesen ist, und um ein Gewahrsein dafür zu entwickeln.
Andere auf diese Weise zu sehen ergibt sich daraus, alle als anfangs- und endlose geistige Kontinua zu betrachten und sich bewusst darüber zu sein, dass ihr momentaner Zustand nur einen winzigen Teil dieses Kontinuums repräsentiert. Ich habe während dieser Meditation über Gleichmut mit einigen Bildern experimentiert, und ein Bild, welches in meinem Geist erschien, war eine Sinuskurve, die sich wie eine Achterbahn auf und ab bewegt. Wir können uns das geistige Kontinuum auf so eine grafische Weise wie eine unendlich lange Linie vorstellen, die sich ständig auf und ab bewegt. So ist beispielsweise oben eine Person die wir mögen, unten jemand, den wir nicht mögen und in der Mitte befindet sich jemand, den wir ignorieren. Jede Person, jedes geistige Kontinuum, ist eine Sinuskurve und momentan sehen wir einfach gerade entweder einen oberen Teil der Kurve oder einen unteren Teil der Kurve dieser Sinusfunktion. Vielleicht ist das eine hilfreiche Vorstellung, zumindest für jene, die eher etwas mit Bildern anfangen können. In dieser Hinsicht sind sie alle irgendwann auf dieser unendlich langen Kurve schon einmal unsere Mutter gewesen.
Wie ich schon sagte, sollten wir dies nicht mit Lehren von anderen Methoden vermischen, aber eine kleine Sache, die von Bedeutung ist und die wir einbringen können, ist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann jemand unsere Mutter gewesen ist – ob in diesem Moment oder vorher. In den Lehren fragt man sich in diesem Zusammenhang: „Wenn ich meine Mutter seit zehn Jahren nicht gesehen habe, ist sie dann immer noch meine Mutter? Ja, sie ist nach wie vor meine Mutter. Und wenn ich sie seit zehn Leben nicht gesehen habe, ist sie dann auch noch meine Mutter? Ja, sie ist auch dann noch meine Mutter.“ Es ist also einfach eine Frage der Zeit. Nur weil wir sie für eine Weile nicht gesehen haben, heißt das nicht, dass sie nicht mehr so sehr unsere Mutter ist. Es bedeutet jedoch nicht, dass diese Person eine solide, unveränderliche Identität als „unsere Mutter“ hat – momentan ist sie nicht unsere Mutter. Wir sollten hier also nicht die Lehren der Leerheit vergessen. Wir betrachten lediglich eine bestimmte Eigenschaft.
Das ist wiederum wichtig für die Entwicklung einer gewissen Betrachtungsweise, die hilfreich ist, um Bodhichitta entstehen zu lassen. Vielleicht erinnert ihr euch an unsere gestrige Diskussion über die Bodhichitta-Ausrichtung auf unsere individuelle Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat, jedoch auf der Grundlage unserer Buddha-Natur stattfinden kann. Wir richten uns also auf etwas ausgesprochen Positives. Außerdem hatte ich auch erwähnt, dass es hier recht hilfreich ist, den Guru als einen Buddha zu sehen, denn damit richten wir uns auf die guten Eigenschaften des Lehrers – ohne jedoch irgendwelche Mängel seitens dieser Person zu leugnen. Indem wir uns auf die guten Eigenschaften – die wahr sind – ausrichten und das Ergebnis beruhend auf der Ursache usw. erkennen, sehen wir, dass der Guru ein Buddha ist.
Auch der Punkt, den du hervorgebracht hast, ist hier relevant: Ist dies eine unrealistische Sichtweise, die dennoch nützlich ist, oder ist sie angemessen? Es gibt verschiedene Ebenen. Die erste ist, dass der Guru wie ein Buddha ist. Dies ist die so genannte Hinayana-Ebene – wir erkennen, dass die Person Buddha-Qualitäten hat. Die zweite Ebene ist, dass die Person eine Repräsentation eines Buddhas ist. Das ist die Mahayana-Ebene, und auf der Tantra-Ebene ist der Guru ein Buddha.
Nebenbei gesagt, kommt die einzige zufriedenstellende Erklärung, die ich in Bezug darauf gefunden habe, den Guru als einen Buddha zu sehen, und die zumindest für mich zufriedenstellend ist, aus den Sakya-Lehren der Untrennbarkeit von Samsara und Nirvana. Hierbei handelt es sich wie um verschiedene Quantenebenen von etwas. Entsprechend der Quantenphysik befinden sich Teilchen gleichzeitig in verschiedenen Positionen oder Zuständen. Nur wenn sie beobachtet werden, können wir bestimmen, ob sich ein Teilchen in diesem Zustand oder dieser Lage befindet, oder jener.
Wir könnten also hinsichtlich der Energie – der subtilsten Energie und des subtilsten Geistes – sagen, dass es diese zwei Möglichkeiten gibt, getrennt (das ist die Untrennbarkeit von Samsara und Nirwana, wozu es eine komplette Lehre gibt) und anhängig davon, was man wahrnimmt, was man geistig bezeichnet und was man wahrnimmt, und das bekommt man dann. Befassen wir uns also mit einem samsarischen Aspekt nicht nur des Lehrers, sondern von allem, und nehmen ihn wahr, dann haben wir es mit Unwissenheit und all diesen Dingen zu tun. Nehmen wir mit korrektem Verständnis diese nirwanische Möglichkeit oder den Aspekt wahr, haben wir es es mit der nirwanischen Seite zu tun – wobei wir hier nicht wirklich von einer „Möglichkeit“ sprechen können, denn dann müssten wir auf die ganze ontologische Diskussion darüber eingehen, wie diese beiden existieren. Aus dieser Sichtweise ist der Guru also ein Buddha, und es ist nicht so, als würden wir den Hund als einen Tisch bezeichnen. Das ist wäre verrückt.
Mein Punkt ist jedenfalls, dass wir uns mit der Bodhichitta-Ausrichtung auf die guten Eigenschaften, auf die Buddha-Natur, fokussieren. Das bedeutet nicht abzustreiten, auch Wut, mangelndes Gewahrsein und Verwirrung zu haben. Diese hatten wir seit anfangsloser Zeit, genau wie wir auch die Buddha-Natur seit anfangsloser Zeit besaßen. Zumindest hatten wir die meisten Aspekte der Buddha-Natur seit anfangsloser Zeit. Manche Aspekte, wie Bodhichitta, erlangen wir irgendwann zum ersten Mal. Es gibt also ein erstes Mal, wenn jemand Bodhichitta entwickelt. Andere Dinge, wie die Natur des Geistes, sind jedoch anfangslos.
Wir leugnen also nicht die anfangslosen negativen Dinge, aber wir fokussieren uns auf die positiven, auf die Buddha-Natur. Auf dieser Basis – der Buddha-Natur – richten wir uns auf unsere noch nicht stattfindende Erleuchtung, die wir anstreben, und wir wollen an alle anderen auf gleiche Weise denken. Wenn wir die Schritte durchgehen und erkennen, dass alle Wesen schon einmal unsere Mutter gewesen sind, uns bewusst darüber sind, wie gütig sie uns gegenüber waren, ihnen dankbar sind und uns wünschen, sie mögen glücklich und frei von Leiden sein, haben wir einen geistigen Rahmen, um uns auf andere in wirklich positiver Weise auszurichten – ohne es allzu rosig und naiv zu sehen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Wie ich bereits gestern vorgeschlagen habe, könnten wir uns auch vor Augen führen, dass alle uns irgendwann schon einmal ermordet haben. Wenn alle meine Mutter gewesen sind, dann waren auch alle irgendwann schon einmal mein Mörder – wenn wir von den gleichen Parametern der unendlichen Zeit, der begrenzten Anzahl von Wesen, der Gleichheit aller und der Tatsache ausgehen, dass Unwissenheit, Wut und so weiter seit anfangsloser Zeit Teil des geistigen Kontinuums eines jeden sind. Die positiven Eigenschaften waren jedoch auch schon seit anfangsloser Zeit da. Da gibt es zum Beispiel den natürlichen Aspekt des Geistes, der geistigen Aktivität, sich zu kümmern und zu sorgen, sei es, sich auf selbstsüchtige Weise, wie mit dem Instinkt der Selbsterhaltung, um sich selbst zu sorgen, oder, wie mit dem Instinkt der Erhaltung der Spezies, sich um seinen Nachwuchs zu kümmern. Auf diese Dinge richten wir uns hier. Diese positive Sicht auf alle, also dies als geistigen Rahmen zu haben, ist äußerst hilfreich, um sich mit Bodhichitta ausrichten zu können.
Alle waren also schon einmal unsere Mutter. Wir könnten auch unseren besten Freund oder jemand anderen nehmen, aber es geht um die Mutter, weil wir ihr unser Leben verdanken. Sie ist diejenige, die uns hätte abtreiben können. Sie hat uns tatsächlich geboren – egal, wie sie uns danach behandelt haben mag. Oder sie ist diejenige, die das Ei gelegt hat, aus dem wir dann geschlüpft sind. Das Lieblingsbeispiel Seiner Heiligkeit des Dalai Lama ist das der Meeresschildkröten, die ihre Eier ablegen und dann im Meer verschwinden, ohne jemals wieder etwas mit ihren Kindern zu tun zu haben. Zumindest hat sie jedoch die Eier abgelegt und sichergestellt, dass sie sich im Sand an einem Ort befanden, an dem sie schlüpfen konnten. Das war ausgesprochen gütig. Sie hat sie nicht einfach im Meer abgelegt.
Wollt ihr die Meditation für einen Moment ausprobieren? Ich denke, mit dieser Art der Meditation ist es, wie mit allen Meditationen, sehr hilfreich, dafür nicht nur Bilder von Menschen zu benutzen oder sie zu visualisieren, sondern mit Menschen zu üben, die sich tatsächlich im Raum befinden. So mache ich es in meinem Sensibilitätstraining. Wir können auch Tiere mit einbeziehen. Es ist immer hilfreich, auch einige Tiere mit im Raum zu haben, und am besten auch noch ein paar Fliegen. Schaut, ob ihr Gleichmut entwickeln könnt, wenn ihr euch tatsächlich mit diesen verschiedenen Wesen auseinandersetzt.
Häufig mache ich es so, dass die Leute in einem Kreis sitzen, sich gegenseitig ansehen und sich sagen: „jeder war schon einmal meine Mutter.“ Das ist etwas, das wir tun können, wenn wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, im Supermarkt an der Kasse anstehen oder uns im Verkehr oder Stau befinden. Versucht, diesen Aspekt aktiv zu bestimmen. Es handelt sich dabei um den Geistesfaktor des „auseinanderhaltenden Gewahrseins“, um das so genannte „Erkennen“. Wir bestimmen das charakteristische Merkmal der Person, dass diese Person irgendwann unsere Mutter gewesen ist.
[Meditation]
Ich habe ein Problem mit dem folgenden Satz. Sie haben gesagt, dass unsere Mutter trotz allem unsere Mutter ist, auch wenn wir sie für viele Leben nicht gesehen haben. Ich sehe den Geistesstrom als etwas, das die konventionelle Mutter als diese Person nicht mit sich trägt; es ist doch eher so, dass diese Person einmal unsere Mutter war, aber als sie es gewesen ist, ging es nicht um die konventionelle Person. Zum Beispiel jemand in einem Bus – diese Person war doch nicht meine Mutter, sondern vielmehr war es ihr Geistesstrom in einem anderen Körper, wie dem einer Schildkröte oder was auch immer. Der Geistesstrom trägt also nicht die konventionelle Seite mit sich, oder?
Deine Frage unterstreicht die Wichtigkeit des Verstehens von Vergangenheit und Zukunft. Sie hat etwas mit der Aussage zu tun, dass alle schon einmal unsere Mutter waren: Die Person, die du gerade ansiehst, ist momentan nicht deine Mutter – wer ist sie also? In einem früheren Leben – vielleicht als ihr beide Schildkröten wart – war die Person deine Mutter, aber die Person, die damals deine Mutter war, ist nicht die gleiche Person, die du gerade ansiehst.
Hier müssen wir uns mit der Leerheit der Person befassen. Es ist weder die gleiche noch eine völlig andere Person. Es handelt sich um ein Kontinuum. Die Vergangenheit, wie man sie aus einer buddhistischen Perspektive sieht, ist das „Nicht-mehr-Stattfinden“ von etwas. Da gibt es also ein Nicht-mehr-Stattfinden dieser Person als meine Mutter. Nun können wir es andersherum betrachten, also „die Mutter, die nicht mehr stattfindet.“ Die Mutter, die nicht mehr stattfindet, ist ein existierendes Phänomen. Es findet momentan nicht statt, aber das bedeutet nicht, es würde nicht existieren und wir könnten es daher nicht kennen. Ein existierendes Phänomen ist etwas, das wir kennen können. Wir können es als etwas kennen, das gerade stattfindet, das gerade nicht stattfindet oder das noch nicht stattfindet. Hier gibt es einen sehr subtilen Unterschied, den wir übersehen, wenn wir die Definitionen nicht kennen. Die Definitionen sind ausschlaggebend für das Verständnis von Vergangenheit und Zukunft. Es ist nicht so, dass Dinge in der Vergangenheit gar nicht existiert haben; sie finden nur momentan nicht statt.
Es gibt auch die Nachwirkung dessen, was nicht mehr stattfindet, wie das Nicht-mehr-Stattfinden meiner Kindheit. Gibt es meine Kindheit? Kann ich meine Kindheit kennen? Ja. Findet sie momentan statt? Nein. Gibt es eine Auswirkung meiner Kindheit auf mein jetziges Leben? Ja, denn so, wie ich jetzt bin, ist – um es fachlich auszudrücken – „bezeichnend“ dafür, wie ich als Kind war. So ist es. Obwohl diese Person momentan nicht unsere Mutter ist, können wir das Nicht-mehr-Stattfinden dieser Person als unserer Mutter kennen, und wir können sogar die Mutter kennen, die nicht mehr stattfindet. Wir könnten uns durch Schlussfolgerung darüber bewusst sein, indem wir, wie eben, Logik benutzen.
Und das würde tatsächlich im Geist erscheinen... hier kommen wir zur Erkenntnistheorie. Was findet denn wirklich in dieser Wahrnehmung statt? Was in dieser Wahrnehmung stattfindet, ist das erscheinende Objekt – mit anderen Worten: das, was sich direkt vor unserem Geist befindet – also die Kategorie „Mutter“. Die Kategorie „Mutter“ hat keine Form oder Gestalt. Was diese Erscheinung repräsentiert – wenn man Abhidharma und die verschiedenen Arten von Formen betrachtet – ist eine so genannte „völlig imaginäre Form“. Es gibt also eine völlig imaginäre Form, welche die Kategorie „Mutter“ repräsentiert.
Ein Buddha würde diese völlig imaginäre Form nichtkonzeptuell kennen – also nicht durch die Kategorie „Mutter“ – und was er kennt wäre korrekt. Für uns trifft das nicht zu. Für einen Bodhisattva auf der ersten Bhumi würde es bis zu einem Zeitraum von einhundert Zeitaltern in der Vergangenheit stimmen, dass sie unsere Mutter gewesen ist. Auf der nächsten Bhumi wären es eintausend Zeitalter und für einen Buddha wäre es anfangslos.
Es gibt einen Unterschied, der hier gemacht werden muss. Sieht ein Buddha die Mutter in dieser Zeit tatsächlich oder sieht er lediglich eine völlig imaginäre Form? Es ist eine völlig imaginäre Form. Es ist nicht die tatsächliche äußere Form der Vergangenheit oder der Zukunft, weil sie gerade nicht stattfindet. Wir müssen viele Informationen mit einbringen, damit es wirklich einen Sinn ergibt, über was sich ein Buddha bewusst ist, wenn er die Vergangenheit und die Zukunft kennt. Was sieht ein Buddha wirklich?
Das alles ist in Bezug auf die Bodhichitta-Meditation von großer Bedeutung. Worauf richten wir uns aus, wenn wir dort sitzen und versuchen, über Bodhichitta zu meditieren? Es ist nicht nur Mitgefühl, was für viele Menschen das ist, worauf Bodhichitta-Meditation hinausläuft. Sie meditieren über Mitgefühl und nennen es Bodhichitta. Es ist nicht Bodhichitta, aber dazu kommen wir morgen. All dies führt uns schließlich dahin – zu dem großen Finale: Wie meditieren wir tatsächlich über Bodhichitta, völlig einsgerichtet? Worauf fokussieren wir uns, wenn wir uns auf unsere eigene, individuelle Erleuchtung konzentrieren, die noch nicht stattfindet? Ich werde euch die Pointe geben. Ich bin wie der Tibeter und gebe euch die Pointe zuerst: Wir fokussieren uns auf eine Repräsentation dessen und sie ist völlig imaginär. Wir visualisieren einen Buddha und erzeugen Zuflucht und Bodhichitta. Vor uns befindet sich der Buddha und der Baum der versammelten Gurus. Diese Visualisierung ist das, was es repräsentiert. Das ist es, was in unserem Geist erscheint – obgleich es noch viel ausführlichere Dinge gibt, die man hinzufügen muss.
Würden wir dort sitzen und über Bodhichitta meditieren, ist es wirklich wichtig zu wissen, was um alles in der Welt in unserem Geist ablaufen sollte, besonders wenn wir es einsgerichtet tun. Diese siebenteilige Meditation über Ursache und Wirkung führt also zum letzten Schritt. Aber dazu kommen wir noch.
Wie dem auch sei, hier haben wir das Mutter-Gewahrsein. Wir fokussieren uns auf den positiven Aspekt dessen, dass alle schon einmal unsere Mutter gewesen sind und unterscheiden diesen Aspekt der geistigen Kontinua eines jeden von all den anderen Aspekten. Das versuchen wir mit jedem zu tun, den wir sehen, was schließlich „mühelos“ werden muss – das ist der Begriff dafür. Anders ausgedrückt, müssen wir nicht darüber nachdenken; wir müssen nicht einen Vorgang des Begründens durchgehen, um dies tun zu können. Es kommt automatisch und so müssen wir nicht daran arbeiten. Das ist es, was dieser Begriff „mühelos“ bedeutet.
Manche Menschen übersetzen „mühelos“ mit „ungekünstelt“, aber es ist nicht so, dass dieses Gewahrsein etwas Gekünsteltes ist, wenn es mühevoll ist. Der Punkt ist nur, dass wir es nicht mehr erschaffen müssen. Wir sind nun tief im Herzen von der Tatsache überzeugt, dass alle Wesen schon einmal unsere Mutter gewesen sind und sind vertraut mit dem Vorgang des Entwickelns dieses Gewahrseins. Betrachte ich beispielsweise dieses Wesen vor mir, bin ich mir bewusst, dass es eine Frau ist, und wenn ich jenes Wesen ansehe, weiß ich, dass es sich um einen Mann handelt. Ich bin mir auch gewahr, dass diese zwei Wesen menschliche Wesen sind. Ich muss keine Überlegungen anstellen und mir sagen: „Weil dieses Wesen eine bestimmte körperliche Form hat, weiß ich, dass es ein Mann oder eine Frau ist“, obwohl man das natürlich in manchen Fällen nicht so klar sagen kann. Das meine ich mit mühelos: Wir müssen nicht darüber nachdenken; es ist offensichtlich.
Schritt Zwei: Güte der Mutter
Der nächste Punkt ist die Güte von allen. Hier könnten wir uns vorstellen, wie alle gleichermaßen unfreundlich gegenüber uns waren. Das ist jedoch nicht sehr nützlich. Genau wie bei der Guru-Meditation ist es nicht hilfreich, sich auf die Mängel zu konzentrieren und sich über sie zu beschweren – denn dazu führt die Ausrichtung auf die Mängel: wir kritisieren und beschweren uns. Das bringt uns jedoch auf dem spirituellen Pfad nicht weiter und wird uns einfach nur erniedrigen.
Ohne etwas zu leugnen richten wir uns also auf die guten Eigenschaften, denn sie inspirieren uns. Wir fokussieren uns auf die positiven Dinge, anstatt auf die Tatsache, dass andere uns im Stich gelassen oder enttäuscht haben. Sich darauf zu konzentrieren – auf die Enttäuschungen – ist hilfreich, um nicht abhängig von anderen zu werden und von unseren Freunden zu erwarten, dass wir bei ihnen Zuflucht suchen und stets auf sie zählen können. Menschen werden uns im Stich lassen. Wir befinden uns alle in Samsara. Die Menschen werden uns also enttäuschen und daher nehmen wir Zuflucht in Buddha, Dharma und Sangha, denn sie werden uns nicht im Stich lassen.
Wie dem auch sei, alle waren gütig zu uns, als sie unsere Mutter gewesen sind. Wir richten uns also auf diesen Aspekt. Wir können natürlich auch darüber nachdenken, wie sie, sogar als Mutter, nicht gütig zu uns waren, aber hier, in diesem spezifischen Schritt denken wir daran, wie sie als Mutter gütig zu uns waren.
Es gibt alle möglichen Meditationen, die wir hier machen können. Eine Meditation, ein Vorgang, der nicht wirklich eine Meditation sondern eher ein Denkprozess ist, besteht darin, unser Leben in Fünfjahresabschnitten zu betrachten. Wir sehen uns all die verschiedenen Formen der Güte an, die unsere Mutter uns gegenüber in den ersten Jahren unseres Lebens gezeigt hat. So hat sie uns das Laufen und Sprechen beigebracht, hat uns gefüttert und unsere Windeln gewechselt. Sie ist auch die Geburt durchgegangen, was nicht lustig war, aber sie war vollkommen bereit dazu, dies durchzugehen und all die Unannehmlichkeiten der Schwangerschaft auf sich zu nehmen. Das ist wirklich beachtlich. Als wir dann zur Schule gingen, hat unsere Mutter etwas für uns gekocht und auch wenn sie verantwortungslos gewesen sein mag, so hat sie doch manche Dinge für uns getan.
Diese Art der Meditation können wir auch machen, indem wir uns auf andere Leute, wie unseren Vater, Verwandte oder Freunde richten. Sie ist äußerst mächtig, um dieses Gefühl, niemand würde uns lieben, zu überwinden. Es führt uns in eine Abwärtsspirale, wenn wir dieser Annahme verfallen, dass uns niemand liebt und wir wirklich arm dran sind. Uns ist schon ein unglaubliches Maß an Liebe und Güte in unserem Leben zuteil geworden.
Aber hier fokussieren wir uns auf die Mutter. Eine Methode besteht also, wie gesagt, darin, unser Leben durchzugehen und uns zu erinnern, was unsere Mutter uns beigebracht hat, was sie für uns getan hat, wie sie sich um uns gekümmert hat – fast wie eine Bedienstete – und wie wir heute, ohne all die Dinge, die sie für uns getan hat, nicht hier wären. Das ist also die Güte der Mutter.
Schritt Drei: Dankbarkeit und Wertschätzung
Der nächste Punkt wird für gewöhnlich übersetzt als „Wunsch, diese Güte zurückzuzahlen.“ Dieser Begriff hat mich immer etwas irritiert, denn er klingt wie ein Geschäft. Es ist, als würden ich ihr etwas schulden und wenn ich es nicht zurückzahle, bin ich schuldig und ein schlechtes Kind. Diese Übersetzung macht mich ziemlich misstrauisch wegen diesem Beigeschmack, die sie hat. Ich denke, dieser Schritt geht mehr in die Richtung von Dankbarkeit und Wertschätzung – also wirklich dankbar für diese Güte zu sein. „Ich habe echte Wertschätzung gegenüber dem, was sie getan hat. Es ist wirklich unfassbar.“ Es geht aber auch nicht nur darum, sich lediglich daran zu erinnern, was sie getan hat und dann demgegenüber gleichgültig zu sein; vielmehr haben wir ein ernsthaftes und tiefes Gefühl der Dankbarkeit und Wertschätzung. Das wird dann ganz natürlich zu einer Art der Handlung oder zumindest zu einem Wandel unserer Einstellung führen. Ich denke, es führt auch dazu, etwas Respekt dafür zu haben, was diese Person getan hat. Sie mag nicht die perfekte Mutter gewesen sein, aber wer ist das schon?
Wir haben also diese Art der Dankbarkeit. Das ist der dritte Schritt. Ob es wirklich etwas damit zu tun hat, die Güte zurückzahlen zu wollen... wie ich schon sagte, geht es uns nicht wirklich darum, diesen dritten Schritt zu einem Geschäft zu degradieren, was angesichts unserer Business-Mentalität passieren kann, wenn wir denken, wir müssten die Schulden zurückzahlen. Ich glaube nicht, dass dies hilfreich ist, oder? Meiner Meinung nach kann es dazu führen, dass wir uns schuldig fühlen. Wir gehen also die Liste all dessen durch, was sie für uns getan hat und dann jene mit all dem, was wir für sie getan haben. Hier sehen wir ein ziemliches Ungleichgewicht, denn sie hat so viel mehr für uns getan. Für uns Westler führt das zu Schuldgefühlen und daher versuchen wir, in dieser Meditation nicht in diese Richtung zu gehen. Es ist nicht so, dass wir allen anderen helfen wollen, weil wir uns sonst schuldig fühlen. Dann spielen wir die Rolle eines Märtyrers und denken: „Ich bin der Märtyrer. Ich werde allen helfen und mich selbst ignorieren.“ Auf dieser Basis eines Märtyrers üben wir dann den Austausch von uns und anderen, was ziemlich neurotisch ist. Darum geht es hier nicht.
Diese Dankbarkeit ist ein ausgesprochen positiver Geisteszustand, mit dem wir denken: „Ich habe eine Wertschätzung gegenüber dem, was sie getan hat. Es ist beachtlich, was sie und alle anderen getan haben. Ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin, bei dieser Praxis, ohne all die Mütter, die ich jemals hatte, auch wenn es nur darum geht, die Kontinuität meines geistigen Kontinuums zu ermöglichen. Sogar auf dieser absolut grundlegenden Ebene können wir würdigen, was unsere Mütter getan haben. Ich denke, aus diesem Grund wird die Mutter hier ins Spiel gebracht. Es ist so etwas völlig Grundlegendes.
Vielleicht reicht das erst einmal, was die Darstellung dieser Schritte betrifft; wir müssen noch einiges für die nächsten Sitzungen aufheben. Hier können wir eine Meditation über diese drei Schritte üben: das Gewahrsein der Mutter, die Güte der Mutter und das Gefühl der Dankbarkeit und Wertschätzung gegenüber dieser Güte. All diese folgenden Schritte beruhen darauf, diesen wirklich positiven Geisteszustand gegenüber allen zu haben. Wir werden das die nächsten fünf oder zehn Minuten üben und dann Zeit für ein paar Fragen haben.
Denkt daran, dass wir diese Übung mit Gleichmut beginnen, denn er ist die Grundlage. Betrachten wir nicht alle mit dieser Anspannung, über die wir geredet haben, sind wir in der Lage, dieses Mutter-Gewahrsein zu haben. Ist die Anspannung dennoch da, wird es wirklich schwierig sein, diesen nächsten Schritt zu gehen.
[Meditation]
Wenn wir uns diesen Meditationen zuwenden, kommt oft eine Frage hoch. Ich werde sie also stellen, bevor jemand von euch es tut: „Wenn ich diese Meditation mache, empfinde ich gar nichts. Ist sie nicht ziemlich künstlich?“ Ich glaube, dies ist in Ordnung, wenn wir uns mit diesen Praxis-Formen befassen, insbesondere jenen, bei denen es um das Überwinden von Selbstbezogenheit, Egoismus oder Selbstzentriertheit geht, oder dem Überwinden von schwerem emotionalen Ballast, wenn wir es so nennen wollen. Natürlich werden wir, solange wir keine Arhats sind, die störenden Emotionen, die Selbstbezogenheit, den Egoismus und so weiter nicht loswerden und daher wird es allerdings künstlich und schwierig sein und wir werden es wahrscheinlich nicht wirklich empfinden. Im Grunde führt das zu einer Frage, die nicht einfach ist: Was bedeutet es, dies wirklich zu empfinden? Wie viel muss man empfinden, um es wirklich zu fühlen? Wo ist die Grenze? Augenscheinlich ist das ein äußerst subjektiver Punkt.
Laut dem, was ich selbst an Erfahrungen gesammelt und dem, was ich von einigen meiner Lehrer zusammengetragen habe, tun wir es einfach. Hier kommen wir zu deinem Punkt des Vertrauensvorschusses: „Es wird hilfreich sein. Ob ich nun Lust dazu habe, jemandem zu helfen oder nicht, ich werde es tun, weil ich glaube, dass es nützlich ist und ich eine nützliche Gewohnheit schaffen will“. Und darum geht es bei der Meditation: eine nützliche und hilfreiche Gewohnheit zu schaffen. „Wenn mich also jemand nervt oder eine Fliege um meinen Kopf herum summt, werde ich versuchen, mich gedanklich auf die Mutter zu beziehen. Ich mag es nicht so empfinden und es mag albern erscheinen, aber ich werde es versuchen.“
Wir können dies auf allen möglichen Ebenen tun. In Indien habe ich es so gemacht, dass ich den Insekten irgendwelche Namen gegeben habe, wie Molly – die Mücke, Freddy – die Fliege, Larry – die Eidechse, Waldo – die Wolfsspinne und solche Sachen. Dadurch wurden sie fast zu Komik-Figuren, was es leichter machte, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Indien ist schließlich das Land der Insekten. Aus Spaß sagte ich immer, der Reise-Slogan für Indien sei: „Wenn ihr Insekten mögt, werdet ihr Indien lieben!“ Auf diese Weise werden viele Touristen angezogen werden.
Es ist also künstlich und das ist in Ordnung. Über kurz oder lang wird es ernsthaft werden. Wenn es ernsthaft ist, glaube ich nicht, dass es unbedingt emotional aufregend sein wird. Auf der anderen Seite gibt es in den Texten Beschreibungen darüber, wie es so bewegend ist, dass einem die Haare zu Berge stehen. Vermutlich sind diese Meditationen also für manche, emotional gesehen, ziemlich intensiv. Aber ich denke nicht, dass es so sein muss. Es gibt manche von uns, die... nun, wir wissen nicht einmal, was es heißt, Emotionen zu empfinden, sie besonders stark zu fühlen. Es ist auch ein ziemlich komisches Konzept – Emotionen zu empfinden. „Ich empfinde meine Emotionen doch nicht. Ich habe sie, aber ich empfinde sie nicht.“ Was um alles in der Welt bedeutet das?
Wie dem auch sei, ich denke, wir tun es einfach. Und wir versuchen, dieses Gefühl des Gleichmutes zu haben. Wie gesagt, läuft es alles darauf hinaus, Gleichmut als Grundlage zu haben. Ohne diese Grundlage ist es ziemlich schwierig.
Fragen
Wie ich es verstanden haben, ging es Ihnen um den Grundgedanken, dass die Mutter uns im Mutterleib trägt, sie uns nicht abgetrieben und somit unser Kontinuum nicht beendet hat, oder etwas in der Art.
Sie hat uns nicht abgetrieben.
Aber ein Kontinuum kann doch nicht beendet werden.
Nein. Sie hatte keine Abtreibung und wenn sie eine gehabt hätte, würden wir trotzdem weiter andauern.
Mit anderen Worten war sie nicht unsere Mörderin.
Sie war nicht unsere Mörderin.
Verbunden mit der Aussage, dass wir nichts empfinden, wäre die Frage, wie dieser Vorgang funktioniert. Dringt diese Erkenntnis einfach durch Vertrautheit oder das wiederholte Betrachten von allen als unsere Mutter in unseren Geistesstrom und beginnen wir uns so auf mühelose Weise daran zu erinnern? Oder geschieht noch etwas anderes durch die Meditation?
Das ist eine recht interessante Frage. Wie funktioniert es, dass wir ein müheloses Gewahrsein darüber haben können, dass alle schon einmal unsere Mutter gewesen sind? Geschieht es einfach durch Wiederholung, dass es ein Teil von uns wird, als würden wir uns einer Gehirnwäsche unterziehen? Oder läuft da etwas anderes ab? Ist es vielleicht wie eine Art Konditionierung von einer Ratte in einem Labyrinth?
Ich weiß nicht; ich denke, es ist eine Konditionierung: wir schaffen ständig eine nützliche Gewohnheit. Aber wir könnten uns auch auf positive oder negative Weise einer Gehirnwäsche unterziehen. „Gehirnwäsche“ ist, glaube ich, ein recht harter Begriff, bei dem es für gewöhnlich darum geht, durch Zwang an etwas zu glauben, was nicht wahr ist. Daher ist es, wie ich vorher schon sagte, hilfreich, an die logische Grundlage zu denken – sich der Logik dessen bewusst zu sein, dass alle schon einmal unsere Mutter gewesen sind und in dieser Zeit gütig zu uns waren. Auf diese Weise unterziehen wir uns keiner Gehirnwäsche mit einer Glaubensvorstellung, die nicht stimmt und uns aufgezwungen wird, um uns zu manipulieren. Was aber die Konditionierung betrifft, so handelt es sich tatsächlich um „Konditionierung“. Ist es Autosuggestion?
Was ist denn irgendeine Selbstdisziplin?
Was ist irgendeine Selbstdisziplin? Das ist wahr. Es ist, als würde ich mich einer Gehirnwäsche unterziehen, wenn ich auf einer bestimmten Straßenseite fahre und bei Rot anhalte – wie sehr können wir uns noch konditionieren? Die Ampel schaltet auf Rot und wir halten an, sie schaltet auf Grün und wir laufen weiter, dem Käse hinterher.
Stimmt es nicht auch, dass wir uns auf korrekte Weise an die Lehren, die wir gehört haben, erinnern müssen, da dies einen Einfluss darauf haben kann, wie gut wir die Meditation ausführen und wie sehr wir die Erfahrung fühlen?
Ist es nicht so, dass wir um so mehr empfinden können, je besser wir uns an die Lehren erinnern? Das Wort „erinnern“ ist übrigens das gleiche Wort, was für „Achtsamkeit“ bzw. „Vergegenwärtigung“ benutzt wird. Vergegenwärtigung ist der geistige Klebstoff; sie führt zu einem geistigen Festhalten an einem Objekt, an das wir denken. Es geht nicht um den Vorgang, ihn ins Bewusstsein zu bringen. Das tut die Aufmerksamkeit. Die Vergegenwärtigung ist der geistige Klebstoff, mit dem wir an dem, was wir denken, festhalten und es nicht loslassen.
Müssen wir uns all die anderen Lehren vergegenwärtigen, um emotional etwas zu fühlen? Das weiß ich nicht. Was mir zu dieser Frage gerade in den Sinn kommt, ist folgendes: Was bewegt uns, etwas zu fühlen? Würden wir eine Suchmaschine nutzen, um die Gesamtheit aller buddhistischen Lehren zu durchsuchen, würde bei den Ergebnissen an erster Stelle die Beziehung zum spirituellen Lehrer auftauchen. Der spirituelle Lehrer ist die Quelle aller so genannten „Segnungen“ – was eine unglückliche Übersetzung dieses Begriffes ist. Was bedeutet es? Wörtlich bezieht es sich auf „Wellen des Erhellens und Erhebens“. Ich nenne es „Inspiration“. Es geht hierbei nicht um Segnungen, die man von oben durch das Auflegen von Händen oder ähnliches bekommt – obwohl es natürlich diese Segnungen mit den Händen gibt. Vielmehr geht es um Inspiration, die uns bewegt. Vermutlich wird dies die Grundlage dafür sein, tatsächlich etwas in der Meditation zu empfinden.
Daher gibt es die Verse im letzten Teil des Lama Chöpa, der Guru-Puja: „Inspiriere mich, meine Einstellung gegenüber mir selbst und anderen zu ändern. Inspiriere mich zu erkennen, dass all meine Mütter leiden“ und so weiter. Es geht darum, inspiriert zu werden, um in der Lage zu sein, etwas zu tun. Wir können damit einen Schritt weiter oder tiefer gehen: „Inspiriere mich, etwas zu fühlen.“ An die guten Eigenschaften der Gurus zu denken, deren Güte zu schätzen, Respekt zu entwickeln und all diese Dinge, legt den Schluss nahe, dass wir, indem wir an die Güte der Mutter denken, ebenfalls Wertschätzung, Respekt und Dankbarkeit entwickeln, weil es um dasselbe wie beim Lehrer geht.
Man hat eine persönliche Beziehung zum Lehrer – obwohl das auch ein Problem sein kann. Der Wurzel-Guru – „Wurzel“ bezieht sich auf das, woraus wir Kraft bekommen – ist die Person, die uns am meisten inspiriert. Es ist nicht notwendigerweise derjenige, von dem wir die meisten Lehren erhalten oder mit dem wir die meiste Zeit verbringen. Und gewiss ist es auch nicht der, mit dem wir persönlich den meisten Kontakt haben. Für die meisten Menschen ist beispielsweise Seine Heiligkeit der Dalai Lama derjenige, der sie am meisten inspiriert. Der Lehrer muss jedenfalls jemand sein, der wirklich unser Herz berührt, denn das gibt uns Kraft.
Ich denke, wenn unsere Herzen erst einmal auf diese Weise berührt wurden, können wir beginnen, auch andere Dinge zu fühlen. Die Beziehung zum Lehrer ist im Grunde die Wurzel des Pfades. Der Lehrer versorgt uns mit dem Brennstoff, der uns dazu antreibt, etwas zu empfinden. Jedenfalls ist dies das erste, was in meiner inneren Suchmaschine aufgetaucht zu dieser Frage: Wie kann man etwas fühlen, wenn man jemand ist, der diese Art von betäubenden Gefühlen hat?
Während der Meditation merke ich, dass ich meine eigene Erfahrung als Mutter, dieses instinktive Erleben von überwältigender, bedingungsloser Liebe für ein Wesen, projiziere, wenn ich eine andere Person als meine Mutter visualisiere. In gewisser Weise sehe ich mich selbst, wie ich die Mutter der anderen Person gewesen bin und kehre es also um. Auf diese Weise kann ich dieses Gefühl des Gleichmutes hervorrufen. Wenn ich Menschen sehe, mit denen ich es nicht leicht habe, denke ich: „Gut, ich bin ihre Mutter“, denn auf diese Weise wird dasselbe Gefühl hervorgerufen, das ich auch für meine Tochter habe (was ich, als Dharma-Praktizierender versuche gleichzusetzen). Ich weiß nicht, ob ich das so tun sollte, aber ich finde es hilfreicher, um Gleichmut hervorzubringen, als die andere Methode.
Weil ich in diesem Leben als eine Mutter geboren wurde, kann ich verstehen, warum vielleicht männliche Lehrer die Mutter als ein Beispiel nutzen. Es ist wirklich bemerkenswert, über die Qualitäten einer Mutter nachzudenken. Betrachtet man die eigentlichen Gefühle, die eine Mutter hat, sieht man, wie schön sie sind. Es ist eine wunderbare Sache, die man nutzen kann, um Gleichmut zu entwickeln. Für mich geht es um den Gleichmut, um das Gleichsetzen von uns und anderen. Für mich funktioniert die Methode, die ich gerade erklärt habe, am besten.
Was mir zu dem einfällt, was du gerade gesagt hast, ist, dass Du schon beim nächsten Schritt bist, mit dem man herzerwärmende Liebe entwickelt – andere zu lieben und zu schätzen, als wären sie unser einziges Kind. Das kommt also auch noch, jedoch in einem anderen Schritt. Dies ist also eine Frage der Reihenfolge. Es ist nicht gesagt, dass jede Mutter ihr Kind liebt. Ich kenne Mütter, die sich wünschen, sie hätten ihr Kind abgetrieben. Sie hegen Groll gegenüber dem Kind und der Verpflichtung, die sie gegenüber ihm haben und misshandeln es. Es ist also nicht gesagt, dass eine Mutter das Kind wirklich lieben wird. Aber gehen wir mal davon aus, dass die meisten es auf diese Weise tun, von der du gerade gesprochen hast, dann ist natürlich nicht Negatives daran, die Meditation so zu machen. Es funktioniert. Es ist jedoch notwendig, eine Methode zu haben, die alle miteinbezieht, nicht nur die Menschen, welche in diesem Leben die Erfahrung als Mutter eines anderen Wesens gesammelt haben. Es gibt auch viele Frauen, die nie Kinder bekommen. Haben wir diese Erfahrung gehabt, können wir davon zehren, aber wenn wir eine buddhistische Methode anbieten, sollte es eine sein, die von allen genutzt werden kann.
Ja, ich verstehe, dass dies eine buddhistische Methode ist. Aber als Individuum... Ich dachte, der Gleichmut ist die Grundlage und wir würden versuchen, den Gleichmut zu entwickeln.
Der Gleichmut ist die grundlegende Ebene. Er ist die Grundlage.
Ich weiß nicht; ich habe noch nicht wirklich darüber nachgedacht und daher kann ich nur sagen, was mir dazu gerade in den Sinn kommt. Betrachten wir die Reihenfolge des Lam-rim: Wir haben mit der anfänglichen Ebene begonnen und sind dann zur mittleren Ebene gegangen. Auf dieser mittleren Ebene haben wir uns auf unser Leiden, auf unseren Überdruss mit unserem Leiden und all den Problemen, die wir hatten, fokussiert. Wir haben uns also eine ziemlich negative Seite des Lebens, eine recht unbefriedigende Seite des Lebens angesehen. Wie können wir den Übergang hinbekommen, die positive Seite des Lebens zu betrachten?
Um dies zu tun, wäre es glaube ich hilfreich, einfach hinsichtlich der psychologischen und emotionalen Entwicklung zunächst darüber nachzudenken, was wir bekommen haben, anstatt darüber, was wir gegeben haben. „Das Leben ist so eine Last, ich will da einfach nur raus.“ Diese Denkweise könnte zu Selbstmitleid führen. Bevor wir also zu dem Schritt des Entwickelns der fürsorglichen Liebe kommen, die wie die Liebe einer Mutter für ihr einziges Kind ist, mag es emotional hilfreicher sein, darüber nachzudenken, was wir bekommen haben. Das ist das erste, was mir dazu einfällt
Das ist wirklich hilfreich. Danke.
Eine Mutter zu sein, ist gewiss eine positive Sache und etwas, das man nutzen kann, aber wir sollten auch über die Abfolge der Entwicklung nachdenken.
Es gibt Menschen, gegenüber denen wir eine Abneigung haben, Menschen, an die wir in diesem Leben gebunden sind. Wir können sie nicht einfach so loswerden und sind untrennbar mit ihnen verbunden. Ich frage mich, ob es hilfreich ist, unsere karmischen Verbindungen mit ihnen näher zu betrachten. Nicht, dass wir diese Verbindungen genau durchschauen können, aber wenn wir einfach nur über die Tatsache nachdenken würden, dass wir vielleicht starke karmische Verbindungen haben, die in diesem Leben zum Tragen kommen, könnten wir Güte oder eine positive Einstellung gegenüber diesen Menschen entwickeln.
Die Frage ist folgende: Wenn wir uns in dieser Meditation über Gleichmut mit Menschen befassen, gegenüber denen wir eine Abneigung haben, wir jedoch mit ihnen in Beziehungen stecken, aus denen wir uns schwer lösen können, wäre es dann auch hilfreich, sich die karmischen Verbindungen anzusehen, die der Grund dafür sind, dass wir mit ihnen so einen engen Umgang haben? Beispielsweise könnte es sich um ein Familienmitglied handeln.
Natürlich gibt es karmische Gründe dafür. Könnten wir Lojong-Methoden, Methoden des Geistestrainings, nutzen, um uns darin zu üben, dies auf eine andere Weise zu betrachten? Nun, es gibt eine Vielzahl von Methoden, die wir nutzen können, wie: „Es ist das Rad scharfer Waffen, das auf uns zurückkommt“ und „es ist das Reifen von Karma“, „diese Person befindet sich ebenfalls unter dem Einfluss von so vielen Ursachen und Bedingungen, die sie dazu bringen, auf diese Weise zu handeln und mich dazu führen, auf eine bestimmte Weise zu erwidern“, oder „meine Beziehung ist nicht der einzige ursächliche Faktor, um den es hier geht.“
Wir können auch andere Methoden zur Transformation nutzen, wie: „das ist mein Lehrer“ oder „es ist wie das Finden eines kostbaren Juwels, um sich in Geduld zu üben.“ Da gibt es all diese Methoden. Natürlich können wir hier auf sie zurückgreifen.
Dies sind jedoch Methoden, die mit der konventionellen Wahrheit dieser Dinge zu tun haben. Die Methoden, von denen ich vorher gesprochen habe – also sich gedanklich auf geistiges Bezeichnen und die Grundlage der Bezeichnung zu beziehen – sind jene, die sich mit der tiefsten Wahrheit befassen. Wir nutzen natürlich zunächst Methoden der konventionellen Wahrheit, aber wenn wir dann etwas Kontrolle über die Situation haben – und damit meine ich nicht ein getrenntes „Ich“, welches alles kontrolliert – sondern wenn die Situation etwas weniger dramatisch ist, gehen wir zu Methoden der tiefsten Ebene über.
Beim Bodhichitta gibt es ebenfalls eine konventionelle und eine tiefste Ebene. Fokussieren wir uns auf unsere noch nicht stattfindende Erleuchtung, die wir erlangen wollen, was sich auf die dritte und vierte edle Wahrheit bezieht – die wahren Beendigungen und der wahre Pfadgeist, der zu diesen Beendigungen führt – und tun wir dies, indem wir uns auf den wahren Pfadgeist richten, der zu dieser Erleuchtung führt, setzen wir uns mit dieser Seite der Methode auseinander, also mit Liebe und Mitgefühl. Konzentrieren wir uns hingegen auf die wahren Beendigungen, befassen wir uns mit der Seite der Leerheit. Es gibt also konventionelles Bodhichitta und tiefstes Bodhichitta und wir können es auf diese Weise mit ins Spiel bringen.
Es ist notwendig, sich mit beiden Ebenen auseinanderzusetzen – der konventionellen Wahrheit und der tiefsten Wahrheit – und diese Methoden anzuwenden, die sich mit der konventionellen Wahrheit von Dingen befassen und jene, bei denen es um die tiefste Wahrheit von Dingen geht. Konventionelles Bodhichitta allein ist nicht ausreichend, um Erleuchtung zu erlangen, noch ist tiefstes Bodhichitta allein ausreichend dafür. Wir benötigen beides – weil es sich um die dritte und vierte edle Wahrheit handelt: wahre Beendigungen und wahrer Pfadgeist.
Ich muss sagen, dass ich die Gültigkeit von Lehren in der Warmherzigkeit teste, die ich dort finde. Das ist es, wonach ich in der Meditation über Gleichmut suche. Wenn wir uns beispielsweise auf die Person konzentrieren, von der wir uns angezogen fühlen, empfinden wir Warmherzigkeit. Ich versuche also, diese Warmherzigkeit auch anderen entgegenzubringen. Kann ich es auf diese Weise gleichsetzen?
Die Frage ist, ob es für das Entwickeln von Gleichmut nicht hilfreich wäre, dieses natürliche Gefühl der Warmherzigkeit, das wir bei der Person, von der wir angezogen sind, empfinden, auch auf jene zu richten, denen gegenüber wir eher abgeneigt oder gleichgültig sind.
Wie gesagt gibt es zwei Formen des Gleichmutes. Es gibt den Gleichmut, den man auch im Hinayana entwickelt und den Gleichmut, der ausschließlich im Kontext des Mahayana entwickelt wird, wobei ich nicht garantieren würde, dass es nicht auch jemand im Hinayana gab, der ihn entwickelt hat. Das erste, womit wir auch in dieser spezifischen Meditation arbeiten, ist der Gleichmut, der einfach frei von Anhaftung, Abneigung und Gleichgültigkeit ist. Beim Gleichmut des Mahayana geht es darum, eine ausgeglichene Geisteshaltung gegenüber allen zu haben: „Alle wollen glücklich und nicht unglücklich sein. In diesem Sinne sind alle gleich.“ Wir haben also ein ebenbürtiges Interesse am Wohlergehen aller und eine ausgewogene Warmherzigkeit. Das ist der Gleichmut, bei dem sich unsere Warmherzigkeit auf alle gleichermaßen erstreckt. Dieser Gleichmut ist jedoch nicht so.
Der Schwerpunkt dieses Gleichmutes liegt also, wie gesagt, darin, frei von dieser Anspannung zu sein, in die eine oder andere Richtung gezogen zu werden. Wir wollen vollkommen entspannt und offen gegenüber allen sein. Auf diese Basis können wir dann aufbauen und dies ist die grundlegendste Basis. Zunächst wollen wir also den Müll beseitigen und, wie man so schön sagt, „den Weg begradigen“. Zuerst Warmherzigkeit gegenüber allen zu entwickeln, ist so, als würde man einen Zuckerguss auf eine steinige Oberfläche gießen. Haben wir diese steinige Oberfläche nicht begradigt, könnte sich der Zuckerguss schnell abnutzen.
Bei dieser Meditation läuft es bei mir, glaube ich, darauf hinaus, am Ende gleichgültig zu sein. Manche Leute nutzen das Wort „Loslösung“, aber ich weiß, dass es nicht Gleichmut ist. Ich komme jedoch zu einem Punkt, an dem ich nichts empfinde und dies für Gleichmut halte. Aber ich weiß, dass es kein Gleichmut ist und habe, glaube ich, kein Gefühl dafür, was wirklich damit gemeint ist.
Hier geht es darum, kein Gefühl dafür zu haben, was mit diesem Gleichmut gemeint ist und das die Meditation über Gleichmut dazu neigt, in die Richtung von Gleichgültigkeit und Loslösung zu gehen. Es muss nicht zwangsläufig so sein.
Es gibt im Buddhismus viele Übungen, die uns, wie ich schon sagte, helfen, eine Denkweise zu schaffen, die uns in die Richtung von Bodhichitta führen, was das Ausrichten auf positive Eigenschaften betrifft. Das ist mit der vierten edlen Wahrheit verbunden, dem wahren Pfadgeist. Aber es gibt auch zahlreiche Übungen, die mit der dritten edlen Wahrheit verbunden sind, bei der es um eine Abwesenheit oder eine Beendigung von etwas geht. Viele Meditationen bauen darauf auf – wie beispielsweise die kostbare menschliche Wiedergeburt: „Toll, es gibt eine Abwesenheit dessen, in einer der Höllen wiedergeboren zu werden. Es gibt eine Abwesenheit dessen, zu verhungern oder gefoltert zu werden. Es gibt eine Abwesenheit dessen, ohne bestimmte Körperteile oder Sinne geboren zu werden“ und so weiter. Wir richten uns also auf diese Abwesenheit und das hilft uns, Dinge auf bestimmte Weise zu betrachten, was schließlich dazu führen kann, die Abwesenheit von unmöglichen Existenzweisen und schlussendlich eine wahre Beendigung zu verwirklichen – also die dritte edle Wahrheit, die Teil unserer Dharma-Zuflucht und Teil dieser zukünftigen Erleuchtung ist, die wir mit Bodhichitta erlangen wollen.
Ebenso gibt es mit diesem Gleichmut eine Abwesenheit – eine Abwesenheit von Anhaftung, Abneigung und Gleichgültigkeit. Was bleibt uns also? Vielleicht erinnert ihr euch an unsere Diskussion darüber, wie wir uns auf die Leerheit ausrichten. Wir haben das Beispiel benutzt, in dem wir versuchen, unsere Schlüssel zu finden und denken: „Es gibt keine Schlüssel. Die Schlüssel sind nicht da.“ Es herrscht eine Abwesenheit der Schlüssel. Oder wir suchen nach Schokolade im Haus und meinen: „Es gibt keine Schokolade.“ Und schließlich wird uns klar, dass es keine Schokolade gibt. Was erscheint, ist nichts – also, dass es keine gibt. Aber wir verstehen, dass es keine Schokolade gibt.
Ich sage nur, was mir gerade dazu einfällt; eigentlich habe ich bis jetzt nicht darüber nachgedacht. Genauso verhält es sich, wenn wir diesen Zustand ohne Anhaftung, ohne Abneigung und ohne Gleichgültigkeit haben. Fühlen wir dann nichts? Ich denke nicht, dass uns dann nur ein emotionaler Nihilismus bleibt. Es gibt eine Abwesenheit dieser Dinge, aber auch ein emotionales Verständnis, welches im Wesentlichen – und in der Terminologie des Nyingma-Dzogchen – eine „Offenheit“ ist. Ist die Erfahrung der Offenheit eine emotional bewegende Erfahrung? Nun, für manche ist sie es vielleicht, und für andere nicht. Ich glaube nicht, dass dies eine notwendige Komponente ist. Es ist nur so, dass es da nicht diese Anspannung gibt, sich zu einigen hingezogen, von anderen abgestoßen und gegenüber manchen gleichgültig zu fühlen.
Und diese Sache der Warmherzigkeit – sind Warmherzigkeit und Begehren dasselbe? Wenn wir unser Begehren gegenüber jemanden erforschen, finden wir meiner Meinung nach jede Menge Klammern und Anhaftung. Ist das wirklich Warmherzigkeit, die wir da ausstrahlen, oder zwingen wir uns jemandem auf, weil es sich für uns so gut anfühlt, mit der anderen Person zusammen zu sein? „Ich fühle mich so gut, Dinge für dich zu tun und zu versuchen, dich glücklich zu machen. Ich mache das wirklich gerne und es ist mir egal, ob du meine Hilfe brauchst oder nicht, ob du meine Gemeinschaft wünschst oder nicht.“ Hat das nicht mehr mit dem Ego zu tun, als mit Gefühlen der Warmherzigkeit? Ich glaube, dass Anhaftung und Begehren – Gier nach mehr und mehr Zeit und Aufmerksamkeit der anderen Person – zu Klammern wird. Und so, wie es mir unangenehm ist, wenn jemand an mir klammert und alle möglichen Forderungen an mich stellt, fühlen sich auch andere unwohl, wenn ich mich an sie hänge.
Wir betrachten auch die andere Seite, also wenn jemand wirklich abweisend ist und beispielsweise ständig herumnörgelt. Im Sensibilitätstraining benutze ich das Beispiel der Mutter oder des Vaters, die uns ständig hinterher sind und sagen: „Tu dies“, „Warum besorgst du dir keine Arbeit?“ „Warum heiratest du nicht?“ „Warum machst du nicht dieses oder jenes.“ Bei vielen Menschen führt das zu großen Aversionen und Feindseligkeit gegenüber der Person, die an ihnen herumnörgelt. Warum tut diese Person das? Untersuchen wir es, können wir sehen, dass sie es tut, weil sie sich um uns sorgt. Ihre Vorstellung davon, was uns glücklich machen wird, mag fehlerhaft sein, aber sie bohrt an uns herum, weil sie möchte, dass wir glücklich sind. Es ist ein Zeichen der Liebe. Es so zu betrachten, ändert unsere Sichtweise darauf ein wenig. „Vielleicht ist sie etwas verwirrt in Bezug darauf, was mir am besten helfen wird, aber ihre Absichten sind gut.“ Ob es sich um die Mutter handelt, die ständig herummeckert, den Vater, der Forderungen an uns stellt oder der Missionar, der uns bekehren will: es geht hierbei darum, dass sie alle aus ihrer Sicht etwas tun, was sie für hilfreich in Bezug auf die andere Person halten. Um Toleranz und auch Geduld zu entwickeln, werfen wir einen Blick auf den anderen Aspekt. Das ist Lojong – die Schulung der Geisteshaltungen. Wir korrigieren unsere Geisteshaltung und ändern etwas Negatives zu etwas Positivem.
Wie dem auch sei, das sind nur Gedanken. Gibt es noch eine Frage?
Dann lasst uns hier mit unserer Widmung enden. Wir denken: „Möge alles Verständnis und alle positive Kraft, die daraus entstanden sind, sich immer weiter vertiefen und als Ursache dafür wirken, zum Wohle aller Wesen Erleuchtung zu erlangen.“