Die fünf Aggregate und die fünf Buddhaweisheiten

Rückblick 

Im ersten Teil haben wir damit begonnen, über die fünf Arten des tiefen Gewahrseins zu reden. Sie beziehen sich auf die Faktoren der Buddha-Natur, die wir alle haben und durch die wir die Ebene eines Buddhas – die verschiedenen Buddha-Körper –  erlangen können. Wir haben darüber gesprochen, wie wir mit ihnen auf den Ebenen von Grundlage, Pfad und Ergebnis arbeiten können. Es ist wichtig zu erkennen, dass wir alle über die grundlegende Ebene dieser Arten des Gewahrseins verfügen und auf der Ebene des Pfades daran arbeiten, diese Qualitäten weiterzuentwickeln, sowie die verschiedenen Hindernisse, die ihre Fähigkeiten beeinträchtigen, zu beseitigen. Und schließlich gilt es auf der Ebene des Ergebnisses zu verstehen, dass sie am Ende, wenn sie vollkommen entwickelt sind, zu den diversen Aspekten der Körper eines Buddhas werden.

Im Allgemeinen sind diese fünf Arten des tiefen Gewahrseins grundlegende Weisen Dinge zu erleben, also eine generelle Funktionsweise unserer geistigen Aktivität. Sind sie vollends entwickelt, werden sie zu Merkmalen des allwissenden, all-gütigen Geistes eines Buddha – dem Dharmakaya des tiefen Gewahrseins. Die fünf Arten des tiefen Gewahrseins sind:

  • das spiegelgleiche tiefe Gewahrsein, also das Gewahrsein, mit dem wir Informationen aufnehmen. Sich hier einen Spiegel vorzustellen, ist nicht wirklich passend, denn ein Spiegel reflektiert Informationen. Hier geht es jedoch darum, Informationen durch die sechs Bewusstseinsarten aufzunehmen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen oder jene des Geistes. Genauer gesagt nehmen wir Informationen durch die sechs kognitiven Felder auf.
  • Mit dem gleichsetzenden tiefen Gewahrsein fügen wir Informationen, die etwas miteinander gemeinsam haben, in einer Gruppe zusammen.
  • Durch das individualisierende tiefe Gewahrsein sind wir in der Lage, uns über eine bestimmte Sache als individuelles Phänomen, und nicht nur als Teil einer Gruppe, bewusst zu sein.
  • Das vollbringende tiefe Gewahrsein gibt uns die Möglichkeit, uns mit einem Objekt auseinanderzusetzen und etwas mit ihm oder für es zu tun.
  • Das tiefe Gewahrsein der Realität ist auf der grundlegendsten Ebene das Gewahrsein darüber, um welche Information es geht, zu welcher Gruppe sie gehört, um welches individuelle Phänomen es sich handelt, was man insbesondere damit tun kann und was es konventionell ist. Auf einer tieferen Ebene können wir uns auch über die Realität von etwas bewusst sein, zum Beispiel, dass sich diese Information von einem Augenblick zum nächsten ändert. Solch ein Gewahrsein erlaubt es uns, aufeinander einzuwirken und während einer Unterhaltung auf eine Veränderung einzugehen. Es gibt uns die Möglichkeit flexibel zu sein.

All diese fünf Arten des tiefen Gewahrseins sind miteinander in einem Netzwerk verbunden. Wir können das ganz gut in einer Konversation mit jemandem erkennen. Sind wir beispielsweise mit jemandem zusammen, nehmen wir Informationen in Bezug darauf auf, wie die Person aussieht und welche Stimme sie hat. Während wir mit jemandem sprechen, vergleichen wir mit dem gleichsetzenden tiefen Gewahrsein und dem tiefen Gewahrsein der Realität die Informationen des Sehens und Hörens mit ähnlichen früheren Informationen, und sind uns bewusst darüber, dass es sich um eine Frau handelt, wie alt sie in etwa ist, welche Herkunft und Nationalität sie hat, welcher sozialen Klasse sie zuzuordnen ist usw. Diese Aspekte bilden den allgemeinen Kontext, in der wir uns mit ihr befassen.

Es handelt sich jedoch zum Beispiel nicht nur um irgendeine mittelständische mexikanische Frau mittleren Alters. Wir werden sie nicht auf einheitliche Weise als x-beliebige mittelständisch mexikanische Frau mittleren Alters sehen, sondern als ganz bestimmte Frau, und mit dem individualisierenden tiefen Gewahrsein und dem tiefen Gewahrsein der Realität wissen wir dann, dass es sich beispielsweise um Gabi handelt. Das vollbringende tiefe Gewahrsein erlaubt uns, beruhend auf den Informationen des gleichsetzenden und individualisierenden tiefen Gewahrseins, uns mit dieser Person zu befassen. Wir können mit ihr nur dann auf angemessene Weise umgehen, wenn wir die Informationen nutzen, die wir aus der Kombination dieser drei Arten des tiefen Gewahrseins bekommen haben.

Mit dem gleichsetzenden tiefen Gewahrsein setzen wir weitere Aspekte der Informationen gleich, die wir durch spiegelgleiche Informationen bekommen haben, wenn wir mit dieser Person sprechen, wie den Klang ihrer Stimme und den Ausdruck ihres Gesichtes. Wir setzen diese Aspekte mit anderen Erfahrungen gleich, die wir mit ihr hatten, damit wir dann mit dem tiefen Gewahrsein der Realität beispielsweise wissen können, dass sie traurig ist. Hier geht es jedoch nicht um ein allgemeines Gefühl der Traurigkeit. Mit dem individualisierenden tiefen Gewahrsein richten wir uns auf diesen bestimmten Fall der Traurigkeit und mit dem vollbringenden tiefen Gewahrsein würden wir dann dementsprechend mit ihr umgehen.

All diese fünf Arten des tiefen Gewahrseins sind miteinander verbunden und wirken zusammen. Das tiefe Gewahrsein der Realität verleiht uns die Möglichkeit zu wissen, welche Information wir während der Unterhaltung aufnehmen, welche gleichsetzenden Faktoren zutreffen, welcher individualisierende Faktor sie festlegen kann und welche Art des Umgangs angemessen ist. Während sich die Unterhaltung fortsetzt und wir mehr Informationen bekommen, können wir durch das tiefe Gewahrsein der Realität in Bezug auf die Veränderung flexibel sein und unsere Art des Umgangs ändern. Vielleicht haben wir anfangs die Situation falsch eingeschätzt oder wussten nicht genau was los war. Als wir dann mehr Informationen bekamen, konnten wir durch das tiefe Gewahrsein der Realität flexibler sein und unser Verhalten durch das vollbringende tiefe Gewahrsein ändern.

Wie ihr sehen könnt ist unser Austausch mit anderen vollkommen abhängig von diesen fünf Arten des tiefen Gewahrseins. Außerdem finden alle fünf gleichzeitig statt. Zeitgleich findet auch alles andere statt, was zum System der fünf Aggregate gehört – die fünf Aggregat-Faktoren oder skandhas, die jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen, einschließlich all der Geistesfaktoren, wie die Aufmerksamkeit. In jedem Augenblick widmen wir einer Art des tiefen Gewahrseins mehr Aufmerksamkeit als einer anderen; diese fünf Arten des tiefen Gewahrseins sind jedoch alle fortwährend gegenwärtig.

Fragen zum Erkennen 

Ist der Prozess des Erkennens der gleiche wie der des Individualisierens?

Das Erkennen, so wie wir es im westlichen Kontext verstehen, ist ein äußerst komplexer Vorgang, der weit mehr umfasst als etwas zu individualisieren. Auch ist es nicht nur ein Geistesfaktor. Um etwas zu erkennen, müssen wir Informationen dazu aufnehmen, ein definierendes charakteristisches Merkmal dieser Information festlegen, sie mit anderer Information des gleichen charakteristischen Merkmals gleichsetzen, uns einer Kategorie mit dem passenden zusammengesetzten Merkmal bewusst sein, in die sie passen könnte, und dann schlussfolgerndes Verstehen nutzen, um zu bestimmen, ob die Information laut Konvention in diese Kategorie passt.

Der gleiche Vorgang ist beispielsweise nötig, um Sprachen zu verstehen. Der Klang verschiedener Stimmen, die bestimmte Klangbilder erzeugen, ist jedes Mal anders. Wie können wir da wissen, dass ein bestimmtes Klangbild, das wir hören – der Klang einer Kombination von Vokalen und Konsonanten – tatsächlich ein Wort ist? Würden wir eine fremde Sprache hören, könnten wir nicht wissen, ob das, was wir gehört haben, ein Wort war, oder? Und sogar wenn wir wissen, dass es sich um ein Wort handelt und wir die richtigen Vokale und Konsonanten zusammenfügen und eine Pause zwischen den Worten einschieben, wie können wir wissen, was das Wort tatsächlich bedeutet? Woher wissen wir, dass sich der Klang dieses Wortes in so vielen verschiedenen Stimmfarben auf das gleiche Wort mit der gleichen Bedeutung bezieht? Das ist ein überaus komplexer Vorgang, nicht wahr?

Wir können sehen, dass es beim Erkennen um verschiedene Arten des tiefen Gewahrseins geht, nicht nur um eines, sowie um mehrere Geistesfaktoren. Das Erkennen beim Verstehen von Sprachen ist sogar noch komplexer, denn wir hören immer nur einen Klang oder eine Silbe; wir hören kein ganzes Wort oder gar einen ganzen Satz auf einmal. Um zu erklären, wie wir einen ganzen Satz verstehen, müssen wir uns mit geistigen Hologrammen in der konzeptuellen Wahrnehmung befassen, die geistig einen ganzen Satz repräsentieren, um eine Bedeutung erkennen zu können. Dieser Prozess ist unglaublich komplex und er wurde im Buddhismus vielfach analysiert.

Das gleiche trifft zu, wenn wir jemanden sehen und erkennen, dass es sich um dieselbe Person handelt, die wir gestern gesehen haben, auch wenn sie nicht genauso aussieht. Vielleicht trägt sie etwas anderes oder ihr Gesichtsausdruck ist ein anderer. Wie können wir wissen, dass es die gleiche Person ist? Wenn wir mit jemandem zusammen sind, der sich bewegt und verschiedene Dinge tut, wie können wir da wissen, dass es die gleiche Person ist, wenn sich die visuelle Information doch ständig ändert? Wenn wir einmal darüber nachdenken, ist das schon ein erstaunlicher Prozess. Es könnte doch auch eine ganz andere Person sein, nicht wahr? Gäbe es einen Fehler oder Mangel seitens unserer Geistesfaktoren und Arten des tiefen Gewahrseins, wären wir nicht in der Lage, diese Information zusammenzufügen.

Denkt einmal darüber nach. Auf diese Weise haben wir viel mehr Respekt gegenüber unserem Geist.

[Reflexion]

Die Relevanz des Verständnisses der Leerheit 

Dieser Punkt führt uns zur Thematik der Leerheit oder Leere. Betrachten wir dies einmal an dem Beispiel, wenn wir jemanden bei einer Begegnung beobachten, bei der er sich bewegt; vielleicht treiben wir zusammen Sport. Handelt es sich ganz konkret um die gleiche Person, die wir jeden Augenblick in einer anderen Position sehen oder ist die Person jedes Mal eine völlig andere?

Betrachtet es im Sinne des konventionellen „Ichs“. Gibt es da eine solide Person, die in dieser Zeit vollkommen identisch mit jeder Körperposition ist? Ist sie völlig identisch oder ganz verschieden davon? Keines von beiden stimmt. Es ist notwendig dies zu untersuchen und zu verstehen, was mit konventionellem „Ich“ oder einer konventionellen Person gemeint ist. Gäbe es eine feststehend existierende Person, die stets gleich ist, könnte sie sich niemals bewegen.

Diese Art der Analyse nutzen wir für das Verständnis der Leerheit. Es ist unmöglich, dass die Person oder der Körper als solide Entität existiert, denn wenn es so wäre, könnte er sich niemals bewegen. Oder wäre er unveränderlich, wäre die Körper in unterschiedlichen Positionen zwei völlig verschiedene Körper, wie zwei Mickymaus-Zeichnungen in einem Comic-Heft in zwei unterschiedlichen Bildern. Das ist spannend, nicht wahr?

Denkt einen Moment darüber nach. Ist das, was wir erleben wenn wir zunächst darüber nachdenken, Verwirrung in Bezug darauf, wie die Wahrnehmung tatsächlich funktioniert, so ist das sehr gut, denn es macht uns neugierig darauf tiefer zu gehen und es weiter zu erforschen.

Wenn wir es auf falsche Weise betrachten und denken, dass wir beispielsweise genau die gleiche Person sehen, werden wir dieser Person auf genau die gleiche Art erwidern, wie wir es am Tag zuvor getan haben. Das tun wir jedoch nicht. Die Person ist vielleicht in einer anderen Verfassung und wenn wir noch immer denken, dass sie sich in der gestrigen Stimmung befindet, führt das zu Problemen und es ist notwendig dies zu verstehen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Stellen wir uns dann vor, dass sie jedes Mal, wenn wir sie sehen, eine völlig andere Person ist, haben wir es mit einer anderen Schwierigkeit zu tun. Vielleicht kommt eine Person von der Arbeit nach Hause, während wir den ganzen Tag zu Hause waren. Wir haben vielleicht die Vorstellung, dass die Person keinen harten Arbeitstag hatte, bevor sie das Haus betrat und so scheint sie ganz anders zu sein, als wir es erwarten. Wir fragen dann: „Warum bist du nicht entspannt und warum freust du dich nicht, mich zu sehen?“ Wir betrachten diese beiden als zwei völlig verschiedene Personen: diejenige, die vorher bei der Arbeit war und jene, die zur Tür hereinkam und nun zu Hause ist. Diese Art der Erwartungen führen ganz offensichtlich zu Schwierigkeiten in der Beziehung.

Die Person ist also weder die gleiche oder identisch, noch völlig verschieden und unabhängig davon. Sie ist auch nicht beides, sowohl gleich als auch verschieden, als wäre ein Teil der soliden Person gleich geblieben und nur ein anderer Teil völlig verschieden. So ist es ganz gewiss nicht. Und es ist auch nicht so, dass es eine festgelegte Person gibt, die zu unterschiedlichen Zeiten weder anders noch verschieden ist und in einer merkwürdigen transzendenten Kategorie existiert. Diese Art der Analyse nutzen wir um zu dem Verständnis zu gelangen, dass es unmöglich ist, jemanden als solide und unveränderlich zu betrachten. Es handelt sich dabei um eine unrealistische Existenzweise.

Obwohl dies nicht wirklich zu unserer Thematik gehört, ist es doch hilfreich, es mit dem zu verbinden, was wir hier gerade lernen. Nur auf der Grundlage eines korrekten Verstehens der Leerheit können unsere diversen Arten des tiefen Gewahrseins in jeder Hinsicht gültig sein.

Frage zur allgemeinen Gültigkeit der fünf Arten des tiefen Gewahrseins 

All diese auf Wahrnehmung basierenden Vorgänge sind ziemlich komplex, aber trotz allem ist ein zwei- oder dreijähriges Kind ganz automatisch dazu in der Lage. Hat das etwas mit der Wiedergeburt zu tun?

Indirekt hat es etwas mit der Wiedergeburt zu tun. Die Schlussfolgerung ist, dass diese fünf Arten des tiefen Gewahrseins in dem Sinne ursprünglich sind, da wir über sie seit anfangsloser Zeit als Aspekte unserer geistigen Aktivität verfügen. Sie sind nicht etwas Neues, das wir lernen mussten. Wir haben über sie in all unseren zahllosen anfangslosen Leben verfügt, ungeachtet dessen in welcher Lebensform wir wiedergeboren wurden, denn auch Tiere und sogar Insekten haben sie.  

Gestern war ich zu Besuch bei Leuten, die eine Katze hatten. Sobald die Katze das spanische Wort für Essen oder Essenszeit hörte, wusste sie wo es hinging und was zu tun war. Sie wusste, wie man auf dieses Wort reagiert und ich bin mir sicher, dass die Katze es auch verstehen würde, wenn ein anderes Familienmitglied diese gleichen Worte sagen würde. An uns Menschen ist in diesem Sinne wirklich nichts Besonderes. Was uns jedoch außergewöhnlich macht ist die Tatsache, dass wir mit diesen Fünf auf einer Ebene des Pfades arbeiten können.

Die Parallele zwischen den fünf Arten des tiefen Gewahrseins und den fünf Aggregaten 

Lasst uns diese fünf etwas eingehender betrachten. Es gibt eine Parallele zwischen den fünf Arten des tiefen Gewahrseins und den fünf Aggregat-Faktoren, den fünf skandhas, die jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen.

  • Das spiegelgleiche tiefe Gewahrsein, durch das wir Informationen aufnehmen, ist vergleichbar mit dem Aggregat der Formen physischer Phänomene. Es umfasst die verschiedenen Arten der Information, die wir wahrnehmen: farbige Formen, Klang, Geschmack, Geruch usw.
  • Das gleichsetzende tiefe Gewahrsein, durch das wir Dinge zusammenfügen, ist vergleichbar mit dem Aggregat des Empfindens eines Grades an Glück oder Leid. In Bezug auf das Erreichen der Buddhaschaft besteht die wichtigste Weise des Zusammenfügens darin, alle Wesen miteinander zu verbinden und zu erkennen, dass alle gleichermaßen glücklich und nicht unglücklich sein wollen. Das ist die Grundlage für Liebe: „mögen sie stets glücklich sein und die Ursachen des Glücks besitzen“, sowie für Mitgefühl: „mögen sie frei von Leid und dessen Ursachen sein“.
  • Das individualisierende tiefe Gewahrsein, mit dem wir eine Sache innerhalb einer Gruppe herausheben, ist vergleichbar mit dem Aggregat-Faktor des auseinanderhaltenden Gewahrseins. Mit ihm halten wir ein Objekt und den Hintergrund oder andere Objekte auseinander.
  • Das vollbringende tiefe Gewahrsein, mit dem wir uns mit etwas auseinandersetzen, also etwas mit oder für eine Sache tun, ist vergleichbar mit dem Aggregat der anderen beeinflussenden Variablen. Denn innerhalb des Aggregates der anderen beeinflussenden Variablen befindet sich all das, was sich ändert, und nicht in den anderen vier Aggregaten enthalten ist. Das Wichtigste davon ist das, was wir als „Drang“ übersetzen, also Karma: der Drang, der uns dazu bringt, eine bestimmte Handlung auszuführen. Dies ist vergleichbar mit dem vierten Aggregat und dem vollbringenden tiefen Gewahrsein.
  • Das tiefe Gewahrsein der Realität, mit dem wir auf der grundlegensten Ebene wissen, welche Art von Information etwas ist, das mit dem spiegelgleichen tiefen Gewahrsein erscheint, ist vergleichbar mit dem Bewusstseinsaggregat. Wie mit dem tiefen Gewahrsein der Realität, sind uns wir mit dem Bewusstseinsaggregat bewusst über die essentielle Natur von etwas, also darüber, was für eine Art von Phänomen etwas ist – ein Anblick, ein Geräusch, ein Geruch, ein Geschmack, eine körperliche Empfindung oder ein geistiges Objekt.

Wenn von diesen fünf Aggregat-Faktoren die Rede ist, geht es um Faktoren, die jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen. In ähnlicher Weise handelt es sich auch in Bezug auf die fünf Arten des tiefen Gewahrseins um Faktoren, die jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen.

Die fünf Aggregat-Faktoren oder Skandhas sind Teil der Wirkungsweise von Samsara. Es sind Beispiele der dritten Art des Leidens, des alles umfassenden Leidens. All diese Faktoren, die sich von einem Augenblick zum nächsten ändern, machen unsere samsarische Erfahrung aus. Sie gehen aus Verwirrung hervor, sind geprägt von Verwirrung und in den meisten Fällen setzen sie die Verwirrung weiter fort, wenn wir kein Arhat sind. Das ist eine allgemeine Sichtweise, die jedoch nicht von jeder tibetisch-buddhistischen Schule vertreten wird. Diese Aggregat-Faktoren sind jedenfalls mit Verwirrung verbunden. Wegen diesem Bezug zu Verwirrung oder Unwissenheit kennt man sie auch als „befleckte“ Aggregate, die oft als „verunreinigte Aggregate“ übersetzt werden.

Erlangen wir Buddhaschaft, verfügen wir noch immer über die fünf Arten des tiefen Gewahrseins, jedoch nun in einer gereinigten Form, frei von allen Beschränkungen und in gleicher Weise auch über die fünf Aggregate, doch nun in einer unbefleckten und auch unbegrenzten Form; sie sind nicht mehr von Verwirrung befleckt. Schließlich verfügen wir als Buddha noch immer über Konzentration, Liebe und Mitgefühl.

Die fünf Arten des tiefen Gewahrseins sind von Natur aus rein 

Oft wird besonders im Tantra gesagt, dass jeder Augenblick des allwissenden Gewahrseins eines Buddha aus den fünf reinen Arten des tiefen Gewahrseins und nicht aus den fünf befleckten Skandhas besteht. Geht es jedoch um diese fünf Arten des tiefen Gewahrseins, wird es anders erklärt. Der Hauptaugenmerk liegt dann darauf, dass die Arten des tiefen Gewahrseins selbst unbefleckt und von Natur aus rein sind.

Denken wir einmal darüber nach, ist es zum Beispiel so, dass wir, wenn wir all die Information einer Gruppe von Menschen in einem Raum aufnehmen, nicht allen gleichermaßen Aufmerksamkeit schenken. Wir nehmen nicht alle konkreten Einzelheiten und Dinge wahr. Das liegt nicht an dem Aufnehmen von Informationen, denn die Information wird aufgenommen, als würde man ein Foto von dem Raum machen. Es sind unsere befleckten Geistesfaktoren, wie die Aufmerksamkeit, die das, was wir verstehen und erkennen, einschränken.

Die Beziehung zwischen den fünf Arten des tiefen Gewahrseins und den fünf Arten von störenden Emotionen 

Sehr beachtlich und hilfreich ist die Darstellung, wie die fünf Arten des tiefen Gewahrseins, wenn sie mit Verwirrung vermischt sind, als Ursache für die fünf Arten des tiefen Gewahrseins dienen.

  • Ist das spiegelgleiche tiefe Gewahrsein mit Verwirrung bedeckt, sind wir naiv. Wir sind uns dann beispielsweise nicht bewusst darüber, dass jemand verärgert ist. Wir sind naiv, weil wir es einfach nicht bemerken. Die Bedeckung der Verwirrung beeinflusst jedoch nicht die grundlegende Natur des Spiegels, die Information aufzunehmen.
  • Ist das gleichsetzende tiefe Gewahrsein von Verwirrung bedeckt, sind wir uns nicht der Ebenbürtigkeit aller gewahr. Infolgedessen sind wir dann zum Beispiel geizig und wollen nicht mit anderen teilen. Wir sind auch ziemlich stolz und überheblich, und meinen, wir wären besser als andere und sind bedeckt, was die Gleichheit aller betrifft.
  • Ist das individualisierende tiefe Gewahrsein von Verwirrung bedeckt, haben wir sehnsüchtiges Verlangen und Anhaftung. Wir heben nicht nur etwas oder jemanden hervor, sondern machen sie zu etwas ganz Besonderem, das wir unbedingt haben müssen, oder das wir, wenn wir es haben, nicht loslassen wollen und wovon wir nicht genug bekommen können.
  • Ist das vollbringende tiefe Gewahrsein von Verwirrung bedeckt, sind wir neidisch oder eifersüchtig. Eine andere Person hat vielleicht irgendetwas bekommen und wir nicht. Wir sind uns nicht bewusst darüber, dass sie dies durch einen besonderen Verdienst bekam, den wir ebenfalls erreichen müssten, wenn wir es haben wollen. Ist dieses Verständnis jedoch bedeckt, erleben wir einfach nur Eifersucht.
  • Ist das tiefe Gewahrsein der Realität bedeckt, sind wir wütend. Mit dieser Art des tiefen Gewahrseins wissen wir, dass etwas dieses und nicht jenes ist. Was geschieht jedoch, wenn es mit Verwirrung vermischt ist? Wir sagen: „du tust nicht, was ich von dir erwarte, sondern etwas anderes“ und werden wütend, oder: „du bist frech und benimmst dich nicht wie ein wohlerzogenes Kind“, was uns dann zornig macht.

Trotz der Tatsache, dass wir diese fünf Arten von störenden Emotionen erleben, wenn die fünf Arten des tiefen Gewahrseins von Verwirrung bedeckt sind, bleiben die fünf Arten des tiefen Gewahrseins selbst stets rein und unbefleckt. Daher sind die fünf Arten des tiefen Gewahrseins verschiedene Aspekte der Buddha-Natur. Sie erlauben uns, die verschiedenen Aspekte eines Buddha zu haben. Ein Buddha verfügt über die fünf Arten des tiefen Gewahrseins in ihrer vollständigen Form. Diese Ebene selbst zu erreichen ist nur eine Frage des Freiwerdens von dieser Verwirrung, durch die sie bedeckt werden. Auf der anderen Seite sind die fünf bedeckten Aggregate als Ganzes keine Aspekte der Buddha-Natur, da viele ihrer Faktoren mit Verwirrung vermischt sind.

Dennoch gibt es innerhalb der fünf Aggregate einige Geistesfaktoren, wie das Mitgefühl, die man als Aspekte der Buddha-Natur bezeichnen kann. Mitgefühl ist der Wunsch: „mögest du frei von Leiden und den Ursachen des Leidens sein.“ Wir alle verfügen darüber auf einer grundlegenden Ebene, wenn wir uns beispielsweise um die Jüngeren oder um uns selbst kümmern. Da gibt es den grundsätzlichen Faktor, mit dem wir versuchen Leiden zu verhindern und abzuschwächen. Ist der Aspekt voll entwickelt, haben wir das Mitgefühl eines Buddhas, das sich gleichermaßen auf alle Wesen erstreckt.

Hiermit sind wir nun auf viele Punkte eingegangen und hätten wir mehr Zeit gehabt, wäre es noch besser gewesen, nach jedem eine Pause zu machen, um darüber nachzudenken. Auf diese Weise hätten wir es jedoch nie geschafft, den wesentlichen Teil des Lehrstoffes in dieser Sitzung durchzunehmen. Denkt bitte daran, dass es einige wirklich außergewöhnlich gute Methoden in den buddhistischen Lehren gibt, um mit jeder dieser fünf Arten von störenden Emotionen umzugehen, über die wir gesprochen haben. Beruhigen wir uns und lassen die Verwirrung zur Ruhe kommen, bleibt uns ein bestimmtes, entsprechendes tiefes Gewahrsein, das dem zugrunde liegt.

Richten wir zum Beispiel unsere ganze Aufmerksamkeit auf eine Person und haben gegenüber ihr solch ein Verlangen und eine Anhaftung, und lassen diese Verwirrung und Überbewertung der guten Eigenschaften dieser Person zur Ruhe kommen, was bleibt dann übrig? Was übrig bleibt ist das individualisierende tiefe Gewahrsein. Wir heben eine Person von anderen Menschen ab und können dann erkennen, dass sie „nichts Besonderes“ ist. Diese eine Person ist genau wie alle anderen, was man mit einem Pinguin in der riesigen Schar von hunderttausenden in der Antarktis vergleichen kann.

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