Unwissenheit darüber, wie wir existieren und störende Emotionen
Wir reden über das Selbst, das „Ich,“ und fragen uns, wie wir existieren. Diese Frage, die wir uns im Buddhismus stellen, ist von wesentlicher Bedeutung. Wenn wir uns nicht bewusst darüber sind, auf welche Weise wir und alle anderen existieren und wenn wir entweder keine oder keine korrekte Kenntnis davon haben, kommt es zu zahlreichen störenden Emotionen. Diese Unbewusstheit oder Verwirrtheit erfahren wir durch ein Gefühl der Unsicherheit und weil wir uns unsicher fühlen, meinen wir irgendwie zwanghaft versuchen zu müssen ein Gefühl der Sicherheit zu bekommen und da kommt dann Karma oder die Gewohnheit mit ins Spiel.
Im Grunde stehen die störenden Emotionen an erster Stelle und sie sind dann der Mechanismus dafür, das Gefühl zu haben, sich selbst Sicherheit geben zu können. Einige dieser störenden Emotionen sind schädlich, andere neutral. Beispielsweise ist die störende Emotion der Wut und Feindseligkeit der Mechanismus dafür zu denken, wir würden uns sicher fühlen, wenn wir nur bestimmte Dinge von uns fernhalten könnten. Das führt dann zu zwanghaftem aggressiven Verhalten. Oder wir meinen, wir würden uns sicherer fühlen, wenn wir bestimmte Dinge bei uns hätten oder festhalten könnten, was dann zu dem sehnsüchtigen Verlangen führt, etwas zu bekommen, was wir nicht haben. Wir sind angehaftet und wollen Dinge nicht loslassen, die wir haben; und gierig, denn wir wollen noch mehr bekommen. Wir sind einfach nie zufrieden. Diese störenden Emotionen sind destruktiv und führen zu schädlichem Verhalten.
Es gibt auch bestimmte störende Geisteshaltungen, die sowohl destruktivem, als auch konstruktivem Verhalten unterliegen. Daher werden sie als neutral, oder genau genommen, als unspezifiziert angesehen; sie können in beide Richtungen gehen. Beispielsweise gibt es eine Geisteshaltung, die sehr dominant ist. Hier handelt es sich um einen Fachbegriff: eine verblendete Geisteshaltung in Bezug auf ein vergängliches Netzwerk. In gewissem Sinne bezieht es sich darauf, allem dieses Netz von „ich“ und „mein“ überzuwerfen. Das vergängliche Netzwerk ist das Netzwerk unserer Aggregate: Körper, Geist usw. und wir stülpen allem diese Vorstellung von einem „Ich“ über: ich besitze etwas oder ich muss bestimmte Dinge als „meins“ betrachten. Beruhend darauf können wir entweder destruktive oder auch konstruktive Emotionen haben. Beispielsweise denken wir wir, ich muss perfekt sein; das bin „ich,“ das ist „mein“ Körper und er muss vollkommen sein. Muskelaufbautraining kann sehr neurotisch und zwanghaft sein, weil wir unser „Ich“ mit einem Körper identifizieren und immer darauf achten, wie wir aussehen.
Die Definition einer störenden Geisteshaltung oder Emotion ist ein Zustand, bei dem wir unseren geistigen Frieden und unsere Selbstbeherrschung verlieren, wenn er auftritt. Wir handeln also zwanghaft. Das Problem liegt darin zu versuchen, einer Sache Sicherheit zu geben, die nicht einmal existiert, der man also keine Sicherheit geben kann und daher ist es vergeblich. Wir versuchen, einem unmöglichen Selbst Sicherheit zu geben, das nicht existiert. Wir existieren nicht auf diese Weise. Das ist der Grund, warum dieses Thema so wichtig ist.
Wir haben über das grobe, unmögliche Selbst und über das subtile, unmögliche Selbst gesprochen. Im Buddhismus wird in der Vaibhashika-Schule nur das grobe, unmögliche Selbst widerlegt. Alle anderen widerlegen sowohl das grobe, als auch das subtile, unmögliche Selbst. Das Grobe ist etwas, dass man uns erst beibringen musste, wohingegen das Subtile automatisch erscheint. Jedoch könnte man uns, aus Sichtweise der Vaibhashika-Schule, auch dieses erst beigebracht haben.
Das nötige Verständnis zum Erlangen von Befreiung und Erleuchtung
In allen buddhistischen Lehrsystemen, außer der Prasangika-Schule, wird gesagt, es wäre nicht notwendig, irgendetwas anderes zu verstehen, um Befreiung zu erlangen. Es sei lediglich notwendig zu verstehen, dass das Selbst nicht auf diese unmögliche Weise existieren kann. Wenn wir das verstehen, würden wir keine störenden Emotionen oder Geisteshaltungen haben. Und folglich würden wir uns nicht mehr zwanghaft verhalten und so auch kein Karma mehr haben, also keine karmischen Tendenzen und Potenziale entwickeln. Wir würden keine störenden Emotionen oder Geisteshaltungen haben, die diese Tendenzen und Verhaltensweisen zum Zeitpunkt des Todes auslösen und aus diesem Grund keine unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburt, kein Samsara, erfahren.
Der ganze Mechanismus wird durch die „zwölf Glieder des abhängigen Entstehens“ beschrieben. In den Mahayana-Schulen wird erklärt, dass es diese unmöglichen Existenzweisen nicht nur für ein Selbst gibt, sondern auch für alle Phänomene und auch das muss widerlegt werden. In den Lehrsystemen des Mahayana ist es so, dass wir, wenn wir Erleuchtung erreichen wollen, dies widerlegen und ein Verständnis von der Leerheit aller Phänomene, einschließlich dem Selbst, haben müssen.
Es ist also notwendig, das Selbst weiter zu dekonstruieren. Laut den Schulen des Chittamatra und Svatantrika brauchen wir lediglich dieses Verständnis, wie wir es bereits in der Sautrantika-Schule gesehen haben. Es reicht zu verstehen, dass das Selbst nicht als diese grobe oder subtile Seele existieren kann, um Befreiung zu erlangen. Wenn wir jedoch Erleuchtung erlangen wollen, ist es notwendig, ein Verständnis von der Leerheit aller Phänomene, einschließlich dem Selbst, zu haben. In der Prasangika-Schule ist man da anderer Meinung und behauptet, man brauche dieses Verständnis sogar, wenn man Befreiung erlangen möchte und das ist im Grunde ein großer Unterschied.
Weitere Dekonstruktion des Selbst
Sehen wir uns das in der Chittamatra-Schule an. Zunächst wird hier die Sichtweise der Sautrantika-Schule verfeinert und es wird hinzugefügt, dass das Selbst kein Ende, wie im Parinirvana, hat, während sowohl in der Vaibhashika-, als auch in der Sautrantika-Schule gesagt wird, das Selbst hätte ein Ende. Im Chittamatra behauptet man, es setze sich über den Tod hinaus fort, auch wenn wir Befreiung oder Erleuchtung erreicht haben. Außerdem wird gesagt, das Selbst würde nicht äußerlich als ein Selbst existieren. Wir haben über die fünf Dinge gesprochen, die das Selbst und das Bewusstsein miteinander teilen oder nicht. Gemäß der Sautrantika-Schule haben sie nicht die gleiche Ursprungsquelle; aber ungeachtet dessen können wir das Selbst nur kennen, wenn wir uns gleichzeitig auch dessen Grundlage der Zuschreibung bewusst sind. Ich kann den anderen also nur sehen, wenn ich gleichzeitig auch seinen Körper sehe. Der Körper entstammt jedoch einer äußeren Quelle, während mein Bewusstsein des Körpers einer inneren Ursprungsquelle, einem Samen des Karma in meinem geistigen Kontinuum, entstammt.
In der Chittamatra-Schule wird gesagt, dass sowohl der Körper, den ich sehe, als auch mein Bewusstsein des Körpers, der gleichen Ursprungsquelle entstammen. Das Bewusstsein, der Körper und das Selbst stammen aus dem gleichen karmischen Samen. Aus diesem karmischen Samen, diesem karmischen Potenzial, entstammen sowohl das Bewusstsein, als auch das geistige Hologramm des Körpers. Und da das Selbst eine Zuschreibung auf den Körper ist, wird das Hologramm auch ein Hologramm des Selbst, von dir oder mir, sein. Wenn ich beispielsweise mich selbst im Spiegel betrachte, jemanden ansehe oder an jemanden denke, stammt ein geistiges Hologramm des Körpers und des Selbst vom gleichen Samen ab, wie das Bewusstsein darüber. Und auch alle Geistesfaktoren, die damit verbunden sind, stammen von diesem Samen ab. Das Selbst ist ein abhängiges Phänomen, wie der Körper, der dessen Grundlage der Zuschreibung ist. Es ändert sich von einem Moment zum anderen und seine Existenz kann nicht nur in Bezug auf dessen konzeptuelle Wahrnehmung begründet werden. Wir sind selbst fähig zu sehen, aber gemäß der Chittamatra-Schule hat das Selbst trotzdem noch einen Barcode, der seine Existenz begründet. Dieser Barcode existiert auf Seiten der Grundlage der Zuschreibung des Selbst.
Hier, in der Chittamatra-Schule, ist, anstatt von einer Grundlage, die in allen Leben als geistiges Bewusstsein vorhanden ist, von einem sogenannten grundlegenden Bewusstsein die Rede. Natürlich stimmt man dem Vorhandensein von geistigem Bewusstsein zu, jedoch wird gesagt, es würde sich dabei nicht um die Grundlage der Zuschreibung für das Selbst handeln oder um das, was den Barcode des Selbst enthält. Vielmehr ist es das grundlegende Bewusstsein (Skt. Alayavijnana); auf Deutsch bezeichnet man es mitunter als „Speicherbewusstsein.“ Das ist die Grundlage der Zuschreibung der Tendenzen von Karma, Erinnerungen und allen möglichen Dingen. Jedenfalls handelt es sich um die gleiche Vorstellung, bei der sich der Barcode des Selbst und das Selbst auf Seiten dieser Grundlage der Zuschreibung befinden, die eine Art von Bewusstsein ist.
In der Chittamatra-Schule wird jedoch behauptet, beim Barcode des Selbst und aller Phänomene handele es sich lediglich um die Eigenschaft, individuelle, gültig erkennbare Objekte zu sein. In ihm kann man nicht die Barcode-Information finden, ob sie männlich oder weiblich sind, ob es sich um Menschen, Würmer, Hunde oder Geister handelt oder ob sie gut, schlecht, groß oder klein sind. All das nehmen wir durch konzeptuelle Wahrnehmung seitens der Kategorien wahr und im Grunde genommen ist das von großer Wichtigkeit. Wir sind nicht von Natur aus irgendeine bestimmte Lebensform und haben auch nicht von Natur aus ein bestimmtes Geschlecht oder so etwas. Vielmehr ist es so, dass sich das Selbst von einem Leben zum nächsten in einem Körper fortsetzt, zu dem es eine Verbindung hat, die durch karmische Tendenzen hervorgerufen wird. Auf der Seite des Barcodes gibt es nichts Inhärentes, wodurch das Selbst eine bestimmte Lebensform, ein gewisses Geschlecht oder eine spezifische Eigenschaft annimmt und beispielsweise gut, schlecht, groß oder klein ist.
Und das ist wirklich wichtig. Wenn wir das nicht verstehen, stülpen wir dieses Netz des „Ichs“ einem Aspekt über, mit dem wir uns identifizieren und meinen ein Mann oder eine Frau zu sein. Dann denken wir, ein Mann muss auf diese Weise oder eine Frau auf jene Weise handeln. Wir werden dann ziemlich neurotisch und entwickeln eine Art zwanghaftes Verhalten, um es zu untermauern. Wir meinen, wir müssten es beweisen und es durch unsere Taten und unser Verhalten rechtfertigen. Wir fühlen uns jedoch nie sicher und daher versuchen wir immer auf neurotische Weise etwas zu rechtfertigen. Das kann dann zu schädlichem, zwanghaft konstruktivem oder auch zu neutralem Verhalten führen, bei dem wir vielleicht einfach nur auf unsere Haare achten, denn ein Mann sollte diese und eine Frau jene Frisur haben.
Der Mythos
All das beruht auf einem Mythos und das ist wichtig zu verstehen. Es gibt nichts, was wir beweisen müssen. Konventionell bin ich ein Mann und dem würde jeder zustimmen, aber obwohl ich jetzt vielleicht die Eigenschaften eines Mannes, oder wenn ich eine Frau wäre, die einer Frau habe, ist dieses Geschlecht nicht meine gleichbleibende, mir innewohnende Identität. Hier fängt es an, auch aus psychologischer Sichtweise, recht interessant zu werden. Durch diese Erkenntnis der Chittamatra-Schule erfahren wir einiges über zwanghaftes Verhalten. Wenn wir ein erleuchteter Buddha werden und allen hilfreich sein wollen, ist es notwendig, diese Art der fehlerhaften Sichtweise in Bezug auf uns und allen anderen zu überwinden. Wir müssen sie überwinden, wenn wir fähig sein wollen, ihnen zu helfen, Befreiung und auch Erleuchtung zu erlangen. Wir sollten uns jedoch bewusst darüber sein, dass es laut der Chittamatra-Schule immer noch dieses auffindbare „Ich“ seitens seiner Grundlage der Zuschreibung gibt.
Gehen wir nun zum Svatantrika, was sich in zwei Zweige unterteilt: Sautrantika Svatantrika und Yogachara Svatantrika. Im Sautrantika Svatantrika wird gesagt, die Ursprungsquelle des Selbst und des Körpers, als Basis der Zuschreibung, wäre äußerlich und nicht innerlich. Obwohl das Bewusstsein und die Geistesfaktoren ein geistiges Hologramm entstehen lassen, handelt es sich nur um geistige Aktivität und darum, wie geistige Aktivität funktioniert. Bei der Quelle des Körpers handelt es sich jedoch um äußere Elemente, wie jene unserer Eltern usw. Sie dienen als Umstand dafür, dass ein geistiges Hologramm erscheinen kann. Das ist also das Gegenteil von dem, was im Chittamatra behauptet wird.
In der Svatantrika-Schule wird gesagt, es sei unmöglich, die Existenz des Selbst entweder nur auf Seiten des Objektes oder nur auf der Grundlage von geistigem Zuschreiben zu begründen. Vielmehr muss es eine Kombination dieser zwei sein. Einfacher ausgedrückt gibt es seitens der Objekte individuelle definierende Charakteristika und dabei handelt es sich nicht nur um die Charakteristika, individuell erkennbare Objekte zu sein, sondern auch um ganz spezifische Eigenschaften, wie körperliche Merkmale. Katzen haben bestimmte körperliche Merkmale und Hunde auch. Aber diese Merkmale können nicht für sich selbst als Merkmale von Katzen oder Hunden, unabhängig von Konzepten oder Kategorien in Bezug auf Katzen oder Hunde, wahrgenommen werden. Wir können sie nur im Zusammenhang mit der geistigen Bezeichnung der Kategorien „Katze“ oder „Hund“ als Merkmale von Katzen oder Hunden festlegen.
Körperliche Merkmale sind lediglich fleischliche Formen. Sie einfach nur zu sehen, ohne ein Konzept von Katzen oder Hunden zu haben, reicht nicht, um ein Tier als Katze oder Hund wahrzunehmen. Ein Baby sieht beispielsweise das Tier nur als etwas Lebendiges. Man benötigt ein Konzept von Katzen oder Hunden, um es als Katze oder Hund zu betrachten. Wenn wir jedoch lediglich ein Konzept von Katzen oder Hunden und keine körperlichen Merkmale seitens der Lebewesens haben, können wir es ebenfalls nicht als Katze oder Hund erkennen. Daher brauchen wir eine Kombination von beidem – sowohl die definierenden, charakteristischen Merkmale, als auch die Konzepte oder Kategorien der geistigen Zuschreibung.
Wie kann ich nun also behaupten, ein Mann zu sein? Laut der Svatantrika-Schule ist es nicht so, einfach nur eine Art von neutralem Selbst zu haben und dann in diesem Leben als ein Mann zu existieren. Es gibt nicht so etwas wie ein leeres Selbst und es wird nie eine Zeit geben, wenn unser Selbst einfach leer ist. Wann sollte das denn sein? So etwas gibt es also nicht. Jederzeit, also in jedem Augenblick, wird das Selbst Aggregaten zugeschrieben und diese Aggregate, wie beispielsweise der Körper, werden körperliche Eigenschaften haben. Diese Eigenschaften legen mich, im Rahmen der geistigen Zuschreibung, jetzt als einen Mann fest. Das bringt uns den einzelnen Momenten der Erfahrung etwas näher, nicht wahr?
Ich bin ein Mann mit den Eigenschaften eines Mannes und durch diese Eigenschaften und die Bezeichnung oder Kategorie „Mann“ wird festgelegt, dass ich ein Mann bin. Im Moment rede ich. Da gibt es also diese Eigenschaft meines Körpers, einen Klang zu produzieren und das Konzept des Redens und Kommunizierens. Ich mache nicht einfach nur irgendwelche Geräusche, sondern sage hoffentlich etwas Konstruktives. Was den Klang meiner Worte und dessen Bedeutung betrifft, gibt es Merkmale, die gültig als konstruktiv bezeichnet werden können und es gibt das Konzept „konstruktiv.“ Insgesamt werden meine Worte auf diese Weise als konstruktiv festgelegt. Was ich sage, ändert sich natürlich von einem Moment zum anderen. Manchmal sage ich etwas Konstruktives und zuweilen rede ich auch ziemlichen Unsinn. Das trifft für jeden Moment zu und das gleiche gilt für das Selbst. Es gibt auffindbare, charakteristische Merkmale eines Selbst und diese begründen, zusammen mit dem Konzept oder der Kategorie eines „Selbst,“ die Existenz eines Selbst.
Wo können wir es ausfindig machen? In der Svatantrika-Schule ist man der Meinung, das Selbst wäre trotzdem ein Ding, auf das sich etwas bezieht und man geht zurück zu der Auffassung, die definierende Charakteristika des Selbst würde sich in der Kontinuität des geistigen Bewusstseins befinden. Was hier, in dieser Svatantrika-Auffassung, gesagt wird, ist ziemlich subtil. Es geht darum, dass Dinge konventionell so erscheinen, wie sie sind und dies begründet ihre Existenz. So existieren sie auf konventionelle Weise. Mit anderen Worten ist es das, was wir finden, wenn wir es konventionell untersuchen und analysieren: das konventionelle „Ich,“ welches auf diese Weise mit der Grundlage der Zuschreibung erscheint. Es scheint unabhängig von Namen, Wahrnehmung und geistiger Bezeichnung zu existieren. Wenn wir seine tiefste Wahrheit, seine Leerheit, untersuchen, können wir eine völlige Abwesenheit dieser unmöglichen Existenzweise finden. Wir können seine Leerheit finden. Konventionell können wir es also finden und auf der tiefsten Ebene ist es nicht auffindbar. Konventionell können wir das Ding finden, auf das es sich bezieht. Es befindet sich hinter dem, auf das sich die geistige Benennung bezieht und trägt es in gewisser Weise. Dort ist es. Und wenn wir es auf der tiefsten Ebene analysieren, können wir sehen, dass es nicht für sich selbst existiert.
Die Prasangika-Sichtweise
Nun ist es natürlich so, dass in der Prasangika-Schule gesagt wird: „Nein, nein, nein. So ist das nicht. Ein unmögliches Selbst gibt es nicht. Man sagt das nur, weil es erscheint, weil es konventionell existiert.“ In der Prasangika-Schule ist man der Meinung, das wäre eine verwirrte Sichtweise, denn es gibt auch die trügerische Erscheinung von wahrhaft begründeter Existenz. Ob wir es nun auf der konventionellen oder auf der tiefsten Ebene untersuchen: wir können kein Ding finden, auf das es sich bezieht.
Wie begründet man nun also in der Prasangika-Schule, dass ich existiere? Das Einzige, was man diesbezüglich sagen könnte, wäre, dass es sich durch etwas begründet, worauf sich die Kategorie „Ich“ und das Wort „Ich,“ auf der Grundlage der sich ständig ändernden Aggregate Körper und Geist, bezieht. Auf der Grundlage der Benennung ist nichts auffindbar. Man kann nichts auf der Seite des „Ichs“ oder auf der Seite seiner Grundlage finden, was ein „Ich“ begründen würde. Ungeachtet dessen gibt es für das Selbst eine Art Barcode, der „mich“ zu einem Individuum macht. Daher bin ich nicht du und bin kein Tisch, sondern ich bin „ich.“
Die Existenz des Selbst ist jedoch, genau wie alles andere auch, nicht durch den Barcode begründet. In allen anderen Schulen wird die eigene Existenz oder die Existenz von irgendetwas anderem durch den Barcode begründet, denn es ist so, als würde sie dadurch in Plastikfolie eingeschweißt werden. Sie wird zu einem Ding, auf das sich etwas bezieht und durch den Barcode im Innern wird es zu etwas, das wie in Plastikfolie verpackt ist. In der Prasangika-Schule sagt man jedoch: „Nein, so etwas gibt es nicht. Das Selbst hat einen Barcode, weil es individuell ist und die definierenden Merkmale machen es zu etwas Individuellem, so dass ich nicht du bin. Es werden keine festen Grenzen um Dinge, um das „Ich,“ gezogen. All das passt in diese ganze Thematik des bedingten Entstehens, denn wenn ich tatsächlich in Plastikfolie eingeschweißt wäre und sich all meine Merkmale darin befinden würden, könnte ich mich nicht ändern; ich könnte mit niemandem interagieren und nichts tun. Dann wäre ich wie etwas, das man in einem Plastikbeutel eingefroren hätte.
Das Verständnis der Prasangika-Schule gilt daher als das tiefgreifendste und subtilste. Um die Prasangika-Sichtweise zu verstehen, ist es notwendig, sich Schritt für Schritt anzusehen, was in den verschiedenen Schulen widerlegt wird, denn wenn wir das nicht tun, erscheint uns diese Betrachtungsweise der Prasangika-Schule trivial. Es wird gesagt, das Selbst wäre nicht auffindbar. Also sehen wir nach: Befindet es sich unter unserem Arm? Oder in der Nase? Vielleicht ist es in unserem Bauch, aber auch dort können wir es nicht finden. Das wäre ziemlich trivial, denn natürlich können ist es nicht auffindbar.
Aber wir können verstehen, dass es, in Bezug auf den Prozess des geistigen Benennens, um ein Ding innerhalb der Grundlage der Benennung geht, auf das sich etwas bezieht. Das, worüber wir reden, ist äußerst spezifisch und sehr subtil. Es gibt nichts auf Seiten dieses Körpers, keinen kleinen Barcode, auf dem steht: das bin ich, das ist Alex. Da ist nichts auf Seiten des Körpers; Alex, diese ganze Kategorie von Alex als Baby, als Jugendlicher, als junger Mann usw., kann einer Grundlage zugeschrieben und benannt werden. Ist das Alex? Ja, das ist Alex. Es ist nicht Patrick. Dahinter, innerhalb dieses Körpers, befindet sich jedoch kein Ding, auf das sich etwas bezieht.
Das ist die Sichtweise der Prasangika-Schule und wenn wir sie verstehen, werden wir nicht von störenden Emotionen überwältigt werden. Wir legen kein zwanghaftes Verhalten an den Tag und verstehen, dass es wirklich absolut nichts gibt, was wir beweisen oder dem wir Sicherheit geben müssten. Wir können also aufhören, uns Sorgen zu machen, denn da gibt es nichts, um das wir uns sorgen müssten. Wir machen einfach mit unserem Leben weiter. Das ist natürlich nicht so einfach; aber die Lösung des Verstehens und Überwindens all unserer verschiedenen Probleme besteht lediglich darin zu verstehen, wie wir existieren und dass wir frei davon sind, auf unmögliche Weisen zu existieren.
Die Wichtigkeit aller vier Schulen
All diese vier Lehrsysteme stammen laut der traditionellen, buddhistischen Erklärung von Buddha ab. Buddha lehrte viele verschiedene Methoden und gab zahlreiche unterschiedliche Erklärungen, die für Menschen mit unterschiedlichen Veranlagungen geeignet sind, für jene mit Intelligenz usw. Er gab keine Unterweisungen, um die Menschen damit zu langweilen, sondern um ihnen zu helfen, ihre Probleme zu überwinden. Die Erklärungen dieser so genannten niedrigeren Schulen können uns helfen, eine bestimmte Ebene von Problemen zu überwinden. Aber es sind auch subtilere Erklärungen notwendig und daher müssen wir uns nach ganz unten oder nach ganz oben durcharbeiten, je nachdem von wo wir es betrachten und das führt zu geistigem Benennen, zur Prasangika-Sichtweise, um jedes noch so subtile Missverständnis zu beseitigen.
Fragen
Wie lange dauert es, das wirklich verstehen zu können?
Die Antwort wird Ihnen nicht gefallen, aber um das verstehen zu können, müssen sie eine große Menge an positiver Kraft aufbauen. Positive Kraft wird normalerweise als Verdienst übersetzt, aber ich finde dieses Wort (Engl. merit) furchtbar. Es klingt, als ginge es um die Abwicklung eines Geschäfts. Man arbeitet und bekommt etwas als Belohnung dafür. Damit hat es jedoch nichts zu tun. Und wir reden hier mit Sicherheit auch nicht über eine Ansammlung von Verdiensten. Ich weiß nicht, ob es das hier bei Ihnen in Österreich gibt, aber in anderen Ländern geht man in den Supermarkt und jedes Mal, wenn man etwas kauft, bekommt man diese kleinen Marken. Die sammelt man dann in einem Heft und wenn man eine bestimmte Anzahl davon hat, bekommt man einen Toaster oder gewinnt einen Preis. So funktioniert das nicht.
Vielmehr geht es um ein Netzwerk und dieser Begriff ist hier recht passend. Betrachten wir es einmal aus physikalischer Sichtweise, kann man auch von einem Phasenübergang reden. Ein Phasenübergang ist beispielsweise etwas, bei dem Eis in Wasser umwandeln kann, indem man Energie zuführt und schließlich einen kritischen Punkt erreicht. Dann führt man noch mehr Energie hinzu, bis man wiederum einen kritischen Punkt erreicht, bei dem es sich schließlich in Dampf verwandelt. Das ist eine Phasenumwandlung und das gleiche trifft auf unser Geist, auf unser Verständnis, zu. Wir entwickeln positive Kraft, indem wir auf konstruktive Weise miteinander umgehen und so ein immer stärkeres Potenzial aufbauen, bis wir schließlich all unsere geistigen und emotionalen Hindernisse überwinden und eine neue Ebene des Verständnisses erlangen.
So funktioniert das und es macht wirklich Sinn, wenn man einmal etwas tiefer darüber nachdenkt. Sind wir einfach selbstsüchtig und denken ständig nur an uns, ist unser Geist nicht offen. Wir sind voller Angst und misstrauisch, wie beispielsweise ein Hund, der knurrend über seinem Knochen wacht, damit ihn niemand wegnimmt. Wenn unser Geist und unsere Emotionen so verschlossen sind, können wir wirklich nicht viel verstehen und haben eine geistige Blockade. Wenn wir jedoch auf einer viel breiteren Ebene an andere denken und nicht an uns selbst, öffnen wir uns in gewissem Sinn sowohl geistig als auch emotional. Wir öffnen uns also und wenn diese Offenheit stark genug ist, können wir unsere geistigen und emotionalen Blockaden überwinden, die uns davon abhalten, wirklich etwas zu verstehen.
Das ergibt tatsächlich einen Sinn. In Bezug auf die Lehren sprechen wir jedoch von drei Zillionen Zeitaltern positiver Kraft, die wir aufbauen müssen und das ist die Antwort, die Ihnen nicht gefallen wird. Wörtlich übersetzt heißt das Wort Zillion unzählig viele, aber das bedeutet nicht, man könnte sie nicht zählen. Es handelt sich einfach nur um die größte endliche Zahl im indischen Rechensystem. Schließlich läuft es darauf hinaus, dass wir eine unglaubliche Menge an positiver Kraft ansammeln müssen und dass dies sehr lange dauern wird. Wir müssen also Geduld haben und sollten nicht auf unmittelbare Resultate hoffen.
Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen die Mahayana Sutren liest, aber dort heißt es beispielsweise, dass man sechzehn Milliarden Äonen an positiver Kraft aufbaut, wenn man dieses, oder dreiundzwanzig Millionen, wenn man jenes rezitiert und so werden dort all diese unfassbaren Nummern angeführt. Ich glaube nicht, dass man dies allzu wörtlich nehmen sollte. Allerdings finde ich es sehr hilfreich, um zu verstehen, dass wir nicht von einem Tag auf den anderen drei Zillion von etwas anzusammeln können. Natürlich gibt es Dinge, die wir tun können, um ein hohes Maß an positiver Kraft zu entwickeln. Es wird eine Nummer angeführt, um die Menschen zu ermutigen, dass es tatsächlich möglich ist und so wird gesagt, man könne durch etwas zweiunddreißig Millionen davon ansammeln, was einem kleinen Teil einer Zillion entspricht. Hierbei handelt es sich also um eine geschickte Methode.
Diese drei Zillion bringen uns auf immer höhere Ebenen, bis wir eine nichtkonzeptuelle Wahrnehmung davon haben und bis all unsere Schleier vollkommen beseitigt sind. Und jede dieser verschiedenen Schulen hat eine andere Sichtweise davon, wie das funktioniert, aber damit werden wir uns jetzt nicht befassen.
Welche Rolle spielt die Meditation in diesem Zusammenhang?
Wir müssen verstehen, dass es sich um eine Vorgehensweise in drei Schritten handelt. Zunächst ist es notwendig, eine korrekte Erklärung zu hören und auf dieser Grundlage werden wir durch das Hören unterscheidendes Gewahrsein erlangen. Darum geht es in der Belehrung: Es ist dieses und nicht jenes. Wir sind uns sicher und überzeugt, dass es sich hierbei um die tatsächliche Lehre, die tatsächliche Erklärung, handelt. Diese Gewissheit müssen wir erst einmal haben, denn ansonsten wissen wir nicht, ob wir es richtig gehört haben oder ob die Erklärung korrekt ist oder nicht.
Dann ist es notwendig darüber nachzudenken; das ist der zweite Schritt. Zunächst haben wir also nur die Worte; das sind die eigentlichen Worte der Lehren, die wir hören. Dann geht es darum, den Worten eine Bedeutung zu geben und dafür nutzen wir das Nachdenken. Daraus folgt, dass wir verstehen, was es bedeutet, anstatt nur die Worte zu erfassen. Wir nehmen die Worte konzeptuell durch eine bedeutungsbezogene Kategorie wahr und versuchen zu verstehen, was sie bedeuten. Das Hören geschieht durch eine Hörkategorie und ob etwas nun in dieser oder jener Schrift geschrieben oder gesprochen wurde, handelt es sich bei allem um die Worte der Lehre und passt in die bedeutungsbezogene Kategorie.
Es ist nicht nur notwendig, ein korrektes Verständnis davon zu haben, was die Lehren in Bezug auf die Leerheit bedeuten. Wir müssen auch überzeugt davon sein, dass sie einen Sinn ergeben und müssen glauben, dass sie wahr sind. Man könnte auch etwas verstehen, was völliger Unsinn ist und nicht im geringsten glauben, es wäre wahr. Darum geht es nicht. Wir sollten überzeugt davon sein, dass die Lehren nützlich und hilfreich sind, wenn wir sie wirklich verinnerlichen könnten. Darüber hinaus ist es wichtig anzustreben und die Motivation zu haben, sie in die Tat umsetzen zu wollen.
Dann können wir meditieren und das wäre dann der nächste Schritt. Die Meditation ist ein sich wiederholender Vorgang, denn man immer wieder ausführt. Normalerweise benutzen wir das Wort Praxis oder Übung, so, wie wir an einem Klavier üben würden. In der Praxis versuchen wir immer wieder das Verständnis und die Überzeugung zu entwickeln, dass das, was wir tun, richtig ist und wenden es auf Situationen in unserem Leben an. Wir versuchen die Situation in Anbetracht dieses Verständnisses zu erkennen.
Vielleicht haben wir ein Problem mit jemandem, weil etwas nicht nach unserem Willen läuft. Ich habe mir vielleicht mein Treffen mit Ihnen auf eine bestimmte Weise vorgestellt, aber dann läuft es ganz anders und ich rege mich auf und mache die anderen, die Organisatoren, das Wetter, dies oder jenes dafür verantwortlich. Dann bin ich verärgert und schiebe die Schuld auf alles andere. Wenn wir uns zur Meditation hinsetzen, analysieren wir uns selbst. Existieren wir als ein solides Etwas, das sich in uns, in unserem Geist, befindet und immer seinen Willen durchsetzen muss? Warum sollte es immer nach mir gehen? Wer sagt das? Warum sollte „ich“ die wichtigste Person in dieser Welt sein, nach dessen Willen sich alles richtet? Das ist einfach absurd und völlig unmöglich. Das alles beruht auf dieser Überzeugung eines soliden „Ichs,“ das auf der Grundlage von Zuschreibung irgendwo in unserem Kopf sitzt und das aus sich selbst heraus existiert und daher tatsächlich da ist und nach dessen Willen alles laufen sollte. So etwas gibt es nicht.
Wir richten uns also in unserer Meditation auf die Leerheit all dessen und darauf, dass wir nicht auf diese Weise existieren. Die Situation ist da, ich erlebe sie zweifellos und so kann ich „mich“ in Bezug auf diese individuelle Erfahrung benennen. Die Situation ist durch alle möglichen Ursachen und Umstände so zustande gekommen und daher gibt es nichts, worüber man sich ärgern könnte. Ich kann niemandem die Schuld dafür zuschieben. Wir ärgern uns also nicht, dass es nicht so gelaufen ist, wie wir uns das vorgestellt haben und befassen uns einfach mit der Realität der Situation und machen das Beste daraus. Dadurch werden wir sehr flexibel. Wenn wir uns als dieses solide „Ich“ betrachten und nur darauf schauen, wie es unserer Meinung nach laufen sollte und dass es nicht nach unserem Willen ging, werden wir sehr verärgert sein. Und dann sagen wir zwanghaft Dinge, die wir bereuen und verlieren die Kontrolle.
Meditation bedeutet, etwas Konstruktives zu schaffen, eine positive Gewohnheit zu entwickeln. Dies tun wir immer wieder, bis die Umsetzung dessen und dieses Verständnis zur Gewohnheit werden und wir es schließlich in allen Situationen automatisch anwenden können und uns nicht mehr ärgern. Dann wird es nicht mehr notwendig sein, sich hinzusetzen und zur Ruhe zu kommen, um uns durch diese Meditation der Dekonstruktion zu beruhigen. Vielmehr werden wir dann in der Lage sein, es jederzeit und in allen Situationen anzuwenden. Es geht einfach nur darum, sich daran zu erinnern und das nennt man Achtsamkeit. Heutzutage hat dieses Wort Achtsamkeit im Westen eine andere Bedeutung bekommen. Es bedeutet einfach nur aufmerksam zu sein, aber ursprünglich hatte es eine andere Bedeutung. Das gleiche Wort benutzen wir dafür, uns etwas in Erinnerung zu rufen. Es ist der geistige Klebstoff, der uns davon abhält, etwas zu vergessen. Es geht darum, sich immer zu erinnern und nicht darum, einfach nur Informationen abzurufen. Die Rede ist davon, sich etwas aktiv zu vergegenwärtigen. Daher beschreibe ich es als geistigen Klebstoff. Denken Sie also immer daran, dass wir nicht auf diese unmögliche Weise existieren. Es gibt nichts, dem wir eine Sicherheit geben können und daher sollten wir uns entspannen.