Die fünf Pfade zur Befreiung und Erleuchtung

Liste der fünf Arten von Pfadgeist

In seinem Werk „Filigranschmuck der Verwirklichungen“ (tib. mNgon-rtogs rgyan, Abhisamayalamkara) erklärt Maitreya die Stufen des Fortschritts auf dem spirituellen Pfad, der zu Befreiung und Erleuchtung führt. Für alle Praktizierenden geschieht der Fortschritt mittels fünf Arten von Pfadgeist (tib. lam-lnga, fünf Pfade), was sich auf die jeweils erlangten geistigen Stufen bezieht, die als Pfad dienen, um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen:

  • ein aufbauender Pfadgeist (tib. tshogs-lam, Pfad der Ansammlung)
  • ein anwendender Pfadgeist (tib. sbyor-lam, Pfad der Vorbereitung)
  • ein sehender Pfadgeist (tib. mthong-lam, Pfad des Sehens)
  • ein sich gewöhnender Pfadgeist (tib. sgom-lam, Pfad der Meditation)
  • ein Pfadgeist, der keines weiteren Trainings bedarf (tib. mi-slob-lam, Pfad des Nicht-Mehr-Lernens).

Die fortschreitende Entwicklung der fünf Arten von Pfadgeist als ein Shravaka, Pratyekabuddha oder Bodhisattva

Wir können diese fünf Arten von Pfadgeist fortschreitend auf drei unterschiedlichen Ebenen entwickeln, abhängig von unserer Motivation und unserem Übungsstil. Die ersten beiden sind Ebenen als Hinayana-Praktizierende, die dritte ist die Mahayana-Ebene.

Man sollte anmerken, dass sich der Begriff „Motivation” (tib. kun-slong) in buddhistischer Terminologie auf den geistigen Faktor der Intention (tib. ‘dun-pa) bezieht – die Intention, für einen bestimmten Zweck ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Er bezieht sich nicht auf den Faktor der positiven oder negativen Emotion, wie etwa Mitgefühl oder Habgier, der die Intention begleitet und uns dazu bewegt, ein Ziel zu erreichen.

  • Shravakas (tib. nyan-thos, Hörer) streben danach, Befreiung (tib. thar-pa, Skt. moksha) aus Samsara zu erlangen. Der Faktor, der sie motiviert, dieses Ziel zu erreichen, ist Entsagung (tib. nges-byung) bzw. Abkehr von wahrem Leid und seinen wahren Ursachen, sowie die Entschlossenheit, davon frei zu sein. Sie arbeiten daran, ihr Ziel zu erreichen, indem sie den Lehren eines Buddhas zuhören.
  • Pratyekabuddhas (tib. rang-rgyal, Alleinverwirklicher) streben ebenfalls mit Entsagung danach, Befreiung zu erlangen. Sie leben in dunklen Zeitaltern, in denen keine Lehren eines Buddha mehr zugänglich sind. Sie studieren nicht mit spirituellen Lehrern, weil es in derartigen Zeiten keine Lehrer gibt, und sie lehren nur durch Gesten, da andere nicht empfänglich sind. Sie leben entweder allein („wie ein Rhinozeros”) oder in kleinen Gruppen und müssen sich auf ihre Instinkte verlassen, um vom Dharma zu erfahren.
  • Bodhisattvas (tib. byang-chub sems-dpa’) streben danach, Erleuchtung zu erlangen, sowie nach der Fähigkeit, allen begrenzten Wesen (fühlenden Wesen) von größtmöglichem Nutzen zu sein. Der motivierende Faktor, um dieses Ziel zu erreichen, wird Bodhichitta (tib. byang-sems) genannt.

Das Erlangen einer der drei gereinigten Zustände als einer der acht Arten von Arhats

Erreichen die drei Arten von Praktizierenden ihr Ziel, werden sie alle zu Arhats (tib. dgra-bcom-pa, befreite Wesen, „Feind-Zerstörer“). Sie werden:

  • Shravaka-Arhats
  • Pratyekabuddha-Arhats oder
  • Buddha-Arhats. Buddha-Arhat ist ein anderer Name für einen Buddha.

Darüber hinaus wird jedes der drei Ziele Bodhi (tib. byang-chub) genannt, ein gereinigter Zustand. Buddhaschaft (Erleuchtung) wird auch als Samyaksambodhi (tib. yang-dag-pa rdzogs-pa’i byang-chub) bezeichnet, der vollständige, vollkommen gereinigte Zustand.

Der aufbauende Pfadgeist

Je nach unserer Situation und Motivation erlangen wir einen der beiden Hinayana-Arten von aufbauendem Pfadgeist, wenn wir mühelose (tib. rtsol-med) Entsagung als unsere vorrangige Motivation im Leben erlangen. „Mühelos“ bedeutet, dass dieser geistige Faktor entsteht, ohne dass wir uns darum bemühen oder darauf hinarbeiten müssen, indem wir uns Schritt für Schritt auf eine Reihe von Argumenten stützen. Einen Mahayana-Pfadgeist erreichen wir, wenn wir darüber hinaus müheloses Bodhichitta als unsere vorrangige Motivation im Leben erlangen.

Entsagung oder sowohl Entsagung als auch Bodhichitta als unsere vorrangige Motivation im Leben zu haben bedeutet, dass sie ständig manifest (tib. mngon-gyur-ba) sind, sogar wenn wir schlafen. Dass sie ständig manifest sind, bedeutet nicht unbedingt, dass man sich ihrer von da an in jedem Moment bewusst ist oder auf sie achtet. Noch bedeutet es, dass wir gleichzeitig keine anderen, kurzfristigen Motivationen mehr haben, wie etwa die Motivation, in den Laden zu gehen, um Brot zu kaufen. Nichtsdestotrotz haben wir, selbst wenn wir nicht bewusst über Entsagung oder Bodhichitta nachdenken, immer noch die Absicht, Befreiung oder sowohl Befreiung wie Erleuchtung zu erlangen und all den zahllosen Wesen zu nutzen. Wir verlieren nie diese Intention als unsere vorrangige Motivation im Leben, ganz gleich was wir tun.

Zudem müssen wir, um einen aufbauenden Pfadgeist zu erlangen, zuvor zwei Ebenen von unterscheidendem Gewahrsein der sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten gewonnen haben:

  • das unterscheidende Gewahrsein, das durch Hören korrekter Information (tib. thos-byung shes-rab) über die sechzehn Aspekte entsteht, sodass wir uns begrifflich anhand der angemessenen akkuraten Kategorien, die auf Tönen bzw. Worten beruhen (tib. sgra-spyi, akustisches Allgemeines) darauf beziehen können, doch ohne Bedeutung damit zu verbinden
  • das unterscheidende Gewahrsein, das durch Nachdenken über sie (tib. bsam-byung shes-rab) entsteht, sodass wir sie verstehen und uns durch die angemessene akkurate Bedeutung/Objekt-Kategorien (tib. don-spyi, Bedeutungs-Allgemeines) begrifflich auf sie ausrichten können.

Zu den sechzehn Aspekten gehören unter anderem die Leerheit (tib. stong-pa-nyid) und die Abwesenheit unmöglicher Existenzweisen, wie sie von jeder der Hinayana- und Mahayana-Schulen auf ihre jeweilige Weise definiert werden.

Der aufbauende Pfadgeist hat neun geistige Stufen oder Ebenen – drei anfängliche, drei mittlere und drei fortgeschrittene. Während wir von einer Stufe zur nächsten voranschreiten, „bauen“ wir ihn zuerst zum Erlangen von „Shamatha“ „auf“ (tib. zhi-gnas, ein gelassener, stiller und zur Ruhe gebrachter Geist, ruhiges Verweilen), der begrifflich auf die sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten konzentriert ist. Dies findet in jedem Fall statt, ganz gleich, ob wir zuvor schon Shamatha erreicht haben, indem wir den Geist auf ein anderes Objekt gerichtet haben, oder nicht. Im Anschluss daran bauen wir den Geist zur Vereinigung zweier Komponenten auf, nämlich Shamatha und „ Vipashyana” auf (tib. lhag-mthong, ein außergewöhnlich wahrnehmungsfähiger Geisteszustand, besondere Einsicht), der ähnlich ausgerichtet ist.

Der anwendende Pfadgeist

Erreichen wir das vereinte Paar (tib. zung-‘brel) von Shamatha und Vipashyana, die begrifflich auf die sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten gerichtet sind, und erlangen wir damit das unterscheidende Gewahrsein der sechzehn Aspekte, das aus Meditation entsteht (tib. sgom-byung shes-rab), haben wir den zweiten Pfadgeist erlangt. Dies ist ein anwendender Pfadgeist. Mit ihm wenden wir unser vereintes Shamatha und Vipashyana in der Meditation an, sodass wir, indem wir schrittweise voranschreiten, schließlich das vereinte Paar der beiden Komponenten Shamatha und Vipashyana, die nicht begrifflich auf die sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten gerichtet sind, erlangen werden. Haben wir diese Vereinigung der beiden nicht begrifflichen Komponenten erlangt, so haben wir den dritten Pfadgeist erreicht – einen sehenden Pfadgeist.

Mit einem anwendenden Pfadgeist haben wir ein begriffliches, vereintes Shamatha und Vipashyana erlangt, die begrifflich auf die sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten konzentriert sind, und die sich nicht mehr direkt auf eine schrittweise Argumentation für die Ermittlung (tib. nges-shes) ihres Objekts stützen müssen. In diesem Sinne ist unsere Gewissheit beim Verständnis der sechzehn Aspekte mühelos, obwohl es sich aus einer Beweisführung ableitet. Mit einem aufbauenden Pfadgeist mussten wir uns direkt auf eine Beweisführung stützen, um zu einer derartigen Gewissheit zu gelangen.

Der anwendende Pfadgeist hat vier Stufen:

  • Hitze (tib. drod) – auf dieser Stufe haben wir vereintes Shamatha und Vipashyana über die sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten im Wachzustand.
  • Gipfel (tib. rtse-mo) – hier haben wir es selbst beim Träumen.
  • Geduld bzw. Ertragen (tib. bzod-pa) – hier haben wir keinerlei Furcht mehr, dass unser unterscheidendes Gewahrsein jegliches gültig erkennbare „ich” auslöschen könnte. Mit dem Erlangen dieses Pfadgeistes werden wir nicht mehr in einem der drei schlimmeren Wiedergeburtszustände geboren werden – als ein gefangenes Wesen in einem freudlosen Bereich (Höllenwesen), als Klammergeist (Hungergeist), oder gebückte Kreatur (Tier).
  • Höchster Dharma (tib. chos-mchog) – auf dieser Stufe sind wir in der Lage, unser vereintes Shamatha und Vipashyana bezüglich der sechzehn Aspekte auf die Natur des Geistes selbst anzuwenden.

Das Erlangen eines sehenden Pfadgeistes und der Stufe eines Arya

Wenn uns während unserer völligen Vertiefung (tib. mnyam-bzhag, meditative Ausgewogenheit) eine nicht begriffliche Wahrnehmung der sechzehn Aspekte der vier edlen Wahrheiten gelingt, erlangen wir einen sehenden Pfadgeist. An diesem Punkt werden wir, je nach unserer Motivation, mit der wir die fünf Arten von Pfadgeist schrittweise entwickeln, zu Aryas (tib. ‘ phags-pa, Wesen mit hohem Erkenntnisstand, „Edle“):

  • Arya-Shravakas
  • Arya-Pratyekabuddhas
  • Arya-Bodhisattvas.

Selbst wenn wir die gereinigten Zustände erreichen, die unser Ziel waren, tragen wir weiterhin den Namen Arya. Daher zählen auch Hinayana- und Mahayana-Arhats (Buddhas) zu den Aryas. Alle, die noch keine Arhats sind, werden als gewöhnliche Wesen (tib. so-so’i skye-bo) bezeichnet, selbst wenn sie einen der ersten beiden Arten von Pfadgeist erlangt haben.

Die zwei Arten von Schleiern

Als Arya mit einem sehenden Pfadgeist beginnen wir, wahre Beendigungen (tib. ‘gog-bden, wahres Aufhören) und wahre Arten von Pfadgeist (tib. lam-bden, wahre Pfade) in unserem geistigen Kontinuum zu haben – mit anderen Worten, die dritte und vierte edle Wahrheit. Die wahren Arten von Pfadgeist sind unsere nicht begrifflichen Wahrnehmungen der vier edlen Wahrheiten; die wahren Beendigungen oder das Ablegen (tib. spang-ba, Aufgeben) verschiedener Faktoren, derer wir uns entledigen müssen, um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. Wahre Arten von Pfadgeist sind sowohl die ursächlichen Arten von Geist, die wahre Beendigungen hervorbringen, als auch die resultierenden Arten von Geist, die diese Beendigungen erlangt haben.

Die Mahayana-Lehrsysteme gliedern die Faktoren, derer wir uns entledigen müssen, in zwei Arten von Schleiern (tib. sgrib-gnyis) auf:

  • emotionale Schleier (tib. nyon-sgrib) – Schleier, die störende Emotionen und Geisteshaltungen sind und die Befreiung verhindern
  • kognitive Schleier (tib. shes-sgrib) – Schleier bezüglich allem, was man wissen kann, welche Allwissenheit verhindern.

Die Hinayana-Lehrsysteme sprechen nicht von zwei Arten von Schleiern. Sie vertreten, dass ein Arya, um entweder Befreiung oder Erleuchtung zu erlangen, sich aller Faktoren entledigen muss, die zu den emotionalen Schleiern zählen, doch sie bezeichnen sie nicht als emotionale Schleier. Um die Diskussion zu erleichtern, werden wir diese Faktoren dennoch im Folgenden „emotionale Schleier“ nennen.

Die verschiedenen indischen Lehrsysteme unterscheiden sich sowohl in ihrer Auflistung dessen, wie sich die zwei Arten von Schleiernn zusammensetzen, als auch darin, welcher Faktoren innerhalb der beiden Arten man sich auf welcher Stufe von Pfadgeist entledigt. Zudem liefern die verschiedenen tibetischen Schulen unterschiedliche Erklärungen in ihren Darstellungen der verschiedenen indischen Systeme. Unterschiede finden sich auch in den Darstellungen, die einerseits im Sutra und den drei unteren Tantra-Klassen und andererseits im Anuttarayoga-Tantra zu finden sind. Als einführende Darstellung des Themas werden wir hier jedoch lediglich die Aussagen der Gelug-Schule zum Lehrsysteme des Svatantrika-Madhyamaka und Prasangika-Madhyamaka gegenüberstellen, und zwar im Kontext des Sutra. Zur Vereinfachung der Diskussion werden wir diese beiden Aussagen im Folgenden lediglich als „Svatantrika” und „Prasangika” bezeichnen.

Svatantrika

Unwissenheit (tib. ma-rig-pa, Ignoranz) kann es gegenüber Ursachen und Wirkungen von Verhalten oder gegenüber der Wirklichkeit geben. Im Falle von Unwissenheit gegenüber der Wirklichkeit kann es sich um Unwissenheit in Bezug darauf handeln, wie Personen existieren oder wie alle Phänomene existieren. Unwissenheit, wie Personen existieren, beinhaltet ein Greifen nach einer Seele von Personen, die so unmöglich existieren kann (tib. gang-zag-gi bdag-‘dzin, Greifen nach einem Selbst der Person). Unwissenheit, wie alle Phänomene existieren, beinhaltet ein Greifen nach einer Art „Seele“ in allen Phänomenen, die so unmöglich existieren kann (tib. chos-kyi bdag-‘dzin, Greifen nach einem Selbst der Phänomene).

Personen sind natürlich in der Kategorie aller Phänomenen mit enthalten. Folglich fehlt Personen dieselbe unmögliche Seele wie allen Phänomenen. Das Svatantrika-Lehrsysteme unterscheidet jedoch die unmögliche Seele aller Phänomene (inklusive Personen) von einer unmöglichen Seele in Bezug auf nur Personen. Gemäß Svatantrika ist die Existenzweise dieser zwei unmöglichen Seelen unterschiedlich. Und nur in Bezug auf Personen ist sowohl die Abwesenheit der unmöglichen Seele einer Person als auch die Abwesenheit der unmöglichen Seele aller Phänomene festzustellen. Bei allen Phänomenen außer Personen ist nur die unmögliche Seele aller Phänomene abwesend; eine unmögliche Seele einer Person ist für andere Phänomene als Personen irrelevant.

Gemäß dem Svatantrika-Lehrsystem beinhalten emotionale Schleier:

  • Unwissenheit in Bezug darauf, wie nur Personen existieren, sowie die Tendenzen (tib. sa-bon, Samen) dieser Unwissenheit
  • Störende Emotionen und Geisteshaltungen (tib. nyon-mongs, Skt. klesha, Leiden schaffende Emotionen) sowie ihre Tendenzen. Um die Diskussion zu erleichtern, werden wir störende Emotionen und Geisteshaltungen im Folgenden lediglich als „störende Emotionen“ bezeichnen.

Die kognitiven Schleier beinhalten:

  • Unwissenheit in Bezug darauf, wie alle Phänomene existieren, sowie die Gewohnheiten (tib. bag-chags, Instinkte) dieser Unwissenheit
  • Die Gewohnheiten der Unwissenheit in Bezug darauf, wie nur Personen existieren
  • Die Gewohnheiten der störenden Emotionen.

Ganz allgemein gesprochen bringen Tendenzen etwas nur gelegentlich zum Vorschein, wohingegen Gewohnheiten Dinge kontinuierlich entstehen lassen.

Prasangika

Svatantrika und Prasangika vertreten unterschiedliche Ansätze in Bezug auf die unmögliche Existenz der Seele, die in allen Phänomenen nicht vorhanden ist. Wie dem auch sei, der wesentliche Unterschied in der Struktur dieser beiden Madhyamaka-Systeme in Bezug darauf, was die beiden Schleier ausmacht, ist, dass im Prasangika die Unwissenheit darüber, wie alle Phänomene existieren, und die Tendenzen dieser Unwissenheit zu den emotionalen Schleiern gezählt werden, während im Svatantrika diese Unwissenheit zu den kognitiven Schleiern zählt und ausgesagt wird, dass sie nur mit Gewohnheiten verbunden ist und nicht mit Tendenzen.

Gemäß Prasangika beinhalten die emotionalen Schleier somit:

  • die Unwissenheit in Bezug darauf, wie nur Personen existieren, sowie die Tendenzen dieser Unwissenheit
  • störende Emotionen und ihre Tendenzen
  • die Unwissenheit in Bezug darauf, wie alle Phänomene existieren, sowie die Tendenzen dieser Unwissenheit.

Die kognitiven Schleier beinhalten:

  • die Gewohnheiten der Unwissenheit in Bezug darauf, wie alle Phänomene existieren
  • die Gewohnheiten der Unwissenheit in Bezug darauf, wie nur Personen existieren
  • die Gewohnheiten der störenden Emotionen.

Auf Doktrinen beruhende und automatisch entstehende Schleier

Innerhalb der zwei Arten von Schleiern sind sowohl die zwei Arten von Unwissenheit als auch die störenden Emotionen bestimmte Weisen, sich einer Sache gewahr zu sein (tib. shes-pa). Als solche beinhalten sie jeweils zwei Arten von Faktoren: auf Doktrinen beruhende (tib. kun-brtags, auf Begriffen beruhend) und automatisch entstehende (tib. lhan-skyes).

  • Auf Doktrinen beruhende Schleier entstehen dadurch, dass man bestimmte Behauptungen eines inkorrekten, nicht buddhistischen, indischen Lehrsystems lernt und akzeptiert. Das Prasangika-System vertritt, dass sie auch daraus entstehen können, dass man bestimmte Behauptungen eines niedrigeren buddhistischen Lehrsystems lernt und akzeptiert.
  • Automatisch entstehende Schleier entstehen unabhängig davon, ob man irgendein inkorrektes Lehrsystem lernt und akzeptiert.

Das Svatantrika-System vertritt, dass sowohl die emotionalen als auch die kognitiven Arten von Schleiern beide Weisen beinhalten, sich einer Sache gewahr zu sein. Demnach beinhalten also beide Arten von Schleiern sowohl auf Doktrinen beruhende als auch automatisch entstehende Faktoren.

  • Die auf Doktrinen beruhende emotionale Schleier sind nur mit Tendenzen verbunden.
  • Die automatisch entstehenden emotionalen Schleier sind sowohl mit Tendenzen als auch mit Gewohnheiten verbunden.
  • Kognitive Schleier, sowohl auf Doktrinen beruhende wie automatisch entstehende, haben nur Gewohnheiten.

Das Prasangika-System vertritt, dass kognitive Schleier nur mit Gewohnheiten verbunden sind; daher lässt sich die Unterteilung in auf Doktrinen beruhende und automatisch entstehende Schleier in diesem System nicht auf diese Art von Schleiern anwenden.

Was ein sehender Pfadgeist beseitigt

Svatantrika und Prasangika stimmen darin überein, dass der sehende Pfadgeist der Shravakas, Pratyekabuddhas und Bodhisattvas die auf Doktrinen beruhenden Formen der emotionalen Schleier bei diesen drei Klassen von Aryas beseitigt.

Gemäß dem Svatantrika-System wird, wenn wir schrittweise die verschiedenen Arten von Pfadgeist eines Bodhisattvas entwickeln, ein sehender Mahayana-Pfadgeist auch die auf Doktrinen beruhenden Formen der kognitiven Schleier in uns beseitigen.

Da im Prasangika-System keine Unterteilung der kognitiven Schleier in solche, die auf Doktrinen beruhen, und solche, die automatisch entstehen, vorgenommen wird, beseitigt hier ein sehender Mahayana-Pfadgeist keine der kognitiven Schleier ins uns.

Beide Systeme stimmen darin überein, dass nicht nur der sehende Hinayana-Pfadgeist uns nicht von kognitiven Schleiern befreit, sondern keiner der Hinayana-Arten von Pfadgeist dazu imstande ist.

Was ein sehender Shravaka-Pfadgeist an emotionalen Schleiern beseitigt (tib. mthong-spang, das, was auf dem Pfad des Sehens aufgegeben wird), sind diejenigen auf Doktrinen beruhenden Formen, die mit dem Geist auf jeder der drei Ebenen samsarischer Existenz (tib. kham-gsum, drei Bereiche) und ihren Tendenzen verbunden sind.

Die drei Ebenen samsarischer Existenz sind:

  • die Ebene sinnlichen Verlangens (tib. ‘dod-khams, Begierdebereich),
  • die Ebene subtiler Formen (tib. gzugs-khams, Formbereich),
  • die Ebene formloser Wesen (tib. gzugs-med khams, formloser Bereich).

Die letzten beiden Ebenen Ebenen nennt man die bei den höheren Bereiche samsarischer Existenz (tib. khams gong-ma).

Ein sehender Pfadgeist beseitigt auf Doktrinen beruhende störende Emotionen in Bezug auf jede der vier edlen Wahrheiten, und zwar zuerst jene, die mit dem Geist auf der Eben sinnlichen Verlangens verbunden sind und dann solche, die mit einem Geist auf den zwei höheren Ebenen einhergehen.

Der sich gewöhnende Pfadgeist

Mit einem sich gewöhnenden Pfadgeist gewöhnen wir uns an die unbegriffliche Wahrnehmung der vier edlen Wahrheiten, die wir mit einem sehenden Pfadgeist erlangt haben.

Es gibt neun Abstufungen dessen, was ein sich gewöhnender Pfadgeist ablegt (tib. sgom-spang, das, was auf dem Pfad der Meditation aufgegeben wird). Ein sich gewöhnender Pfadgeist legt dies schrittweise ab. Daher gibt es unterschiedliche Stufen von sich gewöhnendem Pfadgeist, nämlich enstprechend der Anzahl der Abstufungen von Schleiern, die er abgelegt hat.

Svatantrika und Prasangika stimmen darin überein, dass der sich gewöhnende Pfadgeist der Shravakas, Pratyekabuddhas und Bodhisattvas diese drei Klassen von Aryas von der automatisch entstehenden Form der emotionalen Schleier befreit.

Des weiteren

  • vertritt das Svatantrika-System, dass ein sich gewöhnender Mahayana-Pfadgeist bei einem Arya-Bodhisattva auch die automatisch entstehende Form kognitiver Schleier beseitigt.
  • Gemäß dem Prasangika-System beseitigt ein sich gewöhnender Mahayana-Pfadgeist bei einem Arya-Bodhisattva sämtliche kognitiven Schleier.

Was die Reihenfolge betrifft, in der die neun Abstufungen eines sich gewöhnenden Mahayana-Pfadgeistes einen Arya-Bodhisattva von dem befreien, was ein solcher Pfadgeist ablegt, so gilt:

  • Gemäß Svatantrika beginnen Arya-Bodhisattvas, sich gleichzeitig sowohl der automatisch entstehenden emotionalen Schleier als auch der automatisch entstehenden kognitiven Schleier zu entledigen. Sie legen beide Arten von Schleiern gleichzeitig endgültig ab. Daher erlangen sie Befreiung und Erleuchtung gleichzeitig.
  • Gemäß Prasangika entledigen sich Bodhisattvas zuerst der automatisch entstehenden emotionalen Schleier und beginnen erst dann, nachdem sie diese vollständig abgelegt haben, sich von den kognitiven Schleiern zu befreien. Daher erlangen Bodhisattvas Befreiung, bevor sie Erleuchtung erlangen.

Das Hinyana-System der Einteilung in Personen, die in den Strom eintreten, solche, die noch einmal wiederkehren, solche, die nicht mehr wiederkehren, und Arhats

Die Aufteilung der Aryas in diejenigen, die in den Strom eintreten (tib. rgyun-zhugs), diejenigen, die noch einmal wiederkehren (tib. phyir-‘ong), diejenigen, die nicht mehr wiederkehren (tib. phyir mi-‘ong), und Arhats (tib. dgra-bcom) bezieht sich nur auf Shravaka- und Pratyekabuddha-Aryas. Sie gilt nicht für Arya-Bodhisattvas. Sowohl das Svatantrika- als auch das Prasangika-System akzeptieren diese Art der Unterteilung.

Für jede der vier Stufen von Shravaka-Aryas und Pratyekabuddha-Aryas gibt es einen Zustand des Eintretens (tib. zhugs-pa) und einen des resultierenden Verweilens (tib. ‘ bras-gnas), sodass sich insgesamt acht eintretende und resultierende Stufen von Hinayana-Aryas (tib. zhugs-gnas brgyad) ergeben.

Was ein sich gewöhnender Hinayana-Pfadgeist ablegt, sind neun Abstufungen der automatisch entstehenden Form von emotionalen Schleiern ab, die mit einem Geist auf der Ebene sinnlichen Verlangens verbunden sind, sowie neun Abstufungen verbunden mit einem Geist auf den zwei höheren Ebenen samsarischer Existenz.

  • Als erstes legt ein sich gewöhnender Hinayana-Pfadgeist die ersten sechs Abstufungen der automatisch entstehenden Form von emotionalen Schleiern, verbunden mit entsprechenden Geisteszuständen auf der Ebene sinnlichen Verlangens, ab.
  • Dann entledigt er sich der letzten drei dieser Abstufungen.
  • Anschließend legt er die neun Abstufungen der automatisch entstehenden Form von emotionalen Schleiern ab, die mit einem Geist auf den zwei höheren Ebenen samsarischer Existenz verbunden sind.

Die acht eintretenden und resultierenden Ebenen der Hinayana-Aryas werden somit wie folgt unterschieden:

  • Diejenigen, die in den Strom eintreten, erlangen auf der eintretenden Ebene dieses Zustands einen sehenden Pfadgeist und haben das Ziel, sich der auf Doktrinen beruhenden emotionalen Schleier zu entledigen, welche mit einem Geisteszustand auf den drei Ebenen samsarischer Existenz verbunden sind.
  • Diejenigen, die in den Strom eintreten und sich auf der resultierenden Stufe dieses Zustandes befinden, haben die acht gereinigten Arten von Gewahrsein (befreiter sehender Pfadgeist) erlangt und alle auf Doktrinen beruhenden emotionalen Schleier abgelegt. An diesem Punkt haben sie immer noch einen sehenden Pfadgeist.
  • Diejenigen, die noch einmal wiederkehren und sich auf der eintretenden Ebene dieses Zustands befinden, haben einen sich gewöhnenden Pfadgeist erlangt. Sie sind darauf bedacht, die ersten sechs der neun Abstufungen von automatisch entstehenden Formen emotionaler Schleier abzulegen, die mit einem Geist auf der Ebene sinnlichen Verlangens verbunden sind.
  • Diejenigen, die noch einmal wiederkehren und sich auf der resultierenden Ebene dieses Zustands befinden, haben diese sechs Abstufungen alle abgelegt. Weil sie Arhatschaft nach nur einem weiteren Leben erlangen werden, nennt man sie „diejenigen, die noch einmal wiederkehren“. Mit anderen Worten: sie werden nur noch einmal in Gestalt einer samsarischen Wiedergeburt zurückkehren.
  • Diejenigen, die nicht mehr wiederkehren und sich auf der eintretenden Ebene dieses Zustands befinden, haben zum Ziel, die letzten drei der neun Abstufungen der automatisch entstehenden emotionalen Schleier abzulegen, die mit einem Geist auf der Ebene sinnlichen Verlangens verbunden sind.
  • Diejenigen, die nicht mehr wiederkehren und sich auf der resultierenden Ebene dieses Zustands befinden , haben diese drei Abstufungen alle abgelegt. Man bezeichnet sie als „diejenigen, die nicht mehr wiederkehren“, weil sie in diesem Leben Arhatschaft erlangen werden, ohne noch einmal in Gestalt einer samsarischen Wiedergeburt zurückzukehren.
  • Arhats auf der eintretenden Ebene dieses Zustands zielen darauf ab, alle neun Abstufungen der automatisch entstehenden emotionalen Schleier abzulegen, die mit einem Geist auf den beiden höheren Ebenen samsarischer Existenz verbunden sind. Sie haben immer noch einen sich gewöhnenden Pfadgeist.
  • Arhats auf der resultierenden Ebene dieses Zustands haben diese neun Abstufungen alle abgelegt. Da sie sich nun aller emotionalen Schleier entledigt haben, erreichen sie ihr Ziel, d.h. entweder Shravaka- oder Prayekabuddha-Arhatschaft.

Svatantrika- und Prasangika-System stimmen in all diesen Punkten überein.

Die zehn Bodhisattva-Bhumis

Die Mahayana-Arten des sehenden und sich gewöhnenden Pfadgeists umfassen zehn Bodhisattva-„ Bhumis“ (tib. sa-bcu), d.h. zehn Ebenen von Arya-Bodhisattva-Geist, die vor der Buddhaschaft erreicht werden.

  • Die Hinayana-Arten von sehendem und sich gewöhnendem Pfadgeist werden nicht in Bhumi-Arten unterteilt, obgleich auch sie in Phasen aufgeteilt werden, in denen man schrittweise danach strebt, jeweils einen Teil dessen ablegen, was es abzulegen gilt, und dies schrittweise erreichen.

Die ersten sieben Ebenen von Geist auf diesen Bhumis werden „ungereinigte Ebenen“ genannt (tib. ma-dag-pa’i sa), die achte bis zehnte Ebene hingegen „gereinigte Ebenen“ (tib. dag-pa’i sa).

Maitreya beschreibt im Einzelnen, dass es neun Abstufungen dessen gibt, das ein sich gewöhnender Pfadgeist ablegt. Genau wie ein sich gewöhnender Shravaka- und Pratyekabuddha-Pfadgeist sich endgültig aller neun Abstufungen mit dem Erlangen der Befreiung entledigt, entledigt sich ein sich gewöhnender Bodhisattva-Geist ihrer mit dem Erlangen der Erleuchtung. Jede der neun Ebenen des Geistes auf den Bhumis von der zweiten bis zur zehnten befreit einen Arya-Bodhisattva von einem der neun Anteile dessen, was ein sich gewöhnender Pfadgeist ablegt. Jeder Anteil ist mit Geisteszuständen auf allen drei Ebenen samsarischer Existenz verbunden, nicht mit jeweils nur einer.

Gemäß dem Svatantrika-System beinhaltet jeder der drei Anteile dessen, was ein sich gewöhnender Pfadgeist ablegt, einen Anteil von automatisch entstehenden emotionalen Schleiern und einen Anteil von automatisch entstehenden kognitiven Schleiern. Mit dem Erlangen der Erleuchtung sind Arya-Bodhisattvas von beiden Arten der Schleier gleichzeitig befreit.

Das Prasangika-System vertritt, dass die neun Anteile dessen, was ein sich gewöhnender Pfadgeist ablegt, sechs Anteile von automatisch entstehenden emotionalen Schleiern umfassen und dann drei Anteile von kognitiven Schleiern. Mit dem Erlangen des Geistes auf dem achten Bhumi (der ersten der drei gereinigten Ebenen) sind Arya-Bodhisattvas von allen emotionalen Schleiern befreit und erlangen daher Befreiung. Erst mit Beginn der gereinigten Arten von Geist auf den Bhumis entledigen sich Bodhisattvas der kognitiven Schleier. Mit dem Erlangen der Erleuchtung sind Bodhisattvas von allen kognitiven Schleiern befreit und werden Buddhas (Bodhisattva-Arhats).

Der Pfadgeist, der keines weiteren Trainings bedarf

Mit dem Pfadgeist, der keines weiteren Trainings bedarf, ist die Ebene von Bodhi erreicht, die das Ziel war. Wenn wir schrittweise die fünf Arten von Pfadgeist als Hinayana-Praktizierende entwickeln, werden wir entweder Shravaka-Arhats oder Pratyekabuddha-Arhats auf der Ebene des resultierenden Verweilens, frei von emotionalen Schleiern. Wenn wir schrittweise die fünf Arten von Mahayana-Pfadgeist entwickeln, werden wir Buddhas, frei von beiden Arten von Schleiern.

Wenn wir als Shravaka- oder Pratyekabuddha-Arhat auf der Ebene des resultierenden Verweilens müheloses Bodhichitta entwickeln und Bodhisattvas werden, müssen wir, um Erleuchtung zu erlangen:

  • gemäß dem Svatantrika-System zuerst einen sehenden Mahayana-Pfadgeist entwickeln – weil Bodhisattvas mit einem sehenden Pfadgeist beginnen, sich der kognitiven Schleier zu entledigen.
  • Gemäß dem Prasangika-System würden wir den Mahayana-Pfad mit einem befreiten Geist des achten Bhumi beginnen – weil Bodhisattvas erst mit einem Geist der gereinigten Ebenen beginnen, sich der kognitiven Schleier zu entledigen.
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